Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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demokratisches Gemeinwesen mehr als zweifelhaft.<br />
Das Fehlen einer demokratischen Verfassung<br />
aus einem Guß <strong>für</strong> die ehemalige DDR<br />
ist einer der größten Mißerfolge seit dem friedlichen<br />
Umsturz des' alten Regimes gewesen.<br />
Das Interesse an einerneuen Verfassung <strong>für</strong> die<br />
DDR, um als gleichbe<strong>recht</strong>igte Partnerin der<br />
Bundesrepublik im Vereinigungsp-ozeß gegmüberzutreten,<br />
schwand in dem Maße. wie die<br />
Möglichkeit und der Zeitpunkt eines Beitritts<br />
von neugegrfindeten DDR-Ländern nach Art.<br />
23 GO deutlichere Konturm annahm und zunehmend<br />
die Vereinigungsdiskussion dominierte.<br />
Die Arbeitsgruppe ,,Neue Verfassung" entschied<br />
in dieser Situation. im Mai 1990, ihr<br />
Projekt ,,Neue Verfassung <strong>für</strong> die DDR" aufzugeben<br />
zugunsten eines nun gesamtdeutsch angelegten<br />
Bemühens um eine neue Verfassung<br />
<strong>für</strong> das vereinigte Deutschland: So entstand die<br />
Ideeder Gründung einer gesamtdeutschenBürgerinitiative,<br />
des Kuratoriums <strong>für</strong> einen demokratischverfaßtenBunddeutscher<br />
Uinder.Diese<br />
BürgrInneninitiative sollte sich aus Einzelpersönlichkeiten<br />
konstituieren, welche sich sowohl<br />
aus Kultur und Wissenschaft als auch aus<br />
der Politik rekrutieren sollten. Zudem sollte<br />
dieser Initiative bewußt ein überparteilicher<br />
Charakter anhaften. denn zum einen war je der<br />
Kreis der InitiatorInnen politisch sehr breit- es<br />
waren ja alle Parteien Und Gruppienmgen am<br />
Verfassungsentwurf beteiligt - zum anderen<br />
konnte diese Initiative nur' Erfolg haben. wenn<br />
sie nicht Gefahr lief, von einer Partei vereinnahmt<br />
zu werden.<br />
Und schließlich ist die Verfassung als Grundlage<br />
eines politischen Gemeinwesens kein Thema,<br />
das sich nach dem üblichen Rechts-Links<br />
Schema sortieren läßt.So wurde ein sehr breiter<br />
Kreis zur GrüDdungssitzung am 16. Juni 1990<br />
eingeladen~ Im Reichstag wurde folgender<br />
Grfindungsaufruf verabschiedet:<br />
"Das Kuratorium <strong>für</strong> einen demokratisch verfaßten<br />
Bund deutscher Länder hat sich gebildet,<br />
um eine breite öffentliche Verfassungsdiskussion<br />
zu fördern. deren Ergebnisse in eine<br />
verfassunggebende Versammlung einmünden<br />
sollen. Auf der Basis des Grundgesetzes <strong>für</strong> die<br />
Bundesrepublik Deutschland, unter Wahrung<br />
der in ihm enthaltenen Grund<strong>recht</strong>e und unter<br />
Berücksichtigung des Verfassungsentwurfes<br />
des Runden Tisches <strong>für</strong> die DDR, soll eine gesamtdeutsche<br />
Verfassung ausgearbeitet werden.<br />
Wir setzen uns da<strong>für</strong> ein. daß die Einberufung<br />
einer verfassunggebenden Versammlung zwischen<br />
der Bundesrepublik und der Deutschen<br />
Demokratischen Republik verbindlich festgeschrieben<br />
und die neue gesamtdeutsche Verfassung<br />
von den Bürgerinnen undBürgemdurch<br />
Volksentscheid angenommen wird."<br />
ZIELE<br />
Die Ziele des Kuratoriums sind zugleich methodischerund<br />
inhaltlicher Natur. Methodisch,<br />
indem es einen sehr konkreten Weg vorschlägt,<br />
und inhaltlich, indem es die Anforderungen<br />
entwickelt, die an eine neue Verfassung zu<br />
stellen sind, und diese in Verfassungsgrundsätze<br />
bzw. Verfassungsartikel umsetzt.<br />
1. Der Weg zu einer neuen Verfassung: Der<br />
Verfassungsrat<br />
Das Kuratorium hat seine Forderung nach einer<br />
neuen VerfassW1g auf der Basis des Grundgesetztes<br />
und des Verfassungsemwurfes des des<br />
Rundes Tisches konkretisiert und einen ,,Entwurf<br />
<strong>für</strong> das Gesetz über die Einrichtung und<br />
die Aufgaben eines Verfassungsrates und die<br />
Verabschiedung einer gesamtdeutschen Verfassung"<br />
vorgelegt. Dieses Gesetz ist als Ergänzungsgesetz<br />
zu Art. 146 GG gedacht. Im<br />
einzelnen sieht dieser Entwurf folgendes Verfahren<br />
vor: Nach der Wahl des gesamtdeutschen<br />
Parlamentes gilt das Grundgesetz <strong>für</strong><br />
eine übergangszeit von ca. zwei bis drei Jahren.<br />
Der Verfassungsrat hat die Aufgabe, binnen<br />
zweier Jahre einen Entwurf <strong>für</strong> die Verfassung<br />
eines föderativen Staaten zu erarbeiten.<br />
Damit verwirklicht sich die Idee eines Bundes<br />
deutscher Länder. Der Verfassungsrat besteht<br />
aus insgesamt 160 Personen. Er wird zum<br />
