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460 häb 10/07 - Hamburg gegen den Schlaganfall

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Kampagne gestartet<br />

<strong>Hamburg</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Schlaganfall</strong><br />

450<br />

Von Christian Gerloff,<br />

Michael Rosenkranz, Axel Müller-Jensen<br />

Die Zahlen sprechen für sich. Der<br />

<strong>Schlaganfall</strong> ist die häufigste Ursache<br />

einer dauerhaften Behinderung im Erwachsenenalter.<br />

Zurzeit läuft in <strong>Hamburg</strong><br />

die Kampagne „<strong>Hamburg</strong> <strong>gegen</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Schlaganfall</strong>“, um die Bevölkerung<br />

über Symptome aufzuklären und so die<br />

Dauer bis zur Einlieferung in ein Krankenhaus<br />

mit neurologischer Stroke Unit<br />

zu verkürzen. Denn jede Minute zählt.<br />

Ziel dieses Sonderheftes ist es, in kompakter<br />

Form die wichtigsten Aspekte<br />

aktueller <strong>Schlaganfall</strong>therapie zu vermitteln.<br />

In <strong>Hamburg</strong> erlei<strong>den</strong> jedes Jahr zirka<br />

6000 Menschen einen <strong>Schlaganfall</strong>. Etwa<br />

ein Drittel dieser Patienten stirbt im Verlauf<br />

der ersten zwölf Monate nach dem<br />

Ereignis, von <strong>den</strong> Überleben<strong>den</strong> sind<br />

64 % behindert. Betroffen sind Menschen<br />

jeder Altersgruppe. Zwar steigt die<br />

Häufigkeit von Schlaganfällen im Alter<br />

deutlich, <strong>den</strong>noch sind mehr als 15 %<br />

der Patienten jünger als 45 Jahre. Trotz<br />

optimiertem Notfallmanagement durch<br />

die Rettungskräfte erreichen in <strong>Hamburg</strong><br />

nur 15 % aller Patienten mit <strong>Schlaganfall</strong><br />

binnen zwei Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn<br />

ein Krankenhaus mit neurologischer<br />

Stroke Unit. Dort bestehen die besten<br />

Chancen für ein gutes Ergebnis. Und<br />

höchste Eile ist geboten. Die Effektivität<br />

der Therapie nimmt innerhalb der ersten<br />

drei Stun<strong>den</strong> auf ein Drittel ab. Als<br />

oberste Zeitgrenze für die Thrombolyse<br />

gelten sechs Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn.<br />

Aber selbst nach sechs Stun<strong>den</strong><br />

sind nur 45 % der Patienten mit einem<br />

akuten <strong>Schlaganfall</strong> im Zielkrankenhaus<br />

mit neurologischer Stroke Unit. Hauptursache<br />

für diese Verzögerung in der<br />

Prähospitalphase ist die mangelhafte Aufklärung<br />

der Bevölkerung, zum Teil auch<br />

der erstversorgen<strong>den</strong> Rettungsassistenten<br />

und Ärzte.<br />

Im Jahr 1998 wur<strong>den</strong> im UKE und im AK<br />

Altona die ersten bei<strong>den</strong> Stroke Units<br />

eingerichtet und als überregionale Stroke<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

Units zertifiziert. Sieben weitere bettenführende<br />

Spezialstationen folgten in <strong>den</strong><br />

neurologischen Kliniken <strong>Hamburg</strong>s (AK<br />

Barmbek, <strong>Hamburg</strong>-Nord, Harburg, St.<br />

Georg und Wandsbek sowie Albertinenund<br />

Marienkrankenhaus). Einzigartig in<br />

Deutschland: Die neun neurologischen<br />

Kliniken mit Stroke Units haben sich in<br />

der <strong>Hamburg</strong>er Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>Schlaganfall</strong> (HAGS) zusammengeschlossen,<br />

um gemeinsam die Akutversorgung<br />

des <strong>Schlaganfall</strong>s zu verbessern. Aus<br />

anfänglichen „Thrombolysetreffen“, die<br />

zunächst einem Erfahrungsaustausch<br />

zur neuen Therapie der Thrombolyse<br />

dienten, sind regelmäßige Treffen der Arbeitsgemeinschaft<br />

gewor<strong>den</strong>, in <strong>den</strong>en<br />

komplexe Einzelfälle aufgearbeitet und<br />

in Zusammenarbeit mit Behörde und niedergelassenen<br />

Kolleginnen und Kollegen<br />

neue Konzepte erarbeitet wer<strong>den</strong>.<br />

Aus <strong>den</strong> Aktivitäten der HAGS wurde die<br />

Aktion „<strong>Hamburg</strong> <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Schlaganfall</strong>“<br />

geboren. Die weltweit größte Kampagne<br />

dieser Art läuft über sechs Monate,<br />

Bürgermeister Ole von Beust hat<br />

die Schirmherrschaft übernommen. Die<br />

Bürger der Hansestadt wer<strong>den</strong> detailliert<br />

informiert, um sie mit <strong>den</strong> Symptomen<br />

eines <strong>Schlaganfall</strong>s vertraut zu machen<br />

und zu erreichen, dass bei Verdacht auf<br />

<strong>Schlaganfall</strong> unverzüglich die 112 gewählt<br />

wird.<br />

Das Ziel ist einfach: Verkürzung der<br />

Prähospitalzeit durch Information. Erreicht<br />

wer<strong>den</strong> muss nicht nur eine Steigerung<br />

des Thrombolyse-Anteils, sondern auch<br />

eine frühere Optimalversorgung auf der<br />

Stroke-Unit, unabhängig von der Thrombolyse.<br />

Die frühe konsequente Kontrolle<br />

aller für cerebrovaskuläre Perfusion relevanten<br />

Parameter hat einen bewiesenen<br />

günstigen Effekt auf die Prognose nach<br />

<strong>Schlaganfall</strong>. In <strong>Hamburg</strong> könnten so rund<br />

<strong>10</strong>00 Menschen jedes Jahr vor dauerhafter<br />

Behinderung, 250 Menschen vor dem Tod<br />

durch <strong>Schlaganfall</strong> gerettet wer<strong>den</strong>.<br />

Termine und Aktionen der Kampagne<br />

sind im Internet unter http://www.hamburg-<strong>gegen</strong>-<strong>den</strong>-schlaganfall.de<br />

abrufbar.<br />

Transiente ischämische Attacke<br />

TIA sofort auf die<br />

Stroke Unit<br />

Von Thomas Weber, Jürgen Koehler<br />

Das allgemeine Risiko eines manifesten<br />

<strong>Schlaganfall</strong>s steigt nach<br />

erstmaliger transienter ischämischer<br />

Attacke (TIA) von 12 % in der ersten<br />

Woche auf 20 % nach drei Monaten.<br />

Eine Stroke-Unit Versorgung ist bei<br />

TIA-Patienten dringend indiziert.<br />

Anders als früher vermutet ist das Risiko<br />

nach einer transienten ischämischen Attacke<br />

(TIA) einen <strong>Schlaganfall</strong> zu erlei<strong>den</strong>,<br />

erstaunlich hoch. Das Konzept der TIA ist<br />

in jüngster Zeit auf Grund der Ergebnisse<br />

in der MRT mit Diffusions-gewichteten<br />

Bildern (DWI) unter Berücksichtigung<br />

der Dauer der Symptome um <strong>den</strong> Begriff<br />

der TSI (Transient Symptoms associated<br />

with Infarction) erweitert wor<strong>den</strong>. Bei<br />

diesen Patienten liegen als einziges klinisch<br />

neurologisches Unterscheidungsmerkmal<br />

signifikant häufiger motorische<br />

Ausfälle als bei TIA-Patienten vor. Sie<br />

weisen signifikant mehr arterielle Stenosen<br />

oder Verschlüsse der intra- und/oder<br />

extrakraniellen Gefäße auf als Patienten<br />

mit TIA ohne Veränderungen in der DWI<br />

und haben <strong>gegen</strong>über diesen ein enorm<br />

erhöhtes Risiko (12 % bis 16 %), während<br />

der nächsten fünf Tage einen <strong>Schlaganfall</strong><br />

zu erlei<strong>den</strong>. Sowohl retrospektive als<br />

auch prospektive Erhebungen gehen von<br />

einem Risiko von etwa 6 % bis 12 % aus,<br />

innerhalb der ersten sieben Tage nach einer<br />

erstmaligen TIA einen <strong>Schlaganfall</strong> zu<br />

erlei<strong>den</strong>. Das größte Rezidivrisiko besteht<br />

in <strong>den</strong> ersten zwei Tagen nach einem<br />

zerebrovaskulären Ereignis. Nach einer<br />

TIA tritt die Hälfte aller Schlaganfälle<br />

in dieser Zeit auf. Als Ursache für diese<br />

frühen Reinsulte wer<strong>den</strong> in erster Linie<br />

instabile atherosklerotische Plaques ver-


DAS EDITORIAL THEMA<br />

antwortlich gemacht. Nach einem Monat<br />

steigt der Anteil von Patienten mit<br />

einem <strong>Schlaganfall</strong> nach einer TIA auf<br />

etwa 8 % bis 14 %, um schließlich nach<br />

drei Monaten bei bis zu 33 % zu liegen.<br />

So zeigte sich in der NASCET-Studie<br />

(North American Symptomatic Carotid<br />

Endarterectomy Trial), dass das Risiko für<br />

einen ipsilateralen <strong>Schlaganfall</strong> nach 90<br />

Tagen in der Gruppe der medikamentös<br />

behandelten Patienten wesentlich höher<br />

nach einer hemisphärischen TIA (20,1 %)<br />

war als nach einem kompletten <strong>Schlaganfall</strong><br />

(2,3 %). Hinweise, die ein höheres<br />

<strong>Schlaganfall</strong>risiko nach einer TIA innerhalb<br />

der ersten drei Monate anzeigen,<br />

sind Alter über 60 Jahre, Blutdruckwerte<br />

über 140/90 mmHg sowie einseitige<br />

Schwäche oder Sprachstörungen ohne<br />

motorische Ausfälle. Dauern die Ausfälle<br />

länger als 60 Minuten, steigt das Risiko<br />

ebenso wie bei Vorhan<strong>den</strong>sein eines Diabetes<br />

mellitus.<br />

Neues Modell<br />

Klinische Faktoren<br />

Punktzahl<br />

Alter >= 60 Jahre 1<br />

Initialer systolischer RR >= 140 mmHg<br />

1<br />

oder diastolischer RR >= 90 mmHg<br />

Diabetes mellitus 1<br />

Klinische Symptomatik<br />

Unilaterale Parese 1<br />

Sprachstörung ohne Parese 2<br />

Dauer der Symptomatik<br />

<strong>10</strong>-59 Minuten 1<br />

60 Minuten 2<br />

Risiko:<br />

Niedrig<br />

Mittel<br />

Hoch<br />

0-3 Punkte<br />

4-5 Punkte<br />

6-7 Punkte<br />

Tab. 1: ABCD2-Modell: Klinische Faktoren, klinische<br />

Symptomatik und Dauer der Symptomatik als Grundlage<br />

der Bewertung des Infarktrisikos innerhalb der ersten<br />

Tage nach einer transitorisch ischämischen Attacke mit<br />

Risikogruppeneinteilung.<br />

Risiko Score<br />

manifester <strong>Schlaganfall</strong><br />

innerhalb von 2 Tagen innerhalb von 7 Tagen innerhalb von 90 Tagen<br />

Prävalenz LR Prävalenz LR Prävalenz LR<br />

niedrig (0-3) 1,0 0,3 1,2 0,2 3,1 0,3<br />

mittel (4-5) 4,1 1,1 5,9 1,1 9,8 1,1<br />

hoch (6-7) 8,1 2,2 12,0 2,3 18,0 2,1<br />

Tab. 2: Relatives Risiko eines <strong>Schlaganfall</strong>s unter Berücksichtigung des Risikoprofils<br />

nach dem ABCD2 Modell (Age, Blood pressure, Clinical features, symptom Duration,<br />

