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Wenn die Einzelkatze reden könnte - caet.ch

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Brisant<br />

I<strong>ch</strong> weiss ni<strong>ch</strong>t, woher <strong>die</strong> Meinung kommt –<br />

wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> wurde sie von Generation zu<br />

Generation kritiklos weitergerei<strong>ch</strong>t: Viele<br />

Mens<strong>ch</strong>en glauben nämli<strong>ch</strong>, dass <strong>die</strong> Katze<br />

si<strong>ch</strong> selbst genüge, weil sie gerne fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erweise<br />

als Einzelgängerin dargestellt<br />

wird. Als Einzelgängerin ist <strong>die</strong> Katze aber<br />

nur auf der Jagd anzutreffen. <strong>Wenn</strong> sie mit<br />

anderen Katzen aufgewa<strong>ch</strong>sen ist, was ja in<br />

vielen Fällen so ist, verhält sie si<strong>ch</strong> ansonsten<br />

sehr gruppenfreundli<strong>ch</strong>. In meiner langjährigen<br />

Erfahrung mit Katzen habe i<strong>ch</strong> jedenfalls<br />

den Eindruck gewonnen, dass Katzen im Allgemeinen<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft über alles s<strong>ch</strong>ätzen.<br />

Natürli<strong>ch</strong>, es finden si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> immer wieder<br />

Einzelgänger darunter, denen <strong>die</strong> Artgenossen<br />

ni<strong>ch</strong>t allzu viel bedeuten oder <strong>die</strong> in einer<br />

Gruppe ni<strong>ch</strong>t Fuss fassen können. Allen<br />

gemeinsam aber ist <strong>die</strong> enge Bindung an<br />

den Mens<strong>ch</strong>en – sofern sie in ihrer Prägungszeit<br />

Zugang zum Mens<strong>ch</strong>en finden<br />

konnten. Denn ni<strong>ch</strong>t nur Hunde kennen eine<br />

Prägungsphase, au<strong>ch</strong> Katzen haben ein Zeitfenster,<br />

in dem <strong>die</strong> Wei<strong>ch</strong>en für <strong>die</strong> Zukunft<br />

gestellt werden. Die so genannte sensible<br />

Phase, ni<strong>ch</strong>t nur für den Umgang mit Artgenossen,<br />

sondern au<strong>ch</strong> für <strong>die</strong> Gewöhnung an<br />

den Mens<strong>ch</strong>en gültig, dauert etwa bis zum<br />

zweiten Lebensmonat. Dann ist der Grundstein<br />

fürs Leben gelegt.<br />

Die Sünden vergangener Zeiten<br />

<strong>Wenn</strong> i<strong>ch</strong> hier über das gar ni<strong>ch</strong>t so unbrisante<br />

Thema der Einzelhaltung s<strong>ch</strong>reibe, so<br />

tue i<strong>ch</strong> <strong>die</strong>s keinesfalls, ohne ni<strong>ch</strong>t auf ernü<strong>ch</strong>ternde<br />

Selbsterfahrung zurückblicken zu müssen<br />

– leider. Vor mehr als 30 Jahren besass<br />

au<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> eine <strong>Einzelkatze</strong>, war berufli<strong>ch</strong> sehr<br />

engagiert, und <strong>die</strong> wenigen freien Abendund<br />

Wo<strong>ch</strong>enendstunden musste meine arme<br />

Tigerdame, <strong>die</strong> in einem Nürensdorfer Pferdestall<br />

das Li<strong>ch</strong>t der Welt erblickt hatte, mit<br />

Abendsitzungen, Einkaufsaktivitäten, Fitnessstudio,<br />

Tête-à-Tête-Na<strong>ch</strong>tessen, Theaterbesu<strong>ch</strong>en,<br />

Skiweekends und sonstigen auswärtigen<br />

Hobbys teilen. Da blieb ni<strong>ch</strong>t mehr viel<br />

Zeit für kus<strong>ch</strong>elige S<strong>ch</strong>musytime. Natürli<strong>ch</strong><br />

freute i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>, wenn sie mi<strong>ch</strong> abends ho<strong>ch</strong>erhobenen<br />

S<strong>ch</strong>wanzes und gurrend, den<br />

Tauben glei<strong>ch</strong>, empfing. Natürli<strong>ch</strong> gab es feine<br />

Häpp<strong>ch</strong>en als Trostpfläster<strong>ch</strong>en für einsame<br />

getigerte Miezestunden. Natürli<strong>ch</strong> liebte<br />

i<strong>ch</strong> <strong>die</strong> knuddeligen Eins<strong>ch</strong>lafminuten mit ihr<br />

und das Aufwa<strong>ch</strong>-Szenario, wenn sie mir<br />

Bau<strong>ch</strong> aufwärts unermüdli<strong>ch</strong> stämpfelnd und<br />

unüberhörbar s<strong>ch</strong>nurrend kundtat, dass <strong>die</strong><br />

dunkle Na<strong>ch</strong>t ein Ende hatte. Diese Stunden<br />

waren zweifelsfrei ein Ho<strong>ch</strong>genuss für beide.<br />

Wie s<strong>ch</strong>limm mag dagegen jener Moment<br />

Foto: C. Kasper<br />

für <strong>die</strong> pelzige Weggefährtin gewesen sein,<br />

wenn <strong>die</strong> Tür für viele Stunden unwiderrufli<strong>ch</strong><br />

ins S<strong>ch</strong>loss fiel.<br />

Dazumal war das Einzäunen eines Balkons<br />

oder das Vergittern der Fenster no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so<br />

