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Neue Szene Augsburg 2013-12

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de

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38 Zoom<br />

TANZEN IST GOLD!<br />

In Zeiten von<br />

Digitalisierung,<br />

Smartphones und Social<br />

Media stirbt ein Trend bei Jugendlichen<br />

einfach nicht aus:<br />

Tanzkurse. Jeder macht ihn.<br />

Aber warum eigentlich? Ein<br />

Experiment. Von Maximilian<br />

Wallner<br />

TANZKURSE HABEN AUCH NACH JAHRZEHNTEN BEI JUGENDLICHEN<br />

NICHTS AN BELIEBTHEIT EINGEBÜSST<br />

Vor etwa vier Jahren habe<br />

ich in der Tanzschule<br />

Trautz & Salmen meinen<br />

ersten Tanzkurs hinter<br />

mich gebracht. „Macht<br />

man halt“, hieß es damals.<br />

Auch heute ist der<br />

Andrang nicht geschrumpft. Und das, obwohl<br />

ganz andere Dinge den Alltag der meisten Jugendlichen<br />

einnehmen. Mein Ziel ist es,<br />

herauszufinden, woher der Ansporn kommt, mit 15<br />

oder 16 Jahren seine wertvollen Wochenendstunden<br />

im Tanzsaal zu verbringen. Und das seit Generationen!<br />

Um möglichst unverfälschte Antworten zu bekommen,<br />

wissen die Jugendlichen nichts von meinem Besuch.<br />

Es ist kurz vor Kursende, der Abschlussball steht an.<br />

Beim Eintreten in den Saal gibt’s einige Blickwechsel.<br />

Man erkennt mich als Unbekannten. Schließlich hat<br />

man die Truppe ja bereits in- und auswendig kennengelernt.<br />

Ich setze mich an den Rand und beobachte<br />

das Geschehen. Es herrscht gute Stimmung. Wider Erwarten<br />

höre und sehe ich kein Kichern und Getratsche.<br />

Die Jugendlichen wirken entspannt und ruhig. Gar so,<br />

als ob sie sich seelisch auf die Tanzstunde vorbereiten<br />

würden.<br />

Es ist Freitagnachmittag, 16.30 Uhr, die Stunde beginnt.<br />

Der Tanzlehrer, ein junger, sportlicher Typ, ergreift<br />

das Wort. Von jetzt an geht alles ziemlich<br />

schnell. Es fallen kaum Worte. Jedes Männchen hat auf<br />

einmal ein Weibchen und der ganze Saal beginnt, sich<br />

zu einem schlechten Disco-Remix von irgendeinem<br />

Song aus den Charts zu bewegen. Die Menge wirkt<br />

konzentriert und voll bei der Sache. Andere Pärchen<br />

werden kaum beachtet. Lieber selbst erst mal nichts<br />

falsch machen. Wie ich da so sitze, merke ich erst, wie<br />

alt viele der Teilnehmer wirken. 15? Niemals.<br />

Ein Junge steht verloren am Rand. Das ist meine<br />

Chance. Mein erstes Opfer: ein junger, trainierter und<br />

etwas kleinerer Typ, der eigentlich sehr sympathisch<br />

wirkt. Erste Erkenntnis: 19 Jahre alt. Da habe ich mich<br />

wohl zu früh auf einen Haufen wildgewordener Teenager<br />

gefreut. Er ist alleine hier. Der Ansporn, hier sein<br />

Wochenende zu „opfern“, sei tatsächlich die sportliche<br />

Aktivität. Und weil es so einfach ist, Leute ohne<br />

Worte kennenzulernen. Schön, ehrlich, gut. Aber denken<br />

hier alle so?<br />

Um das herauszufinden, schnappe ich mir also mehrere<br />

Teilnehmer. Ob von der Tanzfläche herunter oder<br />

direkt auf der Tanzfläche spielt keine Rolle. Das<br />

Schöne ist: Ich fühle mich bei meinen Recherchen<br />

nicht beobachtet, unerwünscht oder als Außenseiter.<br />

Alles geht seinen Gang und jeder tanzt fleißig mit.<br />

Nach etwa fünf Befragten kommt die erste Pause.<br />

