Philosophie 3 Erkenntnis und Wahrheit
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phi3_09_Reader<br />
2 Probleme der Rechtfertigung 1<br />
Sinnliche Gewissheit<br />
2.1 John Locke (1632-1704): Das empiristische Dogma (1690)<br />
Nehmen wir also an, der Geist sei, wie man sagt, ein unbeschriebenes<br />
Blatt, ohne alle Schriftzeichen, frei von allen Ideen; wie<br />
werden ihm diese dann zugeführt? Wie gelangt er zu dem gewal-<br />
5 tigen Vorrat an Ideen, womit ihn die geschäftige schrankenlose<br />
Phantasie des Menschen in nahezu unendlicher Mannigfaltigkeit<br />
beschrieben hat? Woher das Material für seine Vernunft <strong>und</strong><br />
für seine <strong>Erkenntnis</strong>? Ich antworte darauf mit einem einzigen<br />
Worte: aus der Erfahrung. Auf sie gründet sich unsere<br />
10 gesamte <strong>Erkenntnis</strong>, von ihr leitet sie sich schließlich her. Unsere<br />
Betrachtung, die entweder auf äußere sinnlich wahrnehmbare Objekte<br />
(sensation) gerichtet ist oder auf innere Operationen des<br />
Geistes (reflection), die wir wahrnehmen <strong>und</strong> über die wir nachdenken,<br />
liefert unserm Verstand das gesamte Material des Denkens. Dies sind die beiden Quel-<br />
15 len der <strong>Erkenntnis</strong>, aus denen alle Ideen (ideas) entspringen, die wir haben oder naturgemäß<br />
haben können.<br />
Aus: John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand. (An Essay Concerning Human Understanding) Beruhend auf der 1.<br />
Übers. v. C, Winckler 1911/13. Bd. 1. Akademie Verlag, Berlin 1962. S. 107-109<br />
1. Nennen Sie wenigstens drei Argumente gegen<br />
die naive Abbildtheorie, nach der die Dinge<br />
<strong>und</strong> Strukturen der Welt sozusagen fotografisch<br />
in unseren Geist abgebildet werden.<br />
2. Ein Vater bringt seinen erst wenige Wochen alten<br />
Sohn wegen einer ersten medizinischen Kontrolle<br />
zum Kinderarzt. Nachdem die Tests abgeschlossen<br />
sind, fragt der Vater: „Was sieht mein Sohn<br />
überhaupt?“ „Seine Sinnesorgane sind voll entwickelt“,<br />
ist die Antwort, „trotzdem muss stark bezweifelt<br />
werden, dass er die Welt so wahrnimmt,<br />
wie sie sich für einen Erwachsenen darstellt.“<br />
Wie denken Sie darüber?<br />
3. Welches Problem wird in der nebenstehenden<br />
Abbildung angesprochen?<br />
4. Klären Sie die folgenden Begriffe: Wahrnehmung<br />
(innere <strong>und</strong> äußere), Verstand, Erfahrung,<br />
Empirismus, Idee, Induktion.<br />
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