größten Teil durch die Landesparlamente bestellt.<br />
Jedes Landesparlament entsendet vier<br />
Frauen und vier Männer. Zusätzlich werden<br />
noch 32 Mitglieder - 16 Frauen und 16 Männer<br />
- durch den Bundespräsidenten entsendet.<br />
Während der zwei Jahre, in denen der Verfassungsrat<br />
arbeitet, haben die Bürgerinnen und<br />
Bürger das Recht, bei schriftlich erklärter Unterstützung<br />
von mindesetns 1000 Wahlbe<strong>recht</strong>igte.<br />
Vorschläge abzugeben (besteht die<br />
Möglichkeit des Volksbegehrens). Das Ergebnis<br />
der Diskussion dieses verfassunggebenden<br />
Prozesses (der Entwurf des Verfassungsrates<br />
sowie die Alternativen durch Volksbegehren)<br />
werden dem Volk schließlich zur Abstimmung<br />
vorgelegt. Damit wird der Auftrag nach Art.<br />
146 GO erfüllt, wonach sich "das deutsche<br />
Volk in freier Entscheidung" eine neue Verfassung<br />
zu geben hat.<br />
2. Diskussion um Inhalte der.Deuen Verfassung<br />
zu befördern!<br />
Ein wirklich verfassunggebender Prozeß des<br />
Volkes muß jedoch die ExpertInnenkreise verlassen.<br />
Deswegen veranstaltet das Kuratorium<br />
große überregionale und öffentliche Treffen,<br />
die <strong>für</strong> die Diskussion der Bürgerinnen und<br />
Bürger ein Forum bieten sollen. Mit dein<br />
Kongreß "Verfassung durch VolksentScheid"<br />
am 16. September in Weimar, an dem an die<br />
achthundert Menschen aus Ost und West teilnahmen,<br />
hat das Kuratorium den Auftakt <strong>für</strong><br />
die Diskussion der inhaltlichen Anfordrungen,<br />
die an die neue Verfassung zu stellen sind, gesetzt.<br />
In den Arbeitsgruppen Soziale Grund<strong>recht</strong>e,<br />
Demokratie und Föderalismus, Menschen-<br />
und BürgerInnen<strong>recht</strong>e, Ökologie, Frauen.<br />
Kultur/Bildungs- und Hochschulwesen,<br />
Gewaltfreiheit, Frieden und Abrüstung, Kirche<br />
und Staat ist ein erster Problemaufriß geleistet<br />
und sind Grundgesetz sowie Verfassungsentwurf<br />
auf die entsprechenden Regelungen hin<br />
überprüft worden. Das Kuratorium stellt sich<br />
vor, daß diese Arbeitsgemeinschaften über einen<br />
längeren Zeitraum hinweg aktiv sind, und den<br />
Verfassungsprozeß der staatliche Organe<br />
kontinuierlich begleiten. Dies bietet die Chance,<br />
abseits parteipolitischer und taktischer<br />
Erwägungen eine an der Sache orientierte Arbeit<br />
zu leisten. Sie Ergebnisse der Arbeitsgruppen<br />
können dann in die öffentliche Debatte eingebracht<br />
werden und so einiges an inhaltlicher<br />
Orientierung vermitteln.<br />
Ein nächstes öffentliches Treffen der Arbeitsgruppen<br />
findet am 8. Dezember 1990 in Potsdam<br />
statt. Hier soll nun über einen Tag hinweg<br />
intensiv am Text gearbeitet werden. Praktisch<br />
sieht diese Arbeit so aus: Die inhaltlichen<br />
Koordinatoren der jeweiligen Arbeitsgruppen<br />
bereiten <strong>für</strong> ihre Bereiche eine kleine Synopse<br />
vor, wo sie zu dem jeweiligen Problem die<br />
Regelung des Grundgesetzes neben die des<br />
Verfassungsentwurfes stellen. Dann muß diskutiert<br />
werden, welche RegelW1g besser ist.<br />
Möglicherweise werden auch beide Formulierungen·<br />
als nicht sachgemäß erkannt, sodaß<br />
neue zu erarbeiten wären.<br />
Die Defizite des Grundgesetzs liegen auf der<br />
Hand W1d das nicht erst seit gestern. Zum ersten<br />
zeichnet sich das Grundgesetz durch eine strikte<br />
Orientierung auf die Stabilität der Regierung<br />
aus. Es fielen plebiszitäre Elemente und Öffnung<br />
gegenüber Bürgerinitiativen und den<br />
Mitwirkungsmöglichkeiten von BürgerInnen<br />
außerhalb von Wahlen. Im Bereich der sozialen<br />
Grund<strong>recht</strong>e gibt es im Grundgesetz eine Leerstelle.<br />
Hier ist lediglich das Gebot der allgemeinen<br />
Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu finden.<br />
überhaupt nicht beschäftigt sich das GrW1dgesetz<br />
mit der wohl größtenHerausforderW1g<br />
der Demokratie: Der ökologischen Krise. Wie<br />
die Zerstörung der natürlichen LebensgrW1dlagen<br />
auf demokratische Weise zu verhindern ist,<br />
ist eines unserer entscheidenden Zukunftsprobleme.<br />
Eine neue Verfassung muß hierauf<br />
Antwort geben. Deflzitär ist auch die föderative<br />
Ordnung der Bundesrepublik, die in Wirklichkeit<br />
kaum noch föderativ ist. Bis auf den<br />
Bereich der Kulturhoheit der Länder verbleibt<br />
den Ländern in aller Regel nur noch die exekutive<br />
Ausgestaltung der von der zentralstaatli-<br />
JURIDIKUM 5190<br />
Seite 23