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Nachbarn 2/2010 - Caritas Bern

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NR. 2/<strong>2010</strong><br />

<strong>Nachbarn</strong><br />

«Armut halbieren!» macht Mut: <strong>Bern</strong>er<br />

Prominenz hilft mit<br />

KulturLegi *<br />

Dabei sein auch mit wenig Geld<br />

Wir helfen Menschen.


Inhalt<br />

Editorial 3<br />

Thomas Studer<br />

KulturLegi<br />

News<br />

«Armut halbieren!» 12<br />

macht Mut<br />

Dabei sein, auch mit wenig Geld 4<br />

Keine Menschen ausgrenzen!<br />

Bauen wir Brücken gegen die Armut. Jetzt.<br />

Innert zehn Jahren soll die Zahl der von<br />

Armut betroffenen Menschen hierzulande<br />

halbiert werden.<br />

www.caritas-bern.ch<br />

Heidi Maria Glössner, Film- und Theaterschauspielerin<br />

Dank der KulturLegi kann Familie<br />

Hamza-Meier eine Ausstellung im Kunsthaus,<br />

die Badi und die Kunsteisbahn<br />

besuchen. Wir begleiteten sie dabei.<br />

Persönlich 14<br />

Antoinette Hunziker-Ebneter,<br />

Unternehmerin aus Zürich.<br />

Wirksames Instrument zur 8<br />

sozialen Integration<br />

Bildung, Beziehungen und Prestige sind<br />

genauso wichtig wie finanzielle Ressourcen.<br />

Soziale Integration findet auf all<br />

diesen unterschiedlichen Ebenen statt.<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

«Eine KulturLegi hätte 10<br />

ich einst gerne selber<br />

gehabt»<br />

Gonca Kuleli Koru, die <strong>Caritas</strong>-Frau<br />

mit dem exotischen Namen, spricht<br />

breites <strong>Bern</strong>deutsch. Zuvor machte sie<br />

Öffentlichkeitsarbeit fürs Klee-<br />

Zentrum, seit September 2009 leitet<br />

die Marketing-Planerin die KulturLegi<br />

<strong>Bern</strong>.<br />

<strong>Caritas</strong>-Netz<br />

Einmaleins für Eltern 15<br />

Das Projekt «schulstart+» bringt jungen<br />

Müttern und Vätern mit Migrationshintergrund<br />

das Schweizer Schulsystem näher<br />

und unterstützt sie mit alltagsnahen<br />

Infos bei der Erziehung.<br />

News aus dem <strong>Caritas</strong>-Netz 16<br />

Collage 17<br />

Dabei sein mit der KulturLegi.<br />

«Kleine Filme machen 18<br />

Armut sichtbar»<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> lud Jugendliche an einen<br />

Film-Workshop zum Thema Armut ein.<br />

Veranstaltungen, Kurse 18<br />

Gedankenstrich 19<br />

Von Bundespräsidentin Doris Leuthard.<br />

2 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10 Titelbild: Urs Siegenthaler


Editorial<br />

Ein wichtiger Meilenstein erreicht<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Der Kanton <strong>Bern</strong> meint es ernst mit der Halbierung<br />

der Armut! Der Grosse Rat des Kantons<br />

<strong>Bern</strong> hat die von <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> initiierte<br />

Motion «Bekämpfung der Armut im Kanton<br />

<strong>Bern</strong>» mit 106 zu 43 Stimmen angenommen.<br />

Somit wird die Regierung einen Massnahmenplan<br />

zur Bekämpfung der Armut erarbeiten.<br />

Die überparteiliche Motion war ein<br />

grosser Meilenstein auf dem Weg, Existenzsicherung<br />

und präventive Armutsbekämpfung<br />

voranzutreiben – weitere Informationen<br />

dazu auf Seite 12. Unterstützt hat uns<br />

dabei auch Prominenz wie Schauspielerin<br />

Heidi Maria Glössner, YB-Trainer Vladimir<br />

Petkovic und die ehemalige Regierungs- und<br />

Nationalrätin Leni Robert.<br />

Ein wichtiges Projekt von <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong>,<br />

diesem übergeordneten Ziel näher zu kommen,<br />

ist für uns die KulturLegi. Armut treibt<br />

und Bildung vergünstigte Eintrittspreise –<br />

mit Rabatten von mindestens 30 Prozent.<br />

Seit kurzem leitet Gonca Kuleli dieses soziale<br />

Unternehmen – siehe Seite 10.<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> wird sich auch in den folgenden<br />

Jahren auf verschiedenen Ebenen<br />

mit Armut, sozialer Ausgrenzung und Integrationsförderung<br />

auseinandersetzen und<br />

sich für die Interessen der Betroffenen stark<br />

machen, sei das in der politischen Öffentlichkeitsarbeit,<br />

in der Projekt- und Gemeinwesenarbeit<br />

oder in der Einzelfallhilfe.<br />

Ganz besonders unterstützt hat uns dabei<br />

in den letzten sechs Jahren Barbara Büschi<br />

als Präsidentin der <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong>! Sie<br />

musste leider aus gesundheitlichen Gründen<br />

auf Ende Juli <strong>2010</strong> ihr Amt niederlegen, das<br />

sie mit politischem «Gschpüri», Fachkompetenz,<br />

viel Herzblut und Charme ausgefüllt<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> ist seit<br />

1999 ZEWO-zertifiziert.<br />

Thomas Studer<br />

Geschäftsleiter <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

«Die <strong>Bern</strong>er Regierung wird einen Massnahmenplan<br />

zur Bekämpfung der Armut erarbeiten.»<br />

viele Menschen in die soziale Isolation – ein<br />

Theaterbesuch mit Freunden oder ein Nachmittag<br />

mit den Kindern in der Badi liegen<br />

einfach nicht drin. Mit der KulturLegi erhalten<br />

Menschen mit tiefem Einkommen<br />

in den Bereichen Kultur, Sport, Gesundheit<br />

hat. Wir bedauern ihren Rücktritt sehr und<br />

danken ihr von Herzen für die erfolgreichen<br />

Jahre unter ihrer Führung. Liebe Barbara,<br />

wir alle wünschen Dir gute Gesundheit und<br />

ein langes Leben!<br />

Gleichzeitig darf ich den Namen unserer<br />

neuen Präsidentin bekanntgeben: Dorothee<br />

Guggisberg, Geschäftsleiterin der Schweizerischen<br />

Konferenz für Sozialhilfe (SKOS),<br />

wird ab 1. Januar 2011 ehrenamtlich das Prä-<br />

L’organisation XY est certi<br />

par ZEWO depuis 19XX.<br />

sidium der <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> übernehmen. Mit<br />

ihrem breiten Leistungsausweis und ihrer<br />

Berufserfahrung ist sie für uns die ideale Besetzung.<br />

Liebe Dorothee, wir freuen uns auf<br />

Dich und wünschen Dir einen guten Einstieg!<br />

Impressum<br />

«<strong>Nachbarn</strong>», das Magazin der regionalen <strong>Caritas</strong>-Stellen, erscheint zweimal jährlich.<br />

