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MONIKA RINCK, Honigprotokolle

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<strong>MONIKA</strong> <strong>RINCK</strong>, <strong>Honigprotokolle</strong><br />

Berlin, kookbooks, 2012<br />

HONIGHOHN<br />

Hört ihr das? So höhnen <strong>Honigprotokolle</strong>, rotgolden, schön, pastös:<br />

Klebrigkeiten. Fussel. Was der Honig an sich bindet: Protokolle.<br />

Beflockte Unionen auf grau- bis graublauem Trikotstoff. Menschen.<br />

Werden. Hängen. Bleiben. Samen und Pollen genauso. Süße der Luft.<br />

Kandierte Haare, Bahnen. Brücken. Stelle ich sie weg vom Kopf,<br />

bleiben sie auf ewig stehen. Jedes Maß ist wahr in jedem Sinn.<br />

Doch in Bezug auf was? Diese Sprünge! Barocker Minimator<br />

des Verlangens. Wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist,<br />

nur wird es nicht umgesetzt. Es wächst jetzt aus der Haut heraus,<br />

nicht mehr unter ihr. Barock. In Enge, Angst, Schrille, nein Schelle,<br />

so viel Zierrat, dass man nicht mehr will und nichts mehr sieht:<br />

Randverlangen. Tausend Bögen. Mit Dellen und Putten. Perlen.<br />

Und drüber. Jede Einzelne fragt dich: Und du willst noch wollen?<br />

Nein. Da sagst du: nein. Dein Eindruck ist nicht wahrheitssicher,<br />

vermerkt das Honigprotokoll, schier verzierte Süße. Ging dir da<br />

das Zünglein über? Bezüngelte die Waage? Nimm aufs neue Maß,<br />

bei minimiertem Verlangen. Du weißt nichts vom Barock. Pollen.<br />

FRIEDRICH NIETZSCHE DENKT AN LIEBE<br />

Hört ihr das, so höhnen <strong>Honigprotokolle</strong>, schneeweiß und überblau:<br />

Auf den Wanderwegen, heißt es, raufen Radiatoren mit Hydranten<br />

und in Marmorsteinbruch leckt die Mieze ihre Unterseite flockig.<br />

Genesungswünsche richten sich an Dritte. In der Seilbahn gurrt<br />

die Antriebskurbel. Hier wohnt Friedrich Nietzsche. An der Ukulele<br />

singt er seine Propädeutik ein. Heißa, ein subkutaner Alpenschlager.<br />

Ungleichartiges als Glaubenslehre. Der Grundakkord: E-Moll.<br />

Robert Walser sagt, Friedrich Nietzsche wurde nicht. Hä? Was?<br />

Was wurd ich nicht? Du wurdest nicht geliebt. Daher dein Groll.<br />

Die perfide Rache eines Ungeliebten. Indes Eingekehrte laben sich<br />

an Bretterljausen. Wurzn. Beeren. An Williams Christ, an Enzian.<br />

Friedrich Nietzsche und der sanfte Reuemeister konversiern<br />

in Stapelsesseln. Sind es Zwiebeln? Sinds Kontakte – oder Hiebe<br />

mit dem Fächer? Ists ein Fitschenbeitel, in Kamelienöl geschmiegt?<br />

Wir wissen nicht. Sie sprechen leise. Ewig murrt das Hochgebirge.<br />

Friedrich Nietzsche denkt an Liebe. Robert Walser lächelt stumm.


HIMMELSHÄRTE<br />

Hört ihr das, so höhnen <strong>Honigprotokolle</strong>. Eine Halbwelt aus Blaulicht.<br />

