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Kurs 7.6: Überall ist Mittelalter - Werner Knoben

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<strong>Kurs</strong> <strong>7.6</strong> – »<strong>Überall</strong> <strong>ist</strong> <strong>Mittelalter</strong>« Akademie Roßleben 2006-7<br />

2.1.4 Herrschaft – über wen?<br />

Wenn man über Herrschaftsstrukturen im <strong>Mittelalter</strong> spricht, muss man beachten, dass die Regenten nicht<br />

über das eigentliche Territorium, sondern über die im Reich lebenden Personen herrschten (sogenannter Personenverbandsstaat).<br />

Deshalb <strong>ist</strong> die Idee des 19. Jahrhunderts, die Entwicklung hin zu den heutigen Staaten<br />

Frankreich und Deutschland, die im <strong>Mittelalter</strong> ihren Ausgang nahm, sei zwangsläufig gewesen, von dem<br />

Wunsch geprägt, die Anfänge der eigenen Nationen möglichst früh anzusetzen, und daher anachron<strong>ist</strong>isch.<br />

2.1.5 Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Grundstein für das heutige Europa im frühen <strong>Mittelalter</strong> gelegt<br />

worden <strong>ist</strong>. Gockel und Adler sind also aus einem Ei geschlüpft, das heißt, Frankreich und Deutschland haben<br />

beide ihren Ursprung im Reich Karls des Großen.<br />

Im Moment beobachten wir eine neue Entwicklung von den Nationalstaaten in Richtung eines geeinten Europas.<br />

Es bleibt die Frage, ob sich mit einem geeigneten politischen Rahmen eine solche europäische Einheit<br />

entwickeln könnte. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein starker politischer Rahmen maßgeblich zur Bildung<br />

eines gemeinsamen Bewusstseins beiträgt.<br />

2.2 Die Normannen<br />

(Marius Lemm)<br />

2.2.1 Einleitung<br />

Ein grundlegendes Phänomen im Bereich der nationalen und ethnischen Identitäten <strong>ist</strong> die Prägung oder sogar<br />

Absorption einer Kultur durch eine andere. Häufig geschehen Beeinflussungen dieser Art durch erobernde<br />

Völker, die versuchen, den Bewohnern der von ihnen besetzten Länder ihre Sprache, Werte und u.U. auch ihre<br />

Religion zu oktroyieren.<br />

Es lassen sich jedoch auch umgekehrte Entwicklungen feststellen, in deren Verlauf sich die militärisch siegreichen<br />

Völker in ihrer Kultur den von ihnen eroberten Völkern anglichen. Ein Beispiel hierfür stellt das Verschwinden<br />

der normannischen Kultur dar, die sich in Europa seit dem 9. Jahrhundert ausgedehnt hatte, dann aber<br />

zusehends – vor allem im eroberten England – zurückgedrängt wurde. Die Gründe hierfür sollen im Folgenden<br />

dargelegt werden.<br />

2.2.2 Die Normannen<br />

Um die Frage zu beantworten, ob und auf welche Weise die normannische Kultur verdrängt wurde, <strong>ist</strong> es<br />

zunächst notwendig, diese genauer zu umreißen.<br />

Der Name »Normannen« (»Nordmannen«) <strong>ist</strong> ein von den festländischen Europäern künstlich festgelegter<br />

Sammelbegriff für die kriegerisch-rauen Skandinavier. Ihre Überfälle (vorwiegend auf England und Frankreich)<br />

ab dem 6. Jahrhundert wurden zum Inbegriff von Schrecken und Chaos, nicht zuletzt weil sie oftmals zu Krisenzeiten<br />

in den überfallenen Reichen bzw. Regionen verübt wurden. Der Ruf der Normannen als furchtlose<br />

und grausame Plünderer begann sich zu verselbstständigen; nicht selten wurde eine der normannischen Kaperfahrten<br />

als Strafe Gottes aufgefasst. Die hoch entwickelte Schiffsbautechnik verschaffte den Normannen<br />

nicht unerhebliche militärische Vorteile und führte u.a. 911 auch über die direkte Bedrohung von Paris durch<br />

die Seine hinauffahrende Langboote zum Erhalt größerer Gebiete im Norden Frankreichs, daher auch der heutige<br />

Name der Region: Normandie. Die Normandie war zwar Teil des Fränkischen Reiches, genoß jedoch als<br />

eigenes regnum weitgehende Unabhängigkeit 4 .<br />

Im Folgenden wird exemplarisch die Identität der nordfränkischen Normannen behandelt. Sie <strong>ist</strong> entscheidend<br />

für die Beantwortung der Frage, warum sich die Normannen in England nicht durchsetzen konnten.<br />

2.2.3 Die Normandie<br />

Obwohl sich die Normannen unter ihrem Fürsten Rollo in der Normandie niederließen und von weiteren Plünderfahrten<br />

absahen, bedeutete dies nicht, dass sie begonnen hätten, ein friedliches oder gar bäuerliches Leben<br />

zu führen. Vielmehr wurde ihre kriegerische Tradition in zahlreichen Nachbarschaftskonflikten, vornehmlich mit<br />

Bretonen und Flamen, fortgesetzt und sorgte für eine kontinuierliche Intensivierung des Zusammengehörigkeitsgefühls.<br />

Dennoch blieben die Normannen keineswegs das typisch nordische, grobschlächtige Volk, als<br />

4 Siehe Hugh M. Thomas, The English and the Normans. Ethnic Hostility, Assimilation and Identity 1066-c.1220, New York 2003 für eine<br />

detailliertere Beschreibung der normannischen Herrschaftsstruktur.<br />

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