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Anwaltsblatt 2005/06 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Abhandlungen<br />

der Problematik anonymer Zeugen in Form von V-Männern 36 ) und<br />

verdeckten Ermittlern 37 )] etc) werden vom EGMR als besondere<br />

Aspekte des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren betrachtet.<br />

38 )<br />

Die in den genannten Bestimmungen zum Ausdruck kommenden,<br />

jedem Angeklagten durch die EMRK garantierten Aspekte der Verfahrensfairness<br />

stellen nun ganz gezielt verfahrensrechtliche<br />

Schranken für die Ergebnisgewinnung im Strafverfahren auf. Dies<br />

ist ihr Sinn und Zweck. Sie dienen der Sicherung eines fairen Verfahrens<br />

für jeden Angeklagten und statuieren gleichzeitig Regeln<br />

für die rechtsstaatliche Ergebnisgewinnung im Strafprozess. Diese<br />

Regeln sind bei der Rechtsanwendung jedenfalls zu respektieren,<br />

zumal sie der österreichische Gesetzgeber in den Verfassungsrang<br />

erhoben und sich somit für ihre Bedeutung nicht nur als völkerrechtliche<br />

vertragliche Verpflichtung Österreichs, sondern darüber hinaus<br />

– eben durch die (völkerrechtlich gar nicht notwendige) Erhebung<br />

in den Verfassungsrang – auch für ihre Bedeutung als<br />

höchstrangiges innerstaatliches Recht entschieden hat, welches solcherart<br />

im Sinne des Stufenbaus der Rechtsordnung zugleich eine<br />

maßgebliche Interpretationsmaxime für einfachgesetzliche Regelungen<br />

verkörpert. 39 )<br />

VI. Fazit<br />

Das Postulat, das „richtige Verfahrensergebnis“ mit der „Fairness<br />

eines Strafverfahrens“ in Balance zu halten, erweist sich unter<br />

rechtlichen und logischen Gesichtspunkten als in sich widersprüchlich,<br />

weil das, was der Rechtsstaat als „richtiges Verfahrensergebnis“<br />

normiert, erst als Folge und Resultat eines fairen Strafverfahrens<br />

in Geltung tritt.<br />

Und auch, wenn man (durchaus sinnvollerweise) auf die Gesamtfairness<br />

des Verfahrens abstellt, 40 ) lässt sich das „richtige Verfahrensergebnis“<br />

schon rein logisch (mangels einer Einerseits-Andererseits-Beziehung)<br />

nicht der „Fairness eines Strafverfahrens“ gegenüberstellen<br />

und kann daher auch nicht mit dieser in „Balance“ gehalten<br />

werden, da das Verfahrensergebnis eben das Resultat eines<br />

rechtsstaatlich geführten und gesamtheitlich fairen Strafverfahrens,<br />

aber kein ihm gegenüberstellbarer Begriff ist, denn um das „richtige<br />

Verfahrensergebnis“ zu ermitteln, bedient sich der Rechtsstaat<br />

eben eines geordneten, förmlichen und den Fairnessanforderungen<br />

insgesamt entsprechenden Verfahrens. Ein faires Verfahren<br />

ist somit unverzichtbare Vorausbedingung dessen, was im Rahmen<br />

der Rechtsordnung als „richtiges Verfahrensergebnis“ Geltung beanspruchen<br />

kann!<br />

Die Verfahrensfairness ist somit – entgegen dem analysierten Postulat<br />

– auch kein relativer, sondern vielmehr ein absoluter Wert und<br />

zudem als unbedingte Voraussetzung für das rechtmäßige Zustandekommen<br />

eines jeden Schuldspruchs im Strafverfahren anzusehen,<br />

da nur so ein (bekanntlich ausschließlich ultima ratione zulässiger)<br />

