Ausgabe 010 Februar 2013 - Das Armutsnetzwerk
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<strong>Ausgabe</strong> <strong>010</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2013</strong><br />
Eine Gesellschaft ist nur so stark,<br />
wie ihre schwächsten Glieder ...<br />
Einflussfaktoren der Armut<br />
Seiten 3 -5<br />
Obdachlos in Budapest<br />
Seite 10<br />
NETZEIT<br />
EINE ZEITUNG DES ARMUTSNETZWERKS
Inhaltsverzeichnis:<br />
Eine Gesellschaft ist nur so stark, wie ihre schwächsten Glieder ................................... 3<br />
Einflussfaktoren von Armut ............................................................................................ 4<br />
EAPN-Strategieplan 2012-2014 ...................................................................................... 6<br />
Die Armutsbekämpfung ist ein Stiefkind ........................................................................ 9<br />
Eine Gesellschaft ist nur so stark, wie ihre<br />
schwächsten Glieder ...<br />
Diese allgemein bekannte und anerkannte Aussage, scheint bei der Bemessung der Reichtums- und<br />
Armutsgrenzen in der Bundesrepublik keine Rolle zu spielen. Die Politik drückt sich nach wie vor,<br />
zu einigen brisanten Fragen im Vierten Reichtums- und Armutsbericht konkret Stellung zu beziehen.<br />
Verschiedene Passagen zur Verteilung der Einkommen und Vermögen aus dem Entwurf sind<br />
verschwunden. Der Satz „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ fiel weg.<br />
Ebenso: „die Bundesregierung prüft, ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer<br />
hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen<br />
werden kann“. Wie viele Menschen in Deutschland sind denn wirklich arm, wie viele sind in den<br />
vergangenen Jahren in die Armut abgerutscht ? - Fragen, die man gerne beantwortet sehe!<br />
Obdachlos in Budapest ............................................................................................... 10<br />
Jobcenter muss Diensttelefonliste offenlegen! ........................................................... 16<br />
Internet von zentraler Bedeutung für die Lebensführung ....................................... 17<br />
Von der Mitte der Gesellschaft zum Rand – und wieder zurück? ................................ 18<br />
BGE in der Schweiz ..................................................................................................... 20<br />
Aktionstage zu 20 Jahre Tafeln in der Bundesrepublik ............................................ 21<br />
Repression gegen das Bündnis Blockupy Frankfurt ................................................ 22<br />
Büchertipp ................................................................................................................... 23<br />
Armut ist ein relativer Begriff. Es kommt auf die<br />
Sicht des Betrachtenden an. Es ist müßig, die Verhältnisse<br />
in einem Entwicklungsland mit denen in<br />
Deutschland zu vergleichen. Die absolute Armut<br />
wird von der Weltbank mit einem Einkommen von<br />
weniger als 1,25 $ am Tag definiert. Diese Größe<br />
ist für die Verhältnisse in der Bundesrepublik unsinnig.<br />
Darüber spricht keiner, wohl aber über Zahlen,<br />
die sich an Durchschnittswerten und Medianen orientieren.<br />
Die Statistik mit all ihren Möglichkeiten<br />
dient dazu, die Realität in dieser Frage zu verschleiern.<br />
Da es immer Einkommensunterschiede geben wird,<br />
wird es auch immer eine Hälfte besser Verdienender<br />
geben. Der Median verändert seinen Wert, wenn die<br />
Einkommen der unteren Hälfte angehoben werden.<br />
Mathematisch gesehen gibt es bei einer Festlegung,<br />
dass der, der unter 60% des Median verdient, als<br />
arm gilt, immer anteilig gleich viele Arme im Verhältnis<br />
zur gesamten Gesellschaft.<br />
<strong>Das</strong> führt zu der Feststellung, dass eine Fixierung<br />
der Armutsgrenze auf diese Art wenig sinnvoll<br />
ist. Vielmehr sollten ethisch-moralische Kriterien<br />
dazu herangezogen werden. Wie werden alle Bevölkerungsgruppen<br />
in die Gesellschaft integriert?<br />
Ist es jedem Bürger möglich, an allen gesellschaftlichen<br />
Errungenschaften teil zu haben?<br />
Dabei kommt der Bildung und der Persönlichkeitsentwicklung<br />
eine herausragende Bedeutung zu.<br />
Sie sind die entscheidenden Faktoren für eine<br />
funktionierende Gesellschaft, untrennbar verbunden<br />
mit der Achtung vor der Leistung des Anderen.<br />
Die alleinige Ausrichtung auf materiellen Erfolg<br />
steht dem völlig im Wege. Gesellschaftlicher<br />
Reichtum in einer gerechten, leistungsorientierten<br />
Verteilung, ist die Voraussetzung für die mögliche<br />
Teilhabe an Kultur, Kunst, Wissenschaft und<br />
Gesundheit für alle Menschen. Gleichzeitig ist er<br />
auch Basis für ein Leben in freier Entscheidung<br />
im Rahmen der gesellschaftlichen Normen.<br />
5,3 Prozent der deutschen Gesellschaft leiden unter<br />
erheblichen materiellen Entbehrungen. Unabhängig<br />
von individuellen Schwächen und Fehlern<br />
bleibt hier ein massives gesellschaftliches Problem,<br />
das bisher nicht gelöst wurde.<br />
Die sich verändernde gesellschaftliche Struktur<br />
durch die demografische Entwicklung führt<br />
zu älteren Durchschnittsbürgern, einer geringen<br />
Geburtenrate und dem Anstieg von Singlehaushalten.<br />
Dies ist Ausdruck falsch vermittelter<br />
Wertschätzung, hin zu vermeintlichem unbedingt<br />
notwendigem materiellem Reichtum mit „Geiz<br />
ist geil“- und Neidmentalität und weg von den<br />
ethisch-moralischen Grundwerten jeder Religion<br />
und Menschlichkeit.<br />
2 3
Die kleinste Zelle der Gesellschaft ist die Familie.<br />
Wer sie zerstört oder nicht die Voraussetzung für<br />
ein einwandfreies Funktionieren gewährleistet,<br />
vernichtet sie im Laufe der Zeit. Die moderne Gesellschaft<br />
zeichnet sich durch die Fähigkeit des<br />
globalen Austausches von Waren, Wissen und<br />
Kultur aus. <strong>Das</strong> ist wertvoll. Diese Entwicklung<br />
führt nicht zwangsweise zu einer familiären Trennung<br />
und der Notwendigkeit eines Singledaseins.<br />
<strong>Das</strong> ist vielmehr Ausdruck einer auf Gewinn orientierten<br />
kapitalistischen Ordnung. Die gesellschaftlichen<br />
Ressourcen, wie auch die Rohstoffbasis<br />
müssen allen Menschen in allen Ländern und<br />
Kontinenten zu Gute kommen.<br />
Die mit Zwang herbeigeführte ungleiche Verteilung<br />
der Güter und die auf Gier und Macht<br />
ausgerichtete Finanz- und Zinspolitik sind die<br />
Ursachen für Kriege, Terror und Kriminalität, die<br />
auch in der Gegenwart immer wieder aufbrechen.<br />
Die Frage ist früher wie heute, welche Gesellschaft<br />
wollen wir BürgerInnen, eine solidarische oder<br />
eine ausbeuterische. Wir vom <strong>Armutsnetzwerk</strong><br />
stehen für Solidarität, Mitsprache der Schwachen<br />
in der Gesellschaft. Wir wollen nicht alte Fehler<br />
wiederholen, sondern uns einbringen in den demokratischen<br />
Prozess, sagen, was unserer Meinung<br />
nach richtig oder falsch ist. Wir arbeiten mit allen<br />
Gruppen und Menschen zusammen, die sich nicht<br />
zufrieden geben mit der Spaltung der Gesellschaft<br />
in Arme und Reiche. Und wir kooperieren dabei<br />
mit anderen Gruppen im europäischen Kontext.<br />
Dietmar Hamann<br />
Einflussfaktoren<br />
von Armut<br />
Auch wenn die Faktoren bekannt sind, die eine<br />
Armutsgefährdung und prekäre Lebenslagen verstärken,<br />
müssen jeweils konkret und detailliert untersucht<br />
