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shakespeare und das welt theater der gastfreundschaft

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Andreas Höfele<br />

Theatrum M<strong>und</strong>i<br />

to make me play the last scene of the Tragedy“, 22 schrieb Maria<br />

Stuart, als sie <strong>das</strong> Hämmern <strong>der</strong> Zimmerleute hörte. Vier<br />

Monate lang konnte sich Elisabeth nicht dazu durchringen,<br />

den Todesbefehl zu geben, <strong>und</strong> rechtfertigte ihr Zögern mit<br />

demselben Gemeinplatz wie James: „We princes are set as it<br />

were upon stages, in the sight and view of all the world.“ 23<br />

Die Furcht, die in Basilikon Doron nie ganz verstummt, ist<br />

dem spektakulären Königtum selbst eingewoben. James<br />

besteht auf seiner absoluten Souveränität; nur Gott schuldet er<br />

Rechenschaft, als Sein Stellvertreter agiert er auf den Brettern<br />

des theatrum m<strong>und</strong>i. Und an Gottes singulär privilegierte<br />

Zuschauerschaft ist sein Agieren letzten Endes gerichtet. Letzten<br />

Endes, aber keineswegs ausschließlich, wie es die biblische<br />

Eröffnung seiner Leseranrede klar macht: „[...] there is nothing<br />

so covered, that shal not be revealed, neither so hidde, that shal not<br />

be knowen: and whatsoeuer they haue spoken in darknesse, should<br />

be heard in the light: and that which they had spoken in the eare in<br />

secret place, should be publikely preached on the tops of the houses.“ 24<br />

Der Passus (Lukas 12.2–3) dient James dazu, seine ehrlichen<br />

Absichten zu bek<strong>und</strong>en: In dem, was folgt, wird <strong>der</strong> Leser die<br />

Ansichten des Königs unverstellt ausgedrückt finden. Daneben<br />

erklärt er aber auch, wie es zur Veröffentlichung des Buches<br />

überhaupt kommen konnte – die dem Wunsch des Autors keineswegs<br />

entspricht, ihm vielmehr unangenehm zu sein scheint.<br />

Eigentlich nur dazu bestimmt, „an geheimem Ort gesprochen<br />

zu werden“, wird James’ väterlicher Rat an seinen Sohn Henry<br />

nun „öffentlich verkündigt“. Nicht weil <strong>der</strong> König es so geplant<br />

hätte, son<strong>der</strong>n weil bereits „false copies“ im Umlauf sind, „this<br />

Booke is now vented, and set forth to the publike view of the<br />

world, and consequently subject to every mans censure [...].“ 25<br />

Der lesenden Öffentlichkeit wächst somit, genau wie dem Publikum<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Schauspielhäuser, die Macht zu, die<br />

‚stolze Majestät‘ zum subject – zum Subjekt im Sinne von ‚Sujet‘<br />

wie auch im Sinne von ‚Untertan‘ – zu machen.<br />

Das Zitat aus dem Lukasevangelium präsentiert Gott als den<br />

großen Enthüller menschlicher Geheimnisse. James bestätigt<br />

dies, indem er auf „that all-seeing eye [...] piercing through the<br />

bowels of very darknesse it selfe“ verweist. 26 Sobald sich <strong>der</strong><br />

königliche Autor aber von <strong>der</strong> allgemeinen conditio humana<br />

dem beson<strong>der</strong>en Status <strong>der</strong> erhöhten Sichtbarkeit eines Königs<br />

zuwendet, ist es nicht mehr <strong>das</strong> Auge Gottes, <strong>das</strong> ihm Sorgen<br />

bereitet, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> argusäugige Blick <strong>der</strong> Menge. Und mit<br />

diesem Perspektivwechsel wird auch <strong>das</strong> Agens <strong>der</strong> Enthüllung<br />

neu verortet. Das göttliche Vorrecht, öffentlich zu machen, wird<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit selbst zugemessen, <strong>der</strong> unwi<strong>der</strong>stehlichen<br />

Wissbegierde des Volkes: „So as this their great concurrence in<br />

curiositie [...] hath enforced the un-timous divulging of this<br />

Booke, farre contrarie to my intention.“ 27<br />

Folglich lenkt die Passage, die mit <strong>der</strong> Idee einer alles sehenden<br />

<strong>und</strong> alles hörenden Gottheit beginnt, die Aufmerksamkeit<br />

alsbald auf ein menschliches Publikum. Gott kann im Privaten<br />

sehen, was geschieht, aber die Verbindung zwischen König <strong>und</strong><br />

Schauspieler besteht darin, <strong>das</strong>s beide einem ganz <strong>und</strong> gar<br />

öffentlichen Blick ausgesetzt sind: „for Kings being publike persons,<br />

by reason of their office and authority, are as it were set<br />

[...] upon a publike stage, in the sight of all the people; where<br />

all the behol<strong>der</strong>s eyes are attentively bent to looke and pry in<br />

22<br />

Antonia Fraser, Mary Queen of Scots, London: Weidenfeld & Nicolson 1975, S. 521.<br />

„Ich glaube, sie bauen ein Gerüst, um mich den Schlussakt <strong>der</strong> Tragödie spielen zu<br />

lassen.“<br />

23<br />

Ebd., S. 518. „Wir Prinzen sind sozusagen auf Bühnen gestellt, vor dem Blick <strong>und</strong><br />

den Augen <strong>der</strong> ganzen Welt.“<br />

24<br />

King James I., Basilikon Doron, S. 202 [Hervorhebung im Original].<br />

25<br />

Ebd., 203. „dies Buch ist nunmehr herausgegeben <strong>und</strong> dem öffentlichen Blick <strong>der</strong><br />

Welt dargetan <strong>und</strong> folglich Gegenstand des Urteils eines jeden Menschen.“<br />

26<br />

Ebd., 202. „jenem allsehenden Auge, welches durch <strong>das</strong> tiefste Innere <strong>der</strong> Dunkelheit<br />

selbst dringt.“<br />

27<br />

Ebd., S. 207. „Dass also dies ihr großes Zusammenwirken in <strong>der</strong> Neugierde [...] die<br />

unzeitige Enthüllung dieses Buches, ganz entgegen meiner Absicht, erzwungen hat.“<br />

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