Au s g ab e 0 1 / 0 9 Ausgabe Palliativversorgung - HealthCare ...
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<strong>Palliativversorgung</strong><br />
geführt hat und trotzdem sind wir immer<br />
wieder auf Grenzen in den Entscheidungen<br />
gestoßen. Wenn ich sagen würde, ich h<strong>ab</strong>e<br />
mit Palliativmedizin begonnen, weil ich<br />
wusste, wo wir einmal sein werden, dann<br />
ist das gelogen. In meiner Ansprache 1990<br />
zur Eröffnung der Palliativstation in Bonn,<br />
h<strong>ab</strong>e ich erwähnt, dass ich davon ausgehe,<br />
wir benötigen für die Verankerung dieser<br />
Form der Medizin so etwa zehn Jahre. Ich<br />
glaube heute, dass es gut und richtig ist,<br />
Schwerpunkte für die Palliativmedizin zu<br />
h<strong>ab</strong>en. Aber wir müssen unsere Haltung<br />
und all das, was wir können in der Betreuung<br />
am Lebensende, in der Schmerztherapie,<br />
in der Symptomkontrolle, in der<br />
Gesprächsführung und in der ethischen<br />
<strong>Au</strong>seinandersetzung in die anderen Disziplinen<br />
hineinbringen. 450 000 Menschen<br />
sterben jährlich in stationären Einrichtungen,<br />
120 000 in Pflegeeinrichtungen und<br />
von 450 000 sind es mindestens 45 000<br />
auf Intensivstationen, also zehn Prozent.<br />
Demgegenüber h<strong>ab</strong>en wir vielleicht 15 000<br />
bis 20 000 Menschen auf Palliativstationen<br />
und in Hospizen stationär behandelt.<br />
Wo sehen Sie die Herausforderungen für<br />
die Intensiv- und Palliativmedizin?<br />
Nauck: Es gibt leider immer noch zu viele<br />
Menschen, die in Altenpflegeheimen reanimiert<br />
werden, obwohl dieses eigentlich<br />
gar nicht gewünscht war oder es vielleicht<br />
auch medizinisch nicht indiziert ist. Das<br />
ist eine Situation, bei der wir eben auch<br />
durch unsere enge Zusammenarbeit in unserem<br />
Zentrum die Möglichkeit h<strong>ab</strong>en, die<br />
Notärzte zu schulen und zu sensibilisieren.<br />
Wir werden auch zunehmend gefragt, ob<br />
wir Patienten in den Altenheimen mitbetreuen<br />
können, auch Patienten, die vorher<br />
auf Intensiv lagen und bei denen wegen<br />
einer nicht heilbaren Erkrankung schon im<br />
Krankenhaus überlegt wird: Hat eine erneute<br />
Beatmung Sinn? Wir führen auch da<br />
ethische Fallgespräche mit den Hausärzten<br />
und den Pflegenden vor Ort.<br />
Unsere Bevölkerung wird immer älter.<br />
Kann man in Zukunft jedem alles zur<br />
Verfügung stellen?<br />
Quintel: Wir entziehen uns nicht der Verantwortung,<br />
<strong>ab</strong>er ob einem betagten<br />
Menschen alle Möglichkeiten der Medizin<br />
offenstehen sollen, diese Frage kann sich<br />
nur eine Gesellschaft in ihrer Gesamtheit<br />
stellen. Zu sagen, <strong>ab</strong> einem bestimmten<br />
Alter gibt es keine hüftgelenksnahe Chirurgie<br />
mehr oder was auch immer, das ist eine<br />
Entscheidung, die müssen die Entscheider<br />
und Betroffenen einer Gesellschaft tragen.<br />
Ich halte Denkansätze in Richtung der<br />
Verbindung von biologischem Alter und<br />
Zugang zu bestimmten Formen der medizinischen<br />
Versorgung für unglücklich und<br />
falsch. Wir h<strong>ab</strong>en 80-Jährige, die sind geistig<br />
