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Die Besetzung der japanischen Botschaft in Peru durch die MRTA

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E<strong>in</strong>führung (Kerst<strong>in</strong>)<br />

Kurz vor Weihnachten im letzen Jahr, am 17. Dezember stürmten ca. zwei Dutzend Guerilleros<br />

des Tupac Amaru <strong>die</strong> Residenz des <strong>japanischen</strong> <strong>Botschaft</strong>ers im Lima/<strong>Peru</strong> und beendeten<br />

abrupt <strong>die</strong> Feiern zum Geburtstag des <strong>japanischen</strong> Kaisers.<br />

Seitdem beherrschten <strong>die</strong> Nachrichten um das Geiseldrama aus <strong>Peru</strong> auch <strong>die</strong> Schlagzeilen<br />

<strong>der</strong> deutschen Zeitungen. Hauptfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Geiselnehmer s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Freilassung von<br />

Ges<strong>in</strong>nungsgenossen aus den peruanischen Gefängnissen. Nach und nach ließen <strong>die</strong> Rebellen<br />

bis auf 72 hochrangige Geiseln aus <strong>Peru</strong>, Japan und Bolivien alle an<strong>der</strong>en Partygäste frei.<br />

Mit <strong>die</strong>ser Radiosendung wollen wir über <strong>die</strong> For<strong>der</strong>ungen des Tupac Amaru und <strong>die</strong> Beweggründe<br />

<strong>der</strong> Guerrilla zu <strong>die</strong>ser spektakulären Aktion <strong>in</strong>formieren. Im Mittelpunkt wird dabei<br />

auch <strong>die</strong> Wirtschaftspolitik des autoritären Regimes <strong>in</strong> <strong>Peru</strong> stehen sowie <strong>die</strong> Menschenrechtslage<br />

und <strong>die</strong> unmenschlichen Haftbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den Gefängnissen des Andenstaates.<br />

Rede und Antwort stehen uns Naldy Afemann Vásquez aus <strong>Peru</strong> und ihr Ehemann Uwe Afemann,<br />

<strong>der</strong> für zwei Jahre als Entwicklungshelfer <strong>in</strong> Lima tätig war.<br />

Frage (Kerst<strong>in</strong>): Können Sie uns kurz den Ablauf <strong>der</strong> bisherigen Ereignisse um <strong>die</strong><br />

<strong>Botschaft</strong>sbesetzung und Geiselnahme skizzieren?<br />

Antwort (Uwe): E<strong>in</strong>en Tag nachdem <strong>die</strong> Tupac Amaru Insassen <strong>in</strong> den peruanischen<br />

Gefängnissen e<strong>in</strong>en Hungerstreik begonnen hatten, um auf <strong>die</strong> unmenschlichen<br />

Haftbed<strong>in</strong>gungen aufmerksam zu machen, drangen ca. zwanzig schwer bewaffnete Rebellen<br />

des Tupac Amaru <strong>in</strong> <strong>die</strong> Residenz des <strong>japanischen</strong> <strong>Botschaft</strong>ers e<strong>in</strong> und nahmen ca. 700<br />

Geiseln. Noch am ersten Tag wurden alle weiblichen und älteren Geiseln freigelassen,<br />

darunter auch <strong>die</strong> Mutter des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori. Zur Zeit bef<strong>in</strong>den<br />

sich noch 72 Personen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gewalt <strong>der</strong> Geiselnehmer, darunter <strong>der</strong> Außenm<strong>in</strong>ister <strong>Peru</strong>s, <strong>der</strong><br />

Agrarm<strong>in</strong>ister, mehrere Vizem<strong>in</strong>ister, <strong>die</strong> <strong>Botschaft</strong>er Japans und Boliviens sowie zahlreiche<br />

Generäle und an<strong>der</strong>e Representanten <strong>der</strong> peruanischen Regierung sowie <strong>der</strong> jüngere Bru<strong>der</strong><br />

des peruanischen Präsidenten.<br />

E<strong>in</strong>e Hauptfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Botschaft</strong>sbesetzer ist <strong>die</strong> Freilassung von Ges<strong>in</strong>nungsgenossen. Um<br />

