<strong>Cine<strong>City</strong></strong> 59
Start: 8.12.11 Diesen Film zeigen wir in der deutschen Fassung Regie Nanni Moretti Filmographie (Auswahl) 1985 Die Messe ist aus 1989 Wasserball und Kommunismus 1993 Liebes Tagebuch 2001 Das Zimmer meines Sohnes 2006 Der Italiener Buch Nanni Moretti Francesco Piccolo Federica Pontremoli Jahr 2011 Land Frankreich/Italien Originaltitel: Habemus Papam Habemus Papam – Ein Papst büxt aus Darsteller Michel Piccoli Nanni Moretti Jerzy Stuhr Margherita Buy Renato Scarpa Franco Graziosi Kamera Alessandro Pesci Musik Franco Piersanti Länge 110 min Was kann man tun, wenn man auserwählt wurde, Papst zu sein, sich für dieses Amt aber nicht befähigt sieht? Kardinal Melville für seinen Teil ergreift kurzerhand die Flucht. Die Geschichte eines Papstes, der nicht Papst sein will. Die Kardinäle sitzen im Konklave versammelt wie Schuljungen während einer Klassenarbeit. Unruhig klopfen sie mit den Stiften auf den Tischen herum. Der eine runzelt vom Nachdenken angestrengt die Stirn, ein anderer versucht unbemerkt beim Nebenmann abzuschreiben, der dritte zerreißt wütend seinen Stimmzettel. Es handelt sich hier indes um keine banale Abfrage irdischen Wissens, ganz im Gegenteil warten die Geistlichen auf nichts Geringeres als die göttliche Eingabe eines Namens. Ein wahrer Kraftakt, an dessen Ende der Name des neuen Papstes steht. Es ist Kardinal Melville. Doch wo bleibt die Freude ob des neuen Amtes? Gequält lächelt Melville in die Runde, sein Unwohlsein ist ihm ins Gesicht geschrieben. Als schließlich das ersehnte Habemus Papam über den Petersplatz schallt, bleibt der Platz auf dem Segnungsbalkon leer. Durch den wehenden roten Samtvorhang dringt einzig ein verzweifelter Schrei nach draußen. Der neue Papst wird sich nicht zeigen. In Panik und von Selbstzweifeln geplagt, stolpert Melville durch die Säle des Vatikans. Schließlich kommt der Arzt. Dann der Psychoanalytiker, der beste des Landes. Doch auch er kann dem unfreiwilligen Heiligen Vater nicht helfen. Die Angst bleibt – und Melville ergreift die Flucht. Während der Psychoanalytiker nun im Vatikanstaat gefangen ist – das Protokoll der Kongregation läßt es nicht anders zu –, genießt Melville eine unbekannte Freiheit. Allein läuft er durch Rom auf der Suche nach einem göttlichen Fingerzeig, aber auch auf der Suche nach sich selbst. So erfahren wir nun, daß er eigentlich Schauspieler ist, seiner wahren Leidenschaft aber nie nachgehen konnte. Man könnte meinen, daß Papst-Sein doch auch nur eine Rolle ist, in die man hineinschlüpft. Doch Melvilles Unsicherheit vor dieser größten Rolle seines Lebens überwältigt ihn. Er ist nicht der Hirte, der er von nun an sein soll. Er will selbst geführt werden, ist lieber Teil der Herde. Auch wenn man sich an mancher Stelle einen tieferen Einblick in die Psyche dieses Papstes erhofft hätte, so macht Michel Piccolis Darstellung des zweifelnden und aufgewühlten Menschen diesen Makel fast wieder wett. Er zeigt, daß am Ende auch die hohen Würdenträger der Kirche, die sich ganz der Unfehlbarkeit verschreiben, Menschen sind wie du und ich. Menschen, die zweifeln und manchmal vor ihrer Verantwortung davonlaufen. Wenn man sie denn läßt. Papst Melville hält seine Rede schließlich im Bus, inkognito und beinahe unbemerkt. Wird er den Mut aufbringen und den Balkon betreten, die große Bühne, und zu den Menschen sprechen? Gott scheint ihm bei dieser Entscheidung nicht helfen zu können – der bleibt stumm. DS <strong>Cine<strong>City</strong></strong> 59 25