40 Zoom Was willst du wirklich, wirklich? Die ŸUtopia Toolboxÿ der <strong>Augsburg</strong>er Künstlerin Juliane Stiegele Juliane Stiegele Buchpräsentationen können sehr trockene Angelegenheiten sein. Mitte Oktober im alten Straßenbahndepot am Senkelbach war alles ein bisschen anders, angesichts des Werks aber durchaus angemessen. Mit 1,4 Kilo ist die »Utopia Toolbox – Werkzeuge für die Arbeit an der Zukunft« im wahrsten Sinne des Wortes ein Schwergewicht, das vielleicht nicht zuletzt deshalb so schwer ist, um den Leser am Abheben zu hindern. Die von der <strong>Augsburg</strong>er Künstlerin Juliane Stiegele herausgegebene, literarische Werkzeugkiste porträtiert zahlreiche Künstler, Initiativen, Projekte und sogar Gebäude, die alle in irgendeiner Form an irgendeiner Art von Utopie arbeiten - im positivsten Sinne des Wortes und auf höchst kreative Art. »Es gibt sowieso keine unkreativen Menschen«, sagt Stiegele ein paar Tage später im Gespräch. »Die schlimmste aller Energiekrisen ist, wie wir mit unserer eigenen Kreativität umgehen, völlig unökonomisch!« Juliane Stiegele ist weit entfernt davon, ein Lautsprecher ihrer selbst zu sein, obwohl sie schon einige spektakuläre Aktionen auch in <strong>Augsburg</strong> gezeigt hat, allen voran natürlich die Installation »Void« 2007 in der Moritzkirche. Ihr Alter gibt sie mit »zwischen 17 und 83« an und zu Hause ist sie buchstäblich auf der ganzen Welt, mit Gastprofessuren und Lehraufträgen u.a. in Taiwan, Helsinki und Bozen. Die nicht immer befriedigend waren. »Man hat oft das Gefühl, dass es nicht um die Kreativität der Studenten geht, da kommt sofort der Druck«, berichtet die erfahrene Dozentin. »Das tut weder den Studenten gut noch den Professoren und war auch der Auslöser für das Buch.« Die »Toolbox« wendet sich jedoch mitnichten nur an Akademiker, das Werkzeug soll jeder benutzen können, ob Kunststudent oder Bäcker. »Mich hat’s unglaublich gefreut, als meine Friseurin angerufen und gesagt hat: ’Mensch, das Buch wühlt mich völlig auf, ich hätte auch so eine Idee....’« Nachdem die Idee zum Buch im Raum stand, hat Juliane erst einmal ihr eigenes Netzwerk durchforstet, ist viel gereist, hat recherchiert, Interviews geführt und war ziemlich bald erstaunt, wie viele Ideen und Initiativen es bereits gibt: »Das ist alles noch etwas zersplittert, und die Gegenseite, das Großkapital, ist natürlich besser organisiert, aber es wird wachsen, oder wir haben keine Chance.« Als Veröffentlichungspartner war bis zu seinem wirtschaftlichen Niedergang der Verlag Zweitausendeins geplant. Dann ging die Suche los, den einen war’s nicht wissenschaftlich genug, den anderen war zuviel Kunst drin. »Es passte in keine Schublade, bis ich gesagt habe, jetzt mach ich’s selber.« Im eigens gegründeten Verlag »Toolbox Ltd« sollen noch zwei weitere Folgen erscheinen, dann hat auch dieses Werkzeug seinen Zweck erfüllt. Befragt, welche Idee ihr besonders gefällt, antwortet Juliane nur zögernd. »Das ist, wie wenn man eine Mutter nach ihrem Lieblingskind fragt.« Das Gespräch mit Götz Werner, dem unermüdlichen Streiter für das bedingungslose Grundeinkommen, beschreibt sie als »sehr schönes Interview über eine faszinierende Idee«, aber auch die Arbeit der Sardin Maria Lai, die ihr teilweise seit Jahrhunderten verfeindetes Heimatdorf mittels eines blauen Bands durch alle Häuser verband, oder das Schweizer »Nullsternhotel« sind ihr ans Herz gewachsen. Wie auch der Supermarkt für Markenüberdrüssige, an dessen Konzept sie beteiligt ist. Die Idee von »Nur 1« ist denkbar einfach, von allen angebotenen Waren gibt es nur eine Sorte, keine Werbung, keine auffallende Verpackung, nur Qualität. Den Segen dazu bekam sie bereits von ganz oben: Theo Geers, Wirtschaftsfachmann des Deutschlandfunks und »guter Freund von uns«, hat das Konzept »sehr kritisch durchgesehen und mehr als positiv reagiert«, wie Juliane erzählt. »Jetzt brauchen wir noch jemanden, der es ökonomisch umsetzen kann.« Ein faszinierender Beitrag ist auch ihr eigener Erfahrungsbericht über die im Jahr <strong>12</strong>60 fertiggestellte Kathedrale im nordfranzösischen Chartres. »Hier zeigt sich, dass Utopien auch schon umgesetzt wurden – vor fast 800 Jahren! Wir kriegen so eine Kathedrale nicht mehr hin.« Dass heutzutage das Wort »Utopie« meistens einen negativen Anklang hat, ist sowieso traurig und wohl leider auch bezeichnend für eine Welt, die offenen Auges ins Verderben rennt, wie der z.B. Klimagipfel in Warschau mal wieder bewiesen hat. Doch zurück nach <strong>Augsburg</strong>, ihre Heimatstadt. Ein Bestandteil der nächsten Ausgabe werden die zahlreichen Gespräche sein, die Juliane und ihre Mitstreiter während des diesjährigen Friedensfests in der ersten realexistierenden »Utopia Toolbox«, einem Container auf dem Rathausplatz, mit rund 250 Passanten geführt haben. Und auch hier wurde ihr schnell klar: »Was laufen da für Kostbarkeiten rum!?«, erzählt Juliane lachend. Die zentrale Frage des Buches lautet: »Was willst du wirklich, wirklich?« - »Das ist der Punkt von allem, eine Frage, die man nie final beantworten kann«, so die Künstlerin. Zum Glück gibt es aber doch die ein oder andere finale Antwort. Zum Beispiel auf die Frage, wo man dieses Buch bestellen kann: www.utopiatoolbox.org. Danke. (flo)
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