Diabetes) innerhalb von 2 Tagen, 7 Tagen und 90 Tage nach initialer TIA. Modifiziert<br />

nach GJ Hankey, LR = likelihood-ratio.<br />

Auf der Basis dieser Faktoren wurde ein<br />

Modell entwickelt, das Risiko eines erneuten<br />

<strong>Schlaganfall</strong>es innerhalb der ersten<br />

sieben Tage nach initialer Symptomatik<br />

abzuschätzen. Dieser so genannte<br />

ABCD2-Score (s. Tab. 2) basiert auf <strong>den</strong><br />

detektierten Risikofaktoren, nach einer<br />

TIA einen <strong>Schlaganfall</strong> zu entwickeln,<br />

dem Alter des Patienten, der Bewertung<br />

des arteriellen Blutdrucks und weiterer klinischer<br />

Faktoren wie z. B. Diabetes mellitus<br />

und der Art und Dauer der Symptome<br />

im Rahmen der TIA. Der konsequente Einsatz<br />

dieser prognostischen Skala gestattet<br />

Abschätzung des akuten, kurzfristigen individuellen<br />

Infarktrisikos nach erstmaliger<br />

TIA anhand der in Tabelle 1 genannten<br />

Faktoren. Die sich aus diesem Modell<br />

ergeben<strong>den</strong> Risiken für einen Reinfarkt<br />

innerhalb von zwei sowie innerhalb von<br />

sieben und 90 Tagen wer<strong>den</strong> in Tabelle 2<br />

dargestellt.<br />

Kernspintomographische Untersuchungen<br />

mit DWI ermöglichen, risikoreichere Veränderungen<br />

großer Gefäße von <strong>den</strong>en<br />

kleiner Gefäße abzugrenzen. Das Ausmaß<br />

von Läsionen in der DWI hängt<br />

unter anderem von Dauer und Art der<br />

klinischen Symptome sowie von einem<br />

Vorhofflimmern oder einer auf der Seite<br />

der Durchblutungsstörung bestehen<strong>den</strong><br />

≥ 50 %igen Arteria carotis interna (ACI)<br />

Stenose ab. Patienten mit TIA und einem<br />

solchem Stenosegrad der ACI profitieren<br />

nachweislich von einer frühzeitigen<br />

(< 14 Tagen nach Erstereignis) operativen<br />

Gefäßerweiterung. So kann bei einem<br />

von fünf Patienten ein <strong>Schlaganfall</strong> verhindert<br />

wer<strong>den</strong> (number needed to treat;<br />

NNT = 5). Wird ein solcher<br />

Eingriff jedoch erst zwölf<br />

Wochen nach der initialen<br />

Symptomatik durchgeführt,<br />

sinkt die Erfolgsaussicht, einen<br />

<strong>Schlaganfall</strong> zu vermei<strong>den</strong>,<br />

drastisch (NNT = 125).<br />

Für Patienten mit einer Symptomdauer<br />

von mehr als<br />

einer Stunde und Läsionen<br />

in der DWI besteht ein<br />

fünffach höheres Risiko für<br />

einen großen <strong>Schlaganfall</strong>.<br />

Einen weiteren Faktor stellt<br />

die Zahl der nach einer<br />

TIA festgestellten Läsionen<br />

in der DWI dar. Hier ist die<br />

Gefährdung für Patienten mit<br />

zwei oder mehr Läsionen<br />

deutlich höher als für solche<br />

mit nur einer Läsion. Allerdings<br />

konnte in jüngster<br />

Zeit nachgewiesen wer<strong>den</strong>,<br />

dass auch Patienten mit einer TIA Symptomatik<br />

ohne Diffusionsstörungen in<br />

der Kernspintomographie ein über das<br />

vierfach erhöhte Risiko tragen, innerhalb<br />

des Folgejahres eine erneute TIA zu erlei<strong>den</strong>.<br />

Daher ist bei Patienten mit einer TIA<br />

als Erstereignis eine schnelle und umfassende<br />

Risikodiagnostik und Ursachenforschung<br />

zur Optimierung der Sekundärprophylaxe<br />

indiziert. In der nächsten Zeit<br />

könnte über die Differenzierung von TIA<br />

und TSI eine frühzeitige und aggressivere<br />

Therapie gefährdeter Patienten, wie etwa<br />

die Gabe einer „loading dose“ von Clopidogrel<br />

300 mg am ersten Tag in Kombination<br />

mit 300 mg ASS am ersten Tag<br />

und kombinierte Behandlung mit jeweils<br />

75 mg Clopidogrel und ASS im ersten<br />

Monat in Kombination mit einem Statin,<br />

ACE-Hemmer und Thiazid-Diuretikum<br />

eingeleitet und die Prognose in dieser<br />

Gruppe weiter verbessert wer<strong>den</strong>.<br />

Keine englischen Verhältnisse<br />

Diese Erkenntnisse untermauern die Notwendigkeit<br />

einer sofortigen spezifischen<br />

Überwachung und Behandlung von Patienten<br />

mit TIA, wie es in deutschen Stroke-<br />

Units etabliert ist. „Englische Verhältnisse“<br />

mit einmal wöchentlicher Vorstellung<br />

von TIA-Patienten in <strong>Schlaganfall</strong>zentren<br />

führen zu fatalen Qualitätseinbußen.<br />

Mittlere Verzögerungen der Behandlung<br />

dieser Patienten in einem Zentrum um<br />

etwa neun Tage und dadurch bedingtes<br />

Auftreten von 5 % schwerer Schlaganfälle<br />

sind die Folge. Zudem zeigte sich im Vergleich<br />

von Patienten mit TIA, dass bei rein<br />

ambulanter Behandlung das Risiko eines<br />

Reinfarktes mit 2,98 im Gegensatz zur<br />

Stroke-Unit Versorgung mit 1,88 deutlich<br />

erhöht war und dass innerhalb von 90<br />

Tagen nach initialem Ereignis 65,8 % der<br />

Schlaganfälle in der Folge bei <strong>den</strong> ambulant<br />

versorgten Patienten auftrat. Aus diesem<br />

Grunde gilt: Bei TIA immer an die<br />

Stroke Unit <strong>den</strong>ken!<br />

Literatur beim Verfasser<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

451


DAS THEMA<br />

Entschei<strong>den</strong>de Weichen stellen<br />

Moderne <strong>Schlaganfall</strong>bildgebung<br />

Von Götz Thomalla,<br />

Jens Fiehler, Bernd Eckert<br />

Die bildgebende Diagnostik ist<br />

Grundlage für eine differenzierte<br />

Therapieentscheidung bei Patienten<br />

mit akutem <strong>Schlaganfall</strong>. Primär<br />

geht es um die Unterscheidung zwischen<br />

intracranieller Blutung und<br />

Ischämie. Die multimodale CT- oder<br />

MRT-Bildgebung liefert darüber hinaus<br />

Informationen über das Ausmaß<br />

der Ischämie und <strong>den</strong> Gefäßstatus<br />

und ermöglicht die Darstellung<br />

von Risikogewebe.<br />

Der <strong>Schlaganfall</strong> ist ein neurologischer<br />

Notfall und erfordert eine unverzügliche<br />

Diagnostik und Therapie. Moderne<br />

<strong>Schlaganfall</strong>bildgebung mit Computertomographie<br />

(CT) oder Magnetresonanztomographie<br />

(MRT) liefert entschei<strong>den</strong>de<br />

Informationen für eine spezifische effektive<br />

Behandlung. Sie erlaubt die allein<br />

durch eine klinische Untersuchung nicht<br />

mögliche Unterscheidung von intracranieller<br />

Blutung und ischämischem Hirninfarkt<br />

und liefert beim Hirninfarkt Informationen<br />

über Ausmaß und Lokalisation<br />

der Ischämie, <strong>den</strong> Gefäßstatus und das<br />

Vorhan<strong>den</strong>sein von potentiell rettbarem,<br />

aber vom Untergang bedrohtem Risikogewebe<br />

(„Penumbra“). Insbesondere für<br />

die Indikationsstellung zur Thrombolyse,<br />

der einzigen erwiesenermaßen effektiven<br />

Therapie des ischämischen Hirninfarkts,<br />

kommt der Bildgebung neben klinischem<br />

Befund und Information über das Zeitfenster<br />

eine entschei<strong>den</strong>de Rolle zu. In erster<br />

Linie erfolgt die Bildgebung zum Ausschluss<br />

einer intracerebralen Blutung und<br />

eines bereits ausgedehnten irreversiblen<br />

Infarktareals. Für die Indikationsstellung<br />

zur Thrombolyse im Zeitfenster von drei<br />

Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn reicht gemäß<br />

nationaler und internationaler Leitlinien<br />

ein Nativ-CT aus. Darüber hinaus<br />

wird die moderne <strong>Schlaganfall</strong>bildgebung<br />

mit Perfusions- und diffusionsgewichteter<br />

Bildgebung zunehmend eingesetzt, um<br />

ausgewählte Patienten bei Nachweis von<br />

Risikogewebe auch jenseits des Zeitfensters<br />

von drei Stun<strong>den</strong> mit Thrombolyse<br />

zu behandeln. Das „Mismatch“-Konzept<br />

als Definition von potentiell rettbarem<br />

Gewebe wurde für das <strong>Schlaganfall</strong>-MRT<br />

evaluiert und findet zunehmend bei der<br />

Patientenauswahl für klinische Studien<br />

Verbreitung. Aktuelle Studien lassen vermuten,<br />

dass sich dieses Konzept auch auf<br />

die Perfusions-CT-Bildgebung übertragen<br />

lässt. Die ständige Verfügbarkeit einer<br />

multimodalen <strong>Schlaganfall</strong>bildgebung ist<br />

Voraussetzung für eine adäquate <strong>Schlaganfall</strong>behandlung.<br />

In <strong>den</strong> in der HAGS organisierten<br />

neurologischen Kliniken ist die<br />

<strong>Schlaganfall</strong>bildgebung fester Bestandteil<br />

der Diagnostik.<br />

CT beim akuten <strong>Schlaganfall</strong><br />

Die Einführung der cranialen Computertomographie<br />

in die klinische Diagnostik<br />

Mitte der 70er Jahre hat das pathophysiologische<br />

Verständnis und die Einführung<br />

neuer Therapien beim akuten <strong>Schlaganfall</strong><br />

wesentlich beeinflusst. Neben der Differenzierung<br />

zwischen hämorrhagischem<br />

und ischämischem Insult haben in <strong>den</strong><br />

letzten Jahren frühe ischämische Veränderungen<br />

in der akuten CT-Diagnostik<br />

erheblich an Bedeutung gewonnen. Die<br />

zunehmende Verbreitung von Spiral-CTund<br />

modernen Multidetektor-CT-Geräten<br />

der jüngsten Generation ermöglichen<br />

zudem multimodale CT-Bildgebung mit<br />

einer hochauflösen<strong>den</strong> CT-Angiographie<br />

(CTA) und einer CT-Perfusion (CTP). Alle<br />

HAGS-Kliniken verfügen über eine CT-<br />

Notfalldiagnostik rund um die Uhr.<br />

Nativ-CT<br />

Der Nativscan dient zum Ausschluss einer<br />

intracraniellen Blutung. Das CT gilt<br />

als „Goldstandard“ zum Nachweis intracerebraler,<br />

subarachoidaler sowie subund<br />

epiduraler Blutungen. Sämtliche<br />

großen klinischen Studien zur Thrombolyse<br />

beim <strong>Schlaganfall</strong> sind ausschließlich<br />

mit nativem CT durchgeführt wor<strong>den</strong>. Im<br />

Vordergrund akuter Diagnostik des ischämischen<br />

Insultes (< 6 h nach Symptombeginn)<br />

stehen die „Frühinfarktzeichen“:<br />

Frühhypo<strong>den</strong>sitäten, das hyper<strong>den</strong>se Arterienzeichen<br />

und die sulcale Verschwellung<br />

(„sulcal effacement“).<br />

Im CT nachweisbare Frühhypo<strong>den</strong>sitäten<br />

beruhen auf einer durch die Hypoxie bedingten<br />

Nettowasseraufnahme des Gewebes.<br />

Frühhypo<strong>den</strong>sitäten beschreiben<br />

die hypo<strong>den</strong>se Abblassung der Rinde mit<br />

Angleichung der Dichte von Cortex und<br />

Marklager. Am ehesten zu erkennen sind<br />

Veränderungen im Seitenvergleich der<br />

Basalganglien und im insulären Rin<strong>den</strong>band<br />

(„loss of insular ribbon“). Die Detektion<br />

ist aber in hohem Maße abhängig<br />

von Scanparametern und Fensterung.<br />

Empfohlen wird eine enge Fenstereinstellung<br />

(W: 65HU, C: 35 HU).<br />

Frühhypo<strong>den</strong>sitäten wer<strong>den</strong> als verlässliches<br />

