Kurz gefasste Chronik der Deutschen Schule in ... - Tsingtau.org
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<strong>Kurz</strong>e <strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> dt. <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau - von Dr. Wilhelm Matzat - 2001 - www.ts<strong>in</strong>gtau.<strong>org</strong> - Creative Commons-Lizenz<br />
1944/45 die Klassen 3 und 4 getrennt, was u.a. zu <strong>der</strong> zusätzlichen Anstellung<br />
von Frau Dr. Hoyer als Geschichtslehrer<strong>in</strong> führte. Auch hat es im Januar 1945<br />
noch e<strong>in</strong>e „Inspektion“ gegeben durch den Leiter <strong>der</strong> Kaiser-Wilhelm-<strong>Schule</strong> <strong>in</strong><br />
Shanghai, Oberstudiendirektor Dr. Walter Gugel. Er traf am 8.1.1945 mit <strong>der</strong> Bahn<br />
e<strong>in</strong>, mußte sich aber wegen e<strong>in</strong>er Grippe erst für e<strong>in</strong> paar Tage <strong>in</strong>s Bett legen. Ob<br />
er nach se<strong>in</strong>er Visitation noch e<strong>in</strong>en Bericht verfaßt hat, ist nicht bekannt, <strong>in</strong> den<br />
erhaltenen Akten <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> Botschaft Nank<strong>in</strong>g bef<strong>in</strong>det sich ke<strong>in</strong>er.<br />
Das Schuljahr 1944/45. Zu Beg<strong>in</strong>n betrug die Schülerzahl 79. Die Kriegsfront<br />
rückte immer näher, zu spüren durch das (nicht sehr häufige) Ersche<strong>in</strong>en von<br />
amerikanischen Flugzeugen. Da nun potentiell mit dem Abwurf von Bomben zu<br />
rechnen war, wurde das aus mächtigen Granitqua<strong>der</strong>n bestehende Untergeschoß<br />
<strong>der</strong> benachbarten Christuskirche zum Luftschutzkeller für die Schüler erklärt. Vor<br />
dem E<strong>in</strong>gang stapelte man e<strong>in</strong>ige Sandsäcke auf. Meistens war es so, daß es bei<br />
Luftalarm e<strong>in</strong>e Vorwarnstufe gab, auf dem nahen Signalberg wurde dann e<strong>in</strong>e<br />
blaue Fahne gehißt. Wir Schüler wurden dann nach Hause geschickt – was uns<br />
nicht unwillkommen war. Kam e<strong>in</strong> „Luftangriff“ überraschend, konnte auf dem<br />
Signalberg nur noch e<strong>in</strong>e rote Fahne gehißt werden. Dann sollten wir uns <strong>in</strong> den<br />
Keller <strong>der</strong> Kirche begeben. De facto hat nie e<strong>in</strong>e Gefahr bestanden, denn die wenigen<br />
US-Flugzeuge <strong>in</strong>teressierte als Angriffsziel nur <strong>der</strong> Große Hafen und eventuell<br />
vorhandene Schiffe nebst dem Flugplatz <strong>in</strong> Tsangkou. Da an <strong>der</strong> Wende von 1944<br />
zu 1945 die politisch-militärische Gesamtlage für die Japaner immer bedrohlicher<br />
wurde (für das Deutsche Reich sowieso), machte die japanische Propaganda umso<br />
größere Anstrengungen, Siegeszuversicht zu verbreiten. Man scheute sich nicht,<br />
mit platten Lügen zu arbeiten. Nachdem wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>ige US-Flugzeuge über<br />
Ts<strong>in</strong>gtau erschienen und dann heimgeflogen waren, stand am nächsten Tag <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Zeitung: „Sieben Fe<strong>in</strong>dflugzeuge abgeschossen“. Um zu demonstrieren, daß die<br />
Japaner so etwas tatsächlich fertigbr<strong>in</strong>gen, wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadthalle an <strong>der</strong> Pacific<br />
Road e<strong>in</strong> amerikanisches Flugzeugwrack ausgestellt, das wir deutschen Schüler<br />
geschlossen besichtigen mußten. Das Wrack war aus Nordch<strong>in</strong>a per Eisenbahn<br />
herangebracht worden. Auch wurde nun die Waffenbrü<strong>der</strong>schaft zwischen den<br />
verbündeten „Achsenmächten“ Japan-Deutschland stärker gepflegt. Der japanische<br />
Generalkonsul lud die deutschen Schüler zu e<strong>in</strong>er Gartenparty <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Residenz<br />
e<strong>in</strong> (Oberrichter Crusen hatte sie vor 1914 für sich als Wohnhaus gebaut), o<strong>der</strong><br />
wir mußten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em japanischen Lazarett vor Verwundeten s<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>mal gab<br />
es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadthalle e<strong>in</strong>e Propagandaveranstaltung vor japanischen, ch<strong>in</strong>esischen<br />
und deutschen Schülern, <strong>in</strong> welcher die Redner entsprechende Durchhalteparolen<br />
und Phrasen über den unausweichlichen geme<strong>in</strong>samen Endsieg von sich gaben.<br />
Auch <strong>der</strong> japanische Lokalsen<strong>der</strong> strahlte e<strong>in</strong>e ähnlich gestaltete Sendung aus. E<strong>in</strong>e<br />
deutsche und japanische Schülergruppe sang Lie<strong>der</strong>, e<strong>in</strong> deutscher und japanischer<br />
Schüler lasen e<strong>in</strong>en Text ab, <strong>der</strong> auch jeweils <strong>in</strong> die an<strong>der</strong>e Sprache übersetzt<br />
wurde. Ich hatte das Pech, daß Dr. Sieber ausgerechnet mich dazu bestimmte, die<br />
Radioansprache zu verfassen und vorzutragen. In den Tagen davor habe ich ziemlich<br />
geschwitzt, die passenden Floskeln über den „bushido“, den japanischen Geist<br />
des unbeugsamen Siegeswillens, zusammenzustellen.<br />
Der Klasse 5 stand im Sommer 1945 die Abschlußprüfung bevor. Vorher gab es<br />
aber die erste und e<strong>in</strong>zige Reifeprüfung an e<strong>in</strong>er deutschen <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau.<br />
Deshalb sei die Geschichte dieser Klasse hier zunächst geschil<strong>der</strong>t.<br />
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