Gesamtauflage: 39000 Ex. Auflage BE: 4 000 Ex. ISSN-Nr.: 1663-5272<br />

Redaktion: Reto Mischler, Karl Johannes Rechsteiner (<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong>); Ariel Leuenberger (national)<br />

Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt<br />

Druck: Stämpfli Publikationen AG, <strong>Bern</strong><br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> ist seit 1999<br />

ZEWO-zertifiziert.<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> | Eigerplatz 5 | Postfach | 3000 <strong>Bern</strong> 14 | Tel. 031 378 60 00<br />

www.caritas-bern.ch | PC 30-1794-2<br />

2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

L’organisation XY est certifiée<br />

3


KulturLegi<br />

Dabei sein,<br />

Begeistert steht Gabor vor einem Werk von Tony Cragg im<br />

Kunsthaus. «Mit so vielen Würfeln spielen, wie toll», strahlt<br />

er und möchte gleich beginnen. Doch hier gilt «berühren verboten»<br />

– umso mehr kann er mit seinen Eltern beim Besuch<br />

der Badi oder der Kunsteisbahn loslegen. Überall vergünstigt<br />

die KulturLegi von <strong>Caritas</strong> den Eintritt und ermöglicht so<br />

auch Leuten mit knappem Budget die Teilnahme am gesellschaftlichen<br />

Leben.<br />

«Der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen<br />

und Ausstellungen ist uns wichtig,<br />

sei es als Familie oder zu zweit», betonen Simone<br />

und Ferenc Hamza Meier. Dank der<br />

KulturLegi werde vieles möglich, trotz bescheidenem<br />

Familieneinkommen. Erzählen<br />

die gelernte Textildesignerin, der frühere<br />

Fotograf und ihr sechsjähriger Gabor, wird<br />

bald klar, dass der Ausweis eine grosse Auswahl<br />

an Freizeitvergnügen weit über «klassische»<br />

Kultur hinaus ermöglicht. «Wir waren<br />

im Zoo – bei allen Tieren», erinnert sich<br />

Gabor. Im Sommer lockte ihn die Badi. Da<br />

bleibt zwar in Zürich das Bad in See und<br />

Limmat gratis. «Mit der KulturLegi können<br />

wir aber auch ab und zu die von Max<br />

Frisch entworfene gleichnamige Badi geniessen.<br />

Es ist die schönste der Stadt», freut<br />

sich Simone Meier. Im Winter locke dann<br />

wieder die Kunsteisbahn.<br />

4 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10


auch mit wenig Geld<br />

«Dank der KulturLegi können wir weiterhin am<br />

kulturellen Leben teilnehmen.»<br />

Fussball, Fitness, Filmvergnügen<br />

Ein Männervergnügen wird der Besuch<br />

eines Heimspiels von GC. Schliesslich<br />

tschuttet Gabor selber und hat jeden Mittwoch<br />

sein Training. Auf die Panini-Bildli<br />

für sein Fussball-WM-Buch gab es keinen<br />

Rabatt. Doch dafür hatte er manchmal<br />

Glück und konnte tauschen. Oder er<br />

fand im Schliessfach des Kunsthauses Zürich<br />

einen vergessenen Zweifränkler und<br />

konnte sich damit weitere Bilder besorgen.<br />

Übrigens, nicht nur die Fankurve für Fussballbegeisterte<br />

öffnet sich zu einem reduzierten<br />

Preis, auch wer zum Beispiel lieber<br />

eine Fussreflexzonenmassage möchte, findet<br />

solche mit Rabatt – oder stellt sein Velo<br />

zum halben Preis in den bewachten Unterstand<br />

beim Bahnhof, wenn statt Fitness<br />

der Weg zur Arbeit angesagt ist. Ebenso<br />

freuen sich Filmfreaks, wenn sie wieder<br />

einmal Filmklassiker wie «Fahrenheit 451»<br />

von François Truffaut vergünstigt zu sehen<br />

bekommen. Die Liste ist lang, und die Ermässigungen<br />

reichen von 30 bis zu 70 Prozent<br />

– und manchmal ist es dank der KulturLegi<br />

auch gratis.<br />

Dem Jüngsten der Familie, dem Ende<br />

2009 geborenen Kornél, ist derweilen<br />

noch wichtiger, dass er zufrieden an seinem<br />

Schoppen nuckeln kann – Kultur inbegriffen.<br />

«Wir haben Musik und den Besuch<br />

von Ausstellungen bereits im Elternhaus<br />

2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

5


KulturLegi<br />

Ob auf die Kunsteisbahn, in die Badi oder ins Kunsthaus, die KulturLegi ermöglicht den<br />

verbilligten Eintritt bei rund 800 Institutionen und Veranstaltungen in der ganzen Schweiz.<br />