Zeichen einer irreversiblen Ischämie<br />

im Sinne des Infarktkernes gewertet.<br />

Wesentlicher Nachteil der Frühhypo<strong>den</strong>sitäten<br />

bleibt die von vielen Faktoren abhängige,<br />

eingeschränkte Erkennbarkeit<br />

(Geräteparameter, Fensterlage, Ausbildungs-<br />

und Trainingsstand des Befunders).<br />

Über die Bedeutung ausgedehnter<br />

Frühhypo<strong>den</strong>sitäten von mehr als 1/3 bei<br />

Indikationsstellung zur Thrombolyse wird<br />

kontrovers diskutiert. In der europäischen<br />

Thrombolysestudie ECASS (< 6 h nach<br />

Symptombeginn) wurde eine signifikant<br />

erhöhte Rate intracerebraler Blutungen<br />

bei Patienten mit ausgedehnten Frühhypo<strong>den</strong>sitäten<br />

nach Thrombolyse gefun<strong>den</strong>.<br />

In der Folge waren ausgedehnte<br />

Infarktfrühzeichen von mehr als 1/3 des<br />

Mediaterritoriums ein Ausschlusskriterium<br />

in der ECASS II Studie und wer<strong>den</strong><br />

häufig im klinischen Alltag auch als<br />

Kontraindikation für eine Thrombolyse<br />

erachtet. In der nordamerikanischen<br />

Thrombolysestudie NINDS (< 3 h nach<br />

Symptombeginn) waren ausgedehnte Infarktfrühzeichen<br />

da<strong>gegen</strong> nicht mit einer<br />

erhöhten Blutungsrate nach Thrombolyse<br />

assoziiert.<br />

Das hyper<strong>den</strong>se Arterienzeichen beschreibt<br />

<strong>den</strong> Thrombusnachweis im<br />

Hauptstamm der A. cerebri media („hyper<strong>den</strong>se<br />

Media“) oder der A. basilaris.<br />

Die hyper<strong>den</strong>se Darstellung des erythrozytenreichen<br />

Thrombus beruht auf erhöhten<br />

Dichtewerten im Vergleich zum<br />

fließen<strong>den</strong> Blut oder Weichteilgewebe.<br />

Der positive Nachweis in der CT ist aber<br />

von vielen Faktoren abhängig und stark<br />

artefaktanfällig (Partialvolumeneffekte,<br />

Hämatokritwert).<br />

Distal des Gefäßverschlusses kann eine<br />

reaktive Hyperämie durch leptomenigeale<br />

Kollateralen zu einer leichten<br />

Dichtanhebung und einer geringfügigen<br />

Verschwellung führen („sulcal effacement“).<br />

Im Gegensatz zur Frühhypo<strong>den</strong>sität<br />

bleibt die Rin<strong>den</strong>markgrenze erhalten.<br />

Nach neueren Erkenntnissen wer<strong>den</strong><br />

diese Hirnareale der Infarktperipherie<br />

bzw. der Penumbra zugerechnet, so<br />

dass ihr Nachweis für die therapeutisch<br />

relevante Eingrenzung des irreversibel<br />

geschädigten Infarktkernes keine Bedeutung<br />

hat.<br />

452<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong>


DAS EDITORIAL THEMA<br />

CT-Angiografie<br />

Abhängig von technischen Voraussetzungen<br />

des CT-Gerätes kann die CTA<br />

segmentale Abschnitte der intracraniellen<br />

Arterien bis hin zum gesamten extra- und<br />

intracraniellen Verlauf der hirnversorgen<strong>den</strong><br />

Arterien darstellen. Gefäßverschlüsse<br />

und hochgradige Stenosen im<br />

extrakraniellen und im proximalen Abschnitt<br />

der intracraniellen Arterien können<br />

zuverlässig erfasst wer<strong>den</strong>. Verschlüsse<br />

im Niveau der Mediabifurkation oder der<br />

proximalen M2-Segmente können mit<br />

Hilfe coronarer oder sagittaler Rekonstruktion<br />

sowie einer 3-D-Rekonstruktion<br />

dargestellt wer<strong>den</strong> (s. Abb.). Weiter peripher<br />

gelegene Verschlüsse sind mit der<br />

CTA kaum erkennbar. Eine ergänzende<br />

Information kann aus <strong>den</strong> Quellbildern<br />

der CT-Angiographie erhältlich sein. Bei<br />

enger Fensterlage sind Frühinfarktareale,<br />

insbesondere der Linsenkern, hypo<strong>den</strong>s<br />

im Vergleich zum KM-perfundierten angrenzen<strong>den</strong><br />

Hirngewebe abgrenzbar (s.<br />

Abb.).<br />

CT-Perfusion<br />

Die CT-Perfusion (CTP) beruht auf der<br />

Gewebsperfusion eines Kontrastmittelbolus.<br />

Nach intravenöser Bolusgabe steigt<br />

die Röntgendichte des Gehirngewebes<br />

vorübergehend an. Die Berechnung von<br />

Intensität und zeitlichem Verlauf der<br />

Dichtewerte im Gehirngewebe erlauben<br />

Rückschlüsse auf die cerebrale Durchblutung.<br />

Mit Hilfe mathematischer Algorithmen<br />

kann die Gewebsperfusion über<br />

verschie<strong>den</strong>e Parameter beschrieben<br />

wer<strong>den</strong> (mean transit time = MTT, time to<br />

peak = TTP, cerebral blood flow = CBF,<br />

cerebral blood volume = CBV). Jüngste<br />

Studien legen nahe, dass Penumbra und<br />

Infarktkern über Schwellenwerte der MTT<br />

und des CBV definiert wer<strong>den</strong> können.<br />

Analog zur multimodalen Kernspintomographie<br />

wird inzwischen auch die multimodale<br />

CT-Bildgebung mit der Kombination<br />

aus Nativ-CT, CTP und CTA zur<br />

Definition von Risikogewebe als Vorraussetzung<br />

für eine Thrombolyse jenseits des<br />

3-Stun<strong>den</strong>-Zeitfensters verwendet. Systematische<br />

CTP-Studien für eine Thrombolyse<br />

im erweiterten Zeitfenster stehen<br />

noch aus. Zum Teil wer<strong>den</strong> auf entsprechen<strong>den</strong><br />

Schwellenwerten basierende Infarkt-<br />

und Penumbrabilder bereits durch<br />

die Auswertesoftware von CT-Scannern<br />

automatisch generiert. Diese Bilder sind<br />

allerdings mit äußerster Vorsicht zu interpretieren<br />

und sollten keinesfalls alleinige<br />

Obere Reihe: multimodale CT-Bildgebung bei einer 65jährigen Patienten mit einer Hemiplegie<br />

links, 5 Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn. Im rechten Linsenkern im Nativ-CT flaue<br />

Hypo<strong>den</strong>sität (A), in <strong>den</strong> Quellbildern der CTA deutlich abgrenzbare Hypo<strong>den</strong>sität (B),<br />

im CBV-Bild Perfusionsausfall (C); im MTT-Bild (D) über die Läsion im Linsenkern hinausgehende<br />

Perfusionsverzögerung rechts frontal und temporal (entsprechend einem MTT-<br />

CBV-Mismatch); die 3D-Rekonstruktion der CTA (E) zeigt einen proximalen Verschluss der<br />

rechten A. cerebri media (ACM).<br />

Untere Reihe: <strong>Schlaganfall</strong>-MRT bei einem 67jährigen Patienten mit Hemiparese rechts<br />

und Aphasie, 1,5 h nach Symptombeginn. Im DWI (A) und ADC-Bild (B) kleine ischämische<br />

Läsion in der Capsula interna links, im TTP-Bild Perfusionsverzögerung nahezu im<br />

gesamten Territorium der ACM links (C) als Ausdruck eines großen Perfusions-Diffusions-<br />

Mismatch; in der TOF-MRA nachgewiesener Hauptstammverschluss der ACM links (D);<br />

es erfolgte eine iv-Thrombolyse mit rtPA, im Verlauf rasche klinische Besserung; in der<br />

Verlaufsbildgebung (FLAIR) nach 24 Stun<strong>den</strong> nur kleiner Infarkt im Bereich der Capsula<br />

interna links (E), kein Infarktwachstum im Vergleich zur initialen Läsion.<br />

Grundlage einer Therapieentscheidung<br />

sein! Als Nachteil der CT-Perfusion gilt<br />

die unvollständige Erfassung des Hirnparenchyms<br />

(abhängig von der Zeilenstärke<br />

des Multidetektor-CT: 1-4 cm). Perfusionsstörungen<br />

außerhalb des gewählten<br />

Areals, z. B. im Territorium der A. cerebri<br />

anterior, wer<strong>den</strong> mit der Methode nicht<br />

erkannt.<br />

Das „<strong>Schlaganfall</strong>-MRT“<br />

Das multimodale <strong>Schlaganfall</strong>-MRT besteht<br />

aus einer Kombination verschie<strong>den</strong>er<br />

MRT-Sequenzen, welche die<br />

Darstellung der Ischämie, der Perfusionsstörung<br />

und des Gefäßverschlusses<br />

ermöglichen und intracranielle Blutungen<br />

sicher nachweisen können. Die wesentliche<br />

Stärke der MRT im Vergleich zu<br />

anderen bildgeben<strong>den</strong> Verfahren liegt<br />

in der hohen Sensitivität der diffusionsgewichteten<br />

Bildgebung (DWI) für frühe<br />

ischämische Veränderungen und der<br />

Möglichkeit der Perfusionsdarstellung des<br />

gesamten Hirns. Mit DWI ist es möglich,<br />

das ischämische Ödem und damit die<br />

Wirkung der Perfusionsminderung auf<br />

das Hirnparenchym sehr früh (< 15 Minuten)<br />

direkt darzustellen. So können frische<br />

Infarkte auch in der Nachbarschaft<br />

älterer Läsionen sicherer dargestellt wer<strong>den</strong>.<br />

Für das Perfusions-MRT wird in der<br />

klinischen Routine üblicherweise eine<br />

Methode verwendet, in welcher aus Ausmaß<br />

und Zeitverlauf des aus der Gabe<br />

eines Kontrastmittel-Bolus resultierende<br />

Signalabfalls im Gewebe verschie<strong>den</strong>e<br />

Perfusionsparameter (TTP, MTT, CBF,<br />

CBV) berechnet wer<strong>den</strong>. Mit der Perfusionsbildgebung<br />

kann in etwa 20 Schichten<br />

die Perfusion des gesamten Hirns abgebildet<br />

wer<strong>den</strong>. Auch kleine, strategisch<br />

gelegene Ischämien in der Zentralregion<br />

wer<strong>den</strong> erkannt.<br />

Bei der MR-Angiographie (MRA) lassen<br />

sich mit der time-of-flight-MRA ohne<br />

Gabe von Kontrastmittel intrakranielle<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