und körperlich topfit und verfügen über<br />
einen unbändigen Lebenswillen und es gibt<br />
60-Jährige, die sagen: „Bloß nicht mehr mit<br />
mir.“ Schon jetzt zeichnet sich <strong>ab</strong>er noch<br />
ein weiteres großes Ressourcenproblem<br />
der Zukunft <strong>ab</strong>. Wir werden in <strong>ab</strong>sehbarer<br />
Zukunft zu wenig Ärzte h<strong>ab</strong>en. Bei steigendem<br />
Bedarf und Ansprüchen werden wir<br />
mit weniger potentiellen Leistungserbringern<br />
rechnen können und werden nolens<br />
volens über andere Behandlungsmodelle<br />
nachdenken müssen.<br />
Wenn nicht nach dem Alter, wie ermittelt<br />
man dann die Grenze, zu dem was im<br />
speziellen Fall sinnvoll ist?<br />
Nauck: Eine alternde Gesellschaft ist nicht<br />
zwangsläufig im Alter so viel kränker. Das<br />
Problem liegt u. a. darin, die Leistungsexplosion<br />
mit all den modernen Möglichkeiten,<br />
die die Medizin bietet, im Gesundheitswesen<br />
zu finanzieren. Die „Monetik“<br />
Das Zentrum Anaesthesiologie,<br />
Rettungs- und Intensivmedizin (ZARI)<br />
Das Zentrum besteht aus den klinischen Abteilungen Anaesthesiologie<br />
und Intensivmedizin sowie einer Schwerpunktprofessur<br />
für Schmerzheilkunde.<br />
Professor Dr. Michael Quintel (54), seit 2003 in Forschung<br />
und Lehre an der Universität Göttingen tätig, ist Zentrumsleiter.<br />
Die Abteilung für Palliativmedizin wird seit 2006 von Professor<br />
Dr. Friedemann Nauck (53) geleitet. Er hat den Lehrstuhl<br />
für Palliativmedizin inne.<br />
Informationen im Internet:<br />
www.zari.med.uni-goettingen.de<br />
obere Abb.: Professor Dr. Michael Quintel<br />
untere Abb.: Professor Dr. Friedemann Nauck<br />
darf <strong>ab</strong>er nicht die Ethik bestimmen. Es<br />
ist eine Herausforderung für uns Ärzte, in<br />
Zukunft eine Medizin zu betreiben, die die<br />
bestmögliche Medizin für den Einzelnen<br />
ist. Also nicht alles zu tun, was technischmedizinisch<br />
machbar ist, sondern alles das,<br />
was für den Einzelnen medizinisch-ethisch<br />
vertretbar ist. Das bedeutet eben auch,<br />
anstelle von Stents und mehreren Bypass-<br />
OPs, die immer wieder mehr Komplikationen<br />
machen können, einen anderen Weg zu<br />
gehen durch lindernde Maßnahmen – und<br />
hier sind wir wieder in der Palliation – Hilfe<br />
anzubieten.<br />
Wir brauchen Palliativstationen, weil sie<br />
für die Patienten ganz wichtig sind, die im<br />
ambulanten Bereich und auf anderen Stationen<br />
nicht ausreichend behandelt werden<br />
können. Und wir brauchen sie als Kristallisationspunkte<br />
und Multiplikatoren für <strong>Au</strong>sund<br />
Weiterbildung, damit wir schwerkranke<br />
Menschen und ihre Angehörigen betreuen<br />
können. Der Bedarf an <strong>Palliativversorgung</strong><br />
wird aufgrund der Entwicklung der Gesellschaft<br />
wichtiger denn je sein. Unsere<br />
<strong>Au</strong>fg<strong>ab</strong>e muss es sein, gemeinsam mit den<br />
Hausärzten und Pflegediensten, so viele<br />
Patienten wie möglich ambulant zu betreuen.<br />
Dies ist auch unter ökonomischen<br />
Bedingungen sinnvoll.<br />
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