<strong>die</strong>s zuerreichen for<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Guerillas Verhandlungen mit <strong>der</strong> peruanischen Regierung. Doch<br />

<strong>die</strong>se tut sich sehr schwer damit, setzt sie doch <strong>in</strong>s Geheim auf e<strong>in</strong>e gewaltsame Befreiungsaktion,<br />

auch wenn dabei <strong>die</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Geiseln umkommen sollte. So steht es jedenfalls <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Aktionsplan <strong>der</strong> am letzten Sonntag <strong>in</strong> <strong>Peru</strong> bekannt wurde.<br />

Unterstützt <strong>in</strong> ihrer harten Haltung wird <strong>die</strong> peruanische Regierung dabei von den USA. In<br />

den letzten Tagen hat sich <strong>der</strong> peruanische Präsident auf Druck se<strong>in</strong>es Amtskollegen aus<br />

Japan bereit erklärt, erste Son<strong>die</strong>rungsgespräche mit den Guerilleros aufzunehmen. Denn<br />

Japan bevorzugt e<strong>in</strong>e friedliche Lösung des Geiseldramas. Seit dem 11. Februar f<strong>in</strong>den unter<br />

Aufsicht des Internationalen Roten Kreuzes Gespräche mit den Geiselnehmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong><br />

<strong>Botschaft</strong>erresidenz statt. Bisher s<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> den Gesprächen noch ke<strong>in</strong>e konkreten<br />

Ergebnisse erzielt worden.<br />

Frage(Gerborg): Was s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> konkreten For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Geiselnehmer?<br />

Antwort (Uwe): <strong>Die</strong> Rebellen <strong>der</strong> Tupac Amaru haben vier For<strong>der</strong>ungen an <strong>die</strong> Regierung.<br />

Zum ersten verlangen sie e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> peruanischen Wirtschaftspolitik, welche <strong>die</strong><br />

Mehrzahl <strong>der</strong> <strong>Peru</strong>aner <strong>in</strong> Armut versetzt hat. Zum Zweiten steht <strong>die</strong> For<strong>der</strong>ung nach <strong>der</strong><br />

Freilassung von <strong>in</strong>haftierten Mitglie<strong>der</strong>n <strong>die</strong>ser Organisation und damit eng verbunden <strong>die</strong><br />

dritte For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>em freien Geleit <strong>in</strong>s zentrale Amazonasgebiet. <strong>Die</strong> vierte For<strong>der</strong>ung<br />

bezieht sich auf e<strong>in</strong>e sogenannte Kriegssteuer. Hier wurde bekannt, daß <strong>die</strong> Rebellen <strong>die</strong><br />

Verteilung von Lebensmitteln <strong>in</strong> den Armenvierteln <strong>Peru</strong>s anstreben.<br />

Frage (Gerborg): Sie sagen <strong>die</strong> Guerilla for<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> peruanischen<br />

Wirtschaftspolitik. Können Sie uns kurz beschreiben, wie <strong>die</strong> wirtschaftliche Lage <strong>in</strong> <strong>Peru</strong>


aussieht? Das deutsche Fernsehen hat viel über <strong>die</strong> Armutssituation <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Andenstaat<br />

berichtet.<br />

Antwort (Naldy): Als <strong>der</strong> peruanische Präsident Alberto Fujimori 1990 an <strong>die</strong> Macht kam,<br />

gab es <strong>in</strong> <strong>Peru</strong> e<strong>in</strong>e Hyper<strong>in</strong>flation von ca. 3000 %. Mit e<strong>in</strong>er Schockpolitik gelang es <strong>der</strong><br />