453


DAS THEMA<br />

Gefäße in guter Qualität und Gefäßverschlüsse<br />

bis <strong>den</strong> Bereich der großen Äste<br />

der A. cerebri media sicher darstellen.<br />

Die Diagnostik kann durch zusätzliche<br />

Darstellung extrakranieller Gefäße über<br />

eine kontrastmittelgestützte MRA ergänzt<br />

wer<strong>den</strong>, mit welcher Gefäßveränderungen<br />

im Bereich der A. carotis nachgewiesen<br />

wer<strong>den</strong> können.<br />

Für <strong>den</strong> Einsatz als alleinige Bildgebung<br />

beim akuten <strong>Schlaganfall</strong> ist aber zunächst<br />

die sichere Detektion von Blutungen wesentlich,<br />

wobei neuere Arbeiten nahe<br />

legen, dass hierbei – ausreichende Erfahrung<br />

des Befunders vorausgesetzt – das<br />

MRT dem CT sogar überlegen sein kann.<br />

Neben dem Blutungsausschluss in <strong>den</strong><br />

blutungssensitiven Sequenzen (FLAIR,<br />

Gradientenecho) kann die Ischämie anhand<br />

des Gefäßverschlusses (MRA), der<br />

Diffusionsstörung und dem Perfusionsdefizit<br />

sicher nachgewiesen wer<strong>den</strong>. Beim<br />

Nachweis älterer Mikroblutungen besitzt<br />

die MRT eine deutlich höhere Sensitivität<br />

als die CT. Darüber hinaus ist die MRT<br />

beim Nachweis mikroangiopathischer Infarkte<br />

und Hirnstammischämien der CT<br />

überlegen.<br />

In MRT-basierten Kohortenstudien wurde<br />

Sicherheit und Effizienz einer intravenösen<br />

Thrombolyse bei Verwendung<br />

des <strong>Schlaganfall</strong>-MRT zur Patientenauswahl<br />

auch jenseits der dritten Stunde<br />

nachgewiesen. Grundlage dafür ist das<br />

so genannte „Perfusions-Diffusions-Mismatch“-Konzept,<br />

welches vom Untergang<br />

bedrohtes, aber bei rechtzeitiger<br />

Reperfusion potentiell rettbares Risikogewebe<br />

über das Missverhältnis zwischen<br />

Perfusions- und Diffusionsläsion definiert<br />

(s. Abbildung). In <strong>Hamburg</strong> wurde die<br />

multimodale MRT-Bildgebung am Universitätsklinikum<br />

<strong>Hamburg</strong>-Eppendorf<br />

frühzeitig in die Routine-Diagnostik des<br />

akuten <strong>Schlaganfall</strong>s integriert. Diese<br />

klinische Anwendung wurde und wird<br />

begleitet von wissenschaftlichen Studien<br />

zur Verwendung der MRT für eine Optimierung<br />

akuter <strong>Schlaganfall</strong>behandlung.<br />

Vor- und Nachteile von CT<br />

und MRT<br />

Vorteile der CT-Bildgebung sind breitere<br />

Verfügbarkeit, bessere Möglichkeiten zum<br />

Monitoring insbesondere bei schwer betroffenen<br />

Patienten, sowie die Möglichkeit<br />

auch Patienten mit MRT-Kontraindikationen<br />

zu untersuchen. Nachteile des<br />

CT sind die Verwendung ionisierender<br />

Strahlung, die Notwendigkeit der Gabe<br />

von jodhaltigem Kontrastmittel bei CT-P<br />

Die systemische Thrombolyse mit tPA (tissue<br />

plasminogen activator) ist eine wirksame<br />

und sichere Therapie des ischämischen<br />

<strong>Schlaganfall</strong>s innerhalb von drei Stun<strong>den</strong><br />

nach Symptombeginn. Sie kann durch<br />

geeignete Patientenselektion mit Hilfe<br />

multimodaler Bildgebung (v. a. diffusionsund<br />

perfusionsgewichtete MRT) auf bis zu<br />

sechs Stun<strong>den</strong> ausgedehnt wer<strong>den</strong>. Das<br />

Therapie- und Kooperationsschema der<br />

HAGS regelt neben leitlinienbasierten<br />

Empfehlungen zur Thrombolyse innerhalb<br />

von drei Stun<strong>den</strong> ein wissenschaftlich<br />

begründetes Vorgehen bis sechs<br />

Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn sowie<br />

<strong>den</strong> Umgang mit Sonderfällen des ischämischen<br />

<strong>Schlaganfall</strong>s (Abb. 1). Entschei<strong>den</strong>d<br />

ist die unverzügliche Zuweisung<br />

betroffener Patienten in ein Krankenhaus<br />

mit neurologischer Stroke Unit und spezifischem<br />

Behandlungsangebot für das<br />

Sechs-Stun<strong>den</strong>-Zeitfenster. Die vorliegende<br />

Arbeit gibt einen Überblick über<br />

die evi<strong>den</strong>zbasierte Behandlung des sehr<br />

häufigen ischämischen <strong>Schlaganfall</strong>s im<br />

Versorgungsgebiet der A. cerebri media<br />

(ACM) und beleuchtet die Bedeutung<br />

der sofortigen spezifischen Behandlung<br />

besonders schwerer <strong>Schlaganfall</strong>typen<br />

(Carotis-T-Verschluss und der Basilaristhrombose).<br />

Patienten mit <strong>Schlaganfall</strong> im Versorgungsgebiet<br />

der ACM im Drei-Stun<strong>den</strong>-<br />

Zeitfenster wer<strong>den</strong> nach <strong>den</strong> Richtlinien<br />

der European Stroke Initiative (www.eusistroke.com)<br />

und <strong>den</strong> Leitlinien der Deutund<br />

CTA. Wesentliche Vorteile der MRT<br />

sind die sichere Darstellung der ischämischen<br />

Läsion bereits wenige Minuten<br />

nach Symptombeginn sowie die Möglichkeit<br />

der Darstellung des gesamten Hirns<br />

in der Perfusion. Als Nachteil der MRT ist<br />

die Komplexität der Bildanalyse zu nennen<br />

– dazu ist zweifellos eine gewisse Erfahrung<br />

nötig, insbesondere wenn diese<br />

unter Zeitdruck erfolgt. Mehr als 80 % aller<br />

akuten <strong>Schlaganfall</strong>patienten im UKE<br />

wer<strong>den</strong> mit der MRT untersucht; Einschränkungen<br />

der Methode existieren bei<br />

extrem instabiler Kreislaufsituation sowie<br />

<strong>den</strong> üblichen MRT-Kontraindikationen.<br />

Die Befunde multimodaler CT- und MRT-<br />

Diagnostik beim akuten <strong>Schlaganfall</strong> sind<br />

für die Indikationsstellung zur cerebralen<br />

Thrombolyse von herausragender Bedeutung.<br />

Für die Therapieentscheidung<br />

steht der Ausschluss einer intrakraniellen<br />

Blutung und ausgedehnter, irreversibler<br />

Infarktfrühzeichen (CT: Frühhypo<strong>den</strong>sitäten,<br />

MR: Diffusionsstörung) im Vordergrund.<br />

Wenn das Perfusionsdefizit (CT-<br />

Perfusion, MR: Perfusionswichtung) die<br />

Infarktfrühzeichen deutlich übersteigt, ist<br />

eine „Mismatch“-Konstellation mit Darstellung<br />

einer Penumbra gegeben. Der<br />

Nachweis von Risikogewebe gilt als wesentliche<br />

Voraussetzung für eine Thrombolyse<br />

im erweiterten Zeitfenster 3-6<br />

Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn. Große,<br />

multizentrische Fallserien belegen Effizienz<br />

und klinische Sicherheit der MRTbasierten<br />

Thrombolyse im erweiterten<br />

Zeitfenster, wenngleich randomisierte,<br />

kontrollierte Studien noch ausstehen.<br />

Erste Daten zur CT-Perfusion lassen vermuten,<br />

dass die multimodale CT mit vergleichbarer<br />

Effizienz eingesetzt wer<strong>den</strong><br />

kann.<br />

Schnelle Entscheidung<br />

notwendig<br />

Die Entscheidung für CT oder MRT im jeweiligen<br />

Zentrum orientiert sich auch an<br />

logistischen Voraussetzungen – räumliche<br />

Nähe zur Notaufnahme, Verfügbarkeit<br />

eines Neuro-/Radiologen und Erfahrung<br />

mit der jeweiligen Bildgebung. Entschei<strong>den</strong>d<br />

ist, dass die akute Bildgebung unverzüglich<br />

und umfassend erfolgt und<br />

eine mögliche wirksame Therapie nicht<br />

verzögert wird. Auch eine gut eingespielte<br />

Zusammenarbeit zwischen Notaufnahme,<br />

Neurologie und Neuroradiologie<br />

ist Vorraussetzung für eine rasche Weichenstellung<br />

im Sinne der weiteren, effektiven<br />

Behandlung.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Evi<strong>den</strong>zbasierte Akuttherapie des<br />

ischämischen <strong>Schlaganfall</strong>s<br />

Jede Minute zählt!<br />

Von Michael Rosenkranz,<br />

Christian Arning, Axel Müller-Jensen,<br />

Hermann Zeumer, Christian Gerloff<br />

Neben leitlinienbasierten Empfehlungen<br />

zur Behandlung des ischämischen<br />

<strong>Schlaganfall</strong>s innerhalb von<br />

drei Stun<strong>den</strong> stehen heute Therapieansätze<br />

auch jenseits des 3-Stun<strong>den</strong>-Zeitfensters<br />

zur Verfügung. Die<br />

HAGS hat ein gemeinsames Therapieschema<br />

für die Behandlung<br />

des akuten <strong>Schlaganfall</strong>s erarbeitet,<br />

durch das in <strong>Hamburg</strong> eine spezifische<br />

Therapie inner- und außerhalb<br />

des Drei-Stun<strong>den</strong>-Zeitfensters<br />

sichergestellt wird.<br />

454<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong>


DAS EDITORIAL THEMA<br />

schen Gesellschaft für Neurologie (DGN)<br />

behandelt: Es erfolgt ein Blutungsausschluss<br />

durch geeignete Bildgebung (CT<br />

oder MRT) und – bei Fehlen von Kontraindikationen<br />

– eine systemische Thrombolyse<br />

mit tPA. Dieses Vorgehen verbessert<br />

das Behandlungsergebnis mit einer<br />

> 30 % höheren Wahrscheinlichkeit, ein<br />

relevantes neurologisches Defizit (modifizierte<br />

Ranking-Skala 0-1) zurückzubehalten.<br />

Auch in der klinischen Routine ist<br />

die Thrombolyse sicher und effektiv und<br />

beim akuten <strong>Schlaganfall</strong> innerhalb von<br />

drei Stun<strong>den</strong> unumstritten.<br />

Bei Patienten, die erst nach Ablauf der<br />

dritten Stunde aber innerhalb von sechs<br />

Stun<strong>den</strong> nach Symptombeginn behandelt<br />

wer<strong>den</strong> können, sind der Nachweis<br />

eines Gefäßverschlusses sowie die I<strong>den</strong>tifikation<br />

von infarktgefährdetem Hirngewebe<br />

für die Therapieentscheidung unverzichtbar.<br />

Bei Nachweis von potentiell<br />

zu rettendem Hirngewebe wird je nach<br />

individuellem Behandlungsrisiko auch<br />

bei diesen Patienten eine systemische<br />

Thrombolyse mit tPA durchgeführt. Basis<br />

dieses Vorgehens ist die multimodale<br />

MRT-Bildgebung, mit deren Hilfe beim<br />

akuten <strong>Schlaganfall</strong> ein Gefäßverschluss<br />

nachgewiesen kann (s. Artikel „Moderne<br />

<strong>Schlaganfall</strong>bildgebung“). In mehreren<br />

Publikationen über die MRT-basierte<br />

Thrombolyse jenseits von drei Stun<strong>den</strong><br />

wur<strong>den</strong> Effektivität und Sicherheit der<br />

Thrombolyse bei MRT-basierter Patientenselektion<br />

belegt. MRT-selektierte Patienten<br />

erreichen im 6-Stun<strong>den</strong>-Zeitfenster<br />

häufiger ein gutes klinisches Ergebnis als<br />

CT-selektierte Patienten (Abb. 2). Dies gilt<br />

für die ersten drei Stun<strong>den</strong> ebenso wie<br />

für die Thrombolyse nach > 3-6 Stun<strong>den</strong>.<br />

Die Rate symptomatischer intrazerebraler<br />

Blutungen war in publizierten MRT-Studien<br />

sogar niedriger als bei <strong>den</strong> mit tPA<br />

behandelten Patienten aus <strong>den</strong> großen<br />

CT-basierten Thrombolysestudien. Die<br />

DGN weist in ihren Leitlinien zur Behandlung<br />

des akuten <strong>Schlaganfall</strong>s darauf<br />

hin, dass bei MRT-basierter Patientenauswahl<br />

ein individuell größeres Zeitfenster<br />

bestehen kann als in <strong>den</strong> Zulassungskriterien<br />

für tPA vorgesehen (www.dgn.org).<br />

Carotis-T-Verschluss<br />

Bei Verschluss der intrakraniellen A. carotis<br />

interna (sog. Carotis-T-Verschluss; CTO)<br />

im Drei-Stun<strong>den</strong>-Zeitfenster wird analog<br />

zum Versorgungsgebiet der ACM eine<br />

systemische Thrombolyse mit tPA durchgeführt.<br />

Bei Patienten, die nicht innerhalb<br />

von drei aber binnen sechs Stun<strong>den</strong> behandelt<br />

wer<strong>den</strong> können sowie bei jenen<br />

Abb. 1: Therapieschema bei akutem <strong>Schlaganfall</strong>. CTO: Carotis-T-Verschluss; BAO:<br />