kennen gelernt. Manchmal mussten wir<br />

einfach mitgehen», erinnert sich Simone<br />

Meier. Doch so schlimm scheint das nicht<br />

gewesen zu sein, und auch Gabor lässt sich<br />

gerne ins Kunsthaus «entführen» – sogar<br />

als noch Sommer war und draussen dreissig<br />

Grad im Schatten. «Meine Mutter hat lieber<br />

beim Essen gespart, als auf ihr Saisonabonnement<br />

fürs Theater verzichtet. Als Bibliothekarin<br />

in einer Unternehmung brachte<br />

sie zudem unzählige Bücher mit heim», erinnert<br />

sich Ferenc Hamza.<br />

Alle Einnahmen und Ausgaben<br />

offenlegen<br />

Die KulturLegi hat Simone Meier dank ihrer<br />

Schwester kennen gelernt. «Die liest immer<br />

alles, wo etwas vergünstigt erhältlich<br />

ist. Selber wäre ich gar nicht auf das Angebot<br />

von <strong>Caritas</strong> gestossen. Doch jetzt können<br />

wir viel machen, das sonst nicht möglich<br />

wäre.» Als die Familie das erste Mal<br />

die Unterlagen einreichte, lag ihr frei verfügbares<br />

Einkommen noch leicht über der<br />

Grenze, die zum Bezug der KulturLegi berechtigt.<br />

Dieser wurde erst möglich, als<br />

Sohn Kornél auf die Welt kam und Simone<br />

Meier nach dem Mutterschaftsurlaub keine<br />

«Der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen<br />

ist uns wichtig, sei es als Familie oder zu zweit.»<br />

neue Stelle fand. «Wir mussten detailliert<br />

unsere ganzen Einnahmen und Ausgaben<br />

offenlegen», erinnert sie sich. «Aber das ist<br />

auch richtig – und die Leute von <strong>Caritas</strong><br />

machen es einem einfach.»<br />

Gerne möchte das Paar die KulturLegi<br />

weiterempfehlen. Doch das sei gar nicht so<br />

einfach, denn: «Erst kürzlich erfuhren wir<br />

von <strong>Nachbarn</strong>, dass sie ebenfalls in einer<br />

von der Stadt subventionierten Wohnung<br />

leben. In der Schweiz redet halt niemand<br />

gerne über seine Einkommensverhältnisse»,<br />

sagt Ferenc Hamza.<br />

Freie Wahl mit der KulturLegi<br />

Schade, wenn jemand deshalb nichts von<br />

einer für die Teilnahme am sozialen Leben<br />

wichtigen Einrichtung hört. «Viele unserer<br />

Freunde verdienen mehr», vermutet Simone<br />

Meier. Dank der KulturLegi könne sie dennoch<br />

auch einmal mit ihnen ins Kino. «Zu<br />

zweit mit meinem Mann ist es aber noch<br />

schöner.» Da setzen dann jedoch die Kosten<br />

für das Hüten von Kornél Grenzen.<br />

Umso wichtiger ist darum der Vorteil,<br />

dank der KulturLegi frei den Tag für den<br />

Besuch eines Matchs, einer Ausstellung<br />

oder einer anderen Veranstaltung wählen<br />

zu können. «Jeden Mittwoch ist der<br />

Besuch der Sammlung des Kunsthauses<br />

gratis», erinnert Björn Quellenberg, Sprecher<br />

des Kunsthauses. Doch da hat Gabor<br />

6 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10


sein Training und die Familie müsste verzichten.<br />

Dabei war es Vater Hamza ein besonderes<br />

Anliegen, seinem Sohn die teils<br />

riesigen Fotos von Thomas Struth zu zeigen<br />

und so etwas von seiner Begeisterung<br />

fürs Fotografieren weiterzugeben. «‹Gratis›<br />

umfasst auch den Teil der Spezialausstellungen,<br />

der in den Sammlungsräumen<br />

stattfindet», unterstreicht Quellenberg.<br />

«So geben wir der Bevölkerung etwas zurück,<br />

die mit ihren Steuergeldern knapp die<br />

Hälfte der Kosten des Kunsthauses deckt.»<br />

Gratiseintritt an bestimmten Wochentagen<br />

oder am Sonntag kennen auch andere Kulturinstitutionen.<br />

Doppelter Nutzen<br />

174 Besucherinnen und Besucher von<br />

Wechselausstellungen und 49 der allgemeinen<br />

Sammlung zückten 2009 im Kunsthaus<br />

Zürich die KulturLegi. Dieses Jahr wurden<br />

diese Zahlen schon im ersten Halbjahr<br />

übertroffen. «Wie bei der gesamten Bevölkerung<br />

fand die temporär als Gast im<br />

Kunsthaus gezeigte Sammlung Bührle auch<br />

bei dieser Zielgruppe grossen Anklang»,<br />

begründet Quellenberg. Zurzeit sind in<br />

der ganzen Schweiz über 11 000 KulturLegis<br />

in Umlauf. Die kleine Karte hilft Menschen<br />

mit schmalem Budget, in wichtigen<br />

Bereichen ihres Lebens bei den Leuten bleiben<br />

zu können. Die Anbieter gewinnen damit<br />

begeisterte Kundinnen und Kunden,<br />

ohne dass gleich ihre Kapazitäten überlastet<br />

würden.<br />

«Ein Besuch im Schauspielhaus bleibt<br />

auch mit der KulturLegi ein kostspieliges<br />

Vergnügen», sagt Hamza. «Zum Glück<br />

habe ich mit meiner Mutter in Budapest<br />

schon alle gängigen Opern und Schauspiele<br />

gesehen.» So kann er für diese Besuche getrost<br />

auf bessere Zeiten warten. Einig ist<br />

sich das Paar auch, dass es beim Programm<br />

für die Kinder keine Abstriche geben sollte.<br />

«Es gäbe so vieles, das wir gerne noch machen<br />

würden» – doch diese nicht zu erfüllenden<br />

Wünsche kennen wir alle. Auf den<br />

vergünstigt erhältlichen «Tages-Anzeiger»<br />

verzichten die beiden: «Wir lesen zu wenig<br />

regelmässig Zeitung und kaufen nur einzelne<br />

Ausgaben.» Dankbar erinnert sich Simone<br />

Meier an Orte, wo sie die KulturLegi<br />

zückte, ohne sicher zu sein, ob sie akzeptiert<br />

würde. «Doch wie für AHV-Berechtigte,<br />

Studierende oder Soldaten gab es die<br />

Ermässigung – im sonst teuren Pflaster Zürich<br />

eine grosse Freude und Entlastung.»<br />

www.kulturlegi.ch<br />

Gabor geniesst es, gemeinsam mit seiner Familie spannende Ausflüge zu unternehmen.<br />