Regierung <strong>die</strong> Inflation auf ca. 12 % jährlich zu drücken, doch <strong>die</strong> Folgen für <strong>die</strong> große<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung s<strong>in</strong>d katastrophal. Ca. <strong>die</strong> Hälfte <strong>der</strong> <strong>Peru</strong>aner lebt <strong>in</strong> Armut, d. h.<br />

hat weniger als zwei Dollar täglich zur Verfügung und 4,5 Millionen <strong>Peru</strong>aner müssen mit<br />

weniger als e<strong>in</strong>em Dollar pro Tag auskommen. Dabei muß man wissen, daß <strong>der</strong> Lebensmittelkorb<br />

für e<strong>in</strong>e peruanische Familie m<strong>in</strong>destens 206 Dollar beträgt. Nur ca. 15 % aller<br />

Beschäftigten haben e<strong>in</strong>e feste Arbeit, alle an<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d entwe<strong>der</strong> arbeitslos, haben e<strong>in</strong>e<br />

Gelegenheitsarbeit o<strong>der</strong> arbeiten als fliegende Händler.<br />

Unmittelbare Folge <strong>die</strong>ser wirtschaftlichen Schocktherapie war das Wie<strong>der</strong>auftauchen <strong>der</strong><br />

schon besiegt geglaubten Cholera im Jahr 1991. Heutzutage s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Hälfte <strong>der</strong> Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

unterernährt und viele können nicht zur Schule gehen, weil sie zu arm s<strong>in</strong>d. Sie müssen<br />

arbeiten. Außerdem hat <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> an Tuberkulose Erkrankten enorm zugenommen.<br />

Frage (Gerborg): Wie kam es zu <strong>die</strong>sen Maßnahmen?<br />

Antwort (Uwe): <strong>Die</strong> Vorgängerregierung hatte <strong>die</strong> Zahlungen <strong>der</strong> Auslandsschulden<br />

e<strong>in</strong>gestellt und war auf den <strong>in</strong>ternationalen Kreditmärkten nicht mehr kreditwürdig. Um <strong>die</strong>se<br />

Kreditwürdigkeit wie<strong>der</strong>zuerlangen mußte <strong>Peru</strong> bestimmte Auflagen <strong>der</strong> Weltbank und des<br />

<strong>in</strong>ternationalen Währungsfonds erfüllen. U. a. gehörte dazu <strong>die</strong> Streichung von Subventionen<br />

für Grundnahrungsmittel, <strong>die</strong> Öffnung für ausländische Waren und <strong>die</strong> Privatisierung von<br />

Staatsbetrieben sowie <strong>die</strong> Verschlankung des Staatsapparates. <strong>Die</strong>s führte zum e<strong>in</strong>em zur<br />

Entlassung von ca. e<strong>in</strong>er halben Million Staatsbe<strong>die</strong>nsteter und zum an<strong>der</strong>en zu zahlreichen<br />

Entlassungen <strong>in</strong> den privatisierten Betrieben. Anzumerken bleibt, daß sich nur <strong>die</strong> rentablen<br />

Staatsbetriebe privatisieren ließen und <strong>die</strong> maroden Betriebe blieben <strong>in</strong> Staatsbesitz, so daß<br />

<strong>der</strong> Staat jetzt noch schlechter dasteht.<br />

<strong>Die</strong> staatliche För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rohstoffexporte bedeutete gleichzeitig <strong>die</strong> Vernachlässigung <strong>der</strong><br />

Landwirtschaft für den B<strong>in</strong>nenmarkt. So wurden <strong>die</strong> Lebensmittel knapp, man mußte<br />

Lebensmittel importieren, aber <strong>die</strong> Devisen aus dem Verkauf <strong>der</strong> Rohstoffe reichten nicht aus,<br />

um den Import <strong>der</strong> Lebensmittel und an<strong>der</strong>e Staatsausgaben zu f<strong>in</strong>anzieren. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>fache<br />

Lösung für <strong>die</strong> Regierungen seit zwanzig Jahren war und ist, Geld von den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Banken auszuleihen.<strong>Die</strong> Auslandsschulden stiegen von 20 Milliarden auf nunmehr 34<br />

Milliarden Dollar. E<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> geschaffenen Werte im Lande muß für <strong>die</strong> Rückzahlung<br />

