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Albvereinsblatt_2001-3.pdf

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vorführte. Mit ein paar Handgriffen klappte sie die<br />

„Schnarrhaken“ an den Saiten um, Eric Kleinmann sagte<br />

warnend: „Jetzt fallen gleich die Engel vom Plafond!“, Petra<br />

ließ die Volksmusikharfe schnarren – und das Publikum<br />

amüsierte sich ob der ungewohnten Töne köstlich.<br />

Die Schnarrhaken der „Hechinger Harfe“ sind außergewöhnlich<br />

groß und aufwendig gefertigt. Mit ihrer Hilfe<br />

wird ein vibrierender Schnarrton erzeugt, der nichts mit<br />

dem gewohnten Harfenklang zu tun hat. Schnarrhaken<br />

waren im Spätmittelalter und in der Renaissance fast an<br />

jeder Harfe angebracht. Die „Hechinger Harfe“ ist die<br />

einzige, an der originale Schnarrhaken erhalten sind, so<br />

dass ein authentischer Nachbau möglich war. Um 1750<br />

gehört die „schnarrende“ Harfe eher zur Volksmusik.<br />

Damals gab es Musiker, die durch die Lande zogen und<br />

auf Plätzen oder in Wirtshäusern aufspielten.<br />

Die „Balinger Harfe“<br />

Ein weiterer Zufall brachte Manfred Stingel auf die Spur<br />

einer solchen Musikerfamilie, die ganz in der Nähe von<br />

Balingen-Dürrwangen, im Balinger Stadtteil Weilstetten,<br />

ansässig war. Ein Mitglied dieser Musikantenfamilie Kiefer<br />

gab eine Harfe bei Stadtarchivar Dr. Hans Schimpf-<br />

Reinhardt in Balingen ab für das dortige Museum. Achivar<br />

Schimpf gab die „Balinger Harfe“ zur Restaurierung an Eric<br />

Kleinmann und informierte Manfred Stingel, der sogleich<br />

auch einen Nachbau der „Balinger Harfe“ bei Eric Kleinmann<br />

bestellte. Sie wird vermutlich im Herbst fertig sein.<br />

Stingel machte sich auf die Suche nach dem Ursprung der<br />

„Balinger Harfe“; ihm half ein alter Dürrwanger Spruch: „Will<br />

einer gut leben, muß er nach Weilheim gehen“. Weilstetten<br />

hieß früher Weilheim. Er traf dort Nachfahren der Familie<br />

Kiefer, die gerne Auskunft gaben und Familienfotos zeigten.<br />

Musiker und Harfenbesitzer war Johann Georg Kiefer,<br />

geboren am 14. Mai 1827 in Altstadt, gestorben am 18.<br />

März 1899 in Weilheim. Seine Ehefrau Anna Maria Kiefer,<br />

geb. Schweizer (geboren am 1. Januar 1831 in Dietzenbach,<br />

gestorben am 2. Januar 1909 in Weilheim), hat wohl die<br />

Harfe gespielt. Man erzählt sich in der Familie, dass die<br />

beiden Musiker sehr viel Straßenmusik gemacht, aber auch<br />

bei „großen und feinen Leuten“ aufgespielt hätten – selbst<br />

im Schlosshof in Stuttgart.<br />

Das musikalische Talent hat sich in der Familie weitervererbt.<br />

Der Urenkel der Harfenspielerin, Konrad Kiefer<br />

(1905-1964), hat mit 20 Jahren das Geigenspiel erlernt,<br />

leitete den Singkreis und den Gesangverein in Weilheim<br />

sowie die Kirchenchöre in Ostdorf und Dürrwangen.<br />

Spielen lernen im Harfenseminar<br />

Wenn bei der Volkstanzgruppe Frommern im Haus der<br />

Volkskunst in Balingen-Dürrwangen eine Harfe vorhanden<br />

ist, so muss sie auch gespielt<br />

werden. Das muss man aber erst<br />

lernen. Also veranstaltete der<br />

Volkstanzrat im Schwäbischen<br />

Albverein ein Harfen-Seminar am<br />

