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Mira und Laurent Kann es sein, dass wir uns lieben?

An einem kleinen Tisch saß eine junge Frau, die offen­sichtlich ebenfalls Studentin war, wie fast alle, die hier in Uni-Nähe verkehrten. Dass sie einen dicken Bauch hatte, also schwanger war, bemerkte ich erst, als ich bei ihr am Tisch Platz nahm. So etwas Dämliches auf Schwangerschaft und Kinder Bezogenes wollte ich nicht ansprechen. Ich fragte sie einfach, was sie studiere. „Medizin, was sonst? Brauche ich bei dem Bauch demnächst ja drin­gend, oder?“ reagierte sie mit einem leicht verschmitzten Lächeln. „Na ja, aber ich bin ja auch nicht angefangen Kfz-Ingenieur zu werden, als ich mir ein Auto kaufte. Meinst du, ich sollte es doch lieber machen?“ wandte ich fragend ein. „Ich hatte ja das Glück, es vorher auch schon zu machen, während du wahr­scheinlich ganz von vorne anfangen müsstest. Du solltest dir vielleicht einen Freund zulegen, der so etwas kann. Ich denke, es könnte schon lustig werden, sich weiter Gedanken über deine berufliche Perspektive zu machen, Herr Inge­nieur, aber ich muss jetzt unbedingt nach Hause und mich ein wenig hinlegen.“

An einem kleinen Tisch saß eine junge Frau, die offen­sichtlich
ebenfalls Studentin war, wie fast alle, die hier in Uni-Nähe
verkehrten. Dass sie einen dicken Bauch hatte,
also schwanger war, bemerkte ich erst, als ich bei ihr am Tisch
Platz nahm. So etwas Dämliches auf Schwangerschaft und
Kinder Bezogenes wollte ich nicht ansprechen. Ich fragte
sie einfach, was sie studiere. „Medizin, was sonst? Brauche ich
bei dem Bauch demnächst ja drin­gend, oder?“ reagierte sie
mit einem leicht verschmitzten Lächeln. „Na ja, aber ich bin
ja auch nicht angefangen Kfz-Ingenieur zu werden, als ich mir
ein Auto kaufte. Meinst du, ich sollte es doch lieber machen?“
wandte ich fragend ein. „Ich hatte ja das Glück, es vorher
auch schon zu machen, während du wahr­scheinlich ganz
von vorne anfangen müsstest. Du solltest dir vielleicht
einen Freund zulegen, der so etwas kann.
Ich denke, es könnte schon lustig werden, sich weiter
Gedanken über deine berufliche Perspektive zu machen,
Herr Inge­nieur, aber ich muss jetzt unbedingt
nach Hause und mich ein wenig hinlegen.“

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Elvi Mad<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong><br />

<strong>Kann</strong> <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> <strong>lieben</strong>?<br />

Unverhofft<strong>es</strong> Glück im Mai<br />

Erzählung<br />

Es war, als hätt der Himmel<br />

Die Erde still geküsst,<br />

Dass sie im Blütenschimmer<br />

Von ihm nun träumen müsst.<br />

Joseph von Eichendorff, Mondnacht<br />

An einem kleinen Tisch saß eine junge Frau, die offensichtlich<br />

ebenfalls Studentin war, wie fast alle, die hier in Uni-Nähe<br />

verkehrten. Dass sie einen dicken Bauch hatte,<br />

also schwanger war, bemerkte ich erst, als ich bei ihr am Tisch<br />

Platz nahm. So etwas Dämlich<strong>es</strong> auf Schwangerschaft <strong>und</strong><br />

Kinder Bezogen<strong>es</strong> wollte ich nicht ansprechen. Ich fragte<br />

sie einfach, was sie studiere. „Medizin, was sonst? Brauche ich<br />

bei dem Bauch demnächst ja dringend, oder?“ reagierte sie<br />

mit einem leicht verschmitzten Lächeln. „Na ja, aber ich bin<br />

ja auch nicht angefangen Kfz-Ingenieur zu werden, als ich mir<br />

ein Auto kaufte. Meinst du, ich sollte <strong>es</strong> doch lieber machen?“<br />

wandte ich fragend ein. „Ich hatte ja das Glück, <strong>es</strong> vorher<br />

auch schon zu machen, während du wahrscheinlich ganz<br />

von vorne anfangen müsst<strong>es</strong>t. Du sollt<strong>es</strong>t dir vielleicht<br />

einen Fre<strong>und</strong> zulegen, der so etwas kann.<br />

Ich denke, <strong>es</strong> könnte schon lustig werden, sich weiter<br />

Gedanken über deine berufliche Perspektive zu machen,<br />

Herr Ingenieur, aber ich muss jetzt unbedingt<br />

nach Hause <strong>und</strong> mich ein wenig hinlegen.“<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 1 von 34


<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> - Inhalt<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong>......................................................................................... 4<br />

Kuss d<strong>es</strong> Himmels........................................................................................ 4<br />

Meeting im Bistro......................................................................................... 4<br />

Kein Eremit................................................................................................. 5<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong>.......................................................................................... 6<br />

Bei <strong>Mira</strong> zu Haus.......................................................................................... 7<br />

Träumen statt Interpretieren.......................................................................... 8<br />

Verkümmernde Seele....................................................................................9<br />

Schnelle Sympathie...................................................................................... 9<br />

<strong>Kann</strong> <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> <strong>lieben</strong>?................................................................10<br />

Abendbrot mit Namensfindung.....................................................................12<br />

Ekstatische Zustände?.................................................................................13<br />

Spaziergang im Forst.................................................................................. 14<br />

Wandlung zum Fatalismus?.......................................................................... 16<br />

Ich bin doch ganz normal............................................................................17<br />

Mein Fatum............................................................................................... 18<br />

Gaby <strong>und</strong> Peter.......................................................................................... 19<br />

Schau die kleine Tigerin...............................................................................20<br />

Marietta.................................................................................................... 21<br />

Hochzeitsmorgen........................................................................................ 22<br />

Zusammenleben.........................................................................................22<br />

Welchen Namen?........................................................................................ 23<br />

Nalanis Geburt........................................................................................... 24<br />

All<strong>es</strong> um Nalani.......................................................................................... 25<br />

Neu<strong>es</strong> Antikonzeptivum............................................................................... 25<br />

Dominante Nalani....................................................................................... 26<br />

Ich bin das Zentrum....................................................................................26<br />

Zum ersten Mal allein.................................................................................. 27<br />

Ganz allein eure Angelegenheit..................................................................... 28<br />

Ich bin nicht deine Zweitfrau........................................................................ 29<br />

Nalanis Club.............................................................................................. 30<br />

Familiensaga.............................................................................................. 30<br />

Wintertim<strong>es</strong>............................................................................................... 31<br />

Jahr<strong>es</strong>feierlichkeiten................................................................................... 32<br />

Erweiterte Ansicht...................................................................................... 33<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 2 von 34


<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong><br />

Kuss d<strong>es</strong> Himmels<br />

Di<strong>es</strong>e w<strong>und</strong>erschönen Maientage, die nach Natur, nach erwachender, wachsender Natur<br />

duften, wenn du den Geruch der sich erwärmenden frischen Erde wahrnehmen kannst,<br />

di<strong>es</strong>e Tage, in denen die Sonnenstrahlen all<strong>es</strong> um dich herum mit einer sanften Milde<br />

erwärmen <strong>und</strong> in denen sie allem, was du siehst einen leuchtenderen, fre<strong>und</strong>licheren<br />

Farbton geben, lassen mich immer an den Beginn von Joseph von Eichendorffs Mondnacht<br />

denken. Es war das erste Gedicht, <strong>dass</strong> ich nach Christian Morgensterns Kindergedichten<br />

kennenlernte. Sie waren mein erst<strong>es</strong> persönlich<strong>es</strong> 'Bilderbuch'. Ich hatte zwar<br />

vorher auch schon meine Forschungsbibliothek, b<strong>es</strong>tehend aus zwei ausrangierten zerfledderten,<br />

wahrscheinlich kirchenbezogenen Büchern, deren w<strong>und</strong>erliche Graphiken<br />

<strong>und</strong> Kupferstiche ich mir immer wieder zu Gemüte führte, aber Morgenstern war ein<br />

ganzer Himmel voller glitzernder Lichter. Natürlich waren die Gedichte lustig in ihren<br />

Ideen, in ihrer Sprache, aber sie ließen mich nicht laut lachen. Sie erheiterten mich, begleitet<br />

von einem schelmisch prickelnden Gefühl. Ich ließ sie mir immer noch vorl<strong>es</strong>en,<br />

als ich sie schon längst alle auswendig kannte. Dass der große Elefant ausgerechnet Sophiechen<br />

Wiedelband grüßen lässt, <strong>und</strong> der Bürger Kohlweißling aus Wi<strong>es</strong>enplan sich<br />

über einen leichten Wind freut, der <strong>sein</strong> Haus, die Glockenblume, zum Klingen bringt,<br />

hörte ich immer wieder gern erzählen. B<strong>es</strong>onders, wenn meine Mutter die 'Kätzchen ihr<br />

der Weide', di<strong>es</strong>e Silberschätzchen, befragte, wo sie denn den Winter über g<strong>es</strong>chlafen<br />

hätten, gab <strong>es</strong> mir ein klein<strong>es</strong> schmunzelnd<strong>es</strong> Hochgefühl, so<strong>dass</strong> ich vor Glück einen<br />

Kuss von ihr brauchte. Sie beglückten mich einfach, di<strong>es</strong>e kleinen surrealen Komödien,<br />

die trotz ihrer Skurrilität aber auch Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Wärme vermittelten. Nachdem<br />

meine Mutter noch weitere Gedichte b<strong>es</strong>orgt hatte, die nicht in dem Buch aufgeführt<br />

waren, meinte sie, ein anderer, Eichendorff, habe auch sehr nette Gedichte g<strong>es</strong>chrieben,<br />

die auch zum Teil lustig seien, <strong>und</strong> eine ganze Reihe davon könne sie sogar singen. Als<br />

erst<strong>es</strong> las sie mir abends im Bett die 'Mondnacht' vor. Ich fand <strong>es</strong> nicht unbedingt<br />

schlecht, aber an Morgenstern kam er nicht heran. Die erste Strophe fand ich noch gut.<br />

Dass der Himmel die Erde küsst, <strong>und</strong> sie jetzt von ihm träumen muss, keine schlechte<br />

Idee <strong>und</strong> hörte sich auch gut an, wie er's g<strong>es</strong>agt hatte, hätte von Morgenstern <strong>sein</strong> können,<br />

aber dann lässt er die Seele still nach Hause fliegen. So billig hätte sich's Morgenstern<br />

nicht gemacht. Er hätte zum Beispiel aus Kuss <strong>und</strong> Traum die große Liebe gemacht.<br />

Die beiden hätten geheiratet, ganz viele Kinderlein bekommen, die jetzt überall auf der<br />

Welt verteilt sind, <strong>und</strong> jed<strong>es</strong> von ihnen ist aus einem Kuss zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde<br />

entstanden. Oder aber die Liebe wäre zerronnen, weil der Himmel sich im Herbst wüst<br />

<strong>und</strong> rüpelhaft aufführte, <strong>und</strong> die Erde jetzt vor solch wechselhaften Scharlatanen wie<br />

dem Himmel gewarnt ist. Trotzdem denke ich an di<strong>es</strong>en genussvollen Tagen im Mai<br />

nicht an das Stückchen Sonnenschein, das klein Irmchen für sich <strong>und</strong> ihr Schirmchen<br />

beim Kaufman erworben hat, sondern daran, <strong>dass</strong> der Himmel die Erde still geküsst haben<br />

müsse, obwohl di<strong>es</strong>e Aktivität bei Eichendorff eher für die Nacht vorg<strong>es</strong>ehen war.<br />

Meeting im Bistro<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 3 von 34


Ich hatte noch gar keine Lust, nach Hause zu fahren. Vielleicht wollte meine Seele ja<br />

auch erst noch durch die stillen Lande fliegen, aber mir war mehr danach, unter Menschen<br />

zu <strong>sein</strong>. Ich wollte noch einen Espr<strong>es</strong>so trinken, nur das Bistro war ziemlich voll.<br />

An einem kleinen Tisch saß eine junge Frau, die offensichtlich ebenfalls Studentin war,<br />

wie fast alle die hier in Uni-Nähe verkehrten. Dass sie einen dicken Bauch hatte, also<br />

schwanger war, bemerkte ich erst, als ich bei ihr am Tisch Platz nahm. So etwas<br />

Dämlich<strong>es</strong> auf Schwangerschaft <strong>und</strong> Kinder Bezogen<strong>es</strong> wollte ich nicht ansprechen. Ich<br />

fragte sie einfach, was sie studiere. „Medizin, was sonst? Brauche ich bei dem Bauch<br />

demnächst ja dringend, oder?“ reagierte sie mit einem leicht verschmitzten Lächeln.<br />

„Na ja, aber ich bin ja auch nicht angefangen Kfz-Ingenieur zu werden, als ich mir ein<br />

Auto kaufte. Meinst du, ich sollte <strong>es</strong> doch lieber machen?“ wandte ich fragend ein. „Ich<br />

hatte ja das Glück, <strong>es</strong> vorher auch schon zu machen, während du wahrscheinlich ganz<br />

von vorne anfangen müsst<strong>es</strong>t. Du sollt<strong>es</strong>t dir vielleicht einen Fre<strong>und</strong> zulegen, der so<br />

etwas kann. Ich denke, <strong>es</strong> könnte schon lustig werden, sich weiter Gedanken über deine<br />

berufliche Perspektive zu machen, Herr Ingenieur, aber ich muss jetzt unbedingt nach<br />

Hause <strong>und</strong> mich ein wenig hinlegen. Ich habe hier nur eine kleine Pause gemacht.“<br />

erklärte die junge Frau <strong>und</strong> wollte aufstehen. „Ich kann dich doch nach Hause bringen,<br />

ich habe ja ein Auto, wie du weißt. Dann musste du nicht die umständlichen,<br />

anstrengenden Wege mit Bus <strong>und</strong> Bahn machen. Es steht direkt vor der Tür.“ bot ich ihr<br />

an. Sie stutzte kurz, schien zu überlegen, ob <strong>es</strong> Einwände geben könnte <strong>und</strong> meinte<br />

dann: „Ja, das wäre sehr lieb von dir. Und du hast keinen dringenden Termin? Es würde<br />

dich nicht stören?“ Ich erklärte ihr auf dem Weg zum Auto, <strong>dass</strong> <strong>und</strong> warum ich heute<br />

sowi<strong>es</strong>o noch überhaupt keine Lust hätte, schon nach Hause zu fahren.<br />

Kein Eremit<br />

Einerseits waren <strong>es</strong> sicher die schönen Maientage, aber <strong>es</strong> kam auch sonst manchmal<br />

vor, <strong>dass</strong> mich nichts verlockte, die Räumlichkeiten mein<strong>es</strong> Appartements zu bewachen.<br />

Bis vor zirka dreiviertel Jahr hatte ich mit drei Frauen <strong>und</strong> zwei weiteren Männern in einer<br />

WG gewohnt. Die Probleme nahmen zu <strong>und</strong> begannen mich zu nerven. Ich sah<br />

einen Gewinn darin, meine Ruhe zu haben, <strong>und</strong> von niemand anderem <strong>und</strong> <strong>sein</strong>en Problemen<br />

belästigt zu werden. Nur jetzt beginnt mich meine Ruhe <strong>und</strong> Isolation zu nerven.<br />

Wenn ich mal eine Pause machen will, mir einen Kaffe trinken <strong>und</strong> mit jemandem<br />

reden, <strong>es</strong> ist nie jemand da. Vor allem sind die nicht da, die dir trotzt der Probleme Aufmerksamkeit<br />

schenkten, dich beachteten, dir vermittelten, <strong>dass</strong> du ein akzeptiert<strong>es</strong> Mitglied<br />

di<strong>es</strong>er Gruppe bist, <strong>dass</strong> du anerkannt <strong>wir</strong>st, einfach so, selbstverständlich. Ich<br />

denke nicht, <strong>dass</strong> ich Minderwertigkeitsgefühle habe, aber was <strong>es</strong> bedeutet immer ein<br />

Feedback in Form von Aufmerksamkeit, Beachtung, Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung zu bekommen,<br />

merke ich erst jetzt, da ich <strong>es</strong> überhaupt nicht mehr habe. All<strong>es</strong> dazu muss<br />

ich extra organisieren, muss Fre<strong>und</strong>e einladen, mit ihnen Termine für gemeinsame Vorhaben<br />

ausmachen, damit du überhaupt jemanden find<strong>es</strong>t, der dir Aufmerksamkeit <strong>und</strong><br />

Beachtung schenken könnte. All<strong>es</strong> <strong>wir</strong>kt konstruiert. In der WG ergab sich spontan<br />

mehr als man wahrnehmen konnte <strong>und</strong> da von sechs Personen auch immer noch Fre<strong>und</strong>e<br />

oder Fre<strong>und</strong>innen anw<strong>es</strong>end waren,spielte sich ein reichhaltig<strong>es</strong> Leben ab. Mein jetzig<strong>es</strong><br />

Leben soll dadurch bunt werden, <strong>dass</strong> ich abends mal allein in die Kneipe gehe.<br />

Das passt all<strong>es</strong> überhaupt nicht zu mir <strong>und</strong> meinen Bedürfnissen. Vor allem habe ich gar<br />

keine Beziehung zu Frauen mehr. Meine Sexualität konnte ich aber nicht in der WG zurücklassen.<br />

Ich habe keine Fre<strong>und</strong>in, weil ich eine Frau, mit der ich mir eine dauerhaftere<br />

Beziehung vorstellen könnte, noch nicht gef<strong>und</strong>en habe. Nichts Ungewöhnlich<strong>es</strong> ei-<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 4 von 34


gentlich, nur mit einer Frau d<strong>es</strong>halb befre<strong>und</strong>et zu <strong>sein</strong>, damit ich jemanden habe, an<br />

dem ich meinen Sexualtrieb ausagieren kann, obwohl ich weiß, <strong>dass</strong> ich die Frau nicht<br />

liebe, einer Frau, die mich wahrscheinlich mag <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>ert, die mich schätzt <strong>und</strong><br />

liebt, eine grässliche Vorstellung. Auch die Vorstellung, mit einer fremde Frau zu ficken,<br />

die ich für eine Nacht angebaggert hätte, tötet in mir die Lust. Eigentlich verrückt, wenn<br />

beide Sex wollen, warum sollen sie <strong>es</strong> dann nicht miteinander haben. Trotzdem mag<br />

<strong>und</strong> kann ich so etwas nicht. Vielleicht bin ich zu konservativ oder zu verklemmt, aber<br />

ich kann die Nähe <strong>und</strong> Intimität zu dem anderen Menschen <strong>und</strong> <strong>sein</strong>er Person nicht<br />

ausblenden, die Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Beachtung allein auf die Genitalien lenken, nur<br />

das wahrnehmen, was mein Sexualtrieb erkennen will <strong>und</strong> nur meine sexuelle<br />

Befriedigung sehen. In der WG war das kein Problem. Da kam <strong>es</strong> häufig zu Kontakten<br />

<strong>und</strong> Unterhaltungen, bei denen man im fortg<strong>es</strong>chrittenen Stadium das Bedürfnis hatte,<br />

die Kommunikation auf anderer Ebene im Bett fortzuführen. Man hatte sich im G<strong>es</strong>präch<br />

gegenseitig Beachtung g<strong>es</strong>chenkt <strong>und</strong> gemerkt, <strong>dass</strong> man Sympathien für einander hatte,<br />

das man den anderen mochte, ohne dabei schon direkt an Sex zu denken. Man hatte<br />

Lust darauf, <strong>es</strong> mit der anderen Person zu erleben. Wie sollte etwas Ähnlich<strong>es</strong> sich<br />

heute ergeben. All di<strong>es</strong>e Unzufriedenheiten mit meinen derzeitigen privaten<br />

Lebensbedingungen vergegenständlichten sich in den Lokalitäten mein<strong>es</strong> Apartments,<br />

das mir manchmal auch wegen <strong>sein</strong>er räumlichen Begrenztheit im Verhältnis zu den<br />

weiten offenen Räumen der WG wie eine Zelle erschien. Ich lebte in einer<br />

unbeabsichtigten Klausur. Die meiste Zeit war ich ja mit Studium <strong>und</strong> Uni befasst. Da<br />

fiel <strong>es</strong> mir nicht auf, <strong>und</strong> ich musste nicht daran denken, trotzdem konnte <strong>es</strong> nicht so<br />

bleiben. Ich wollte mich nicht im Privatleben langsam zum Eremiten ausbilden.<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong><br />

Das habe ich <strong>Mira</strong> Schönfeld, so hieß die junge Frau, die ich nach Hause brachte, natürlich<br />

nicht erzählt. Auf halber Strecke wurde <strong>uns</strong> plötzlich bewusst, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong>ere Namen<br />

gegenseitig gar nicht genannt hatten. „Ich habe ja mit <strong>Mira</strong> noch ri<strong>es</strong>ig<strong>es</strong> Glück gehabt.<br />

Meine Eltern hatten damals nämlich einen indischen Hau. Das <strong>Mira</strong> verstehen sie<br />

auch als indischen Namen, nur den gibt’s ja hier <strong>und</strong> vor allem in Italien <strong>und</strong> anderen<br />

Ländern auch. Glücklicher weise heiße ich nicht Indirah, Gandhi war nämlich damals für<br />

sie eine Lichtg<strong>es</strong>talt, aber Manju sollte ich erst <strong>wir</strong>klich heißen. Meine Omi hat mich davor<br />

gerettet.“ erläuterte <strong>Mira</strong> zu ihrem Namen <strong>und</strong> ich verdeutlichte, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> mir nicht<br />

b<strong>es</strong>ser ergangen sei. Meine Eltern seien ein wenig frankophil, <strong>und</strong> damals in ihrer Hochphase,<br />

als ich geboren wurde, hätte <strong>es</strong> natürlich ein französischer Name <strong>sein</strong> müssen.<br />

„Es gibt so viele Namen, die man sowohl französisch als auch deutsch aussprechen<br />

kann <strong>und</strong> die <strong>es</strong> in beiden Ländern gibt. Warum haben sie mich nicht beispielsweise Paul<br />

genannt, nein <strong>Laurent</strong> musste <strong>es</strong> <strong>sein</strong>. Wem <strong>es</strong> nicht ausdrücklich g<strong>es</strong>agt wurde, nennt<br />

dich nicht so. Entweder man spricht <strong>es</strong> deutsch aus, oder sieht gar nicht, <strong>dass</strong> am Ende<br />

ein T steht <strong>und</strong> sagt einfach Laurenz. <strong>Laurent</strong> Berger, ich bitte dich, wie hört sich das<br />

denn an, im Französischen ist <strong>es</strong> ganz passabel, aber halb französisch <strong>und</strong> halb deutsch,<br />

das ist doch ein Unname.“ b<strong>es</strong>chwerte ich mich. „Mir gefällt er trotzdem.“ meinte <strong>Mira</strong>,<br />

„Ich finde <strong>Laurent</strong> ist ein schöner Name. Yv<strong>es</strong> Saint <strong>Laurent</strong>, das klingt doch göttlich.<br />

<strong>Laurent</strong> Fabius war mal Ministerpräsident in Frankreich, oder weiß der Herr Ingenieur so<br />

etwas nicht? Was studierst du eigentlich?“ „Der Herr Ingenieur will Master of Education<br />

werden, mit dem Wahlfach Sozialphilos-ophie.“gab ich ihr zur Antwort. „Oh je, das ist<br />

allerdings viel schlimmer als dein Name. Bekommt man da beim Examen gleich einen<br />

Hartz IV Antrag mit überreicht? Warum tust du das?“ erschrak sie. „Im Prinzip hast du<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 5 von 34


vielleicht nicht ganz unrecht, nur für mich sehe ich das nicht so.“ erklärte ich noch kurz,<br />

<strong>und</strong> da waren <strong>wir</strong> auch schon bei <strong>Mira</strong> zu Hause angekommen.<br />

Bei <strong>Mira</strong> zu Haus<br />

„Komm doch mit rein, wenn du sowi<strong>es</strong>o noch nicht nach Hause willst. Ich bin ganz allein.<br />