werden, welche Risikofaktoren wann, wo<br />
und bei wem besonders wirksam sind. Sieben evidente<br />
Risikofaktoren werden im Folgenden konkret<br />
dargestellt und analysiert. Generell gilt, dass<br />
ein gemeinsames Auftreten von Risikofaktoren für<br />
die Betroffenen eine sich gegenseitig verstärkende<br />
negative Wirkung entwickelt.<br />
Arbeitslosigkeit: Abhängige Beschäftigung ist in<br />
unserer Gesellschaft die wichtigste Erwerbsquelle.<br />
Verschiedene, oft vom Einzelnen nicht beeinflussbare<br />
Faktoren haben Auswirkungen auf das<br />
individuelle Risiko, arbeitslos zu werden. Dazu<br />
gehören konjunkturelle Zyklen, strukturelle Anpassungsprozesse<br />
und der „normale“ Wettbewerb.<br />
Gemildert werden die Folgen der Arbeitslosigkeit<br />
durch die Zahlung von Arbeitslosengeld und anderen<br />
Leistungen wie z. B. Kurzarbeitergeld sowie<br />
durch Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen,<br />
die die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen<br />
sollen. Die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit<br />
sind für bestimmte Gruppen wie Ältere und<br />
/ oder Geringqualifizierte unterschiedlich stark<br />
bzw. negativ. <strong>Das</strong> Armutsrisiko steigt erheblich,<br />
wenn „Vermitt-lungshemmnisse“ gemeinsam<br />
auftreten. Nicht zuletzt sinken mit der Häufigkeit<br />
oder der Dauer der Arbeitslosigkeit auch die Rentenansprüche,<br />
was eine steigende Altersarmut zur<br />
Folge haben kann.<br />
Niedriglöhne: Reicht das Einkommen zum Lebensunterhalt<br />
nicht aus, kann Armut auch trotz<br />
Erwerbstätigkeit bestehen. Die Zahl der „untypischen<br />
Arbeitsverhältnisse“ und die Zahl der erwerbstätigen<br />
Bezieher von Leistungen nach dem<br />
SGB II nehmen zu.<br />
Geringe Qualifikation: Arbeitskräfte sollen zunehmend<br />
höhere Qualifikationsanforderungen erfüllen.<br />
Dazu zählen neben Fachwissen und Erfahrung auch<br />
kommunikative Kompetenzen und die Bereitschaft<br />
zu lebenslangem Lernen. Unentbehrlich ist dabei<br />
die Fähigkeit und Bereitschaft, sich unentwegt an<br />
neue Aufgaben, Strukturen und Prozesse anzupassen.<br />
Da das Risiko der Arbeitslosigkeit und Armut<br />
mit geringer schulischer und beruflicher Qualifikation<br />
ansteigt, ist sie für die Bekämpfung der Armut<br />
so wichtig.<br />
Familien- und Kinderarmut: Kinder sind von der<br />
Armut oder der prekären Lebenslage ihrer Eltern<br />
immer mit betroffen. Sie haben geringere Lebensund<br />
Entfaltungschancen als andere Kinder, und<br />
sind dafür weder verantwortlich noch können sie<br />
selbst etwas dagegen unternehmen. In bestimmten<br />
Lebenslagen stellen Kinder ein Armutsrisiko dar.<br />
Die Armutsquoten von Alleinerziehenden und auch<br />
vielköpfigen Familien sind sehr viel höher als bspw.<br />
von kinderlosen Paaren. Es treffen hier Armut und<br />
demografische Entwicklung zusammen: Erst wenn<br />
das Leben mit Kindern kein Armutsrisiko (mehr)<br />
birgt, werden sich potentielle Eltern, die bisher aus<br />
finanziellen Gründen keine Kinder bekommen haben,<br />
für die Gründung einer Familie entscheiden.<br />
Auch das Zerbrechen von Partnerschaften und<br />
Familien durch Trennung, Scheidung und Tod bergen<br />
das Risiko, arm zu werden. <strong>Das</strong> gilt besonders,<br />
wenn Kinder mit betroffen sind.<br />
Mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf:<br />
Erziehung und Beruf zu vereinbaren, ist besonders<br />
für junge Familien mit kleinen Kindern und für<br />
Alleinerziehende eine große Herausforderung.<br />
Misslingt dies, werden die Familien von staatlichen<br />
Transferzahlungen abhängig. Auch ist ein Verzicht<br />
auf Familiengründung eine häufige Reaktion auf<br />
die mangelnde Zuversicht, diese Herausforderung<br />
meistern zu können. Nur gemeinsam mit dem Staat<br />
und den Arbeitgebern können die Bedingungen<br />
familiengerechter gestaltet werden. Beispiele sind<br />
die Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten<br />
und Teilzeitarbeitsplätzen<br />
Alter: In unterschiedlicher Weise sind sehr junge<br />
und sehr alte Menschen auf Unterstützung angewiesen.<br />
Der „Generationenvertrag“ erlegt der Generation<br />
im arbeitsfähigen Alter die Unterstützung<br />
der alten Menschen auf, überwiegend durch Leistungen<br />
der Rentenversicherung. Sind die Renten<br />
hoch und wurden im Laufe des Lebens Vermögenswerte<br />
geschaffen, sichern sie im Alter den Lebensunterhalt.<br />
<strong>Das</strong> trifft heute besonders bei Männern<br />
auf eine genügend hohe Anzahl von über 65-Jährigen<br />
zu. Altersarmut ist daher derzeit kein drängendes<br />
Problem. Eine Zunahme der Altersarmut<br />
ist jedoch zukünftig wegen der demografischen<br />
Entwicklung und dem Ausdünnen sozialer Netze<br />
(familiäre und außerfamiliäre) sowie aufgrund<br />
sinkender Rentenzahlungen nach längerer oder häufigerer<br />
Arbeitslosigkeit oder aber durch zu ge-ringe<br />
Entlohnung zu erwarten.<br />
Migrationshintergrund: Menschen mit Migrationshintergrund<br />
haben ein erhöhtes Armutsrisiko<br />
u. a. durch eine höhere Arbeitslosenquote und einen<br />
geringeren Bildungserfolg. Gründe dafür waren<br />
bzw. sind u. a. die fehlende Anerkennung von Qualifikationen<br />
oder nicht ausreichende Sprachkenntnisse.<br />
Dem wird mit geeigneten Gegenmaßnahmen<br />
begegnet, beispielsweise mit dem am 01.04.2012<br />
in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung und<br />
Anerkennung erworbener Berufs-qualifikation,<br />
Sprachkursen etc. Allerdings geht bisher für Menschen<br />
mit Migrationshintergrund auch eine hohe<br />
Qualifikation nicht gleichzeitig mit einer höheren<br />
Chancengleichheit auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt<br />
einher.<br />
Aus dem Sozialbericht Niedersachsen 2012<br />
4 5
EAPN-Strategieplan 2012-2014<br />
<strong>Das</strong> European Anti Poverty Network (EAPN) hat in einem Papier die<br />
Strategischen Ziele der Jahre 2012 - 2014 zuammengefasst:<br />
Glossar der Begriffe<br />
Der Strategieplan ist ein gemeinsames Instrument,<br />
das die allgemeine Vision sowie die Ziele,<br />
Absichten und Strategien des Netzwerks für einen<br />
bestimmten Zeitraum festlegt.<br />
Die Vision skizziert die Art von Gesellschaft, die<br />
sich EAPN wünscht.<br />
Die Aufgaben erläutern den spezifischen Beitrag<br />
von EAPN als Organisation.<br />
Die Werte erläutern die Grundsätze, Standards und<br />
Überzeugungen, die sich in allen Aspekten<br />
der Arbeit des Netzwerkes widerspiegeln sollen.<br />
Die Ziele drücken aus, was wir als Ergebnis unserer<br />
Arbeit in der kommenden strategischen<br />
Planungsperiode erreichen möchten.<br />
Die Absichten sind Schritte auf dem Weg zur Erreichung<br />
dieser Ziele. Mit ihrer Hilfe soll klar<br />
entschieden werden, was in unseren Arbeitsprogrammen<br />
im Rahmen dieses Strategieplans<br />
Vorrang eingeräumt wird.<br />
Die Strategien bieten erste Antworten auf die<br />
Frage, wie wir vorgehen sollen, um unsere Ziele<br />
und Absichten zu verwirklichen.<br />
Nichtregierungsorganisationen, die in der<br />
Bekämpfung der Armut tätig sind:<br />
Die Arbeitsdefinition von EAPN:<br />
NRO, die in der Bekämpfung der Armut tätig sind,<br />
verteidigen und/oder vertreten die Interessen der<br />
von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen<br />
Menschen.<br />
Es handelt sich um Organisationen, die:<br />