<strong>der</strong> Schulden an den reichen Norden aufgebracht werden.<br />

Begleitend zu <strong>die</strong>sen Maßnahmen wurden <strong>die</strong> Arbeitsgesetze verschlechtert. Arbeitnehmer<br />

unter 25 Jahren gelten als Lehrl<strong>in</strong>ge und werden entsprechend schlecht bezahlt und s<strong>in</strong>d ohne<br />

jegliche Sozialversicherung. <strong>Die</strong> meisten Menschen ver<strong>die</strong>nen nicht e<strong>in</strong>mal den gesetzlich<br />

festgelegten M<strong>in</strong>destlohn von ca. 82 Dollar. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>, daß <strong>die</strong> meisten <strong>Peru</strong>aner nur ca.<br />

1800 Kalorien täglich zu sich nehmen, viel weniger als <strong>die</strong> notwendigen 2700 Kalorien.<br />

<strong>Die</strong> Öffnung <strong>der</strong> Märkte führte zu e<strong>in</strong>er Verschlechterung <strong>der</strong> Außenhandelsbilanz, <strong>die</strong> jetzt<br />

e<strong>in</strong>en Negativrekord von 2,5 Milliarden Dollar beträgt. Daneben wurden da<strong>durch</strong> zahlreiche<br />

peruanische Betriebe kaputt gemacht.<br />

Frage (Gerborg): Wie reagierte <strong>die</strong> Bevölkerung auf <strong>die</strong>se Verschlechterung ihrer<br />

wirtschaftlichen Situation?<br />

Antwort (Naldy): Der eben beschriebene Verarmungsprozeß hält schon seit zwanzig Jahren<br />

an. So reagierte <strong>die</strong> Bevölkerung sehr unterschiedlich auf <strong>die</strong>se aufsichtslose Situation. E<strong>in</strong>ige<br />

Menschen engagierten sich weiter <strong>in</strong> den Gewerkschaften, an<strong>der</strong>e g<strong>in</strong>gen zur Guerilla, vor<br />

allem jüngere Menschen und an<strong>der</strong>e organisierten sich an <strong>der</strong> Basis <strong>in</strong> den Elendsvierteln.<br />

Inzwischen lebt über <strong>die</strong> Hälfte <strong>der</strong> acht Millionen Menschen <strong>in</strong> Lima <strong>in</strong> den sogenannten


arriadas. Von den Basisorganisationen s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s zwei hervorzuheben, nämlich <strong>die</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaftsküchen und <strong>die</strong> Kommitees für e<strong>in</strong> Glas Milch.<br />

<strong>Die</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsküchen werden spontan <strong>durch</strong> ca. zwanzig Mütter e<strong>in</strong>es Wohnblockes <strong>in</strong><br />

den Elendsvierteln gebildet, <strong>die</strong> ihre Familien täglich mit e<strong>in</strong>em warmen Mittagessen<br />

versorgen wollen. Durch den geme<strong>in</strong>samen E<strong>in</strong>kauf auf Großmärkten lassen E<strong>in</strong>sparungen<br />

erzielen. Gleichzeitig ist <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsküche e<strong>in</strong> Ort, wo <strong>die</strong> Frauen Anerkennung <strong>durch</strong><br />

<strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>schaft und Selbstbewußtse<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong>se Geme<strong>in</strong>schaftsküchen, <strong>die</strong> vor allem <strong>in</strong><br />

den 80ziger Jahren entstanden s<strong>in</strong>d, haben Nachahmung <strong>in</strong> ganz <strong>Peru</strong> gefunden. 1990 wurde<br />

e<strong>in</strong>e Dachorganisation auf nationaler Ebene geschaffen. Durch neuere Maßnahmen <strong>der</strong><br />

Regierung ist <strong>die</strong> Existenz <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsküchen gefährdet und <strong>die</strong> solidarische<br />

Versorgung <strong>der</strong> Ärmsten <strong>der</strong> Armen, <strong>die</strong> früher kostenlos versorgt wurden, ist nicht mehr<br />

möglich.<br />

<strong>Die</strong> Kommitees für e<strong>in</strong> Glas Milch bildeten sich auf Eigen<strong>in</strong>itiative <strong>der</strong> Mütter. Sie haben als<br />

