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Verspielte Exzellenz - Geographisches Institut

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Rubrik Johannes Gutenberg-Universität<br />

Quelle Süddeutsche Zeitung vom 02.09.2008, Seite 14<br />

Ressort Feuilleton<br />

Copyright SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung<br />

GmbH, München<br />

<strong>Verspielte</strong> <strong>Exzellenz</strong><br />

Der Abbau der Orientforschung an der Mainzer Universität<br />

Allenthalben beklagt wird die erschreckende Unkenntnis über den Islam und die Lebenswelten von rund 3,5<br />

Millionen in Deutschland lebenden Muslimen. Alles redet über Kopftücher, Moscheen und Minarette, doch selbst<br />

unter Politikern und Intellektuellen besitzt kaum jemand ein fundiertes Wissen über islamische Geschichte, Ideen<br />

und Gebräuche und über die mannigfachen Formen des Wandels orientalischer Gesellschaften unter den Prozessen<br />

der Modernisierung und der Migration. Vor allem nach dem 11. September 2001 sollte dem traumatisch<br />

angewachsenen Aufklärungsbedarf endlich abgeholfen werden. Wissenschaften und Fachgebiete, denen bis dahin<br />

nur ein akademisches Schattendasein beschieden war, traten plötzlich aus ihrer orchideenhaften Lage hinaus in das<br />

grelle Licht einer Öffentlichkeit, die nach Aufklärung und Expertise verlangte.<br />

So war es auch noch im September 2002, als unter großer öffentlicher Anteilnahme in Mainz der erste Weltkongress<br />

der Orientalisten (WOCMES) stattfand. Rund zweitausend Teilnehmer aus allen Weltregionen und Fachdisziplinen<br />

von der Archäologie bis zur Zukunftsforschung waren anwesend, und in den Sektionen fanden selbst israelische und<br />

arabische Forscher das Gespräch miteinander. Mit Warnungen vor der erschreckenden Unwissenheit der politischen<br />

Entscheidungsträger im Westen und vor den - bald darauf eingetretenen und bis heute ungelösten – katastrophalen<br />

Folgen eines neuen Kriegs gegen den Iran ging der Kongress damals zu Ende. Zugleich registrierte der Mainzer<br />

Geograph Günter Meyer als Veranstalter aber "eine gigantische Nachfrage nach Wissen und kompetenten<br />

Gesprächspartnern" innerhalb wie außerhalb der akademischen Welt.<br />

Auf eigene Faust und Rechnung<br />

Als Frucht dieses von dem jungen Islamwissenschaftler Jörn Thielmann damals organisierten Kongresses war an der<br />

Mainzer Johannes Gutenberg Universität - fest eingebunden in das interfakultative Zentrum für interkulturelle<br />

Studien (ZIS) - und unter Thielmanns Geschäftsführung das "Kompetenzzentrum Orient-Okzident Mainz" (KOOM)<br />

entstanden. Die Idee und die Mittel zur Gründung von "Kompetenzzentren" als innovativen Stätten der Vereinigung<br />

von Lehre, Forschung und Beratung war aus dem zuständigen rheinland-pfälzischen Ministerium gekommen. Dort<br />

hatte man sich auch den etwas gespreizt klingenden Namen erdacht, dessen nordrhein-westfälisches Äquivalent -<br />

vornehmer noch - "Center of Excellence" lautet. Zwei Jahre danach nahm das Mainzer Ministerium von weiteren<br />

Schöpfungen unter diesem Namen schon wieder Abstand. Trotz einer erfolgreichen, auch international anerkannten<br />

Arbeit, die historisch, philologisch und geistesgeschichtlich fundiert und zugleich stark gegenwartsbezogenen war,<br />

sind die für das Mainzer Zentrum bereitgestellten Landesmittel demnächst aufgezehrt.<br />

Gegenwärtig, obgleich sein Vertrag bereits ausgelaufen und er seit dem 1. August arbeitslos gemeldet ist, führt Jörn<br />