• demokratisch organisiert sind (die Mitgliedschaft<br />
ist freiwillig, die Arbeit der Organisation<br />
beruht auf demokratischen Regeln),<br />
• von ihren Mitgliedern beauftragt und diesen<br />
gegenüber rechenschaftspflichtig sind,<br />
• sich auf Freiwilligenarbeit und die Beteiligung<br />
von Aktivisten stützen (wobei sie auch bezahlte<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben können),<br />
• mögliche erzielte Gewinne wieder in die Organisation<br />
investieren,<br />
• von der Regierung und anderen staatlichen Akteuren<br />
unabhängig sind (wobei sie finanzielle<br />
Unterstützung von der Regierung oder anderen<br />
staatlichen Akteuren erhalten können).<br />
EAPN: Vision - Aufgaben – Werte<br />
Vision:<br />
<strong>Das</strong> Europäische Netzwerk gegen Armut (EAPN)<br />
setzt sich für ein demokratisches und soziales<br />
Europa ohne Armut und soziale Ausgrenzung ein.<br />
Aufgaben:<br />
• Förderung und Verbesserung der Wirksamkeit<br />
von Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung;<br />
• Beteiligung an der Gestaltung sozialpolitischer<br />
Maßnahmen und der Entwicklung von Aktionsprogrammen;<br />
• Lobbyarbeit für und mit Menschen und Gruppen,<br />
die von Armut und sozialer Ausgrenzung<br />
betroffen sind.<br />
Werte:<br />
• EAPN ist der Ansicht, dass Armut und soziale<br />
Ausgrenzung eine Verletzung fundamentaler<br />
Menschenrechte darstellen und somit eine<br />
Missachtung der Würde des Menschen sind.<br />
• EAPN ist der Ansicht, dass Armut und soziale<br />
Ausgrenzung von komplexen multidimensionalen<br />
Prozessen herrühren, die nicht isoliert<br />
oder am Rande angegangen werden können.<br />
• EAPN ist der Ansicht, dass die von Armut und<br />
sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen<br />
ein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft haben<br />
und dass ihre Erfahrungen und Ansichten<br />
gehört bzw. aufgrund ihrer Erfahrungen und<br />
Ansichten gehandelt werden muss.<br />
• EAPN unterstützt die Gleichheit der Geschlechter,<br />
die Achtung kultureller, religiöser<br />
und sprachlicher Vielfalt sowie die Antidiskriminierung.<br />
• EAPN fördert, dass seine Arbeit auf demokratische<br />
und transparente Weise organisiert<br />
wird, die die verschiedenen spezifischen Aufgaben<br />
und Ansichten der einzelnen Organisationen<br />
und Mitglieder des Netzwerkes achtet.<br />
• EAPN setzt sich für die partnerschaftliche Arbeit<br />
mit anderen relevanten Akteuren ein, die<br />
die gleiche Vision teilen. Zu diesen Akteuren<br />
gehören u.a.: Staatliche Behörden und Einrichtungen,<br />
Institutionen der Europäischen Union,<br />
Gewerkschaften, die Wissenschaft, Arbeitgeber<br />
sowie weitere NRO und Bewegungen.<br />
• EAPN ist der Ansicht, dass Nichtregierungsorganisationen<br />
(NRO) unabhängig sein müssen<br />
und dass staatliche Behörden verpflichtet sind,<br />
Rahmenbedingungen zu schaffen und zu befolgen,<br />
die den zivilen Dialog fördern und die<br />
Autonomie der NRO achten.<br />
• EAPN ist der Ansicht, dass eine gerechtere<br />
Verteilung des Wohlstandes, der Möglichkeiten<br />
und der Mittel erreicht werden kann.<br />
Schlüsselbotschaften<br />
• Die Beteiligung der von Armut betroffenen<br />
Menschen ist entscheidend, um die Ursachen<br />
von Armut und sozialer Ausgrenzung zu verstehen<br />
und anzugehen.<br />
• Die Verwirklichung der sozialen Eingliederung<br />
ist Teil der Lösung für die Krise Europas.<br />
• Der Kampf gegen Armut ist die Verpflichtung<br />
eines jeden und muss in allen politischen Bereichen<br />
berücksichtigt werden. .Gesellschaften<br />
mit größerer Gleichheit sind für alle Menschen<br />
von Vorteil – Eine Gesellschaft, die sich<br />
für die Verhinderung von Armut und sozialer<br />
Ausgrenzung einsetzt, ist eine wirtschaftlich<br />
reichere Gesellschaft, die ihre finanziellen<br />
Mittel in eine nachhaltige Entwicklung und<br />
den sozialen Zusammenhalt investieren kann,<br />
d.h. sie muss ihre Mittel nicht für die Bekäm<br />
fung der Auswirkungen von Armut und sozialer<br />
Ausgrenzung verwenden.<br />
• Der Kampf gegen Armut in Europa und der<br />
Kampf gegen die globale Armut gehören<br />
zusammen.<br />
Die Schlüsselbotschaften sind keine Auswahl von<br />
vorrangigen Angelegenheiten des Netzwerkes;<br />
vielmehr handelt es sich um die Bestimmung von<br />
Prioritäten der externen Kommunikation, die die<br />
Umsetzung der Ziele und Absichten des Netwerks<br />
im Gültigkeitszeitraum dieses Planes erleichtern<br />
werden.<br />
Ziele und Absichten – Strategien (2012-2014)<br />
Ziel 1: Herzstück der europäischen Entscheidungsprozesse<br />
ist ein soziales und nachhaltiges<br />
Entwicklungsmodell, das Armut, soziale Ausgrenzung<br />
und Ungleichheit bekämpft.<br />
Absicht 1.1: EAPN wird sich dafür einsetzen,<br />
dass die Strategie Europa 2020, die Plattform zur<br />
Bekämpfung der Armut, die Strategie zur sozialen<br />
Eingliederung (soziale OMK), die<br />
Beschäftigungspolitik (europäische Beschäftigungsstrategie)<br />
sowie die Kohäsionspolitik<br />
(Strukturfonds)<br />
6 7
Fortschritte in folgenden Bereichen erzielen:<br />
Effektives Mainstreaming sozialer Belange, Reduzierung<br />
von Armut und Ungleichheit und Sicherstellung,<br />
dass Politik, Programme und Maßnahmen<br />
die von Armut betroffenen Menschen erreichen,<br />
insbesondere die am stärksten benachteiligten<br />
Menschen.<br />
Absicht 1.2: EAPN möchte seine Mitglieder dabei<br />
unterstützen, sich effektiv an öffentlichen<br />
Debatten sowie an der nationalen und europäischen<br />
Politik zu Armut, sozialer Ausgrenzung und<br />
Ungleichheit zu beteiligen.<br />
Absicht 1.3: EAPN wird versuchen, sich an Bündnissen<br />
für ein alternatives Modell der sozialen<br />
und nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen, das<br />
die Menschen und den Planeten in den<br />
Mittelpunkt stellt.<br />
Ziel 2: EAPN ist eine dynamische, von ihren Mitgliedern<br />
angeleitete Organisation, die als<br />
wichtiger Akteur der Zivilgesellschaft im Kampf<br />
gegen Armut, soziale Ausgrenzung und<br />
Ungleichheiten auf nationaler und europäischer<br />
Ebene anerkannt wird.<br />
Absicht 2.1: EAPN wird auf transparente Weise<br />
versuchen, das Fachwissen seiner Mitglieder<br />
aktiv in seine Strukturen und Arbeitsmethoden<br />
einzubeziehen.<br />
Absicht 2.2: EAPN wird seinen Mitgliedern den<br />
gegenseitigen Austausch auf bilateraler und<br />
multilateraler Ebene ermöglichen, um einen Austausch<br />
von Wissen und Erfahrungen zu<br />
Verfahren und Maßnahmen im Kampf gegen Armut,<br />
soziale Ausgrenzung und Ungleichheit<br />
sicherzustellen.<br />
Absicht 2.3: EAPN wird seinen Mitgliedern<br />
Möglichkeiten zur Kompetenzerweiterung bieten.<br />
Ziel 3: Menschen, die von Armut und sozialer<br />
Ausgrenzung betroffen sind, erkennen EAPN als<br />
ihr Netzwerk an.<br />
Absicht 3.1: EAPN wird die Beteiligung der von<br />
Armut betroffenen Menschen innerhalb seiner<br />
internen Arbeitsabläufe fördern und stärken.<br />
Absicht 3.2: EAPN wird die Selbstorganisation<br />
der von Armut und sozialer Ausgrenzung<br />
betroffenen Menschen und/oder ihre Eingliederung<br />
in NRO zur Bekämpfung der Armut fördern<br />
und stärken.<br />
Absicht 3.3: EAPN wird unter Einbeziehung der<br />
von Armut betroffenen Menschen bewährte<br />
Verfahren in partizipativen politischen Entscheidungsprozessen<br />
ausfindig machen und fördern;<br />
außerdem wird es versuchen, den von Armut betroffenen<br />
