08.11.2013 Aufrufe

BLICK

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

HistorischeS<br />

13<br />

nach. Aber Omas Küche war anders. Es duftete gemütlich und schmeck-<br />

-<br />

potthast, o westfälisches Stielmus! Nie wurde man eurer überdrüssig!<br />

In Straeters Haus lebten mehrere Generationen zusammen. Die beiden<br />

Uralten wurden leise belächelt, aber geehrt. Sprichwörtlich waren die Bescheidenheit<br />

des Ehepaares, sein bürgerliches Ansehen und sein immerwährendes<br />

Wohlwollen gegen Kinder und Kindeskinder. Die ersten Urenkel<br />

wurden geboren. Karl Straeter starb kurz darauf im Frühling 1971, Hedwig<br />

im Herbst. Schon zwei Jahre zuvor hatte ihre Schaffenskraft sie gänzlich<br />

verlassen. Zu diesem Zeitpunkt übernahm die Tochter ihre Versorgung<br />

und wünschte sich eine moderne Küche: „Raus mit Omas ollen Brocken!“<br />

Da verschwand noch zu Lebzeiten der altgedienten Urgroßmutter manches<br />

Zeugnis von ihrem stillen und klugen Wirken.<br />

Aber ich traf bei der Neuerung auch auf eine g u t e F e e, die sie stets<br />

in ihrem guten Tun begleitet hatte. Verborgen in einem wackeligen Vertiko<br />

Goldschrift zierten den Einband außen, Schmuckbuchstaben und reiche<br />

Illustrationen das Innere. Auf dem Vorsatzblatt prangte eine Widmung<br />

in gestochener Handschrift: „Unserer lieben Cousine Hedwig mit herzlichem<br />

Glückwunsch zur Verlobung - - Cousine Emma und Vetter Fritz,<br />

29.9.1900“.<br />

Ein wahrer Schatz war gehoben!<br />

Die beiden Buchtitel lauteten:<br />

„Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche“<br />

„Die Hausfrau, eine Mitgabe für angehende Hausfrauen“<br />

Ihre Autorin war H e n r i e t t e D a v i d i s.<br />

Wer kannte noch diese<br />

geheimnisvolle<br />

Lehrmeisterin? „Man<br />

nehme 20 Eier...“,<br />

zitierten die älteren<br />

Verwandten, „und<br />

in Berghofen soll sie<br />

geweilt haben...“, erzählten<br />

sie.<br />

Was ich selber unter<br />

der Überschrift „Zueignung“<br />

im Band<br />

„Die Hausfrau“ las,<br />

wehte mir im Jahr<br />

1969 mitten im Zeitalter<br />

der Studentenrevolten<br />

und des<br />

Feminismus wie ein<br />

lavendelblauer Gruß<br />

von Herrn und Frau<br />

Biedermeier entgegen:<br />

„Daß dir ziehe Glück ins Haus, schaue nicht zu weit hinaus!<br />

Früh zur Arbeit, früh zur Ruh, nicht am Tag die Augen zu!<br />

Handle wahr, regiere klar, lebe mäßig, zahle bar!<br />

Halt den Frieden ja recht neu, bleibe deiner Liebe treu!<br />

Öffne gern dein Herz der Not, wo es fehlt am täglich Brot!<br />

Lade nicht der Gäste viel, die da suchen Wein und Spiel,<br />

doch willkommen sei der Freund, der es treu und redlich meint!<br />

Und noch eins: Dem Herrn zum Heil, so hast du das beste Teil!<br />

Und das Glück – es kehret ein, wär die Hütte noch so klein.“<br />

Zur Spurensuche Henriette Davidis´ müssen wir tatsächlich mehr als 200<br />

Jahre zurückgehen. Sie wurde am 1. 3. 1801 in (Wetter-) Wengern geboren,<br />

mitten in der schrecklichen Zeit, als Napoleons Machtanspruch Leid und<br />

Elend über Europa brachte. Sie entstammte einer Familie, die drei Generationen<br />