Basilarisverschluss; ACM: A. cerebri media.<br />

Patienten, die nicht binnen einer Stunde<br />

nach Beginn einer systemischen Thrombolyse<br />

rekanalisiert sind, sollte analog<br />

zum <strong>Schlaganfall</strong> im Versorgungsgebiet<br />

der ACM eine multimodale Bildgebung<br />

erfolgen (Abb. 1). Je nach Befundkonstellation<br />

und individuellem Behandlungsrisiko<br />

wird unverzüglich der Versuch einer<br />

endovaskulären Gefäßrekanalisation<br />

unternommen. Ggf. wer<strong>den</strong> betroffene<br />

Patienten unverzüglich in eines der bei<strong>den</strong><br />

<strong>Hamburg</strong>er Krankenhäuser mit rundum-die-Uhr<br />

verfügbarer endovaskulärer<br />

Neuroradiologie verlegt (Universitätsklinikum<br />

<strong>Hamburg</strong>-Eppendorf und Asklepios-Klinik<br />

<strong>Hamburg</strong>-Altona). Denn beim<br />

CTO droht im Falle eines persistieren<strong>den</strong><br />

Gefäßverschlusses ein raumfordernder,<br />

maligner Hirninfarkt, welcher mit einer<br />

Mortalität bis zu 80 % verbun<strong>den</strong> ist. Die<br />

systemische Thrombolyse innerhalb von<br />

drei Stun<strong>den</strong> erhöht die Rekanalisationsrate<br />

<strong>gegen</strong>über dem Spontanverlauf und<br />

ist mit einem besseren klinischen Ergebnis<br />

verbun<strong>den</strong>. Prinzipiell gibt es daher<br />

keine Rationale dafür, Patienten mit CTO<br />

innerhalb drei Stun<strong>den</strong> nicht mit der Zeit<br />

sparen<strong>den</strong> systemischen Thrombolyse zu<br />

behandeln. Allerdings sollte bei ausbleibender<br />

Rekanalisation nach Analyse der<br />

multimodalen Bildgebung wegen Gefahr<br />

der <strong>Schlaganfall</strong>progression der Versuch<br />

einer endovaskulären Rekanalisation erwogen<br />

wer<strong>den</strong>. Da es für die Behandlung<br />

des CTO jenseits von drei Stun<strong>den</strong> keine<br />

prospektiven Studien gibt, lässt sich hier<br />

keine evi<strong>den</strong>zbasierte therapeutische<br />

Empfehlung ableiten. Die ohne Rekana-<br />

lisation sehr schlechte Prognose spricht<br />

aber dafür, bei Patienten mit noch kleiner<br />

Infarktläsion und guter Kollateralisation<br />

einen raschen, primär endovaskulären<br />

Rekanalisationsversuch mit pharmakologischen<br />

und mechanischen Mitteln zu<br />

unternehmen.<br />

Akuter Verschluss der<br />

A. basilaris<br />

Bei akutem Verschluss der A. basilaris<br />

(BAO) ist eine Einteilung in zwei Zeitfenster<br />

nicht sinnvoll. Wegen hoher Spontanmortalität<br />

des BAO von ca. 90 % ist<br />

unverzüglich eine aggressive Gefäßrekanalisation<br />

anzustreben, die auch ein endovaskuläres<br />

Vorgehen beinhaltet. Die<br />

Zeit bis zum Beginn der endovaskulären<br />

Behandlung sollte durch systemische<br />

Gabe eines GpIIb/IIIa-Inhibitors überbrückt<br />

wer<strong>den</strong> (sog. Bridging-Verfahren).<br />

Bei deutlicher Verzögerung bis zum Beginn<br />

einer endovaskulären Rekanalisation<br />

(z. B. wenn sofortige Verlegung in Krankenhaus<br />

mit interventioneller Neuroradiologie<br />

nicht möglich) sollte der Versuch<br />

einer systemischen Thrombolyse mit tPA<br />

durchgeführt wer<strong>den</strong>. Die Indikation<br />

zur späten Rekanalisation ist immer eine<br />

Einzelfallentscheidung und sollte von erfahrenen<br />

Zentren mit interventioneller<br />

Neuroradiologie geprüft wer<strong>den</strong>. Bei<br />

schwerer Bewusstseinsstörung > 6 Stun<strong>den</strong><br />

oder bei ausgedehnten Infarktarealen<br />

sollte die Indikation für eine Rekanalisationsbehandlung<br />

nicht mehr gestellt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

455


DAS THEMA<br />

Diagnostik und Therapie<br />

Arteriosklerotische<br />

intrakranielle<br />

Gefäßstenosen<br />

Von Roland Brüning, Carsten Pohlmann,<br />

Peter P. Urban, Hermann Zeumer<br />

456<br />

Abb. 2: Klinisches Ergebnis (modifizierte Rankin Skala; mRS) bei Patienten im 6-Stun<strong>den</strong>-Zeitfenster<br />

ohne Thrombolyse (Plazebo), CT-basierter Thrombolyse (CT-Selektion<br />

tPA) und MRT-basierter Thrombolyse (MRT-Selektion tPA). In allen Zeitfenstern erreichen<br />

MRT-selektierte Patienten häufiger ein gutes klinisches Ergebnis (mRS 0-1) als CTselektierte<br />

Patienten (modifiziert nach Thomalla et al., Stroke 2006).<br />

Der akute Basilarisverschluss (BAO) ist<br />

eine lebensbedrohliche Form des <strong>Schlaganfall</strong>s<br />

und hat unbehandelt eine Mortalität<br />

von bis zu 90 %. Das primär endovaskuläre<br />

Vorgehen begründet sich aus der<br />

Tatsache, dass akute Basilarisverschlüsse<br />

häufig nicht embolisch sondern atherothrombotisch<br />

bedingt sind und deshalb<br />

nur mit mechanischen Maßnahmen (Angioplastie/Stenting)<br />

dauerhaft rekanalisiert<br />

wer<strong>den</strong> können. Wenngleich bislang<br />

keine Vergleichsstudien zwischen intravenöser<br />

und lokaler Thrombolyse beim<br />

BAO vorliegen, besteht weitgehende Einigkeit<br />

darüber, primär die Option endovaskulärer<br />

Gefäßrekanalisation anzustreben.<br />

Da insbesondere bei embolischem<br />

BAO auch mit systemischer Thrombolyse<br />

gute Behandlungsergebnisse erzielt wer<strong>den</strong><br />

können, stellt diese eine Behandlungsoption<br />

dar, wenn sich das Zeitfenster<br />

von sechs Stun<strong>den</strong> zu schließen droht,<br />

ein Transport in eine interventionelle<br />

Neuroradiologie zu viel Zeit verschlingen<br />

würde oder bei alten Menschen mit dilatativer<br />

Makroangiopathie und dadurch<br />

bedingt erschwertem Angiographiezugang.<br />

Bei kalkulierbarer Behandlungsverzögerung<br />

(z. B. bei schneller Verlegung in<br />

ein nahe gelegenes Krankenhaus mit interventioneller<br />

Neuroradiologie) wer<strong>den</strong><br />

durch frühe Gabe eines GpIIb/IIIa-Inhibitors<br />

und anschließender endovaskulärer<br />

Gefäßrekanalisation bessere Behandlungsergebnisse<br />

erzielt als durch die alleinige<br />

lokale Thrombolyse. Zwar verfügen<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

GpIIb/IIIa-Inhibitoren über eine geringe<br />

eigene Rekanalisationswirkung, begünstigen<br />

aber <strong>den</strong> fibrinolytischen Spontanabbau<br />

und verhindern ein Wachstum<br />

des Thrombus sowie eine Re-Thrombose<br />

nach erfolgreicher Rekanalisation.<br />

Koordiniertes organisiertes<br />

Verfahren<br />

Das hier beschriebene therapeutische<br />

Vorgehen ist keine allgemeingültige<br />

Therapieempfehlung, sondern ein koordiniertes,<br />

organisiertes und durch die<br />

HAGS überwachtes Verfahren. Die Verfahrensvereinbarungen<br />

basieren auf <strong>gegen</strong>wärtig<br />

verfügbarer Literatur und auf<br />

Ergebnissen eigener, durch Ethikkommissionen<br />

genehmigter Therapiestudien.<br />

Als oberster Grundsatz gilt, dass mit jeder<br />

Minute, die nach einem <strong>Schlaganfall</strong><br />

ungenutzt verstreicht, Gesundheits- und<br />

Überlebenschancen des Patienten sinken.<br />

Es wäre ein fataler Trugschluss zu<br />

glauben, dass die Ausdehnung des Zeitfensters<br />

über drei Stun<strong>den</strong> hinaus bedeutet,<br />

die Prähospitalzeit könne damit ungestraft<br />

verlängert wer<strong>den</strong>. Im Gegenteil:<br />

Je später Diagnostik und Therapie nach<br />

Symptombeginn eingeleitet wer<strong>den</strong>, desto<br />

schwieriger wird es, jene Patienten zu<br />

i<strong>den</strong>tifizieren, <strong>den</strong>en noch kausal geholfen<br />

wer<strong>den</strong> kann. Jeder akute <strong>Schlaganfall</strong><br />

ist ein absoluter Notfall und sollte sofort<br />

in ein Krankenhaus mit neurologischer<br />

Stroke Unit transportiert wer<strong>den</strong>.<br />

Bei einer zerebralen Ischämie wie<br />

einer transienten ischämischen Attacke<br />

(TIA) oder einem Infarkt liegt<br />

in 5-<strong>10</strong> % der Fälle eine arteriosklerotische<br />

intrakranielle Stenose zugrunde.<br />

Diese ist also häufiger als<br />

bislang angenommen.<br />

In der Deutschen <strong>Schlaganfall</strong>-Datenbank<br />

lag die Häufigkeit der arteriosklerotischen<br />

intrakraniellen Stenose bei 6,5 %. Die<br />

Prävalenz asymptomatischer intrakranieller<br />

Stenosen wurde bislang nur sporadisch<br />

untersucht und liegt in Abhängigkeit<br />

von der Anzahl vaskulärer Risikofaktoren<br />

zwischen 7,2 % und 29,6 %. Die intrakraniellen<br />

Stenosen verteilen sich nach<br />

der GESICA-Studie zu jeweils rund 25 %<br />

auf <strong>den</strong> intrakraniellen Abschnitt der A.<br />

carotis interna, die A. cerebri media, die<br />

intrakranielle A. vertebralis (V3-und V4-<br />

Segmente) und die A. basilaris. Alle anderen<br />

Segmente sind deutlich seltener<br />

betroffen.<br />

Spontanverlauf und<br />

Rezidivrisiko<br />

Dopplersonographische und angiographische<br />

Verlaufsuntersuchungen intrakranieller<br />

Stenosen haben gezeigt, dass es<br />

bei 30-60 % der Patienten mit Stenosen<br />

der Arteria cerebri media und posterior<br />

zu einer Progredienz kommt, während<br />

dies im intrakraniellen Abschnitt der ACI<br />

selten der Fall ist. Spontane Besserungen<br />

kommen vor. So wurde bei 7,5-30 % der<br />

Patienten eine Abnahme des Stenosegrades<br />

festgestellt. Die Schwankungsbreite<br />

dieser Angaben lassen sich u. a.<br />

durch retrospektives Design der Untersuchungen<br />

und eine nicht standardisierte<br />

Sekundärprophylaxe erklären. Aber auch<br />

der Abbau thrombotischen Materials an<br />

einer nicht obstruieren<strong>den</strong> arteriosklerotischen<br />

Plaque oder der Abbau eines Embolus<br />

können dieses Phänomen plausibel<br />

erklären.


DAS EDITORIAL THEMA<br />

Die Angaben zum Risiko einer Ischämie<br />

bei symptomatischer intrakranieller<br />

Stenose schwanken erheblich zwischen<br />

8-24 % pro Jahr. Der entschei<strong>den</strong>de Prädiktor<br />

für ein erhöhtes Rezidivrisiko war<br />

in der WASID-Studie der Stenosegrad<br />

über 70 %. Weitere, allerdings schwächere<br />

Prädiktoren waren kurze Latenz<br />

zwischen Indexereignis und Diagnose<br />

der Stenose, weibliches Geschlecht und<br />

ein hoher Blutdruck. Das Rezidivrisiko ist<br />

in <strong>den</strong> ersten Monaten nach Indexereignis<br />

am höchsten. So lag der zeitliche Median<br />

eines Rezidivs in der GESICA-Studie bei<br />

zwei Monaten. In einer Diffusions-MRT-<br />

Verlaufsuntersuchung konnte gezeigt<br />

wer<strong>den</strong>, dass es trotz sekundärprophylaktischer<br />

Medikation bereits eine Woche<br />

nach dem Indexereignis bei 50,9 % (!)<br />

aller Patienten zu weiteren, meist klinisch<br />

stummen Läsionen im Diffusionsbild gekommen<br />

ist. Klinisch machte sich dies<br />

bei nur 12,7 % bemerkbar.<br />

Das Risiko einer cerebralen Ischämie bei<br />

asymptomatischer intrakranieller Stenose<br />

ist mit 0-1,4 % pro Jahr deutlich niedriger.<br />

Ein Zusammenhang mit dem Stenosegrad<br />

ließ sich aufgrund niedriger Rezidivraten<br />

nicht belegen. Auch bei diesen Studien<br />

waren die meisten Patienten medikamentös<br />

primärprophylaktisch behandelt.<br />

Grundsätzlich muss bei allen mit einer<br />

Schnittbildgebung nachgewiesenen Infarkten<br />

differentialdiagnostisch an eine<br />

zugrunde liegende intrakranielle Stenose<br />

gedacht wer<strong>den</strong>. Zur Erkennung, ob eine<br />

intrakranielle Stenose bei einem akuten<br />

<strong>Schlaganfall</strong> vorliegt, sollte deshalb eine<br />

Ultraschalldiagnostik mit TCD, eine MRA<br />

oder CTA oder eine DSA durchgeführt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Ultraschalldiagnostik<br />

