Material zu Intertextualität, Metaphern und Bildketten

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Bildketten, Metaphern, Symbole, Codes Büchners Dramenentwurf enthält neben den intertextuellen Verweisen ein Netzwerk von Bildketten, Wortfeldern, Symbolen und Metaphern, das man als Intratextualität bezeichnen könnte. Als Ganzes transportiert dieses Intranet im Woyzeck einen codierten Text. An bestimmten Stellen stellt der Autor eine Verknüpfung mit dem Klartext her. Unabhängig von interpretatorischen Schlussfolgerungen ist es interessant, diese Kulminationspunkte zu registrieren, denn sie lassen eine Dramenstruktur erkennen, die im gängigen Diskurs noch unbekannt ist. Letzterer erweist sich daher als äußerst vorläufig. Die rhetorische Strukturierung des Dramas durch Bild- bzw. Metaphernketten setzt bereits im ersten Handschriftenentwurf in der Exposition mit den Jahrmarkts- und Budenszenen ein. Die späteren Fassungen, wie auch die Lese- und Bühnenfassung versetzt diese Szenen etwas nach hinten, während Büchners überarbeitete Eingangsszenen ab Handschrift H2 die bereits analysierten Prätextbezüge in den Vordergrund rücken. Eine Beschreibung der Bildketten folgt daher besser dem früheren Entwurf, setzt also mit der 3. Szene der Lesefassung ein. Bei Bedarf wird die Analyse Szenen aus den Handschriftenentwürfen hinzuziehen, die nicht in den gängigen Bearbeitungen enthalten sind. Die Bild- bzw. Metaphernketten, Wortfelder usw. Hauptzweck der ursprünglichen Einführungsszene „Buden.Lichter. Volk“ ist die Verankerung einiger rhetorischer Ketten im Zusammenhang mit einschlägigen Bildern. Diese Ketten ziehen sich durch alle Szenen und werden immer wieder untereinander verknüpft und mit eindrucksvollen Bildern sinnlich aufgeladen. Die Verbindung von rhetorischen Strukturen mit Klartext wird im Folgenden durch Unterstreichung markiert. Vieh/Mensch Idealtypisch etabliert Büchner in der dritten Szene die „vernünftige Viehigkeit“ und deren Umkehrung, die viehische Vernunft, szenisch durch Pferd, Affe usw. illustriert. Diese groteske Kombination gewollter Gegensätze wird zudem mit dem Begriff Erziehung und dessen zirkusartiger Präsentation verknüpft. Beispielhaft und stichwortartig werden hier einige Kettenglieder aufgezeigt, es lohnt sich aber, die Linie systematisch nachzuzeichnen. 1. Szene: Andres singt Hasenlied. 2. Szene: Der Tambourmajor steht auf den Füßen wie ein Löw. 6. Szene: „Wild Thier“ 11. Szene: Alles wälzt sich in Unzucht übereinander, Mann und Weib, Mensch und Vieh. „Thuts einem auf den Händen wie die Mücken. 12. Szene: „Stich die Zickwolfin tot“ – In der ersten Handschrift H1 heißt es noch „stich die Woyzecke tot“. Büchner wandelt diese direkte Familienbeziehung später in eine durchschaubare Verschlüsselung durch das Programm Vieh/Mensch um. Aus Wölfin und kleiner Ziege wird Zickwolfin gepaart. 18. Szene: Der Höhepunkt der Märchenparabel erfolgt in der Entlarvung der Sterne als kleine golden Mücken, die angesteckt sind. Die Ursache davon wird im Bild eines Vogels, des Neuntöters angezeigt. Handschriften H3,1: Der Professor wirft eine Katze aus dem oberen Fenster auf den Hof. Woyzeck soll sie auffangen und wird als Bestie bezeichnet. Er soll mit den Ohren wackeln wie die Katze, das seien Übergänge zum Esel, Folgen weiblicher Erziehung und die Muttersprache. Die Mutter reißt Woyzeck aus Zärtlichkeit Haare aus. (Nackenbiss v. Katzen und Hasen beim Geschlechtsakt; Parallele Erziehung - Jahrmarkszene.) groß/klein Diese Bildkette wird von vorneherein mit der obigen Kette Vieh/Mensch vernetzt. 