Aufgabe, <strong>die</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> bis zum 13 Lebensjahr, schwangere Frauen und ältere Menschen sowie<br />

Tuberkulosekranke mit zubereiteter Milch aus gespendetem Milchpulver, <strong>die</strong> mit an<strong>der</strong>en<br />

Produkten wie Haferflocken o<strong>der</strong> Qu<strong>in</strong>ua angereichert werden, zu versorgen. <strong>Die</strong> Regierung<br />

hat <strong>die</strong> Selbstorganisation <strong>die</strong>ser Kommitees zerschlagen und bestimmt jetzt selbst, wer <strong>in</strong> den<br />

Genuß <strong>die</strong>ser Hilfe kommt. E<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung ist zum Beispiel, daß sich <strong>die</strong> Frauen an <strong>der</strong><br />

Geburtenkontrolle <strong>durch</strong> <strong>die</strong> Regierung beteiligen, weil nach Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Regierung <strong>die</strong><br />

vielen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>die</strong> Ursache <strong>der</strong> Armut seien. <strong>Die</strong> Hilfe wird jetzt nur noch maximal zwei<br />

Jahren gewährt und <strong>die</strong> Frauen müssen ihre Armut nachweisen. Mit allen Mitteln versucht <strong>die</strong><br />

Regierung <strong>die</strong> Menschen zu entmündigen und abhängig zu machen. <strong>Die</strong> demokratischen<br />

Ansätze zur Selbstorganisation werden zerschlagen.<br />

Frage (Kerst<strong>in</strong>): In ihrer zweiten For<strong>der</strong>ung sprechen <strong>die</strong> Geiselnehmer <strong>die</strong> unmenschlichen<br />

Haftbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> <strong>Peru</strong> an. Können Sie uns das näher erläutern?<br />

Antwort (Uwe): In <strong>Peru</strong> gibt es ca. 23000 Häftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> 89 Gefängnissen. Von <strong>die</strong>sen<br />

Gefangenen s<strong>in</strong>d nur ca. 5500 aufgrund e<strong>in</strong>es Urteils e<strong>in</strong>gesperrt, alle übrigen warten noch auf<br />

ihren Prozeß. Man schätzt, daß m<strong>in</strong>destens 5000 Infhaftierte unschuldigt e<strong>in</strong>sitzen. E<strong>in</strong> Drittel<br />

<strong>der</strong> Gefängnisse bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em miserablen Zustand und nur ca. e<strong>in</strong> Fünftel kann als<br />

ordentlich angesehen werden. Pro Gefangenen stehen 1,50 Soles zur Verfügung. Von <strong>die</strong>sem<br />

Geld bekommt je<strong>der</strong> Gefängnis<strong>in</strong>sasse morgens e<strong>in</strong>e Tasse Tee und zwei Brötchen und zum<br />

Mittag gibt es dann e<strong>in</strong>e Suppe o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Teller Reis. Insgesamt be<strong>in</strong>haltet <strong>die</strong>se<br />

Verpflegung nur ca. 1200 Kalorien. <strong>Die</strong> Weltgesundheitsorganisation stellt aber fest, daß e<strong>in</strong><br />

Mensch m<strong>in</strong>destens 2400 Kalorien am Tag braucht. So wun<strong>der</strong>t es nicht, daß viele Gefangene<br />

an Tuberkulose o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Krankheiten leiden. <strong>Die</strong> Lage <strong>der</strong> des Terrorismus verdächtigten<br />

o<strong>der</strong> verurteilten Gefangenen ist beson<strong>der</strong>s schlimm. Sie werden <strong>in</strong> Zellen von 2 mal 3 Metern<br />

Größe gehalten. <strong>Die</strong>se Zelle besitzen meistens ke<strong>in</strong>e sanitären E<strong>in</strong>richtungen. Hier werden <strong>die</strong><br />

