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DAS FEST - Über die Mitschuld der Mütter - Theater Ulm

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„restraining agent“ (1955/76, S. 67), frei übersetzt etwa als „Schutzmann“, aufzutreten. Karin<br />

Meiselman hakt hier ein:<br />

[...] <strong>die</strong> Gesellschaft erwartet von <strong>der</strong> Mutter, daß sie ihre Kin<strong>der</strong> gegen jeglichen Mißbrauch<br />

schützt, selbst wenn <strong>die</strong>se Beschützerrolle ihr ein Verhalten abverlangt, daß zu ihrer Rolle als<br />

passive, fügsame, weibliche Partnerin in einer männlich dominierten „patriarchalischen“<br />

Familie im Wi<strong>der</strong>spruch steht (1978, S. 113).<br />

Nicht selten teilen Inzestopfer <strong>die</strong> <strong>Über</strong>zeugung <strong>der</strong> Familientheoretiker von <strong>der</strong> latenten<br />

<strong>Mitschuld</strong> <strong>der</strong> Mutter. Aber man findet auch Aussagen wie <strong>die</strong> folgende:<br />

Ich bin ganz sicher, daß sie nichts davon wußte. Ich habe Leute sagen hören: “Wie kann eine<br />

Mutter nichts davon merken?“ Aber was Sex betrifft, ist meine Mutter [...] so verklemmt, daß<br />

es ihr niemals in den Sinn gekommen wäre, daß jemand so etwas auch nur denken kann<br />

(Armstrong 1978/85, S. 70).<br />

Immerhin stößt man in vielen autobiographischen Berichten und Falldarstellungen auf<br />

Bemerkungen, wie <strong>die</strong>se: Sie bestreitet es zwar, aber ich habe das Gefühl, meine Mutter<br />

wußte Bescheid, sie muß es gewußt haben. Katherine Brady schreibt:<br />

Was ich ihr gegenüber empfand, waren Wut und das Gefühl, verraten worden zu sein. Ich<br />

wollte so sehr, daß sie merkte, was los war, aber sie weigerte sich. Sie setzte ihr Talent<br />

wegsehen zu wollen voll ein. Unbewußt hatte sie beschlossen, nicht an <strong>die</strong> Dinge zu rühren<br />

[...]. [...] Sie würde mich nicht vor ihm schützen (1979, S. 67).<br />

Der Amerikaner David Finkelhor meint, Klinker und Wissenschaftler hätten das Bild <strong>der</strong><br />

Mutter von den Opfern übernommen (1979, S. 212). Man könnte sich allerdings fragen, ob<br />

<strong>die</strong> Beeinflussung nicht ebenso häufig in umgekehrter Richtung erfolgt. Irene Dorpat<br />

beschuldigte ihre Mutter erst dann des heimlichen Einverständnisses, als sie von ihrem<br />

Psychotherapeuten gehört hatte, da sei beim Vater-Tochter-Inzest immer <strong>der</strong> Fall (Dorpat<br />

1982, S. 124). Eine an<strong>der</strong>e Frau bringt <strong>die</strong> von ihr vermutete Mitwisserschaft ihrer Mutter mit<br />

<strong>der</strong> Inzestliteratur in Verbindung, in <strong>der</strong> ja nicht umsonst immer wie<strong>der</strong> zu lesen sei, <strong>die</strong><br />

„meisten <strong>Mütter</strong> seien >insgeheim> am Vater-Tochter-Inzest mitbeteiligt“ (V. S. K. 1983, S.<br />

102). Gewiß, Inzestforscher, Sozialarbeiter und Therapeuten müssen <strong>die</strong> Gefühle sexuell<br />

mißbrauchter Töchter gegenüber ihren <strong>Mütter</strong>n respektieren, sie sollten sich aber auch fragen,<br />

wie <strong>die</strong>se Gefühle entstanden sind. Auch Inzestopfer unterliegen dem Einfluß unserer Kultur,<br />

<strong>die</strong> <strong>Mütter</strong>n das Unmögliche abverlangt, nämlich alles zu hören, alles zu sehen und ihre<br />

Kin<strong>der</strong> vor allem Übel zu bewahren. Ein Inzestopfer schreibt:<br />

Ich war böse auf sie, weil sie mich nicht beschützte. Als ich älter wurde, wurde mir klar, daß<br />

sie es [...] nicht konnte, aber ich bin mir immer noch nicht sicher. [...] ich denke, es hat etwas<br />

damit zu tun, daß man früher einfach sicher war, <strong>die</strong> Mutter würde einen vor allem Bösen<br />

beschützen, wen man sich verletzt fühlte o<strong>der</strong> weh getan hatte und sich an niemanden wenden<br />

konnte. Wenn man als Kind Schmerzen hat o<strong>der</strong> weint, läuft man normalerweise zur Mutter.<br />

Und wenn sie nicht da ist, dann vielleicht zum Vater. Aber wenn <strong>der</strong> Vater <strong>die</strong> Ursache des<br />

Kummers ist, dann ist <strong>die</strong> Mutter <strong>die</strong> einzige, zu <strong>der</strong> man noch gehen kann, und wenn sie dann<br />

nicht reagiert [...], wird man wirklich sehr böse [...] (Finkelhor 1979, S. 204).<br />

Ich bin fest überzeugt, daß ein Familienmitglied ein an<strong>der</strong>es über Jahre hinweg sexuell<br />

mißbrauchen kann, ohne, daß außer dem Täter und dem Opfer jemand etwas davon erfährt.<br />

Diese <strong>Über</strong>zeugung wird, was den Vater-Tochter-Inzest anbelangt, durch <strong>die</strong> Aussage einer<br />

Soziarbeiterin in Louise Armstrongs Buch bestätigt:<br />

Offen gesagt, es ist immer <strong>die</strong> alte Geschichte. Den <strong>Mütter</strong>n wird immer <strong>die</strong> Schuld für alles<br />

gegeben. [...] Nach unseren klinischen Erfahrungen läßt sich das nicht aufrechterhalten. Wir<br />

hatten in den letzten Jahren über hun<strong>der</strong>t Fälle. Und es stimmt einfach nicht, daß <strong>die</strong> <strong>Mütter</strong><br />

davon wußten. Die meisten Kin<strong>der</strong> erzählen uns, daß sie verhin<strong>der</strong>n wollten, daß <strong>die</strong> <strong>Mütter</strong><br />

es herausfanden (Armstrong 1978/85, S. 63).<br />

Ein Grundirrtum <strong>der</strong> Theorien über den Vater-Tochter-Inzest besteht darin, daß <strong>die</strong><br />

Mißbrauchsbeziehung meist als etwas Statisches betrachtet wird und nicht als ein Prozeß mit<br />

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