Meine Eltern sind noch nicht zurück, da können <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> noch weiter unterhalten,<br />

dann <strong>wir</strong>d’s Maman auch nicht so langweilig <strong>Laurent</strong>.“ forderte <strong>Mira</strong> mich auf. „Ja die<br />

kleine Madam holt sich einfach so viel von mir, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> mir manchmal im Kopf ganz blumig<br />

<strong>wir</strong>d. Am b<strong>es</strong>ten geht’s mir dann immer, wenn ich liegen kann. Ende Juli, Anfang<br />

August <strong>wir</strong>d sie raus wollen aus meinem Bauch, dann ist das vorbei. Aber ich mag's<br />

jetzt auch. Das ist vielleicht ein komisch<strong>es</strong> Gefühl, wenn du anfängst zu merken, wie in<br />

dir ein kleiner Tiger wächst. Es ist so ein Konglomerat von Gefühlen. Wenn ich sagte,<br />

ich bin stolz, dann wäre das eine platte, falsche B<strong>es</strong>chreibung, <strong>es</strong> kulminiert in einem<br />

dominanten Gefühl, das warm, fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> wohlwollend ist. Machen b<strong>es</strong>timmt all<strong>es</strong><br />

die Hormone. Genauso wie ich die Schwangerschaft zugelassen habe. Felsenf<strong>es</strong>t stand<br />

bei mir die Gewissheit, <strong>dass</strong> ich in einem solchen Fall abtreiben lassen würde, als ich<br />

aber erfuhr, <strong>dass</strong> ich schwanger war, schienen auf einmal magische Mächte meine Welt<br />

zu verändern. In wenigen Tagen war ich soweit, <strong>dass</strong> ich <strong>es</strong> unbedingt wollte. Der Zellhaufen<br />

in deinem Bauch <strong>wir</strong>d dir plötzlich ganz wichtig, bedeutsam <strong>und</strong> du beginnst ihn<br />

liebevoll zu betrachten. War wenigstens bei mir so.“ erklärte <strong>Mira</strong> zu ihrer Schwangerschaft.<br />

„Und warum wollt<strong>es</strong>t du vorher unbedingt abtreiben?“ erk<strong>und</strong>igte ich mich. „Na<br />

hör mal, gibt <strong>es</strong> denn eine ungünstigere Situation? Ich hab' keinen Mann, keinen<br />

Fre<strong>und</strong>, stecke mitten im Studium <strong>und</strong> wohne bei meinen Eltern. Die kleine ist ein Pillenkind.<br />

Alle Fehler, die man machen kann, habe ich meiner Ansicht nach nicht gemacht,<br />

trotzdem hat's funktioniert. Für mich ein absolut<strong>es</strong> Rätsel.“ erklärte <strong>Mira</strong>. „Und<br />

der Vater, was hält der davon?“ wollte ich wissen. „Setz dich doch zu mir auf die Couch.<br />

Das ist ja schrecklich, wenn du hinter meinem Kopf aus dem S<strong>es</strong>sel red<strong>es</strong>t.“ forderte<br />

<strong>Mira</strong> mich auf, „Ja der Vater, ich weiß wie er heißt, <strong>und</strong> ich habe auch <strong>sein</strong>e Adr<strong>es</strong>se.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich abstreiten tut er <strong>es</strong> nicht, nachdem ich ihm erklärt habe, warum nur er<br />

der einzig Mögliche <strong>sein</strong> könne. Ich weiß auch nicht, ob ich finanzielle Unterstützung<br />

von ihm überhaupt wollte, ob ich nicht all<strong>es</strong> einfach verg<strong>es</strong>sen sollte? Im Gr<strong>und</strong>e ist <strong>es</strong><br />

ja auch all<strong>es</strong> mein eigen<strong>es</strong> Problem.“ „Wegen der Pille?“ fragte ich nach. <strong>Mira</strong> schaute<br />

zur Decke <strong>und</strong> sinnierte. „<strong>Laurent</strong>,“ hob sie zögernd an, „ich weiß nicht ob ich dazu etwas<br />

erzählen sollte. Ich kenne dich ja überhaupt nicht, <strong>und</strong> das wäre sehr privat. Also<br />

ich habe keinen f<strong>es</strong>ten Fre<strong>und</strong>. Mir ist bislang noch niemand begegnet, bei dem ich das<br />

gewünscht oder für möglich gehalten hätte. Vielleicht habe ich zu hohe Ansprüche oder<br />

spinnerte Traumvorstellungen, aber ich komme mir nicht wie in der Asche sitzend <strong>und</strong><br />

auf den Traumprinzen wartend vor. Ich weiß nicht, was <strong>es</strong> ist, aber einen Anlass, mich<br />

ver<strong>lieben</strong> zu können, hat <strong>es</strong> bislang noch nicht gegeben. Ich habe einfach noch nie jemanden<br />

kennengelernt, der bei mir eine entsprechende Aufmerksamkeit erweckte. Und<br />

eine Beziehung anfangen mit jemandem, gegen den ich von Anfang an Vorbehalte<br />

habe, den ich nicht b<strong>es</strong>onders schätze, nur bedingt mag, den ich nicht ein wenig bew<strong>und</strong>ern<br />

kann, grauenvoll. Was <strong>wir</strong>d denn daraus? Hinterher vergisst du, dich rechtzeitig<br />

zu lösen, <strong>und</strong> schleppst di<strong>es</strong><strong>es</strong> von Anfang an kaputte Verhältnis durch dein ganz<strong>es</strong><br />

Leben. Auch wenn du selbst später noch so viel falsch machst, aber du brauchst doch<br />

wenigstens einen hoffnungsvollen Start, <strong>und</strong> nicht ein Verhältnis, das von Anfang an nur<br />

den Kriechgang kennt. Ja, <strong>und</strong> deine Sexualität scheint das aber nicht zu inter<strong>es</strong>sieren.<br />

Die wartet nicht so lange, bis du einen richtigen Fre<strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en hast. Die sucht von<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 6 von 34


Anfang an nach Befriedigung <strong>und</strong> kann <strong>es</strong> auch mit einem anderen Mann für eine Nacht<br />

mal ganz gut finden. So hab' ich mich eben von Zeit zu Zeit beholfen, <strong>und</strong> einer davon<br />

ist nun der Vater meiner Tochter geworden. Jetzt weiß du all<strong>es</strong> von mir. Und du? Verheiratet<br />

bist du ja wohl nicht, aber eine Fre<strong>und</strong>in <strong>wir</strong>st du haben. Der kannst du heute<br />

Abend eine kuriose G<strong>es</strong>chichte erzählen.“ „Gar nichts werde ich erzählen, <strong>Mira</strong>. So etwas<br />

erzähle ich nicht. Du hast <strong>es</strong> ja mir <strong>und</strong> nicht anderen Menschen berichtet. Abg<strong>es</strong>ehen<br />

davon habe ich sowi<strong>es</strong>o keine Fre<strong>und</strong>in.“ erklärte ich knapp. <strong>Mira</strong>s Mutter kam zurück<br />

<strong>und</strong> sah mich bei ihr auf der Couch sitzen. Ob etwas passiert sei, weil <strong>es</strong> wahrscheinlich<br />

den Eindruck erweckte, als ob ich pflegend oder beobachten an ihrer Seite<br />

säße. <strong>Mira</strong> klärte all<strong>es</strong> kurz auf <strong>und</strong> meinte dann: „Mutti, <strong>Laurent</strong> ist Philosoph, denk<br />

daran <strong>und</strong> plapper nicht einfach so daher, wenn du mit ihm red<strong>es</strong>t.“ Alle schmunzelten.<br />

„Du hast mir noch nicht erklärt, warum du die Zukunft für dich als Sozialphilosoph nicht<br />

so d<strong>es</strong>aströs siehst wie für andere, aber nein, zuerst will ich wissen, warum du keine<br />

Fre<strong>und</strong>in hast. Ich hab' <strong>es</strong> dir auch erklärt <strong>und</strong> sogar noch viel mehr.“ setzte <strong>Mira</strong> an<br />

mich gewandt fort. „Ich werde dir nichts erklären müssen.“ antwortete ich <strong>Mira</strong>, „Bei<br />

mir ist <strong>es</strong> identisch so wie bei dir, <strong>und</strong> aus dem gleichen Gr<strong>und</strong> wie du, habe ich auch<br />

keine Gebrauchsfre<strong>und</strong>in, die ich gar nicht <strong>lieben</strong> <strong>und</strong> schätzen kann.“ „Du <strong>wir</strong>st doch<br />

auch sexuelle Bedürfnisse haben. Männer gehen doch häufig in einen Puff oder so etwas.<br />

Tust du das auch, oder schleppst du auch manchmal jemanden ab?“ forschte sie<br />

weiter. Ich erzählte ihr von meiner derzeitigen Lebenssituation <strong>und</strong> von den Bedingungen<br />

in der WG. „Von mir meinen die Leute, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> mir ganz mi<strong>es</strong> gehen müsse, während<br />

d<strong>es</strong> Studiums alleinerziehend ein Kind zu bekommen, aber ich sehe <strong>es</strong> überhaupt<br />

nicht so <strong>und</strong> kann gar nicht so empfinden. Deine Situation scheint mir allerdings sehr<br />

übel. Du darfst das nicht tagsüber verdrängen, ändere das ganz schnell. Wenn dich am<br />

Spätnachmittag oder Abend deine Gruft ankotzt, komm doch einfach vorbei. Musst nur<br />

vorher anrufen. Ich freue mich auch auf <strong>uns</strong>ere Unterhaltung. Es sei denn, du wollt<strong>es</strong>t<br />

doch noch Kfz-Ingenieur werden, dann spreche ich nicht mehr mit dir.“ sagte <strong>es</strong>, lächelte<br />

<strong>und</strong> streichelte mir mit ihrem Handrücken über die Wange. Zum Abschied umarmten<br />

<strong>wir</strong> <strong>uns</strong> <strong>und</strong> lächelten <strong>uns</strong> längere Zeit gegenseitig an.<br />

Träumen statt Interpretieren<br />

Ein denkwürdiger Nachmittag im Mai. Ob der Himmel tatsächlich die Erde still geküsst<br />

hatte, d<strong>es</strong>sen war ich mir nicht ganz sicher, aber <strong>dass</strong> meine Seele ihre Flügel weit ausg<strong>es</strong>pannt<br />

hatte, als sie mit dem Auto über die abendlich leeren Straßen nach Hause<br />

gondelte, stand f<strong>es</strong>t. Meine Apartmentf<strong>es</strong>tung schien sich zu lockern <strong>und</strong> zu weiten, als<br />

ob sie intuitiv verstanden habe, <strong>dass</strong> meine emotionale Verfassung im Moment keinerlei<br />

Einengungen zulasse. Ich fühlte mich leicht <strong>und</strong> wohl. Warum genau? So direkt benennen<br />

konnte ich <strong>es</strong> nicht. Sollte ich analysieren, was da heute Nachmittag überhaupt g<strong>es</strong>chehen<br />

war, was <strong>es</strong> im Einzelnen für mich bedeutete. Nein ich wollte <strong>es</strong> nicht, <strong>es</strong> hätte<br />

nicht zu meinem Empfinden gepasst, hätte <strong>es</strong> womöglich g<strong>es</strong>tört. Das war mir schon als<br />

klein<strong>es</strong> Kind bei Morgenstern aufgefallen. Natürlich konnte ich sagen, das etwas lustig<br />

sei, weil <strong>es</strong> sich ja so in der Realität gar nicht zutragen konnte, nur war das ja letztendlich<br />

nicht der Gr<strong>und</strong> dafür, w<strong>es</strong>halb die Gedichte so kurios kitzelnd <strong>wir</strong>kten. Das wollte<br />

ich aber auch gar nicht erklärt haben. Ich wollte sie hören <strong>und</strong> lächelnd genießen. Dafür<br />

hatte Morgenstern sie ja auch für mich g<strong>es</strong>chrieben. Ich habe die Interpretation ein<strong>es</strong><br />

Germanisten von Eichendorffs Mondnacht gel<strong>es</strong>en. Wenn er das Gedicht in <strong>sein</strong>e molekulare<br />

Struktur zerlegen will, um die Teile davon im vielgliedrigen Kategoriensystem<br />

deutschsprachiger lyrischer Details einordnen zu können, soll er <strong>es</strong> tun. Nur das will ich<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 7 von 34


als L<strong>es</strong>er oder Hörer überhaupt nicht wissen <strong>und</strong> mit Sicherheit hat Eichendorff <strong>es</strong> auch<br />

nicht auf di<strong>es</strong>er Basis konstruiert. Die Botschaft, die ein Gedicht mir vermittelt, entsteht<br />

aus meiner Aufmerksamkeit gegenüber den Emotionen, die <strong>es</strong> bei mir auslöst, den Assoziationen,<br />

die <strong>es</strong> anspricht, den Erinnerungen <strong>und</strong> Gedanken, die <strong>es</strong> weckt. Das fügt<br />

sich zu einem Bild <strong>und</strong> davon hängt <strong>es</strong> ab, was mir ein Gedicht sagt <strong>und</strong> bedeutet, aber<br />

doch nicht von der Kategorisierung der lyrischen Strukturelemente. Ich lehne <strong>es</strong> auch<br />

schlicht ab, <strong>es</strong> mir vorschreiben zu lassen, wie ich etwas zu sehen habe, was meine<br />

Wahrnehmung zu erkennen hätte. Wie sich die Bilder bei einem anderen gezeigt hatten,<br />

würden sie sich mir sowi<strong>es</strong>o nicht zeigen. Auch wenn <strong>es</strong> selbstverständlich eine<br />

übermäßige Fülle an Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Ähnlichkeiten gibt <strong>und</strong> notwendigerweise<br />

geben muss, haben Wahrnehmungen letztendlich immer ein an eine einzelne Person<br />

geb<strong>und</strong>en<strong>es</strong> nicht zu knackend<strong>es</strong> individuell<strong>es</strong> Copyright. Meine gehören mir, ich mag<br />

sie, das bin ich <strong>und</strong> nicht jemand anders, der mir erklären will, was ich eigentlich zu<br />

sehen <strong>und</strong> zu empfinden hätte. Um nicht falsch verstanden zu werden, ich liebe<br />

Informationen, die mein Blickfeld erweitern, mag zum Beispiel Ausstellungskataloge, die<br />

mir Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Situation in der ein Bild entstanden ist, näher bringen,<br />

aber manchen Beiträgen scheint der absonderliche Impetus innezuwohnen, mir erklären<br />

zu müssen, wie eine b<strong>es</strong>timmte Farbkombination in einem ausgewählten Bildsegment<br />

auf mich zu <strong>wir</strong>ken habe. Das will ich nicht nur nicht wissen, das nervt. Ich würde den<br />

Nachmittag im Mai nicht in <strong>sein</strong>e Einzelteile zerlegen <strong>und</strong> sie zu analysieren versuchen.<br />

Ich glaubte, davon lieber träumen zu sollen, wie die Erde durch den vermeintlichen<br />

Kuss d<strong>es</strong> Himmels.<br />

Verkümmernde Seele<br />

Ich konnte mich nicht über zu wenige Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte beklagen, nur ich hatte oft<br />

kein Inter<strong>es</strong>se, den Kontakt zu suchen, als ob <strong>es</strong> mir zu mühsam wäre oder einen ineffektiven<br />

Aufwand erfordere. In der WG kannte ich di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen nicht. War ich<br />

schon müde <strong>und</strong> träge geworden, zumind<strong>es</strong>t in meiner freien Zeit. Ich verglich die unterschiedlichen<br />

Situationen damals <strong>und</strong> jetzt. Natürlich traf man sich immer in der WG.<br />

Bekannte <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e kamen gern. Am großen Küchentisch traf man auch meistens<br />

noch andere Leute, hier war das Leben, war immer Leben, intensiv<strong>es</strong> Leben. Intensiv<br />

war für mich das Leben in der Uni, in G<strong>es</strong>prächen, Seminaren, in der Bibliothek. Wenn<br />

ich ein Referat halten musste, wenn ich für einen Artikel in einer Fachzeitschrift oder<br />

sonst wo recherchierte, aber außerhalb meiner Arbeit nur laue Pfade. Meine Lebenshaltung<br />

musste ich organisiert bekommen, <strong>und</strong> dann? Dann war eigentlich all<strong>es</strong> beliebig.<br />

Anregende Diskurse über bedeutsame Themen wurden nirgendwo geführt. Nirgendwo<br />

saßen Menschen beim Wein zusammen <strong>und</strong> erzählten G<strong>es</strong>chichten, <strong>dass</strong> man sich die<br />

Bäuche hielt vor Lachen, nirgendwo passierte etwas, <strong>es</strong> gab keine Anregung <strong>und</strong> kein<br />

intensiv<strong>es</strong> Leben im Privatbereich mehr. Meine Bekannten waren noch da, aber meine<br />

Seele schien zu verkümmern.<br />

Schnelle Sympathie<br />

Di<strong>es</strong>er Nachmittag mit <strong>Mira</strong> passte nicht in das laue, beliebige Dahinleben. Er schien in<br />

mir etwas angeregt zu haben, das mich immer wieder daran denken ließ. Ob der Aufwand,<br />

sie zu b<strong>es</strong>uchen, gerechtfertigt sei, so eine Frage könnte mir hier nie kommen.<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 8 von 34


Ich dachte oft daran, wie <strong>es</strong> di<strong>es</strong>er jungen Frau mit dem schon großen Kind im Bauch<br />

jetzt wohl ginge. Ich hatte eigentlich ja nur zufällig neben ihr am Tisch g<strong>es</strong><strong>es</strong>sen <strong>und</strong> ihr<br />

dann wegen ihrer Lage angeboten, sie nach Hause zu fahren. Wäre ich von ihrer Haustür<br />

aus zu mir gefahren, <strong>es</strong> wäre bei einem kurzen Intermezzo geb<strong>lieben</strong>. Ich ging mit<br />

rein, um mich zum Zeitvertreib mit ihr zu unterhalten. Wir hätten zum Beispiel über leckere<br />

Käs<strong>es</strong>orten sprechen können. So lief <strong>es</strong> allerdings nicht. Wir, die <strong>uns</strong> überhaupt<br />

nicht kannten, hatten viel von <strong>uns</strong> persönlich preisgegeben. Ich hatte mich wohl schon<br />

mal mit Fre<strong>und</strong>en darüber unterhalten, <strong>dass</strong> ich meine Entscheidung aus der WG auszuziehen<br />

bereue, aber was ich di<strong>es</strong>er unbekannten <strong>Mira</strong> erzählte, hatte ich noch nie jemandem<br />

g<strong>es</strong>agt. Warum? Ich hätte ihr mein persönlich<strong>es</strong> Befinden nicht so detailliert<br />

schildern müssen. Was hatte mich dazu veranlasst? Sympathisch war sie mir schon direkt<br />

erschienen. Wir hatten ja nur zwei Sätze gewechselt. Wenn sie sich distanzierter<br />

verhalten hätte, wäre mir der Gedanke, sie nach Hause bringen zu wollen, wahrscheinlich<br />

gar nicht erst gekommen. Hatte der erste Blick vielleicht schon <strong>uns</strong>ere gegenseitige<br />

Aufmerksamkeit geweckt, hatten <strong>wir</strong> direkt erkannt, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> eventuell mögen würden?<br />

<strong>Kann</strong> <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> <strong>lieben</strong>?<br />

Ich konnte <strong>und</strong> wollte <strong>Mira</strong> ja nicht direkt in den nächsten Tagen anrufen. Also, nach einer<br />

Woche telefonierte ich mit ihr, <strong>und</strong> erklärte, <strong>dass</strong> ich mal anfragen wolle, ob ich sie<br />

kraft mein<strong>es</strong> Automobils wieder irgendwo hin befördern dürfe, ob <strong>es</strong> sie danach gelüste.<br />

„Nein, ich habe im Moment keine Gelüste zum Autofahren, aber lass mal bei dir schnell<br />

welche wachsen, die dich unverzüglich hierher befördern. Wo steckst du denn eigentlich?<br />

Ich war schon davon ausgegangen, <strong>dass</strong> du dich nicht mehr melden würd<strong>es</strong>t <strong>und</strong><br />

habe schon überlegt, ob in der letzten Woche etwas misslich für dich gew<strong>es</strong>en <strong>sein</strong><br />

könnte. Und bring ein bisschen Zeit mit, so<strong>dass</strong> du auch noch zum Abendbrot bleiben<br />

kannst.“ forderte sie mich am Telefon auf. „Na du lebst ja doch noch <strong>und</strong> bist nicht in<br />

der Zwischenzeit in deinem Apartmentgefängnis verwelkt.“ wurde ich fre<strong>und</strong>lich lachend<br />

mit Umarmung <strong>und</strong> Kuss begrüßt. „Ja, ich habe mir tatsächlich schon Sorgen um dich<br />

gemacht. Wie du deine Situation b<strong>es</strong>chrieben hast, finde ich sie schon sehr unerträglich.<br />

Als angehender Sozialphilosoph müsst<strong>es</strong>t du doch b<strong>es</strong>timmt schon theoretisch wissen,<br />

<strong>dass</strong> dein Privatleben den Bedürfnissen menschlicher Sozialw<strong>es</strong>en nicht gerecht <strong>wir</strong>d.“<br />

erklärte <strong>Mira</strong> <strong>und</strong> lachte. „Ich weiß <strong>es</strong> nicht nur theoretisch, <strong>Mira</strong>, ich erfahre <strong>es</strong> auch<br />

praktisch <strong>und</strong> will <strong>es</strong> so schnell wie möglich ändern.“ reagierte ich darauf, „Ein erster<br />

Schritt ist schon, <strong>dass</strong> du mich wissen lässt, was das kleine ungeborene Kind mit der sie<br />

umhüllenden Mutter anstellt, ob <strong>es</strong> sie immer noch schwindlig werden lässt.“ „Ja das<br />

schon, aber sonst ist <strong>es</strong> sehr lieb <strong>und</strong> brav. Es lässt mich nicht mi<strong>es</strong> <strong>und</strong> kratzbürstig<br />

werden, macht mir nicht den Blu<strong>es</strong>, quält mich auch nicht sonst irgendwie, sondern<br />

scheint sich ausschließlich mit der Produktion von Glückshormonen für meine Nahrung<br />

<strong>und</strong> meinen Sauerstoff zu bedanken. Ein Glückskind muss <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, zumind<strong>es</strong>t solange<br />

<strong>es</strong> bei mir im Bauch ist. Nein, in der Tat, sonst habe ich auch schon mal Tage, an denen<br />

ich mich schlaffer fühle, all<strong>es</strong> so notwendig erledigt bekomme, das gibt <strong>es</strong> nicht mehr.<br />

Ich bin immer gut drauf.“ erklärte <strong>Mira</strong> lachend, „Warum hast du dich nicht mal gemeldet.<br />

Ich wollte dich schon anrufen, konnte aber nirgendwo eine Telefonnummer von dir<br />

finden.“ „<strong>Mira</strong>, du hatt<strong>es</strong>t mir fre<strong>und</strong>licherweise angeboten, dich b<strong>es</strong>uchen zu können,<br />

wenn mich meine Lage sehr stören sollte. Aber sonst kennen <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> doch gar nicht.<br />

Wir haben doch sonst nichts miteinander zu tun, <strong>und</strong> da rufe ich dich doch nicht gleich<br />

am nächsten Abend an, als ob ich's nicht abwarten könnte.“ klärte ich <strong>es</strong> auf. Sie schau-<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 9 von 34


te mich an, lächelte zwar, aber mit einem leicht skeptisch verzogenen M<strong>und</strong>. Sie antwortete<br />

nicht, sondern bli<strong>es</strong> eine tiefen Luftstoß durch die Nase aus. Es schien ihr nicht<br />

gefallen zu haben, was ich g<strong>es</strong>agt hatte. „Ich geh <strong>uns</strong> mal einen Kaffee machen. Für<br />

dich Espr<strong>es</strong>so, nicht war?“ erklärte sie <strong>und</strong> verschwand zur Küchenzeile. Als sie sich mit<br />

dem Kaffee wieder g<strong>es</strong>etzt hatte, meinte sie: „Du hast schon recht, <strong>Laurent</strong>, im Gr<strong>und</strong>e<br />

sind <strong>wir</strong> füreinander völlig fremde Personen, die zwar sehr persönlich miteinander geredet<br />

haben, aber ansonsten haben <strong>wir</strong> nichts miteinander zu tun. Nur ich empfand <strong>es</strong> gar<br />

nicht so, ich nahm das Fremde in dir nicht wahr, du erzeugt<strong>es</strong>t kein Bedürfnis, mehr Distanz<br />

zu wahren. Als ob du mir sehr vertraut wär<strong>es</strong>t, empfand ich dich. Ich weiß nicht,<br />

warum das so ist, aber eigentlich war <strong>es</strong> fast von Anfang an da, eine Art von Sympathie<br />

ist entstanden, ein vertraut<strong>es</strong> Wohlgefühl, ohne <strong>dass</strong> ich mich mit einem einzigen<br />

