16 Verfassungsrechtliche Aspekte der Würde der Kreatur

§ 16 Verfassungsrechtliche Aspekte der Würde der Kreatur 373
den zwei Fälle denkbar, die Ausnahmen vom Verbot des gentechnischen Umgangs
mit Embryonen und ebenso mit Keim- und Erbgut (I.1.c.) begründen
mögen:
Ein gentechnischer Eingriff ins Erbgut von Lebewesen, genauer: von pränatalem
Leben, verstösst womöglich dann nicht gegen die Würde oder andere
gesetzlich geschützte Güter von Menschen oder Tieren, wenn damit deren natürliche
Lebensgrundlagen erhalten werden 161 oder bleiben. 162 Selbst wenn sich
die Lebensumstände zum Beispiel für Tracy gegenüber denjenigen 'gewöhnlicher'
Schafe sogar verbessert haben sollten (Tafel 21), werden transgene Tiere
für das "gene pharming" (§ 10 II.2.a.) derzeit jedoch noch immer auf dem Wege
der verbrauchenden Embryonenforschung gewonnen (§ 15 I.1.).
c) Natur, Grundrechte und Forschung und Totalrevision der BV
Mit der Totalrevision der BV (aa.) werden die existentiellen Interessen auch der
Tiere zu schützen (bb.) und wird die Forschungsfreiheit dementsprechend zu beschränken
sein (cc.).
aa) Zur Stellung der Natur im Vorentwurf zur Totalrevision der BV
Der allgemeine Verfassungsgrundsatz der Würde der Kreatur (III.1.c.) erfordert
mehr Gerechtigkeit gegenüber den Tieren, welche im übrigen auch ihre natürlichen
Lebensgrundlagen mit den Menschen teilen müssen: Als Mitglieder der
Gesellschaft (§ 10 III.1.) sind die Tiere inskünftig auch in der Rechtsgemeinschaft
aufzuwerten.
Die aktuelle Bundesverfassung, durch weit über hundert Änderungen seit ihrem
Erlass zu einem "unlesbaren Flickwerk" geworden, zudem "lückenhaft", bedarf
der Revision "in die Sprache unserer Zeit", wodurch auch die "Identifikation der
Bürgerinnen und Bürger" mit dem geltenden Verfassungsrecht gefördert und
dieses "auf eine neue demokratische Grundlage" gestellt werden soll. 163 Neu soll
sich der Staat inskünftig für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen
und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung einsetzen (Art. 2
revBV). Zu dieser Ordnung zählt auch die EMRK. Die in ihr verbrieften Rechte
und Freiheiten werden nach Artikel 14 ohne Benachteiligung gewährt,
"die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in
den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft,
in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der
Geburt oder im sonstigen Status begründet sind".
161 Gemeint sind die existentiellen Voraussetzungen der menschlichen Gesundheit im Sinne der WHO (§ 8
I.1.b.); veterinärmedizinische Zielsetzungen haben dementsprechend dem vom Eingriff betroffenen Tierembryo
zu dienen.
162 So für den Fall, dass gezielte Veränderungen tierischen Erbgutes zum Nutzen für andere Tiere oder für
Menschen inskünftig möglich sein sollten, ohne zuvor Embryonen zu verbrauchen.
163 Alle Zitate aus REFORM BV, Erläuterungen, S. 7. Ebenso REFORM BV, 1995, S. 2.