Menschen 23 ½ Stunden am Tag e<strong>in</strong>gesperrt und dürfen dann für e<strong>in</strong>e halbe Stunde raus aber<br />

ohne Kontakt zu an<strong>der</strong>en. E<strong>in</strong>mal im Monat haben <strong>die</strong> E<strong>in</strong>gesperrten Gelegenheit<br />

Familienangehörige für e<strong>in</strong>e halbe Stunde zu sehen, natürlich ohne direkten physischen<br />

Kontakt. <strong>Die</strong> Angehörigen br<strong>in</strong>gen dann Lebensmittel für den kommenden Monat mit. Da es<br />

ke<strong>in</strong>e Kühlschränke o<strong>der</strong> ähnliches zum Aufbewahren <strong>der</strong> Lebensmittel gibt, kann man sich<br />

vorstellen, wie schwierig es ist dafür zu sorgen, daß <strong>die</strong> Nahrung nicht vorzeitig verdirbt.<br />

Beson<strong>der</strong>s schlecht s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Gefangen dran, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>e Verwandten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe haben. Sie s<strong>in</strong>d<br />

auf <strong>die</strong> Solidarität <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Mitgefangenen angewiesen, <strong>die</strong> Lebensmittel bekommen.<br />

Übrigens s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Gefangenen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>ebasis <strong>in</strong> Callao bei Lima e<strong>in</strong>sitzen noch<br />

schlechter dran. Im ersten Jahr werden sie bei völliger Dunkelheit <strong>in</strong> Zellen ca. acht Meter unter<br />

<strong>der</strong> Erde gehalten. Ihre Zellen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> mal zwei Meter groß. Hier sitzen Victor Polay, <strong>der</strong><br />

Anführer <strong>der</strong> Tupac Amaru und Abimael Guzman, <strong>der</strong> Anführer <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en größeren Guerillagruppe<br />

Leuchten<strong>der</strong> Pfad e<strong>in</strong>.


Frage (Kerst<strong>in</strong>): In den Menschenrechtsberichten von Amnesty International kann man von<br />

weiteren Menschenrechtsverletzungen lesen?<br />

Antwort (Naldy): Genau. Der letzte Menschenrechtsbericht des US-Außenm<strong>in</strong>isteriums zu<br />

<strong>Peru</strong> vom Januar <strong>die</strong>ses Jahres spricht z. B. von anhaltenden extralegalen H<strong>in</strong>richtungen, von<br />

Verschw<strong>in</strong>denlassen von unliebsamen Personen, von Folter und Schlägen. Willkürliche<br />

Verhaftungen und Anschuldigungen, unfaire Prozeße, Prozeßverzögerungen und überlange<br />

Untersuchungszeiten bleiben danach e<strong>in</strong> ernstes Problem <strong>in</strong> <strong>Peru</strong>. H<strong>in</strong>zufügen möchte ich<br />

auch, daß selbst <strong>die</strong> Verteidiger von des Terrorismus Angeschuldigten Gefahr laufen als<br />

Terroristen verurteilt zu werden o<strong>der</strong> damit rechnen müssen Opfer von Anschlägen zu<br />

werden, wie zum Beispiel <strong>der</strong> Menschenrechtler Zuñiga, dem e<strong>in</strong>e Briefbombe e<strong>in</strong>en Arm<br />

abriß. Und zu allem Übel wurden <strong>die</strong> Verursacher <strong>die</strong>ser Menschenrechtsverletzungen im Juni<br />

1995 vom Fujimori-Regime amnestiert. Es wurde den Gerichten sogar untersagt, weitere<br />

Untersuchungen über zurückliegende Morde und Entführungen <strong>durch</strong> Sicherheitskräfte<br />