Gedanken damit befasst hätte.“ erläuterte <strong>Mira</strong>. Dass ich sie am liebsten auch am<br />

nächsten Tag direkt gern angerufen hätte, <strong>und</strong> di<strong>es</strong>e Fremdheitsfloskeln formal zwar<br />

korrekt, aber eigentlich vorg<strong>es</strong>choben waren, sagte ich ihr nicht. Ich wollte <strong>es</strong> vor mir<br />

selbst auch gar nicht zulassen. Dass ich den Freitagnachmittag in der letzten Woche als<br />

außergewöhnlich <strong>und</strong> nett empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> mich öfter daran erinnert hatte, war ja in<br />

Ordnung, aber etwas ander<strong>es</strong>, darüber hinaus Gehend<strong>es</strong> konnte nicht <strong>sein</strong>. Ich hatte<br />

nicht von <strong>Mira</strong> geträumt, mich in sie verliebt, Unsinn. Ich kannte sie ja <strong>wir</strong>klich<br />

überhaupt nicht. Lapidar reagierte ich auf ihre Erklärung: „Ja, das ist wohl so, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong><br />

blitzschnell den anderen wahrnehmen <strong>und</strong> für <strong>uns</strong> eine Einschätzung <strong>sein</strong>er Person<br />

zurecht legen. Bei mir bist du da auch sicher in die Kategorie Sympathisch,<br />

Vertrauensvoll eingeordnet worden, sonst hätte ich b<strong>es</strong>timmt nicht so mit dir reden<br />

können.“ Das schien <strong>Mira</strong> auch nicht zu gefallen. Sie pr<strong>es</strong>ste die Lippen zusammen <strong>und</strong><br />

schaute in eine andere Richtung. Nach einer Weile drehte sie sich wieder zu mir <strong>und</strong><br />

lächelte. „Was ist heute los mit dir, <strong>Laurent</strong>? Am letzten Freitag warst du so nett, so<br />

lieb, fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> offen, aber heute bist du kantig, verstockt <strong>und</strong> kommst mir vor, als<br />

ob du einen Pflichtb<strong>es</strong>uch zu erledigen hätt<strong>es</strong>t. Was ist mit dir passiert? Hast du dir<br />

irgendwelche Gedanken gemacht, die du mir nicht verrätst. Du musst mir ja nichts<br />

sagen, aber in der vorigen Woche hätt<strong>es</strong>t du's. Erkläre mir doch wenigstens, warum du<br />

<strong>es</strong> heute nicht tun willst.“ sprach sie mich an, <strong>und</strong> ich erwiderte ihr darauf: „Ich weiß <strong>es</strong><br />

doch auch nicht, <strong>Mira</strong>, ich denke nicht, <strong>dass</strong> ich heute verstockt <strong>sein</strong> will, <strong>es</strong> ver<strong>wir</strong>rt<br />

mich nur. Ich mag dich, <strong>Mira</strong>, obwohl ich dich gar nicht kenne. Ich habe die Woche über<br />

oft an dich denken müssen, <strong>und</strong> wäre am liebsten jeden Tag bei dir gew<strong>es</strong>en. Es ist<br />

verrückt, ich weiß nicht, wie ich <strong>es</strong> mir erklären soll, ich kann noch nicht einmal sagen,<br />

warum ich dich gerne sehen möchte. Was soll das? Es spielt sich real für mich so ab,<br />

hat aber zu der Realität, die ich erkennen kann, überhaupt keinen Bezug. Das ist doch<br />

irrsinnig.“ Jetzt bekam <strong>Mira</strong>s Lächeln ein Strahlen mit schelmischem Unterton. „<strong>Kann</strong> <strong>es</strong><br />

<strong>sein</strong>, <strong>dass</strong> das mal Liebe werden soll, was in dir so anfängt?“ fragte sie <strong>und</strong> schaute<br />

mich an. „Ich fand dich auch sympathisch <strong>und</strong> nett, aber <strong>dass</strong> du täglich häufiger in<br />

meinen Gedanken auftaucht<strong>es</strong>t, ich mich abends fragte, was du jetzt wohl machen würd<strong>es</strong>t,<br />

die Vorstellung, <strong>dass</strong> du Trübsal blasend in deiner Kemenate hocken würd<strong>es</strong>t,<br />

nicht ertragen konnte, am liebsten zu dir gefahren wäre <strong>und</strong> nachg<strong>es</strong>chaut hätte, das<br />

war ja irgendwie mit Sympathie allein nicht zu erklären. Du musst<strong>es</strong>t offensichtlich wohl<br />

etwas ander<strong>es</strong> in mir berührt haben, mir mehr bedeuten, als jemand, mit dem ich mich<br />

mal nett unterhalten hatte. Und wenn du gar nicht weißt, warum das so ist, <strong>und</strong> dein<br />

rationaler Einfuss auf di<strong>es</strong>e Gedanken immer schwächer <strong>wir</strong>d, dann soll das so etwas<br />

wie Liebe <strong>sein</strong>. <strong>Laurent</strong>, kann <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, das <strong>wir</strong> anfangen <strong>uns</strong> zu ver<strong>lieben</strong>?“ fragte sie<br />

wieder mit di<strong>es</strong>em schelmischen Lächeln. „Ich weiß nicht wie Liebe geht, aber ich<br />

könnte mir schon vorstellen, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> so ähnlich aussehen könnte, wie das, was <strong>wir</strong><br />

füreinander empfinden.“ reagierte ich auch lächelnd. „Zuerst geht Liebe so, <strong>dass</strong> man<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 10 von 34


sich küssen muss. Also küss mich, bitte.“ erklärte <strong>Mira</strong> den folgenden Schritt. Bevor sich<br />

<strong>uns</strong>ere Lippen zum Küssen berührten, schauten <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> lächelnd tief an. Nach intensivem<br />

Küssen blickten <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> wieder an <strong>und</strong> küssten <strong>uns</strong> erneut. Es tat gut, war sehr<br />

angenehm, aber ein wenig sonderbar kam mir die Szenerie schon vor. <strong>Mira</strong> schien <strong>es</strong><br />

nicht anders wahrzunehmen. „So, jetzt sind <strong>wir</strong> verliebt.“ erklärte sie kategorisch <strong>und</strong><br />

lachte. „<strong>Laurent</strong>, ich denke, <strong>wir</strong> sollten einfach all<strong>es</strong> so akzeptieren, wie <strong>es</strong> ist, <strong>und</strong> das<br />

tun, wozu <strong>wir</strong> Lust haben, sollten <strong>es</strong> einfach so laufen lassen <strong>und</strong> <strong>uns</strong>ere gegenseitigen<br />

Bedürfnisse r<strong>es</strong>pektieren. Ich mag dich, ich mag dich sehr. Mehr weiß ich auch nicht.<br />

Wie Liebe bei mir geht, kann ich dir nicht sagen. Null Erfahrung, hab' ich noch nie<br />

gehabt. Bis jetzt finde ich's aber aufregend, warm <strong>und</strong> vor allem dominant.<br />

Anscheinend ist für <strong>uns</strong> beide ja die Anw<strong>es</strong>enheit, die Nähe d<strong>es</strong> anderen wichtig, dann<br />

sollten <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> eben so oft wie möglich sehen. Das heißt, du müsst<strong>es</strong>t herkommen. Tu<br />

das bitte.“ <strong>Mira</strong> lächelte wieder <strong>und</strong> gab mir einen flüchtigen Kuss. „Aber anfassen<br />

möchte ich dich auch schon, wenn <strong>wir</strong> doch verliebt sind. Da habe ich zwar bislang noch<br />

gar nicht dran gedacht, dich zu streicheln <strong>und</strong> dich zu berühren, aber die Vorstellung<br />

gefällt mir. Das ist schon eine sonderbare Liebe, die <strong>wir</strong> machen, nicht wahr? Aber ein<br />

wenig kurios <strong>und</strong> lustig ist ja nicht schlecht. Oder erwart<strong>es</strong>t du, <strong>dass</strong> Liebe für dich nur<br />

ganz ernst <strong>und</strong> wichtig <strong>sein</strong> muss. Aber nein, so kann ich dich nicht sehen, <strong>Laurent</strong>.“<br />

entwickelte <strong>Mira</strong> einige Vorschläge zum weiteren Procedere. „Ob das all<strong>es</strong> so aufregend<br />

war? Auf jeden Fall verspüre ich ein stark<strong>es</strong> Bedürfnis, mich hinzulegen. Ah <strong>Laurent</strong>,<br />

jetzt wo <strong>wir</strong> sowi<strong>es</strong>o schon verliebt sind, können <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> doch gemeinsam bei mir auf's<br />

Bett legen <strong>und</strong> weiterreden, oder?“ schlug sie vor. Neben <strong>Mira</strong> auf dem Bett liegend,<br />

betrachtete ich ihr G<strong>es</strong>icht. Ich hatte den Eindruck, <strong>es</strong> zum ersten Mal bewusst wahrzunehmen.<br />

Jetzt konnte ich mir vorstellen, <strong>dass</strong> Leute meinen, andere genau g<strong>es</strong>ehen<br />

zu haben, aber dann für die Fahndungsfotos bei der Polizei völlig falsche Angaben<br />

machten. Ich hatte <strong>Mira</strong> ja am letzten Freitag <strong>und</strong> heute st<strong>und</strong>enlang g<strong>es</strong>ehen, ihr<br />

natürlich auch ins G<strong>es</strong>icht g<strong>es</strong>chaut, aber jetzt erschien <strong>es</strong> mir, als ob all<strong>es</strong> neu für mich<br />

daran wäre. Ihre Stirn, ihre Augenbrauen <strong>und</strong> Augen, wie sich ihre kleine Nase im Profil<br />

vorreckte, ihre Wange mit dem dahinterliegenden Ohr, M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kinn, <strong>und</strong> wie sie sie<br />

beim Sprechen bewegte, als ob ich das all<strong>es</strong> noch nie g<strong>es</strong>ehen hätte. Mir gefiel di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

G<strong>es</strong>icht, das zu <strong>Mira</strong> gehörte, ich mochte <strong>es</strong>, meine Augen liebten <strong>sein</strong>en Anblick. Ich<br />

streichelte <strong>Mira</strong>s Wange. Sie drehte ihren Kopf zu mir <strong>und</strong> lächelte mich mit sanften<br />

glücklichen Augen an. Jetzt musste ich sie küssen.<br />

Abendbrot mit Namensfindung<br />

<strong>Mira</strong> redete darüber wie sie zur Namensfindung für ihr Töchterchen kommen wollte,<br />

während die Fingerkuppe mein<strong>es</strong> rechten Mittelfingers sanft die Haut ihr<strong>es</strong> G<strong>es</strong>icht<strong>es</strong><br />

touchierte, als plötzlich ihre Mutter reinkam. „<strong>Mira</strong>,“ sagte <strong>und</strong> kurz stockte, „<strong>wir</strong> können<br />

<strong>es</strong>sen.“ meinte sie nur knapp. Als <strong>wir</strong> am Abendbrottisch Platz genommen hatten,<br />

bekam ich ostentativ einen Kuss von <strong>Mira</strong>. „Ja, wisst ihr, <strong>wir</strong> sind nämlich verliebt.“ erklärte<br />

sie in einem kecken Tonfall ihren Eltern <strong>und</strong> lachte. Die wussten gar nicht, wie sie<br />

damit umgehen sollten <strong>und</strong> lächelten leicht verlegen. Dann erklärte <strong>Mira</strong>, <strong>dass</strong> man<br />

wohl nicht umhin könne, was <strong>wir</strong> für einander empfänden, als Beginn einer Liebe zu bezeichnen.<br />

Jetzt machten die Eltern entspanntere G<strong>es</strong>ichter <strong>und</strong> Frau Schönfeld wurde im<br />

G<strong>es</strong>präch immer offener <strong>und</strong> launiger. Wir fuhren mit der Namensfindung fort. „Heute<br />

finden ja die Leute die Uraltnahmen wieder toll. „Wilhelm, Heinrich <strong>und</strong> Hubert, entsetzlich,<br />

wie kann man <strong>sein</strong>en Kindern so etwas antun?“ fragte Frau Schönfeld, „Fehlt nur<br />

noch, <strong>dass</strong> sie sie auch wieder Anton <strong>und</strong> Adolf nennen werden. Oder beabsichtigst du<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 11 von 34


auch, deine Tochter Hedwig, Agn<strong>es</strong> oder Gertrud zu nennen?“ <strong>und</strong> lachte. „Nicht so direkt,<br />

aber als Kind hält man <strong>es</strong> für wichtig, so zu heißen, wie andere auch heißen.<br />

Gleichgültig wie <strong>es</strong> klingt <strong>und</strong> sich anhört. Nur das ist doch schade. Es gibt so w<strong>und</strong>ervolle<br />

Namen, die nicht auf die Heiligen d<strong>es</strong> christlichen Abendland<strong>es</strong> zurück gehen. Ich<br />

denke, <strong>dass</strong> im Arabischen, oder auch in einigen afrikanischen Sprachen viel mehr Wert<br />

auf den Klang gelegt <strong>wir</strong>d. Vor allem die Polyn<strong>es</strong>ischen Namen finde ich w<strong>und</strong>erschön.“<br />

antwortete <strong>Mira</strong>. „Nur die indischen nicht. Die sind grässlich, oder?“ erk<strong>und</strong>igte ich mich<br />

schelmisch lächelnd. „Nein, nein, ich halte die für sehr schön, nur du magst als Kind<br />

nicht einen Namen, mit dem du überall auffällst. Ich weiß überhaupt noch nicht, was ich<br />

machen soll. Vorschläge <strong>und</strong> Hilfen sind erwünscht, nur entscheiden werde ich natürlich<br />

schon.“ meinte sie dazu. „Das habe ich ja noch nie von dir gehört.“ reagierte Frau<br />

Schönfelder <strong>und</strong> zu mir gewandt, „<strong>Mira</strong> meint nämlich immer <strong>wir</strong> hätten einen indisch<br />

Vogel, <strong>und</strong> hätten dem <strong>uns</strong>ere Tochter opfern wollen. Aber waren sie mal in Indien.<br />

Kennen sie die geistigen <strong>und</strong> philosophischen Strömungen dort. Nein, nein, ich fang<br />

jetzt nicht damit an, sonst werde ich nämlich gleich von meiner frisch verliebten Tochter<br />

g<strong>es</strong>teinigt. Sag' mal, <strong>Mira</strong>, nimmst du das eigentlich gar nicht ernst. Du machst so<br />

Witze damit.“ „Mutti, brems dich. Schon, schon, aber <strong>es</strong> ist doch ein schön<strong>es</strong> Gefühl, ich<br />

freu mich doch, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> <strong>lieben</strong>, <strong>dass</strong> ich verliebt bin, darf ich denn da nicht auch<br />

ein wenig lustig <strong>sein</strong>? Ein Requiem ist jedenfalls nicht die Musik, die ich mir zu meiner<br />

Liebe wünsche.“ Vater Schönfeld verfolgte nur amüsiert die Unterhaltung, die<br />

hauptsächlich von den beiden Frauen b<strong>es</strong>tritten wurde. Sein Versuch, mit mir in ein<br />

G<strong>es</strong>präch über mein Studium zu kommen, wurde von <strong>sein</strong>er Frau zunichte gemacht.<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> ich unterhielten <strong>uns</strong> anschließend wieder auf ihrem Bett. Ich hätte immer hier<br />

liegen können <strong>und</strong> mit ihr reden, sich dabei gegenseitig anschauen <strong>und</strong> sich mit den<br />

Fingern betasten. Seit wann hatte ich das eigentlich nicht mehr gehabt? Nie hatte ich <strong>es</strong><br />

gehabt. Mit einer Frau nebeneinanderliegend sich unterhalten <strong>und</strong> glücklich dabei <strong>sein</strong>.<br />

Die Abschiedsszenerie g<strong>es</strong>taltete sich lang <strong>und</strong> innig, fast so, als ob ich <strong>Mira</strong> jetzt wegen<br />

einer Forschungsfahrt für mehrere Jahre verlassen würde. Immer wieder küssten <strong>wir</strong><br />

<strong>uns</strong> <strong>und</strong> streichelten <strong>uns</strong>ere G<strong>es</strong>ichter. Jetzt glaubte ich zu spüren, was <strong>es</strong> <strong>Mira</strong><br />

tatsächlich bedeutete.<br />

Ekstatische Zustände?<br />

Ich konnte das all<strong>es</strong> gar nicht verstehen <strong>und</strong> erfassen. G<strong>es</strong>chehen lassen, einfach laufen<br />

lassen, das schien nicht nur eine sinnvolle, sondern die einzig mögliche Devise zu <strong>sein</strong>.<br />

Zu verstehen gab <strong>es</strong> da nichts. Es handelte sich schlicht um W<strong>und</strong>er. Vielleicht kam <strong>Mira</strong><br />

ja gar nicht aus dem Indischen, sondern war einfach eine Abkürzung d<strong>es</strong> lateinischen<br />

<strong>Mira</strong>cula, d<strong>es</strong> Plurals von W<strong>und</strong>er. Szenen d<strong>es</strong> Nachmittags reminiszierend schlief ich<br />

ein. Beim Zeitung l<strong>es</strong>en am Frühstückstisch meinte ich wieder nüchtern zu <strong>sein</strong>. <strong>Mira</strong><br />

Schönfeld, einer Frau, der ich bis vor einer Woche <strong>und</strong> einem Tag nichts bedeutet hatte,<br />

die mich bis dahin nicht eimal kannte, war ich plötzlich das emotional Wichtigste geworden,<br />

obwohl sie eigentlich immer noch so gut wie nichts von mir wusste <strong>und</strong> kannte.<br />

Was war das in ihr, das mich so sehen wollte wie sie mich so sah. Was bot ich ihren Augen,<br />

ihren Ohren, das sie sehen <strong>und</strong> verstehen konnten <strong>und</strong> mich für sie begehrenswert<br />

erscheinen ließ. Was weckte in ihr das Bedürfnis, sich meine Nähe zu wünschen <strong>und</strong><br />

di<strong>es</strong> mit Wohlfühlemotionen zu verbinden. Ein Rausch, eine Verzückung, <strong>es</strong> schien wie<br />

ein ekstatischer Zustand, der zur Realität keinen Bezug hatte. Glaubte sie in mir das<br />

Idealbild d<strong>es</strong> imaginären W<strong>uns</strong>chgeliebten, an dem sie möglicherweise über Jahre gemalt<br />

hatte, erkennen zu können? Ich weiß <strong>es</strong> nicht. Jedenfalls schien <strong>es</strong> sich für mich<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 12 von 34


außerhalb klar erkennbarer, identifizierbarer Realitäten zu bewegen. Aber ich befand<br />

mich ja nicht in der Rolle d<strong>es</strong> außenstehenden Betrachters, der den Phänomenen bei<br />

<strong>Mira</strong> zuschaute <strong>und</strong> sie zu verstehen versuchte. Wenn ich <strong>Mira</strong>s Entwicklungen für außerhalb<br />

der Realität liegend ansah, war <strong>es</strong> ja bei mir selbst nicht anders. Ich wähnte<br />

mich allerdings nicht in einem Trance ähnlichen Zustand, aber erklären, was mich<br />

drängte, mir möglichst bald ihre Anw<strong>es</strong>enheit zu wünschen, in ihrer Nähe zu <strong>sein</strong>, konnte<br />

ich auch nicht. Erotisch sexuelle Implikationen, weil sie eben eine Frau war, konnte <strong>es</strong><br />

wenn überhaupt nur sehr indirekt <strong>und</strong> unbewusst hintergründig haben. Ja, sie schien<br />

schon etwas zu versprechen, das mir bedeutsam war, das mir gefiel, wonach ich suchen<br />

könnte. Das fertige Bild einer Frau, nach der ich als Fre<strong>und</strong>in suchte, gab <strong>es</strong> nicht. Mit<br />

so etwas hatte sie nichts zu tun. Aufg<strong>es</strong>chlossen, verständnisvoll hatte sie auf mich ge<strong>wir</strong>kt.<br />

Als authentisch, aufrichtig sah ich ihr Verhalten, Freude verbreitete sie <strong>und</strong> brachte<br />

mich zum Lachen. Ihre Ironie <strong>und</strong> ihr untergründiger Humor gefielen mir. Vor allem<br />

aber vermittelte sie mir Vertrauen, Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Anerkennung als Person, nicht<br />

für irgendwelche von mir erbrachen Leistungen. Ein harmonisch<strong>es</strong> Bild, das mir ihre<br />

weichen G<strong>es</strong>ichtszüge mit den verständnisvoll spöttisch lächelnden Lippen <strong>und</strong> den<br />

schelmisch fragenden Augen zeigten. Aber ich war mir nicht sicher, ja glaubte <strong>es</strong> eher<br />

nicht, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> das Bild, das mir gefiel, das ich darstellen konnte, allein war, was in mir<br />

di<strong>es</strong><strong>es</strong> Bedürfnis, di<strong>es</strong><strong>es</strong> Verlangen erzeugte. Zumind<strong>es</strong>t hatte ich <strong>es</strong> nicht bewusst so<br />

g<strong>es</strong>ehen, <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> d<strong>es</strong>sen b<strong>es</strong>chlossen <strong>Mira</strong> zu <strong>lieben</strong>. Aber was gab <strong>es</strong> denn in<br />

mir, welche Bilder existierten denn dort, denen <strong>Mira</strong> entsprach <strong>und</strong> die bei mir di<strong>es</strong>e Bedürfnisse<br />

hervor rufen konnten? Ließe sich so etwas überhaupt ohne sexuelle Implikationen<br />

erklären? Oder waren <strong>es</strong> die Urerfahrungen von Vertrauen, Zuneigung, Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> Anerkennung, von denen meine Wahrnehmung meinte, in <strong>Mira</strong> eine adäquate<br />

Entsprechung zu erkennen, <strong>dass</strong> ihr Bild mir vermittelte, meine W<strong>uns</strong>chpartnerin<br />

für zwischenmenschliche Beziehungen zu <strong>sein</strong>, sie mich schätzen, <strong>lieben</strong> <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>ern<br />

würde, wie ich <strong>es</strong> mir erträumte. Vielleicht gab <strong>es</strong> in mir ja doch die Vorstellung einer<br />

Frau, die ich <strong>lieben</strong> könnte <strong>und</strong> wollte, die mein Verlangen wecken würde, nur man g<strong>es</strong>tatte<br />

<strong>es</strong> meinem Bewusst<strong>sein</strong> nicht, di<strong>es</strong><strong>es</strong> Bild erkennen zu können.<br />

Bei Morgenstern hatte ich das Empfinden, <strong>dass</strong> er mich mögen müsse, mich durch <strong>sein</strong>e<br />

Gedichte einschloss in den Kreis der Wissenden, die darüber scherzen <strong>und</strong> lachen konnten,<br />

gemeinsam lachten, sich gemeinsam an den subtilen <strong>und</strong> teils skurrilen Scherzen<br />

freuen konnten. Vermittelte mir <strong>Mira</strong> auch das Empfinden, mich einschließen zu wollen,<br />

Lust daran zu haben, mich aufnehmen zu dürfen in ihren Kreis, in den Kreis der Vielfalt<br />

ihrer Welt, ihr<strong>es</strong> Lebens <strong>und</strong> mich daran teilhaben zu lassen. Mir kam <strong>es</strong> schon vor, als<br />

ob sie sich für mich weit geöffnet habe, um mich eintreten zu lassen in das Empfinden<br />

ihrer Freude, ihre Zuneigung, ihrer Liebe <strong>und</strong> ihr<strong>es</strong> Glücks.<br />