Ist das Luft oder Wand? Stumme Vögel, Amselattrappen, ja Spatzen,<br />

in Kunstharz und Härter gebannt, in durchsichtige Würfel gegossen.<br />

Fast wollte man heulen. Oder an Vogel statt zwitschern und hüpfen.<br />

Doch noch liegt auf dir ein schwerer Schlaf und nur dein Traum<br />

weiß von den anderen. Er denkt es dir, z.B.: Was ist ein Regal?<br />

Etwas gezielt hineinzutun, mit einer Hand, die sicher ist und flink.<br />

Weil es dort hingehört, ein Übergriff, so passgenau, dir schaudert.<br />

Jetzt liegst du wach in deinem Zelt aus Geld und willst für alles zahlen.<br />

Bleib hier, erwarte das Ende der Wand. Ziere die Kanten des Tages<br />

mit Schlummer, nein, schlimmer noch, flechte dir den Kitsch ins Haar.<br />

Aber schau, das verletzliche Leben am Morgen ist doch nicht nichts!<br />

Kein falsches Wort, aufstehn, aus dem Fenster sehn, wie eine Halbwelt<br />

aus Blaulicht sich aufhellt, da! Ein Aurorafalter landet, zittert, explodiert.<br />

ÜBERSETZUNG<br />

Hört ihr das, so höhnen <strong>Honigprotokolle</strong>, du übersetztest dich –<br />

war es nicht so? – überall hinein. Du übersetztest deine Hemdchen,<br />

deine Krümel in die große Herrlichkeit hinein, wo sie verschwanden,<br />

statt zu helfen, statt zu hindern. Du starrtest in die Herrlichkeit hinauf,<br />

du sprangst an ihr empor, doch deine Sprungkraft war zu schwach<br />

für deine Schwere. Sapperlot. Herrlichkeit wäre mit der Schnellbahn<br />

in etwa zehn Minuten zu erreichen, doch nicht von dir. Alle wissen,<br />

du hast dich getäuscht. Da stand Elefantenklappe, du übersetztest:<br />

Wedelschwanz. Wurden Datteln angeboten dem willkommenen Gast,<br />

was hast du dann hingeschrieben? Bitte, vertilgen Sie das Rendezvous.<br />

Du warst bereit, du warst nicht gut, das wusstest du, verwirrt warst du.<br />

Wolkengroße Verluste, das heißt keine schlimmen, in Entfernung versetzt<br />

und leichter werdend: Dann sehr vieles erst im Verschwinden begriffen.<br />

BERG<br />

Anfangs irgendwas mit Wittgenstein: Sprache, Denken, Grenzen etc.<br />

Aufgabe beinah übermenschlich, zu beschreiben mit der Sprache,<br />

wenn das Denken ausfällt, ja, ihr lieben Protokolle, ihr eilt dem Hohn<br />

nur nach, den ich für mich längst vorgesehen, voilà. Und überhaupt:<br />

Ich stelle mir das vor als Berg. Beschreibung Berg. Drei Zeilen etwa.<br />

Dann Ausweichmanöver. Protestantische Dialektik. Flüssig, scharf.<br />

Wendig. Bösartig, aber aufgebohrt: HA HA. Oberton von Verzweiflung.<br />

Folgt Auftritt des Perückenbocks. Aah. Barmherzigkeit. Leichter Ekel.


Oho Finte: kurzfristige Absolution, Hauch von Entspannung, aber nur<br />

um böse einzuhaken in die Fixierung, sobald die Spannung nachlässt,<br />

wie mit dem Karabinerhaken, klack. Jetzt: Begrüßung und Abtragen<br />

des Bergs, mit Schaufeln, Baggern und Brandy, 200-Dezibel-Sinfonien<br />

von Haydn, mit sehr langen hervorgestoßenen Sätzen, mit Pressluft,<br />

mit Kuhfuß, Sprengstoff und einer Heerschar von schweren Geräten.<br />

Der Berg sagt: Bald wird alles eben und klar sein. Und wieder von vorn.<br />

NO RESTAURANTS, HONEY<br />

Hört ihr das, so höhnen <strong>Honigprotokolle</strong>, sie zielen auf eure Scham.<br />

