Ausgabe 59/60 - Chaos 23
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Axel Rudi Pell: *The Ballads III* Aha.<br />
Nun gut. Hm. Der Mann schreibt echt<br />
gute Balladen, aber langsam kommt mir<br />
das vor wie ein Schmalzausverkauf. Muß<br />
man denn wirklich drei CDs rausbringen,<br />
die Balladen-Best-ofs darstellen. Drei<br />
neue (naja, *Forever Angel* ist nicht<br />
neu, sondern als Akustik-Variante drauf)<br />
Songs, die sich nahtlos in den sphärischen<br />
Sound der restlichen und bekannten<br />
Stücke einfügen, gibt es sicher drauf und<br />
die sind qualitativ auch nicht schlecht.<br />
Doch langsam kommen wir an einen<br />
Punkt, an dem alle langsameren Songs<br />
des Gitarren-Meisters und seiner Crew<br />
gleich klingen. Da kann auch die<br />
Tatsache, daß Axel Rudi Pell einen<br />
eigenen Sound auf die Beine gestellt hat<br />
und daher sein Material über einen hohen<br />
Wiedererkennungswert verfügt, und er<br />
mit Johnny Gioeli einen tollen Sänger<br />
hat, nicht hinwegtäuschen. Ich weiß nicht,<br />
wer außer Leuten, die Rock und Heavy<br />
nur beim Kuscheln ertragen und daher<br />
nur Balladen in ihrem Leben brauchen,<br />
dieses Album kaufen soll. Fans haben eh<br />
alle Scheiben Pell´s. Klar, die Songs sind<br />
klasse, Melodic Metal erster Güte, das<br />
ist ohne Frage so. Aber alles andere muß<br />
jeder selbst wissen. (Steamhammer/SPV)<br />
EV<br />
Chris Caffery: *Faces* & *God Damn<br />
War* Der Savatage-Gitarrsit scheint<br />
langsam nach all seinen Tätigkeiten für<br />
andere Bands, bevor er schlußendlich bei<br />
Savatage landete und auch bei Circle II<br />
Circle die Axt schwingt, mächtig dicke…<br />
äh, Ideen zu haben. Nun kommt er mit<br />
seinem ersten Solo-Album daher und wer<br />
nicht gut sitzt, sollte die Anlage nicht zu<br />
laut aufdrehen. In bester Tradition alter<br />
Savatage, neuerer aber klangtechnisch<br />
weniger moderner Judas Priest und ein<br />
wenig Dr. Butcher teilt der Gute eine<br />
Metal-Watschen nach der anderen aus.<br />
Wobei ich mich echt frage, ob da nicht<br />
doch ab und Jon Oliva mitgeträllert hat<br />
und nicht Chris sich am Mikro<br />
festgebissen hat. Die stimmliche<br />
Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu<br />
weisen. Reinrassiger Metal isses nicht.<br />
Mal etwas düsterer, mal aggressiver, kein<br />
Power Metal, kein Prog, keine Klassik –<br />
*Faces* ist reinrassig heavy. Und das<br />
satt. Und was einen dazu noch mehr<br />
becirct, st die Tatsache, daß sich beim<br />
Songwriting keiner was um „ui, das muß<br />
noch mehr ins Ohr gehen“ gekratzt hat.<br />
Und genau darum treffen die Songs ins<br />
Schwarze und glänzen mit eigenwilligen<br />
Refrains, die trotzdem ihre Wirkung nicht<br />
verfehlen. Für Metal-Fans ein absolutes<br />
Glanzstück. Das zweite Scheibchen<br />
dieses Doppel-Packs, *War*, ist noch<br />
einen Hauch bissiger, allerdings ab und<br />
auch verklärter und hintergründiger. Man<br />
könnte manche Strukturen und<br />
Arrangements auch hinterhältig nennen.<br />
Schon beim Opener ahnt man nix Böses,<br />
