Mitteilungen Ostern 2003 - Rudolf Steiner Schule Aargau
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6 Aus dem Religionsunterricht Aus der Unterstufe<br />
Streichpsalterbau<br />
Ein Stimmungsbericht<br />
göttliche Vater die Jungfrau Maria wieder<br />
in den Himmel erheben wird, an<br />
den Ort der höchsten Reinheit und<br />
Gnade. Ihre Stelle aber werde Michael<br />
einnehmen, der himmlische Streiter,<br />
dessen vornehmste Aufgabe bisher die<br />
Bekämpfung des Drachen gewesen<br />
ist. Sobald er sich in die Sichel stellt,<br />
wird sein Schwert eine wunderbare<br />
Verwandlung erfahren. Es wird sich zu<br />
einer himmlischen Leier bilden, und<br />
die Weise, die Michael dann anstimmen<br />
wird, ist ein Himmel und Erde<br />
verbindender Friedenssang.<br />
Das in der Legende gegebene Bild<br />
ist unerschöpflich tief und vieler Deutungen<br />
fähig. Wir können es aber auch<br />
in dieser Art dolmetschen: Religiöse<br />
Kräfte michaelischer Natur wollen,<br />
richtunggebend und mit lebendigen<br />
Kunstkräften vereint, die Kraft zeugen,<br />
ohne die der einzelne Mensch und die<br />
Menschheit stagnieren würde.<br />
In diesem Wandlungsprozess werden<br />
die intellektuellen Kräfte nicht<br />
weggeworfen, sondern in verwandelter<br />
Form aufgenommen. Was so entsteht,<br />
ist nicht mehr der zerspaltende<br />
Intellektualismus, sondern die versöhnende<br />
und verbindende, die heilende<br />
neuzeitliche Intelligenz. Es war eine<br />
unendlich triviale Auffassung, die uns<br />
durch lange Zeiten das Wort überliefert<br />
hat: Religionsunterricht ist für die<br />
Dummen. Machtvoll macht sich schon<br />
heute die entgegengesetzte Einsicht<br />
geltend: Religion ist erforderlich, um<br />
die schwindenden Intelligenzkräfte zu<br />
retten, um junge Intelligenzkräfte zu<br />
veranlagen. Das ist, von einer anderen<br />
Seite her gesehen: das Erwecken der<br />
Kraft,die da lehrt zu lernen.<br />
Herbert Hahn<br />
Selberbauen von Streichpsaltern<br />
für unsere Kinder – das war die<br />
Idee, die uns Margrith Reithaar anlässlich<br />
eines Elternabends mit leuchtenden<br />
Augen vorstellte. Sie schwärmte<br />
vom besonderen Klang, dem man lauschen<br />
könne, wenn dieses Instrument<br />
im Klassenverband gestrichen werde.<br />
Manch einer von uns vermeinte, die<br />
schönen Klänge und Melodien bereits<br />
zu hören, die unsere Kinder ihren<br />
Streichpsaltern dereinst entlocken<br />
würden … und so war das Projekt<br />
«Streichpsalter im Eigenbau» geboren.<br />
Nachdem diverse Vorbereitungsarbeiten<br />
abgeschlossen waren, trafen<br />
wir uns an einem Samstagmorgen in<br />
der Holzwerkstatt der <strong>Steiner</strong>schule<br />
und machten uns unter fachkundiger<br />
Führung von Claudio Bernasconi fleissig<br />
ans Werk. Munter wurde in kleinen<br />
Gruppen geschliffen, gemessen, gezeichnet,<br />
gesägt, geritzt, geleimt und<br />
gehämmert. Das Aussägen und Nachschleifen<br />
des wunderschönen, filigranen<br />
Motivs im Deckel des Streichpsalters<br />
war eine besondere Herausforderung<br />
und brachte einige von uns ziemlich<br />
ins Schwitzen. Da und dort stiegen<br />
Kindheitserinnerungen an unbeschwertes<br />
Werken und «Laubsägele»<br />
auf. Und wie gross war die Freude<br />
über jedes Exemplar, das mit viel Sorgfalt<br />
und Liebe in die Weiterverarbeitung<br />
geschickt werden konnte!<br />
Beim Mittagessen – Margrith Reithaar<br />
hatte für uns eine feine, nahrhafte<br />
Gerstensuppe gekocht – war genügend<br />
Zeit für einen regen Gedankenaustausch;<br />
die Frauen blieben etwas<br />
länger sitzen als die Männer, was mit<br />
einem Augenzwinkern seitens der<br />
Männer quittiert wurde. Konzentriert<br />
arbeiteten wir weiter und konnten<br />
kurz vor dem Ende unseres Arbeitstages<br />
die ersten zusammengefügten und<br />
geleimten Exemplare bewundern.<br />
In einem nächsten Schritt wurde<br />
jeweils am Donnerstagabend in kleineren<br />
Gruppen weiter an den Streichpsaltern<br />
gebaut, geschliffen und geölt.<br />
An einem Samstag im Januar trafen wir<br />
uns dann wieder in der grossen Gruppe,<br />
um das Bespannen der Streichpsalter<br />
mit Saiten vorzunehmen: Eine<br />
anspruchsvolle Arbeit, die höchste<br />
Konzentration, Geduld, Fingerspitzengefühl<br />
und Geschick von uns verlangte.<br />
Manch einer fühlte sich ins Märchenreich<br />
versetzt, wenn sie/er sich<br />
an den scharfen Saiten stach oder<br />
schnitt. «Aua» war an diesem Nachmittag<br />
wohl der meistgehörte Laut in der<br />
Werkstatt! Doch dies konnte unserer<br />
Freude über die kleinen Kunstwerke,<br />
die da in unseren Händen entstanden,<br />
keinen Abbruch tun. Bald würden unsere<br />
Kinder mit diesen Instrumenten<br />
spielen können – und dies war Motivation<br />
und Freude genug, um trotz<br />
schmerzender Finger weiterzumachen!<br />
Nach wie vor arbeiten am Donnerstagabend<br />
einige fleissige «Heinzelmännchen»<br />
an der Vollendung der<br />
Streichpsalter. Werden sie wohl rechtzeitig<br />
zum Frühlingserwachen fertig<br />
sein? Wie auch immer: Zu der grossen<br />
Freude, etwas so Schönes geschaffen<br />
zu haben, gesellt sich jetzt noch die<br />
Vorfreude, in die leuchtenden Augen<br />
unserer Kinder zu schauen, wenn sie<br />
ihr Instrument zum erstenmal in ihren<br />
Händen halten und darauf spielen.<br />
Können Sie sich etwas Schöneres vorstellen?<br />
Herzlichen Dank für deine Inspiration,Margrith!<br />
Nancy Ramser<br />
<strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong>-<strong>Schule</strong> <strong>Aargau</strong> <strong>Mitteilungen</strong> <strong>Ostern</strong> <strong>2003</strong>