Spaziergang im Forst<br />

Ich rief <strong>Mira</strong> an, erklärte, das ich noch einkaufen müsse <strong>und</strong> ab dann zu ihr kommen<br />

könne. „Ja, mach <strong>es</strong> so. Ich freue mich, mein Liebster, muss ich jetzt wohl sagen.“ erklärte<br />

sie mit einem zarten Lachen am Telefon. „<strong>Laurent</strong>,“ sagte sie nur als sie mich eintreten<br />

ließ, <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> umarmten <strong>und</strong> küssten. <strong>Mira</strong> schien heute nicht so lebhaft freud<strong>es</strong>trahlend.<br />

Ob <strong>es</strong> ihr heute nicht so gut ginge. „Nein, nein, schon.“ meinte <strong>Mira</strong>, „Nur mir<br />

ist heute so irgendwie anders. Ich habe von <strong>uns</strong> geträumt. War aber nix B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong>.<br />

Was ich mitbekommen habe, war nur ein Ausschnitt, wie <strong>wir</strong> zusammen auf dem Bett<br />

liegen. Einfach wiederholt. Nix passiert. Wir sind nicht gemeinsam davon geflogen oder<br />

so etwas. Aber den ganzen Morgen über träume ich schon irgendwie. Ich hätte einfach<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 13 von 34


im Bett liegen bleiben können <strong>und</strong> träumen. Ich bin heute so sentimental oder so inniglich<br />

oder wie sagt man?“ sprach's <strong>und</strong> lachte sich halb tot. „Gefühlsselig oder b<strong>es</strong>eelt.“<br />

schlug ich noch vor. „Ich glaube, meine Seele würde am liebsten mit dir ein wenig spazieren<br />

gehen. Nach Liegen bekommt mir leichte Bewegung am b<strong>es</strong>ten. Und außerdem<br />

<strong>wir</strong>d im Wald direkt an der Produktionsstätte die Luft b<strong>es</strong>timmt b<strong>es</strong>onders sauerstoffhaltig<br />

<strong>sein</strong>. Hätt<strong>es</strong>t du auch Lust?“ fragte <strong>Mira</strong>. Also fuhren <strong>wir</strong> zum Forst. „Ich mag das eigentlich<br />

sehr hier, nur leider komme ich viel zu selten dazu. Der Geruch ist im Wald ein<br />

ganz anderer. Wie riechst du eigentlich, <strong>Laurent</strong>? Hinterher kann ich dich womöglich gar<br />

nicht riechen.“ lachend wollte <strong>Mira</strong> meinen Hals, mein G<strong>es</strong>icht riechen. „Du hast Aftershave<br />

genommen. Lass das <strong>sein</strong>. Es stinkt <strong>und</strong> ist nutzlos, bei manchen sogar schädlich.<br />

Lass mal deine Hände riechen, oder riechen die nach Seife <strong>und</strong> Handkrem. Nein ganz<br />

nett, aber das b<strong>es</strong>agt ja nicht viel.“ erklärte sie mir <strong>und</strong> gab mir einen Kuss auf jeden<br />

Handrücken. „Ich finde <strong>es</strong> schon toll im Wald, das Grün der Blätter, <strong>und</strong> b<strong>es</strong>onders das<br />

zarte jetzt, schmeichelt deinen Augen. Aber auch unabhängig von dem, was hier all<strong>es</strong><br />

tatsächlich los ist, was hier wächst <strong>und</strong> lebt, kann ein Wald unzählig viele Assoziationen<br />

hervorrufen. Wald hat ja früher eine viel stärkere Bedeutung im Leben der Menschen<br />

gehabt. Heute ist er zum großen Teil zu einer Fabrik degeneriert, <strong>wir</strong>d als<br />

Produktionsstätte für die Papier- <strong>und</strong> Holzindustrie g<strong>es</strong>ehen. Früher waren die Wälder<br />

größer <strong>und</strong> standen in ständiger Beziehung zum Leben der Menschen. Nicht nur Hänsel<br />

<strong>und</strong> Gretel haben sich dort verirrt, Hexen, Räuber <strong>und</strong> Zwerge hatten dort ihr Domizil,<br />

<strong>und</strong> auf alten Gemälden spielt die G<strong>es</strong>taltung d<strong>es</strong> Wald<strong>es</strong> immer eine bedeutende Rolle.<br />

Di<strong>es</strong>e große alte Buche lässt mich zum Beispiel an die tiefen dunklen Wälder denken, in<br />

denen man sich verirren konnte, die einem keinen Weg nach draußen wi<strong>es</strong>en. Ich kenne<br />

das ja gar nicht, nur aus der Literatur, aber mit solchen Buchen hatte <strong>es</strong> b<strong>es</strong>timmt zu<br />

tun. Wenn du auf einer Autobahn dadurch fährst, siehst du ja nichts, kannst nichts<br />

erkennen, erlebst nichts.“ stellte <strong>Mira</strong> ihre Beziehung zum Wald dar. Ich konnte sie nur<br />

b<strong>es</strong>tätigen: „Unsere Beziehungen zum Wald haben sich stark reduziert. Es nimmt all<strong>es</strong><br />

nicht nur rasant zu in der Informations- <strong>und</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, <strong>es</strong> gibt auch Bereiche<br />

die abnehmen oder sogar ganz verloren gehen, auch wenn sie eigentlich zu <strong>uns</strong>eren<br />

liebsten gehören sollten. Man kennt sicher unendlich viele wissenschaftliche Details vom<br />

Wald, aber daraus wächst keine emotionale Beziehung, die dir spezifische<br />

Empfindungen vermitteln kann. Dazu musst du den Wald erleben <strong>und</strong> aufmerksam<br />

wahrnehmen können. Di<strong>es</strong>e Vielfalt der unterschiedlichen Bereiche, die miteinander<br />

agieren, di<strong>es</strong><strong>es</strong> Zusammenspiel von mikroskopisch Kleinem bis zu den ri<strong>es</strong>igen Bäumen.<br />

Wie ein ganzer Kosmos <strong>wir</strong>kt <strong>es</strong> auf mich, ein Sinnbild d<strong>es</strong> Lebens, wie ein ri<strong>es</strong>ig<strong>es</strong><br />

Orch<strong>es</strong>ter, das ein w<strong>und</strong>erbar<strong>es</strong> Klangbild erzeugt <strong>und</strong> ohne jeden Dirigenten optimal<br />

harmoniert. Wenn man ihn lässt, stellt der Wald ja ein eigenständig<strong>es</strong> Ökosystem dar,<br />

das sich immer wieder selbständig regeneriert. Wie er <strong>es</strong> ja wahrscheinlich schon über<br />

Jahrmillionen getan hat. Also, nicht nur nette historische Assoziationen, bitte, sondern<br />

ein wenig mehr Ehrfurcht vor der Komplexität di<strong>es</strong><strong>es</strong> hervorragend bewährten<br />

Systems.“ „Sollte ich jetzt ein Gebet sprechen? Hielt<strong>es</strong>t du das für angezeigt?“ fragte<br />

<strong>Mira</strong> schelmisch <strong>und</strong> ich antwortete: „Nein, nicht unbedingt, aber ein Gedicht, ein Lied<br />

könnte <strong>es</strong> schon <strong>sein</strong>.“ „Nur ich kenne kein ehrfurchtsvoll<strong>es</strong>, andächtig<strong>es</strong>, außer so<br />

etwas Blödem wie: 'Im Wald da sind die Räuber'. So etwas meint<strong>es</strong>t du doch nicht,<br />

oder?“ schaute sie mich wieder schelmisch an. „Ja, ja, prahlst hier mit der historischen<br />

Bedeutung d<strong>es</strong> Wald<strong>es</strong>, aber nicht nur bei Gemälden war er wichtig, auch in der Musik<br />

<strong>und</strong> Literatur hat er eine herausragende Stellung gehabt, b<strong>es</strong>onders in der Romantik.<br />

„Wer hat dich, du schöner Wald“ von Eichendorff konnte meine Mutti sogar singen.“<br />

wi<strong>es</strong> ich sie ironisch zurecht. „Bitte, sing <strong>es</strong> mir vor, bitte. Nein zuerst will ich dich<br />

küssen, aber dann.“ bat sie. Ich versuchte <strong>es</strong>. Die erste Strophe bekam ich noch<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 14 von 34


zusammen:<br />

„Wer hat dich, du schöner Wald<br />

aufgebaut so hoch da droben?<br />

Wohl dem Meister will ich loben<br />

so lang noch meine Stimm erschallt<br />

Lebe wohl, lebe wohl!<br />

Lebe wohl, lebe wohl, du schöner Wald!“<br />

„W<strong>und</strong>erbar, du <strong>wir</strong>st <strong>es</strong> der Kleinen später vorsingen müssen. <strong>Kann</strong>st du noch mehr so<br />

etwas?“ fragte <strong>Mira</strong> „Ja meine Mutter hat immer viel g<strong>es</strong>ungen. Nicht so Kleinkinderkram,<br />

das mochte sie nicht, <strong>und</strong> mir lag auch nicht viel daran. Außer Versen in denen<br />

die Lautmalerei dominierte. Das fand ich auch oft lustig. Ich behalte das immer. Wahrscheinlich<br />

vergisst du das, was du zuerst gelernt hast als Letzt<strong>es</strong>.“ meinte ich. „Natürlich,“<br />

erklärte <strong>Mira</strong>, „schlimm wär's, wenn's nicht so wäre. Du kannst ja nichts, wenn du<br />

geboren <strong>wir</strong>st, außer schreien <strong>und</strong> an Mamas Zitze saugen. All<strong>es</strong> was du kannst hast du<br />

doch zusammen mit deiner Gehirnentwicklung gelernt. Stell dir vor, du könnt<strong>es</strong>t wieder<br />

verg<strong>es</strong>sen, wie laufen geht. Und wenn du da eben schon Lieder <strong>und</strong> Gedichte gelernt<br />

hast, <strong>wir</strong>st du die auch nicht wieder verg<strong>es</strong>sen. <strong>Laurent</strong>, du bist so gebildet.“ verkündete<br />

sie, lachte <strong>und</strong> kniff mich dabei. „Ich glaube meine Träumereien sind verschw<strong>und</strong>en,<br />

einfach futsch, obwohl du mir ein romantisch<strong>es</strong> Lied vorg<strong>es</strong>ungen hast. Jetzt habe ich<br />

viel mehr Lust darauf, dich zu ärgern, als irgend wovon zu träumen.“ meinte <strong>Mira</strong>, <strong>und</strong><br />

ich entgegnete ihr, <strong>dass</strong> die zu r<strong>es</strong>pektierende Andacht d<strong>es</strong> Wald<strong>es</strong> di<strong>es</strong> nicht g<strong>es</strong>tatten<br />

würde. „Sag mal, mon amie, wie sieht <strong>es</strong> denn eigentlich mit deinen Laufvorstellungen<br />

aus? Du <strong>wir</strong>st ja sicher auch bedenken, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> den g<strong>es</strong>amten Weg noch zurücklaufen<br />

müssen.“ erk<strong>und</strong>igte ich mich. „Oh ja, mon ami, das hört sich gut an. Das ist für Mann<br />

<strong>und</strong> Frau, nicht wahr? Mon amour hörte sich das auch gut an? Aber chèrie das mag ich<br />

eigentlich nicht, genauso wenig wie Schatz <strong>und</strong> Liebling. Mein Liebster fände ich da<br />

noch am b<strong>es</strong>ten <strong>und</strong> manchmal vielleicht auch mein Süßer ganz lustig. Aber kann man<br />

sich nicht weiter auch einfach bei <strong>sein</strong>en Namen nennen, muss man sich eigentlich mit<br />

di<strong>es</strong>en Kosebezeichnungen anreden, wenn man verliebt ist? Ja wäre schon b<strong>es</strong>ser, nicht<br />

wahr, wenn du <strong>es</strong> öfter hörst, <strong>dass</strong> du für den anderen der Liebste bist.“ sinnierte <strong>Mira</strong>.<br />

Ich musste lächeln <strong>und</strong> erklärte ihr: „Im Moment bist du die aller Süß<strong>es</strong>te für mich.“ An<br />

der nächsten Biegung wollten <strong>wir</strong> umkehren.<br />

Wandlung zum Fatalismus?<br />

„<strong>Laurent</strong>, ich will eigentlich gar nicht viel darüber nachdenken,“ erklärte <strong>Mira</strong> wieder zu<br />

Hause beim Kaffee, „aber weil <strong>es</strong> all<strong>es</strong> so unfassbar unerklärlich ist, reizt <strong>es</strong> mich doch<br />

immer wieder. Ich hatte dir ja g<strong>es</strong>agt, <strong>dass</strong> ich noch nie jemanden kennengelernt hätte,<br />

in den ich mich ver<strong>lieben</strong> konnte. Ich habe <strong>es</strong> mir natürlich gewünscht, aber g<strong>es</strong>ucht<br />

habe ich danach nie. Als ich schwanger wurde, habe ich gedacht, <strong>es</strong> jetzt sowie erst mal<br />

auf längere Zeit verschieben zu können, <strong>und</strong> gerade dann passiert <strong>es</strong>. Als du dich nach<br />

einer Woche noch nicht gemeldet hatt<strong>es</strong>t, dachte ich o. k., all<strong>es</strong> nur Anflug einer dummen<br />

Vermutung. Auch als du am Freitag dann kamst, war mir klar, er will eben nicht<br />

mehr, will sich vielleicht nicht auf 'ne Schwangere einlassen, oder was auch immer. Und<br />

dann war eigentlich innerhalb von wenigen Minuten all<strong>es</strong> ganz anders. All<strong>es</strong> g<strong>es</strong>chieht<br />

nicht so, wie ich mir mein Leben eigentlich vorstelle, wie ich <strong>es</strong> planen würde <strong>und</strong> könnte.<br />

Ich glaube, das geht gar nicht. Mir kommt <strong>es</strong> ehr so vor, als ob das Leben mich lebt<br />

<strong>und</strong> zwar gar nicht schlecht. All<strong>es</strong> zu planen <strong>und</strong> <strong>es</strong> dann durch adäquate Aktivitäten zu<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 15 von 34


füllen <strong>und</strong> abzuarbeiten? Wie unattraktiv, wie langweilig. Ich möchte das gar nicht mehr.<br />

Ich möchte <strong>es</strong> so wie <strong>es</strong> ist, so wie <strong>es</strong> daherkommt, ergreifen <strong>und</strong> voll leben können. Du<br />

<strong>wir</strong>st <strong>es</strong> sicher nicht so sehen, <strong>Laurent</strong>. Ich hatte ja sonst auch ein f<strong>es</strong>t<strong>es</strong> Kategoriengefüge,<br />

in das ich all<strong>es</strong> einordnen konnte, nur dann hat sich mein tatsächlich<strong>es</strong> Leben<br />

nicht mehr dafür inter<strong>es</strong>siert, hat sich nicht mehr daran gehalten, all<strong>es</strong> in Unordnung<br />

gebracht, hat mir gezeigt, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> so unbrauchbar ist. Es hat mich gelehrt, offener <strong>und</strong><br />

flexibler zu <strong>sein</strong>, <strong>und</strong> ich finde <strong>es</strong> gut so <strong>und</strong> bin froh darüber.“ Mir war nicht ganz klar,<br />

was ich nicht so sehen würde, weil mir manch<strong>es</strong> von dem, wie sie <strong>es</strong> sah, doch zu abstrakt<br />

erschien, um mir konkret etwas darunter vorstellen zu können. Ich sah nur, <strong>dass</strong><br />

ich sie mochte, auch für das, was sie gerade g<strong>es</strong>agt hatte, selbst wenn <strong>es</strong> fatalistisch<br />

erscheinende Anklänge hatte. Dass sie mir einig<strong>es</strong> noch deutlicher erläutern würde,<br />

d<strong>es</strong>sen war ich mir sicher.<br />

Ich bin doch ganz normal<br />

Es sei eigentlich nicht richtig, <strong>dass</strong> sie seit dem Frühstück nichts geg<strong>es</strong>sen habe, aber<br />

<strong>es</strong>sen wenn man keinen Appetit habe, sei ja auch nicht richtig. Sie würde sich jetzt am<br />

liebsten zunächst mal wieder hinlegen nach dem Gewaltmarsch im Forst. Dass ich mich<br />

zu ihr legte, war selbstverständlich. Nur <strong>Mira</strong> legte sich nicht hin, sondern kniete in der<br />

Hocke neben mir <strong>und</strong> begann mein Hemd aufzuknöpfen, sie zog das T-Shirt aus der<br />

Hose <strong>und</strong> schob <strong>es</strong> hoch. „Zieh das mal aus, das geht so nicht.“ ordnete sie an. Was so<br />

nicht ginge, bekam ich nicht mitgeteilt. Als ich brav mit freiem Oberkörper auf dem Bett<br />

lag, wurde ich überall berochen. „Mhm, gut, sehr gut, du kleiner Stinker, gefällt mir.<br />

Und so zarte weiche Haut hast du. Vier<strong>und</strong>zwanzig bist du, nicht wahr? Dann <strong>wir</strong>d das<br />

b<strong>es</strong>timmt immer so bleiben.“ meinte <strong>Mira</strong>, drückte mir an mehreren Stellen einen Kuss<br />

auf die Brust, strich mit jeder Wange einmal darüber <strong>und</strong> beugte sich zu meinem Kopf,<br />

damit <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> küssen konnten. „Und weißt du was?“ sagte sie, um mir dann leise etwas<br />

ins Ohr zu flüstern. „Nein <strong>Mira</strong>, das kann ich nicht.“ äußerte ich mich daraufhin fast entrüstet.<br />

„Oh je, du hast mich völlig falsch verstanden. Davon habe ich doch nichts g<strong>es</strong>agt.<br />

Ich habe doch nur g<strong>es</strong>agt, <strong>dass</strong> ich erstaunt darüber bin, mich oft so rattig zu fühlen,<br />

obwohl das biologisch g<strong>es</strong>ehen ja eigentlich völlig funktionslos ist.“ „Darf ich mich<br />

jetzt wieder anziehen?“ fragte ich. Ein „Nein,“ mit einem Lachen erhielt ich darauf als<br />

kategorische Anweisung, „möcht<strong>es</strong>t du denn gerne? Sonst könnte ich mich ja auch bei<br />

dir ein wenig ankuscheln <strong>und</strong> dich vielleicht ein bisschen streicheln.“ <strong>Mira</strong> legte ihren<br />

Kopf auf meine Schulter <strong>und</strong> ließ ihre linke Hand über meine Brust gleiten. Ich kraulte<br />

ihr in den Haaren <strong>und</strong> sie recke mir manchmal ihr strahlend<strong>es</strong> G<strong>es</strong>icht entgegen, damit<br />

<strong>wir</strong> <strong>uns</strong> küssen konnten. Sie spielte mit meinen Brustwarzen <strong>und</strong> kniff sie heftig. Als ich<br />

leicht aufschrie, kratzte sie mir von oben bis unten über meinen freien Oberkörper, richtete<br />

sich auf, reckte sich <strong>und</strong> lachte. „Ich glaube, <strong>es</strong> ist doch all<strong>es</strong> in Ordnung.“ meinte<br />

sie <strong>und</strong> lachte wieder. „Weißt du,“ hob sie an, sich mit ihren Händen auf meine Schultern<br />

stützend, „ich fand <strong>es</strong> urkomisch. Ich dachte, wenn man verliebt wäre, müsse man<br />

total scharf aufeinander <strong>sein</strong>, <strong>und</strong> zuerst mal zusammen ins Bett wollen, aber daran<br />

habe ich bei dir überhaupt nicht gedacht. G<strong>es</strong>tern fiel mir das erst auf. Sonderbar, <strong>es</strong><br />

spielte überhaupt keine Rolle, obwohl mein Sexualtrieb ja nicht stillgelegt ist. Vielleicht<br />

wollten <strong>wir</strong> so etwas gar nicht, wollten <strong>uns</strong> <strong>lieben</strong> wie Bruder <strong>und</strong> Schw<strong>es</strong>ter. Wenn du<br />

Lust <strong>und</strong> Sehnsucht hast, muss die sexuelle Begierde denn nicht dazu gehören? Anscheinend<br />

nicht. Ich weiß nicht wie wichtig <strong>es</strong> auch ist oder <strong>sein</strong> <strong>wir</strong>d, nur das Zentrale,<br />

bei der Frage, ob du den andern liebst ist <strong>es</strong> jedenfalls nicht. Wenn ich möchte, mir<br />

dringend wünsche, <strong>dass</strong> du bei mir, in meiner Nähe bist, dann kommt ein Gedanke ans<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 16 von 34


Bett dabei gar nicht vor. Die Anw<strong>es</strong>enheit deiner Person, dich zu erleben <strong>und</strong> dich zu erfahren,<br />

macht die Lust <strong>und</strong> den Kitzel aus, all<strong>es</strong> mögliche andere kann sich daraus ergeben.<br />

Beim Ficken, was ist das denn, nachher war's schön, vielleicht sehr schön, <strong>und</strong><br />

dann? Dann ist da nix. Du <strong>wir</strong>st nicht jemand anders <strong>lieben</strong> können, weil dir der Sex mit<br />

ihm so gut gefällt, das ist überhaupt keine Basis. Da könnt<strong>es</strong>t du dich auch in deinen<br />

Dildo ver<strong>lieben</strong>, wenn's dir damit Spaß macht.“ „Meinst du denn, <strong>es</strong> könnte sich bei <strong>uns</strong><br />

doch irgendwann noch mal dahin entwickeln, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> auch zusammen ins Bett wollen,<br />

oder hältst du das bei <strong>uns</strong>erer Liebe für völlig abwegig <strong>und</strong> überflüssig?“ erk<strong>und</strong>igte ich<br />

mich zu <strong>Mira</strong>s perspektivischen Vorstellungen. Sie ließ sich zu mir runterfallen <strong>und</strong> biss<br />

mir in die Nase. „Es ist schon da. Für solche Frechheiten müsst<strong>es</strong>t du eigentlich direkt<br />

aufgefr<strong>es</strong>sen werden. Aber nein, ich bin mir schon sicher, <strong>dass</strong> all<strong>es</strong> in Ordnung ist. Als<br />

ich gerade auf deiner Schulter lag <strong>und</strong> dich streichelte, merkte ich schon, wie ich Lust<br />

bekam, mehr zu machen, <strong>dass</strong> ich Lust auf deine Person mit deinem Körper habe. Weiß<br />

ich aber auch erst richtig seit jetzt. Jetzt habe ich's zum ersten Mal in Ansätzen g<strong>es</strong>pürt.<br />

Aber bei dir, wie ist <strong>es</strong> denn da eigentlich. Für Männer stehen sexuelle Aspekte doch viel<br />

stärker im Vordergr<strong>und</strong>.“ wollte sie von mir wissen. „Also, <strong>dass</strong> ich eine Frau sehe, der<br />

Anblick ihr<strong>es</strong> Körpers in mir sexuelle Lust erweckt <strong>und</strong> ich gern mit ihr Sex hätte, so<br />

läuft das bei mir eigentlich nicht. Ich glaube schon, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> Bilder gibt, die bei mir mit<br />

sexuellen Konnotationen belegt sind, die kenne ich aber gar nicht. Die Frau <strong>wir</strong>kt dann<br />

auf mich wahrscheinlich nett oder inter<strong>es</strong>sant oder so ähnlich. Bei dir weiß ich das auch<br />

nicht. Ich fand dich schon nett, auch wie du sprachst, ob das vielleicht mit<br />

irgendwelchen erotischen Hintergründen im B<strong>und</strong>e war, ich weiß <strong>es</strong> nicht, bewusst<br />

geworden ist mir davon jedenfalls nichts. Nur ganz unabhängig davon war dein Körper<br />

ja sowi<strong>es</strong>o absolut tabu. Mich zu fragen, ob du vielleicht einen erotischen Hintern<br />

hätt<strong>es</strong>t, völlig <strong>und</strong>enkbar. Na ja, <strong>und</strong> so ist <strong>es</strong> eigentlich jetzt auch noch. Gedanken an<br />