Trickster, Heiterkeit des Denkens, die es braucht für die Askese.<br />

Abgrund der ewigen Schuld, die auch Dank ist; Eitelkeit und Demut<br />

kommen zusammen, wenn man Menschen so liebt, dass man – STOP!<br />

Ersetzen. Bei Details beginnen, dann Positionen einnehmen. À bas<br />

le SPUK. Ich will sehen, was du siehst. Sieh es nicht. Wag es nicht.<br />

HANTÉ(e). Schäm dich, du an meinem Ort, teilst den Ort der Scham.<br />

Und in Dijon im Vorübergehn sagte eine Frau auf hohen Schuhen<br />

(ich schwöre, so wars): J’ai gardé ma dignité, j’ai épousé un chien.<br />

Ein Hoch auf die Unbeteiligten! Im Atomzeitalter sind alle – ARRÊTE!<br />

Ich töte, kappe die Würmer, die Schläuche, die Kabel (des Herzens),<br />

an denen man die Auferstandenen aufhängt, transportiert, bewegt.<br />

Es wird jetzt leider sehr, sehr hart. Hier war die Grenze. No Restaurants<br />

Beyond that Line, Honey. Das macht gar nichts, denn dann werden wir<br />

wie Englein sein und niemandem mehr angehörn. Mit harten Händen<br />

Englein sein, ni femme, ni homme, niemandem mehr angehörn, enfin.<br />

DER BIEN<br />

An der Weiche zur Epoche der Verfleißigung: Bienen, Bienen, Bienen.<br />

Sie dienen uns als Sinnbild, sie dienen aber auch als Wachmannschaft.<br />

Denn es komme keiner in die Honigkammer hinein, der dereinst wieder<br />

hinauswollen könnte. Er schwöre zuvor auf den Stock, genauso wie sie.<br />

Die Wortbrüchige würde für immer heimgesucht vom schrillen Summen<br />

einer unsichtbaren Biene, das keiner vernähme außer ihr. Wir glauben,<br />

sie ist rot. Sie entwickelt sich parthogenetisch aus einem falschen Schwur.<br />

Andere Bienen tarnen sich als Brumm- und Pfeifgeräusch, als Lüftung,<br />

Tinnitus, Flötistin, Sendemast, Geheimdienst, Ventilator, Mythos Oberton.<br />

Vertreiben sich die knappe Zeit mit atmosphärisch dichten Psychothrillern,<br />

Horrorfilmen. In ihrem Lieblingsfilm wird mir das Rettungsseil zur Schlange.<br />

Ich schneide ihr den Kopf ab und falle seither der Tiefe entgegen. AAAAAH!<br />

Es sei denn, ein plötzlich auftretender Bienenstamm fängt mich auf und trägt<br />

mich sicher nach Haus. Plötzlich auftretende Bienenstämme zeugen wovon?<br />

Bandenbildung. Untergang. Intakten Ökosystemen. Dem blendenden Brautbett<br />

des Sommerhimmels. Entwertung der Gegenwart. Nur eine Antwort ist richtig.<br />

HONIG


Zuletzt: das Protokoll der honigströmenden Quellen gewisser Gärten.<br />

Es gibt die Klebrigkeit der inneren Fixierung, einen Kitt, der niemals<br />

trocken wird, und unvergesslich gibt es Honigspuren auf Papieren,<br />

Windschutzscheiben, in der Tasche, unter Schuhen, an den Fingern,<br />

die an ein Missgeschick erinnern. Das Honigprotokoll des Bienenflugs<br />

über die von ihnen (den Bienen) gerade noch erreichbaren Blüten.<br />

Vielleicht Linden. Oder Kastanien. Wir betrachten am Ende den Körper<br />

als Protokoll unseres Lebens. Es bleibt wie eine winzige Flagge inmitten<br />

tosender Pollen und Bienen die Frage, ob man nicht klug sein müsse,<br />

um so großer Torheiten fähig zu sein. Nicht bei vernünftigem Bewusstsein<br />

dichten sich diese herrlichen Lieder. Es sammeln die einen für die andern,<br />

und keiner tut etwas für sich ganz alleine. Der Honigmagen ist der Magen<br />

der Gesamtheit. Die Liebe ist die Liebe der Gesamtheit. Hört, hört. Wer innen<br />

verunglückt, wird mit allen Mitteln gerettet. Wer außen verunglückt, verzehrt.

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