Kurz gefasste Chronik der Deutschen Schule in ... - Tsingtau.org
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<strong>Kurz</strong>e <strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> dt. <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau - von Dr. Wilhelm Matzat -2001 - www.ts<strong>in</strong>gtau.<strong>org</strong> - Creative Commons-Lizenz<br />
Botschaft Nank<strong>in</strong>g vom 21. März 1945 Nr. 114 im E<strong>in</strong>vernehmen mit dem Herrn<br />
Reichsm<strong>in</strong>ister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zur Abhaltung e<strong>in</strong>er<br />
Schlußprüfung im Jahre 1945 ermächtigt worden.“ Dieser Satz ist seitdem für<br />
mich e<strong>in</strong> Beleg für das Phänomen, daß Bürokratien <strong>in</strong> ihrer Funktion unerschütterlich<br />
s<strong>in</strong>d, es geschehe was wolle. Die alliierten Truppen s<strong>in</strong>d nur noch 40 o<strong>der</strong> 50<br />
km von Berl<strong>in</strong> entfernt, die Stadt liegt <strong>in</strong> Trümmern und unter ständigem Beschuß,<br />
da hockt irgendwo <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Keller e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>isterialrat und funkt den Erlaß Nr. 114<br />
nach Ch<strong>in</strong>a, damit die <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau e<strong>in</strong>e Schlußprüfung abhalten darf.<br />
Während das Abiturzeugnis vom 15.5.1945 noch Konsulats- und Schulstempel<br />
trägt, bef<strong>in</strong>det sich auf dem Schlußzeugnis vom 2.6.1945 nur noch <strong>der</strong> Konsulatsstempel<br />
mit Reichsadler und Hakenkreuz, <strong>der</strong> Schulstempel mit dem großen<br />
Hakenkreuz fehlt bereits. Wahrsche<strong>in</strong>lich wurde bei dieser Gelegenheit <strong>der</strong> bisherige<br />
Konsulatsstempel zum letzten Male verwendet. E<strong>in</strong> paar Tage später gab es<br />
e<strong>in</strong> „Deutsches Konsulat <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau“ nicht mehr, es wurde umbenannt <strong>in</strong> „Deutsches<br />
Amt“, später dann <strong>in</strong> „Deutsche Nothilfe“. Diese 3 Namen markieren den<br />
Abstieg auf e<strong>in</strong>prägsame Weise.<br />
Das letzte Schuljahr 1945/46<br />
Die eigenartige Zwischenperiode vom 8.5. bis zur japanischen Kapitulation am<br />
15.8. 1945 war für uns Deutsche e<strong>in</strong>e Zeit wildester Gerüchte, z.B. diesem, daß<br />
alle <strong>Deutschen</strong> im Lauschan <strong>in</strong>terniert werden sollten. Uns K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewegte vor<br />
allem die Frage, ob nach den Sommerferien die deutsche <strong>Schule</strong> weitergeführt<br />
werden würde. Und tatsächlich, ausgerechnet am 17.9.1945 – am Nachmittag<br />
zogen die ersten ch<strong>in</strong>esischen Guom<strong>in</strong>dang Truppen <strong>in</strong> die Stadt e<strong>in</strong> – öffnete<br />
sie wie<strong>der</strong> ihre Pforten, zu ihrem letzten Schuljahr. Auch die Lehrerschaft blieb<br />
dieselbe, nur daß Dr. Wiemer jetzt Schulleiter war. Zum zweiten Male überhaupt<br />
wurde sogar e<strong>in</strong>e 6. Oberschulklasse e<strong>in</strong>gerichtet, mit nur 4 Schülern: Walter Himmelheber,<br />
Christ<strong>in</strong>e Hoyer, Willi Matzat, Gerda Weitz. Letztere hatte schon im<br />
Sommer 1944 die Abschlußprüfung absolviert und zum Zeitvertreib 1944/45 die<br />
5. Oberschulklasse wie<strong>der</strong>holt. Für uns <strong>in</strong> <strong>der</strong> 6. Klasse gab es zwei neue Fächer:<br />
Französisch (von Wiemer unterrichtet) und Ch<strong>in</strong>esisch. Die neue, jetzt „souveräne“<br />
ch<strong>in</strong>esische Stadtverwaltung soll verlangt haben, daß an <strong>der</strong> deutschen <strong>Schule</strong><br />
auch ch<strong>in</strong>esischer Sprachunterricht gegeben wird. Allerd<strong>in</strong>gs hat <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esische<br />
Lehrer Ren Xi-chen uns <strong>in</strong> dem Jahr nur das Schreiben von 241 Schriftzeichen<br />
beigebracht (ich besitze noch das Schulheft). Soweit mir bekannt, wurde Ch<strong>in</strong>esischunterricht<br />
<strong>in</strong> allen Oberschulklassen gegeben. Für uns <strong>in</strong> <strong>der</strong> 6. Klasse bedeutete<br />
dies, daß wir 1945/46 Unterricht <strong>in</strong> vier Fremdsprachen hatten! An<strong>der</strong>erseits<br />
fielen <strong>in</strong> dem letzten Jahr e<strong>in</strong>ige Fächer weg, so Biologie, Kunsterziehung (<strong>in</strong>clusive<br />
Musik) und Sport.<br />
Die ersten Wochen des neuen Schuljahres, im September und Oktober 1945,<br />
brachten uns älteren Schülern immer wie<strong>der</strong> Unterbrechungen des Unterrichts.<br />
In dieser Zeit landeten <strong>in</strong> Ts<strong>in</strong>gtau rund 20000 Soldaten <strong>der</strong> 6. Division <strong>der</strong> U.S.<br />
Mar<strong>in</strong>es, die auf Ok<strong>in</strong>awa gekämpft hatten. Für die Offiziere wurden Häuser und<br />
Wohnungen von <strong>Deutschen</strong>, die Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> NSDAP gewesen waren, beschlagnahmt.<br />
Nicht nur mußten diese Familien ihr Quartier räumen, zwei o<strong>der</strong> drei<br />
Dutzend Männer wurden sogar für Wochen <strong>in</strong>haftiert. Da die Wohnungen rasch<br />
geräumt werden sollten, wurden wir älteren Schüler immer wie<strong>der</strong> herangezogen,<br />
beim E<strong>in</strong>packen von Gegenständen und Büchern o<strong>der</strong> Tragen von Kisten und<br />
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