21.11.2013 Aufrufe

Festschrift evangelische kinder- und jugendhilfe - Evangelisches ...

Festschrift evangelische kinder- und jugendhilfe - Evangelisches ...

Festschrift evangelische kinder- und jugendhilfe - Evangelisches ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Kathrin<br />

Ehemalige Bewohnerin<br />

„Ich glaube, ich kann stolz auf mich sein,<br />

dass ich nicht abgestürzt bin.<br />

M<br />

eine Mutter hat mich mit zweieinhalb Jahren<br />

ins Heim gebracht. Sie hatte einen neuen<br />

Mann. Ich war nicht sein Kind. Da musste ich weg. Sie<br />

war 17 als ich geboren wurde <strong>und</strong> hatte immer viele<br />

Männer. Ich weiß nicht, ob Sie Drogen genommen hat,<br />

das würde aber zu ihr passen. Getrunken hat sie auf<br />

jeden Fall immer viel.<br />

Ich bin in eine Pflegefamilie nach Gelsenkirchen<br />

gekommen. Da war ich etwa 3. In den ersten Jahren<br />

war dort alles ganz normal. Also das, was man als<br />

Pflegekind so als normal empfindet. Dann, nach ein<br />

paar Jahren, sind meine Pflegeeltern auf einmal Zeugen<br />

Jehovas geworden. Besonders mein Pflegevater<br />

war da extrem. Ich stand oft mit ihnen auf der Straße<br />

<strong>und</strong> habe den Wachturm hochgehalten. Zweimal in<br />

der Woche waren Versammlungen in diesem Königreichsaal<br />

<strong>und</strong> einmal in der Woche kam eine Gruppe<br />

von zehn Leuten zum Studium von religiösen Büchern<br />

zu uns nach Hause. Sie haben versucht, mich<br />

in diesem Glauben zu erziehen, aber das hat nicht<br />

geklappt. Ich bin keine Zeugin Jehovas geworden. Ich<br />

war immer schon ein kleiner Rebell. Wenn ich etwas<br />

nicht verstand, wurde ich bockig. Und dann, als ich<br />

so plötzlich von dort weg musste, war es ja sowieso<br />

vorbei mit der Bekehrung.<br />

Meine leibliche Mutter hatte zu dieser Zeit Arbeit in<br />

einem Blumenstand in dem Supermarkt, da wo wir<br />

wohnten. Ich bin dort oft einkaufen gewesen, sie hat<br />

mich gesehen <strong>und</strong> anscheinend die Obermutti in sich<br />

entdeckt. Sie ist zum Jugendamt gegangen, es gab<br />

dort ein Gespräch. Ich glaube, da ging es um diese<br />

Geschichte mit den Bluttransfusionen <strong>und</strong> dass die<br />

Zeugen Jehovas Operationen ablehnen <strong>und</strong> daher ein<br />

Kind dort nicht aufwachsen sollte. Ich musste von<br />

einem Tag auf den anderen wieder ins Heim. Nach<br />

neun Jahren! Das war krass, so plötzlich aus meiner<br />

Familie gerissen zu werden. Ich meine, bei denen war<br />

bestimmt nicht immer alles toll. Ich war damals eine<br />

Außenseiterin, ich hatte eine Jungenfrisur <strong>und</strong> nur<br />

selbstgestrickte Pullis an. Auch ging es dort sehr<br />

streng zu. Aber ich hatte wenigstens eine Familie!<br />

Heute glaube ich, dass mir dieser Halt später sehr<br />

geholfen hat.<br />

Meine Pflegeeltern waren total fertig. Ich erinnere<br />

mich, dass mein Pflegevater geweint hat <strong>und</strong> der war<br />

eigentlich ein harter Klotz. Er war ein ehemaliger<br />

Polizist, nicht gerade einer der Gefühle zeigt. Für mich<br />

war das ein Schock. Ich hatte Angst, so zu werden<br />

wie die Welt, die ich als böse empf<strong>und</strong>en hatte. Ich<br />

hatte plötzlich keinen Schutz mehr.<br />

Nach zwei Monaten in dem Heim in Gladbeck bin ich<br />

dann zu meiner Mutter gezogen. Mir war sofort klar,<br />

dass das nichts Gutes wird. Ich kam mittags dahin<br />

<strong>und</strong> da stand schon Bier auf dem Tisch. Mein Stiefvater<br />

war arbeitslos <strong>und</strong> hat schon morgens getrunken.<br />

Ich hatte ja den Vergleich, meine Pflegemutter<br />

hat höchstens ein Glas Wein im Monat getrunken.<br />

Die Wohnung war sehr klein <strong>und</strong> ich kam zu meinen<br />

Stiefbrüdern in ein enges Zimmer. Die beiden waren<br />

nicht gerade begeistert. Meine Mutter hat mir ein<br />

48 <strong>Festschrift</strong> Porträt 49

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!