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Sehnsucht nach Sicherheit

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<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sicherheit</strong><br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sicherheit</strong><br />

Nachbarschaftsnetzwerke werden immer wichtiger. Damit soll zunehmender<br />

Einsamkeit der Bewohner und Verwahrlosung der Immobilien begegnet werden<br />

Nirgends fühlt sich der Mensch so sicher wie in den eigenen vier Wänden. Doch das Gefühl der<br />

Geborgenheit schwindet schnell, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft die Regeln gebrochen<br />

werden - selbst wenn er davon nicht persönlich betroffen ist.<br />

Graffiti oder zerborstene Scheiben sind für manche Mieter und Eigentümer hinnehmbar, für die<br />

Mehrheit jedoch nicht, wie eine Studie des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und<br />

Immobilienunternehmen (GdW) zeigt. Nur 34 Prozent der Menschen würden demzufolge die<br />

Wohnung für einen besseren Arbeitsplatz wechseln, 60 Prozent aber umziehen, wenn sie sich<br />

durch Kriminalität bedroht fühlten. Zusätzlich seien Nachbarschaften heute "weniger stabil, und<br />

Kontakte dünnen aus", warnt die Studie.<br />

Zwar ist, wie Experten immer wieder feststellen, die gefühlte Bedrohung keineswegs identisch<br />

mit der realen. Denn jene, die sich am meisten vor Einbrechern oder Gewalttätern fürchten, ältere<br />

Frauen, fallen von allen Bevölkerungsgruppen am seltensten einem Verbrechen zum Opfer. Jene<br />

dagegen, die sich stark wähnen, männliche Jugendliche, werden am häufigsten ausgeraubt oder in<br />

Schlägereien verwickelt.<br />

Doch die gefühlte Realität wirkt mächtiger als die faktische. "Kriminalitätsfurcht", nennt das<br />

Lutz Freitag vom GdW. "Sie ist der größte Umzugstreiber." In Gebieten mit hoher<br />

Kriminalitätsfurcht müssen sich Haus- und Wohnungsbesitzer Sorgen um Werteverlust machen.<br />

Was aber ist zu tun? In den USA zieht es immer mehr Menschen in sogenannte Gated<br />

Communities, umzäunte Siedlungen mit Zutrittskontrolle und eigenem Wachdienst. Die<br />

geschützten Gemeinden werden komplett von einem Wohnungsunternehmen errichtet und<br />

vermarktet, mit teils restriktiven Bedingungen für die weitere Haus- und Gartengestaltung. 260<br />

000 solcher Siedlungen soll es in den USA bereits geben.<br />

Entsprechend Aufsehen erregte es, als 1998 auch in Deutschland ein Gated-Community-Projekt<br />

startete, das "Arcadia" in Potsdam. Doch mit seinem Slogan "Es war schon immer etwas<br />

Besonderes, sicher und schön zu wohnen" hatte sich der Immobilienentwickler Klaus Groth<br />

verkalkuliert. Kaum jemand war bereit, 14 000 Euro pro Quadratmeter für die umzäunten<br />

Wohnungen zu bezahlen. "Arcadia" ging in den Besitz einer Bank über. Viele Wohnungen sind<br />

mittlerweile zu ortsüblichen Preisen zwischen 3000 und 4000 Euro pro Quadratmeter verkauft.<br />

<strong>Sicherheit</strong>, analysiert der Mainzer Humangeograph Georg Glasze, sei nur eines unter vielen<br />

Argumenten, in eine geschlossene Siedlung zu ziehen: "In den Vereinigten Staaten bedienen<br />

Gated Communities vor allem die <strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> einer neuen Verankerung in einer kleinen<br />

Gemeinschaft, die harmonisch funktioniert."<br />

http://www.wams.de/data/2006/02/12/843932.html?prx=1 (1 von 2)15.02.2006 11:24:49


<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sicherheit</strong><br />

In die gleiche Richtung weisen Vorschläge, die die GdW ihren Mitgliedern zum Thema Sichere<br />

Nachbarschaften macht. In Deutschland gelten jedoch Überwachungskameras und<br />

<strong>Sicherheit</strong>sdienste höchstens als zusätzlicher Mosaikstein in größeren Konzepten, die auf<br />

Nachbarschaftshilfe und Konfliktvermeidung setzen. Da wird etwa der Einsatz von Concierges<br />

<strong>nach</strong> dem Vorbild alter Pariser Bürgerhäuser diskutiert oder über Anwohnerkomitees, die Regeln<br />

für den täglichen Umgang miteinander entwerfen. Mieterkomitees, so ein weiteres Projekt,<br />

könnten auch Streitigkeiten unter den Nachbarn moderieren.<br />

Als noch unausgereift erwies sich dagegen die Idee, die Nachbarschaft vor der Neubelegung von<br />

Wohnungen um ihre Meinung zu fragen. Gerade die Auswahl von Mietern aber ist ein zentraler<br />

Punkt für die Entwicklung von Vierteln, entweder zum Getto oder zum bunten und gleichzeitig<br />

friedlichen Quartier. Im Haus homogen, im Viertel stark gemischt - das gilt derzeit vielen<br />

Experten als eine probate Faustregel für friedliches Zusammenleben.<br />

Für Irritationen sorgt derzeit, etwas unerwartet, das Antidiskriminierungsgesetz, das in den<br />

Gremien des Bundes beraten wird. Nach derzeitigem Diskussionsstand sollen Vermieter künftig<br />

beweisen, daß die Wohnung ohne Diskriminierung vergeben wurde. Nicht nur entstünde ihrer<br />

Ansicht <strong>nach</strong> ein Bürokratie-Monster, auch würde jeglicher Versuch einer individuellen<br />

Vermietungspraxis in sensiblen Wohngemeinschaften konterkariert. Christian Tröster<br />

Artikel erschienen am 12. Februar 2006<br />

© WAMS.de 1995 - 2006<br />

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