übli<strong>ch</strong> wie heute, wo es fast s<strong>ch</strong>on als selbstverständli<strong>ch</strong><br />

gilt. So blieben aus lauter Angst,<br />

dass meiner kleinen Herzensfreundin während<br />

meiner Abwesenheit etwas passieren<br />

<strong>könnte</strong>, Tür und Fenster für sie ges<strong>ch</strong>lossen.<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> wollte i<strong>ch</strong> sie, na<strong>ch</strong> deren Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> monatelang gesehnt hatte,<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ein Unglück verlieren. Zurück<br />

blieben 50 m 2 Wohlstandsstereotypie – Rolf<br />

Benz 2-Sitzer auf Hirtenteppi<strong>ch</strong>, zwei Fellmäuse<br />

artig darauf drapiert. Die liebevoll<br />

selbst getöpferten Keramiks<strong>ch</strong>alen mit Katzenöhr<strong>ch</strong>en,<br />

randvoll gefüllt, blieben meistens<br />

bis zu meiner abendli<strong>ch</strong>en Rückkehr unangetastet.<br />

Die Mäuse au<strong>ch</strong>. Dem Katzengras<br />

im blauen Übertopf mit lustigem Aufdruck<br />

„happy cat“ ward kein Halm geknickt. Einzig<br />

der Platz vor dem Wassernapf zeigte<br />

S<strong>ch</strong>labberspuren. Kummer lässt <strong>die</strong> Freude<br />

am Essen und Spielen bekanntli<strong>ch</strong> vergehen.<br />

Der Gedanke an <strong>die</strong>ses Szenario ma<strong>ch</strong>t mir<br />

no<strong>ch</strong> heute, viele Jahrzehnte dana<strong>ch</strong>, Bau<strong>ch</strong>weh<br />

sonderglei<strong>ch</strong>en. Parallelen in meinem<br />

Umfeld lassen <strong>die</strong>ses damalige Horrorszenario<br />

immer wieder aufs Neue aufleben.<br />

Die Quittung<br />

Kus<strong>ch</strong>el, <strong>die</strong> kus<strong>ch</strong>elige Vereinsamte, hinterliess<br />

mir eines s<strong>ch</strong>önen Tages einen langen<br />

Brief in Form einer riesengrossen Pfütze. Sie<br />

s<strong>ch</strong>rieb: „Du lässt mi<strong>ch</strong> nun s<strong>ch</strong>on seit Monaten<br />

zwis<strong>ch</strong>en zehn und vierzehn Stunden<br />

allein. I<strong>ch</strong> habe keinen Auslauf, keine fris<strong>ch</strong>e<br />

Luft, kann keinen S<strong>ch</strong>metterling fangen und<br />

kann ni<strong>ch</strong>t in Erde buddeln. I<strong>ch</strong> habe tagsüber<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal einen Balkon, von<br />

dem aus i<strong>ch</strong> wenigstens <strong>die</strong> Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft<br />

grüssen kann. Keinen Artgenossen kriege i<strong>ch</strong><br />

jemals mehr zu Gesi<strong>ch</strong>t. Ges<strong>ch</strong>weige denn<br />

habe i<strong>ch</strong> einen eigenen wei<strong>ch</strong>en Katzenkumpel,<br />

an den i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> reiben kann. Tagaus,<br />

tagein das glei<strong>ch</strong>e gähnende Allerlei<br />

und <strong>die</strong>selbe Leier. <strong>Wenn</strong> du na<strong>ch</strong> Hause<br />

kommst, bist du müde. Trotzdem, du räumst<br />

auf, putzt, giesst <strong>die</strong> Pflanzen, ko<strong>ch</strong>st, ri<strong>ch</strong>test<br />

deine Kleider für den nä<strong>ch</strong>sten Tag. Du<br />

s<strong>ch</strong>aust Fernsehen, liest <strong>die</strong> Zeitung, trinkst<br />

ein Glas Wein, telefonierst mit Gott und der<br />

Welt und fällst dann wie eine gefällte Tanne<br />

ins Bett. Natürli<strong>ch</strong>, du fütterst mi<strong>ch</strong>, reinigst<br />

meine Hinterlassens<strong>ch</strong>aft, säuberst meinen<br />

Kratzbaum, der für mi<strong>ch</strong> alleine sowieso viel<br />

zu gross ist, nimmst mi<strong>ch</strong> auf den Arm, wirfst<br />

mir mal <strong>die</strong> Fellmaus zu, in der Meinung, i<strong>ch</strong><br />

raste dann glei<strong>ch</strong> vor Freude aus, strei<strong>ch</strong>elst<br />

mi<strong>ch</strong> und sagst mir, dass i<strong>ch</strong> dein Ein und Alles<br />

bin. Behandelt man so sein Ein und Alles?<br />

I<strong>ch</strong> bin einsam.“ So s<strong>ch</strong>rieb <strong>die</strong> Katze.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> besah si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> hässli<strong>ch</strong>e Pfütze<br />

und las: „Du bist eine Bauernkatze. Diese<br />

Sorte bleibt immer ein biss<strong>ch</strong>en unsauber, ihr<br />

Leben lang. Zudem bist du undankbar. Du<br />

hast den Himmel auf Erden: eine s<strong>ch</strong>öne<br />

Wohnung, einen Mammutkratzbaum, Spielzeug<br />

zum Umfallen, ein 5*****-Essen und<br />

ein Frau<strong>ch</strong>en, das nur dein Bestes will. Als<br />

geborene Einzelgängerin döst du sowieso<br />

den ganzen Tag vor di<strong>ch</strong> hin, deshalb<br />

Foto: Maudi

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