Thielmann die Geschäfte seines Ein-Mann-<strong>Institut</strong>s auf eigene Faust und Rechnung weiter. Passend zur Rückführung<br />

in die Schattenlage, unter der man Orchideen auch verkümmern lassen kann, hütet er nahe beim Botanischen Garten<br />

der Universität ein kleines Büro in einem alten Gemäuer. Besucht man ihn dort hinter gigantischen Papierbergen, so<br />

stellt sich die kafkaeske Vision ein, man könnte Jörn Thielmann von administrativer Seite womöglich auch ganz<br />

vergessen, auf dass er als akademischer Hungerkünstler an Ort und Stelle selbständig weiterarbeite. Tatsächlich aber<br />

hat man es hier mit einem Lehrstück davon zu tun, wie einfältig und wie leichtfertig in den aufgeregten<br />

akademischen Stafettenläufen um den goldenen Esel geliehener oder verliehener "<strong>Exzellenz</strong>en"- jene symbolischen<br />

Kapitale, die die Universitäten selbst längst besitzen - verspielt und verscherbelt werden. Mit einem Querschnitt zum<br />

Thema Islam hatte sich die Mainzer Universität, die über viele profilierte, wenn auch über Fächer und Fakultäten<br />

hinweg verstreute Ressourcen verfügt, an der universitären "<strong>Exzellenz</strong>initiative" des Bundes und der Länder<br />

beteiligt. Doch kaum war man aus der Endrunde ausgeschieden, war die Sache selbst wieder vergessen.<br />

Jörn Thielmann wird auf seinem Stuhl nicht kleben bleiben; schon im nächsten Jahr hat er einen neuen Job: In<br />

Erlangen baut er ein "Zentrum für Islam und Recht in Europa" auf, das sich zunächst mit den Fragen der Einführung<br />

eines islamischen Religionsunterrichts in den Schulen befassen wird. Gleichwohl würde er in Mainz, als Frucht der<br />

dort jahrelang geleisteten Arbeit, gerne auch etwas institutionell Bleibendes zurücklassen. Noch ungewiss ist jedoch<br />

das Schicksal einer stattlichen Präsenzbibliothek, die durch das Nebeneinander des vielleicht gezielt Gesuchten mit


dem überraschend Entdeckten besticht und die Themen "Muslime in Deutschland und Europa", "Ethnologie des<br />

Islam" und "Orient-Okzident-Beziehungen" auffächert.<br />

In der engen Verbindung von Forschung, Lehre und außeruniversitärer Beratung ist dieses Mainzer Zentrum ein<br />

Unikat in der Wissenschaftslandschaft. So erläuterte Thielmann als Gutachter im hessischen Kopftuchstreit den<br />

Parlamentariern, dass es in muslimischen Lebenswelten unendlich viele Gründe gebe, ein Kopftuch zu tragen oder es<br />

auch zu lassen. Außeruniversitären Feldern widmeten sich aber auch die in empirisch-soziologischen Studien<br />

geleisteten Forschungen, wenn auch nicht ohne Theorieverzicht: Georg Simmel und Clifford Geertz, Foucault und<br />

Bourdieu im Kopfe, verbindet Thielmann den Anspruch, ethnographisch zu arbeiten und lokale wie regionale<br />

Feldforschung zu betreiben, mit der Bereitschaft, wie er sagt, "in ein Themengebiet quasi hineinzufallen" - ohne Netz<br />

und doppelten Boden.<br />

Von seinen Feldstudien berichtet er, allerorten auf das "offensive Beharren" von Muslimen "auf Differenz", auf<br />

"Anerkennung ihrer Unterschiedlichkeit" gestoßen zu sein. Erzeuge dies auch "massive Irritation in Politik und<br />

Öffentlichkeit quer durch Europa", so entscheide sich "an dem Umgang mit diesen Forderungen, ob Europa zu<br />

seinen mühsam erkämpften Errungenschaften von Gleichheit und Freiheitsrechten steht und Muslime in diese Güter<br />

einzubeziehen bereit ist". "Orient und Okzident" unter den Bedingungen von "Differenz und Gleichheit" - wenn das<br />

kein großes Projekt ist und noch manches Zentrum wert sein sollte.<br />

VOLKER BREIDECKER

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