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DAS FEST - Über die Mitschuld der Mütter - Theater Ulm

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sie sich um den Ruf <strong>der</strong> Tochter sorgen. »Kind«, sagte <strong>die</strong> Mutter eines Inzestopfers zu ihrer<br />

Tochter, "erzähl das keinem Menschen, sonst gibt man dir <strong>die</strong> Schuld".<br />

Ein weiteres Motiv besteht darin, daß <strong>die</strong> Mutter möglicherweise den Schein <strong>der</strong><br />

harmonischen Familie wahren möchte. Dabei kann Eigennutz eine Rolle spielen, aber auch,<br />

<strong>die</strong> Sorge um ihre an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>. Ein Inzestopfer sagte mir einmal, ihre Mutter habe sich<br />

deshalb nicht um Hilfe von außen bemüht; weil sie keine Schande über <strong>die</strong> Familie bringen<br />

wollte; <strong>die</strong> Tochter hatte darum das Gefühl, ihre Mutter habe ihr Wohl dem <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Kin<strong>der</strong> geopfert. Ein wichtiges Motiv (das einzige in <strong>der</strong> Fachliteratur halbwegs anerkannte),<br />

das <strong>die</strong> Mutter davon abhalten kann, <strong>die</strong> Behörden einzuschalten, ist ihre wirtschaftliche und<br />

finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann und nicht nur ihre, son<strong>der</strong>n auch <strong>die</strong> ihrer Kin<strong>der</strong>.<br />

Zerbricht <strong>die</strong> Familie, droht <strong>der</strong> Gang zum Sozialamt o<strong>der</strong> Schlimmeres. Vor allem, wenn <strong>der</strong><br />

Vater sich fleißig um den Lebensunterhalt kümmert, und das tun auffallend viele inzestuöse<br />

Väter, ist das keine sehr verlockende Aussicht. Die Sorge um das materielle Wohl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

kann für eine Mutter sogar Grund genug sein, sich mehr o<strong>der</strong> weniger wi<strong>der</strong>standslos mit dem<br />

Inzest abzufinden In seinem Kommentar zur Lebensgeschichte Barbaras schreibt David<br />

Finkelhor über <strong>die</strong> Mutter von Inzestopfern:<br />

[...] wie so viele Frauen in unserer Gesellschaft sind sie Gefangene ihrer •wirtschaftlichen und<br />

sozialen Lage. Was kann eine Mutter von sechs Kin<strong>der</strong>n und ohne eigenes Einkommen schon<br />

gegen den Ernährer ausrichten? Barbara berichtet, ihre Mutter habe das Wohl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im<br />

Auge gehabt, wenn auch, auf unangemessene Weise. Sie wußte, daß sie ohne ihren Mann<br />

niemals für <strong>die</strong> Familie wurde aufkommen können, und so entschied sie, daß ihre Kin<strong>der</strong> den<br />

sexuellen Mißbrauch hinzunehmen hätten, als Preis dafür, daß sie einen Vater und genug zu<br />

essen hatten (1979, S. 212).<br />

Nicht nur wirtschaftliche Abhängigkeit o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Angst vor Schande können <strong>die</strong> Reaktion <strong>der</strong><br />

Mutter auf <strong>die</strong> Aufdeckung des Inzests beeinflussen, son<strong>der</strong>n auch <strong>die</strong> Liebe zu ihrem Mann<br />

o<strong>der</strong> ihre emotionale Verbundenheit mit ihm. Ein Beispiel dafür ist Sylvias Geschichte:<br />

[...] verstehen Sie mich recht, ich sage nicht, daß es richtig war, was Tommy getan hat, ich<br />

will ihn nicht entschuldigen. Aber ich muß auch an mich selbst denken. Wer soll für mich und<br />

<strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> sorgen, wenn ich ihn ins Gefängnis schicke? Wer wird mir schon Arbeit geben?<br />

Mir, einer dicken, ausgelaugten kaputten Frau, <strong>die</strong> nichts gelernt hat? Was soll ich machen?<br />

Dienstmädchen werden wie meine Mutter?. Als ich von zu Hause fortging, habe ich mir<br />

geschworen, niemals an<strong>der</strong>er Leute Dienstmädchen zu sein, und daran hat sich absolut nichts<br />

geän<strong>der</strong>t. [...] Sie müssen verstehen, Tommy ist alles, was ich habe. Ich weiß, es ist schlimm,<br />

was er getan hat, aber er ist mein Mann, und ich will nicht, daß er ins Gefängnis kommt<br />

(Butler 1978, S. 122)<br />

Außenstehende, <strong>die</strong> eine Mutter sogleich als Rabenmutter bezeichnen, wenn sie nicht<br />

automatisch für ihr Kind eintritt, machen es sich zu leicht. Zudem gibt es immer auch an<strong>der</strong>e,<br />

<strong>die</strong> <strong>der</strong> Meinung sind, eine Frau habe sich unter allen Umständen ihrem Ehemann gegenüber<br />

loyal zu verhalten. Wenn <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Double-Bind-Situation auf irgend jemanden zutrifft,<br />

dann auf <strong>die</strong> Frau, <strong>die</strong> in ihrer Familie mit dem Problem des Vater-Tochter-Inzests<br />

konfrontiert wird; sie sieht sich vor einan<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprechende Anfor<strong>der</strong>ungen gestellt, <strong>die</strong><br />

sich unmöglich miteinan<strong>der</strong> vereinbaren lassen.<br />

Eine Mutter, <strong>die</strong> den Inzest um jeden Preis vor <strong>der</strong> Außenwelt verbergen will, kann<br />

protestieren, soviel sie will: Sie hat gegenüber ihrem Mann natürlich eine beson<strong>der</strong>s schwache<br />

Position Wenn es ihm paßt, kann er den sexuellen Mißbrauch einfach fortsetzen, und das ist<br />

auch oft <strong>der</strong> Fall, wenn das Kind bei Aufdeckung des Inzests durch <strong>die</strong> Matter noch jünger ist.<br />

Meist aber wendet sich <strong>die</strong> sexuell mißbrauchte Tochter ohnehin erst dann an <strong>die</strong> Mutter,<br />

wenn sie etwas älter ist (um <strong>die</strong> vierzehn). Selbst eine Mutter, <strong>die</strong> nicht bereit ist, <strong>die</strong> Polizei<br />

o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e außerfamiliäre Instanz einzuschalten, kann ihrer Tochter in <strong>die</strong>ser Phase bis<br />

zu einem gewissen Grad helfen. Eine Tochter:<br />

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