Ingolf Hübner – Theologische Facette - (GIB) e.V.
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Stande setzt, ethisch zu fragen, die ihm seine Würde verleiht. Nur geschenkte<br />
Freiheit <strong>–</strong> oder wie Luther sagte, allein aus Gnade <strong>–</strong> ermöglicht ein<br />
Lebensverständnis der gerechtfertigten Christen. Die biblische Botschaft von der<br />
Menschenfreundlichkeit Gottes, die in Jesus Christus sichtbar geworden ist,<br />
unterbricht die Logik des Wertens und Umwertens. Für Luther war es klar, dass dazu<br />
jeder Christ aufgerufen und in der Lage sei. Ein Christenmensch <strong>–</strong> das ist der sich<br />
auf Gott verlassende und so selber wahr werdende Mensch <strong>–</strong> tut „frei, fröhlich und<br />
umsonst“, was Gott wohl gefällt. „Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche<br />
Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle<br />
andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde“, so schloss Luther 1520 seine<br />
Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Dahinter steht die Überzeugung,<br />
dass ethisch verantwortliches Handeln für Menschen, die aus solch einer Freiheit<br />
leben, das Selbstverständliche ist, das aus ihrem von Zwang befreiten<br />
Gottesverhältnis folgt. Man könnte es auch so formulieren, dass all das, was im<br />
Diskurs über Werte gesucht wird, das ist, was der befreite oder der wahre Mensch<br />
aus seinem Selbstverständnis heraus tut.<br />
3. Würde und Wert<br />
Es wäre allerdings <strong>–</strong> theologisch gesprochen <strong>–</strong> problematisch, diese<br />
Selbstverständlichkeiten als Werte zu bezeichnen, auch nicht als neue oder<br />
christliche Werte. Einerseits haben Selbstverständlichkeiten den Charakter,<br />
unhinterfragt und unreflektiert Vorgaben zu machen und der Diskurs über Werte<br />
dient ja gerade der Reflexion von Vorgaben. Andererseits geht es bei dem, was<br />
aus der Bedingungslosigkeit der Zusage der Gnade Gottes folgt, um etwas<br />
Grundlegenderes.<br />
Es geht um eine Orientierung am personalen Liebesgebot statt an unpersönlichen<br />
Werten. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Das personale Liebesgebot „Du<br />
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18 = Mt 22, 39) läuft<br />
nicht auf eine überzogene Emotionalisierung aller zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen hinaus. Vielmehr geht es um die Achtung der unbedingten Würde<br />
jedes Menschen. Zur unbedingten Menschenwürde gehört eine Kultur der<br />
Anerkennung, die nicht bestimmte Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens<br />
oder bestimmte Gruppen <strong>–</strong> zu Betreuende, Pflegebedürftige oder Sterbende <strong>–</strong> von<br />
dieser Anerkennung ausschließt. Zwar sollte das Menschenwürdeargument nicht<br />
uferlos verwendet werden, indem man jede Einzelfrage unmittelbar auf die<br />
Menschenwürde zurückgeführt, wie es zuweilen in sozial- und bioethischen Debatten<br />
vorkommt. Aber es geht darum, dass die unantastbare Würde der<br />
menschlichen Person nicht mit anderen kommensurablen Werten verwechselt<br />
wird.<br />
Zur Vorstellung von Wertüberzeugungen und einer daraus resultierenden<br />
Orientierung gehört das Abwägen und der Konflikt zwischen Werten. Nicht nur der<br />
permanente Wertkonflikt zwischen dem ökonomisch Möglichen und jeweiligen<br />
Wertsetzungen, sondern auch die Abwägung zwischen grundlegenden Werten wie<br />
Freiheit und Sicherheit gehören zur Werteorientierung. Gerade wenn wir Werte<br />
nicht (wie etwa in der materialen Wertethik Max Schelers) als ungeschichtliche<br />
Vorgaben sondern als kulturelle Konstrukte, als Ergebnisse unserer Zuschreibung<br />
denken, dann gehört das Aushandeln zur Wertedebatte.<br />
Damit dieser notwendige Verständigungsprozess aber nicht durchschlägt auf die<br />
Grundlagen unserer Existenz und unseres Zusammenlebens, darf die Achtung der<br />
Menschenwürde nicht mit der Anerkennung eines Wertes verwechselt werden.