Menschen den Nutzen und die<br />
Auswirkungen ihres Beitrags aufzuzeigen.<br />
Strategien<br />
EAPN möchte eine kritische Stimme sein, die<br />
Lösungen vorschlägt und die Interessen der von<br />
Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen<br />
Menschen verteidigt, indem es:<br />
• Ein innovativer und aktiver Partner sowie ein<br />
relevanter Bezugspunkt ist, der die Maßnahmen<br />
und Strategien der EU zur sozialen<br />
Eingliederung gestaltet und beeinflusst;<br />
• Raum bietet für den Austausch, Debatten und<br />
Erfahrungen in Zusammenhang mit Verfahren<br />
und Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut<br />
und sozialen Ausgrenzung sowie zur Förderung<br />
einer besseren Verteilung des Wohlstands;<br />
• Einen Beitrag zur Entwicklung und Umsetzung<br />
eines sozialen und nachhaltigen Entwicklungsmodells<br />
leistet.<br />
EAPN aisbl<br />
„Die Armutsbekämpfung ist ein Stiefkind<br />
der öffentlichen Förderung in<br />
Deutschland – die Bundesregierung<br />
verweigert Armen eine Stimme“<br />
nak-Sprecher Thomas Beyer fordert von der Bundesregierung<br />
verlässliche finanzielle Mittel gegen<br />
die Bedürftigkeit in Deutschland: Österreich<br />
fördert die dortige Armutskonferenz mit 85.000<br />
Euro, Deutschland mit 8900 Euro die hiesige<br />
Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Die<br />
Armut im reichen Deutschland ist mit 14,5 Prozent<br />
hoch. Dem nicht genug, nehmen bestimmte Formen<br />
der Armut stetig zu: Die Zahl der bedürftigen<br />
älteren Menschen steigt ebenso wie die der von<br />
Armut bedrohten Erwerbslosen. Dennoch ist und<br />
bleibt das Thema ein Tabu in unserer Gesellschaft.<br />
In diesem Zusammenhang geht vom Staat eine fatale<br />
Signalwirkung aus: „Die Armutsbekämpfung<br />
ist ein Stiefkind der öffentlichen Förderung in<br />
Deutschland. Damit wird das drängende Problem<br />
in der allgemeinen Wahrnehmung marginalisiert“,<br />
erklärt Thomas Beyer, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz<br />
(nak).<br />
In der Tat: Eine Aufstellung im Europäischen <strong>Armutsnetzwerk</strong><br />
(European Anti Poverty Network/<br />
EAPN), in dem die nak Mitglied ist, belegt, dass<br />
die finanzielle Unterstützung durch EU-Mittel<br />
sowie nationale und kommunale Ressourcen in den<br />
meisten Mitgliedsländern bescheiden ist. Im bevölkerungsreichen,<br />
wirtschaftsstarken Deutschland<br />
aber können die Zuwendungen aus diesem Bereich<br />
getrost beschämend genannt werden: Von den insgesamt<br />
17.800 Euro, die die nak für das Jahr 2009<br />
erhalten hat, stammen gerade mal 50 Prozent aus<br />
dem öffentlichen Haushalt.<br />
Zum Vergleich: Im kleineren Nachbarland Österreich<br />
stellte die öffentliche Hand der dortigen Armutskonferenz<br />
im Jahr 2009 exakt 82,5 Prozent der<br />
104.000 Euro zur Verfügung. Im selben Jahr unterstützten<br />
öffentliche Stellen in Portugal mit 61 Prozent<br />
der 1.977.720 Euro ihr nationales Netzwerk.<br />
“Würden sich nicht die Betroffeneninitiativen gemeinsam<br />
mit den Wohlfahrtsverbänden bereits<br />
seit vielen Jahren dieser wachsenden Problematik<br />
annehmen, gebe es in Deutschland keine Armutsbekämpfung,<br />
die diesen Namen verdient“, resümiert<br />
Beyer. Ohne das größtenteils ehrenamtliche Engagement<br />
der Akteure aus diesem Bereich könnten<br />
für die Praxis und die Wissenschaft erkenntnisbringende<br />
Veranstaltungen wie das von der nak jährlich<br />
ausgerichtete Treffen der Menschen mit Armutserfahrung<br />
nicht ausgerichtet werden. Beyer: „Die<br />
Bundesregierung verweigert Armen eine Stimme.“<br />
So lobenswert dieser Einsatz ist: „Die Politik darf<br />
sich nicht allein auf dieses Eigenengagement der<br />
Initiativen und Verbände verlassen und sich selbst<br />
aus der Verantwortung stehlen“, stellt Beyer klar<br />
und fordert: „Es ist höchste Zeit, für die Armutsbekämpfung<br />
in Deutschland angemessene finanzielle<br />
Mittel zur Verfügung zu stellen – sonst klingt<br />
die Bezeichnung als Sozialstaat hohl.“<br />
8 9<br />
Pressemeldung der Nationalen Armutskonferenz vom 4.2.<strong>2013</strong>
Obdachlos in Budapest<br />
19. Januar <strong>2013</strong>, kalter Abend, Blaha Lujza Platz,<br />
ein Ort in der Innenstadt von Budapest mit starkem<br />
Verkehr und starken sozialen Probemen. Lebensmittelverteilung.<br />
Jemand reisst große Stücke aus<br />
dem jetzt bekommenen Brot, und gibt sie unserem<br />
Hund. „Sag nicht, dass ich geizig bin!” Wir<br />
bedanken uns vergebens, die ewige Fressgier des<br />
Tieres betonend, er bekommt doch all das Brot.<br />
Glückliches Schwänzeln, wir freuen uns zusammen.<br />
Während dessen beweist die ungarische Underground<br />
mit zwei Lautsprechern, dass sie noch<br />
immer existiert. Hüpfend, rufend, applaudierend<br />
wärmen sich die Menschen, die hierher gekommen<br />
sind, um ihre Solidarität mit wohnungslosen<br />
Menschen im Rahmen eines nächtlichen „Wachseins”<br />
auszudrücken. So drücken sie ihre Unzufriedenheit<br />
aus. Ihre Antwort zeigt sich in der<br />
Kraft der Unabhängigkeit und der Unmittelbarkeit<br />
des Zusammenseins.<br />
In diesem Moment beginnt in der Unterführung<br />
der offizielle Teil, die behördliche Entfernung der<br />
dort übernachtenden Obdachlosen. <strong>Das</strong> Areal der<br />
Schlafplätze wird plötzlich mit Hilfe von Schildern<br />
zu einer Baustelle erklärt, so dass niemnd<br />
dort schlafen darf. Ein Teil der Zusammengekommenen<br />
nähert sich inzwischen der Szenerie.<br />
Die besser Informierten verhandeln mit den Offiziellen.<br />
Wir schauen zu, und versuchen herauszufinden,<br />
was hier überhaupt passiert. Es gibt wenigstens<br />
Zeugen.<br />
Ein Mann von der Behörde entdeckt in seiner Frustration<br />
den Hund. Er soll die Fußgänger gefährden.<br />
Glückliches Schwänzeln, wie immer, ein auf der<br />
Straße lebendes Mädchen spielt gerade mit dem<br />
Hund. Der Beamte fordert nach kurzer Diskussion<br />
meinen Personalausweiss. Ich wundere mich gerade<br />
darüber, warum die Aktivisten der Obdachlosen-Rechtschutzgruppe<br />
von A Város Mindenkié<br />
(AVM) nicht da sind. Kurz zuvor waren wir einem<br />
von ihnen begegnet. Er erzählte, dass die Aktivisten<br />
zu Protestzwecken in den letzten Stunden<br />
ein leer stehendes Haus besetzt haben, das im Besitz<br />
der Gemeinde ist. Sie wurden von Hunderten<br />
unterstützt, die vor dem Haus demonstrierten. Die<br />
ausgehängten Transparente mahnten daran, dass<br />
unsere gemeinsame Not tiefer sitzt als der Mangel<br />
an finanziellen Quellen. „Wohnung! Demokratie!<br />
Rechtstaat!” Die staatliche Aktivität hat auch hier<br />
nicht gefehlt, 20 Hausbesetzer fanden sich kurze<br />
Zeit später im Polizeigewahrsam wieder. Am nächsten<br />
Tag werden sie wieder entlassen, belegt mit<br />
einer Geldstrafe zwischen 30.000-100.000 HUF<br />
(100-295 EUR).<br />
„Armut ist keine Sünde”, verkündet eins der<br />
Plakate. Im November hat das Verfassungsgericht<br />
das Gesetz, das die Nutzung öffentlicher Plätze als<br />
Orte der Lebensführung kriminalisiert hatte, für<br />
verfassungswidrig erklärt. Es war ein beruhigendes<br />
Gefühl, zu wissen, dass die demokratischen<br />
Rechte noch funktionieren. Doch die Tendenz,<br />
die sich in dem Gesetz manifestierte, wurde damit<br />
nicht gebrochen. Präsident Viktor Orbán initiierte<br />
in dieser Frage eine sog. „nationale Konsultation”<br />