aber schon der Song entwickelt sich zu<br />
einem richtigen biestigen, bösen Hammer<br />
in bester King Diamond-Manier. Auf den<br />
Punkt gebracht: Wer einen der<br />
begnadetsten Metal-Gitarristen auch mal<br />
singen hören will, geile Songs der Marke<br />
Böse haben und dabei kräfig abbangen<br />
will, sollte ohne Umschweife zugreifen.<br />
(Black Lotus/ SPV) EV<br />
The Toy Dolls: „Our Last Album?“ Diese<br />
Jungs haben sich mittlerweile wieder<br />
zusammengefunden und es dürfte<br />
ziemlich unwahrscheinlich sein, daß The<br />
Toy Dolls mit diesem Silberling ihre<br />
letzte Scheibe abliefern. Die Fans dürften<br />
ihnen für diesen Fall definitiv mit dem<br />
nackten Hintern ins Gesicht springen.<br />
Viel zu viel Spaß macht dieses Album,<br />
das so gar nicht in die naß-kalte Jahreszeit<br />
paßt – vielleicht kommt es deswegen<br />
noch ein Tick knalliger rüber. Wie dem<br />
auch sei, „Our Last Album?“ ist ein<br />
Ohrenschmaus für jeden Punk-Freund<br />
der melodischeren Art, für den auch nicht<br />
immer alles so todernst sein muß. Die<br />
Produktion ist knackig, sauber, die Stücke<br />
simpel, auf den Punkt gebracht, ein wenig<br />
verblödelt und dynamisch. Eine<br />
rundherum coole und spaßige Platte, die<br />
man sich mal geben sollte. (SPV/SPV)<br />
EV<br />
Neal Morse: „One“ The Spock´s Beard-<br />
Musikus hat seinem kreativen Anfall in<br />
ein neues Scheibchen gesteckt. „One“ ist<br />
nicht nur rein songwriterisch<br />
bewundernswert, da abwechslungsreich,<br />
sanft, verspielt und doch gerade,<br />
tiefgründig und einnehmend – auch die<br />
Tatsache, daß der Gute neben der<br />
kompletten Songschreiberei auch fast<br />
alles an Instrumenten (Randy George am<br />
Baß, Mike Portnoy – drums) eingespielt<br />
hat und die eleganten Prog-Rock-<br />
Melodic-Stücke mit seinem Gesang<br />
veredelt, zeigt einmal mehr die Klasse<br />
dieses Künstlers. Teils driften die Tracks<br />
auch härtetechnisch mehr in den<br />
Popbereich, sind zudem nicht derart<br />
verspielt wie man das von manch anderen<br />
Vertretern der Prog-Zunft kennt, doch<br />
die Liebe zum Detail ist unverkennbar.<br />
Ausgeprägte Strukturen, ein Fülle an<br />
Melody-Lines und Ideen in jedem Stücke<br />
– und dennoch werden die Songs nicht<br />
erdrückt oder kommen zu komplex für<br />
den gemeinen Nicht-Musiker. Eine<br />
geniale Scheibe, die man jedem nur ans<br />
Herz legen kann, der es ruhiger,<br />
nachdenklicher und dennoch nicht platt<br />
melancholisch mag. (InsideOut/SPV) EV<br />
Rage: „From The Cradle To The Stage“<br />
Zeit isses g´word´n, daß Peavy und seine<br />
Jungs mal mit einem Album wie diesem<br />
antraben. Eine satte Doppel-Live-CD,<br />
aufgenommen im Januar diesen Jahres<br />
in der Bochumer Zeche. Und ich verwette<br />
so ziemlich alles, daß jeder Fan der<br />
Metalheads seinen einen oder anderen<br />
Lieblingssong vermissen wird – doch um<br />
all ihren Klassikern gerecht zu werden,<br />
hätten Rage wohl eine Vierer-CD<br />
rausbringen müssen. Hier knallt ein<br />
Hammersong nach dem anderen aus den<br />