<strong>durch</strong>zuführen.<br />

Frage (Gerborg): In <strong>der</strong> deutschen Presse weiß man viel mehr über den Leuchtenden Pfad,<br />

wer ist eigentlich <strong>die</strong> Guerilla des Tupac Amaru?<br />

Antwort (Uwe): <strong>Die</strong>se Guerilla machte erstmals im Mai 1982 <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>en Banküberfall auf<br />

sich aufmerksam. 1984 nahm sie dann den Namen Tupac Amaru an. Der Name er<strong>in</strong>nert an<br />

den letzten Inca <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Aufstand gegen <strong>die</strong> Spanier anführte. Tupac Amaru ist e<strong>in</strong>e am<br />

kubanischen Modell orientierte Guerilla, <strong>die</strong> <strong>durch</strong>aus anerkennt, daß es neben den von ihr<br />

e<strong>in</strong>geschlagenen Weg e<strong>in</strong>es bewaffneten Kampfes auch an<strong>der</strong>e legalen Formen des<br />

Wi<strong>der</strong>standes gibt. Sie sieht <strong>in</strong> den l<strong>in</strong>ken Parteien und <strong>in</strong> den Basisorganisationen <strong>der</strong><br />

Bevölkerung <strong>durch</strong>aus Verbündete im Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit. In <strong>der</strong> letzten<br />

Hälfte <strong>der</strong> 80ziger Jahre waren ihre Aktionen <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e Art Rob<strong>in</strong> Hood - Taten<br />

gekennzeichnet. So überfielen sie mehrere Lebensmitteltransporte o<strong>der</strong> Lebensmittelketten<br />

und verteilten <strong>die</strong> erbeuteten Nahrungsmittel an <strong>die</strong> Bevölkerung <strong>der</strong> Armenviertel <strong>in</strong> <strong>Peru</strong>.<br />

Anfang <strong>der</strong> 90ziger Jahre radikalisierte sich <strong>die</strong>se Organisation und verhielt sich zum Teil wie<br />

<strong>der</strong> Leuchtende Pfad.<br />

Frage (Gerborg): Wer ist eigentlich <strong>der</strong> Anführer <strong>der</strong> <strong>Botschaft</strong>sbesetzer?<br />

Antwort (Naldy): Der comandante Nestor Cerpa Cartol<strong>in</strong>i ist eigentlich e<strong>in</strong> alter<br />

Gewerkschaftsführer aus den 70ziger Jahren. Er wurde <strong>durch</strong> <strong>die</strong> Streiks im Jahre 1979<br />

geprägt, als am 4. Februar <strong>die</strong> Arbeiter <strong>der</strong> Firma Cromotex, e<strong>in</strong>er Textilfabrik <strong>in</strong> Lima, für<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>haltung von Vere<strong>in</strong>barungen streikten. Nestor Cerpa war <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Firma<br />

Gewerkschaftssekretär. Im Zuge <strong>der</strong> Streiks wurden damals sechs Arbeiter von den<br />

Sicherheitskräften ermordet. <strong>Die</strong>s ist <strong>die</strong> Zeit als <strong>in</strong> Deutschland zu lesen war, daß <strong>die</strong> Mütter<br />

ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n Hühnerfutter zu essen gaben und wo <strong>der</strong> Leuchtende Pfad se<strong>in</strong>en bewaffneten<br />

Kampf aufnahm. Damals wurden viele Gewerkschaftler ermordet, entführt o<strong>der</strong> kamen auf<br />

misteriöse Weise um.<br />

Frage (Gerborg): Nach allem was wir gehört haben, liegt es doch nahe, daß <strong>die</strong> Bevölkerung<br />

<strong>die</strong> Aktionen des Tupac Amaru befürworten müßte, jedoch lesen wir <strong>in</strong> unseren Zeitung von<br />

ganz gegenteiligen Umfragen. <strong>Die</strong> Tagesschau berichtete sogar von<br />

Solidariätsdemonstrationen für <strong>die</strong> Geiseln und für <strong>die</strong> Haltung <strong>der</strong> Regierung <strong>durch</strong><br />

Bewohner <strong>der</strong> Armenviertel Limas?<br />

Antwort (Naldy): Durch <strong>die</strong> regierungsfreundliche Presse und <strong>die</strong> antisubversive Politik <strong>der</strong><br />

Regierung hat man e<strong>in</strong>e Polarisierung <strong>der</strong> perunanischen Bevölkerung erreicht. Wer <strong>die</strong><br />