(eine nicht offizielle Umfrage durch Briefe), ferner<br />
erwähnte er, dass man auch die Verfassung ändern<br />
kann. Vergebens erklärten die staatlichen, kirchlichen<br />
und caritativen Institutionen, die an der<br />
Wohnungslosenversorgung beteiligt sind, soziologische<br />
Forschungsinstitute und der Ombudsmann,<br />
dass man keine Kriminalisierung braucht, sondern<br />
eher die sozialpolitische Bekämpfung der Wohnungsprobleme.<br />
Der Oberbürgermeister von Budapest bedauert<br />
nach der Entscheidung, dass die obdachlosen Menschen<br />
in der Stadt wieder stärker in Erscheinung<br />
träten. Er meinte, dass sowohl die stadtästhetischen<br />
Probleme besser mit Hilfe der alten Sanktionierungen<br />
gelöst waren und auch dass die Gefahr<br />
des Erfrierens gemindert wäre. In Budapest trat<br />
die Gesetzesänderung, die im Fall von mehrfachen<br />
Regelverstößen eine Geld- oder Gefängnisstrafe<br />
ermöglichte, im November 2011 in Kraft.<br />
Danach wurde die Bestrafung der Lebensführumg<br />
auf öffentlichen Plätzen auch auf Landesebene<br />
ausgeweitet. Im VIII. Bezirk von Budapest folgte<br />
man dieser Regulierung besonders streng und mit<br />
übertriebener Konsequenz. Obdachlose Menschen<br />
wurden schon dafür bestraft, dass sie auf dem Stein<br />
eines Parks saßen. (Zivilaktionen haben bewiesen,<br />
dass nur arm aussehende Menschen von den Behörden<br />
angesprochen wurden.) Kampagneartige<br />
Polizeimaßnahmen wurden gegen die Menschen<br />
gestartetet, die auf der Straße wohnten, oder sich<br />
nur tagsüber dort aufhielten. Hunderte von wohnungslosen<br />
Menschen wurden wieder und wieder<br />
in das frisch geöffnete Regelverstoßbüro gebracht,<br />
wo sie ermahnt wurden, nicht auf der Straße zu le-<br />
<strong>Das</strong> Ergebnis davon war: Einerseits wurden<br />
die Einwohner des Bezirks weniger mit dem<br />
Problem der Wohnungslosigkeit konfrontiert<br />
und andererseits verbargen sich obdachlose<br />
Menschen. Wahrscheinlich gab es auch Leute,<br />
die eher die Anlaufstellen für Obdachlose aufsuchten.<br />
Allerdings hat ein Online-Nachrichtenportal<br />
die Information bekommen, dass die<br />
Polizisten den Betroffenen oft den Ratschlag<br />
gaben, dass sie in einen anderen Bezirk umziehen<br />
sollten. m Jahre 2012 versuchten politisch<br />
unterschiedlich orinetierte Zivilorganisationen<br />
sowohl bei rechtlich begründeten, als auch bei<br />
ungerechtfertigten Ausquartierungen aus Sozialbauten,<br />
einzugreifen. Auch bei einem Teil<br />
der während des Jahres mit Aufmerksamkeit<br />
begleiteten Hüttenabrissen wurde es wegen der<br />
Zivilaktivität klar, dass die Selbstverwaltungen<br />
den Prozess nicht den Vorschriften gemäß<br />
durchführten, dass sie die Bewohner lückenhaft<br />
informierten und bei dem Abbruch ihre Rechte<br />
nicht beachteten. In einem Bezirk von Budapest<br />
(Zugló) läuft heute ein Entschädigungsprozess<br />
gegen die Selbstverwaltung.<br />
In einem anderen Bezirk wurden dagegen zwei<br />
Aktivisten, die den Abriss durchführenden<br />
Menschen mit gewaltloser Demonstration darauf<br />
aufmerksam machten, dass sie eigentlich<br />
Illegales tun, rechtskräftig verurteilt, auch wenn<br />
die Ungerechtigkeit des Abrisses inzwischen<br />
vom Ombudsmann festgestellt wurde.<br />
10 11
Eine sensibile Frage ist bei der Auswahl der Bewerber,<br />
welcher Bezirk oder welche Gemeinde sie<br />
für seine eigenen Bewohner hält – oft gehört nämlich<br />
der Betroffene offiziell seit Jahren nirgendwo<br />
hin und er lebt auch nicht mehr dort, wo er seine<br />
Wohnung verloren hat. Die komplexen Programme<br />
basieren aber auf lokaler Zugehörigkeit.<br />
Die Erfassung, die jedes Jahr am 3. <strong>Februar</strong> durchgeführt<br />
wird, fand in einer besonders kalten <strong>Februar</strong>nacht<br />
von 2012 statt und ergab insgesamt<br />
2500 Menschen, die in ganz Ungarn direkt auf<br />
der Sraße lebten. Allerdings übernachteten in den<br />
Versorgungseinrichtungen auf dem Lande 2100, in<br />
Budapest etwa 5000 Menschen in dieser Nacht.<br />
Unleugbares Positivum ist jedoch, dass sich die<br />
Bettenanzahl in den Versorgungsinstitutionen im<br />
letzten Jahr erhöht hat. Die vorjährige Grossinvestition<br />
der Hauptstadt war das Zentrum für Wohnungslosenpflege<br />
in der Szabolcs Straße. Die mit 345<br />
Millionen HUF ausgebaute Einrichtung sorgt für<br />
die gesundheitliche Versorgung von wohnungslosen<br />
Menschen und funktioniert als Übergangsherberge.<br />
Es gibt eine internistische Abteilung mit 50<br />
Betten, ein Pflegezentrum mit 23 Betten und für<br />
Genesenden stehen 20 Betten an einem sicheren Ort<br />
zur Verfügung. Hier ist auch das Zentrum, das die<br />
hausärztlichen Aufgaben wahrnimmt. Eine eigene<br />
Abteilung fokussiert sich auf die Senioren.<br />
In Budapest sind während des Winters das Call<br />
Center und die Krisenwagen nach wie vor tätig. Mit<br />
der strukturellen Veränderung der Zusammenarbeit<br />
von Versorgungseinrichtungen wurden vorläufige<br />
Aufnahmezentren eingerichtet. Diese Orte sind die<br />
erste Station für Menschen, die die „Straße” verlassen<br />
. Jeder wird hier nach Erfassung der anliegenden<br />
Probleme an die notwendige Stelle weitergeleitet<br />
(Herberge, Krankenhaus usw.). Die Kapazitäten<br />
der bisher separat funktionierenden Institutionen<br />
werden so besser benutzt<br />
.<br />
In Budapest sind während des Winters der Call<br />
Center und die Krisenwagen nach wie vor tätig. Mit<br />
der strukturellen Veränderung der Zusammenarbeit<br />
von Versorgungseinrichtungen wurden die sog. ersten<br />
Aufnahmezentren zustande gebracht. Diese<br />
Orte bedeuten die erste Station für Menschen, die<br />
den öffentlichen Raum verlassen; jeder geriet von<br />
hier auf den Ort, der für ihn nötig ist (Herberge,<br />
Krankenhaus usw.). Die Kapazitäten der bisher<br />
separiert funktionierenden Institutionen werden so<br />
besser benutzt.<br />
Für solche Programme, die der wirkliche Reintegration<br />
von wohnungslosen Menschen helfen, gab<br />
es auch Beispiele in im letzten Jahr. Leider nicht in<br />
einem so großen Umfang, wie es nötig wäre. Ferner<br />
gab es Aufnahmestellen, an denen die Aufnahmekriterien<br />
definitiv streng waren – man wollte wahrscheinlich<br />
die Problemfälle vermeiden. Allerdings<br />
bieten alle Programme, die den nötigen finenziellen<br />
und institutionelllen Hintergrund sichern können,<br />
mit einer sicheren Wohnung, Bildungsmöglichkeiten,<br />
der persönlichen Begleitung und mit den<br />
kleinen Wohngemeinschaften eine Möglichkeit an,<br />
dass einige oder sogar hunderte von Menschen, die<br />
ihr Zuhause verloren haben, ein neues Leben beginnen<br />
können.<br />
Auch diese Frage wird theoretisch durch die auf<br />
Landesebene gültige Veränderung reguliert, die mit<br />
der grundlegenden Modifizierung von staatlichen<br />
und Selbstverwaltungsaufgaben am 1. Januar <strong>2013</strong><br />
in Kraft getreten ist. Seitdem ist die Verwaltung für<br />
die Menschen verantwortlich, wo sie zuletzt eine<br />
Wohnung hatten. (Unmittelbare Lebensgefahr bedeutet<br />
eine Ausnahme.) Da sich gleichzeitig auch<br />
die finanziellen Grundlagen der Selbstverwaltungen<br />
veränderten, ist es noch nicht klar, wie viel<br />
Geld für die Prävention, Versorgung und Rehabilitation<br />
übrig bleibt.<br />
Wie viele Menschen sind überhaupt betroffen? 2<strong>010</strong><br />
war die Anzahl der registrierten, die Versorgung<br />
