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40 Jahre Hermes 1990er 90 „Here we are now, entertain us.“ Kurt Cobain, nirvana Programmatische Zeile aus Nirvanas Hit Smells Like Teen Spirit aus dem Jahr 1991, verfasst von dem Sänger, Gitarristen und Streifenhemdträger Kurt Cobain. Die neue Unübersichtlichkeit Der Fall der Mauer führte mit der Wiedervereinigung Deutschlands zum Ende des Kalten Krieges – und zum Ende der gängigen Denkkategorien. Die Welt wurde dadurch zunehmend komplexer: Wer waren die Guten, wer die Bösen im Zweiten Golfkrieg ab 1990? Wie heißen noch mal die Länder, die nach dem 1991 einsetzenden Zerfall des Ostblocks neu entstanden sind? Warum steigt eigentlich der Börsenkurs, wenn man Angestellte entlässt? Ist Globalisierung jetzt gut oder schlecht? Warum schickten ausgerechnet die pazifistisch gesonnenen Grünen 1999 Bundeswehreinheiten in den Kosovo? Was bedeutet die Rückgabe Hongkongs an China? Darf man per SMS Schluss machen? Und überhaupt: Ist das jetzt ironisch gemeint oder nicht? 7 15 Weltmeister-Titel in der Formel 1 gewann Rennfahrer Michael Schumacher, den ersten davon 1994. Minuten lang sind insgesamt Dinosaurier in Jurassic Park zu sehen. Gesamtlänge des Films von Steven Spielberg aus dem Jahr 1993: 123 Minuten 520 Grüner Punkt Gramm Als Kennzeichen für recycelbare Verpackungen wurde 1991 das Symbol mit den ineinander verschlungenen Pfeilen eingeführt. Trotz des Namens werden entsprechende Abfälle in gelben Säcken bzw. Tonnen gesammelt. wog das Mobiltelefon International 3200 von Motorola, das als erstes ab 1992 an Privatkunden verkauft wurde. Es kostete mit vertrag zwischen 5.000 und 8.000 DM, seine maximale Gesprächs zeit belief sich auf 110 Minuten. Drei Machtwechsel Hello, Dolly Das walisische Bergschaf Dolly kam 1998 zur Welt – als erstes geklontes Säugetier. Der Zellbiologe Keith Campbell impfte Hunderte von Eizellen mit Zellkernen des Spendertiers. Daraus entstanden Embryonen, von denen eines überlebte. Dolly, benannt nach der Countrysängerin Dolly Parton, wurde sechseinhalb Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Schafes liegt bei zehn bis zwölf Jahren. www.undsoweiter.com 1993 gab die Schweizer Forschungseinrichtung CERN die Nutzung des World Wide Webs für die Öffentlichkeit frei. Der erste grafikfähige Browser Mosaic machte zudem das Internet für Laien zugänglich. Damit entwickelte sich ein neues Medium, das die Welt umkrempelte. Ob die Kommunikation per E-Mail, das sofortige Finden von Informationen, der Austausch von Dateien oder Online-Shopping – das Internet veränderte alles. Und das war erst der Anfang... Die Wucht der Sonnenblume Bumm, bumm, bumm, bumm: Vier gerade Schläge auf die Basstrommel bestimmten den Sound der Neunziger. Techno brachte so viele Menschen auf die Straße wie keine Jugendkultur zuvor. Insbesondere die Berliner Love Parade wurde zum internationalen Spektakel, bei dem maschinell erzeugte Klänge mit extremer Körperlichkeit verschmolzen. Piercings, Tattoos und Intimrasuren gehören seither zur Grundausstattung von Jugendlichen wie sich jung Wähnenden. Eine schrecklich nette Familie Der Vater: fett, faul und doof. Die Mutter: eine moralisch bodenständige Hausfrau. Der Sohn: ein ungezogener Flegel. Die Tochter: hochbegabt und mit Hang zu Jazz, fleischloser Kost und Buddhismus. Das Baby: einfach sprachlos angesichts dieser Verwandtschaft. Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie – unter ihrem Nachnamen Simpson die wohl lustigste Familie des Planeten – erblickten 1991 das Licht deutscher Fernsehbildschirme. Geschaffen von Matt Groening, entpuppte sich die Zeichentrickserie als ein endlos aufklärender Kommentar zum Weltgeschehen. Bestseller-Autor Daniel Kehlmann (Die Vermessung der Welt) bezeichnete sie gar als »epochalstes Kulturereignis der vergangenen 20 Jahre«. Schuss ins Blaue, Treffer ins Schwarze Die Firma Apple schien am Boden, da präsentierte im Mai 1998 der einst gefeuerte und nun zurückgekehrte CEO Steve Jobs einen knubbeligen All-in-one-Rechner, dessen lichtdurchlässige Hülle blau schimmerte. Das Gerät war eine Sensation: Still wie eine Bibliothek wirkte es freundlich statt kalt, seine Transparenz entsprach der Ära des Internets, der Mobilität und des Immateriellen. Der iMac war aber auch ein ökonomischer Erfolg: In den ersten beiden Jahren verkaufte sich der Computer, schnell in weiteren Farben erhältlich, weltweit dreimal – pro Minute. Er war Nachfolger von George Bush und Vorgänger von dessen Sohn George W.: Der Kandidat der Demokraten, Bill Clinton, wurde 1993 Präsident der USA. Er reduzierte die Schuldenlast seiner Vorgänger und vermittelte im Nahost-Konflikt. Zu zweifelhaftem Ruhm gelangte er durch die Affäre mit Monica Lewinsky. Der SPD-Politiker Gerhard Schröder löste 1998 Helmut Kohl als Bundeskanzler ab – nach dessen 16-jähriger Amtszeit. Der erste Regierungschef aus der Arbeiterklasse führte zusammen mit Joschka Fischer die ebenfalls erste rotgrüne Koalition der Bundesrepublik. 27 Jahre war er als politischer Gefangener im Gefängnis, dann wurde er 1990 entlassen, rief öffentlich zur Versöhnung auf und wurde 1994 als erster Schwarzer Präsident von Südafrika: Nelson Mandela. 1993 erhielt er für seinen Kampf gegen die Apartheid den Friedensnobelpreis. 94 95
Ja, mach nur einen Plan … etwa für Dortmund und das Ruhrgebiet. Durch eine eigene Zellcodierung lassen sich ab 1992 die Touren in den alten Bundesländern besser koordinieren BRDDR Am 22. Dezember 1989 wurde das Brandenburger Tor geöffnet. Ab der ersten Stunde des 24. Dezembers galt der visumsfreie Grenzverkehr. Und zu Silvester und Neujahr erlebte die Hauptstadt der DDR eine gigantische Reisewelle: „Berlin ist praktisch keine geteilte Stadt mehr“, berichtete mit gerührter Stimme eine DDR-Fernsehreporterin, nachdem allein am Heiligabend rund 500 000 Menschen die Übergänge zwischen West- und Ost- Berlin passiert hatten. Für den Hermes Versand Service, der bereits kurz nach dem Fall der Mauer in die DDR auslieferte, wurde das Jahr 1990 verständlicherweise durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze sowie die Wiedervereinigung am 3. Oktober geprägt. Nennt man allerdings einen Meilenstein – beispielsweise die flächendeckende Belieferung von DDR-Kunden, realisiert zur Währungsunion am 1. Juli 1990 –, so macht diese Erfolgsmeldung die Mühen dahinter kaum sichtbar. „Die eigentliche Herausforderung war es, Hallen zu mieten“, erinnert sich Hartmut Ilek, bis 2011 Vorsitzender der Geschäftsführung der Hermes Logistik Gruppe Deutschland (HLGD). „Hallen waren nicht im Privatbesitz, sondern gehörten dem Staat. Um überhaupt Abwicklungsflächen zu finden, haben wir ein neues Modell entwickelt und erstmals mit Kooperationspartnern gearbeitet. Das waren beispielsweise örtliche Speditionsbetriebe, die Hallen besaßen und, so würde man heute sagen, vom Management übernommen worden waren.