Ohne KulturLegi wären diese nicht möglich.<br />

Kommentar<br />

Heinz Altorfer,<br />

Leiter Soziales,<br />

Direktion Kultur<br />

und Soziales,<br />

Migros-Genossenschafts-Bund<br />

KulturLegi – kein Rabattkärtli<br />

Niemand wird bestreiten, dass Kultur,<br />

Weiterbildung und ein aktiver Lebensstil<br />

für alle Menschen wichtig sind<br />

– auch für armutsbetroffene. Die liberale<br />

Gesellschaft überlässt die Initiative<br />

dazu allerdings weitgehend dem Individuum.<br />

Selbstverantwortliches Handeln<br />

setzt jedoch persönliche Kompetenzen<br />

und die Integration in sozialen<br />

Netzwerken voraus. Armutsbetroffene<br />

sind dabei besonders gefordert. Die KulturLegi<br />

setzt daher am richtigen Punkt<br />

an: Sie bietet über eine rein materielle<br />

Vergünstigung hinaus Anreize zur Stärkung<br />

von Selbstkompetenz und zur Teilhabe<br />

am gesellschaftlichen Leben. Sie<br />

ist kein Rabattkärtli, sondern ein Ausweis<br />

für praktizierte Selbstverantwortung<br />

unter materiell erschwerten Bedingungen.<br />

Das macht sie so überzeugend,<br />

auch als Partner für das Migros-Kulturprozent.<br />

Dieses ist seit Gottlieb Duttweiler<br />

geprägt von der Leitidee, interessierten<br />

Menschen Zugang zu kulturellen<br />

Leistungen, zur Weiterbildung und zum<br />

gesellschaftlichen Leben zu verschaffen.<br />

Ein reiches Angebot von wirksamer<br />

Qualität und Innovation ist der stärks te<br />

Anreiz dazu. Die aktive Einladung zur<br />

Partizipation an diesen Angeboten ein<br />

weiterer. Das Migros-Kulturprozent freut<br />

sich auf die Menschen mit KulturLegi,<br />

die sich den Zugang zu den Bildungsangeboten<br />

der Klubschulen Migros und zu<br />

den kulturellen Aktivitäten verschaffen<br />

wollen.<br />

www.migros-kulturprozent.ch<br />

www.klubschule.ch<br />

Text: Urs Walter; Fotos: Urs Siegenthaler<br />

2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

7


Hintergrund: KulturLegi<br />

Ein wirksames Instrument zur<br />

sozialen Integration<br />

Arm sein ist mehr als nur wenig Geld haben. Für Armutsbetroffene sind Bildung, Beziehungen<br />

und Prestige genauso wichtig wie die finanziellen Ressourcen. Soziale Integration findet<br />