3. Szene: Das Pferd ist astronomisch, die Canaillevögele sind klein. 4. Szene: Auch das Kind auf Maries Arm muss als Teil dieser Kette angesehen werden. 9. Szene: Der lange Woyzeck und der kurze Doktor werden mit dem Spinnebein (Vieh) sowie Blitz und Donner verglichen und quasi vermengt. 11. Szene: Thut’s einem auf den Händen wie die Mücken. 18. Szene: kleine Krabben (Kinder) und König Herodes. 22. Szene: Riese und Menschenfleisch Handschriften H2,3: Woyzeck hilft einem großen auf einen kleinen Hund. (Vgl. Dantons Tod I.5) Außerdem verknüpft Büchner in dieser Szene die unnatürlich kopulierenden Hunde mit zuschauenden Buben und Mädchen. H2,8 Louisel erwähnt den sie „angreifenden“ Vater im Zusammenhang mit ihrem Alter von zehn Jahren. Kurz vorher bringt der Autor die Verknüpfung groß/klein mit Vieh: Wespen, Kuh und Hornisse. 4
heiß/kalt – Sonne Weite Teile der Metaphernkette hieß/kalt folgen dem Muster der Vermischung von artfremden Gegensätzen, letzteres stellt übrigens eine mögliche Definition des Grotesken dar. Büchners spezielles Codewort lautet „Sonne“. Der Klartext für „Sonne“ findet sich in Dantons Tod I.5: Die Mädel guckten aus den Fenstern, man sollte vorsichtig sein und sie nicht einmal in der Sonne sitzen lassen, die Mücken treiben’s ihnen sonst auf den Händen, das macht Gedanken. Diese Passage bietet ein exemplarisches Beispiel, wie der Autor seine rhetorischen Ketten auf engstem Raum verknüpft: Der genannte Satz enthält in Verbindung mit der Sonne die Ketten „Vieh/Mensch“ (Mücken/Mädchen), groß/klein (Hände/Mücken) und Fenster/Auge, sowie den Klartext, das „es Treiben“. 1. Szene: Ein Feuer fährt um den Himmel. 4. Szene: Das Kind schwitzt im Schlaf, das Träumen ist Arbeit unter der Sonne. 10. Szene: Woyzeck: „Was sie heiße Händ haben.“ 11. Szene: Warum bläst Gott nicht die Sonn aus, dass Alles in Unzucht sich übereinanderwälzt. 16. Szene: Das Kind gibt Marie einen Stich ins Herz; es wärmt sich in der Sonne. (An ihr) 17. Szene: Woyzecks Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Händ scheint. 19. Szene: Marie friert, und doch ist es ihr warm. Sie hat heißen Hurenatem. Woyzeck macht sie kalt. 21. Szene: Woyzeck ist heiß, Käthe ist heiß und wird auch noch kalt werden. Handschriften H1,8: Andres berichtet, der Unteroffizier habe über Margreth gesagt, sie hätte Schenkel und alles so heiß. Auge/Fenster Die zitierte Passage aus Dantons Tod hat bereits die einschlägige Zugehörigkeit der Kette Auge/Fenster zu dem Komplex Unzucht usw., d.h. ihre enge Verknüpfung mit den anderen einschlägigen Motiven erwiesen. Eine sorgfältige Interpretation hat daher auch die entschärften Passagen, die demonstrativ Auge/Fenster enthalten, im Sinne der etablierten Struktur zu deuten. Die folgende Zusammenstellung beschränkt sich auf einige wenige exponierte Beispiele. 5. Szene: Hauptmann. „Wenn ich am Fenster lieg, wenn es geregnet hat und den weißen Strümpfen so nachsehe, wie sie über die Gassen springen, - verdammt Woyzeck, - da kommt mir die Liebe. 