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Ingolf Hübner – Theologische Facette - (GIB) e.V.

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Leitwerte vorzugeben, steht in der Gefahr, postulierend Forderungen vorzugeben<br />

und nicht im Gegenüber Gemeinsamkeiten auszuhandeln.<br />

Führen und Betreuen, das sind zwei Verben, die klassische Formen sozialer Arbeit<br />

beschreiben. In diesen Tätigkeiten geht es um das Stiften von Sozialität, d. h.<br />

wechselseitiger sozialer Verbindlichkeit. Sowohl beim Strukturieren und Steuern<br />

eines Bereiches als auch bei der helfenden und betreuenden Zuwendung geht es<br />

um die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Allerdings sind beide<br />

Tätigkeiten auch von einer ihnen innewohnenden Asymmetrie geprägt. Einerseits<br />

folgen aus der Tatsache, dass Menschen unterschiedlich große<br />

Verantwortungsbereiche und Einflussmöglichkeiten haben und dabei auch über<br />

andere Menschen entscheiden können und müssen, Ungleichheiten und<br />

Differenzen. Andererseits bedeutet allein schon die Notwendigkeit, sich helfen oder<br />

betreuen lassen zu müssen, Abhängigkeiten, die leicht in Benachteiligungen<br />

umschlagen können. Führen als ein richtungsweisendes Einwirken auf das<br />

Verhalten anderer Menschen kommt ebenso wie das Betreuen als Kompensation<br />

fehlender Ressourcen Anderer nicht ohne Vorgaben und Entscheidungen aus.<br />

An dieser Stelle haben wir es mit einer doppelten Schwierigkeit zu tun. Zum einen<br />

stehen ethische Maßstäbe <strong>–</strong> und seien es Selbstverständlichkeiten <strong>–</strong> in der Gefahr,<br />

zu unterscheidenden und abqualifizierenden Grenzziehungen zu werden. Wer<br />

kann schon genau zwischen fachlichen Vorgaben und Wertentscheidungen<br />

gegeneinander abgrenzen? Zum anderen scheint die Asymmetrie des Helfens es<br />

zu befördern, dass dieses stellvertretende, ersetzende Handeln für andere Festlegungen<br />

trifft, die leicht mit deren Selbstbestimmung in Konkurrenz treten können.<br />

Wer kann schon bis in die Art und Weise hinein, wie eine Hilfe- oder Betreuungsleistung<br />

ausgeführt wird, eigene Wertüberzeugungen hinter denen von anderen<br />

zurückstellen oder wenigstens mit denen anderer abgleichen?<br />

Nach meiner Wahrnehmung wird zwar in der Behindertenhilfe mit diesen Fragen<br />

sehr bewusst und professionell umgegangen. Aber diese beiden Schwierigkeiten<br />

können durch professionalisiertes, routiniertes Handeln, gerade wenn es unter Zeitdruck<br />

geschieht, sich auch verschärfen. Einerseits wird im professionalisierten,<br />

routinierten Handeln die gemeinsame Zielvorstellung und Orientierung nicht immer<br />

erneut ausgehandelt, andererseits scheint unter zeitökonomischen Aspekten zuerst<br />

an Zeiten der Rückfrage und Rückkopplung gespart zu werden. Das bedeutet,<br />

dass insbesondere die Wertsetzungen derer, die von den Vorgaben anderer<br />

anhängig sind, weniger Beachtung finden.<br />

Aber Zeitdruck stellt für die Handelnden selbst, die in Führungspositionen arbeiten<br />

oder denen die Betreuung anderer anvertraut ist, eine besondere Herausforderung<br />

dar. Ethische Wertüberzeugungen stellen als Teil der personalen Identität eine<br />

intrinsische Motivation dar, die mit mangelnder Zeit als extrinsische Einschränkung<br />

kollidieren können. Knappe Zeitvorgaben nötigen nicht nur, unter den Werten<br />

Prioritäten zu setzen <strong>–</strong> also auch Werte zu missachten <strong>–</strong>, sondern sie können insgesamt<br />

zu einer Anfrage an die Wertüberzeugungen werden, die hinter sozialer<br />

Arbeit stehen.<br />

Allen in der sozialen Arbeit Engagierten ist bewusst, dass es neben dem Zeitdruck,<br />

der zum guten Teil Ausdruck eines harten wirtschaftlichen Druckes ist, andere<br />

Zwänge gibt, die sich auf die Wertüberzeugungen auswirken. Wichtig ist es deshalb,<br />

dass heute zur Professionalisierung der sozialen Arbeit auch die bewusste

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