auf all diesen unterschiedlichen Ebenen statt – dank der KulturLegi.<br />

Betrachten wir alltägliche Ereignisse und<br />

zwischenmenschliche Begegnungen für<br />

einmal als Spiel. Gemäss dem Soziologen<br />

Pierre Bourdieu verfügen wir Menschen<br />

über unterschiedliche Fähigkeiten und<br />

Möglichkeiten. Diese setzen wir je nach<br />

Situation ein und passen sie gegebenenfalls<br />

an. Neben dem ökonomischen Kapital<br />

(Einkommen und Vermögen) stehen<br />

uns soziales Kapital (Beziehungen), symbolisches<br />

Kapital (Prestige) und kulturelles<br />

Kapital zur Verfügung. Letzteres meint vor<br />

allem die Bildung, die vorwiegend im Rah-<br />

men der Familie weitergegeben oder ermöglicht<br />

wird. Soziale Ungleichheit und<br />

der Auf- und Abstieg entstehen gemäss<br />

Bourdieu aus einem Zusammenspiel dieser<br />

verschiedenen Ressourcen. So kann zum<br />

Beispiel eine Investition in die Bildung zu<br />

einem Vorrücken auf dem Feld des ökonomischen<br />

Kapitals verhelfen. Oder der Verlust<br />

von wichtigen Beziehungen hat zur<br />

Folge, dass man beim symbolischen und<br />

ökonomischen Kapital ein paar Felder zurückgeworfen<br />

wird.<br />

Wer nicht mithalten kann, fällt raus<br />

Das Leben ist aber kein Spiel: Armutsbetroffene<br />

Personen in der Schweiz verfügen<br />

nicht nur über weniger finanzielle Mittel,<br />

sondern auch über eingeschränkte Handlungs-<br />

und Teilnahmemöglichkeiten. Sie<br />

sind oft von Teilbereichen unserer Gesellschaft<br />

ausgeschlossen. Die soziale Integration<br />

oder eben der Erhalt und Aufbau von<br />

sozialem, symbolischem und kulturellem<br />

Kapital sind somit zentrale Funktionen in<br />

der Armutsprävention und -bekämpfung.<br />

8<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10


Solidarische<br />

Angebotspartner<br />

Im Zentrum steht dabei die Bildung.<br />

Wer da nicht mithalten kann, fällt rasch<br />

aus dem System heraus. Fast genauso wichtig<br />

sind soziale Beziehungen, die man aufbaut<br />

und pflegt, indem man zum Beispiel<br />

bei kulturellen oder sportlichen Aktivitäten<br />

mitmacht. Nur wer sich auf den unterschiedlichen<br />

Ebenen aktiv beteiligen kann,<br />

ist und bleibt integriert.<br />

Armut vermeiden<br />

Von der KulturLegi profitieren die von<br />

Armut am meisten betroffenen Gruppen:<br />

Kinder und Jugendliche, Einelternfamilien,<br />

Personen ohne Ausbildung oder mit<br />

Migrationshintergrund. Die vergünstigten<br />

Bildungsangebote erleichtern die Weiterbildung.<br />

Die ermässigten Eintritte in Kulturinstitutionen<br />

ermöglichen der ganzen<br />

Familie den Erwerb von Bildung im weitesten<br />

Sinne. Vergünstigte Sportmöglichkeiten<br />

tragen zur Gesundheitsförderung<br />

bei – was gerade bei Armutsbetroffenen<br />

wegen des höheren Krankheitsrisikos von<br />

zentraler Bedeutung ist. Kurz: Die Kultur­<br />

Legi hilft, soziale Isolation und Vereinsamung<br />

zu vermeiden.<br />

In der Schweiz ist etwa jede zehnte Person<br />

arm. Ohne Betagte und Kleinkinder,<br />

die nur bedingt eingerechnet werden können,<br />

könnten also rund 600 000 Personen<br />

die KulturLegi beziehen und nutzen. Denn<br />

sie kann für all diese Menschen eine Unterstützung<br />

leisten. Die KulturLegi hat damit<br />

ein hohes Potenzial, Armut zu vermeiden<br />

und Wege aus der Armut zu erleichtern.<br />

Chancengleichheit auf allen Ebenen<br />

Die Armutsstrategie des Bundesrates, die<br />

im März <strong>2010</strong> veröffentlicht wurde, zeigt,<br />

dass Armutsprävention breit angegangen<br />

werden muss, damit etwas erreicht werden<br />

kann. Diesen Ansatz verfolgt <strong>Caritas</strong> schon<br />

seit langem. Wollen wir keine Zweiklassengesellschaft,<br />

ist es wichtig, Chancengleichheit<br />

auf den verschiedensten Ebenen herzustellen.<br />

Nicht nur die Integration in den<br />

Arbeitsmarkt, sondern eben auch die sozialen<br />

Aspekte müssen gewichtet werden. Die<br />

KulturLegi leistet dazu einen wichtigen Beitrag.<br />

Die KulturLegi ermöglicht es über 11 000 Nutzerinnen und<br />

Nutzern, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.<br />

KulturLegi vorhanden<br />

Einführung im nächsten Jahr<br />

Bereits 1996 lancierte die IG Sozialhilfe in<br />

Zürich die Idee, mit einer KulturLegi Personen<br />

mit begrenzten finanziellen Mitteln<br />

den Zugang zu Kultur­, Bildungs­ und<br />

Sportanlässen zu ermöglichen. Diese Idee<br />

wurde von <strong>Caritas</strong> in verschiedenen Kantonen<br />

weiterentwickelt: Heute hat die KulturLegi<br />

über 11 000 Nutzerinnen und Nutzer<br />

in der ganzen Schweiz. Erhältlich ist<br />

sie bisher in Freiburg und Region, in Chur,<br />

im Kanton <strong>Bern</strong> und im Kanton Zürich sowie<br />

in den Zentralschweizer Kantonen Luzern,<br />

Nidwalden, Obwalden, Uri, Schwyz<br />

und Zug. Mehr als 800 Angebotspartner<br />

aus den Bereichen Sport, Bildung und Kultur<br />

zeigen sich solidarisch und gewähren<br />

Links und Publikationen<br />

Einführung in Planung<br />

keine KulturLegi<br />

für Inhaberinnen und Inhaber der Kultur­<br />

Legi grosszügige Rabatte.<br />

Die KulturLegi ist ein persönlicher,<br />

nicht übertragbarer Ausweis. Berechtigt<br />

sind alle Personen, die am oder unter dem<br />

Existenzminimum leben und zum Beispiel<br />

Sozialhilfe, Zusatzleistungen oder individuelle<br />

Krankenkassenprämienverbilligung<br />

beziehen. Gegen Vorweisen der KulturLegi<br />

erhalten sie Vergünstigungen bis zu 70 Prozent.<br />

Die KulturLegi ist ab Ausstellungsdatum<br />

ein Jahr gültig. Eine Verlängerung für<br />

das erste Familienmitglied kostet 20 Franken,<br />

für das zweite 10 Franken, ab dem dritten<br />

ist sie gratis.<br />

Informationen<br />

über Standorte, Berechtigungskriterien, Bezugsmöglichkeiten und Angebote der KulturLegi finden<br />

Sie unter www.kulturlegi.ch.<br />

Zum Begriff der sozialen Integration:<br />

Rahel Strohmeier, Carlo Knöpfel: Was heisst soziale Integration? Öffentliche Sozialhilfe<br />

zwischen Anspruch und Realität, <strong>Caritas</strong> Schweiz, Luzern 2005.<br />

Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In: Reinhard<br />

Kreckel: Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198.<br />

Texte: Bettina Zeugin, Irène Barmettler; Grafik: Martin Blaser<br />

2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

9


<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

«Eine KulturLegi hätte ich einst<br />

gerne selber gehabt»<br />

Gonca Kuleli Koru, die <strong>Caritas</strong>-Frau mit dem exotischen Namen, spricht breites <strong>Bern</strong>deutsch.<br />

Zuvor machte sie Öffentlichkeitsarbeit fürs Klee-Zentrum, seit September 2009 leitet die Marketing-Planerin<br />

die KulturLegi <strong>Bern</strong>.<br />

«Die KulturLegi ist ein faszinierendes Projekt», freut sich Gonca Kuleli Koru über das Unternehmen, das sie leitet. Dank der Initiative von<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> können Tausende von Frauen und Männern vergünstigte Angebote nutzen – in Bildung, Freizeit, Sport und Kultur.<br />

Sie ist in Aarberg aufgewachsen. Doch nicht<br />

nur das <strong>Bern</strong>er Seeland hat sie geprägt: «Ich<br />

bin halb griechisch und halb türkisch», sagt<br />

Gonca Kuleli schmunzelnd, deren Vorname<br />

lautmalerisch als «Gontscha» ausgesprochen<br />

wird. Seit dem dritten Lebensjahr<br />

ist sie in der Schweiz zuhause. Ihre<br />

Eltern kamen als Fremdarbeiter ins Land,<br />

das nun ihre Heimat ist. Auch ihr Mann hat<br />

türkische Wurzeln, und ihre beiden Kinder<br />

tragen entsprechende Namen: Enis ist<br />

sechs und Koray zwei Jahre alt. Die beiden<br />

Jungs haben ihre Mutter indirekt zur <strong>Caritas</strong><br />

<strong>Bern</strong> gebracht. Denn Gonca Kuleli war<br />

zuvor im Klee-Zentrum tätig und machte<br />

Öffentlichkeitsarbeit für eine der neuen<br />

grossen und profilierten <strong>Bern</strong>er Kulturinstitutionen.<br />

Doch als Familienfrau wollte<br />

sie ihr Arbeitspensum auf eine halbe Stelle<br />

reduzieren; das war aber für sie in der PR-<br />

Abteilung des Klee-Zentrums nicht möglich.<br />

Nun ist sie begeistert von ihren neuen<br />

Aufgaben bei der KulturLegi <strong>Bern</strong>. «Es ist<br />

ein enorm faszinierendes Projekt», freut<br />

sich Gonca Kuleli. Die Leitungs- und Koordinationsaufgaben<br />

nimmt sie zu 50 Prozent<br />

wahr, ihr Mitarbeiter Marc Hubschmied<br />

arbeitet 70 Prozent.<br />

Integrieren statt ausgrenzen<br />

Bei <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> kann die KulturLegi-Leiterin<br />