ständig in Anspruch nehmenden Obdachlosen fast<br />
30.000 im ganzen Land. Ungefähr 100.000 Menschen,<br />
also ein Prozent der ungarischen Staatsbürger<br />
lebten in irgendeiner Form von der Unterstützung<br />
wohnungsloser Menschen.<br />
Wertvolle Informationen lieferte auch die Erhebung<br />
letztes Jahres, die mit der Hilfe von 20 obdachlosen<br />
Menschen in der Haupstadt durchführt<br />
wurde. Während der Datensammlung füllten<br />
etwa 400 Wohnungslose einen Fragebogen aus,<br />
der untersuchte, mit welchen Formen der Diskriminierung<br />
sie konfrontiert werden. Ferner machte<br />
man Interviews mit denjenigen, die während ihrer<br />
Arbeit mit obdachlosen Personen in Kontakt treten.<br />
Die Forschung bestätigte, dass die Hauptbereiche<br />
der Diskriminierung der öffentliche Verkehr,<br />
die sozialen und Gesundheitseinrichtungen, und<br />
die Arbeitssuche sind. 83 Prozent der Befragten<br />
meinten, dass sie Opfer von Benachteiligung sind.<br />
Die restlichen Teilnehmer an dieser Befragung<br />
waren meistens nicht wohnungslose Mitbürger, die<br />
Ordnungskräfte des öffentlichen Raumes, sowie<br />
Polizisten. 14 Prozent der Antwortenden bekam<br />
keine Versorgung in einer Gesundheitseinrichtung,<br />
10 Prozent wurde von dem Krankenwagen nicht<br />
mitgenommen, obwohl es nötig gewesen wäre.<br />
12 13
Die weibliche Wohnungslosigkeit war ein besonders<br />
hervorgehobenes Thema der Fachdiskussionen<br />
letztes Jahres. Obwohl sich die Anzahl<br />
der wohnungslosen Frauen vermehrte, sind die<br />
Einrichtungen darauf nicht vorbereitet. Es gibt<br />
nicht genügend Unternachtungsmöglichkeit für<br />
Frauen. Herbergen, die für Paare geeignet sind,<br />
sind noch seltener.<br />
Die caritativen Aktionen um Weihnachten gaben<br />
letztes Jahr auch Gelegenheit für gegenseitige<br />
Aufmerksamkeit und Hilfe. Auch für das Wahrnehmen<br />
der bittere Realität der gegenwartigen<br />
Situation. Am 24. Dezember bildete sich auf<br />
dem Blaha Lujza Platz eine Reihe von nie gesehener<br />
Länge an der Lebensmittelverteilung. Man<br />
hat sich an diesen Anblick noch nicht gewöhnt.<br />
Doch die Wirtschafts- und Sozialpolitik Ungarns<br />
vertieft Schritt für Schritt die Armut, und<br />
destabilisiert das Leben von Familien und Menschen,<br />
die bisher in relativer Sicherheit lebten.<br />
Inzwischen verweisen viele Daten und Erhebungen<br />
darauf, dass in den letzten zehn Jahren<br />
die Anzahl von Menschen, die ihre Wohnung aus<br />
wirtschaftlichen Gründen verloren haben, drastisch<br />
zunahmen. Armut endet immer häufiger in<br />
Wohnungslosigkeit.<br />
„Arbeite für die Menschen, nicht gegen sie!”, stand<br />
auf dem mit Hand geschriebenen bunten Schild am<br />
Hals eines Hausbesetzers am 19. Januar. Die Fotos,<br />
die die Lebensmittelverteilung an Weihnachten<br />
zeigten, wurden auf Facebook von Tausenden gepostet.<br />
Die Frage der Armut geriet bei der parlamentarischen<br />
Opposition und in dem allgemeinen Bewusstsein<br />
in den Vordergrund; „Solidarität” und<br />
„Wohnung” waren Parolen von Demonstrationen<br />
in den vergangenen zwei Jahren. In den letzten Regierunsperioden<br />
wurde nämlich die Situation von<br />
verschiedenen Gesellschaftsgruppen unberechenbar.<br />
Die Erkenntnis verbreitete sich, dass die Frage<br />
der Wohnung nicht nur ein brennendes Problem<br />
der Obdachlosen war, sondern auch der Jugendlichen,<br />
der arbeislos Gewordenen, der Verlierer der<br />
Kreditfallen, der um ihre Rente durch „Überprüfung”<br />
gebrachten Körperbehinderten. <strong>Das</strong> soziale<br />
Schutznetz zerreisst. Ein grosser Teil der im Besitz<br />
der Selbstverwaltungen stehenden Wohnungen<br />
und Räume stehen leer. <strong>Das</strong> System der Wohnungsunterstützungen<br />
begünstigt die Rei-cheren; die<br />
Sozialleistungen verringern sich; das Steuersystem<br />
ist ungerecht… und die Staat wendet immer<br />
mehr Milliarden auf für solche Arbeitbeschaffungsmaßnahmen,<br />
die eine Rückkehr auf den Arbeitsmarkt<br />
nach den Forschungenergebnissen gar nicht<br />
anregt, sondern eher den Missbrauch der ausgelieferten<br />
Arbeitskräfte ermöglichen.<br />
Die Wohnungslosigkeit ist kein isoliertes, extremes<br />
Problem mehr.<br />
Authentische Übersetzung<br />
von Boglárka Cziglényi<br />
14 15
Jobcenter muss Diensttelefonliste<br />
offenlegen!<br />
Internet von zentraler Bedeutung für die<br />
Lebensführung<br />
Dies entschied das Verwaltungsgericht Leipzig<br />
(Az: 5 K 981/11) am 10.01.<strong>2013</strong>. Geklagt auf Zugang<br />
zu den Durchwahlnummern der mit Bürgerkontakt<br />
tätigen Mitarbeiter des Jobcenters hatte die<br />
Kanzlei fsn-recht Rechtsanwälte. „Wir begrüßen<br />
das Urteil ausdrücklich! In unserer täglichen Arbeit<br />
sehen wir täglich, wie Hilfebedürftige durch Fehler<br />
des Jobcenters in existentielle Notsituationen<br />
geraten. Eine dann notwendige schnelle Hilfe wird<br />
durch die derzeitige Abfertigung der Betroffenen in<br />
einem Callcenter systematisch verhindert. Im Callcenter<br />
selbst erfolgt keine inhaltliche Bearbeitung<br />
und auch eine direkte Weitervermittlung an Sachbearbeiter<br />
ist nicht möglich.“ teilte Rechtsanwalt<br />
Dirk Feiertag heute mit.<br />
„Lange haben wir gütlich versucht, vom Jobcenter<br />
Leipzig die Herausgabe der Telefonnummern der<br />
Sachbearbeiter zu erwirken, leider vergebens. Auch<br />
heute haben wir dem Jobcenter erneut vorgeschlagen,<br />
einen Vergleich zu schließen. Dieser<br />
sah vor, die Diensttelefonnummern erst in drei<br />
Monaten zu veröffentlichen. <strong>Das</strong> hätte dem Jobcenter<br />
Zeit gegeben für mögliche Umstrukturierungen.<br />
Leider schlugen die Vertreter des Jobcenters<br />
dieses Angebot aus. Dabei hätte hier das Jobcenter<br />
sein Gesicht wahren und die Daten selbst auf seiner<br />
Homepage veröffentlichen können.“, äußerte sich<br />
Rechtsanwältin Kristina Sosa Noreña.<br />
Auch wenn uns dies sicherlich nicht so viel<br />
Aufmerksamkeit gebracht hätte, so Feiertag, hätten<br />
wir diesen Vergleich doch gerne akzeptiert. „Denn<br />
nun werden die Leipziger Bürger noch länger auf<br />
die Telefonnummern warten müssen.“ Es ist zu erwarten,<br />
dass das Jobcenter Berufung einlegen wird<br />
und der Weg durch die Instanzen braucht vermutlich<br />
Jahre.<br />
„So lange müssen die Hilfeempfänger nun wahrscheinlich<br />
weiter mit den derzeitigen unerträglichen<br />
Zuständen klarkommen.“, bedauerte der vom Neuen<br />
Forum, der Wählervereinigung Leipzig (WVL)<br />
und den Leipziger Piraten unterstützte unabhängige<br />
Bürgermeisterkandidat Dirk Feiertag. „Herr<br />
Jung steht der Trägerversammlung des Jobcenters<br />
vor. Die Stadt hält mit seiner Stimme die Mehrheit<br />
in der Trägerversammlung. Er trägt die politische<br />
Ver-antwortung. Und er wirbt immer noch mit seiner<br />
Bürgerfreundlichkeit im Wahlkampf. <strong>Das</strong> Jobcenter<br />
Leipzig ist eines der bürgerunfreundlichsten<br />
Behörden Deutschlands.“<br />
Newsletter Harald Thomé<br />
Der Bundesgerichtshof hat 24.01.<strong>2013</strong> in einem Urteil die herausragende Rolle des Internets im Allgemeinen<br />
ausgearbeitet: „Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit<br />
seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise<br />
von zentraler Bedeutung ist. … Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich<br />
täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung<br />
