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Au s g ab e 0 1 / 0 9 Ausgabe Palliativversorgung - HealthCare ...

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Abschied<br />

16<br />

„Wenn ein alter Mensch stirbt, muss man ein Stück der Vergangenheit<br />

loslassen. Wenn ein Kind stirbt, dann stirbt ein Stück Zukunft.“<br />

Hannelore Goebel-Haase<br />

erfolgreich wieder herausgeholt werden“, leitet sie ihre Antwort<br />

ein, wie mit der Entscheidung des ärztlichen und pflegerischen<br />

Teams für einen Therapie<strong>ab</strong>bruch umgegangen wird. „Wenn dann<br />

doch nichts mehr geht, verstehen das manche Eltern nicht. Es<br />

kann drei Tage dauern, bis die Seele hinterherkommt.“<br />

Raum und Zeit geben, Abschied zu nehmen<br />

Die 59-jährige Diakonin ist Begleiterin in diesem Prozess. „Keine<br />

Endlosgespräche“, sondern immer wieder reden, ist ihre Strategie.<br />

„Etwas durch das Gespräch verflüssigen“, nennt sie das. Wenn<br />

etwa die Beatmung eines Kindes eingestellt werden soll, dann erklärt<br />

sie Mutter und Vater, dass dies geschieht, „um das Kind nicht<br />

zu quälen und um das Kind nicht am Gehen zu hindern“. Beizustehen<br />

heißt jetzt, „Raum und Zeit zu geben, über Trauer zu sprechen,<br />

einfach auch zu weinen, zu schweigen, zu klagen, wie Gott das<br />

zulassen kann“. Sind alle bereit – Ärzte, Pflegeteam, Angehörige<br />

und wenn möglich, auch die Kinder oder Jugendlichen –, den letzten<br />

Schritt zu gehen, begleitet die Seelsorgerin sie.<br />

Eine Kultur des Abschieds<br />

Wie soll es sein, wenn das Gerät ausgeschaltet wird, wenn das Kind<br />

den letzten Atemzug tut? Wollen die Eltern es im Arm halten? Sollen<br />

Angehörige, Ärzte, Pfleger, Diakonin einen Kreis um das Bett bilden?<br />

Wer allein sein möchte, dessen Wunsch wird natürlich respektiert.<br />

„Das ist ohne Wenn und Aber o. k.“ Die Erfahrung der Seelsorgerin<br />

und ihrer Kollegen zeigt, wenn im großen Kreis Abschied genommen<br />

wird, trägt dieser Kreis: „Wir ermuntern dazu, die Geschwisterkinder<br />

mitzunehmen, wenn sie selbst das möchten.“ Und Goebel-Haase,<br />

selbst stolze Oma, findet es gut, wenn die Großeltern dazukommen.<br />

„Sie sind zwar Betroffene, wenn ihr Enkelkind stirbt. Aber sie können<br />

ihren eigenen erwachsenen Kindern, die ihre Tochter oder ihren<br />

Sohn gehen lassen müssen, den Rücken stärken.“<br />

Im Laufe der Jahre hat sich an der Uni-Kinderklinik in Hannover<br />

eine Abschiedskultur entwickelt, getragen von Seelsorgern, Ärzten<br />

und Pflege. Keine einfache Sache, denn „es dauert schon lange, so<br />

Fuß fassen zu können als Seelsorgerin an so einer Einrichtung“.<br />

Die rote Brille, ins graue Haar gesteckt, funkelt. Als Goebel-Haase<br />

Ende der 1980er-Jahre anfing, stand sie bei einer Nottaufe meist<br />

allein mit den Eltern am Bett, „heute sind immer auch Ärzte und<br />

Ärztinnen, Schwestern und Pfleger d<strong>ab</strong>ei – und es tut ihnen gut“.<br />

Das seelsorgerliche Ritual des Abschiednehmens, die <strong>Au</strong>ssegnung,<br />

hat feste Bestandteile. Als hole sie aus ihrem Kopf einzelne Bilder<br />

hervor, so wirkt Goebel-Haase, als sie den Ablauf beschreibt: Immer<br />

bilden die Anwesenden einen Kreis ums Bett oder um den, der<br />

das Kind im Arm hat. Alle halten sich an den Händen und sprechen<br />

das „Vater unser“. Dann gibt es einen Segen für das Kind und für<br />

die zurückbleibende Familie. Beim Segen für das Kind legen ihm<br />

alle die Hand auf. Die Eltern können ihm das Kreuzzeichen auf<br />

die Stirn zeichnen, „um ihrem Kind selbst den Segen zu geben“.<br />

Ein Großvater offenbarte der Seelsorgerin nach der <strong>Au</strong>ssegnung<br />

seines Enkels: „Bei uns sind schon viele gestorben. Aber ich wusste<br />

gar nicht, dass man so schön Abschied nehmen kann.“<br />

Kinder und Jugendliche: Tut Sterben weh?<br />

Natürlich hat es auch für die jungen und jugendlichen Patienten<br />

größte Bedeutung, gut behütet gehen zu können. Grundsätzlich<br />

das Einverständnis und Vertrauen der Eltern vorausgesetzt, geht<br />

Goebel-Haase auf die Mädchen und Jungen zu. „Ich spreche auch<br />

sedierte, beatmete und ganz kleine Kinder direkt mit Namen an.<br />

Ich glaube, sie bekommen viel mit.“ Sie erklärt ihnen, was sie tut,<br />

wenn sie ihnen zum Beispiel ein Kreuzzeichen auf die Stirn macht,<br />

„als Zeichen, dass Du unter dem Schutz von Christus stehst“.<br />

Mit älteren Kindern und Jugendlichen sucht sie den Dialog, hört<br />

auf deren Fragen, Ängste und Wünsche. „Alle Kinder, die lange<br />

hier in Behandlung sind, h<strong>ab</strong>en eine Notreife.“ Die Seelsorgerin<br />

denkt an das Gespräch mit einer 16-Jährigen über Sterben und Tod<br />

zurück. „Es war, wie wenn ich mich mit einer 40-jährigen Frau unterhalten<br />

hätte.“ Die junge Frau hatte miterlebt, wie andere noch<br />

an die Geräte angeschlossen starben, „und so wollte sie doch bitte<br />

nicht sterben“.<br />

01/09

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