Lila Laune 102
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Zur Kritik der<br />
reinen Zeit<br />
Tipps vom Universaltalent Dr. Michael von Meilenstein<br />
Am Sonntag den 9. Oktober 2004 folgte<br />
ich in meiner Funktion als Vorsitzender<br />
des „Verbund engagierter Bürger<br />
zur kritischen Konstruktion alternativer Beschäftigung<br />
e.V.“ einer Einladung des Dekans<br />
der Fakultät für Gegenwartsphilosophie der<br />
Freien Universität Berlin in den Veranstaltungsraum<br />
der Konditorei „Frisch und Vegetarisch“.<br />
Der Grund für die Einladung war die<br />
Verleihung der Honorarprofessur an den weltberühmten<br />
Kalligraphen und Privatdozenten<br />
für Schönkunst und Erdmagnetismus Dr.<br />
Michael von Meilenstein.<br />
In der Konditorei befanden sich zu meinem<br />
Erstaunen nur vier Personen. Bei diesen<br />
handelte es sich um die fraktionslose Lokalpolitikerin<br />
Mechtild Schubber, um ein zigarrenrauchendes<br />
Mitglied des fünfköpfigen<br />
Literaturzirkels „Deutscher Klang“, sowie um<br />
den Dekan Dr. Brutus Müller und Herrn Dr.<br />
von Meilenstein selbst. Die Zeremonie<br />
gliederte sich in drei Teile: Im ersten Teil<br />
verlas der Dekan eine knapp dreiminütige<br />
Laudatio, in der das Lebenswerk des Kalligraphen<br />
entsprechend gewürdigt wurde. Im<br />
zweiten Teil wurde die Honorarprofessur in<br />
Form eines bedruckten Stück Pappe symbolisch<br />
überreicht, und im dritten Teil bedankte<br />
sich der Kalligraph Dr. von Meilenstein bei<br />
seiner Mutter und seinem Goldfisch Wanda.<br />
Als die ganze Veranstaltung dann nach nur<br />
fünf Minuten beendet schien, verlangte das<br />
zigarrenrauchende Mitglied des Literaturzirkels<br />
nach einer spontanen Lesung aus der<br />
international gefeierten Anthologie „Meilensteins<br />
Kritik der reinen Zeit“. Dr. von<br />
Meilenstein, der kurz zuvor seine Dankesrede<br />
beendet hatte, kam dem Verlangen nach und<br />
zwang sich noch einmal hinter das Mikrofon.<br />
Andauernd Zeit, vernichten<br />
Gegen die Macht der Zeit ist noch nichts geboren,<br />
nicht hier und nicht im Orient!<br />
Kein Pferd, kein Schwert, kein Krieg, kein Sieg,<br />
nicht mal mein Dicht- und Sprachtalent,<br />
Ich bin belagert, umringt, umkreist<br />
als sei’s fortwährend Wille<br />
Andauernd Zeit, beharrlich ständig<br />
ein sinnlos Zwang der Stille.<br />
Im neuen Rollstuhl von Gertrude Mutter<br />
ist sitzen streng verboten.<br />
Die absurde Welt ist angekettet<br />
im Griff des einzigen Despoten!<br />
Andauernd Zeit, was ist dein Stand,<br />
wo willst du mit mir hin?<br />
Sekundenschlaf und Monatskarte,<br />
worin besteht der Sinn?<br />
Zeit!, du falscher Freund, du Teufelshund,<br />
du Schreckgestalt der Sphäre!<br />
Bald breche ich aus, und jage dich,<br />
als wenn nichts anders wäre.<br />
Oregano auf Senfkuchen<br />
plus Nierentee mit Alkohol,<br />
In baldig Zeit, vernichte ich dich,<br />
dich und dein elendiges Monopol!<br />
40 LILA LAUNE 12/2004