“ Nicht immer gelang es jedoch sofort, bestehende Strukturen zu nutzen. Im Raum Leipzig gab es anfangs einfach nichts, selbst die NVA wollte ihre Panzerhallen nicht vermieten. Hermes überbrückte diese Zeit, indem auf einem stillgelegten Autobahnabschnitt ein gigantisches Zelt aufgestellt wurde, das als Umschlagsplatz für Pakete diente. Improvisation war Pflicht, denn Hermes war mit Abstand das erste westdeutsche Logistikunternehmen, das in der DDR operierte. „Als klar war, dass DDR-Bürger im Versandhandel einkaufen können, sind wir sofort eingestiegen“, so Ilek. „Schon in der Zeit, als die Grenzen noch bewacht waren, haben wir Autos mit Katalogen vollgeladen und diese verteilt. Ich glaube, dass wir es der Otto Gruppe dadurch sehr erleichtert haben, auf diesem Markt präsent zu sein.“ Der Aufbau einer eigenen Infrastruktur, der nächste große Schritt, war ebenfalls schwierig. Das begann schon damit, dass es so gut wie kein verbindliches Kartenmaterial gab. Es setzte sich fort mit falsch aufgestellten Wegweisern vor allem im Grenzgebiet, Neue Zeiten in Rostock: Wo einst Soldaten der sowjetischen Roten Armee stationiert waren, lagert Hermes jetzt Pakete die dafür sorgen sollten, einrückende imperialistische Truppen zu verwirren. Daher nahm Hermes umfangreiche Erkundungsfahrten vor und dokumentierte, auch durch Fotos, den Zustand der Straßen, die öffentlichen Verkehrsmittel, die großen Wohngebiete und ihre Zugänge, selbst Packstationen und Klingelbretter. Auch die Kommunikation war kompliziert. „In der DDR funktionierte, wenn überhaupt, das analoge C- Netz“, erinnert sich Hartmut Eick, bis 2011 Business-Controller bei Hermes. „Die Handys dazu glichen Feldtelefonen, wogen fast ein Kilo, die Gesprächsdauer betrug maximal eine Stunde und man musste auf einen Berg steigen, denn in den Tälern gab es keinen Empfang.“ Vor allem aber galt es, Personal zu finden. Und das bezog sich nicht allein auf Lagerarbeiter oder Zusteller, das betraf auch das mittlere Management. „Intern gab es da heiße Diskussionen“, sagt Hartmut Ilek. „Hart gesagt gab es Vorbehalte, ob die Menschen in der DDR nicht in 40 Jahren das Arbeiten verlernt hatten. Aber das Gegenteil war der Fall: Wir haben für alle Hierarchieebenen Menschen gefunden, die begierig danach waren, ihre Leistungsfähigkeit zu beweisen. Natürlich waren sie überrascht, wenn es hieß, in zwei Wochen kriegt ihr eure 25 Zustellfahrzeuge, das konnten die einfach nicht glauben. Aber sie haben so schnell gelernt und einen so guten Job gemacht, da kann man nachträglich nur den Hut ziehen.“ Ihre Bezahlung war ein erneutes Problem. Die Kooperationspartner stellten die Hallen und das Personal, Hermes brachte die Autos, die Pakete, die Arbeitskleidung – sowie tatsächlich mit Eintreten der Währungsunion Koffer voller Geld, Westgeld. „Hermes zeichnete immer aus“, sagt Controller Eick lakonisch, „dass wir unsere Mitarbeiter zügig bezahlen.“ Und dann lief das Geschäft: Neben Mode waren vor allem Videorekorder gefragt. Dass so manche Niederlassung anfangs in den Mengen der Pakete regelrecht „absoff“, war im Vergleich zu den Vorarbeiten letztlich eine Kleinigkeit. 96 97
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