Sex zwischen <strong>uns</strong> beiden gibt <strong>es</strong> gar nicht.“ stellte ich meine Situation dar. Fast<br />

entrüstet reagierte <strong>Mira</strong> darauf: „Was soll das denn? Ich bin doch keine Heilige,<br />

untouchable, weil ich einen dicken Bauch habe. Ich bin doch ganz normal. Vielleicht<br />

sieht der dicke Bauch ein wenig kurios aus, aber sonst ist doch all<strong>es</strong> genauso. Ich<br />

möchte, <strong>dass</strong> du mich begehrst, ich wünsche mir, <strong>dass</strong> du Lust hast, mich zu berühren<br />

<strong>und</strong> zu streicheln, mein Körper sehnt sich danach von dir angefasst zu werden. Er ist<br />

keine no-go-area für diene erotischen Fantasien <strong>und</strong> will <strong>es</strong> auch überhaupt nicht <strong>sein</strong>.<br />

Behandele mich also, bitte, ganz normal. Das tut mir gut <strong>und</strong> gefällt mir <strong>und</strong> nicht deine<br />

Unnahbarkeitsfantasien. Im Übrigen verfüge ich über einen sehr erotischen Po.“ Wir<br />

schauten <strong>uns</strong> an <strong>und</strong> ich meinte zögernd, <strong>dass</strong> ich sie schon verstehe, <strong>und</strong> auch für<br />

einsichtig halte, was sie g<strong>es</strong>agt habe, nur falle <strong>es</strong> mir schwer, so zu empfinden.<br />

Schwangerschaft <strong>und</strong> sexuelle Lust wollten bei mir nicht gut zusammen passen. „Mon<br />

ami, du machst <strong>es</strong> dir selber schwer. Warum bleibst du nicht einfach über Nacht hier.<br />

Dann können <strong>wir</strong> machen, wozu <strong>wir</strong> Lust haben. Ich werde dich nicht zu irgendetwas<br />

drängen. Vielleicht werden <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> gar nicht anfassen, vielleicht werden <strong>wir</strong> <strong>uns</strong><br />

streicheln, vielleicht werden <strong>wir</strong> auch Lust bekommen, etwas ander<strong>es</strong> zu machen, wer<br />

weiß. Nur dann könnten sich <strong>uns</strong>ere Körper ein wenig mehr aneinander gewöhnen. Mit<br />

einem Gutenachtkuss von dir einzuschlafen <strong>und</strong> als erst<strong>es</strong>, wenn ich aufwache, morgens<br />

dich zu sehen, wäre allein schon ein kleiner Traum.“ erklärte <strong>Mira</strong>, lächelte mich an <strong>und</strong><br />

gab mir einen Kuss.<br />

Mein Fatum<br />

Die Empfindungen widerstritten sich in mir. Auch abends im Bett bei ihr <strong>sein</strong> <strong>und</strong> mit ihr<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 17 von 34


einschlafen zu können erschien mir schon verlockend, aber die Schwangerschaft in Verbindung<br />

mit möglichen sexuellen Ambitionen ver<strong>uns</strong>icherten mich <strong>und</strong> machten mir ein<br />

wenig Angst. Natürlich würde ich über Nacht bleiben. Nicht weil die Argumente dafür<br />

überwogen hätten, sondern weil <strong>es</strong> immer so war, <strong>dass</strong> ich mich für <strong>Mira</strong> entschied. Ich<br />

sollte eben nach Hause fahren, mir holen, was ich für die Nacht brauche, während sie<br />

im Moment ein wenig Schlaf gut gebrauchen könne.<br />

Beim ersten Mal begegnen <strong>wir</strong> <strong>uns</strong>, beim zweiten Mal erkennen <strong>wir</strong>, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> verliebt<br />

sind, beim dritten Mal stellen <strong>wir</strong> f<strong>es</strong>t, das <strong>wir</strong> gemeinsam ins Bett müssen, was <strong>wir</strong>d<br />

der Sonntag mit sich bringen? Ich sollte mich auch zum Fatalisten umorientieren. Möglichkeiten<br />

zu gezielten Einflüssen auf das für mich vorg<strong>es</strong>ehene Schicksal schien ich<br />

nicht mehr zu haben. Da ich di<strong>es</strong>e Situation aber gar nicht klagend bedauerte, sondern<br />

all<strong>es</strong> freudig begrüßte, schien innerlich die Umorientierung schon längst vollzogen zu<br />

<strong>sein</strong>. Ich würde g<strong>es</strong>pannt warten, was das Schicksal bei mir für den morgigen Tag vorg<strong>es</strong>ehen<br />

hätte. Aber jetzt musste <strong>es</strong> sich ja sogar auch noch um meine Nächte kümmern.<br />

Ich konnte nur hoffen, <strong>dass</strong> das Schicksal sich damit nicht überfordert fühlte.<br />

Gaby <strong>und</strong> Peter<br />

Als ich zurückkam schlief <strong>Mira</strong> noch. Ich unterhielt mich mit den Eltern. Herr Schönfeld<br />

erklärte: „<strong>Mira</strong> hätte auch viel lieber etwas Geist<strong>es</strong>wissenschaftlich<strong>es</strong> oder K<strong>uns</strong>t <strong>und</strong><br />

Kultur Bezogen<strong>es</strong> studiert, aber all<strong>es</strong> was in Frage kam, war ihr zu <strong>uns</strong>icher. Sie verfügt<br />

eigentlich nicht über zu wenig Selbstachtung, hat keine schwache Selbstwertschätzung,<br />

wi<strong>es</strong>o waren sie sich so sicher?“ „Ob ich mir so ganz sicher war, weiß ich nicht. Ich sah<br />

nur die Alternative. Entweder <strong>es</strong> klappt, dann habe ich das, was ich suche <strong>und</strong> für mich<br />

will, oder ich muss mich mein ganz<strong>es</strong> Leben lang mit etwas rumquälen, was nicht mein<br />

Ding ist. Folglich musste <strong>es</strong> klappen, <strong>und</strong> <strong>es</strong> hat mir ja auch Spaß gemacht, <strong>und</strong> macht<br />

<strong>es</strong> noch immer.“ erklärte ich dazu. „Ihre Einstellung gefällt mir <strong>und</strong> imponiert mir. Sonst<br />

sind sie auf ihre Freizeit angewi<strong>es</strong>en, um das zu tun, was sie <strong>wir</strong>klich erfüllt. Was haben<br />

sie denn für Freizeitb<strong>es</strong>chäftigungen?“ wollte Herr Schönfeld wissen. „Ihre Tochter“ antwortete<br />

ich kurz <strong>und</strong> <strong>wir</strong> lachten. Dann erklärte ich, <strong>dass</strong> ich bis vor nicht allzu langer<br />

Zeit in einer WG gelebt hätte, <strong>und</strong> dort keinen Mangel an Freizeitaktivitäten gehabt<br />

habe. „So eine konkrete durchgehende Betätigung könnte ich mir für mich auch gar<br />

nicht vorstellen. Mich intensiv irgend womit b<strong>es</strong>chäftigen, das habe ich den ganzen Tag<br />

über. Mir ist dann persönlicher Kontakt mit anderen Menschen wichtiger <strong>und</strong> lieber. Ich<br />

gehe gern ins Theater <strong>und</strong> manchmal auch ins Kino, trinke gern Wein, schätze lecker<strong>es</strong><br />

Essen aber ich l<strong>es</strong>e auch gern Belletristisch<strong>es</strong>. Ein bunter Strauß an Vor<strong>lieben</strong>, aber kein<br />

deklariert<strong>es</strong> Hobby.“ erläuterte ich meine Vorstellung. „<strong>Mira</strong> schläft immer noch. Ich<br />

denke <strong>wir</strong> sollten sie zum Abendbrot wecken. Was haben sie denn heute mit ihr gemacht,<br />

Herr Berger, <strong>dass</strong> sie sich so umfänglich davon erholen muss?“ fragte Frau<br />

Schönfeld <strong>und</strong> lächelte. Ich erzählte <strong>es</strong> ihr <strong>und</strong> <strong>dass</strong> <strong>Mira</strong> möchte, <strong>dass</strong> ich bei ihr übernachte.<br />

„Dann wecken sie sie jetzt auch mal am b<strong>es</strong>ten, da können sie ja schon üben.“<br />

meinte sie <strong>und</strong> schmunzelte. <strong>Mira</strong> schien sich in anderen Welten zu befinden. Es dauerte<br />

bis sie sich wieder voll orientieren konnte. Beim Abendbrot war sie aber wieder hellwach<br />

<strong>und</strong> 'king of the table'. Sie brachte <strong>uns</strong> immer wieder durch ihre Darstellungen <strong>und</strong> Ausführungen<br />

zum Lachen. Ich räumte mit Frau Schönfeld ab, während Papa <strong>und</strong> Tochter<br />

sich schon ins Wohnzimmer begeben hatten. „Wenn ich gewusst hätte, <strong>dass</strong> alle so würden,<br />

hätte ich b<strong>es</strong>timmt fünf davon haben wollen.“ meinte Frau Schönfeld <strong>und</strong> <strong>wir</strong> lachten<br />

wegen ihrer leicht kuriosen Ausdrucksweise. „Fünf Stück davon das hätte aber auch<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 18 von 34


ganz schön viel Arbeit bedeutet.“ meinte ich dazu. „Ja das war <strong>es</strong> ja auch. Es war sehr<br />

schön mit <strong>Mira</strong>, aber <strong>es</strong> bereitete natürlich auch einige Umstände. Und so meinten <strong>wir</strong>,<br />

eins sei schön, aber das reiche auch. Dass sie so 'ne tolle Puppe wurde <strong>und</strong> <strong>uns</strong> so viel<br />

Spaß gemacht hat, konnte man als Baby ja noch nicht erkennen.“ reagierte Frau Schönfeld<br />

darauf. Wie sie redete, konnte ich mir gut vorstellen, <strong>dass</strong> <strong>Mira</strong> die 'tolle Puppe' ihr<br />

zu verdanken hätte. Mit meiner Bemerkung, ich fände <strong>es</strong> schon in Ordnung, wie sie <strong>es</strong><br />

gemacht hätten. Ich sei genügsam <strong>und</strong> wäre mit einer völlig zufrieden, begaben <strong>wir</strong> <strong>uns</strong><br />

auch ins Wohnzimmer. Wenn <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> heute Nacht vertrügen, ob ich mir dann nicht<br />

überlegen wolle, hierher zu ziehen. „Mutti, du bist unmöglich. Dir scheint das rasante<br />

Tempo, in dem sich all<strong>es</strong> entwickelt hat, noch nicht schnell genug zu <strong>sein</strong>. Lass <strong>uns</strong> doch<br />

mal sehen, wie sich was ergibt. Mir kommt all<strong>es</strong> als sehr schnell vor. Ich brauche <strong>es</strong><br />

nicht schneller, sondern denke eher, ob <strong>es</strong> langsamer nicht vielleicht b<strong>es</strong>ser wäre. Ich<br />

sehe <strong>Laurent</strong> heute zum zweiten Mal, nachdem <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> kennengelernt haben, <strong>und</strong> du<br />

meinst gleich, er solle doch schon hier einziehen. Hast dich wohl selbst in ihn verliebt,<br />

wie? Dad pass mal ein bisschen b<strong>es</strong>ser auf.“ meinte <strong>Mira</strong> <strong>und</strong> fuhr fort, „Ich muss heute<br />

Abend ein Glas Wein trinken. Soll ich das hier tun oder gleich im Bett. Lieber im Bett,<br />

nicht war. Ich werde heute wahrscheinlich sowi<strong>es</strong>o nicht so schnell müde <strong>sein</strong>.“ Auf meinen<br />

verw<strong>und</strong>erten Blick erklärte sie, <strong>dass</strong> bei einer großen Untersuchung f<strong>es</strong>tg<strong>es</strong>tellt<br />

worden sei, Kinder von Frauen, die während der Schwangerschaft zwei Glas Wein pro<br />

Woche getrunken hätten, seien am cleversten, <strong>und</strong> nicht die völligen Abstinenzkinder.<br />

Zu Anfang habe sie sich aber trotzdem nicht getraut. „Di<strong>es</strong>e vins désalcoolisés kann<br />

man natürlich auch trinken. Aber bei Wein bin ich ziemlich fimschig. Die schmecken mir<br />

nicht, <strong>und</strong> da ärgert man sich bei jedem Schluck. Das zweite Glas trinke ich immer<br />

Dienstags. Also musst du Dienstagabend hier <strong>sein</strong>, wenn du dich an dem B<strong>es</strong>äufnis beteiligen<br />

willst.“ sagte <strong>Mira</strong>, lachte <strong>und</strong> erklärte weiter „Mutti, ich trau mich gar nicht, mit<br />

dem ins Bett zu gehen, der hat Angst vor mir.“ Frau Schönfeld grinste, schaute mich an<br />

<strong>und</strong> meinte: „Du nimmst ja den Wein mit, der <strong>wir</strong>d dich mutig machen. Aber warum der<br />

Herr Berger Angst vor dir hat, verstehe ich nicht. Hast du ihm gedroht?“ „Nein, der hat<br />

Angst, weil <strong>wir</strong> zu zweit sind <strong>und</strong> er ist ganz alleine. <strong>Kann</strong> man ja verstehen, oder? Übrigens,<br />

du willst dir di<strong>es</strong>en Menschen in dein Haus holen, <strong>und</strong> sprichst immer von Herrn<br />

Berger. Wenn du ihn nicht mit <strong>Laurent</strong> anred<strong>es</strong>t, <strong>wir</strong>d er sowie so nie kommen. Und du<br />

genauso Dad.“ „Ja, ist ihnen das denn Recht, Herr Berger? Dann müssten sie mich aber<br />

auch Gaby nennen, <strong>und</strong> dich dann Peter?“ meinte sie fragend zu ihrem Mann gewandt.<br />

Der lächelte <strong>und</strong> nickte. „Dann muss ich ja meinen Wein doch hier trinken. So etwas<br />

kann man doch nicht einfach halbschlafend sagen. Das ist doch etwas B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong>. Da<br />

müssen <strong>wir</strong> doch drauf anstoßen, <strong>und</strong> um den Hals fallen müsst ihr euch gegenseitig.“<br />

erläuterte <strong>Mira</strong> den Ablauf der Zeremonie, <strong>und</strong> alle befolgten <strong>es</strong>.<br />

Schau die kleine Tigerin<br />

„Komm doch mal her.“ forderte <strong>Mira</strong> mich auf, als <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> auszogen, „Schau mal da drin<br />

tobt sie sich aus, die kleine Tigerin. Manchmal scheint's ihr in der Kugel schon zu eng zu<br />

werden, dann drückt sie mit einem Ärmchen oder Beinchen eine Wölbung nach außen.<br />

Meistens kannst du auch einfach mit der Hand spüren, wie sie sich bewegt. Willst'e mal<br />

fühlen? Aber ich glaube jetzt schläft sie. Ich spüre nämlich auch nichts.“ Wir umarmten<br />

<strong>und</strong> küssten <strong>uns</strong>, <strong>und</strong> in <strong>Mira</strong>s Blick lag etwas Zufrieden<strong>es</strong> leicht Glücklich<strong>es</strong>. Im Bett<br />

kam sie zu mir, beugte sich über mich <strong>und</strong> sagte: „Du bist mein Liebster, mein Einziger<br />

<strong>und</strong> Allerliebster. Das muss ich dir einfach noch mal sagen, <strong>Laurent</strong>. Es tut mir gut, <strong>es</strong><br />

so sagen zu können <strong>und</strong> <strong>es</strong> mich dir sagen zu hören.“ Es schien mir, als ob <strong>Mira</strong> das<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 19 von 34


Empfinden hatte, mich mit ihrem Baby verb<strong>und</strong>en zu haben, <strong>und</strong> sie sich dadurch voller<br />

<strong>und</strong> umfänglicher von mir aufgenommen fühlte. In der Tat war <strong>es</strong> ja auch so, <strong>dass</strong> ich<br />

mich zu dem, was mit ihrer Schwangerschaft zu tun hatte, relativ distanziert verhielt.<br />

Ich wusste auch nicht recht, wie ich damit umgehen sollte <strong>und</strong> war eher r<strong>es</strong>erviert. Jetzt<br />

hatte sie mir ihren Bauch gezeigt, mit mir darüber g<strong>es</strong>prochen, mich fühlen lassen, <strong>uns</strong>ere<br />

Bäuche hatten beim Küssen aneinander gelegen. Sie hatte mich ihrem Bauch, ihr<br />

mit ihrem Bauch Aufmerksamkeit schenken lassen. Ihren schwangeren Bauch in mein<br />

Empfinden für sie integriert. Unsicherheit <strong>und</strong> Zurückhaltung waren durch di<strong>es</strong>e kurze<br />

Szene plötzlich wie verschw<strong>und</strong>en. Mir war <strong>es</strong> direkt gar nicht bewusst geworden, aber<br />

<strong>Mira</strong> schien verspürt zu haben, <strong>dass</strong> sich für mich etwas geändert hatte. „Meine Liebe,“<br />

reagierte ich sie umarmend. Lange lagen <strong>uns</strong>ere Wangen aneinander. Als sie ihren Kopf<br />

ein wenig hob, blinzelte <strong>Mira</strong> mir direkt vor meinem G<strong>es</strong>icht zu <strong>und</strong> meinte: „Ich glaube<br />

ich werde jetzt wieder selig oder so. Komm ganz nah zu mir. Unsere Körper wollen sich<br />

gegenseitig spüren können. Wir lagen dicht aneinander <strong>und</strong> <strong>uns</strong>ere Hände berührten<br />

sanft die Haut d<strong>es</strong> anderen. „Hast du immer so große Brüste, oder hängt das auch mit<br />

der Schwangerschaft zusammen?“ wollte ich wissen. „Ach, meine Glocken sind jetzt<br />

schon so groß wie richtige Milchkuh-Euter. Ich möchte wissen, wohin das noch führen<br />

soll. Und vor allem, was davon wieder zurück geht. Mit solchen Dingern kannst du doch<br />

nicht leben. Das ist ja schrecklich. Lass <strong>uns</strong> über etwas Ander<strong>es</strong>, Schön<strong>es</strong> reden.“<br />

reagierte <strong>Mira</strong>, „Mir ist heute im Wald bewusst geworden, <strong>dass</strong> ich gar nichts singen<br />

kann, auch Gedichte kann ich so gut wie keine rezitieren. Das ist schade, sehr schade,<br />

nicht wahr? Du kennst sicher ganz viel<strong>es</strong>?“ „Du <strong>wir</strong>st auch einig<strong>es</strong> in der Schule gelernt<br />

haben <strong>und</strong> hast <strong>es</strong> wider verg<strong>es</strong>sen. Mir geht <strong>es</strong> nicht anders. Nur die frühen<br />

Kindergedichte, die kenn ich noch, aber sonst sind auch all<strong>es</strong> nur Bruchstücke übrig<br />

geb<strong>lieben</strong>. Unser Musiklehrer hatte mal einen K<strong>uns</strong>tliedsänger auf dem Klavier begleitet.<br />

Uns sang er die die Lieder beim Klavierspielen im Unterricht selbst vor. Ich habe<br />

b<strong>es</strong>timmt viele gekannt, na ja ich kenn sie heute auch noch, aber singen kann ich<br />

immer nur die erste Zeile oder irgendetwas aus der Mitte, was mir b<strong>es</strong>onders gefiel.<br />

Zum Beispiel aus der Winterreise den Leiermann:<br />

Und dann ist <strong>es</strong> auch schon vorbei.<br />

Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann<br />

Und mit starren Fingern dreht er, was er kann.<br />

Marietta<br />

Ich mochte den Musiklehrer eigentlich. Er hat mir auch viele Zugänge eröffnet. Aber vor<br />

allem mochte ich <strong>sein</strong>e Tochter. Ich hatte überhaupt keinen Kontakt zu ihr, aber ich fand<br />

sie w<strong>und</strong>erschön. Ihre mittellangen schwarzen Haare, wie sie lachte <strong>und</strong> in meinen Erinnerungen<br />

hatte sie große tiefe Augen. Vor meiner Pubertät fand ich immer Frauen toll,<br />

die viel älter waren als ich, präpubertärer Ödipus b<strong>es</strong>timmt. Zum Beispiel mit vier habe<br />

ich schon <strong>uns</strong>erem Kindermädchen die spätere Ehe versprochen. Ah, die hatte ja auch<br />

schwarze Haare <strong>und</strong> du auch. Anscheinend mag ich seit der unerfüllten Liebe zu <strong>uns</strong>erem<br />

Kindermädchen Frauen mit schwarzen Haaren. Na so etwas, da brauche ich zwanzig<br />

Jahre um das raus zu bekommen.“ stellte ich erstaunt f<strong>es</strong>t <strong>und</strong> lachte. „Da liebst du<br />

also in mir dein Kindermädchen. Oh je, <strong>Laurent</strong>, das werde ich aber nicht machen für<br />

dich.“ bejammerte <strong>Mira</strong> die augenblickliche Lage. Ich sinnierte: „Ich habe nie gedacht,<br />

Frauen mit schwarzen Haaren gefallen mir b<strong>es</strong>ser oder etwas in der Richtung, aber <strong>dass</strong><br />

Marietta irgendeinen Einfluss auf mein Bild von Frauen ausgeübt hat, kann schon gut<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 20 von 34


<strong>sein</strong>. Ich mochte sie <strong>wir</strong>klich sehr, <strong>und</strong> als ich mit fünfzehn-sechzehn erfuhr, <strong>dass</strong> sie geheiratet<br />

hatte, gefiel mir das gar nicht. Ich kannte sie überhaupt nicht mehr, dachte<br />

auch nicht an sie <strong>und</strong> <strong>dass</strong> <strong>es</strong> etwas zwischen <strong>uns</strong> geben könnte, sah ich nur mit vier<br />

Jahren so, trotzdem gefiel <strong>es</strong> mir nicht. Ich weiß noch, <strong>dass</strong> ich ihr selber nichts vorwarf,<br />

sondern Schuld daran war di<strong>es</strong>er mir völlig unbekannte Mann. Ja, ja, sie muss<br />

schon eine kleine Madonna für mich gew<strong>es</strong>en <strong>sein</strong>. Denkst du, das <strong>es</strong> ein Zeichen ist,<br />

<strong>dass</strong> etwas davon in meinem Gehirn haften geb<strong>lieben</strong> ist, <strong>und</strong> sich jetzt immer noch bei<br />

Wahrnehmungsproz<strong>es</strong>sen <strong>und</strong> Entscheidungsfindungen einmischt?“ „Natürlich,“ meinte<br />

<strong>Mira</strong>, „wenn du sogar Gedichte aus der Zeit nicht verg<strong>es</strong>sen hast, dann werden so tiefe<br />

emotionale Empfindungen doch nicht verloren gehen. Wie du Zuneigung <strong>und</strong> Liebe<br />

siehst, <strong>wir</strong>st du auch ihr zu verdanken haben. Die Details kannst du nicht erkennen <strong>und</strong><br />

bewusst darauf zurückführen, aber <strong>dass</strong> dir Vertrauen <strong>und</strong> Zuneigung zu empfinden<br />

leichter möglich ist, wenn die Frau auch noch schwarze Haare hat, das kann schon so<br />

<strong>sein</strong>. Spät<strong>es</strong>tens, wenn du mich mal aus Versehen Marietta nennst, werden <strong>wir</strong>'s genau<br />

wissen.“ sie lachte <strong>und</strong> schloss meinen Kopf in ihre Arme. Nachdem <strong>Mira</strong> sich darüber<br />

beklagte, <strong>dass</strong> sie sich als klein<strong>es</strong> Kind in niemanden verliebt habe, <strong>und</strong> jetzt gar nicht<br />

eruieren könne, warum sie mich liebe, unterhielten <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> noch kurze Zeit <strong>und</strong> schliefen<br />

dann eng aneinander gekuschelt ein.<br />

Hochzeitsmorgen<br />

Als ich am Sonntagmorgen aufwachte, hatten <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> im Schlaf gelöst. Ich wollte warten,<br />

bis <strong>Mira</strong> wach wurde, aber sie schlief <strong>und</strong> schlief. Ich holte mir ein Buch aus dem<br />