Boxen: Heavy, satt, dynamisch, kraftvoll,<br />
melodisch und mit jenen unverkennbaren<br />
Refrains und dem gigantischen<br />
Hymnencharakter, den Rage auch ohne<br />
Bombast und Kasperltheater zaubern.<br />
„War Of Worlds“, „Higher Than The<br />
Sky” (mit genialem Sing-a-long-Mittelteil<br />
samt g´scheitem Groove und funkigen<br />
Slap-Baß). Die<br />
Abmischung ist schlicht<br />
gigantisch, die Drei-<br />
Mann-Show von Rage<br />
ballert mit mehr Power<br />
aus dem Hintern als so<br />
manche 6-köpfige<br />
Combo. Gerade bei den<br />
Live-Aufnahmen wird<br />
auch einmal mehr<br />
deutlich, welch<br />
musikalische Klasse alle<br />
drei Jungs an den Tag<br />
legen – von jazzigen<br />
Einsprengseln bis zu<br />
klassisch inspirierten<br />
Instrumentalparts gibt es<br />
so ziemlich alles, was<br />
Metal noch mehr Leben<br />
einhauchen kann ohne<br />
dabei der stilistischen<br />
Linie untreu zu werden.<br />
Sonst noch zu hören:<br />
„Down“, „Back In Time“,<br />
„Soundchaser“, „Don´t<br />
Fear The Winter“, „From<br />
The Cradle To The<br />
Grave“, „Suicide“, „Enough Is<br />
Enough”…. Jedes Stück ein Highlight<br />
für sich mit phantastischer Live-<br />
Atmosphäre, einem super Publikum und<br />
einer superben Metal-Band. Absolutes<br />
Pflichtalbum. (Steamhammer/SPV) EV<br />
Poolstar: „Losing Gravity“ Eigentlich<br />
könnte man meinen, die Alternative-<br />
Rock-Szene mit dezentem Hang zum<br />
Punk sei übersättigt. Daß dennoch immer<br />
wieder mal Bands auf der Bildfläche<br />
erscheinen, die es locker wert sind, sich<br />
Gehört zu verschaffen, zeigt dieser<br />
muntere Haufen um Sänger Töff.<br />
Melodisch, mit sehr starkem Hang zum<br />
(Hard) Rock und Gitarren-Party-Sound<br />
der Marke ´80er, dennoch immer<br />
Background immer ein wenig<br />
melancholisch und teils introvertiert<br />
rebellisch kommt das Material des<br />
Silberlings rüber. Dabei gehen die Stücke<br />
extrem schnell ins Ohr, steigern sich in<br />
ihrer Wirkung aber bei jedem Hören<br />
mehr. Die Kombination aus moderneren<br />
Einflüssen und Tradition harmoniert hier<br />
auf jeden Fall klasse und wer frischen,<br />
peppigen und auch etwas jugendlichen<br />
Rocksound mag, sollte reinhören. (Gom<br />
Records/Rought Trade) EV<br />
Angra: „Temple Of Shadows“ Die<br />
Brasilianer haben sich auch bei ihrem<br />
fünften Studio-Album wieder gewaltig<br />
ins Zeug gelegt. Gitarrist Rafael<br />
Bittencourt hat sich an eine<br />
Konzeptscheibe über den „Shadow<br />
Hunter“ gemacht, seines Zeichens<br />
Kreuzritter, der sich allerdings mit dem<br />
Wirken und Tun der katholischen Kirche<br />
nicht so hundertprozentig identifizieren<br />
kann. Um´s geraderaus zu sagen: Diese<br />
Scheibe ist der absolute Hammer und für<br />
Fans anspruchsvollen Heavy-Sound mit<br />
viel Klassik, ein wenig folkloristischen<br />
Einflüssen und noch mehr Power sowie<br />
druckvoller Produktion so was wie<br />
Wakcne, Bang Your Head, With Full<br />
Force, Summer Breeze und Silvester<br />
zusammen. In diesem Genre ohne Frage<br />
die mit Abstand beste Scheibe diesen<br />