24./25. März. Petra Kruse und Eric<br />

Kleinmann brachten den 20 (!) Teilnehmern<br />

die Grundlagen des<br />

Harfenspiels bei. Nach der Melodie<br />

des einfachen schwäbischen Lieds<br />

„Fiderix ond fiderax ond koi Fink<br />

ischt koi Spatz ond koi Spatz ischt<br />

koi Fink ond wenn er no so schöa<br />

19<br />

singt“ durfte man die Saiten der verschiedenen Harfen<br />

klingen lassen – fröhlicher geht es wohl nicht mehr. Nora<br />

Seiwert (14 Jahre, Bild unten) von der Volkstanzmusik<br />

Frommern, der die „Hechinger Harfe“ als Leihinstrument<br />

übergeben wurde, versuchte ihr Bestes auf dem neuen<br />

Instrument. Die Teilnehmer waren überwiegend aus<br />

Süddeutschland, aber auch aus der Schweiz angereist und<br />

durften am Abend noch ein ganz besonderes Konzert<br />

erleben.<br />

Nancy Thym, eine Amerikanerin, die seit vielen Jahren in<br />

Deutschland lebt, bot ihr „Einfrau-Musical“ mit Theater,<br />

Gesang und Harfenspiel. „Mit der Harfe die Dirne<br />

beschwert“ hat sie ihr Stück genannt, in dem sie eine<br />

böhmische Wanderharfenistin darstellt. Die tiefschürfende<br />

Forscherin und begnadete Harfenistin hat das Ergebnis<br />

ihrer Forschungen über das Leben der böhmischen<br />

Wanderharfenspieler und -spielerinnen in ein phantastisches<br />

Bühnenprogramm gepackt. Die Wanderharfenspieler<br />

aus Böhmen zogen durch Europa, ja fast durch die<br />

ganze Welt. Ihr Beruf war es, die Leute mit Harfenmusik<br />

und mit Liedern zu unterhalten. Es war kein einfaches<br />

Leben, stets auf Wanderschaft, in Krankheit und Not.<br />

Nancy Thym forschte vor Ort in Böhmen in einem Dorf, das<br />

inzwischen in einem Stausee versunken ist. Nur die Lieder<br />

gibt es noch. Genau dort wurden die „Balinger Harfen“<br />

nachgebaut; 25 Exemplare sind erhalten. Nancy, die im<br />

März für ihre Arbeit mit dem Kulturpreis des Landkreises<br />

Freising ausgezeichnet wurde, versteht es, mit ihren<br />

Liedern, ihren Texten und ihrem schauspielerischen Talent,<br />

das Publikum in das Leben und die Lebensweise der<br />

damaligen Harfenistinnen zu versetzen. Man leidet mit und<br />

wird durch die sehr gefühlvollen Lieder auch emotional<br />

sehr angesprochen. Geschichte und Geschichten wurden<br />

lebendig.<br />

Das fanden auch die Mitglieder der Familie Kiefer, die zum<br />

Konzert gekommen waren. Auch die Enkelin der<br />

Wanderharfenistin, von deren Schicksal Nancy Thym so<br />

anschaulich berichtete, war anwesend.<br />

Jetzt heißt es für die Harfenspieler der „Hechinger Harfe“<br />

zunächst einmal: „Üben!“ Man darf gespannt sein auf das<br />

Ergebnis, und vor allem auf das, was die Volkstanzgruppe<br />

Frommern im Zusammenklang mit<br />

den anderen historischen<br />

Instrumenten daraus macht. Eine<br />

zweite „Hechinger Harfe“ ist,<br />

ebenso wie die „Balinger Harfe“,<br />

bei Eric Kleinmann in Arbeit (Bild<br />

oben). Weitere werden wohl folgen,<br />

denn man kann davon ausgehen,<br />

dass der Volksmusikharfe mit den<br />

witzigen Schnarrhaken eine<br />

ähnliche Renaissance beschert<br />

sein wird wie der „Schwäbischen<br />

Sackpfeife“.<br />

Foto: Volksmusik Frommern<br />

Foto: Th. Pfündel

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