Politik <strong>der</strong> Regierung kritisiert, läuft Gefahr als Sympathisant <strong>der</strong> Terroristen abgestempelt zu<br />

werden und muß damit rechnen verfolgt zu werden. So waren me<strong>in</strong>e Erfahrungen als ich im


vorigen Sommer <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Heimat zu Besuch war. Als ich me<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>drücke und Sorge über<br />

<strong>die</strong> mißliche Lage <strong>der</strong> <strong>Peru</strong>aner äußerte, wurde ich von me<strong>in</strong>en Verwandten gewarnt, mich<br />

an<strong>der</strong>en gegenüber nicht so zu verhalten.<br />

Frage (Kerst<strong>in</strong>): Können Sie sich e<strong>in</strong>e Lösung des anhaltenden Geiseldramas vorstellen?<br />

Antwort (Uwe): Ja, hierzu möchte ich den peruanischen Oppositionsabgeordneten Javier<br />

<strong>Die</strong>z Canseco zitieren, <strong>der</strong> ursprünglich zu den Geiseln <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>japanischen</strong> Residenz <strong>in</strong> Lima<br />

gehörte. Er sagt, daß mit <strong>der</strong> Befreiung <strong>der</strong> Geiseln das Problem nicht gelöst sei. Und weiter:<br />

“<strong>Die</strong> Befriedung <strong>Peru</strong>s hat mit den sozialen und wirtschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen zu tun, denn<br />

<strong>die</strong>se schaffen erst <strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong> Gewalt. Wir brauchen e<strong>in</strong>e Entmilitarisierung <strong>der</strong><br />

Gesellschaft und des Staates. <strong>Die</strong> Kultur <strong>der</strong> Gewalt muß e<strong>in</strong>er Kultur des Dialoges weichen,<br />

<strong>die</strong> Kultur <strong>der</strong> Intoleranz muß zu e<strong>in</strong>er Kultur <strong>der</strong> Toleranz werden, <strong>die</strong> Kultur des autoritären<br />

Regierungsstils muß <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e Kultur <strong>der</strong> Beteiligung <strong>durch</strong> <strong>die</strong> Bevölkerung ersetzt werden,<br />

<strong>die</strong> Kultur <strong>der</strong> Rache muß <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e Kultur <strong>der</strong> Versöhnung abgelöst werden.” Ich glaube<br />

dem ist nicht mehr viel h<strong>in</strong>zuzufügen. Hoffentlich wählt <strong>die</strong> peruanische Regierung und <strong>die</strong><br />

h<strong>in</strong>ter ihr stehenden Generäle nicht den gewaltsamen Weg e<strong>in</strong>er Geiselbefreiung unter Inkaufnahme<br />

<strong>der</strong> Tötung <strong>der</strong> Geiseln, so wie es am letzten Sonntag <strong>in</strong> <strong>Peru</strong> bekannt wurde, und es<br />

setzt sich mehr <strong>die</strong> japanische Haltung zur friedlichen Beilegung <strong>der</strong> Krise <strong>durch</strong>. <strong>Die</strong> Anwesenheit<br />

peruanischer, US-amerikanischer und japanischer Elitee<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> <strong>Botschaft</strong>sresidenz<br />

spricht allerd<strong>in</strong>gs dagegen.<br />

Antwort (Naldy): Ich sehe, daß <strong>die</strong> Befriedung <strong>Peru</strong>s noch e<strong>in</strong>en langen Weg vor sich hat.<br />

<strong>Die</strong> Lösung <strong>der</strong> Geiselkrise kann nur e<strong>in</strong> Anfang se<strong>in</strong>. <strong>Peru</strong> braucht e<strong>in</strong>e Regierung, welche<br />

<strong>die</strong> Demokratie und <strong>die</strong> Menschenrechte im Mittelpunkt ihrer Politik stellt, damit <strong>die</strong> Spaltung<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft überwunden wird, sonst kommt es immer wie<strong>der</strong> zu neuen verzweifelten<br />

Gewalttaten.

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