Für die nicht-invasive Diagnostik intrakranieller<br />

Stenosen ist die transkranielle<br />

Doppler- und Duplexsonographie etabliert.<br />

Distale Stenosen der Arteria carotis<br />

interna (ACI) wer<strong>den</strong> über indirekte Stenosezeichen<br />

bei der Duplexsonographie<br />

erkannt, Siphonstenosen der ACI können<br />

außerdem über <strong>den</strong> transorbitalen TCD<br />

erkannt wer<strong>den</strong>. Intrakranielle Stenosen<br />

sind über TCD bzw. transkranielle Farbduplexsonographie<br />

zu diagnostizieren,<br />

die ggf. auch Ultraschallkontrastmittelverstärkt<br />

erfolgt (Abb. 1). Zur Stenosegraduierung<br />

wer<strong>den</strong> maximale systolische<br />

Flussgeschwindigkeit in der Stenose, sekundäre<br />

Stenosekriterien (prä- und poststenotische<br />

Flussverhältnisse) und auch<br />

tertiäre Stenosekriterien (Kollateralgefässe)<br />

beurteilt.<br />

Primärer Endpunkt<br />

Eine Einschränkung sonographischer<br />

Diagnostik ergibt sich für intrakranielle<br />

Gefäße bei unzureichendem temporalem<br />

Schallfenster. Weitere Limitationen<br />

stellen Stenosen der distalen Arteria basilaris<br />

dar, die sonographisch nicht direkt<br />

einsehbar sind, sondern nur an indirekten<br />

Stenosezeichen erkannt wer<strong>den</strong> können.<br />

Auch gelten indirekte Stenosezeichen nur<br />

für hochgradige Stenosen, während leichter-<br />

und mittelgradige Stenosen dem sonographischen<br />

Nachweis entgehen können.<br />

Generell sind bei TCD-Sonographie<br />

verschie<strong>den</strong>e potentielle Fehlerquellen<br />

zu berücksichtigen, was eine hohe Erfahrung<br />

des Untersuchers voraussetzt.<br />

MR-Angiographie<br />

Die am häufigsten verwendete MR-angiographische<br />

Technik wird durch die timeof-flight<br />

Technik (TOF) charakterisiert.<br />

Diese Messungen zeichnen sich durch<br />

eine sehr gute örtliche Auflösung aus,<br />

eine Kontrastmittelinjektion ist nicht notwendig,<br />

die Messzeit liegt bei etwa fünf<br />

Minuten. Diese Messungen<br />

sind gut kombinierbar<br />

mit einer normalen<br />

diagnostischen<br />

MRT, einschließlich<br />

einer diffusionsgewichteten<br />

Aufnahme.<br />

Das jetzt vorliegende<br />

SONIA Trial gibt<br />

anhand 4<strong>07</strong> eingeschlossener<br />

Patienten<br />

eine orientierende<br />

Aussage über die<br />

Wertigkeit von MRA<br />

und TCD, gemessen<br />

an der „selektiven<br />

DSA“. So lag der<br />

negative prädiktive<br />

Wert (NPV) für einen<br />

ASS (N=280)<br />

% (Patienten)<br />

Warfarin (N=289)<br />

% (Patienten)<br />

p-Wert<br />

Zerebraler Infarkt, ICB, Tod 22,1 21,8 0,83<br />

Sekundäre Endpunkte<br />

Zerebraler Infarkt oder ICB 20,7 17,6 0,34<br />

Zerebraler Infarkt 20,4 17,0 0,29<br />

Infarkt im Stromgebiet der intrakraniellen 15,0 12,1 0,31<br />

Stenose<br />

Zerebraler Infarkt mit starker Behinderung 8,9 6,2 0,22<br />

oder Tod<br />

Zerebraler Infarkt, Myokardinfarkt, oder<br />

vaskulärer Tod<br />

23,6 24,6 0,90<br />

Tab. 1: Primäre und sekundäre Endpunkte der WASID II-Studie (Chimowitz et al. 2005).<br />

(a)<br />

Stenosegrad von 50-99 % bei der TCD<br />

bei 86 %, bei der MRA bei 91 %. Einschränkend<br />

ist zu bemerken, dass SONIA<br />

nicht so konzipiert war, dass eine vergleichende<br />

Wertung von MRA und TCD am<br />

gleichen Gefäß durchgeführt wurde.<br />

Digitale Subtraktionsangiographie<br />

(DSA)<br />

Das Verfahren mit der genauesten Aussage<br />

bezüglich einer intrakraniellen Stenose<br />

ist die DSA mit selektiver Darstellung<br />

der hirnzuführen<strong>den</strong> Gefäße. Auch<br />

wenn das Risiko der rein diagnostischen<br />

Angiographie gering ist, so wird sie in der<br />

Regel nur im Vorfeld einer Intervention<br />

eingesetzt.<br />

Medikamentöse Therapie<br />

Die WASID II-Studie mit 569 Patienten<br />

ist die bislang größte prospektive, randomisierte,<br />

doppelblinde Studie zur medikamentösen<br />

Therapie intrakranieller<br />

Stenosen, bei der ASS (1.300 mg/d) mit<br />

Abb. 1: Farbduplexsonografische Darst. intrakraanieller Gefäßstenosen.<br />

a) hochgradige Stenose im Mediahauptstamm links (M1-<br />

Segment) m. Alias-Phänomen sowie deutl. lokaler Strömungsbeschleunigung<br />

auf systolische Maximalgeschwindigkeit von ca. 3<br />

m/s (transtemporal, axiale Ebene). b) Kurzstreckige hochgradige<br />

Stenose in der linken A. vertebralis intrakraniell (V4-Segment)<br />

kurz vor Einmündung in die A. basilaris; ebenfalls Alias-Phänomen<br />

u. deutl. lokale Strömungsbeschleunigung auf systolische<br />

Maximalgeschwindigkeit von ca. 2,5 m/s.<br />

(b)<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

457


DAS THEMA<br />

(a)<br />

fäßverschluss, die vor Insult mit Statinen<br />

behandelt wur<strong>den</strong>, eine signifikant bessere<br />

Kollateralisierung aufwiesen. Dennoch<br />

unterstreichen die häufigen Rezidive<br />

unter medikamentöser Therapie die<br />

Notwendigkeit weiterer therapeutischer<br />

Ansätze, insbesondere bei Patienten mit<br />

höhergradigen Stenosen oder einer Progredienz<br />

der Stenose.<br />

Interventionelle Therapie<br />

Abb 3: Interventionelle Behandlung eines 63jährigen Mannes<br />

an einer kurzstreckigen höhergradigen Stenose (ca. 80 %, Pfeil)<br />

der A. vertebralis im intraduralen Abschnitt (V4). Abbildung<br />

(a) zeigt eine Ausschnittsvergrößerung einer ap-Projektion vor<br />

Behandlung, und nach regelrechter Implantation eines 3,5 mm<br />

messen<strong>den</strong> Stents (b, gepunkteter Pfeil).<br />

Abb. 2: Intrakranielle Stenose der Arteria carotis interna (ACI) bei einem 67 jährigen Mann mit<br />

einer transienten ischämischen Attacke (TIA) vor Behandlung (a), während der Stentimplantation<br />

(b) und nach der komplikationsfreien 60-minütigen Behandlung mit einem regelrechten, wiederhergestellten<br />

Gefäßlumen (c).<br />

(b)<br />

(a) (b) (c)<br />

Die Angioplastie mit Stent könnte sich als<br />

viel versprechende Behandlungsoption<br />

für diejenigen intrakraniellen Stenosen<br />

zeigen, bei <strong>den</strong>en der ausbleibende Effekt<br />

einer gerinnungshemmen<strong>den</strong> Medikation<br />

darauf hinweist, dass nicht Embolien,<br />

sondern eine hämodynamische<br />

Wirksamkeit der Stenose die Symptomatik<br />

verursacht. Eine solche Ursache kann<br />

mechanisch beseitigt wer<strong>den</strong>. Für die<br />

Behandlung intrakranieller Stenosen gibt<br />

es in Deutschland jetzt zugelassene, speziell<br />

adaptierte Produkte, von <strong>den</strong>en man<br />

erwartet, dass sie zu besseren Dauerergebnissen<br />

führen, als<br />

die bislang verwendeten<br />

Koronarstents.<br />

Abb. 2 zeigt ein Behandlungsbeispiel<br />

an<br />

der ACI, Abb. 3 eine<br />

Stentimplantation an<br />

der Vertebralis. Als<br />

mögliche Vorteile der<br />

Stentimplantation im<br />

Vergleich zu reinen<br />

Ballondilatationen<br />

gelten eine reduzierte<br />

Rate an Dissektionen<br />

und eine möglicherweise<br />

geringere Restenoserate.<br />

Dem<br />

steht <strong>gegen</strong>über, dass<br />

Warfarin (Ziel-INR: 2,0-3,0) verglichen<br />

wurde. Die mittlere Studiendauer<br />

betrug 1,8 Jahre. Die Studie<br />

wurde vorzeitig abgebrochen<br />

aufgrund erhöhter Blutungskomplikationen<br />

unter Warfarin (8,3 %).<br />

Ischämien im Versorgungsgebiet<br />

intrakranieller Stenosen waren<br />

unter ASS ten<strong>den</strong>ziell, aber nicht<br />

statistisch signifikant seltener als<br />

unter Warfarin (Tab. 1). Die Behandlung<br />

intrakranieller Stenosen<br />

mit ASS war somit vorteilhaft, das<br />

verbleibende Rezidivrisiko betrug<br />

unter Therapie 11 % innerhalb des<br />

ersten Jahres. Aus der WASID II-<br />

Studie folgt, dass bei (arteriosklerotischen)<br />

intrakraniellen Stenosen<br />

die Therapie mit einem Thrombozytenaggregationshemmer<br />

Mittel der Wahl ist.<br />

Ob eine doppelte Plättchenhemmung<br />

(ASS und Clopidogrel) effektiver ist als<br />

eine Monotherapie, wurde bislang nicht<br />

systematisch untersucht. Gesichert ist<br />

allerdings, dass diese Therapie wesentlich<br />

effektiver als eine Monotherapie die<br />

Thrombenbildung an kardiologischen Implantaten<br />

vermeidet. Gesichert ist allerdings<br />

nach der MATCH-Studie auch, dass<br />

die Kombination von ASS und Clopidogrel<br />

bei längerfristiger Anwendung (18<br />

Monate) mit einem doppelten Blutungsrisiko<br />

verglichen mit ASS-Monotherapie<br />

einhergeht (2,6 % vs. 1,3 %). Neben einer<br />

Thrombozytenaggregationshemmung ist<br />

die Behandlung mit Statinen wesentlicher<br />

Bestandteil der medikamentösen<br />

Therapie. Wenngleich in bislang vorliegen<strong>den</strong><br />

Studien zur Sekundärprophylaxe<br />

zerebraler Ischämien keine separate Auswertung<br />

der Patienten mit intrakraniellen<br />

Stenosen erfolgte, konnte angiographisch<br />

gezeigt wer<strong>den</strong>, dass jene Patienten mit<br />

symptomatischem intrakraniellem Gemit<br />

Restenosen zu rechnen, die Häufigkeit<br />

einer Restenose > 60 % aber noch<br />

schwer abzuschätzen ist, weil höchst<br />

heterogene Werte bei Beobachtungsintervallen<br />

von ca. 6 bis 24 Monaten gesehen<br />

wur<strong>den</strong>. Vorliegende Publikationen<br />

zeigen eine hohe Rate an technischem<br />

Erfolg der PTA und Stentimplantation von<br />

92 % bis 95 %. Auch Angaben zu Komplikationen<br />

liegen bei einem Beobachtungsintervall<br />

von einem Jahr bei 7 %,<br />

bei einer retrospektiven Auswertung von<br />

Jiang (Radiology 20<strong>07</strong>) von 169 Patienten<br />

bei insgesamt 11,8 % nach 30 Tagen, einschließlich<br />

hämorrhagischer Insulte. Der<br />

Aussagewert zu klinischen Erfolgen ist allerdings<br />

noch sehr begrenzt, weil mangels<br />

genauer Kenntnisse zur Spontanprognose<br />

unter doppelter Plättchenhemmung nicht<br />

klar ist, in welchem Umfang ischämische<br />

Komplikationen akzeptiert wer<strong>den</strong> können,<br />

die mit intrakranieller Intervention<br />

korrelieren und vom Nutzen der Maßnahme<br />

abgezogen wer<strong>den</strong> müssen.<br />

Auf der einen Seite ist also die Beseitigung<br />

eines offenkundig wirksamen Strömungshindernisses<br />

eine in sich plausible<br />

Vorgehensweise. Die technischen<br />

Voraussetzungen sind geschaffen und<br />

in jüngerer Zeit auch verbessert wor<strong>den</strong>.<br />

Die beschriebenen Unsicherheiten<br />

zwingen aber zu einer sehr sorgfältigen<br />

individuellen Risiko-Nutzenabschätzung<br />

und Indikationsstellung durch Neurologen<br />

und Neuroradiologen, da belastbare<br />

Aussagen zur Prognose mit oder ohne<br />

Stent noch nicht vorliegen. Deshalb sollte<br />

auch bei allen Patienten Verständnis dafür<br />

geweckt wer<strong>den</strong>, dass ihre Behandlungs-<br />

und Verlaufsdaten in einem in<br />

Deutschland eingerichteten Zentralregister<br />

gesammelt und ausgewertet wer<strong>den</strong>.<br />

Literatur beim Verfasser.<br />

458<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong>


DAS THEMA<br />

<strong>460</strong><br />

Klinische Fehldiagnosen<br />

Vorsicht Falle!<br />

Von Christoph Terborg,<br />

Walter Sick, Rudolf F. Töpper<br />

Für erstbehandelnde Ärzte kommt<br />

es beim <strong>Schlaganfall</strong> darauf an, <strong>den</strong><br />

Patienten mit <strong>den</strong> einfachen Mitteln<br />

von Anamnese und klinischem Befund<br />

in die richtigen diagnostischen<br />

und therapeutischen Bahnen zu lenken.<br />

Ob dem <strong>Schlaganfall</strong> ein ischämischer<br />

Infarkt – in etwa 80 % der Fälle – oder<br />

eine intrazerebrale Blutung – in ca. 15 %<br />

der Fälle – zugrunde liegt, lässt sich ohne<br />

bildgebende Verfahren nicht entschei<strong>den</strong>.<br />

Akut oder subakut aufgetretene Funktionsstörungen<br />

des ZNS sind ätiologisch<br />

vieldeutig. Übersieht man einen <strong>Schlaganfall</strong>,<br />

hat das mitunter fatale Folgen für<br />

die Betroffenen. Wird umgekehrt jedes<br />

neurologische Symptom als <strong>Schlaganfall</strong><br />

interpretiert, folgt eine aufwändige, teure<br />

Diagnostik. Aufgabe des erstbehandeln<strong>den</strong><br />

Arztes in der Prähospitalphase ist,<br />

eine Verdachtsdiagnose nach der höchsten<br />

Wahrscheinlichkeit zu stellen sowie<br />

Diagnostik und Therapie einzuleiten. Die<br />

wichtigsten Mittel sind Anamnese und<br />

neurologischer Befund. Wesentliche Informationen<br />

geben Patienten oder ihre<br />

Angehörige meist selbst an: Wann hat<br />

sich ein Symptom eingestellt, wie schnell<br />

hat es sich entwickelt, welche Vorerkrankungen<br />

und vaskuläre Risikofaktoren bestehen,<br />

welche Medikamente wer<strong>den</strong> eingenommen?<br />

Der neurologische Befund in<br />

der Prähospitalphase muss nicht facharztreif<br />

sein; seine Erhebung sollte maximal<br />

fünf Minuten in Anspruch nehmen, aber<br />

Minimalstandard entsprechen (Tab. 1).<br />

Zusatzuntersuchungen (in der frühen<br />

Hospitalphase) dienen dazu, die Verdachtsdiagnose<br />

zu beweisen und Differenzialdiagnosen<br />

auszuschließen. Im Zweifel<br />

sollte immer der Verdachtsdiagnose<br />

„<strong>Schlaganfall</strong>“ nachgegangen wer<strong>den</strong>,<br />

um keine therapeutische Option zu verpassen.<br />

Im Folgen<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> Leitsymptome<br />

des <strong>Schlaganfall</strong>s beschrieben.<br />

1. Kopfschmerzen mit und ohne neurologische<br />

Ausfälle<br />

Ein <strong>Schlaganfall</strong> kann mit akut einsetzen<strong>den</strong><br />