Jeans, T-Shirt und Anzugschuhe<br />

Unterdessen sehe ich viele unterschiedliche Kleidungsstile.<br />

Während die meisten Mädchen in ganz<br />

normaler Alltagskleidung kommen, tanzen die Jungs<br />

mehrheitlich aus der Reihe. Anzug, Krawatte, schicke<br />

Schuhe. Da wird aufs Äußere geachtet. Und als Kontrastprogramm<br />

gibt’s Jogginghose mit Sneakers. Auch<br />

schön. Nach ein paar Fotos geht es auch schon weiter.<br />

Die Mädchen suchen die Jungs, nicht andersherum<br />

Der Tanzlehrer fordert zur nächsten Runde auf. Ein<br />

neuer Partner muss her. Obwohl die meisten bereits<br />

ihren Abschlussballpartner haben, soll weiterhin getauscht<br />

werden. „Das festigt die Schritte“, heißt es.<br />

Aber auch hier zeigen sich die Folgen der Emanzipation.<br />

Bei der Suche halten sich die Jungs zurück. Die<br />

meisten bleiben sogar stehen, tuscheln, tänzeln ein<br />

bisschen herum, bis sich endlich ein Mädchen erbarmt<br />

und einen der Helden schnappt. Trotzdem dauert es<br />

keine zehn Sekunden und jeder Topf hat wieder einen<br />

Deckel.<br />

Die zweite Hälfte verläuft reibungsfrei. Ich frage und<br />

bekomme Antworten. Meine „Undercover-Reportage“<br />

funktioniert besser als erwartet.<br />

Was ich sofort lerne: Alle Teilnehmer sind freiwillig<br />

hier. Kein Druck von den Eltern, kein Druck aus der<br />

Klasse. Es gibt sie also noch, die Lust aufs Tanzen. Und<br />

woher der Überschuss an weiblichen Teilnehmern<br />

kommt, bleibt ebenfalls nicht ganz ungeklärt. Die<br />

Mehrheit der Mädchen vermutet, dass die Jungs zu<br />

feige sind. Und obendrein gibt's die Bestätigung von<br />

den Jungs selbst.<br />

Was mich jedoch überrascht, ist, dass sich von 15 Befragten<br />

zwölf für einen Tanzkurs entscheiden würden,<br />

wenn sie die Wahl zwischen einem neuen Handy und<br />

einem komplett finanzierten Tanzkurs inklusive neuem<br />

Anzug bzw. Ballkleid hätten. Und das bei einem Ausgangspunkt<br />

ohne Handy oder Tanzkenntnisse.<br />

Es ist gar nicht die Erfahrung mit dem anderen Geschlecht,<br />

es ist vielmehr die Erfahrung für sich selbst.<br />

Wie verhalte ich mich? Komme ich gut an? Es ist der<br />

erste Schritt ins Erwachsenenleben. Der erste Schritt in<br />

die Verantwortung.<br />

Und wenn ich einen Grund nennen müsste, warum sich<br />

14- bis 19-Jährige zwei Stunden ihres Wochenendes in<br />

einen Tanzsaal stellen: Eigenständigkeit. Es gibt nichts<br />

Schlimmeres in der Pubertät, als sich ständig jemandem<br />

zu unterwerfen. Und diese zwei Stunden sind<br />

eben genau zwei Stunden Freiheit und Selbstständigkeit.<br />

Und der Tanzlehrer? Der gibt doch auch Befehle?<br />

Ja, aber er ist Teil dieser Gruppe. Er tanzt nicht nur mit<br />

ihnen. Er hilft, lacht und hat Spaß. Es scheint, als ob<br />

sich diese Generation nach etwas sehnt, was heute<br />

schon fast als ausgestorben gilt: Spaß ohne Technik.<br />

Und es wirkt, als ob sich ein großer Teil der Gruppe in<br />

diesen Stunden ein bisschen festen Boden unter den<br />

Füßen wünscht. In einer Zeit, in der sich alles so rasant<br />

ändert.<br />

Am Ende ist es doch ein Kampf, in dem es gilt, sich<br />

nicht zu blamieren. Grund genug für eine Menge junger<br />

Leute, gar nicht erst anzufangen.

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