Regal, Musils Törleß, das war lange her. Ich war begeistert damals von Musil. Hatte eine<br />

regelrechte Musilphase, aber nach dem 'Mann ohne Eigenschaften' war plötzlich<br />

Schluss. Warum? Ich weiß <strong>es</strong> nicht. Mir hatte nichts missfallen, aber ich habe mich nie<br />

wieder mit Musil befasst. Heute, an einem Sonntagmorgen im Mai bei <strong>Mira</strong> Schönfeld<br />

nahm ich zum ersten Mal wieder den Törleß in die Hand, weil ich Lust dazu verspürte.<br />

Vielleicht war <strong>es</strong> doch nicht <strong>dass</strong> vorherb<strong>es</strong>timmte Fatum, das sich an mir vollzog, sondern<br />

di<strong>es</strong>e junge Frau, die sich Zugang zu Gehirnregionen bei mir verschafft hatte, zu<br />

denen meine eigenen Bewusst<strong>sein</strong>ssphären keinen Zutritt hatten. Ob man so etwas<br />

jetzt den Medizinern im Studium beibrachte? Wohl eher nicht. Ob ihr vermittels übersinnlicher,<br />

magischer Kräfte so etwas gelangt. So <strong>wir</strong>d <strong>es</strong> <strong>sein</strong>. Mit Elfen <strong>und</strong> Feen <strong>wir</strong>d<br />

sie im B<strong>und</strong>e stehen, das könnte einig<strong>es</strong> erklären. Ich hatte das dringende Bedürfnis,<br />

meiner schlafenden Fee, einen elfensanften Kuss auf die Wange zu hauchen. Trotzdem<br />

schlug sie die Augen auf, sah in mein G<strong>es</strong>icht, lächelte <strong>und</strong> brachte mit schlafender, tonloser<br />

Stimme ein: „Komm!“ hervor. Wir lagen aneinander träumten, schmusten <strong>und</strong><br />

küssten <strong>uns</strong> als meine Fee plötzlich verkündete: „Ich steh' heute nicht auf!“. Na, dann<br />

würden <strong>wir</strong> heute eben mal nicht aufstehen. Mir war all<strong>es</strong> gleichgültig, schön <strong>und</strong> angenehm<br />

würde <strong>es</strong> schon werden. Mich hatte heute wahrscheinlich, das inniglich Sentimentale<br />

erfasst oder <strong>uns</strong> beide. Wir lagen einfach direkt voreinander, erzählten <strong>uns</strong> etwas,<br />

der andere fragte dazu, oder fand einen Anlass, selbst etwas zu erzählen. Es war w<strong>und</strong>erschön<br />

den anderen beim Erzählen anzuschauen. Oft gab <strong>es</strong> etwas zum Lachen <strong>und</strong><br />

die Anlässe sich zu Streicheln <strong>und</strong> zu Küssen waren vielfältig. „Ich will ja nicht stören,<br />

aber ihr wisst, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> zwölf Uhr ist?“ kam <strong>Mira</strong>s Mutter rein. Das wussten <strong>wir</strong> nicht. Ich<br />

b<strong>es</strong>chwerte mich: „Gaby, <strong>Mira</strong> will heute nicht aufstehen.“ „Soll ich mal schimpfen?“ bot<br />

sie an <strong>und</strong> verließ das Zimmer wieder. Wir schmusten noch ein wenig <strong>und</strong> gelangten<br />

dann zu der Überzeugung, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> jetzt wohl angebrachter sei, in vertikaler Körperausrichtung<br />

am weiteren Tag<strong>es</strong>g<strong>es</strong>chehen teilzunehmen. Doch bevor <strong>wir</strong> den Entschluss<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 21 von 34


ealisieren konnten, kam Frau Gaby Schönfeld mit einem großen Tablett herein. „Espr<strong>es</strong>so,<br />

war doch richtig, nicht wahr?“ fragte sie mich. „Oh, Mutti, was machst du. Wir<br />

wollten gerade aufstehen, aber jetzt tun <strong>wir</strong>'s natürlich nicht. Danke, danke, das ist ri<strong>es</strong>ig<br />

lieb von dir.“ Dann flüsterte ihre Mutter <strong>Mira</strong> etwas ins Ohr <strong>und</strong> <strong>Mira</strong> lachte. Nach der<br />

Hochzeitsnacht bekäme man immer das Frühstück ans Bett gebracht, habe sie g<strong>es</strong>agt,<br />

erklärte <strong>Mira</strong>. „Irgendwie war <strong>es</strong> für mich auch so ähnlich. Die erste Nacht mit meinem<br />

Liebsten zusammen, <strong>und</strong> für dich ja auch wohl, <strong>Laurent</strong>. Sonst assoziiert man immer<br />

mit Hochzeitsnacht, das fleißig gefickt werden muss. So ein Schwachsinn, <strong>wir</strong> haben <strong>uns</strong><br />

geliebt, oder war <strong>es</strong> für dich nicht wie eine w<strong>und</strong>erschöne Hochzeitsnacht?“ Ich stimmte<br />

<strong>Mira</strong> einfach zu, obwohl ich <strong>es</strong> eigentlich eher nicht so sah, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> jetzt verheiratet<br />

wären.<br />

Zusammenleben<br />

Ab jetzt verbrachte ich jede freie Minute bei <strong>Mira</strong>. In den Haushalt war ich voll integriert,<br />

auch mit allen möglichen Hilfen <strong>und</strong> kleinen Aufgaben. Mein Apartment stand<br />

leer. Was sollte ich dort? Bei Schönfelds zu wohnen brächte ausschließlich Vorteile mit<br />

sich. Also war der Umzug b<strong>es</strong>chlossen. Gästezimmer <strong>und</strong> Bügelzimmer waren zu meinem<br />

Domizil umfunktioniert worden. Gäste konnten auch weiter bei mir schlafen, da ich<br />

immer bei <strong>Mira</strong> schlief. Das Sem<strong>es</strong>ter ging zu Ende, für mich bedeutete <strong>es</strong> allerdings<br />

nicht ausschließlich Freizeit. Für <strong>Mira</strong> rückte der Geburtstermin langsam näher. Sie<br />

wollte im Geburtshaus <strong>und</strong> nicht in der Klink entbinden, <strong>und</strong> ich sollte sie dabei<br />

begleiten. Das war auch für mich mittlerweile selbstverständlich. Es gab keine irgendwie<br />

gearteten Vorbehalte oder Distanzen mehr. In kürz<strong>es</strong>ter Zeit war eben all<strong>es</strong> ganz normal<br />

geworden. Wir hatten auch Wege zu <strong>uns</strong>erer Sexualität gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> konnten<br />

problemlos damit umgehen. All<strong>es</strong> war natürlich immer noch spannend <strong>und</strong> aufregend,<br />

man erlebte <strong>es</strong> zum ersten Mal mit einer geliebten Fre<strong>und</strong>in beziehungsweise einem<br />

geliebten Fre<strong>und</strong>. Spannender war <strong>es</strong> aber noch, sich gegenseitig zu erk<strong>und</strong>en. Dazu<br />

brauchte man nicht dem anderen etwas aus <strong>sein</strong>er jeweiligen Biographie zu erzählen.<br />

Das tat man auch, aber viel mehr über die Persönlichkeit d<strong>es</strong> anderen erfuhr man, wenn<br />

man über etwas ander<strong>es</strong> sprach, <strong>und</strong> sich dabei ganz auf <strong>sein</strong>en Partner einlassen, ihm<br />

die g<strong>es</strong>amte Aufmerksamkeit widmete, alle Wahrnehmungsmöglichkeiten bewusst auf<br />

ihn ausrichten konnte, sich nicht ausschließlich auf <strong>sein</strong>e verbalen Informationen fokussierte<br />

<strong>und</strong> Mimik, G<strong>es</strong>tik <strong>und</strong> Körpersprache in Bruchteilen zwangsläufig schludrig<br />

nebenbei mitbekam, wenn man nicht nur den Text der Worte hören wollte, sondern<br />

auch bewusst der Melodie der Stimme lauschte, dann wurden G<strong>es</strong>präche zu kleinen<br />

gegenseitigen Opernaufführungen. Jed<strong>es</strong> G<strong>es</strong>präch war eine Scene d'amour, in der man<br />

sich gegenseitig Aufmerksamkeit, Anerkennung <strong>und</strong> Zuneigung vermittelte <strong>und</strong> in der<br />

man sich öffnete, Lust daran empfand dem Partner tieferen Zugang zu <strong>sein</strong>er<br />

Persönlichkeit zu gewähren. Um einen G<strong>es</strong>prächspartner so wahrzunehmen, musste<br />

man vielleicht nicht unbedingt verliebt <strong>sein</strong>, nur <strong>wir</strong> hatten <strong>es</strong> noch nie so erlebt. Unsere<br />

Liebe mit ihrer gegenseitig hohen Aufmerksamkeit hatte <strong>uns</strong> den Zugang dazu<br />

ermöglicht <strong>und</strong> die Lust daran geweckt. Dass <strong>wir</strong> irgendwann irgend wodurch kein<br />

Inter<strong>es</strong>se, keine Lust mehr an di<strong>es</strong>er intensiven Art von Kommunikation haben, <strong>es</strong> als<br />

unbedeutend verg<strong>es</strong>sen könnten, war nicht vorstellbar. Wir waren eher ein wenig<br />

süchtig danach.<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 22 von 34


Welchen Namen?<br />

<strong>Mira</strong> hatte ein so simpl<strong>es</strong>, klar<strong>es</strong> <strong>und</strong> dezidiert<strong>es</strong> Verhältnis zu Namensgebung für Kinder<br />

gezeigt, als sie mir damals Erläuterungen zu ihrem Namen gab, jetzt war davon<br />

nichts mehr vorhanden. Sie bekam Panik, wenn sie an den Geburtstermin dachte, die<br />

Kleine auf der Welt wäre, <strong>und</strong> sie sich immer noch nicht für einen Namen hätte entscheiden<br />

können. Es ging nicht darum eine Wahl zu treffen, ob die kleine Laura oder<br />

vielleicht doch lieber Lena heißen sollte. Die Probleme waren tiefgreifend struktureller<br />

Natur. Natürlich hieße ein Kind gern so, wie man übliche Vornamen kenne, aber wenn<br />

<strong>Mira</strong> zum Beispiel damals Yvonne geheißen hätte, wären sie in der Klasse zu dritt mit<br />

di<strong>es</strong>em Namen gew<strong>es</strong>en. Das hätte sie auch nicht gewollt. Ergo schieden die Top-Ten-<br />

Listen aus, aber bei allem anderen war <strong>es</strong> offen, nur schön klingen sollte <strong>es</strong>, wenn sie<br />

ihr Töchterchen rufen würde. Da klang <strong>es</strong> einfach in anderen Sprachen meistens melodischer<br />

als in dem oft gehackten Indogermanischen, nur zu exotisch sollte <strong>es</strong> ja auch<br />

wieder nicht <strong>sein</strong>. Zusätzlich belegte man den Namen ja auch noch mit einer Vorstellung,<br />

dem imaginierten Bild d<strong>es</strong> dazu passenden Kind<strong>es</strong>, <strong>und</strong> wenn <strong>es</strong> sich dann tatsächlich<br />

überhaupt nicht so entwickeln würde? Das kräftige stabile Kind sich zeitlebens<br />

als zarter Schmetterling sehen musste? „Ich bin völlig ver<strong>wir</strong>rt, <strong>Laurent</strong>, weiß überhaupt<br />

nicht, was ich machen soll. Willst du nicht aus den Namen, die mir gefallen, einen aussuchen,<br />

<strong>und</strong> so machen <strong>wir</strong>'s dann?“ bat <strong>Mira</strong> mich. „Nein <strong>Mira</strong>, welchen Namen deine<br />

Tochter für ihr g<strong>es</strong>amt<strong>es</strong> Leben tragen soll, das <strong>wir</strong>d schon deiner Entscheidung überlassen<br />

bleiben müssen. Ich glaube auch nicht, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> deiner Tochter später gefiele, wenn<br />

ein anderer ihr den Namen gegeben hätte. Nur ich denke, du machst dir ein zu groß<strong>es</strong><br />

Problem, weil du befürcht<strong>es</strong>t, <strong>dass</strong> deiner Tochter später nicht gefallen könnte, was du<br />

jetzt als schön für sie empfind<strong>es</strong>t. Aber <strong>wir</strong>d das so schlimm <strong>sein</strong>? Es ist doch<br />

selbstverständlich, <strong>dass</strong> du etwas auswählst, was dir gefällt. Vorher fragen kannst du<br />

sie ja nicht.“ „Werd' ich aber tun. Du weißt ja, <strong>dass</strong> ich mich immer mit ihr unterhalte.“<br />

warf <strong>Mira</strong> lächelnd ein. „Wird <strong>es</strong> etwa ein Problem geben, wenn deiner Tochter der Name<br />

nicht b<strong>es</strong>onders gefällt?“ fuhr ich fort, „Liebst du deine Mutter ein Körnchen weniger,<br />

weil sie dir einen indischen Namen gegeben hat? Du kannst ihr doch mehrere Namen<br />

geben, dann kann sie sich ja immer noch mit einem der anderen anreden lassen, wenn<br />

ihr der erste nicht gefällt.“ Kurze Zeit später kam <strong>Mira</strong> mit einem Plan. „Nalani, Ruth,<br />

Rebecca“ sollte sie heißen. Sie erläuterte einig<strong>es</strong> dazu <strong>und</strong> bat mich um meine Meinung.<br />

„<strong>Mira</strong>, sie sind alle w<strong>und</strong>erschön. Jede junge Frau <strong>wir</strong>d neidisch <strong>sein</strong>, weil sie nicht auch<br />

Nalani Schönfeld, Ruth Schönfeld oder Rebecca Schönfeld heißen kann. Wenn dein<br />

Töchterchen <strong>es</strong> nicht so sehen sollte, <strong>wir</strong>d sie sich <strong>uns</strong>eren Argumenten nicht entziehen<br />

können <strong>und</strong> doch glücklich damit werden. Willst du deine Namensfindungskreativität<br />

nicht auch mal für mich anwenden <strong>und</strong> einen neuen Namen für mich suchen?“ reagierte<br />

ich auf ihre Auswahl. „Das werde ich überhaupt nicht tun, mon amour, weil für mich<br />

'<strong>Laurent</strong>' der <strong>uns</strong>chlagbar schönste Name ist, den ein Mann nur haben kann.“ sagte <strong>es</strong><br />

<strong>und</strong> lachte.<br />

Nalanis Geburt<br />

Die Räumlichkeiten im Geburtshaus kannten <strong>wir</strong> ja, trotzdem hatte ich bei Geburt immer<br />

eine Assoziation zum Kreißsaal, aber hier war Wohnzimmeratmosphäre ang<strong>es</strong>agt.<br />

Man stand in Kontakt mit der Geburtsabteilung ein<strong>es</strong> Krankenhaus<strong>es</strong>, weil man sich<br />

nicht sicher war, ob bei <strong>Mira</strong> all<strong>es</strong> problemlos verlaufen würde. „Jetzt hab' ich doch<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 23 von 34


Angst, du musst ganz nah bei mir <strong>sein</strong>, <strong>Laurent</strong>?“ schmiegte sich <strong>Mira</strong> an mich. Nur ich<br />

hatte wahrscheinlich ein viel mulmiger<strong>es</strong> Gefühl als die selbst betroffene <strong>Mira</strong>. Allein die<br />

Vorstellung, <strong>dass</strong> sie unendliche Schmerzen erleiden müsste, konnte ich schon nicht ertragen.<br />

Ich hatte starke Zweifel, ob so etwas <strong>sein</strong> müsse. Bei keinen anderen Säugetieren<br />

gab <strong>es</strong> das. Die Art wäre b<strong>es</strong>timmt schon längst ausg<strong>es</strong>torben, die unter solchen<br />

Foltermethoden ihre Jungen hätte zur Welt bringen müssen. Wo sollte denn da bei den<br />

Menschen ein evolutionärer Vorteil liegen. Bei den Umständen der Geburt konnte ich ihn<br />

jedenfalls nicht erkennen. Ich bezweifelte auch, ob die Vorteile einer natürlichen Geburt<br />

di<strong>es</strong>e Schmerzen rechtfertigten <strong>und</strong> nicht die Geburt durch Kaiserschnitt oder unter Spiralanästh<strong>es</strong>ie<br />

sinnvoller sei. Ich konnte <strong>Mira</strong>s Qualen nicht ertragen. Die Folterknechte<br />

hätte ich anschreien können, endlich aufzuhören, aber <strong>es</strong> war keiner da. Ich war hilflos,<br />

ich konnte nur weinen. Trotz ihrer Schmerzen umarmte <strong>Mira</strong> lächelnd meinen Kopf. „Du<br />

musst nicht weinen, <strong>Laurent</strong>,“ tröstete sie mich, „Wir schaffen das schon.“ Ich merkte<br />

wie ich <strong>Mira</strong>s Hand fast zerdrückte. Millionen von Frauen erleiden täglich di<strong>es</strong>e Qualen<br />

<strong>und</strong> selbst für jed<strong>es</strong> dümmste Arschloch auf di<strong>es</strong>er Welt hat sich einmal eine Frau di<strong>es</strong><br />

gefallen lassen. Ja, ja, <strong>dass</strong> man <strong>sein</strong>e Mütter hochachten sollte, jetzt konnte ich <strong>es</strong><br />

schon sehr deutlich empfinden. „Du warst das also. Jetzt kannste dich nicht mehr verkriechen.“<br />

begrüßte <strong>Mira</strong> entspannt glücklich das kleine verknautschte, neugierig schauende<br />

G<strong>es</strong>icht auf ihrer Brust. Sie redete immer mit ihr, wie mit einem kleinen vierjährigen<br />

Kumpel, <strong>und</strong> das kleine G<strong>es</strong>icht schien zu hören, woher die Stimme kam.<br />

Vier St<strong>und</strong>en später waren <strong>wir</strong> mit einer zusätzlichen kleinen Madame wieder zu Hause.<br />

Oma <strong>und</strong> Opa Schönfeld konnten sich nicht bremsen. Sämtliche verfügbaren Glückshormone<br />

waren wohl zu Ausschüttung gebracht worden. Manch<strong>es</strong> konnte man einfach<br />

überhaupt nicht verstehen, zum Beispiel, warum Gaby mich immer umarmte <strong>und</strong> küsste.<br />

Alle saßen auf <strong>Mira</strong>s Bett <strong>und</strong> wollten etwas erfahren. Ob ich <strong>Mira</strong> auch gut unterstützt<br />

hätte. <strong>Mira</strong> blinzelte mich an <strong>und</strong> erklärte: „Ja, doch, <strong>Laurent</strong> hat sehr mitempf<strong>und</strong>en.<br />

Er hat immer fleißig mit gepr<strong>es</strong>st <strong>und</strong> mir dabei fast meine Hand zerdrückt.“ Ich<br />

erklärte, <strong>dass</strong> ich di<strong>es</strong>e Geburtsqualen für unerträglich hielte. „Wenn jeder Mensch immer<br />

daran denken würde, <strong>dass</strong> sich <strong>sein</strong>e Mutter dafür hätte foltern lassen, damit er zur<br />

Welt kommen könne, lebten <strong>wir</strong> b<strong>es</strong>timmt im Matriarchat.“ <strong>Mira</strong> <strong>und</strong> Nalani mussten<br />

jetzt erst mal schlafen, <strong>und</strong> <strong>wir</strong> b<strong>es</strong>prachen all<strong>es</strong> beim Kaffee in der Küche weiter.<br />

All<strong>es</strong> um Nalani<br />

Jetzt war das Neue, Großartige, Spannende nicht mehr in erster Linie die w<strong>und</strong>erbare<br />

Liebe, sondern Nalani. Das traf nicht nur für <strong>Mira</strong> zu, sondern ich empfand <strong>es</strong> genauso.<br />

Dass ich genetisch ja gar nicht der Vater war, der Gedanke kam nicht. Es war <strong>uns</strong>er<br />

Kind, <strong>uns</strong>er wüst<strong>es</strong> Kind. Nalani konnte sehr intensiv <strong>und</strong> heftig an <strong>Mira</strong>s Brustwarzen<br />

saugen. Als <strong>Mira</strong> plötzlich mal „Au!“ aufschrie, stoppte die Kleine, öffnet die Augen <strong>und</strong><br />

schaute <strong>Mira</strong> an. „Ja, du musst nicht so wüst <strong>sein</strong>. Du bekommst doch all<strong>es</strong>. Ist doch<br />

sowi<strong>es</strong>o all<strong>es</strong> nur für dich.“ erklärte die ihr. Nach der Instruktion durch die Mama<br />

schloss Nalani wieder ihre großen Augen <strong>und</strong> fuhr im gewohnten Stil fort. Das wüste<br />

Kind war an Köstlichkeit nicht zu überbieten. Nalani hörte mir auch mit großen offenen<br />

Augen zu, wenn ich mit ihr sprach, versuchte sich durch eigene „Öhs <strong>und</strong> Ahs <strong>und</strong> Ohs“<br />

in das G<strong>es</strong>präch einzubringen oder lächelte sanft. Sobald aber die Stimme der Mama erklang,<br />

wurde die Unterhaltung mit mir zum billigen unbedeutenden G<strong>es</strong>chwätz. Wenn<br />

<strong>Mira</strong> mit ihr sprach, konnte ich mich ruhig zu Wort melden, <strong>es</strong> inter<strong>es</strong>sierte sie nicht. Sie<br />

würdigte mich kein<strong>es</strong> Blick<strong>es</strong>. Zwischen <strong>uns</strong> im Bett zu liegen <strong>und</strong> sich von <strong>uns</strong> beiden<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 24 von 34


unterhalten zu lassen, schien sie sichtlich zu genießen. Im wachen Zustand, sich aus einer<br />

derartigen Situation zur Seite auf ihren Platz legen zu lassen, akzeptierte sie meistens<br />

nicht. Nalani würde b<strong>es</strong>timmt später mal eine große Kommunikatorin. Auch Oma<br />

Gabi <strong>und</strong> Peter liebten <strong>es</strong> sehr, mit der jungen Frau ins G<strong>es</strong>präch zu kommen. Wenn sie<br />

nicht schlief oder trank, wurde sie ständig von jemandem unterhalten, nur beim Baden<br />

schien <strong>es</strong> ihr auch wichtiger, sich auf das Wasser konzentrieren zu können. Es ereignete<br />

sich ständig Neu<strong>es</strong>, Lustig<strong>es</strong> <strong>und</strong> Süß<strong>es</strong> um <strong>und</strong> mit Nalani. Schade war nur, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> für<br />

die nächsten sieben bis acht Monate kalt <strong>sein</strong> würde, <strong>und</strong> die Aktivitäten mit ihr draußen<br />

sehr begrenzt <strong>sein</strong> würden.<br />

Neu<strong>es</strong> Antikonzeptivum<br />

<strong>Mira</strong> hatte all<strong>es</strong> ohne jedwede Komplikationen überstanden, als ob <strong>es</strong> für den Körper einer<br />

zwei<strong>und</strong>zwanzigjährigen Frau selbstverständlich sei, auch mal ein Kind zu bekommen.<br />

Ein weiter<strong>es</strong> sollte <strong>es</strong> allerdings so schnell nicht geben. Das alte Präparat, das sie<br />

jahrelang genommen hatte, wollte <strong>Mira</strong>, auch wenn die Schwangerschaft gar nicht ursächlich<br />

damit zusammenhing, nicht weiter nehmen. Mit ihrer Frauenärztin hatte sie<br />

sich ein wenig gezankt, weil die bei der f<strong>es</strong>ten Ansicht geb<strong>lieben</strong> war, <strong>dass</strong> <strong>Mira</strong> bei der<br />

Einnahme irgendwelche Fehler gemacht haben müsse. Sie wollte sich in der Klinik beraten<br />

lassen. Hier erklärte man ihr auch, <strong>dass</strong> ihr Präparat sehr gut verträglich sei, sie<br />

aber nicht die erste Frau wäre, die trotzdem ein Kind bekommen habe. Das Risiko sei<br />

aber so gering, <strong>dass</strong> man das Präparat nicht als <strong>uns</strong>icher bezeichnen könne. Wi<strong>es</strong>o <strong>es</strong><br />

zu di<strong>es</strong>en Schwangerschaften komme, habe noch niemand herausgef<strong>und</strong>en. Wie schön<br />

