Leseprobe_MitallenSinnen - Einsnull
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Vorwort<br />
Vorwort<br />
lebnis und verstärken die Identifikation<br />
des Zuschauers mit den handelnden und<br />
fühlenden Figuren. Nicht zuletzt figuriert<br />
die Kamera in ihrer anthropomorphen<br />
Qualität als ein fühlender Leib – als eine<br />
Art Seismograph, der die zarten und heftigen<br />
Gefühlsbewegungen der Figuren registriert<br />
und ins Bild übersetzt. Zitternd,<br />
bebend, taumelnd, gelähmt oder beflügelt<br />
überträgt sie die innere Gestimmtheit<br />
der Figuren auf den Zuschauer, ganz im<br />
Sinne der doppelten Wortbedeutung von<br />
movie, das sowohl auf die Bewegung der<br />
Bilder als auch auf die Bewegung der Gemüter<br />
verweist.<br />
Das dritte Kapitel beleuchtet die vielfältigen<br />
Strategien der filmischen Inszenierung,<br />
die darauf zielen, Gefühle darzustellen<br />
und hervorzurufen. Hierzu gehört<br />
auch das Handwerk des Schauspielers, der<br />
Gefühle spielen muss: die Kunst, mit allen<br />
Sinnen zu spielen. Das emotionale Gedächtnis<br />
des Menschen bildete für den<br />
Theaterreformer Konstantin Stanislawski<br />
die Basis der Erarbeitung einer Rolle. Die<br />
hieraus entwickelten Techniken der<br />
Schauspielkunst, welche von dem Schauspiellehrer<br />
Lee Strassberg zu elementaren<br />
Bausteinen einer Methodik des Filmschauspiels<br />
weiterentwickelt wurden, führen im<br />
Idealfall zu einem authentisch wirkenden<br />
Spiel des Schauspielers. So verwandeln<br />
sich die Gefühle des Menschen,der mit der<br />
Aufgabe eines Rollenspiels konfrontiert<br />
ist, für das Publikum in die emotionale<br />
Stimmung einer fiktiven Figur, der ein echtes<br />
Gefühlsleben unterstellt wird. Hinzu<br />
kommen die Faktoren der Bildgestaltung,<br />
die manches Mal auf der Leinwand analytisch<br />
kaum noch von der darstellenden<br />
Kunst des Schauspielers zu trennen sind.<br />
Porträts ausgewählter Schauspieler, die<br />
einen bestimmten emotionalen Typus verkörpern,<br />
werden ergänzt durch Beiträge<br />
zu zentralen Standardsituationen und Pathosformeln<br />
des Films, darunter die Liebesund<br />
Sexszene, die Sterbeszene sowie<br />
Trauer- und Selbstopfergesten. Am Ende<br />
steht die Frage nach der gezielten Verunsicherung<br />
des Zuschauers, wenn die eingeübten<br />
Muster und Formeln der Emotionalisierung<br />
im Kino bewusst ausbleiben und<br />
die Sinne entzaubert werden.<br />
Das vierte Kapitel Gefühlstöne beleuchtet<br />
vor allem, aber nicht nur die Rolle<br />
der Musik bei der Erzeugung von Stimmungen<br />
und Gefühlen sowie ihr Zusammenspiel<br />
mit den Bildern des Films. Musik<br />
als Sprache des Gefühls setzt eine in feinen<br />
Nuancen variierbare Korrelation von musikalischem<br />
Ausdruck und emotionalem<br />
Eindruck voraus,deren Strukturen am konkreten<br />
Beispiel näher beschrieben werden.In<br />
der Filmpraxis – denkt man etwa an<br />
die rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet<br />
des digitalen Sounds – haben sich immer<br />
verfeinerte Techniken des emotionalen<br />
Designs ausgebildet: ein Befund, der in<br />
eklatantem Missverhältnis zu den wenigen<br />
wissenschaftlichen Untersuchungen<br />
zu den sinnlichen und emotionalen<br />
Aspekten des Films steht. Das Spektrum<br />
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