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Material zu Intertextualität, Metaphern und Bildketten

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Liedallegorien im Woyzeck<br />

Das verkürzte Hasenlied:<br />

Fraßen ab das grüne, grüne Gras<br />

Fraßen ab das grüne, grüne Gras<br />

Bis auf den Rasen<br />

erscheint <strong>zu</strong>nächst in Handschrift H2,4 – gesungen von einem urinierenden Handwerksburschen.<br />

Die Originalhandschrift setzt den Gesang des betrunkenen Handwerksburschen fort mit einer Anspielung auf<br />

Masturbation: „mus bsorgn Mannes Fallulus <strong>und</strong> empfiehlt sich nit mehr ungezeugten Kind …“ (Faksimile<br />

Ausgabe Enrico de Angelis, Saur München, S. 81)<br />

In der Überarbeitung, Handschrift H4,1 bringt Büchner die Liedverse<br />

Saßen dort zwei Hasen<br />

Fraßen ab das grüne, grüne Gras<br />

bereits in der Eingangsszene. Die sexuelle Konnotation wird auch seitens der Büchnerforschung <strong>zu</strong>gegeben. Es<br />

handelt sich um Teile einer allegorischen Liedstrophe. Die umgebenden Strophen lauten:<br />

Was du da erfahren hast<br />

Kannst du mir wol sagen?<br />

Hab erfahren dass junge Leut<br />

Bei einander schlafen.<br />

Bei mir schlafen kannst du wol,<br />

Wills dirs gar nit wehren:<br />

Aber nur, herztausiger Schatz,<br />

Aber nur in Ehren.<br />

Zwischen Berg <strong>und</strong> tiefem Thal<br />

Saßen einst zwei Hasen,<br />

Fraßen ab das grüne Gras<br />

Bis auf den Rasen.<br />

Als sie sich nun sattgefressen hatt’n<br />

Legte sie sich nieder.<br />

Nun ade, herztausiger Schatz,<br />

Jetzt komm ich nicht wieder.<br />

(Quelle Deutscher Liederhort, zit. Nach Dedner: Erläuterungen <strong>und</strong> Dokumente, S. 14.)<br />

Das meist als rätselhaft empf<strong>und</strong>ene Eingangslied ist in dreifacher Hinsicht bedeutungsvoll: Erstens setzte es für<br />

die Zeitgenossen ein unübersehbares Signal, dass der Autor mit Allegorien usw. arbeitet.<br />

Zweitens wird ohne Umschweife aber verdeckt auf das Thema Sexualität angespielt – <strong>und</strong> das nicht in Woyzecks<br />

Eifersuchtsphantasien, sondern durch eine Figur Andres, deren übertriebene Rationalität klar deutlich wird <strong>und</strong><br />

augenscheinlich auf Engstirnigkeit beruht. Das könnte als Vorausdeutung der Untreue interpretiert werden, wie<br />

auch der Narr die Funktion der Vorausdeutung übernimmt. Drittens aber wird aus der allegorischen Strophe das<br />

spätere Kinderlied, wann die Transformation stattfindet, ist nicht genau bekannt. Insofern müssen der Kontext <strong>und</strong><br />

die rhetorische Struktur hier weitere Aufschlüsse geben. Woyzecks erste Worte „Ja Andres“ <strong>und</strong> die<br />

offensichtliche Verkür<strong>zu</strong>ng auch der Strophe selbst (das „Zwischen Berg… usw. bleibt ja ausgespart) weisen<br />

indes weniger auf eine Vorausdeutung, als auf einen Blick in die Vergangenheit hin. Das häufige Singen <strong>und</strong> die<br />

Figurenkonstellation mit den zahlreichen Kindern usw. (Märchen) sollten Gr<strong>und</strong> genug sein, die Verbindung von<br />

Sexualität auf der verdeckten Textebene <strong>und</strong> Kindern im Auge <strong>zu</strong> behalten.<br />

Der Dramenentwurf enthält eine weitere, meist unbekannte Liedallegorie. Das bekannte Jägerlied „Ein Jäger aus<br />

der Pfalz“ (Szene 11 der Lese- <strong>und</strong> Bühnenfassung, in den Handschriften H4,11) offenbart die Allegorie erst in<br />

der 3. Strophe. Dort heißt es: "Hubertus auf der Jagd, der schoß ein Hirsch <strong>und</strong> einen Has; er traf ein Mägdlein an<br />

<strong>und</strong> das war achtzehn Jahr." Eine der bekannten Fortset<strong>zu</strong>ng hört sich wie folgt an: "Des Jägers seine Lust, das<br />

hat der Herr noch nicht gewusst, wie man das Wildpret schießt. Wol zwischen die Bein, da muss der Hirsch<br />

geschossen sein..." (Quelle: Deutscher Liederhort; Ludwig Erk, Lied 1454, S. 315.)<br />

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