PDF (4.0 MB) - Internationaler Mariologischer Arbeitskreis Kevelaer
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6 JOSEFSTUDIEN<br />
Emil Valasek<br />
Im Barockzeitalter wurde der hl. Joseph<br />
zum Vorbild aller Väter<br />
In den Schriften des Neuen Testaments erscheint<br />
Joseph, „der Mann Marias, von der Jesus<br />
geboren wurde“ (Mt 1,16) als eine deutlich<br />
herausgehobene Persönlichkeit. Das Matthäus-Evangelium<br />
beginnt mit der feierlichen Aufzählung<br />
des Stammbaums, des „Ursprungs Jesu<br />
Christi, des Sohnes Abrahams“, von dem<br />
bis zu eben diesem Joseph im biologischgenetischen<br />
Sinne nicht die Rede sein kann.<br />
Maria war mit Joseph verlobt, und als der<br />
Verlobte bemerkte, dass sie schwanger war,<br />
„ehe sie zusammenkamen“, beschloss er,<br />
„sich in aller Stille von ihr zu trennen“, denn<br />
er „war gerecht und wollte sie nicht bloßstellen“.<br />
Zweimal erschien ein Engel dem Joseph<br />
„im Traum“ und brachte ihm eine Botschaft<br />
Gottes: „Scheue dich nicht, Maria, deine<br />
Frau, heimzuführen, denn das in ihr Gezeugte<br />
stammt vom Heiligen Geist“ (Mt 1,20). Und:<br />
„Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter<br />
Santuario de Torreciudad (España) Sagrada Familia<br />
und flieh nach Ägypten und bleibe dort, bis<br />
ich es dir sage; denn Herodes will das Kind suchen,<br />
um es zu töten“ (Mt 2,13).<br />
Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen,<br />
was die beiden „im Traum“ empfangenen<br />
Befehle für Joseph bedeuteten. Die<br />
Geschichte vom winterlichen Marsch nach Betlehem<br />
zur Volkszählung, von der vergeblichen<br />
Suche nach einer Unterkunft, von der Geburt<br />
im Stall wirft genug Licht auf das Leben eines<br />
jungen Paares ohne Reichtümer in damaliger<br />
Zeit, in Palästina unter der Herrschaft der römischen<br />
Besatzungsmacht.<br />
Zwar blieben Maria, Joseph und das Kind im<br />
Machtbereich der Römer, als sie nach Ägypten<br />
emigrierten, aber die Strapazen und Schwierigkeiten<br />
des Unternehmens darf man sich<br />
doch nicht gering denken. Die Palmen-Idylle<br />
der „Ruhe auf der Flucht“, die uns Tausende<br />
von Malern, Bildhauern, Kupferstechern und<br />
Miniaturisten überliefert haben, dürfte mit der<br />
Realität diese Exodus nicht viel zu tun haben.<br />
Ganz abgesehen von der inneren Not, die es<br />
einem frommen Juden bereitet haben muss,<br />
ausgerechnet nach Ägypten zu fliehen, wo<br />
sein Volk so viel Leid hatte erfahren müssen.<br />
Vor der Flucht keine<br />
Anfrage beim Sozialamt<br />
„Gerecht“ nennt der Evangelist diesen Joseph;<br />
fromm muss der gewesen sein, im Sinne des<br />
archaischen Wortes „gottesfürchtig“, von tatbereitem<br />
Gehorsam. Denn „er stand auf, nahm<br />
das Kind und seine Mutter bei Nacht mit sich<br />
und entfloh nach Ägypten“ (Mt 2,14). Da war<br />
kein Zaudern und Zögern, keine Konsultation<br />
bei Weisen und Schriftgelehrten, keine Anfrage<br />
beim Sozialamt. Auch verlangte Joseph von<br />
Gott kein „Zeichen“, ob der Befehl auch ernst<br />
gemeint sei, wie dies einige - ihm gewiss bekannte<br />
- Gestalten aus dem alten Testament<br />
getan hatten, ohne damit Gottes Zorn zu erregen.<br />
Joseph aus dem Hause Davids - aus einem<br />
„nicht mehr regierenden“ Hause, aber sich der<br />
verpflichtenden Würde seiner Abstammung<br />
bewusst: Die Braut, die schwanger geworden<br />
war, ohne dass er das Wie und von Wem sich<br />
erklären konnte, sollte in aller Stille zu ihren<br />
Eltern zurückgeschickt werden, ohne öffentliches<br />
Aufsehen, ohne Skandal. Erklärungen<br />
verlangte er nicht, diskret und gelassen sollte<br />
die gute Ordnung wiederhergestellt werden.<br />
Ein Mann des Wortes scheint Joseph überhaupt<br />
nicht gewesen zu sein. Als er nach dreitägigem<br />
Suchen das Kind Jesus bei der Disputation<br />
im Tempel wiederfindet, überlässt er es<br />
der Mutter, die Frage zu stellen: „Kind, warum<br />
hast du uns das angetan?“<br />
Der Überlieferung nach war Joseph Zimmermann.<br />
Volkstümlicher Legende entspricht es,<br />
sich das häusliche Leben in Nazareth, wo die<br />
Familie nach der Rückkehr aus Ägypten Wohnung<br />
nahm, bescheiden, ja ärmlich auszumalen.<br />
Aber die Historiker belehren uns, dass der<br />
Zimmermann im alten Palästina nicht nur ein<br />
besonders angesehener und wichtiger, sondern<br />
dem „gehobenen Mittelstand“ zuzurechnender<br />
Beruf war, vergleichbar mit dem heutigen<br />
Baumeister, ja dem Architekten. Holz<br />
war der seltenste, kostbarste und für den „gehobenen“<br />
Hausbau entscheidende Werkstoff.<br />
Da es wenig technisch verwendbares Holz<br />
gab, musste sorgfältig geplant, sparsam gewirtschaftet<br />
werden.<br />
Der Zimmermann, der mit einem Minimum<br />
an Holz auskam, um ein tragfähiges Gerüst<br />
für den fachwerk-ähnlichen Lehmziegelbau<br />
zu errichten, war der gesuchteste Handwerker.<br />
Von ihm hing es ab, was das Ganze kostete,<br />
wie wohnlich es wurde, wie lange es hielt.<br />
Vom „Proletarier“, vom „Niedervolk“ (Friedrich<br />
Heer), von einer „Randexistenz“ hatte der<br />
Zimmermann der Zeitenwende nichts an sich.