<strong>es</strong> hinterher zu erfahren, aber jetzt spielte <strong>es</strong> keine Rolle mehr. Im Prinzip war <strong>es</strong> ja ein<br />

groß<strong>es</strong> Glück gew<strong>es</strong>en. Sie würde doch auf Nalani nicht verzichten wollen. <strong>Mira</strong> ließ sich<br />

ein Medikament verschreiben, das von der Struktur her ähnlich war, bei dem <strong>es</strong> aber<br />

noch nie zu ungewollten Schwangerschaften gekommen sei. Ich stand der Verhütung<br />

durch die „Pille“ sowi<strong>es</strong>o nicht sympathisch gegenüber. Di<strong>es</strong> Ein<strong>wir</strong>kung auf das<br />

Hormonale System der Frau stellte nach meiner Meinung einen massiven körperlichen<br />

Eigriff dar, d<strong>es</strong>sen letztendlichen Einflüsse auf das g<strong>es</strong>amte Zusammenspiel der körperlichen<br />

Proz<strong>es</strong>se sicher nicht detailliert bekannt waren. Viele Diskussionen über<br />

g<strong>es</strong><strong>und</strong>heitliche Aspekte von Nahrungsmitteln waren doch Petit<strong>es</strong>sen gegen die gezielt<br />

vorgenommenen Ein<strong>wir</strong>kungen durch die Ovulationnshemmer.<br />

Dominante Nalani<br />

Nalani dominierte eindeutig das G<strong>es</strong>chehen. So lieb <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich, wie sie sich im Allgemeinen<br />

zeigte, so unerbittlich war sie auch, wenn etwas so geregelt werden sollte,<br />

wie <strong>es</strong> sich nicht mit ihren Vorstellungen zu decken schien. Nur Mamas Küssen, Schmusen<br />

<strong>und</strong> Säugen waren dann in der Lage ihre Erbostheit wieder zu b<strong>es</strong>änftigen. Natürlich<br />

hatte Nalani das Leben verändert, aber ob <strong>und</strong> wie sich dadurch die Beziehung zwischen<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> mir verändert haben könnte, sah ich nicht. Sie schien <strong>uns</strong> eher noch bereichert.<br />

<strong>Mira</strong> konnte sich nicht nur über ihr Töchterchen freuen, sondern hatte das<br />

Glück, die Freude mit mir teilen <strong>und</strong> gemeinsam genießen zu können. Ich sah <strong>es</strong> nicht<br />

so, <strong>dass</strong> <strong>uns</strong>ere Zuneigung füreinander in irgendeiner weise an Bedeutung verloren hätte,<br />

weil sich jetzt all<strong>es</strong> auf Nalani foccusiere. Unsere Liebe war auch jetzt noch genau<br />

wie vorher das, was man mit ironischem Unterton als 'heiß <strong>und</strong> innig' bezeichnen wür-<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 25 von 34


de. Unsere Lust aufeinander hatte sich nicht verändert.<br />

Ich bin das Zentrum<br />

Wir lebten jetzt schon sieben Monate zusammen. Eine kurze Zeit für eine Beziehung,<br />

doch obwohl sich all<strong>es</strong> so intensiv <strong>und</strong> temporeich entwickelt hatte, empfand ich <strong>es</strong> als<br />

meinen selbstverständlichen Alltag. Auch wenn ich im November sagen konnte, im April<br />

<strong>Mira</strong> noch gar nicht gekannt zu haben, erschien <strong>es</strong> mir, als ob di<strong>es</strong> mein selbstverständlich<strong>es</strong><br />

Leben sei. Ein Leben, das zu mir passte, mir gehörte, das ich mochte <strong>und</strong> liebte<br />

<strong>und</strong> das mich glücklich <strong>sein</strong> ließ. <strong>Mira</strong> schien <strong>es</strong> ein wenig anders zu sehen. Ich hatte ihr<br />

g<strong>es</strong>agt, <strong>dass</strong> ich später zurückkäme, weil ich noch etwas Dringend<strong>es</strong> zu erledigen hätte<br />

<strong>und</strong> d<strong>es</strong>halb nicht mit spazieren gehen könne. Nichts B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong>, so etwas konnte<br />

schon mal vorkommen. Als Nalani eing<strong>es</strong>chlafen war, meinte <strong>Mira</strong>: „Ich weiß <strong>es</strong> nicht<br />

genau, <strong>Laurent</strong>, aber ich denke, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> beide doch sehr unterschiedliche Menschen<br />

sind.“ g<strong>es</strong>pannt lauschte ich, <strong>und</strong> <strong>Mira</strong> fuhr fort, „Wenn man mich fragen würde, wer ich<br />

bin, was meine Persönlichkeit ist, dann würde ich erzählen, <strong>dass</strong> ich mit meinen Eltern<br />

zusammen lebe, ein klein<strong>es</strong> Kind habe, zum ersten Mal in meinem Leben mit einem<br />

ganz <strong>lieben</strong> Fre<strong>und</strong> zusammen bin, was mich sehr glücklich <strong>sein</strong> lässt <strong>und</strong> <strong>dass</strong> ich Medizin<br />

studiere. Ich stelle mir vor, <strong>dass</strong> der, der dich nach deiner Person fragte, zu hören<br />

bekäme, <strong>dass</strong> du den Master in Sozialphilosophie macht<strong>es</strong>t <strong>und</strong> was du wo schon all<strong>es</strong><br />

veröffentlicht hätt<strong>es</strong>t, deine Dissertation schon in die Wege geleitet sei <strong>und</strong> du auf jeden<br />

Fall im Wissenschaftsbereich bleiben würd<strong>es</strong>t. Ich käme da gar nicht vor.“ Wenn ich ehrlich<br />

<strong>sein</strong> sollte, könnte <strong>Mira</strong> nicht ganz Unrecht haben. „Und worin <strong>und</strong> woran liegt der<br />

Unterschied <strong>uns</strong>erer Persönlichkeiten?“ fragte ich sie. „Stell <strong>es</strong> dir doch mal umgekehrt<br />

vor. Ich würde mich über die letzten Vorl<strong>es</strong>ungen, Seminare <strong>und</strong> meine Perspektive im<br />

Medizinstudium definieren. Lächerlich wäre das doch. Das wäre ja nicht der Mensch<br />

<strong>Mira</strong>. Für dich scheint <strong>es</strong> aber so zu <strong>sein</strong>. Als der Mensch <strong>Laurent</strong> erscheint dir der, der<br />

in <strong>sein</strong>em Studium Anerkannt<strong>es</strong> leistet <strong>und</strong> dort Beachtung findet. Das ist für dich das<br />

Wichtigste an dir. Das andere ist nebensächlich <strong>und</strong> kann verg<strong>es</strong>sen werden.“ erläuterte<br />

sie. „Nein, <strong>Mira</strong>, das ist nicht wahr.“ reagierte ich darauf, <strong>und</strong> sie meinte. „Natürlich<br />

bedeutet dir <strong>uns</strong>ere Beziehung, <strong>uns</strong>er Leben etwas. Du möcht<strong>es</strong>t <strong>es</strong> nicht verlieren. Es<br />

ist sicher mehr als dein Hobby. Nur <strong>es</strong> ist subsidiär, du definierst dich nicht darüber,<br />

sondern über das, was du beruflich machst. Was du tatsächlich leist<strong>es</strong>t ist ja unerheblich,<br />

das Entscheidende ist die Beachtung <strong>und</strong> Anerkennung die du dafür erhältst oder<br />

selber siehst. Und da ist dir die Anerkennung in der Uni am wichtigsten, die macht den<br />

<strong>Laurent</strong> Berger aus. Die Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Anerkennung, die du von <strong>Mira</strong> Schönfeld<br />

einfach so erhältst, weil sie dich liebt, <strong>und</strong> von Nalani <strong>und</strong> meinen Eltern können damit<br />

nicht konkurrieren.“ „<strong>Mira</strong>, du verdrehst all<strong>es</strong>. Auch wenn <strong>wir</strong> beide <strong>uns</strong> noch so <strong>lieben</strong>,<br />

hat doch jeder immer <strong>sein</strong>e eigene Identität, die er auch behält <strong>und</strong> behalten sollte. Es<br />

ist doch erschreckend, wenn man sich nur noch über Pflichterfüllung für eine Gruppe<br />

definieren kann <strong>und</strong> gar nicht mehr weiß, wer man selber eigentlich ist. Und was ich an<br />

der Uni mache, das bin ich, das bin ich seit meiner Jugend immer gew<strong>es</strong>en. Da sehe ich<br />

schon meine Identität <strong>und</strong> meine Persönlichkeit. Ich mach <strong>es</strong> auch gern <strong>und</strong> nicht nur<br />

für Anerkennung. Es inter<strong>es</strong>siert mich, macht mir Freude <strong>und</strong> b<strong>es</strong>tätigt mich.“<br />

antwortete ich darauf. „Und wofür brauchst du dann mich <strong>und</strong> Nalani? Weil der Herr<br />

Sozialphilosoph auch mal <strong>sein</strong>en Spaß haben will, obwohl er den ja eigentlich auch<br />

schon an der Uni hat. Mensch, <strong>Laurent</strong>, <strong>dass</strong> ich dir das sagen muss, <strong>dass</strong> du mehr <strong>und</strong><br />

vornehmlich etwas ander<strong>es</strong> bist, als jemand, der <strong>sein</strong>e Arbeit macht. Das hast du<br />

hauptsächlich erst in der Schule gelernt, <strong>dass</strong> du auch dafür geliebt <strong>und</strong> anerkannt<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 26 von 34


<strong>wir</strong>st, wenn du gute Arbeit machen kannst. Es geht dir nicht um die Arbeit, <strong>es</strong> geht um<br />

Aufmerksamkeit, Beachtung, Anerkennung, Liebe, Zuneigung. Du brauchst Vertrauen<br />

<strong>und</strong> Sicherheit. Du kannst hervorragend mit anderen kommunizieren, weil das deine<br />

Welt ist, in der du lebst. Dass das all<strong>es</strong> für dich möglichst ideal funktioniert, ist das<br />

Entscheidende für dich als Menschen. Wenn du deine Arbeit für das Wichtigste hältst<br />

<strong>und</strong> darin deine Person erkennst, dann liebst du sie an erster Stelle. <strong>Laurent</strong> Berger ist<br />

mit <strong>sein</strong>em Herzen bei der Arbeit <strong>und</strong> nicht bei mir.“ erklärte <strong>Mira</strong> intensiver sprechend.<br />

„Das ist doch all<strong>es</strong> gar nicht wahr.“ warf ich ein. Weiter kam ich nicht. „<strong>Laurent</strong>, versteh<br />

mich bitte nicht falsch. Ich mag dich. Ich liebe dich <strong>und</strong> will das auch behalten, nur<br />

<strong>uns</strong>ere Beziehung kann sich nicht bei dir auf einem Nebenplatz abspielen. Das ertrag ich<br />

nicht <strong>und</strong> das ist auch keine Basis. Unsere Gemeinsamkeit ist kein Nebenbereich, sie ist<br />

das Zentrum. So ist <strong>es</strong> aber für dich offensichtlich nicht. Ich will das nicht. Ich bin nicht<br />

deine Kebse neben der Hauptfrau Uni.“ sagte <strong>es</strong>, stieß die heruntergefallene<br />

Strohalmschachtel durch den Raum <strong>und</strong> ging in ihr Zimmer.<br />

Zum ersten Mal allein<br />

Was sollte das bedeuten? Es war heute nichts anders gew<strong>es</strong>en als die sieben Monate<br />

vorher auch schon. Nie war sie auf die Idee gekommen, <strong>dass</strong> mein Herz nicht bei ihr<br />

<strong>sein</strong> könne. Hatte sie die Tatsache, <strong>dass</strong> ich in der Uni <strong>und</strong> nicht bei ihr war, auf die Idee<br />

gebracht, die Uni sei mir wichtiger als sie? War die Frag<strong>es</strong>tellung di<strong>es</strong>er Alternative nicht<br />

schon <strong>uns</strong>innig. Bist du lieber Mensch oder Arbeiter? Hatte sie mich im Gr<strong>und</strong>e gefragt<br />

<strong>und</strong> g<strong>es</strong>chlossen, <strong>dass</strong> ich lieber Arbeiter sei als Mensch. Als Mensch würde ich sie <strong>lieben</strong><br />

können, als Arbeiter sei mir das aber nur zweitrangig. So ein Unsinn. Hatte sie vielleicht<br />

einfach ein stark<strong>es</strong> Bedürfnis nach einem Zusammen<strong>sein</strong> mit mir, war enttäuscht,<br />

<strong>dass</strong> ich <strong>es</strong> nicht dazu hatte kommen lassen <strong>und</strong> hatte dann geprüft, ob <strong>es</strong> nicht daran<br />

liegen könne, <strong>dass</strong> mir <strong>uns</strong>ere Liebe nicht so viel bedeute wie ihr. Wir verhielten <strong>uns</strong><br />

schon sieben Monate lang wie Amor <strong>und</strong> Psyche <strong>und</strong> jetzt unvermittelt tiefste Zweifel<br />

<strong>und</strong> Ansprüche? Es ver<strong>wir</strong>rte mich. Wenn ich nicht hier gewohnt hätte, wäre ich jetzt<br />

nach Hause gefahren. Bei <strong>Mira</strong> schlafen konnte ich nicht. Zum ersten Mal seit ich hier<br />

wohnte. Ich weiß nicht wie lange ich noch grübelnd bei mir im Bett gelegen habe, als<br />

ich Nalani hörte, kamen mir die Tränen. Könnte <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, <strong>dass</strong> so der Anfang vom Ende<br />

aussehen würde? Ich heulte noch mehr.<br />

Ganz allein eure Angelegenheit<br />

Als Gaby mich am nächsten Morgen aus meinem Zimmer kommen sah, ging sie zu <strong>Mira</strong>.<br />

Ich deckte weiter den Frühstückstisch. Gaby, die fast immer zu Scherzen aufgelegt war,<br />

machte ein ernst<strong>es</strong> G<strong>es</strong>icht. „Ihr habt euch g<strong>es</strong>tritten, nicht wahr?“ meinte sie. „Ja,<br />

Mona ist der Ansicht ...“ weiter kam ich nicht, weil Gaby mich unterbrach. „<strong>Laurent</strong>, niemand<br />

sähe <strong>es</strong> so gern wie ich, <strong>dass</strong> ihr beiden eure Meinungsverschiedenheiten beilegen<br />

könntet, aber das ist ganz allein eure Angelegenheit. Keiner kann sie klären, außer<br />

ihr beiden selbst. Oder meinst du, <strong>es</strong> würde dir helfen, wenn du <strong>Mira</strong> sagen könnt<strong>es</strong>t:<br />

'Gaby sieht das auch so wie ich.'? Doch wohl kaum, oder? Du <strong>wir</strong>st dir schon selber etwas<br />

einfallen lassen müssen. <strong>Mira</strong> möchte in ihrem Zimmer bleiben <strong>und</strong> nicht g<strong>es</strong>tört<br />

werden. Zur Uni will sie heute nicht. Du könnt<strong>es</strong>t also den Wagen nehmen.“ <strong>Mira</strong><br />

brauchte jetzt mein Auto. Sie musste ja immer zum Stillen kommen, <strong>und</strong> auch sonst<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 27 von 34


war <strong>es</strong> für sie im Moment nützlicher als für mich. Im Seminar fiel <strong>es</strong> mir nicht nur<br />

schwer, mich zu konzentrieren, ich bekam überhaupt nichts mit. Ich erklärte, mir sei<br />

nicht gut, holte mir in der Cafeteria einen Kaffee <strong>und</strong> setzte mich damit draußen auf<br />

eine Bank im kalten Novembersturm. Was ich eigentlich denken sollte, wusste ich gar<br />

nicht. Jed<strong>es</strong> mal wenn ich sah, wie <strong>Mira</strong> zu mir g<strong>es</strong>prochen hatte, wurden mir die Augen<br />

feucht. So hatte sie noch nie mit mir geredet, so hätte sie eigentlich nie mit mir reden<br />

können. War das ein Zeichen, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> bislang in einem Traum gelebt hatten, <strong>und</strong> die<br />

Realität ganz anders mit <strong>uns</strong> umgehen könnte. Aber warum sprach sie plötzlich so mit<br />

mir, konnte mich so behandeln? Ich hatte nichts gemacht. Nur ihre Vorstellungen hatten<br />

sie dazu veranlasst, sich so zu enragieren. Was sie sah, hatte ja nie irgendeine praktische<br />

Bedeutung gehabt. Nie hatte sie sich in einer sek<strong>und</strong>ären Position empf<strong>und</strong>en, nie<br />

sich beklagt, <strong>dass</strong> sie mir nicht wichtig genug sei. Woher di<strong>es</strong>e plötzliche Befürchtung,<br />

ja Gewissheit sogar mit der Erklärung, <strong>dass</strong> sie <strong>es</strong> so nicht wolle <strong>und</strong> ertragen könne.<br />

Bislang gab <strong>es</strong> nicht einmal etwas, von dem sie meinte, <strong>es</strong> an mir nicht leiden oder ertragen<br />

zu können. Aber was sollte sich denn überhaupt ändern, <strong>dass</strong> <strong>Mira</strong> <strong>es</strong> würde ertragen<br />

können, sagen, <strong>dass</strong> sie mir das Wichtigste sei? Das hatte ich vorher auch schon<br />

g<strong>es</strong>agt. Sollte ich das Studium fliegen lassen? So ein Unfug. Sie fand <strong>es</strong> ja auch gut <strong>und</strong><br />

mochte mich dafür, <strong>dass</strong> ich so etwas machte. Ratlos<strong>es</strong> Grübeln. Sollte ich das jetzt den<br />

ganzen Tag so weiterbetreiben bis ich nach Hause fuhr? Da wollte ich heute am liebsten<br />

auch gar nicht hin. Ich hatte nichts, wo ich bleiben konnte. Aber was hätte ich jetzt in<br />

meinem Apartment anfangen sollen? Spazieren gehen, mir vom Sturm die Haare verwüsten<br />

lassen, das wäre eine Alternative. Ich hatte ja das Auto dabei, konnte also in<br />

den ruhigen Forst fahren. Wie ein Kind, das <strong>sein</strong>e Mutter verloren hat, heulte ich auf<br />

dem Weg, den <strong>Mira</strong> <strong>und</strong> ich damals am Samstag gemeinsam gegangen waren. Ein wenig<br />

war <strong>es</strong> auch wohl so. Viel<strong>es</strong> von dem, was ein Kind bei <strong>sein</strong>er Mutter findet <strong>und</strong> was<br />

für den Menschen <strong>sein</strong> ganz<strong>es</strong> Leben über von großer Bedeutung bleibt, hatten <strong>wir</strong> in<br />

<strong>uns</strong>erer Beziehung g<strong>es</strong>ehen, <strong>und</strong> <strong>es</strong> hatte <strong>uns</strong> glücklich <strong>sein</strong> lassen. Für sicher <strong>und</strong><br />

selbstverständlich hatte ich <strong>es</strong> gehalten, da <strong>es</strong> ja auf Gegenseitigkeit beruhte. Keiner<br />

würde <strong>es</strong> zerbrechen wollen. Doch jetzt schien <strong>es</strong> auf dem Wege, für mich verloren zu<br />

gehen.<br />

Ich bin nicht deine Zweitfrau<br />

An meinen Gedanken <strong>und</strong> Vorstellungen hatte sich nichts geändert, aber der wüste Umgang<br />

d<strong>es</strong> Sturms mit den Kronen <strong>und</strong> Ästen der ehrwürdigen alten Bäume, der von ihnen<br />

die Herausgabe auch d<strong>es</strong> letzten Blatt<strong>es</strong> forderte, schaffte eine Atmosphäre zu der<br />

mein zaghaft<strong>es</strong> Zaudern nicht mehr passte. Gef<strong>es</strong>tigt fuhr ich nach Hause. Ich hatte mir<br />

einen Espr<strong>es</strong>so gemacht, saß am Küchentisch <strong>und</strong> schaute in die Zeitung. Peter kam<br />

rein, sah mich mit hochgezogenen Brauen an <strong>und</strong> meinte: „Ehekrise?“ „Ja, so könnte<br />

man das bezeichnen.“ antwortete ich mit einem gequälten Lächeln. „Ist <strong>es</strong> denn<br />

schlimm?“ fragte Peter noch. Ich zuckte mit den Schultern, <strong>und</strong> Peter hielt mir mit einer<br />

Hand den Unterarm. „Ihr werdet das schon packen.“ meinte er tröstend. Wir saßen beide<br />

stumm Zeitung l<strong>es</strong>end nebeneinander am Tisch, als Gaby aus <strong>Mira</strong>s Zimmer kam.<br />

Nachdem sie Windeln entsorgt <strong>und</strong> ander<strong>es</strong> in die Wäsche gegeben hatte, sagte sie:<br />

„<strong>Mira</strong> fragt, ob du mit ihr sprechen würd<strong>es</strong>t.“ Was hatte das denn zu bedeuten, 'ob ich<br />

mit ihr sprechen würde', Nahm sie etwa an, <strong>dass</strong> ich <strong>es</strong> eventuell ablehnen könnte,<br />

mich mit ihr zu unterhalten? <strong>Mira</strong> saß auf dem Bett <strong>und</strong> hatte verweinte Augen. Sie versuchte<br />

ein Lächeln. „Setz dich doch zu mir, <strong>Laurent</strong>!“ forderte sie mich auf. Leicht <strong>uns</strong>icher<br />

saßen <strong>wir</strong> am Kopf d<strong>es</strong> Bett<strong>es</strong> nebeneinander <strong>und</strong> schauten <strong>uns</strong> an: <strong>Mira</strong> streichel-<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 28 von 34


te meine Wange <strong>und</strong> lächelte wieder. „Ich habe dich beleidigt, nicht wahr? Ich will das<br />

nicht. Es tut mir leid, ganz schrecklich leid. Mir war nur vor längerer Zeit schon mal aufgefallen,<br />

<strong>dass</strong> <strong>es</strong> für <strong>uns</strong> beide ganz anders läuft. Mein Studium <strong>und</strong> später meinen Job<br />

werde ich machen, werde <strong>es</strong> ordentlich machen, aber <strong>es</strong> <strong>wir</strong>d nie mein Leben <strong>sein</strong>. Es<br />

hat für mich eine Funktion wie Hausaufgaben, mein Leben findet anderswo statt. Bei dir<br />

ist <strong>es</strong> aber anders. Es ist nicht eine Pflicht die du erfüllen musst, <strong>es</strong> bedeutet dir etwas,<br />

du machst <strong>es</strong> gern. Ich wollte das eigentlich nur mal mit dir ansprechen <strong>und</strong> habe mich<br />

dann völlig verrannt. Wir sind keine anderen Menschen <strong>und</strong> ich empfinde mich auch<br />

nicht als deine Zweitfrau. Ich weiß, <strong>dass</strong> du mich über all<strong>es</strong> liebst <strong>und</strong> ich dir außerordentlich<br />

viel bedeute. Meinst du, <strong>es</strong> könnte all<strong>es</strong> so werden, als ob das nicht g<strong>es</strong>chehen<br />

wäre, <strong>Laurent</strong>?“ fragte sie, <strong>und</strong> ich meinte: „Nein, nein <strong>Mira</strong>, für so völlig abwegig <strong>und</strong><br />

uninter<strong>es</strong>sant halte ich das gar nicht, was du g<strong>es</strong>agt hast, sonst wär<strong>es</strong>t du ja auch nicht<br />

darauf gekommen. Dass du dich daran orientierst, wo du die meiste, dir am bedeutsamsten<br />

erscheinende Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Anerkennung bekommst, ist fast überall so.<br />

Schau dir doch mal die ganzen Teeni<strong>es</strong> an, die alle Stars werden wollen. Öffentlich bew<strong>und</strong>ert<br />

werden, welch größere Aufmerksamkeit gibt <strong>es</strong>. Natürlich bedeutet <strong>es</strong> mir auch<br />

etwas, zu erfahren, <strong>dass</strong> du etwas weißt, etwas kannst, das andere dich beachten <strong>und</strong><br />

anerkennen, <strong>es</strong> ist nicht unwichtig. Aber ich glaube, bei dir <strong>wir</strong>d <strong>es</strong> nicht viel anders<br />