entscheidend mitprägenden Medium entwickelt ..“, so der BGH mit Urteil vom 24.1.<strong>2013</strong> - III ZR 98/12.<br />
Da diese signifikante Rolle des Internets ist aber noch nicht bei den Sozialgerichten im Bereich angekommen.<br />
Dieses richtungsweisende Urteil des BGH sollte durch gezielte Beantragung im SGB II/SGB<br />
XII-Kontext juristisch geprüft werden. Dabei wird es um die Frage gehen, ob nicht jeder Schüler zur<br />
schulischen und gesellschaftlichen Teilhabe einen Anspruch auf eine PC-Erstausstattung hat. Da dafür<br />
keine Norm im SGB II anwendbar ist, sollte hier der Weg über § 73 SGB XII favorisiert werden. Wenn<br />
einer vorhanden, dieser aber veraltet, defekt ist, dann ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II (da ein PC<br />
im Regelsatz enthalten ist), für welches später ein Erlassantrag nach § 44 SGB II gestellt werden kann.<br />
Newsletter Harald Thomé<br />
16 17
Arbeitstagung:<br />
„Von der Mitte der Gesellschaft zum Rand<br />
– und wieder zurück?<br />
Neue Wege – neue Leitlinien“<br />
23.01.<strong>2013</strong><br />
Nals Lichtenburg/Südtirol<br />
Im Auftrag der Provinz Bozen wurden Brigitte Hartung und York Töller vom <strong>Armutsnetzwerk</strong><br />
e.V. zur Arbeitstagung der Obdachlosenhilfe Südtirol vom Sozial-Bildungszentrum Lichtenburg/<br />
Nals eingeladen. Hintergrund war die Erarbeitung neuer Richtlinien für die Wohnungs- und<br />
Obdachlosenhilfe.<br />
Die Lichtenburg in Nals<br />
Nach der Eröffnung durch Dr. Richard Theiner<br />
(Landrat für Familie, Gesundheit ung Sozialwesen)<br />
und Dr. Heiner Schweigkofler (Direktor der Stftung<br />
Caritas) wurden aktuelle Zahlen, Fakten und Daten<br />
aus der Praxis der Obdachlosenhilfe in der Provinz<br />
Bozen bekannt gegeben.<br />
Unsere Vertreter nahmen als Referenten an den<br />
Workshops “Prävention und Straßenarbeit” und<br />
“Housing First” teil. Während der Diskussion<br />
wurden deutliche Unterschiede zu den deutschen<br />
Hilfesystemen sichtbar.<br />
Es zeigt sich immer wieder, wie wichtig ein<br />
Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene ist.<br />
Diese Erkenntnis zeigt, dass wir mit unserem und<br />
Engagement in der Europen Union of Homeles<br />
und der Obdachlosenorganisation HOPE auf dem<br />
richtigen Weg sind<br />
York Töllner<br />
18 19
Volksinitiative Bedingungsloses<br />
Grundeinkommen in der Schweiz<br />
Ungewöhnliche Zwischenerfolge<br />
Nicht zuletzt dank dem Bundesrat und der<br />
Economiesuisse, vor allem aber mit dem weiterten<br />
Komitee verzeichnet die Grundeinkommensinitiative<br />
erste Er folge.<br />
Die Volksinitiative für ein bedingungsloses<br />
Grundeinkommen ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich.<br />
Sie hat eine Utopie, das bedeutet nichts anderes<br />
denn ein Idealbild von gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen, zum Inhalt. Ein kleines und von Parteien,<br />
Verbän den und der Wirtschaft völlig unabhängiges<br />
Komitee hat sie lanciert. Und dieses Komitee<br />
kann nun nach der Hälfte der Sammelzeit für<br />
die benötigten 100‘000 Unter schriften bereits drei<br />
Erfolge bekannt geben.<br />
Schon kurz nach der Lancierung hat in der Schweiz,<br />
nicht zuletzt dank der medialen Aufmerksamkeit,<br />
eine breite Diskussion darüber eingesetzt, was<br />
ein Grundeinkom men für alle bewirken könnte.<br />
Auf einmal stehen philosophische Fragen an in Gesprächen<br />
auf der Strasse, am Arbeitsplatz, in der<br />
Familie, in Vorträgen, auf Podien, in Kirchenboten,<br />
Zeitschriften und Gratisblättern: Arbeit, Solidarität,<br />
Einkommen, Ar mut, Musse, Reichtum, Gerechtigkeit.<br />
Es sind Grundfragen des Zusammenlebens.<br />
Ausgelöst worden ist diese Diskussion allein schon<br />
durch den ersten Satz der Volksinitiative: Der Bund<br />
sorgt für die Einführung eines bedingungslosen<br />
Grundein kommens.<br />
Auch Sache der jungen Generation<br />
<strong>Das</strong> Komitee selbst hat unmittelbar nach der Lancierung<br />
ein riesiges Interesse der Öffentlichkeit<br />
dem Grundeinkommen gegenüber zu spüren bekommen.<br />
Daraus hat sich die Generation Grundeinkommen<br />
gebildet aus AktivistInnen von unterschiedli chem<br />
Alter, Beruf und Nationalität. Tatsächlich: es ist ja<br />
einer Deutschen oder einem Franzosen nicht verboten,<br />
für eine eidgenössische Volksinitiative Unterschriften<br />
zu sammeln, selbst wenn ihre eigene Signatur<br />
dafür ungültig wäre. Ein bisher unbe kanntes,<br />
wenn auch sehr erfreuliches Phänomen.<br />
Besonders mithilfe der Generation Grundeinkommen<br />
hat nun diese Volksinitiative zur Halbzeit der<br />
Sammlung bereits über 70 000 Unterschriften vereinigt.<br />
Zum erfreuli chen Resultat beigetragen hat aber<br />
auch eine Verlautbarung des Bun desrats: für ihn ist<br />
das Grundeinkommen keine Lösung, für was für<br />
ein Problem auch immer. Die Economiesuisse, stets<br />
wachsam in der Abwehr potenzieller Störenfriede<br />
der Bank -Wirtschafts-Reichtums-Politik, hat ebenfalls<br />
bereits ein Dossier über das Grundein kommen<br />
auf ihrer Website postiert: mit vernichtendem Urteil.<br />
Oswald Sigg<br />
Aktionstage zu 20 Jahre Tafeln in der<br />
Bundesrepublik<br />
Vom 26. - 28. April <strong>2013</strong> veranstaltet das ‘Kritische<br />
Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln’ drei Aktionstage<br />
in Berlin, in deren Rahmen mit einem umfangreichen<br />
Programm Öffentlichkeit und Medien über<br />
Forderungen und Kritikpunkte zum Thema Tafeln<br />
informiert werden soll. Auf der Internetseite des<br />
„kritischen Tafelbündnisses“ heißt es dazu:<br />
Ziel der Aktionstage ist es, die kritische Debatte<br />
im Hinblick auf die Ausbreitung von<br />
Tafeln und anderen Existenzunterstützenden<br />
Angeboten zu stärken und auf die Notwendigkeit<br />
einer armutsfreien, bedarfsgerechten und<br />
existenzsichernden Mindestsicherung hinzuweisen,<br />
die Tafeln und ähnliche Angebote in<br />
Zukunft überflüssig macht.<br />
Auch eine erste Übersicht über die auf drei Tage<br />
verteilten Aktionen, Lesungen, Rundgänge usw.<br />
findet sich dort (http://aktionsbuendnis20.de/aktionstage.html).<br />
<strong>Das</strong> <strong>Armutsnetzwerk</strong> hat sich<br />
an dieser Arbeit des kritischen Tafelbündnisses<br />
beteiligt, weil es der Meinung ist, daß 20 Jahre<br />
Tafeln in Deutschland alles andere als ein Grund<br />
zum Feiern sind. Was einmal in verschiedenen<br />
Großstädten als Hilfe für Menschen am Rande der<br />
Gesellschaft ins Leben gerufen wurde, hat heute<br />
zu einer fast flächendeckenden „Vertafelung“ des<br />
Landes geführt. Die Tafeln sind Teil eines riesigen<br />
Vertriebs- und Verteilungssystem geworden, die<br />
die Gesellschaft scheinbar entlastet, denn die vielen<br />
freiwilligen HelferInnen, die Woche für Woche<br />
im Lande Lebensmittelreste und anderes mehr in<br />
Bewegung bringen, um sogenannten „Kunden“ mit<br />
Lebensmitteln zu versorgen.<br />
Man hat sich ein bürokratisches Netz aufgebaut, alles<br />
funktioniert nach logistischen Plänen, die Lebensmittelhändler<br />
können günstig ihre abgelaufene<br />
Ware „entsorgen“. Nachgedacht werden muss nicht<br />
mehr, warum Menschen in so große Not geraten,<br />
daß sie alle Scham überwinden und sich die Reihe<br />
der Tafel-Kunden einreihen müssen.<br />
Zwei Probleme scheinen mir besonders hervorzustechen:<br />
die Bürokratie und die zukünftige Perspektive.<br />
