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Mimikry

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<strong>Mimikry</strong><br />

1990<br />

EINE SEMIOTISCHE<br />

BETRACHTUNG<br />

Vorwort<br />

Am Anfang waren ein Stock und eine Fläche. Damit gebar einer den<br />

Punkt und vielleicht bewegte er ihn gleich darauf umher. Er nannte den<br />

bewegten Punkt einfach Linie. Die ganze Welt war davon begeistert<br />

und alle fingen sofort an, wie wild Linien zu erfinden, die ihnen irgendwie<br />

zu helfen schienen. Einige verbrachten viel Zeit damit, einfache<br />

aber sehr wichtige Linien zu erfinden, die dann alle nachmachen lernen<br />

mussten. Bald konnten viele aus nur wenigen Linien etwas lesen, was<br />

ihnen niemand gesagt hat. Sie selbst konnten auch schreiben, ohne<br />

selbst reden zu müssen. Andere versuchten die Linien so zu beugen<br />

und zu knicken, dass der Eindruck eines echten Gegenstandes entstand.<br />

Wollte man den aber begreifen, zeigte er sich als ganz flach.<br />

Zu unzähligen anderen Sachen machten sich die Menschen die Linie<br />

zunutze und nur selten vergaßen sie ihr eine Bedeutung zu geben, die<br />

ein anderer wiedererkennen konnte, der gerade nicht da war oder viel<br />

später erst geboren werden sollte. Dieses Urding kann alle Formen<br />

annehmen und bezeichnen. Deshalb will auch ich mich mit der Linie<br />

und ihren möglichen Bedeutungen beschäftigen.<br />

1. Phalluskultur<br />

Im Mittelpunkt von <strong>Mimikry</strong> steht ein Liniengebilde, das auf der ganzen<br />

Welt seit jeher ohne Missverständnisse als Phallus interpretiert wird.<br />

Häufig findet es sich auf öffentlichen Toiletten, in denen Teenager und<br />

andere Bedürftige ihrer Bedrängnis auf mannigfaltige Weise Ausdruck<br />

verleihen. In unseren Breitengraden hat es einen pubertären oder/und<br />

vulgären Beigeschmack, während es zum Beispiel in Indien Tempelwände<br />

ziert und als höchst religiöses Symbol behandelt wird. In steinzeitlichen<br />

Höhlenmalereien drückt es Fruchtbarkeit und Männlichkeit<br />

aus. Quer durch die Geschichte stößt man immer wieder auf das<br />

Phallussymbol. Bestimmte zeitgenössische Gruppen interpretieren<br />

jede Banane und jeden Kirchturm als solches, aber das führt nicht nur<br />

jetzt in die falsche Richtung. Von dieser einfachen Strichkombination<br />

scheint eine Faszination auszugehen, die Zeit und Länder umspannt.<br />

Gemeinsam ist überall die einfache Verständlichkeit und die grundsätzliche<br />

Bedeutung von Fortpflanzung. Unterschieden kann der moralische,<br />

gesellschaftliche oder religiöse Kontext werden. Letzteres überlassen<br />

wir gerne dem dahin geneigten Leser. Wir wenden uns diesem<br />

Zeichen in naiver Begeisterung zu, fasziniert von der charismatischen<br />

Einfachheit und der schönsten Bedeutung, die es trägt, nämlich der<br />

körperlichen Liebe.<br />

Harald Kroiss S 4

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