8. Szene: Doktor. „Ich streckte gerade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die Sonnenstrahlen hineinfallen um das Niesen zu beobachten, … (sieht Woyzeck pissen). 16. Szene: Marie, auf dem Höhepunkt ihrer Verzweiflung, öffnet das Fenster. Handschriften H2,6: Aufschlussreich ist die frühere, noch wesentlich direktere Fassung der Doktorszene, die zudem die Kette Vieh/Mensch mit einbezieht: Aber ich hab’s gesehen, daß er an die Wand pißte, ich streckte gerad meinen Kopf hinaus, zwischen zwei Blattläuse, die sich begatteten … H3,1: Der Professor steht am Dachfester. Meine Herren, ich bin auf dem Dach, wie David, als er die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der Mädchenpension im Garten trocknen. Bemerkenswert die implizite Sonne und die explizite enttäuschte Erwartung hinsichtlich voyeuristischer Genüsse. 4. Szene: Im rhetorischen Kontext dürfte der zerbrochene Spiegel nicht nur die materielle Armut, sondern eine metaphorische Armut bedeuten: die zerstörte Integrität der Figur. Deutlichster Grund im Klartext: s. o. H2,8. Messer Die Analyse der rhetorischen Struktur lässt darauf schließen, dass Büchner in seinen späteren Fassungen die brisanten Inhalte besser tarnt, d.h. rhetorisch verschlüsselt. Szene 9 enthält einen Teil der zweiten Entwurfsstufe, in der Büchners unbekümmerter Umgang mit dem Wortfeld Messer aufscheint: 9. Szene: Woyzeck läuft wie ein offenes Rasiermesser, er ersticht den Hauptmann mit seinen Augen. Büchners sorgfältige Rücksicht, die Codes usw. auch sichtbar, d.h. handlungsrelevant zu machen und nicht im Abstrakten zu belassen, wird in daran deutlich, dass aus dem Barbier des ersten Entwurfs ein Woyzeck wird, der seinen Hauptmann rasiert. Desgleichen wird aus den Kindern im Figurenensemble das Kind auf dem Arm der Marie. Deswegen treten Tiere in der Jahrmarktszene auf, und deswegen wirft der Professor in der (bei Dedner nicht in der Lese- und Bühnenfassung enthaltenen) Hofszene die Katze von oben in Woyzecks Arm – die bühnenmäßige Demonstration der aristotelischen Fallhöhe, die einem Woyzeck seitens der Literaturwissenschaft angeblich nicht zukommt. Sie wird an der Katze exemplifiziert, die wiederum für Marie bzw. die weibliche Figur steht und gegen Ende der Hofszene H3,1 gegen den Klartext konvergiert. (Großmutter, Mutter, Zärtlichkeit) Aristotelisch auch der Zusammenfall von Peripetie und Anagnorisis – wenn das hier ausgebreitete rhetorische Netzwerk nicht ins Niemandsland führt. Bevor darauf eingegangen wird, eine gleichfalls in der Lese- und Bühnefassung ausgesparte symbolträchtige Szene: Handschriften Szene H1,12 (Freies Feld): Louis. (er legt das Messer in die Höhle) Du sollst nicht töten. Lieg da! Fort! (er entfernt sich eilig) Woyzecks Gewissen („du sollst nicht töten“) kämpft gegen seine innere Stimme – und steht auf verlorenem Posten. Die Höhle ist tiefenpsychologisch gesehen eindeutig ein Muttersymbol (Schoß der Erdmutter). Woyzecks Vermeidungsversuch auf der Gewissensebene unternimmt – im Interesse 5
Seite 1 und 2: Georg Büchner: Woyzeck - Hinweise
Seite 3: Liedallegorien im Woyzeck Das verk

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