verschiedenste Engagements unter<br />

einen Hut bringen. Nach einer kaufmännischen<br />

Grundausbildung wurde sie Marketing-Planerin<br />

und machte später eine<br />

Ausbildung in Kultur-Management in Zü-<br />

10 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10


ich. Ihren professionellen Hintergrund als<br />

Fachperson verbindet sie nun mit ihren sozialen<br />

Anliegen. Sie hätte einst gerne das<br />

Gymnasium besucht und studiert. Leicht<br />

wehmütig meint sie: «Eine KulturLegi hätte<br />

ich einst gerne selber gehabt.» Denn sie<br />

hätte sich gewünscht, mehr Bildungskurse,<br />

Theatervorstellungen oder Konzerte besuchen<br />

zu können, was aber nicht zuletzt auch<br />

finanziell nicht drinlag. «Dass Menschen<br />

mit kleinem Budget einen erleichterten Zugang<br />

zu solchen Angeboten bekommen, ist<br />

mehr als ein Symbol», erklärt Gonca Kuleli.<br />

Auf diese Weise würden viele Frauen und<br />

Männer besser in unsere Welt integriert<br />

und von der Gesellschaft nicht ausgegrenzt.<br />

Teilnehmen und Teilhaben an der Alltagskultur<br />

sei entscheidend. «Dabei sein, auch<br />

mit wenig Geld», heisst es auf dem Werbeplakat<br />

der KulturLegi.<br />

werden oder noch mehr verarmen. Eigene<br />

Angebote von Bibliotheken über Badis bis<br />

hin zu Bildungskursen werden besser genutzt<br />

und ausgelastet. Kostenmässig bleibt<br />

der Aufwand für eine Gemeinde in einem<br />

klar abgegrenzten Rahmen – je mehr Gemeinden<br />

mitmachen, desto günstiger wird<br />

die ganze Organisation für jede.<br />

Weiter bekannt werden<br />

«Wir müssen noch stärker zeigen, was die<br />

KulturLegi alles bewirkt», erklärt Gonca<br />

Kuleli. Als Fachfrau weiss sie, wie wichtig<br />

es ist, die KulturLegi bekannter zu machen<br />

und ihr Image aktiv gegen aussen zu zeigen,<br />

um das Projekt als ständiges Angebot<br />

zu etablieren. «Wir möchten auch neue Gemeinden<br />

gewinnen», betont sie und freut<br />

sich, dass im Mai die Gemeinde Spiez als<br />

neue Partnerin zur KulturLegi <strong>Bern</strong> stiess.<br />

Gleichzeitig will sie neue Ideen entwickeln,<br />

wie das Netz der KulturLegi besser genutzt<br />

werden kann. Denn in wenigen Jahren sind<br />

hier spannende Verbindungen entstanden:<br />

zu kleinen und grossen Anbietern, zu Fussballclubs,<br />

Zeitungen, zur Volkshochschule<br />

usw. Andererseits beginnen immer mehr<br />

Armutsbetroffene das Angebot zu nutzen.<br />

Denn als KulturLegi-Besitzer werden sie<br />

nicht abgestempelt, sondern sind eben dabei,<br />

auch mit wenig Geld. Gonca Kuleli jedenfalls<br />

ist voller Energie dabei und hilft<br />

mit, dieses einzigartige Angebot von <strong>Caritas</strong><br />

weiterzuentwickeln.<br />

Gewinn für Gemeinden<br />

In Gonca Kulelis Büro an der <strong>Bern</strong>er Länggassstrasse<br />

ist es warm. Die Sommersonne<br />

heizt dem Altbau gehörig ein. Die Frage<br />

nach den beliebtesten KulturLegi-Angeboten<br />

ist einfach zu beantworten: In der Stadt<br />

<strong>Bern</strong> sind die Badis gratis, doch in andern<br />

Gemeinden und Städten hält der Eintrittspreis<br />

manche Familien mit Kindern vom regelmässigen<br />

Besuch ab. Aber die Vergünstigungen<br />

des Ausweises helfen hier weiter.<br />

Allein in Zürich wurden letztes Jahr über<br />

3000 Badi-Eintritte mit der KulturLegi gezählt.<br />

Diese Möglichkeit bringt manchen<br />

Institutionen neue Besucherinnen und Besucher,<br />

freie Plätze können besser ausgelastet<br />

werden, und die neue Kundschaft bleibt<br />

oft auch später treu. So gewinnen die mitmachenden<br />

Gemeinden gleich mehrfach:<br />

Menschen mit kleinem Budget und in sozialer<br />

Not können gezielt unterstützt werden.<br />

Dieser Support hilft mit, teure Folgekosten<br />

zu vermeiden, wenn Menschen ausgegrenzt<br />

Touristen unterstützen <strong>Caritas</strong> Rom: Wer eine Münze in den berühmten Trevi-Brunnen<br />

in Rom wirft, kehrt der Legende nach in die Ewige Stadt zurück. In einem Beitrag der Nachrichtensendung<br />

«HeuteMorgen» von Schweizer Radio DRS berichtete Kulturredaktorin Nadja<br />

Fischer, dass die vielen Touristen mit jedem Münzwurf tatsächlich Gutes tun. Die Geldstücke<br />

werden täglich frühmorgens eingesammelt und der <strong>Caritas</strong> Rom übergeben. 2009 kamen so<br />

insgesamt etwa 900 000 Euro zusammen. Das Geld wird von <strong>Caritas</strong> Rom für ihre<br />

Armenküchen und ihre <strong>Caritas</strong>-Märkte verwendet. Franco Messerli<br />

Text: Karl Johannes Rechsteiner; Bilder: Karl Johannes Rechsteiner, Ludmiła Pilecka<br />

2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

11


<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

«Armut halbieren!» macht Mut<br />

Innert zehn Jahren soll die Zahl der von Armut betroffenen<br />

Menschen hierzulande halbiert werden. Das Anliegen von<br />

<strong>Caritas</strong> findet eine breite Resonanz – auch im Kanton <strong>Bern</strong>.<br />

Stein für Stein wird eine Mauer der Armut abgebaut.<br />

Am <strong>Bern</strong>er Aktionstag gegen Armut im Frühling <strong>2010</strong> legten auch<br />

Schauspielerin Heidi Maria Glössner, Alt-National- und -Regierungs rätin Leni Robert und<br />

der freisinnige Grossrat Christoph Stalder selber Hand an für die Anliegen der <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong>.<br />

Soziale Aufgaben und Animation<br />

Eine riesige Palette voller roter Backsteine<br />

so gross wie ein kleines Häuschen oder eine<br />

enorme Skulptur sorgte am letzten April-<br />

Sonntag auf dem <strong>Bern</strong>er Waisenhausplatz<br />

für Aufsehen. An einem Aktionstag halfen<br />

Prominente, Passantinnen und Passanten<br />

bei <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> mit, in einer symbolischen<br />