Kopfschmerzen einhergehen. Zusätzliche<br />

neurologische Ausfälle oder epileptische<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

Anfälle erfordern stets eine sofortige Klinikeinweisung.<br />

Primäre Kopfschmerzen sind<br />

häufig, definitionsgemäß ohne kausale<br />

strukturelle Läsion, aufgrund der Anamnese<br />

einzuordnen und ohne bleibende<br />

neurologische Ausfälle. Die Migräne<br />

mit Aura (früher: M. accompagnée; bei<br />

<strong>10</strong>-15 % aller Migränepatienten) beginnt<br />

mit verschie<strong>den</strong>en Funktionsstörungen<br />

des ZNS, v. a. visuellen Symptomen wie<br />

wandernde Flimmerskotome (99 %), seltener<br />

mit sensiblen oder motorischen<br />

Ausfällen (1-9 %), Sprach- oder Sprechstörungen,<br />

die sich innerhalb von 20-40<br />

Minuten zurückbil<strong>den</strong> und <strong>den</strong>en i. d. R.<br />

ein halbseitiger Kopfschmerz folgt. Die<br />

Kopfschmerzen sind durch Anstrengung<br />

verstärkt und von Übelkeit, Erbrechen,<br />

Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet.<br />

Bei bekannter Migräneanamnese ist<br />

die Diagnose naheliegend. Beim ersten<br />

Migräneanfall oder bei Änderung der<br />

bekannten Aurasymptomatik sollte aber<br />

eine zerebrale Diagnostik erfolgen, da<br />

ohne Zusatzdiagnostik die Unterscheidung<br />

zwischen Migräne mit Aura und<br />

<strong>Schlaganfall</strong> in der Akutsituation auch für<br />

<strong>den</strong> Neurologen schwierig ist.<br />

Einseitiger, anhaltender temporaler Kopfschmerz<br />

charakterisiert auch die Arteriitis<br />

temporalis, eine Vaskulitis mittelgroßer<br />

Arterien, bei der der Verschluss der Zentralarterie<br />

mit Amaurose gefürchtet ist. Diagnostisch<br />

wegweisend ist der subakute<br />

Verlauf, eine druckdolente A. temporalis<br />

superficialis, eine deutlich erhöhte BSG,<br />

der Nachweis von Granulomen mit Riesenzellen<br />

in der Temporalisbiopsie und<br />

das rasche Ansprechen auf hochdosierte<br />

Glukokortikoide. Differenzialdiagnostisch<br />

kann aber auch ein akuter Glaukomanfall<br />

zu lokalen Schmerzen und progredienter<br />

Visusstörung führen. Im Zweifel hilft die<br />

Messung des Augeninnendrucks weiter.<br />

Ein- oder beidseitige Kopfschmerzen mit Bewusstseinsstörung,<br />

neurologischen Herdsymptomen<br />

und epileptischen Anfällen<br />

fin<strong>den</strong> sich auch bei subduralen Hämatomen<br />

und Hirnvenen- und Sinusthrombosen.<br />

Beim Hämatom findet sich u. U.<br />

nur ein banales Kopftrauma, zerebrale<br />

Thrombosen sind anamnestisch uneinheitlich;<br />

in bei<strong>den</strong> Fällen ist aber eine<br />

rasche Bildgebung und eine stationäre<br />

Therapie indiziert. Einseitige Kopf- und<br />

Halsschmerzen sind oft (ca. 60 %) erstes<br />

Symptom einer Dissektion der A. carotis<br />

interna, die spontan oder traumatisch<br />

auftritt. Neben einem Hornersyndrom mit<br />

homolateraler Ptose und Miosis (28-41 %)<br />

können Hirninfarkt-Symptome (ca. 75 %)<br />

auftreten, die eine sofortige stationäre<br />

Diagnostik und Therapie erforderlich machen.<br />

Dissektionen der A. vertebralis verursachen<br />

oft einseitige Nackenschmerzen<br />

und TIAs bzw. ischämische Hirninfarkte,<br />

die der hinteren zerebralen Zirkulation<br />

zugeordnet wer<strong>den</strong> und sehr heterogen<br />

sein können.<br />

Beim akuten, heftigsten Kopfschmerz „wie<br />

noch nie“ muss immer an eine Subarachnoidalblutung<br />

gedacht wer<strong>den</strong>. Ein<br />

Meningismus ist hier i. d. R. nachweisbar,<br />

neurologische Ausfälle und Bewusstseinsstörungen<br />

können vorhan<strong>den</strong> sein. Eine<br />

rasche Diagnostik zum Blutungs- und ggf.<br />

Aneurysmanachweis, neurochirurgische oder<br />

interventionelle Aneurysmaausschaltung und<br />

intensivmedizinische Versorgung sind sofort<br />

erforderlich.<br />

2. Epileptische Anfälle mit postiktalen<br />

neurologischen Herdsymptomen<br />

Epileptische Anfälle können einen <strong>Schlaganfall</strong><br />

imitieren, insbesondere dann, wenn<br />

sie erstmals auftreten und keine Fremdbeobachtung<br />

vorliegt. Der generalisierte<br />

Anfall mit akuter Bewusstlosigkeit, Sturz,<br />

tonisch-klonischen Entäußerungen, Zungenbiss,<br />

Einnässen und verzögerter Aufwachphase<br />

ist zwar charakteristisch. Nicht<br />

selten kommt es aber bei fokalen und generalisierten<br />

Anfällen postiktal zu vorübergehen<strong>den</strong><br />

neurologischen Herdsymptomen<br />

wie der sog. Todd’schen Parese<br />

als Zeichen des fokalen Anfallsursprungs,<br />

die i. d. R. innerhalb weniger Stun<strong>den</strong><br />

rückläufig sind. Sind Anfälle weder anamnestisch<br />

noch semiologisch bekannt,<br />

kann klinisch ein <strong>Schlaganfall</strong> nicht ausgeschlossen<br />

wer<strong>den</strong>. Komplizierend kommt<br />

hinzu, dass sich auch akute Schlaganfälle<br />

mit sog. Frühanfällen manifestieren können<br />

(4,8 % der Fälle). Epileptische Anfälle<br />

mit postiktalen neurologischen Herdsymptomen<br />

erfordern daher i. d. R. eine<br />

stationäre Diagnostik. Mittels MRT lässt<br />

sich die Ätiologie in Zweifelsfällen klären:<br />

Bei der Todd’schen Parese fin<strong>den</strong> sich im<br />

Unterschied zum Hirninfarkt weder Diffusionsstörung,<br />

noch Gefäßabbruch oder<br />

Perfusionsminderung.<br />

3. Sehstörungen<br />

Eine akute einseitige Visusminderung<br />

(Amaurosis) ist immer verdächtig auf Zentralarterienverschluss,<br />

der wiederum Folge<br />

einer arteriellen Embolie z. B. bei hochgradiger<br />

Stenose der A. carotis interna<br />

sein kann. Rasche Sekundärprävention<br />

ist zur Verhinderung embolischer Schlaganfälle<br />

indiziert, im obigen Fall Beseitigung<br />

der Stenose. Eine vorübergehende<br />

einseitige Visusminderung bzw. Amaurosis<br />

fugax ist im Verlauf günstiger als ein


DAS EDITORIAL THEMA<br />

Zentralarterienverschluss, sollte aber als<br />

Warnsymptom dieselben Konsequenzen<br />

nach sich ziehen. Differenzialdiagnostisch<br />

müssen ophthalmologische Ursachen<br />

wie Netzhautablösung in Betracht<br />

gezogen wer<strong>den</strong>. Eine akute, komplette<br />

Blindheit findet sich beim Verschluss<br />

beider Aa. cerebri posteriores (sog. Anton-Syndrom)<br />

und ist oft Ausdruck einer<br />

arteriellen Embolie in die distale A. basilaris.<br />

Da sich der prognostisch ungünstige<br />

Verschluss der A. basilaris oft mit „stotternder<br />

Symptomatik“ manifestiert, muss<br />

sofort eine diagnostische Klärung und ggf.<br />

lokale Gefäßrekanalisation durchgeführt<br />

wer<strong>den</strong>. Es ist nicht immer einfach, eine<br />

psychogene Blindheit abzugrenzen, bei<br />

der eine im Vgl. mit dem Basilarisspitzensyndrom<br />

uncharakteristische Schilderung<br />

(s. u.), eine oft merkwürdige psychische<br />

Unbeteiligtheit trotz gravierender Funktionsstörung<br />

(„La belle indifference“) und<br />

bei genauer Anamnese eine psychische<br />

Konfliktsituation diagnostisch wegweisend<br />

ist.<br />

Prüfung Methode Symptom<br />

Vigilanz<br />

Pat. ansprechen, verbal oder<br />

mit Schmerzreizen wecken<br />

wach?<br />

Somnolenz, Sopor, Koma?<br />

Sprache Anamnese erheben Aphasie (Wortfindungsstörungen? Verständnisstörungen?)<br />