staatlicher Eingriff in die Rechte des Einzelnen überhaupt erst<br />

seine rechtsstaatliche Rechtfertigungsgrundlage und Legitimation<br />

erhält. Angesichts des Umstandes, dass in einem (naturgemäß besonders<br />

eingriffsnahen) Strafverfahren tief in die (Grund-)Rechtssphäre<br />

des einer Tat Verdächtigen eingegriffen wird, dürfen zur<br />

Durchsetzung des dem Staat von seinen Bürgern anvertrauten ius<br />

puniendi nämlich als Folge der vom Verfassungsgesetzgeber getroffenen<br />

Wertungsentscheidung nur solche Mittel zum Einsatz<br />

kommen, die wirkungsvollen Schutz vor allfälligen grundrechtswidrigen<br />

Eingriffen dergestalt bieten, dass erst die Gewährleistung des<br />

prozessordnungsgemäßen Zustandekommens einer gerichtlichen<br />

Entscheidung unter voller Beachtung des Gebots der Verfahrensfairness<br />

als konstituierend für die Legitimation des durch die gerichtliche<br />

Entscheidung bewirkten staatlichen Eingriffes anzusehen<br />

ist und somit die Verfahrensfairness weder mit dem allgemeinen Erfordernis<br />

effektiver Strafverfolgung noch mit dem Anliegen eines<br />

richtigen Verfahrensergebnisses in „Balance“ gesetzt werden<br />

kann, da – infolge unabweisbaren verfassungsrechtlichen Gebotes<br />

– ein „richtiges Verfahrensergebnis“ ohne Gewährleistung unbedingter<br />

Verfahrensfairness bei der Erzielung dieses Ergebnisses<br />

schlicht und einfach rechtsstaatlich nicht denkbar ist.<br />

Kurz gefasst: Ohne Strafverfahren kann logischerweise kein Verfahrensergebnis<br />

als dessen Resultat zustande kommen und ohne<br />

faires Verfahren kennt und akzeptiert der Rechtsstaat eben auch<br />

kein „richtiges“ Verfahrensergebnis.<br />

So gibt es – zu Recht – die unserer Rechtsordnung immanente Wertung<br />

vor, die insb im rechtsstaatlichen Prinzip und im Grundsatz<br />

der Verfahrensfairness verfassungsrechtlich verankert ist. Oder<br />

mit anderen Worten und etwas dichterischer Freiheit als abschließender<br />

Merkreim formuliert: Richtig ohne fair – das geht nicht<br />

mehr!<br />

36) Vgl EGMR, Lüdi vs Schweiz, Series A 238 (1992).<br />

37) Vgl EGMR, Van Mechelen ua vs Niederlande, Reports 1997-III, 691 ff;<br />

EGMR, Teixeira de Castro vs Portugal, Reports 1998-IV, 1451 ff = EuGRZ<br />

26 (1999), 660 ff; vgl grundsätzlich zu Gegenüberstellungsfragen auch:<br />

EGMR 20. 11. 1989, Rechtssache Kostovski, ÖJZ 1990, 312; EGMR<br />

24. 11. 1986, Rechtssache Unterpertinger, ÖJZ 1988, 22; sowie<br />

EGMR 20. 9. 1993, Rechtssache Saidi, ÖJZ 1994, 322, wo wegen Fehlens<br />

der Gegenüberstellung eine Verletzung angenommen wurde.<br />

38) Vgl ÖJZ-MRK 1992/41 und 1993/23.<br />

39) Was insofern von besonderer Bedeutung bei der Rechtsanwendung ist,<br />

weil der Verfassung eine das gesamte Recht durchstrahlende Auslegungs-Leitfunktion<br />

zukommt (vgl Öhlinger, Verfassungsrecht 5 , Rz 80)<br />

und die Verfassungsprinzipien vom VfGH in wachsendem Umfang auch<br />

als unmittelbarer Maßstab einfachgesetzlicher Regelungen angesehen<br />

werden (so zB VfSlg 10.3<strong>06</strong>/1984).<br />

40) Vgl zB EGMR 26. 3. 1996, Rechtssache Doorson, ÖJZ 1996, 715;<br />

siehe idZ auch FN 6 und 9.<br />

280 AnwBl <strong>2005</strong>/6

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