«Mauer der Armut» Lücken zu öffnen.<br />

Die bekannte Schauspielerin Heidi Maria<br />

Glössner oder die ehemalige Regierungsund<br />

Nationalrätin Leni Robert solidarisierten<br />

sich ebenso mit der Kampagne «Armut<br />

halbieren!» wie Gemeinderätin Edith Olibet<br />

oder die Vertreterinnen und Vertreter<br />

verschiedenster Parteien, die mit einer Motion<br />

im Grossen Rat ein gezieltes Vorgehen<br />

gegen die Armut im Kanton <strong>Bern</strong> gefordert<br />

hatten. Mit einem Massnahmenplan sollte<br />

die Gesamtregierung entschieden gegen die<br />

Armut vorgehen. Erstunterzeichnende des<br />

Vorstosses waren Andrea Lüthi (SP, Wynigen),<br />

Marc Früh (EDU, Lamboing), Niklaus<br />

Gfeller (EVP, Rüfenacht), Daniel Kast<br />

(CVP, <strong>Bern</strong>), Blaise Kropf (Grüne, <strong>Bern</strong>)<br />

und Christoph Stalder (FDP, <strong>Bern</strong>). Im Juni<br />

stimmte das Kantonsparlament dem Anliegen<br />

mit grossem Mehr zu und erklärte es<br />

für dringlich. Ein Erfolg auch für die <strong>Caritas</strong><br />

<strong>Bern</strong>, die den Vorstoss angeregt hatte.<br />

Armut ist kein Einzelfall<br />

Thomas Studer ist als Leiter der <strong>Caritas</strong><br />

<strong>Bern</strong> erfreut über diese Zeichen, denn die<br />

Folgen der zunehmenden Armut sind bei<br />

den sozialen Institutionen direkt spürbar.<br />

«Das Sparen im Bildungs- und Gesundheitsbereich<br />

trifft oft die Leute, die bereits<br />

knapp dran sind», gibt er zu bedenken.<br />

Wichtig sei, besser zu erkennen und<br />

bekannter zu machen, dass Armut nicht an<br />

Einzelpersonen hänge, sondern ein strukturelles<br />

Problem sei. «Wir brauchen ein verändertes<br />

Bewusstsein. Armut soll weder tabuisiert<br />

noch individualisiert werden. Und<br />

es hilft auch nicht weiter, reichere Leute einfach<br />

pauschal zu kritisieren», gibt Studer zu<br />

bedenken. Der Kanton <strong>Bern</strong> packe die Sache<br />

nun ernsthaft an.<br />

Interessanterweise schätzen Vertreter<br />

des Kantons <strong>Bern</strong> die Situation ganz ähnlich<br />

ein. «Armut betrifft nicht Einzelfälle,<br />

sondern ist ein gesellschaftliches Problem»,<br />

betonte beispielsweise Pascal Coullery, stellvertretender<br />

Generalsekretär der Gesundheits-<br />

und Fürsorgedirektion, in einem Interview<br />

mit der Fachzeitschrift «impuls».<br />

Er setzt sich dafür ein, dass Armutspolitik<br />

«eben auch viel mit Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik<br />

sowie mit Wirtschafts-,<br />

Steuer- und mit Migrationspolitik zu tun<br />

hat». Genau aus diesem Grund verlangte<br />

die grossrätliche Motion einen Massnahmenplan<br />

der ganzen Regierung und nicht<br />

nur von der auf den ersten Blick zuständigen<br />

Fürsorgedirektion.<br />

Gespannt auf kommende Massnahmen<br />

Nun erwartet Thomas Studer zuversichtlich<br />

die Pläne des Kantons. Im Kanton <strong>Bern</strong><br />

sind zum Beispiel viele Kinder von Armut<br />

betroffen. Für die Minderjährigen ist das<br />

Armutsrisiko am grössten, was auf die prekäre<br />

finanzielle Situation vieler Familien-<br />

12 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10


Armut ist ein Armutszeugnis für uns alle.<br />

Jetzt helfen. Jetzt handeln.<br />

Leni Robert, Alt National- und Regierungsrätin des Kantons <strong>Bern</strong><br />

Platzverweis für die Armut!<br />

Fairness für alle. Jetzt.<br />

Vladimir Petkovic, Trainer des BSC YOUNG BOYS<br />

www.caritas-bern.ch<br />

www.caritas-bern.ch<br />

«Platzverweis für die Armut» und «Jetzt handeln!» fordert <strong>Bern</strong>er Prominenz auf Plakaten,<br />

welche die Kampagne «Armut halbieren!» von <strong>Caritas</strong> unterstützen.<br />

haushalte zurückzuführen ist. Vor allem<br />

auch bei Alleinerziehenden ist die Armutsquote<br />

bekanntlich hoch. Solche Fakten hat<br />

der ers te <strong>Bern</strong>er Sozialbericht (2008) ans<br />

Licht gebracht. Jetzt darf man gespannt<br />

sein, wie die verantwortlichen Verwaltungsstellen<br />

und Politiker darauf reagieren<br />

wollen, um die Lage zu verbessern. <strong>Caritas</strong><br />

<strong>Bern</strong> selber will all dies kritisch beobachten<br />

und mit eigenen Projekten und Aktivitäten<br />

am Ball bleiben. Vor 25 Jahren wurde sie als<br />

kirchliche Fachstelle gegründet – heute ist<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> als kompetentes soziales Werk<br />

auch immer mehr im Gespräch mit der Öffentlichkeit<br />

und hilft dadurch mit, kirchliche<br />

Verantwortung wahrzunehmen.<br />

Diakonie vor der Haustüre<br />

Die römisch-katholische Gesamtkirchgemeinde <strong>Bern</strong> und Umgebung unterstützt<br />

den <strong>Caritas</strong>-Markt in der Stadt <strong>Bern</strong> ab <strong>2010</strong> bis 2014 mit einem jährlichen<br />

Betrag von 60 000 Franken.<br />

Diesen grosszügigen Entscheid fällte das katholische Kirchenparlament, der<br />

Grosse Kirchenrat, an seiner Sommersitzung, um ein Signal für die Solidarität<br />

mit armen Menschen in der Region zu geben. Kirchenverwalter Rolf Frei<br />

freut sich: «Wir setzen damit ein Zeichen gegen die Armut vor unserer eigenen<br />

Haustüre.» Ein guter Rechnungsabschluss der Gesamtkirchgemeinde trug<br />

zwar das seine zu diesem Entscheid bei. Doch Katholisch-<strong>Bern</strong> will gleichzeitig<br />