Artikulation Anamnese erheben Dysarthrie?<br />

Hirnnerven<br />

• Pupillen<br />

• Visus<br />

• Gesichtsfelder<br />

• Mimik<br />

• Inspektion, Lichtreaktion<br />

• Lesen lassen<br />

• Fingerperimetrie<br />

• Lächeln, Augen zusammen<br />

kneifen, Stirn runzeln<br />

• spontan/auf Licht seitendifferent?<br />

• einseitige Amaurosis?<br />

• Homonyme Hemianopsie?<br />

• Mundastschwäche (zentral)?, Mundund<br />

Stirnastschwäche (peripher)?<br />

Motorik<br />

Sensibilität<br />

Arme heben<br />

Faustschluss<br />

Bein heben<br />

Haut bestreichen<br />

Schmerzreize<br />

Pronation/Absinken?<br />

Brachiofaziale Hemiparese?<br />

Beinbetonte Hemiparese?<br />

(Hemi-) Hypästhesie?<br />

(Hemi-) Hypalgesie?<br />

Muskeleigenreflexe Reflexhammer Reflexe seitendifferent?<br />

Babinski-Zeichen?<br />

Motorik, Koordination Gangbild gehfähig? Paraparese? Hemiparese?<br />

Tab. 1: Neurologische Untersuchung für Nicht-Neurologen.<br />

4. Gesichtslähmung<br />

Bei Gesichtslähmung ist die Differenzierung<br />

in zentral (nur <strong>den</strong> Mund betreffend)<br />

und peripher (Stirn, Augenschluss und<br />

Mund betreffend; evtl. zusätzlich ipsilaterale<br />

Hyperakusis und Geschmacksstörung)<br />

besonders wichtig, da die zentrale<br />

Gesichtslähmung, syn. faziale Parese, einziges<br />

Symptom eines <strong>Schlaganfall</strong>s sein<br />

kann. Hier kommt zwar aufgrund geringer<br />

Bedeutung der Lähmung eine Thrombolyse<br />

meist nicht in Betracht, allerdings<br />

muss eine rasche Ursachenklärung zur<br />

Sekundärprophylaxe erfolgen. Auch das<br />

Auftreten einer peripheren N. facialis<br />

Läsion, der peripheren Fazialisparese bedarf<br />

einer umgehen<strong>den</strong> diagnostischen<br />

Klärung u. a. mittels Liquoruntersuchung,<br />

da behandelbare entzündliche Ursachen<br />

(Neuroborreliose, Zoster) nicht übersehen<br />

wer<strong>den</strong> dürfen.<br />

5. Schwindel<br />

Schwindel ist ein zunächst unscharfes<br />

Symptom, das aber an Ischämien im hinteren,<br />

d. h. vertebrobasilären Stromgebiet<br />

<strong>den</strong>ken lassen sollte. Das Problem des<br />

vertebrobasilären Hirninfarktes liegt in<br />

einer oft fluktuieren<strong>den</strong> Symptomatik mit<br />

vorübergehendem Schwindel, Doppelbildern,<br />

Lähmungen, Sensibilitäts-, Koordinations-<br />

und Bewusstseinsstörungen,<br />

die einzeln oder in ihrer Gesamtheit<br />

Vorboten eines Basilarisverschlusses sein<br />

können. Der Verschluss der A. basilaris<br />

ist i. d. R. letal, wenn nicht innerhalb kurzer<br />

Zeit eine Gefäßrekanalisation erfolgt.<br />

Aber auch ein isolierter Kleinhirninfarkt,<br />

der funktionell ofts gut kompensiert wird,<br />

kann zu lokaler Raumforderung mit tödlicher<br />

Einklemmung führen, wenn nicht<br />

innerhalb der ersten Tage die lebensrettende<br />

subokzipitale Trepanation erfolgt.<br />

Von Zirkulationsstörungen im hinteren Stromgebiet<br />

können verschie<strong>den</strong>e Affektionen<br />

des Vestibularorgans abgegrenzt wer<strong>den</strong>.<br />

Beim akuten Vestibularisausfall kommt<br />

es zu heftigem Drehschwindel, Erbrechen<br />

und Fallneigung. Klinisch fin<strong>den</strong><br />

sich ein Spontannystagmus mit rascher<br />

Komponente zum gesun<strong>den</strong> Vestibularorgan<br />

(Frenzel-Brille oder Elektronystagmographie)<br />

und eine i. d. R. gerichtete<br />

Fallneigung. Die thermische Erregbarkeitsprüfung<br />

weist auf eine Unterfunktion<br />

der betroffenen Seite hin. Der benigne<br />

paroxysmale Lagerungsnystagmus ist gekennzeichnet<br />

durch eine bei Kopfbewegung<br />

auftretende, unangenehme Reizung<br />

meist des hinteren oder horizontalen Bogenganges<br />

durch kalkhaltige Partikel mit<br />

lagerungsabhängigen Drehschwindelattacken,<br />

Übelkeit und Erbrechen, die weniger<br />

als eine Minute anhalten und durch<br />

rasche Seitwärtsneigung des Körpers<br />

ausgelöst wer<strong>den</strong> können. Sie sind gutartig,<br />

d. h. meist selbstlimitierend, aber<br />

klinisch häufig dramatisch. Durch Provokation<br />

der Schwindelanfälle können die<br />

Partikel aus dem betroffenen Bogengang<br />

„geschüttelt“ wer<strong>den</strong>. Beim M. Ménière,<br />

dem pathophysiologisch ein Hydrops<br />

endolymphaticus zugrunde liegt, kommt<br />

es zu minuten- bis stun<strong>den</strong>langen Drehschwindelattacken<br />

mit Tinnitus und Hypakusis.<br />

Im akuten Anfall kann ein horizontaler<br />

Nystagmus zur gesun<strong>den</strong> Seite<br />

nachweisbar sein, im Verlauf kommt es zu<br />

bleibender Hypakusis und Vestibularisunterfunktion.<br />

Alle o. g. Schwindelformen erfordern<br />

fachärztliche Diagnostik. Vorsicht<br />

ist geboten, wenn zu <strong>den</strong> o. g. klinischen<br />

Zeichen Symptome des zentralen Nervensystems<br />

hinzutreten und darauf hinweisen,<br />

dass neben dem vestibulären weitere Systeme<br />

betroffen sind. Lähmungen, Sensibilitäts-<br />

und Bewusstseinsstörungen schließen<br />

HNO-ärztliche Schwindelerkrankungen aus<br />

und müssen akuter neurologischer Diagnostik<br />

zugeführt wer<strong>den</strong>.<br />

6. Metabolische Enzephalopathien<br />

Metabolische Störungen, v. a. Störungen<br />

des Glukosehaushaltes (seltener Elektrolyte,<br />

Nieren- und Leberfunktion, Intoxikationen<br />

u. a.) können zu Bewusstseinsstörung,<br />

herdneurologischen Zeichen und<br />

epileptischen Anfällen führen. Daher muss<br />

immer der Blutglukosegehalt geprüft wer<strong>den</strong>,<br />

um eine akute Hypo- oder Hyperglykämie<br />

nicht als <strong>Schlaganfall</strong> fehlzudeuten.<br />

Diagnostisch wegweisend ist das<br />

rasche Verschwin<strong>den</strong> sämtlicher neurologischer<br />

Symptome nach Ausgleich der<br />

metabolischen Störung.<br />

7. Psychogene Symptome<br />

Das Spektrum neurologischer Symptome<br />

als Zeichen einer psychischen Erkrankung<br />

<strong>häb</strong> <strong>10</strong>/<strong>07</strong><br />

461


DAS THEMA<br />

ist unendlich und bereitet in der Praxis<br />

z. T. erhebliche differenzialdiagnostische<br />

Probleme. Anamnestisch hinweisend auf<br />

eine Psychogenese kann das Vorliegen<br />

einer psychischen Erkrankung, manchmal<br />

auch der Symbolcharakter der Störung<br />

in der Biographie des Betroffenen<br />

sein. Diagnostisch wegweisend ist der<br />

Nachweis widersprüchlicher, nicht einer<br />

Gehirnregion zuzuordnender Krankheitssymptome,<br />

z. B. wenn ein Patient klagt,<br />

er sei blind, aber auf Drohgebär<strong>den</strong> die<br />

Augen zusammenkneift oder sich mühelos<br />

im Raum zurechtfindet. Da dies nicht<br />

zuverlässig durch die körperliche Untersuchung<br />

und erst recht nicht im normalen<br />

Praxisbetrieb zu klären ist, muss im Zweifel<br />

eine stationäre Diagnostik einschließlich<br />

zerebraler Bildgebung erfolgen.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Korrespon<strong>den</strong>zadressen der Autoren:<br />

PD Dr. Roland Brüning<br />

Röntgeninstitut der Asklepios-Klinik <strong>Hamburg</strong>-Barmbek<br />

Rübenkamp 220<br />

22291 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 / 1818-82 9811<br />

Fax: 040 / 1818-82 9819<br />

E-Mail: r.bruening@asklepios.com<br />

Prof. Dr. Christian Gerloff<br />

Klinik für Neurologie, UKE<br />

Martinistraße 52<br />

20246 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 / 4 28 03-37 70<br />

Fax: 040 / 4 28 03-88 71<br />

E-Mail: gerloff@uke.uni-hamburg.de<br />

Dr. Michael Rosenkranz<br />

Klinik für Neurologie<br />

Universitätsklinikum <strong>Hamburg</strong>-Eppendorf<br />

Martinistrasse 52<br />

20246 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 / 428 03-37 70<br />

Fax: 040 / 4 28 03-88 71<br />

E-Mail: rosenkranz@uke.uni-hamburg.de<br />

PD Dr. Christoph Terborg<br />

Asklepios Klinik St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5<br />

20099 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 / 18 18-85-22 68<br />

Fax: 040 / 18 18-85 41 85<br />

E-Mail: c.terborg@asklepios.de<br />

Dr. Götz Thomalla<br />

Klinik für Neurologie<br />

Universitätsklinikum <strong>Hamburg</strong>-Eppendorf<br />

Martinistrasse 52<br />

20246 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 / 4 28 03-99 01<br />

Fax: 040 / 4 28 03-99 55<br />

E-Mail: thomalla@uke.uni-hamburg.de<br />

Prof. Dr. Thomas Weber<br />

Kath. Marienkrankenhaus gGmbH<br />

Alfredstr. 9<br />

22087 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 / 25 46-26 02<br />

Fax: 040 / 25 46-26 00<br />

E-Mail: weber.neurologie@marienkrankenhaus.org<br />

Ärztekammer <strong>Hamburg</strong><br />

Bibliothek des Ärztlichen Vereins<br />

Von-Melle-Park 3 (Altbau der SUB <strong>Hamburg</strong> – Carl von Ossietzky,<br />

1. Stock), 20146 <strong>Hamburg</strong><br />

Telefon: 040-44 09 49, Fax: 040-44 90 62, E-Mail: bibliothek@aekhh.de<br />

Homepage: www.aekbibl.de<br />

Kostenlose Serviceleistungen für Kammermitglieder<br />

• Zusendung von Zeitschriftenaufsatzkopien<br />

• Zusendung von Literaturrecherchen in „medline“ u. a. anderen Datenbanken<br />

• Zusendung von Literatur (Kopien aus Handbüchern, Zeitschriften, Gesetzestexten<br />

etc.) zur individuellen Fragestellung<br />

• Bereitstellung von Büchern aus anderen Bibliotheken per Fernleihe<br />

• Vormerkung entliehener Medien<br />

• Ausleihe von Medien direkt an <strong>den</strong> Arbeitsplatz (sofern die Klinik oder<br />

Behörde der Behör<strong>den</strong>post angeschlossen ist)<br />

Öffnungszeiten:<br />

Montag: 09-17 Uhr<br />

Dienstag: <strong>10</strong>-16 Uhr<br />

Mittwoch: <strong>10</strong>-19 Uhr<br />

Der Bücherkurier liefert entliehene Medien an <strong>den</strong> Arbeitsplatz oder nach<br />

Donnerstag: <strong>10</strong>-16 Uhr<br />

Hause. Die Kosten hierfür wer<strong>den</strong> nach Entfernung berechnet.<br />

Freitag: 09-16 Uhr<br />

Neuerwerbungen<br />

Aktuelles zur Verbesserung der Lebensqualität in der Onkologie. Von Klotter*, C.: Einführung Ernährungspsychologie. 20<strong>07</strong>.<br />

Carsten Bokemeyer* u. a. 2. Auflage. 20<strong>07</strong>.<br />

Lebensqualität, Compliance und Empowerment bei Psoriasis.<br />

Augustin, A.J.: Augenheilkunde. 3. Auflage. 20<strong>07</strong>.<br />

Von M. Augustin, K. Reich* u. a. 20<strong>07</strong>.<br />

Balzer, F.; A. Bredel; L. Haisch: Französisch für Mediziner. Band 1+2. 20<strong>07</strong>. Das metabolische Syndrom. Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes mellitus<br />

Bösch, D.: Lungenfunktionsprüfung. 20<strong>07</strong>.<br />

mit <strong>den</strong> Folgen Herzinfarkt und <strong>Schlaganfall</strong>. 2. Auflage. 20<strong>07</strong>.<br />

Deinzer, R.: Allgemeine Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens in der Muth*, C.-M.; P. Radermacher: Kompendium der Tauchmedizin. 20<strong>07</strong>.<br />

Medizin. Ein Leitfa<strong>den</strong> für die empirische Promotion und Habilitation. 20<strong>07</strong>. Nicht-invasive Beatmung. Von B. Schönhofer* u. a. 2006.<br />

Dermatology secrets in color. Ed.: J.E. Fitzpatrick, J.G. Morelli. 3. Edition. 20<strong>07</strong>. Sportmedizin für Ärzte. Hrsg.: H.-H. Dickhuth u. a. 20<strong>07</strong>.<br />

Diabetologie kompakt. Hrsg.: H. Schatz*. 4. Auflage. 2006.<br />

Thill, K.-D.: Selbstmanagement für Praxisinhaber. 20<strong>07</strong>.<br />

Fletcher, R.H.; S. W. Fletcher: Klinische Epidemiologie. 2. Auflage. 20<strong>07</strong>. Übernahme ärztlicher Tätigkeiten. Praktische und rechtliche Grenzen bei<br />

Häßler, G.; F. Häßler*: Geistig Behinderte im Spiegel der Zeit. Von Narrenhäusl<br />

der Delegation ärztlicher Tätigkeiten. Hrsg.: Verband der Pflegedirekto-<br />

zur Gemeindepsychiatrie. 2005.<br />

rinnen und Pflegedirektoren der Universitätsklinika in Deutschland*. 20<strong>07</strong>.<br />

Heck, M.; M. Fresenius: Repetitorium Anästhesiologie. 5. Auflage. 20<strong>07</strong>. Urban, A.: Gesunde Netze pflegen. Öffentlichkeitsarbeit für Kliniken,<br />

Herpertz, U.: Ödeme und Lymphdrainage. 3. Auflage. 2006.<br />

Praxen und Pflegeeinrichtungen. 20<strong>07</strong>.<br />

* Geschenk vom Verfasser/Herausgeber<br />

Weitere Neuwerbungen fin<strong>den</strong> Sie auf unserer Homepage www.aekbibl.de unter der Neuerwerbungsliste.<br />

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