Tristan-Rezeption in deutschen Dramen des frühen 20 - Lear
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CHRISTOPH HUBER<br />
E<strong>in</strong> Aufsatz von Kamakashi Murti mit dem Titel ‚Impotenz als Impuls zu<br />
schöpferischer Tätigkeit‛ (1990) liest Markes Psychogramm als Allegorie<br />
<strong>des</strong> literarischen Schaffens und kann dafür theoretische Äußerungen Kaisers<br />
beibr<strong>in</strong>gen. Die Trennung vom Leben als e<strong>in</strong>e Art Impotenz setze den schöpferischen<br />
Akt gerade <strong>in</strong> Gang und lasse Geschöpfe entstehen, die von der<br />
Welt abgetrennt bleiben und dennoch <strong>in</strong> dieser Welt Verweiskraft über das<br />
Bestehende h<strong>in</strong>aus übernehmen. <strong>20</strong> Ob nun <strong>Tristan</strong>s und Isol<strong>des</strong> Liebe auch<br />
als literarisches Werk verstehbar ist und Marke, sich an se<strong>in</strong> Werk klammernd,<br />
den Künstler repräsentiert, der sich daran vergeht, soll dah<strong>in</strong>gestellt<br />
bleiben. 21 Jedenfalls betrachtet Kaiser die im Stoff transportierte Wahrheit<br />
kritisch. Er sieht das Palliative, Beschönigende <strong>des</strong> Stoffs und arbeitet auf<br />
e<strong>in</strong>e Entzauberung <strong>des</strong> schönen Liebesmythos h<strong>in</strong>.<br />
Die drei genannten Akzente, die Liebesunfähigkeit, das Scheitern der Erkenntnis<br />
und die Fragwürdigkeit <strong>des</strong> ästhetischen Sche<strong>in</strong>s lassen sich im<br />
philosophischen und ästhetischen Umfeld der Zeit um 1900 ausführlicher<br />
belegen, was hier nicht ausgeführt werden kann. Erstaunlicher ist es, dass<br />
damit Denkfiguren aufgegriffen werden, die auch schon der orig<strong>in</strong>är mittelalterliche<br />
Stoff anlegt und formuliert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Umfeld, das dem noch wenig<br />
aufgeschlossen gegenübersteht. Wir wenden uns im Garten <strong>des</strong> <strong>Tristan</strong>stoffes<br />
nach rückwärts. Hier f<strong>in</strong>det sich bereit die schillernde Figur e<strong>in</strong>es Marke,<br />
die vor allem bei Gottfried von Straßburg über gewisse Inkonsequenzen der<br />
Handlung h<strong>in</strong>aus zu e<strong>in</strong>em Gemälde widerstreitender Gefühle und seelischer<br />
Zerrüttung verdichtet wird. Bei der modernen Destruktion der absoluten<br />
M<strong>in</strong>ne muss man sehen, dass auch schon diese Problematik <strong>in</strong> der ursprünglichen<br />
Anlage <strong>des</strong> Stoffes angebahnt wird. Da ist die Phase der endgültigen<br />
Trennung <strong>des</strong> Liebespaares, die bewältigt werden will. Da ist <strong>Tristan</strong>s Verwirrung<br />
und se<strong>in</strong>e wenn auch zögerlich vollzogene Ehe mit Isolde Weißhand.<br />
Vor allem ist da das prekäre Zerwürfnis <strong>des</strong> Liebespaares, das Eilhart<br />
als Repräsentant der frühhöfischen Stufe <strong>des</strong> Stoffes im Anschluss an das<br />
zweite Wiederkehr-Abenteuer <strong>in</strong>szeniert. Isolde ist zornig, da <strong>Tristan</strong> sie im<br />
Kampf zu verleugnen sche<strong>in</strong>t – was aber auf e<strong>in</strong>er Verwechslung beruht. Sie<br />
stößt ihn <strong>in</strong> der Verkleidung <strong>des</strong> Aussätzigen von sich zurück und motiviert<br />
so den Vollzug der Ehe mit der Weißhand. Im großen Bogen der Viten-<br />
tuch <strong>in</strong> Markes und <strong>Tristan</strong>s Bett, das Marke der Brangäne zuschreibt s.o.] – – Es fällt über<br />
alle Geschichten herab!“ [Kaiser (1971: 454)].<br />
<strong>20</strong> Murti (1990: 116) zitiert Kaiser: „Die Impotenz macht den Dichter produktiv. Hier keimt<br />
der Wille zum Werk – hier schw<strong>in</strong>gt sich die Brücke vom Tod zum Leben – und aus solcher<br />
fürchterlicher Erfahrung geboren stellt sich das Werk als Turm <strong>des</strong> Schweigens <strong>in</strong> die Mittagswüste<br />
<strong>des</strong> Dase<strong>in</strong>s, das ohne Gärten und Wälder die Sehnsucht nach Gärten und Wäldern<br />
offenbart.“<br />
21 Gegen Murti (1990).<br />
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