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CineCity Nr.59 - City Kinos

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Die große Passion<br />

Start: 17.11.11<br />

Regie Jörg Adolph<br />

Filmographie (Auswahl)<br />

2000 Klein, schnell und außer<br />

Kontrolle<br />

2002 On/Off the Record<br />

2004 Kanalschwimmer<br />

2005 Houwelandt – Ein Roman<br />

entsteht<br />

Buch Jörg Adolph<br />

Jahr 2011<br />

Land D<br />

Kamera Daniel Schönauer<br />

Länge 144 min<br />

<strong>Cine<strong>City</strong></strong> 59<br />

16<br />

Der imaginäre blaue Vorhang auf der Leinwand<br />

teilt sich langsam. Es erscheint eine bayerische<br />

Bilderbuchlandschaft. Weißblauer Himmel<br />

über saftig grünen Wiesen und majestätischen<br />

Gipfeln. Auftritt: Oberammergau.<br />

Das am Fuße des Kofel-Bergmassivs gelegene<br />

5000-Seelendorf wurde zum Sinnbild des volkstümlich<br />

barocken Katholizismus – archaisch-kraftvoll für<br />

die einen, reaktionär für andere. Denn im Pestjahr<br />

1633 gelobten die Einwohner von Oberammergau,<br />

regelmäßig ein Passionsspiel aufzuführen. Und das<br />

tun sie immer noch alle zehn Jahre.<br />

Während das berühmteste Dorf der Welt die größte<br />

Geschichte aller Zeiten spielt, blickt zum ersten Mal<br />

ein Dokumentarfilm hinter die Kulissen des legendären<br />

Bibelspektakels.<br />

Von den ersten Vorbereitungen bis zur letzten Aufführung,<br />

zwei Jahre später, sind Filmemacher Jörg<br />

Adolph und seine Crew dabei. Drei Jahre Drehzeit,<br />

mehr als 300 Stunden Material, verdichtet er mit<br />

seiner genialen Cutterin Anja Pohl auf knapp zweieinhalb<br />

Stunden. Schon allein die epische Breite<br />

macht bewußt, was den Oberammergauern die<br />

Passion bedeutet: nämlich alles, und das von Kindesbeinen<br />

an.<br />

Seele und der Motor dieses Gemeinschaftsphänomens<br />

ist freilich Spielleiter Christian Stückl. Ein<br />

Naturtalent, ein Theatertier, im besten Sinne unverbildet.<br />

Weder hat Stückl studiert noch sich je hochgedient<br />

an einer Bühne. Abseits von den Theatermetropolen<br />

begann der Intendant des Münchner<br />

Volkstheaters als Autodidakt mit einem instinktiven<br />

Gespür für alles Szenische.<br />

Bereits mit 27 Jahren übernahm der gelernte Holzbildhauer<br />

das Bibelspiel und versuchte es von überkommenem<br />

Ballast zu befreien. Er polarisierte. Und<br />

hat Jahre später Erfolg. In der neuen Textfassung<br />

ist Jesus nicht mehr bloß der leidende Schmerzensmann,<br />

sondern ein aktiver Widerständler und streitbarer<br />

Prophet. Wenn Jesus auf einem Esel in Jerusalem<br />

einreitet und von der Menge mit begeistertem<br />

„Hosianna“ empfangen wird, zeigt sich Stückl als<br />

Meister der Massenchoreografie. Die fließenden<br />

Volksszenen in ihrer starken Farbigkeit – das Volk<br />

trägt Blau und Grau, der Hohe Rat Safrangelb, die<br />

Römer martialisches Schwarz und die Apostel gedecktes<br />

Weiß – ziehen einen in Bann.<br />

Er inszeniert kraftvoll, sinnlich, aus einer unbändigen<br />

Spielfreude heraus. Da ist nichts glatt, poliert<br />

und geleckt. Mit den Darstellern reist er zur Einstimmung<br />

nach Israel, den Jesus-Darsteller läßt er im<br />

amerikanischen Bibel-TV auftreten, um den Kartenverkauf<br />

anzukurbeln, mit Vertretern jüdischer Organisationen<br />

gilt es, sich über zeitgemäße Darstellung<br />

des Glaubens zu verständigen, und bei Streitigkeiten<br />

im Gemeinderat kämpft er mit offenem Visier.<br />

Regisseur Adolph spannt den großen chronologischen<br />

Bogen und beschränkt sich dabei auf die<br />

Rolle des Beobachters. Es gibt keine Interviews oder<br />

Kommentare aus dem Off. „Die Idee war, daß wir<br />

die Oberammergauer für sich selbst sprechen lassen“,<br />

erklärt der Wahlmünchner. Das ist ihm mit<br />

diesem filmischen Denkmal bestens gelungen.<br />

LKO<br />

Geha

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