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Leseprobe_MitallenSinnen - Einsnull

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Vorwort<br />

Vorwort<br />

Abb. 1–4 Carmen (E 1983)<br />

Sinnlichkeit ergibt sich aus dem Augen-Blick.<br />

Zu den wichtigsten Elementen<br />

einer spanischen Verführung gehört die<br />

Konzentration des begehrenden Blicks,<br />

der ohne Wimpernzucken dem Blick des<br />

Geliebten standhält.Dazu kommt ein stets<br />

neu ansetzendes Wechselspiel von langsamem<br />

Bewegungsaufbau und Entladung<br />

der leidenschaftlichen Energie im abrupt<br />

einsetzenden Rhythmus der schlagenden<br />

Füße. Berührungen bleiben dem Körper<br />

des Gegenübers zunächst fern, fast<br />

scheint es, als spürten die zärtlichen Hände<br />

den Leib des anderen schon durch ein<br />

Luftpolster hindurch, um dann – im Einklang<br />

mit dem Wechselspiel von piano<br />

und forte – plötzlich fest zuzufassen. Diese<br />

Dramaturgie des Begehrens gibt die Habañera<br />

in Melodie und Rhythmus, aber<br />

auch im Libretto vor: «Ganz um dich herum,<br />

schnell, schnell/kommt sie, geht sie<br />

davon, kommt dann wieder…/Du glaubst<br />

sie festzuhalten, sie weicht dir aus,/du<br />

glaubst ihr auszuweichen, sie hält dich<br />

fest.» In der Choreographie trifft Anziehung<br />

auf Rückzug, musikalisch strömen<br />

unbezähmbare Gefühle aus den dynamischen<br />

Kurven von crescendo und diminuendo.<br />

Wie keine andere Kunst appelliert der<br />

Film durch synästhetische Inszenierungsstrategien<br />

an die Sinne des Zuschauers:<br />

das Sehen und Hören, aber auch das Tasten,<br />

Riechen und Schmecken. Dem weiten<br />

Feld der sinnlichen Filmwahrnehmung,<br />

der Gefühle und Empfindungen im Kino<br />

widmet sich das vorliegende Buch in fünf<br />

Großkapiteln. Im ersten Kapitel werden<br />

grundlegende, definitorische Überlegungen<br />

zur Affektivität und Emotionalität des<br />

Filmerlebens angestellt und in den Detailanalysen<br />

einzelner Filmbeispiele und Regiekonzepte<br />

konkretisiert. Im Zentrum<br />

steht der Gedanke von einem komplexen<br />

emotionalen Filmdesign, das uns selten<br />

nur lachend oder weinend, sondern viel<br />

häufiger mit gemischten Gefühlen aus dem<br />

Kino entlässt. Diese Polyphonie im Zusammenspiel<br />

verschiedener, mitunter sogar<br />

widerstreitender Empfindungen zeigt sich<br />

nicht zuletzt im jeweiligen Umgang mit<br />

der filmischen Konvention des Happy<br />

Ends. In der Erfindung emotional brüchiger<br />

oder überzeichneter Schlusslösungen<br />

begegnen Filmemacher unserer Erwartung<br />

oder Hoffnung auf einen glücklichen<br />

Filmschluss häufig mit Skepsis oder selbstreflexiver<br />

Ironie.<br />

Das zweite Kapitel beleuchtet einzelne<br />

Facetten des empfindsamen Leibes vom<br />

feinen Geschmackssinn der Zunge bis zur<br />

taktilen Empfindsamkeit der Füße – empfindliche<br />

Instrumente des Körpers, mit denen<br />

die Figuren des Films ihre Umwelt erleben<br />

und deren sinnliche Qualität zur<br />

Schau stellen. Indes affiziert die synästhetische<br />

Wirkung von Filmszenen weit mehr<br />

als nur den Augensinn des Zuschauers.<br />

Emotionen und Empfindungen, auch<br />

Körperregungen wie Gänsehaut und Tränen<br />

werden dem Zuschauer entlockt; sie<br />

machen den Film zu einem sinnlichen Er-<br />

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