Von der ursprünglichen Hilfe haben sich<br />
die Tafeln zu einer Großorganisation entwickelt.<br />
Viel Unterstützung, Spenden und ehrenamtliche<br />
Arbeit sind nötig, um das System am Laufen zu<br />
halten. Der einzelne „Kunde“ läuft Gefahr, zu<br />
einem kleinen Rad im Getriebe zu werden. Große<br />
Organisationen schaffen Hierarchien und Abhängigkeiten.<br />
Dabei geht schon mal der mitmenschliche<br />
Umgang für die viele freiwillig geleistete Arbeit<br />
verloren.<br />
Und man muss fragen, wie die Zukunftsperspektive<br />
aussehen soll. Noch mehr Ehrenamt, noch<br />
mehr Spenden ? - 20 Jahre Tafeln haben nicht dazu<br />
geführt, diese überflüssig zu machen. Im Gegenteil,<br />
es wurden mehr und mehr, heute sind sie ein<br />
Bestandteil der sozialen Versorgung vieler Bedürftiger.<br />
Selbstverständlich wird man Tafeln nicht von heute<br />
auf morgen abschaffen können, aber die Erinnerung<br />
an den Anfang vor 20 Jahren sollte Anlass<br />
sein, einmal kritisch über die Tafeln nachzudenken.<br />
Dazu gibt das Wochenende vom 26. - 28. April in<br />
Berlin genügend Möglichkeiten.<br />
Jürgen Schneider<br />
20 21
Bundesweite Razzia gegen linke<br />
Journalisten/ Repression gegen das<br />
Bündnis Blockupy Frankfurt<br />
Die Repression gegen das Frankfurter Blockupy<br />
Bündnis geht weiter, es wurden mind. zehn<br />
Wohn- und Arbeitsräume von Fotojournalisten in<br />
Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hessen<br />
und Baden-Württemberg in einer koordinierten<br />
Polizeiaktion durchsucht. Dabei beschlagnahmten<br />
die Polizei zahlreiche Computer und Speichermedien<br />
sowie Fotoausrüstung, in Freiburg wurden auch<br />
ein Mobiltelefon und Drucksachen beschlagnahmt.<br />
Laut Durchsuchungsbeschluss werden die Fotojournalisten<br />
nicht selbst einer Straftat verdächtigt oder<br />
beschuldigt. Vielmehr hofft die Frankfurter Staatsanwaltschaft,<br />
Beweise für unterstellte Straftaten<br />
von Teilnehmern einer Demonstration am 31. März<br />
in Frankfurt zu finden. Während der Blockupy-Tage<br />
2012 hatte die Stadt Frankfurt ein umfassendes Versammlungsverbot<br />
erlassen, die Polizei verhängte gegen<br />
hunderte Anreisende unrechtmäßig Stadtverbote<br />
und sperrte die Frankfurter Innenstadt großflächig<br />
ab. Tausende von Polizisten waren im Einsatz.<br />
Diese Kriminalisierungs- und Einschüchterungsstrategie<br />
wird nun mit der bundesweiten<br />
Razzia gegen kritische Medien und Journalisten<br />
fortgesetzt. Für den 31. Mai und 1. Juni <strong>2013</strong> hat<br />
das Blockupy-Bündnis zu weiteren Protesten gegen<br />
die Kürzungspolitik der Troika (Europäische<br />
Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler<br />
Währungsfonds) im Herzen des europäischen<br />
Krisenregimes aufgerufen. Dazu wird am<br />
17.02. in Frankfurt ein Vorbereitungstreffen stattfinden.<br />
Hintergrund zu den Razzien: http://www.<br />
elo-forum.net/politik2/<strong>2013</strong>020671824.html<br />
Hier wäre öffentliche Unterstützung angesagt!<br />
Newsletter Harald Thomé<br />
Lesetipp<br />
Räumen leben. Welche spezifischen Problemfelder<br />
beschreiben die Betroffenen selbst? Wie erleben<br />
sie ihre Situation und welche Veränderungen wünschen<br />
sie? Darüber hinaus geht es um die Rolle<br />
der Kirche und Diakonie. Setzen sie sich ihrem<br />
Auftrag gemäß für gerechte Teilhabe und den Erhalt<br />
der Lebensqualität in ländlichen Räumen ein?<br />
Ziel war, Modellvorhaben für die Praxis vor Ort an<br />
ausgewählten Standorten zu entwiceln.<br />
Armut in ländlichen Räumen.<br />
Eine Herausforderung für Kirche<br />
und Diakonie<br />
bearbeitet von Dipl.-Soz.Arb. Dipl.-Diakoniewiss.<br />
Marlis Winkler<br />
Inhalt:<br />
Ausgangspunkt: Armut in ländlichen Räumen unterscheidet<br />
sich grundlegend von der städtischen<br />
Armut. Es hat den Anschein, dass bestimmte Menschen,<br />
Dörfer und Regionen von den Zentren abgehängt<br />
werden und in die Gefahr geraten, den<br />
Anschluss an wichtige gesellschaftliche Entwicklungen<br />
zu versäumen. Es droht die Gefahr der Verdichtung<br />
von Armut in bestimmten Gegenden. Die<br />
Qualität der Teilhabe wird auf diese Weise erheblich<br />
eingeschränkt. Deutlich ist zudem, dass sich<br />
Armutsentwicklung, insbesondere was Altersarmut<br />
anbetrifft, auf dem Lande anders darstellt als in<br />
städtischen Regionen. Ziel des Projektes: Von dieser<br />
Voraussetzung ausgehend untersuchte das Projekt<br />
die Lage der Menschen, die in ländlichen<br />
Auf den ersten Blick fällt keines extrem als Problemgebiet<br />
auf. Oft fragen die Bewohner erstaunt,<br />
warum gerade sie in den Blickpunkt rücken. Arm<br />
sind, so scheint es, immer nur die anderen. Fragestellungen:<br />
1. Wie wird in den scheinbar “normalen”<br />
ländlichen Gebieten der Alltag gemanagt, wenn<br />
einer in der Familie den Job verliert? Wie geht die<br />
(Rest-)Familie damit um, wenn die Kinder weder<br />
einen Ausbildungsplatz ergattern noch regelmäßig<br />
Geld verdienen können? 2. Was muss getan werden<br />
(von Kirche und öffentlicher Hand), um die in Armut<br />
abgerutschten Menschen wieder am gesellschaftlichen<br />
Leben teilhaben zu lassen? 3. Gibt es<br />
dort bereits Problemlösungsstrategien, die auf<br />
andere Regionen zu übertragen sind? 4. Welchen<br />
Stellenwert haben funktionierende Dorfgemeinschaft<br />
und Nachbarschaftshilfe, um den Alltag zum<br />
Beispiel auf Hartz IV-Niveau besser in den Griff<br />
zu bekommen? Stadt/ Land - was ist anders? In der<br />
Stadt ist die Armut sichtbarer: siehe soziale Brennpunkte,<br />
Obdachlose auf den Straßen. Auch gibt<br />
es dort mehr und offensivere Hilfsangebote (Tafel,<br />
Stammtisch für Alleinerziehende, Kleiderkammer<br />
usw.). Auf dem Land hat Armut ein anderes<br />
Gesicht. <strong>Das</strong> Sozialwissenschaftliche Institut der<br />
EKD hat erforscht: Wie äußert sich Armut konkret<br />
(z.B. schwache Infrastruktur, schlecht ausgestattete<br />
öffentliche Einrichtungen, wenig kulturelle Angebote)?<br />
Welche Art der Unterstützung wünschen<br />
sich die dort lebenden Menschen von der Kirche,<br />
der Diakonie, von den Politikern?<br />
ISBN-10:3-643-10720-X<br />
EAN:9783643107206<br />
Erscheinungstermin:07.10.2<strong>010</strong><br />
Verlag:LIT Verlag<br />
Einband:Taschenbuch<br />
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Impressum<br />
Die “NetZeit” erscheint als monatliches Journal in ergänzender Zusammenfassung der Webseiten<br />
des <strong>Armutsnetzwerk</strong> e.V. Wir bemühen uns in den Beiträgen die ganze Bandbreite unserer<br />
Tätigkeit darzustellen. Für jede Anregung unserer Leser sind wir dankbar. Leserzuschriften<br />
werden veröffentlicht, die Redaktion behält sich Kürzungen der Texte vor. Anonyme Zuschriften<br />
finden keine Berücksichtigung.<br />
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Herausgeber: <strong>Armutsnetzwerk</strong> e.V.<br />
presserechtlich verantwortlich: Dietmar Hamann<br />
Am Deepenpool 2<br />
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Tel. 04271 919464<br />
Fax 04271 919465<br />
mobil 01525 3190841<br />
E-Mail netzeit@armutsnetzwerk.de<br />
www.armutsnetzwerk.de<br />
Bildquellen:<br />
Umschlag: Dietmar Hamann, Seite 5: U. Herbert_pixelio.de, Seite 10, 11, 13, 15: Á Varos Mindenkié,<br />
Seite 12: Dietmar Hamann, Seite 18: York Töllner, Seite 22: Facebook<br />
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