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Wolfram Ette

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nicht auf mich zu beziehen. Damit ist aber schon der Keim des »Wozu« gelegt, das<br />

die Geschichte auf den Erzähler orientiert, ohne dass es im geringsten mit der fast<br />

entwaffnenden Offenheit ausgesprochen werden müsste, die Schiller in der »Idee<br />

der Universalgeschichte« an den Tag legt. In jedem Fall aber bedeutet es, der Geschichte<br />

eine ihr unangemessene dramatische Form überzustülpen. Das Drama soll<br />

ein Ganzes sein, hatte Aristoteles dekretiert: ein Ganzes mit Anfang, Mitte und Ende,<br />

die so aufeinander verweisen, dass der Anfang das noch nicht verwirklichte Ende,<br />

der Ende der verwirklichte Anfang, und die Mitte eben der Weg ist, der natürlicherweise<br />

vom einen zum anderen führt und die teleologische Gleichung realisiert. 24<br />

Ein göttlicher Erzähler hält den Mythos zusammen, und es ist dieser – bei Aristoteles<br />

ungenannt Bleibende –, der im Geschichtsschreiber wiederkehrt und die Ereignisse<br />

im Drama der Geschichte versammelt.<br />

Schiller freilich war zu aufrichtig, zu hellhörig dem Material gegenüber, um es<br />

dabei bewenden zu lassen. So kommt es zum Geschichts-Drama: offen, ambivalent,<br />

und vor allem: multiperspektivisch. Die Personen dieses Dramas reden durcheinander<br />

wie die Quellen, die einander widersprechen, ohne dass eine Lösung in Aussicht<br />

wäre. Schillers fundamentale Einsicht, die ihn von der »Idee der Universalgeschichte«<br />

über die »Geschichte des dreißigjährigen Krieges« zu »Wallenstein« führte, besteht<br />

in der Zerschlagung der Illusion, es ließe sich sagen, was wirklich gewesen. 25<br />

Selbst das Faktum, das Ereignis, ist mehrdeutig, diffus, uneigentlich. Was das einzelne<br />

ist, ist nicht zu sagen, sondern allein, wie das einzelne miteinander zusammenhängt.<br />

Deswegen ist es im letzten nicht erheblich, herauszufinden, was Wallenstein<br />

wirklich wollte, ob Octavio Piccolomini – er ist ja mindestens so umstritten<br />

wie Wallenstein – ein Ehrenmann ist oder ein Karrierist. Es ist nicht möglich, und<br />

auch nicht die Aufgabe des Historikers, verfasse er nun eine Abhandlung oder ein<br />

Drama, zu klären, ob Wallenstein ein politischer Visionär von europäischem Format<br />

war oder ein machtbesessener, von der Gunst der Umstände aufgeblähter<br />

Duodezfürst; das interessiert ebensowenig wie die Frage, ob der Brief, mithilfe dessen<br />

Octavio Buttler zur tödlichen Spitze der Verschwörung gegen Wallenstein umschmiedet,<br />

echt ist oder gefälscht. 26 Das Drama, das keine organisierende Zentralinstanz<br />

kennt, sondern lediglich dezentral aufeinander wirkende Kommunikationsakte,<br />

kann diese Dinge in ihrer Unentschiedenheit (und Unentscheidbarkeit) stehen<br />

lassen. Damit verhilft sie der Geschichte zu ihrem Recht. Das Drama – dieses maßlos<br />

über seine Ränder bordende dramatische Gedicht – ist die wahre Geschichtsschreibung.<br />

Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen. 27 Es geht nicht um Wallenstein. Es<br />

geht noch nicht einmal um die Rechtfertigung von etwas, was allein der auf seinen<br />

Standtort fixierte Historiker Verbrechen zu nennen sich anmaßen kann. Nein, es ist<br />

Schiller im Wortsinn um Erklärung zu tun: um die Analyse der Maschinerie, die das<br />

»Verbrechen« herbeiführte und als Verbrechen erscheinen ließ. Schiller entdeckt die<br />

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