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shakespeare und das welt theater der gastfreundschaft

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Andreas Höfele<br />

Theatrum M<strong>und</strong>i<br />

<strong>das</strong> enorme Gewaltpotenzial spürbar, <strong>das</strong> in Hollars dicht<br />

bepackten Zuschauerrängen aufgestaut ist. 49 Dann erzählt <strong>das</strong><br />

Bild eine ganz an<strong>der</strong>e, dem, was wir auf den ersten Blick zu<br />

erkennen meinen, ziemlich entgegengesetzte Geschichte. Die<br />

alles an<strong>der</strong>e als fügsamen Bürger repräsentieren eine Gefahr,<br />

die James’ schlimmsten Ängste vor <strong>der</strong> „Hydra of diversly-enclined<br />

spectatours“ bei Weitem übertrifft. 50 Eine Gefahr, gerade<br />

weil diese Zuschauer nicht „diversly-enclined“, son<strong>der</strong>n ein<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>selben Meinung sind. So werden sie zu Vorboten jener<br />

volonté générale, welche die souveräne Herrschaft <strong>der</strong> Könige<br />

letztendlich hinwegfegen wird.<br />

Hollars Darstellung <strong>der</strong> gefügig-uniformen Volksmenge hat<br />

eine bemerkenswerte Parallele in dem berühmten Frontispiz<br />

von Thomas Hobbes’ Leviathan: Auch dort präsentiert uns <strong>der</strong><br />

Künstler (bei dem es sich möglicherweise ebenfalls um Hollar<br />

handelt, wenngleich diese Zuschreibung von Horst Bredekamp<br />

angezweifelt worden ist) 51 eine riesige Menge an Leuten, die uns<br />

den Rücken kehren <strong>und</strong> sich dem gekrönten Kopf zuwenden,<br />

dessen Torso <strong>und</strong> Glie<strong>der</strong> sie bilden (Abb. 8). Die kollektive<br />

Kraft, die wir bei <strong>der</strong> Exekution Straffords durch die hölzernen<br />

Absperrungen zusammengepresst fanden, ist hier im Bild des<br />

ting-Press in Cornhil, near the Royal Exchange, 1649, S. 6–7. („Ich werde nur dies sagen,<br />

<strong>das</strong>s ein ungerechtes Urteil (Strafford), <strong>das</strong>s ich in Kraft zu treten erlaubt habe, nun<br />

durch ein ungerechtes über mich verhängtes Urteil gestraft wird [...].“).<br />

49<br />

Meine Lektüre von Bruegel <strong>und</strong> Hollar ist offenk<strong>und</strong>ig selektiv <strong>und</strong> auf <strong>das</strong> Interesse<br />

meines vorliegenden Arguments hin abgestimmt. Eine gründlichere Analyse <strong>der</strong><br />

beiden Bil<strong>der</strong> würde <strong>der</strong>en völlig unterschiedliche piktorialen Genres <strong>und</strong> (kunst)<br />

historischen Kontexte berücksichtigen müssen. Natürlich unterliegt ein flämisches<br />

Gemälde aus <strong>der</strong> Mitte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts mit einem religiösen Sujet einer an<strong>der</strong>en<br />

Gruppe künstlerischer Regeln <strong>und</strong> Konventionen, adressiert ein an<strong>der</strong>es Publikum<br />

<strong>und</strong> dient einem an<strong>der</strong>en Zweck als eine Radierung aus dem England Mitte des 17.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, die ein bedeutendes gegenwärtiges Ereignis repräsentiert.<br />

50<br />

Siehe die obige Anmerkung 11.<br />

51<br />

Keith Brown macht ein Argument für Hollar, „The Artist of the Leviathan Title-<br />

Page“, in: The British Library Journal 4.1 (1978), S. 24–36. Infrage gestellt wird dies von<br />

Horst Bredekamp, Thomas Hobbes’ visuelle Strategien. Der Leviathan: Urbild des mo<strong>der</strong>nen<br />

Staates. Werkillustrationen <strong>und</strong> Porträts, Berlin: Akademie-Verlag 1999, S. 31–52.<br />

Abb. 8<br />

Wenzel Hollar o<strong>der</strong> Abraham Bosse,<br />

Frontispiz des ‚Leviathan‘ von Thomas Hobbes, 1651<br />

Leviathan durch Einverleibung gezähmt. In den Körper des<br />

Souveräns selbst inkorporiert, wird sie mit dem allmächtigen<br />

Herrscher eins, ja sie wird recht eigentlich zur Kraft des Herrschers<br />

selbst. Dieser verkörperten Stabilität läuft jedoch <strong>der</strong><br />

destabilisierende Effekt des Theaters entgegen. 52 Das auf den<br />

Kopf des gekrönten Monarchen blickende Volk kann mit ihm<br />

letztlich gar nicht eins sein, son<strong>der</strong>n ist durch seine Betrachterposition<br />

vom Herrscher, dessen Leib es bildet, zugleich distanziert<br />

<strong>und</strong> damit doch auch wie<strong>der</strong> die vielköpfige Menge,<br />

vor <strong>der</strong>en Blick <strong>und</strong> Urteil die Fürsten wie auf einer Bühne<br />

52<br />

Zur Theatralität von Identität <strong>und</strong> Macht siehe Christopher Pye, „The Sovereign,<br />

the Theater, and the Kingdome of Darknesse: Hobbes and the Spectacle of Power“,<br />

in: Representations 8 (1984), S. 84–106.<br />

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