Tristan-Rezeption in deutschen Dramen des frühen 20 - Lear
Tristan-Rezeption in deutschen Dramen des frühen 20 - Lear
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CHRISTOPH HUBER<br />
„Hahnreis“. Marke bemüht sich e<strong>in</strong>erseits das Liebespaar masochistisch und<br />
voyeuristisch zu verkuppeln, um sich an se<strong>in</strong>er Liebe aufzuwärmen und se<strong>in</strong>e<br />
Impotenz zu kompensieren. Er lässt <strong>Tristan</strong> offiziell <strong>in</strong>s königliche<br />
Schlafzimmer holen. Er nötigt das Paar zu e<strong>in</strong>er Bootsfahrt zu zweit und<br />
zum Schäferstündchen auf e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>samen Insel im Fischteich und so fort.<br />
Die andere Seite dieser Strategie muss dar<strong>in</strong> bestehen, die Verräter <strong>des</strong> Ehebruchs<br />
mit ihren Beobachtungen und Beweisstücken pausenlos zu widerlegen,<br />
was nur durch groteske Verrenkungen gel<strong>in</strong>gt.<br />
E<strong>in</strong> neues Motiv verleiht der Psychopathologie <strong>des</strong> Königs e<strong>in</strong>e weitere Dimension.<br />
Isolde erwähnte unter dem Akazienbaum ihren sechsjährigen Bruder,<br />
der sie mit se<strong>in</strong>en Ärmchen umschlang und die Füße <strong>in</strong> ihren Schoß<br />
stemmte. Diese Bemerkung wird <strong>in</strong> Markes Phantasie zur Bedrohung ihrer<br />
Unschuld, sie generiert e<strong>in</strong>e Kette von Folgeszenen, die sich wie e<strong>in</strong> roter<br />
Faden durch das Drama schl<strong>in</strong>gen. Marke jagt der fixen Idee h<strong>in</strong>terher und<br />
sucht bei e<strong>in</strong>em Wissenschaftler und e<strong>in</strong>em Kabbalisten zu ergründen, ob<br />
hier e<strong>in</strong>e sexuelle Handlung vorliegen konnte. Er stilisiert die Szene <strong>in</strong>s Religiöse<br />
(Maria mit dem K<strong>in</strong>d) und lässt sich von e<strong>in</strong>em jungen Priester die<br />
damit verbundenen unkeuschen Gedanken rituell austreiben, natürlich erfolglos.<br />
Es ist klar, dass der Dichter hier um 1910 e<strong>in</strong>en pathologischen Seelenzustand<br />
mit tiefenpsychologischen Dimensionen wie Narzissmus, Verdrängung,<br />
Kompensation, Affektverschiebung ausgestaltet, ohne dass diese<br />
beim Autor theoretisch vorausgesetzt werden müssen.<br />
E<strong>in</strong>e Wendung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Versuchsanordnung leitet Kaiser am Ende <strong>des</strong> 3.<br />
Aktes e<strong>in</strong>. Ausgerechnet im sogenannten „Rosenhof“ zählt Marke Isolde<br />
se<strong>in</strong>e Verdachts- und Beweisgründe her und veranlasst so das Paar zur<br />
Flucht <strong>in</strong> den Wald. Während die Masch<strong>in</strong>erie <strong>des</strong> Verrates weiterläuft,<br />
kommt es <strong>in</strong> Markes Psyche zum Dammbruch. Er bekennt sich zum Wissen<br />
und will die Flüchtigen zur Bestrafung an se<strong>in</strong>en Hof zurückholen [Kaiser<br />
(1971: 434ff.)]. Der 5. Akt stellt nun die Konstellation auf den Kopf und<br />
führt sie e<strong>in</strong>er grotesken Auflösung zu. <strong>Tristan</strong> und Isolde s<strong>in</strong>d zurückgekehrt<br />
und gestehen sich, dass ihre Liebe gerade durch Markes Kuppelei zerstört<br />
wurde. Dieser fleht sie zunächst an, das <strong>in</strong>zestuöse Dreieck fortzusetzen.<br />
Die Verewigung der Konstellation erreicht er zuletzt dadurch, dass er<br />
das Paar auf se<strong>in</strong> Schwert spießt und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em pervertierten Liebestod vere<strong>in</strong>igt.<br />
Gleichzeitig nimmt er auf diese Weise grausame Rache.<br />
In der darauf folgenden Schlussszene treibt er das Versteckspiel mit e<strong>in</strong>em<br />
neuen Beweisstück weiter. Melot meldet, er habe e<strong>in</strong> Frauentaschentuch<br />
zuerst <strong>in</strong> Markes, dann <strong>in</strong> <strong>Tristan</strong>s Bett gefunden – Isol<strong>des</strong> Taschentuch.<br />
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