evangelischer Pfarrer hervorgebracht hatte. Obwohl zweimal<br />

verlobt, hat Henriette nie geheiratet. Beide Male verstarben die jungen<br />

Männer früh. So musste sie sich nach einem Broterwerb umsehen. Berufliche<br />

Tätigkeiten für Bürgertöchter gab es kaum, ausgenommen das Amt<br />

der Gouvernante oder der Haushälterin, wenn man unverheiratet blieb. -<br />

So beschäftigt sich ein Kapitel in ihrer „Hausfrau“ auch mit dem „Beruf<br />

der Jungfrau“.<br />

Genauere Abhandlungen zu diesem Thema erschienen 1857.<br />

Henriette war ein Wanderleben beschieden. Nach dem Besuch der höheren<br />

Töchterschule Schwelm von 1817 bis 18 und einer pädagogischen<br />

Ausbildung in Wuppertal sehen wir sie für vier Jahre als Erzieherin und<br />

Köchin auf dem Gut Oberste Frielinghaus in (Witten-) Bommern.1828<br />

lebt sie bei ihrer inzwischen verwitweten Mutter in Wengern, und 1838<br />

begleitet sie eine adelige Dame in die Schweiz. In den Jahren 1840 bis<br />

41 bereist sie Windheim (Weser), Stemwede und Medebach. Als Leiterin<br />

der Mädchen-Arbeitsschule verdient Henriette ihren Lebensunterhalt von<br />

1840 bis 48 in Sprockhövel.<br />

Ihre reichen Erfahrungen legt sie von 1840 an als Schriftstellerin<br />

in Kochbüchern und Anleitungen zu Hauswirtschaft und Gartenbau<br />

nieder. Auch schreibt sie Gedichte und verfasst sogar Kinderbücher:<br />

„Puppenköchin Anna“ und „Das Blumenkochbuch“.<br />

Von 1857 bis zu ihrem Tod 1876 lebt sie als freie Schriftstellerin in verschiedenen<br />

Dortmunder Stadtteilen. Eine letzte Wohnung bezieht sie in<br />

der Kaiserstraße 30. Ihr Grab kann man auf dem alten Ostenfriedhof<br />

(heute Ostfriedhof) besuchen. Es liegt direkt beim Haupteingang rechts.<br />

Henriettes Aufenthalt in Berghofen im Jahre 1874 ist durch Briefe dokumentiert.<br />

Angaben hierzu verdanken wir Herrn Pastor i. R. Walter Methler, der 1994<br />

das Davidis-Museum in Wengern gegründet hat und es liebevoll betreut.<br />

Henriettes Schriften waren bekannt und geschätzt.<br />

Das Kochbuch und das Hausfrauenbuch aus Uroma Straeters Nach-<br />

-<br />

folgerinnen von Henriette Davidis haben ihre Bücher bis weit ins 20.<br />

Jahrhundert überarbeitet und modernen Erkenntnissen angepasst.<br />

Reich ist die Autorin gewiss nicht geworden. Ihre Verleger haben jedoch gut<br />

durch sie verdient. Julius Baedecker, August Klasing, Heinrich Vieweg, Au-<br />

Fräulein Davidis nicht immer pünktlich und nicht immer großzügig entlohnt.<br />

Der Maler Fritz Reiss war der Illustrator ihrer frühen Texte. Es weht ein<br />

besonderer Geist aus Henriettes Büchern. Sie wollte in ihrem schriftstellerischen<br />

Werk zur mustergültigen Ausbildung zukünftiger Ehefrauen<br />

und Mütter beitragen und Unverheiratete zu gewissenhaftem<br />

Dienst auf entsprechenden Vertrauensposten anleiten. Das war im 19.<br />

Jahrhundert sicher richtig und den Verhältnissen angemessen. Gottesfurcht,<br />

Vaterlandsliebe, Sittsamkeit, Verantwortungsgefühl für<br />

die Großfamilie samt Hausgesinde, Redlichkeit, Mildtätigkeit sowie<br />

Wie „Frau Lehrer Straeter“ waren Tausende von Bürgertöchtern allein für<br />

die Ehe und Familie erzogen. Damals war ein Haushalt eine kräfteverzehrende<br />

Maschinerie – ohne heutige Verfahren und Hilfsmittel. – Henriette<br />

Davidis sprach den jungen Frauen Mut zu. So hat auch manche<br />

Berghoferin deren Ermahnungen verinnerlicht und ihren Rat beherzigt.<br />

Wer konnte im Verlobungsjahr von Karl und Hedwig Straeter Anno 1900<br />

oder früher schon den Wandel unserer Gesellschaft voraussehen?

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!