<strong>sein</strong>. Alle brauchen das mehr oder weniger intensiv. In deiner Vorstellung <strong>wir</strong>st du nicht<br />

nur die Frau mit einem netten Fre<strong>und</strong> <strong>sein</strong>, sondern auch die Frau, die mit ihrer Klugheit,<br />

ihrer Intelligenz, ihrem Humor etc. zufrieden ist <strong>und</strong> das bekommst du durch etwas<br />

b<strong>es</strong>tätigt. Es gibt etwas das dir als eine solche Frau Aufmerksamkeit schenkt dich<br />

anerkennt. Deine Selbstachtung <strong>und</strong> deine Selbstwertschätzung sind durchwoben von<br />

Anerkennungen <strong>und</strong> wären ohne entsprechende Aufmerksamkeit die dir zuteil <strong>wir</strong>d nicht<br />

denkbar. Vor allem aber ist dein Selbstbild doch viel differenzierter. Ich denke nicht, das<br />

ich sagen kann, ich definiere mich über meine Arbeit, ich bin w<strong>es</strong>entlich mehr. Ich bin<br />

auch der, der Literatur liebt, der sich gern Opern anschaut <strong>und</strong> viel<strong>es</strong>, viel<strong>es</strong> mehr. All<strong>es</strong><br />

was du an mir entdeckst <strong>und</strong> viel<strong>es</strong> was du noch nicht an mir entdeckt hast. Eine Dichotomie<br />

Arbeit oder Beziehung kann <strong>es</strong> nicht geben. Meine Persönlichkeit gleicht ehr einem<br />

Biotop mit vielen darin vorkommenden Einzelbereichen die miteinander agieren<br />

<strong>und</strong> schon mit einander harmonieren müssen. Oder kannst du das gar nicht so ähnlich<br />

sehen, <strong>Mira</strong>?“ <strong>Mira</strong> sah mich ernst an, dann lächelte sie <strong>und</strong> mit einem lachenden „Herr<br />

Berger, sie sind ja so gebildet.“ fiel sie über mich her. Wir balgten <strong>und</strong> küssten <strong>uns</strong>. <strong>Mira</strong><br />

saß halb auf mir <strong>und</strong> stützte sich mit ihrem Armen in Höhe mein<strong>es</strong> Kopf<strong>es</strong> auf dem Bett<br />

ab. Sie schaute in meine Augen <strong>und</strong> fragte: „Jetzt?“ Natürlich. Wir b<strong>lieben</strong> einfach<br />

aufeinander liegen, jeder betastete mit <strong>sein</strong>en Fingern das erschöpfte glückliche G<strong>es</strong>icht<br />

d<strong>es</strong> anderen. „Ich glaube ein bisschen gehört das zur Liebe doch schon dazu. Würde<br />

zumind<strong>es</strong>t ganz gut dazu passen, nicht wahr?“ sinnierte <strong>Mira</strong> <strong>wir</strong> lachten <strong>und</strong> rollten <strong>uns</strong><br />

auf die Seite.<br />

Nalanis Club<br />

Nalani hatte von alledem nichts mitbekommen. Wenn sie schlief, lebte sie anscheinend<br />

in einer anderen Welt, in der sie Geräuschen <strong>und</strong> Belästigungen aus di<strong>es</strong>er Welt nicht<br />

zugänglich war. Wir hatten <strong>uns</strong> gerade zum Abendbrot g<strong>es</strong>etzt, als Nalani mitteilte, <strong>dass</strong><br />

sie sich jetzt wieder in di<strong>es</strong>er Welt befinde: „Nalani, wer <strong>wir</strong>d denn so ein G<strong>es</strong>chrei machen?<br />

Freudenlieder musst du singen, ja, etwa so:<br />

Freut euch, ihr Nalanis alle!<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 29 von 34


Freue sich, wer immer kann:<br />

<strong>Laurent</strong> hat viel an <strong>uns</strong> getan.<br />

Freude, Freude über Freude:<br />

Mami wehret allem Leide.<br />

Wonne, Wonne über Wonne:<br />

<strong>Laurent</strong> ist die Gnadensonne.<br />

Nalani hatte <strong>Mira</strong> die ganze Zeit mit erstaunten großen Augen ang<strong>es</strong>tarrt. Wir hatten ihr<br />

ja sonst auch immer etwas vorg<strong>es</strong>ungen. Kinderlieder oder Schlafliedchen, aber in eine<br />

di<strong>es</strong>er Kategorien schien das soeben Vernommene überhaupt nicht zu passen. Etwas<br />

völlig Neu<strong>es</strong> musste sie gerade erlebt haben, zumal <strong>Mira</strong> <strong>es</strong> den weihnachtlich huldvollen<br />

Sphären entrissen <strong>und</strong> näher in den Bereich von Schlachtg<strong>es</strong>ängen jubelnder Fußballfans<br />

gebracht hatte. Vielleicht würde sie bei der Stärkung an <strong>Mira</strong>s Brust ja nochmal<br />

darüber nachdenken, wo so etwas in ihrer neuen Welt wohl am b<strong>es</strong>ten einzuordnen<br />

wäre. Wenn sie g<strong>es</strong>ättigt war, hatte sie Muße sich zu orientieren. Mitglied der R<strong>und</strong>e am<br />

Küchentisch zu <strong>sein</strong>, war eine ihrer bevorzugten Positionen. Sie meldete sich dann zu<br />

Wort <strong>und</strong> erwartete, das eine oder einer ihrer Stammtischkollegen darauf reagierte. Es<br />

ergaben sich oft lustige Szenen, <strong>und</strong> wenn alle lachten, lachte Nalani auch. Das Menschen<br />

Sozialw<strong>es</strong>en sind, nicht nur weil sie das Erste <strong>und</strong> W<strong>es</strong>entlichste aus den Kontakten<br />

zu ihrer Mutter lernen, sondern auch von Anfang an die Kommunikation mit anderen<br />

Menschen wünschen, suchen <strong>und</strong> <strong>lieben</strong>, wo konnte man das in der Praxis deutlicher erkennen<br />

als an <strong>uns</strong>erem Groupie Nalani.<br />

Familiensaga<br />

Ob das die Vorgabe für einen Rhythmus darstellen solle, <strong>und</strong> man davon auszugehen<br />

habe, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> jetzt alle sechs bis sieben Monate zerstreiten würden, wollte Peter<br />

wissen. „Ja, genau Dad, nur die Abstände werden immer kürzer werden, so<strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>uns</strong><br />

irgendwann permanent streiten werden. So wie ich das jetzt am liebsten mit dir möchte.<br />

Du bist unmöglich. Hast du dich denn nie mit Mutti g<strong>es</strong>tritten? Wenn du jetzt 'nein'<br />

sagst, dann lügst du.“ reagiert <strong>Mira</strong>. „Ich denke, man sollte nur ein wenig vorsichtig<br />

<strong>sein</strong>. Einmal G<strong>es</strong>agt<strong>es</strong> ist nicht wieder aus der Welt zu bekommen, auch wenn man sich<br />

für all<strong>es</strong> entschuldigt <strong>und</strong> all<strong>es</strong> verziehen <strong>wir</strong>d. Der M<strong>und</strong>, der dich einmal 'Idiot' genannt<br />

hat, <strong>wir</strong>d immer der bleiben, der das potentiell wieder tun könnte. Auch wenn du<br />

sehr erbost bist, sollt<strong>es</strong>t du versuchen, dich zu bremsen, damit du dich nicht zu etwas<br />

hinreißen lässt, was du hinterher nicht gewollt hätt<strong>es</strong>t. Ung<strong>es</strong>chehen zu machen ist <strong>es</strong><br />

nicht wieder. Ich habe dich doch auch nie 'Idiot' genannt, Schatz, nicht war? Obwohl du<br />

dich manchmal sehr idiotisch benommen hast.“ schloss Gaby lachend an Peter gewandt<br />

<strong>uns</strong> strich ihm dabei übers Haar. „Ach Gaby, das hätte ich dir doch durchgehen lassen<br />

bei deiner Exaltiertheit.“ reagiert Peter <strong>und</strong> an mich gewandt fuhr er fort, „Stell dir vor,<br />

da wollte sie doch ...“ <strong>und</strong> dann erzählte er eine Story, die alle zum Lachen brachte.<br />

Gaby konterte mit einer ebensolchen. St<strong>und</strong>enlang b<strong>lieben</strong> <strong>wir</strong> am Tisch sitzen <strong>und</strong><br />

bogen <strong>uns</strong> oft vor Lachen über Kurios<strong>es</strong> aus der Historie d<strong>es</strong> Schönfeldschen<br />

Familienlebens. <strong>Mira</strong> konnte auch einig<strong>es</strong> dazu beisteuern, <strong>und</strong> die Omi schien auch in<br />

di<strong>es</strong>en Kreis gepasst zu haben. Das, was man sich gemeinhin unter einer normalen<br />

biederen Kleinfamilie vorzustellen hatte, war auf Schönfelds wohl nicht anwendbar, <strong>und</strong><br />

zu dem Bild ein<strong>es</strong> Anwaltsehepaar<strong>es</strong> mit einem Kind passte <strong>es</strong> erst recht nicht. Es gefiel<br />

mir, gefiel mir sehr, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> sich bei <strong>uns</strong> jemals zu einem routinehaften familialen<br />

Alltagstrott entwickeln könnte, di<strong>es</strong>e Furcht schien bei der Charakteristik d<strong>es</strong> Systems<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 30 von 34


der Familie Schönfeld ausg<strong>es</strong>chlossen.<br />

Wintertim<strong>es</strong><br />

Es wurde Winter, das erste gemeinsame Weihnachtsf<strong>es</strong>t mit einem lebendigen Christkindchen<br />

konnte gefeiert werden, <strong>und</strong> Nalanis Köpfchen schien sich jeden Tag mit neuen<br />

Erkenntnissen <strong>und</strong> Kombinationen vollsaugen zu wollen. <strong>Mira</strong> kannte mittlerweile<br />

ganz viele Lieder, <strong>und</strong> die G<strong>es</strong>angsst<strong>und</strong>en genossen hoh<strong>es</strong> Ansehen bei Nalani. Ich hatte<br />

ihr mal ein Morgenstern Gedicht vorgetragen. Sie konnte ja nichts davon verstehen,<br />

aber die Theatralik meiner Sprache <strong>und</strong> der Mimik schienen ihr dabei sehr zu gefallen.<br />

Dass der kleine H<strong>und</strong> mit Namen Fips vom Onkel einen Schlips erhielt, begeisterte sie<br />

klanglich so, <strong>dass</strong> sie immer laut kicherte, als ob ich sie gekitzelt hätte. Die Zeiten würden<br />

härter werden. Im nächsten Sem<strong>es</strong>ter standen für <strong>uns</strong> beide Examina an <strong>und</strong> <strong>uns</strong>er<br />

privat verfügbarer Zeitraum würde schrumpfen. Eine Kinderfrau zu engagieren, hatte<br />

Gaby strickt zurückgewi<strong>es</strong>en. Sie schmuse sowi<strong>es</strong>o viel lieber mit Nalani, als in der<br />

Kanzlei Streitigkeiten vor Gericht zu bringen. Die Tage wurden länger <strong>und</strong> wärmer <strong>und</strong><br />

Madam begann, die Welt außerhalb der Wohnung im Sportwagen visuell zu okkupieren.<br />

Die Wahrnehmung di<strong>es</strong>er vielfältigen neuen Eindrücke schien jedoch nicht wenig anstrengend<br />

zu <strong>sein</strong>, so<strong>dass</strong> Nalani immer schon auf dem Weg eine Recreationsphase benötigte<br />

<strong>und</strong> regelmäßig nach kurzer Zeit einschlief.<br />

Was würden <strong>wir</strong> denn eigentlich im Mai machen? Ein groß<strong>es</strong> F<strong>es</strong>t veranstalten? Wir wollten<br />

auf jeden Fall ins Bistro, <strong>und</strong> Nalani sollte auch mit. Sie war ja damals auch dabei<br />

gew<strong>es</strong>en. Jetzt würde sie sehen können, wie der Herr Ingenieur <strong>sein</strong>en Espr<strong>es</strong>so trank,<br />

aber ich war der Ansicht, <strong>es</strong> dürfte <strong>uns</strong> schwer fallen, ihr den Bedeutungsgehalt di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Szenarios nahe zu bringen. <strong>Mira</strong> sah das völlig anders. Sie würde <strong>es</strong> Nalani erklären.<br />

Dass sie ihr zuhöre, sei sicher, <strong>und</strong> wie sie <strong>es</strong> hinterher interpretiere, sei schließlich ihre<br />

Sache, das stünde ihr ja genauso frei, wie jedem anderen Menschen auch. Ja, Nalani<br />

hatte viel zu interpretieren, denn <strong>Mira</strong> erzählte ihr all<strong>es</strong> Mögliche, meistens den größten<br />

Blödsinn, aber Nalani hörte immer mit aufmerksamem Inter<strong>es</strong>se zu <strong>und</strong> mischte sich in<br />

Pausen oder auf Fragen mit eigenen Beiträgen ein. Wir wollten <strong>es</strong> <strong>uns</strong> einfach zu Hause<br />

gemütlich machen. Essen gehen wollten <strong>wir</strong> nicht, aber zu Hause sollte <strong>es</strong> schon ein<br />

nett<strong>es</strong> Menü geben.<br />

Jahr<strong>es</strong>feierlichkeiten<br />

Nachmittags im Bistro mussten <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> immer wieder Küssen <strong>und</strong> anstrahlen. Wer <strong>uns</strong><br />

zusah, hielt <strong>uns</strong> b<strong>es</strong>timmt nicht für wenig crazy. Wir waren ja schließlich keine Teeni<strong>es</strong><br />

mehr, bei denen man das noch als nicht ungewöhnlich hätte durchgehen lassen. Als <strong>wir</strong><br />

das Bistro verließen, vielen <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> um den Hals <strong>und</strong> mussten schrecklich lachen. Ein<br />

wenig skurril mutete der Bistrob<strong>es</strong>uch schon an, aber er war auch mit Sentiments verb<strong>und</strong>en.<br />

Es war richtig <strong>und</strong> o. k. gew<strong>es</strong>en, <strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>es</strong> gemacht hatten, aber im nächsten<br />

Jahr würden <strong>wir</strong> <strong>es</strong> nicht mehr brauchen. Es würde ein albern<strong>es</strong> Ritual <strong>sein</strong>, <strong>wir</strong> waren<br />

woanders. Der gemütliche Abend blieb am Esstisch hängen. Bis <strong>wir</strong> ins Bett gingen<br />

saßen <strong>wir</strong> bei Speiser<strong>es</strong>ten, Wein <strong>und</strong> Käse am Tisch. Unsere G<strong>es</strong>präche waren so intensiv,<br />

<strong>dass</strong> <strong>wir</strong> <strong>es</strong> als störend empf<strong>und</strong>en hätten, die Lokalitäten wechseln zu müssen. Das<br />

Aufregendste konnte Peter berichten. Unser Haus stand zum Verkauf, <strong>und</strong> Peter fragte,<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 31 von 34


was <strong>wir</strong> davon hielten, <strong>es</strong> zu kaufen. Finanziell stelle <strong>es</strong> für Schönfelds kein Problem dar.<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> ich schauten <strong>uns</strong> an. Heute hatte b<strong>es</strong>timmt der Himmel die Erde nicht still geküsst,<br />

<strong>und</strong> den Mond konnte man wegen der Wolkendecke auch nicht sehen, aber Peter<br />

hatte di<strong>es</strong>en Tag trotzdem zu einem w<strong>und</strong>erschönen Maientag werden lassen. Das erforderliche<br />

Küssen b<strong>es</strong>orgten <strong>Mira</strong> <strong>und</strong> ich schon persönlich <strong>und</strong> <strong>uns</strong>ere Seelen schwebten<br />

allemal. Wie hätte man <strong>es</strong> in Erwägung ziehen können, das Haus nicht zu kaufen? Es<br />

war eine w<strong>und</strong>erschöne alte Anwaltsvilla mit drei Etagen <strong>und</strong> einer kleineren Dachg<strong>es</strong>chosswohnung.<br />

Im Parterre, das früher mal die Praxisräume beherbergt hatte, sollten<br />

<strong>wir</strong> mit Nalani wohnen, Gaby <strong>und</strong> Peter b<strong>lieben</strong> hier in der ersten Etage. Die zweite Etage<br />

sollte vermietet werden. Dass dort Bernd <strong>und</strong> Uta einziehen würden, wünschten <strong>wir</strong><br />

nicht nur, sondern hielten <strong>es</strong> für so gut wie sicher. Bernd war mein b<strong>es</strong>ter Fre<strong>und</strong> aus<br />

der WG. Er wohnte dort auch nicht mehr, weil er Uta kennengelernt, sich in sie verliebt<br />

<strong>und</strong> mit ihr eine gemeinsame Wohnung hatte. Wir trafen <strong>uns</strong> öfter, mochten <strong>uns</strong> alle gegenseitig,<br />

<strong>und</strong> Bernd vermisste auch trotz Uta die umfänglichen Kommunikationsmöglichkeiten<br />

der WG. Würde <strong>es</strong> irgendetwas geben können, <strong>dass</strong> <strong>es</strong> Bernd <strong>und</strong> Uta nicht<br />

auch als W<strong>uns</strong>chvorstellung erscheinen ließe, mit <strong>uns</strong> zusammen zu wohnen. Ob die<br />

kleine Dachg<strong>es</strong>chosswohnung überhaupt wieder vermietet werden solle, oder ob <strong>wir</strong><br />

eventuell selber Bedarf für die Räume haben könnten, wollten <strong>wir</strong> später entscheiden.<br />

Dass <strong>wir</strong> dabei <strong>und</strong> der Planung weiterer Details kein Inter<strong>es</strong>se hatten, <strong>uns</strong> mit solchen<br />

Quisquilien wie Gedanken über den aktuellen Sitzort zu befassen, war naheliegend. <strong>Mira</strong><br />

war der Ansicht, zur Feier d<strong>es</strong> einjährigen B<strong>es</strong>tehens <strong>uns</strong>erer Liebe seien gemeinsame<br />

Tänze unverzichtbar. Tatsächlich schien <strong>es</strong> aber wohl mehr die Freude über die zukünftige<br />

Perspektive zu <strong>sein</strong>, die sie körperlich mit mir ausagieren wollte. „Das sollten <strong>wir</strong> öfter<br />

machen.“ erklärte <strong>Mira</strong>, legte dann aber etwas Blu<strong>es</strong>ig<strong>es</strong> auf, schmiegte sich eng an<br />

mich <strong>und</strong> meinte. „<strong>Laurent</strong> mein Allerliebster, ich kann <strong>es</strong> nicht einfach so fassen. Ich<br />

spüre, wie <strong>es</strong> in meinem Bauch kribbelt, als ob eine Sonne aufgehen <strong>und</strong> der Himmel<br />

sich weit öffnen würde.“ „Und die Erde still geküsst hätte.“ ergänzte ich. „Was ist das?<br />

Das kenne ich irgendwo her.“ wollte <strong>Mira</strong> wissen. „In den schönen Maiennächten passiert<br />

das schon mal öfter.“ Und dann sprach ich ihr leise die Mondnacht vor. „Und deine<br />

Seele ist in einer Maiennacht <strong>wir</strong>klich nach Hause geflogen. Und ein Jahr später <strong>wir</strong>d sie<br />

ein w<strong>und</strong>erschön<strong>es</strong> groß<strong>es</strong> neu<strong>es</strong> Zuhause mit Fre<strong>und</strong>en bekommen. Meine Liebe hat<br />

eine gute Wahl getroffen, weil deine Seele mit den Maiennächten, in denen sich Himmel<br />

<strong>und</strong> Erde küssen, im B<strong>und</strong>e steht.“ sprach sie, während ihre Lippen meine zum Küssen<br />

suchten. „Und so schrecklich gebildet bist du.“ verkündete sie lachend, wobei sie mir<br />

kräftig in den Bauch boxte <strong>und</strong> wegrannte. Sie war aus ihren Maienträumen zurückgekehrt,<br />

<strong>und</strong> hätte wahrscheinlich am liebsten mit mir Fangen g<strong>es</strong>pielt oder Ähnlich<strong>es</strong>.<br />

Übermütig vor Freude schien <strong>Mira</strong>. Dass <strong>wir</strong> <strong>uns</strong> heute Abend nicht <strong>lieben</strong> würden, war<br />

auszuschließen.<br />

Erweiterte Ansicht<br />

Ich musste meine Ansichten erweitern. An di<strong>es</strong>en w<strong>und</strong>erschönen Maientagen schien<br />

nicht nur der Himmel die Erde still zu küssen, sondern auch das Schicksal schien sich<br />

mit einem Kuss <strong>uns</strong> zuzuwenden. Aber wie hatte ich mir das vorzustellen. Dass der<br />

Himmel sich der Erde zuwendet, eine süße Vorstellung. Dass <strong>es</strong> die Erde veranlasste<br />

von ihm zu träumen, war nur zu verständlich. Aber das Fatum? Konnte man dazu denn<br />

poetische oder lyrische Assoziationen entwickeln? Mir gelang <strong>es</strong> nicht. Nicht nur <strong>dass</strong> <strong>es</strong><br />

ein Neutrum war, störte dabei, <strong>es</strong> b<strong>es</strong>ingen zu können, auch <strong>sein</strong>e stoische Verfasstheit,<br />

<strong>sein</strong>e starre F<strong>es</strong>tlegung ließen Gedanken an eine lyrisch flexible G<strong>es</strong>chmeidigkeit als<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 32 von 34


Gr<strong>und</strong>lage für ein emotional gewünscht<strong>es</strong> Mitschwingen nicht zu. Wahrscheinlich war <strong>es</strong><br />

aber auch gar nicht das g<strong>es</strong>amte Schicksal in <strong>sein</strong>er rüden Determiniertheit, das <strong>uns</strong> jed<strong>es</strong><br />

Jahr in den Maientagen di<strong>es</strong>e G<strong>uns</strong>t erwi<strong>es</strong>. Di<strong>es</strong>er g<strong>es</strong>amte Fatalismus war mir im<br />

Gr<strong>und</strong>e sowi<strong>es</strong>o <strong>uns</strong>ympathisch. In keinem der von mir als angenehm empf<strong>und</strong>enen<br />

emotionalen Bereiche ließen sich irgendwo Assoziationen zum Fatalen finden. Mich mutete<br />

viel mehr an, <strong>dass</strong> Tyche während d<strong>es</strong> Kuss<strong>es</strong> vom Himmel zur Erde herab stieg,<br />

vermittels ihrer Flügel über die stillen Lande zu <strong>uns</strong> nach Hause flog <strong>und</strong> dort ihr Füllhorn<br />

über <strong>uns</strong> ausschüttete. Vielleicht würde sie in einer späteren Maiennacht ja auch<br />

noch mal den kleinen Pluto bei <strong>uns</strong> absetzen, aber ang<strong>es</strong>ichts <strong>uns</strong>erer Berufe, hielt ich<br />

das doch eher für nicht so sehr wahrscheinlich.<br />

FIN<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 33 von 34


Es war, als hätt der Himmel<br />

Die Erde still geküsst,<br />

Dass sie im Blütenschimmer<br />

Von ihm nun träumen müsst.<br />

Joseph von Eichendorff, Mondnacht<br />

„<strong>Kann</strong> <strong>es</strong> <strong>sein</strong>, <strong>dass</strong> das<br />

mal Liebe werden soll?“<br />

erk<strong>und</strong>igt sich <strong>Mira</strong> bei <strong>Laurent</strong>.<br />

<strong>Laurent</strong> hatte <strong>Mira</strong><br />

nach Hause gebracht.<br />

Sie war noch nie richtig verliebt<br />

<strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> auch nicht.<br />

<strong>Laurent</strong> vermutet,<br />

<strong>dass</strong> <strong>es</strong> auch mit dem Mai<br />

zu tun haben muss.<br />

<strong>Mira</strong> <strong>und</strong> <strong>Laurent</strong> – Seite 34 von 34

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