Jahres. Ausgefeilt, mit einem<br />
phantastischen Edu Falaschi (voc), der<br />
nicht nur seine bekannten Stärken<br />
ausspielt, sondern wandlungsfähig wie<br />
selten zuvor unterwegs ist,<br />
atemberaubenden Melodieläufen und<br />
Kombinationen sowie ebensolchen<br />
handwerklichen Fähigkeiten. Sicher, an<br />
der einen oder anderen Stelle sind die<br />
Stücke der Geschichte entsprechend<br />
vertrackter und verspielter, mal auch neoklassischer,<br />
dafür gibt´s ein paar<br />
Momente drauf wieder Hooks und Lines,<br />
die einem das Kinn gen Boden klappern<br />
lassen. (Steamhammer/SPV) EV<br />
Travers & Appice: *It Takes A Lot Of<br />
Balls* Pat Travers und Carmine Appice<br />
sind ja nun wirklich alles andere als<br />
unbekannte in der Rocklandschaft und<br />
mit diesem Album zeigen sich die beiden<br />
so richtig unbeeindruckt von dem, was<br />
man so gemeinhin als „modern“<br />
bezeichnet – selbst um Trends in der<br />
Rockszene scheinen sich die Musiker<br />
herzlich wenig zu scheren. Bodenständig,<br />
bluesig, knackig, die Produktion ein<br />
wenig auf alt gemacht - man schmeißt<br />
die Scheibe in die Anlage und es macht<br />
einfach Spaß. Die Frage, ob das nun was<br />
Neues ist oder nicht, ob man das eine<br />
oder andere Riff schon mal gehört hat,<br />
interessiert einen dabei null. Die Stücke<br />
bahnen sich eingängig ihren Weg in die<br />
Ohren eines jeden Fans handgemachter<br />
Mucke mit der richtigen Mischung aus<br />
Verständlichkeit und Qualität. Denn<br />
handwerklich sind die Akteure nun mal<br />
so richtig fit. Vielleicht auch der Grund,<br />
warum sie einem das nicht bei jeder<br />
Gelegenheit auf die Nase binden müssen,<br />
sondern dieser Silberling mit<br />
songdienlichen Arrangements, gekonnt<br />
plazierten Soli und dem richtigen Feeling<br />
für die Mixtur aus Rock, Blues und Kraft<br />
daher kommt. Das Teil rockt. (SPV/SPV)<br />
EV<br />
Bang Tango: *Ready To Go* Nach der<br />
Flut an symphonischem Metal-Zeugs,<br />
dann einer Unmenge an Power Metal<br />
scheint seit einigen Monaten auch wieder<br />
der gute, alte Rock´n´Roll Einzug ins<br />
Heavy-Geschäft zu halten. Bang Tango<br />
sind da auf jeden Fall gut dabei und der<br />
aktuelle Silberling haut jedem Anhänger<br />
von Krokus, AC/DC, Jackyl und Co so<br />
richtig auf die Glocke. Klar, die Songs<br />
sind simpel gestrickt, schnell auf den<br />
Punkt gebracht mit den üblichen<br />
Trademarks und machen auf knackige<br />
Party-Stimmung samt der dazugehörigen<br />
Ohrwurmriffs und kratzigen Vocals.<br />
Dabei wiederholen Bang Tango sich nicht<br />
bei jedem Track selbst, sondern bringen<br />
durchaus Abwechslung und gute,<br />
einprägsame Melodien mit Feeling auf<br />
den Tisch. Da platzen schon auch mal<br />
ein wenig funkig gelagerte Einflüsse rein,<br />
schwerere Midtempo-Passagen, dezent<br />
bluesige Anleihen und dynamische<br />
Gitarren mit starken Melodie-Lines. Eine<br />
Scheibe für jeden, der auch nur irgendwie<br />
auf Rockmucke steht – vor allem, wenn<br />
es auch stark nach den ´80ern klingen<br />
darf. (Mascot/Rough Trade) EV