als Ortskirche gezielt und nachhaltig sozial wirken und handeln.<br />

Text: Karl Johannes Rechsteiner; Bilder: Christoph Wider<br />

2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

13


Persönlich<br />

Antoinette<br />

Hunziker-Ebneter<br />

ist Geschäftsführerin und Gründungspartnerin<br />

der Forma Futura Invest AG,<br />

einer unabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaft<br />

mit Fokus auf Anlagen,<br />

die eine nachhaltige Lebensqualität<br />

fördern. Zuvor war sie in<br />

verschiedenen Finanzinstituten<br />

tätig, unter anderem als Vorsitzende<br />

der Schweizer Börse.<br />

«Mit unseren Ressourcen<br />

verantwortungsbewusst umgehen»<br />

Was würden Ihre <strong>Nachbarn</strong> über Sie<br />

sagen? Ich habe meine Nachbarin direkt<br />

gefragt und sie meinte, ich sei offen, liebenswürdig<br />

und habe keinen Gesellschaftsdünkel,<br />

da ich den Kontakt mit Menschen<br />

unterschiedlicher Herkunft suche und<br />

schätze. Das stimmt wohl.<br />

Wann sind Sie glücklich? Wenn ich<br />

zum Glück meines Sohnes, meines Lebenspartners,<br />

meiner Mitarbeitenden und Geschäftspartner<br />

beitragen kann. Und wenn<br />

ich mir gesetzte Ziele erreichen kann, die<br />

einen Beitrag für eine bessere Lebensqualität<br />

leisten.<br />

Wie haben Sie das letzte Mal jemandem<br />

geholfen? Neulich mit einer Einzahlung<br />

für die notleidenden Menschen in<br />

Pakistan. Es tut mir weh, diese Bilder zu<br />

sehen, und ich danke dem Herrgott, dass<br />

wir es hier so gut haben. Das sollten wir zu<br />

schätzen wissen.<br />

Warum braucht es <strong>Caritas</strong>? <strong>Caritas</strong> hilft<br />

unbürokratisch und effizient im Ausland,<br />

aber auch im Inland. Das finde ich wichtig,<br />

denn wir haben auch in der Schweiz<br />

immer mehr Familien, die in der aktuellen<br />

wirtschaftlichen Lage in eine Notsituation<br />

rutschen, und hier kann <strong>Caritas</strong> Unterstützung<br />

leisten.<br />

Wofür lohnt es sich, zu streiten? Für<br />

ein funktionierendes, friedliches Zusammenleben<br />

aller Menschen im Einklang mit<br />

der Natur.<br />

Was stimmt Sie zuversichtlich? Dass<br />

immer mehr Menschen mit unseren Ressourcen,<br />

auch den finanziellen, verantwortungsbewusst<br />

umgehen wollen. Hier einen<br />

kleinen Beitrag leisten zu können, ist für<br />

mich eine Lebensaufgabe.<br />

Eine für Sie bedeutende Person in<br />

Ihrem Umfeld? Die Zürcher Unternehmerin<br />

Rosmarie Michel, die «Mikrofinanz»<br />

erfunden hat, noch vor dem Nobelpreisträger<br />

Muhammad Yunus, und sich seit<br />

vielen Jahren für die Gleichberechtigung<br />

einsetzt. Sie hat als Erste im Rahmen von<br />

«Women’s World Banking» Mikrokredite<br />

an Frauen vergeben, die ein Geschäft aufbauen<br />

wollten. Somit werden die Frauen unabhängiger<br />

und bezahlen mit dem selbstverdienten<br />

Geld den Unterhalt der Familie<br />

und die Ausbildung der Kinder. Rosmarie<br />

Michel hat ihre Lebensaufgabe gefunden<br />

und setzt sie konsequent um, basierend auf<br />

ihren Werten. Das versuche ich auch.<br />

Woher stammen Ihre Werte? Von<br />

meinem Elternhaus. Ich habe mich mit 45<br />

entschieden, diese Werte noch viel konsequenter<br />

zu leben, beruflich und privat,<br />

und habe darum «Forma Futura Invest»<br />

gegründet zusammen mit Partnern, welche<br />

die gleiche Wertebasis haben.<br />

Welche Sünde begehen Sie mit<br />

Freude? Zu viele Süssigkeiten essen.<br />

14<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10<br />

Bild: zvg


<strong>Caritas</strong>-Netz<br />

«schulstart+»: Einmaleins für Eltern<br />

Das <strong>Caritas</strong>-Projekt «schulstart+» bringt jungen Müttern und Vätern mit Migrationshintergrund<br />

das Schweizer Schulsystem näher und unterstützt sie mit alltagsnahen Infos bei der<br />

Erziehung und Förderung ihrer Kleinkinder. Ein Integrationsprojekt mit Langzeitwirkung.<br />

tur – so, wie es die Eltern aus ihrer eigenen<br />

Kindheit oft gut kennen – viel mehr profitieren<br />

können. Nicht alle Schweizer Gepflogenheiten<br />

sind nachahmenswert.<br />

Auch in der Schweiz erfolgreich in die Schulzeit zu starten ist für Migrantenfamilien besonders wichtig.<br />

Ein Znüni? Nein, das kennt man in Eritrea<br />

nicht. Das Zvieri hingegen gibt’s auch<br />

im ostafrikanischen Vielvölkerstaat: meistens<br />

ein Stück Brot und eine Tasse Tee. Die<br />

Frauenrunde – eritreische Mütter, die eritreische<br />

Übersetzerin, die schweizerische<br />

Kursleiterin – lacht belustigt. Immer wieder<br />

finden sich Berührungspunkte zwischen<br />

dem Alltag in der Schweiz und dem<br />

Leben in Eritrea, und immer wieder finden<br />

sich Unterschiede. Wie Himmel und Erde<br />

sei das manchmal, sagt eine der Mütter auf<br />

Tigrinya, eine der Sprachen Eritreas. Wie<br />

Tag und Nacht, übersetzt die Dolmetscherin.<br />

Allseitiges Kopfnicken.<br />

Ein Elternbildungsprojekt<br />

Unterschiede benennen, Gemeinsamkeiten<br />

erkennen, Ressourcen stärken, Wissenslücken<br />

füllen, Wege aufzeigen, Fragen<br />

beantworten – um all das geht es in den<br />

zwischen vier und acht Nachmittage dauernden<br />

Kursen des <strong>Caritas</strong>-Projekts «schulstart+»,<br />

das sich an Migrationsfamilien mit<br />

Kleinkindern wendet. «schulstart+» ist ein<br />

Elternbildungs- und Frühförderungsprojekt;<br />

die drei im Zentrum stehenden Themenbereiche<br />

Familie, Freizeit/Gesellschaft<br />

und Schule decken ein breites Spektrum<br />

von Fragen ab, die sich jungen, mit der<br />

Schweiz noch nicht vertrauten Eltern stellen<br />

können. Ziel ist eine gute Vorbereitung<br />

auf den Kindergarten und die Schule – Kinder<br />

aus Migrationsfamilien sollen dieselben<br />

Chancen haben wie ihre einheimischen Kameraden.<br />

Alltagsnahe Wissensvermittlung<br />

In den Kursen von «schulstart+» geht es<br />

zum Teil um grosse Dinge wie die Struktur<br />

des Schulwesens, aber oft stehen ganz<br />

praktische Fragen im Zentrum. Zu wissen,<br />

dass das Kind ein Znüni in den Kindergarten<br />

mitnehmen soll und welche Nahrungsmittel<br />

in die Znünitasche gehören und welche<br />

nicht, ist wichtig. Genauso wichtig wie<br />

etwa das Wissen, dass der hierzulande verbreitete,<br />

ausgedehnte Fernsehkonsum nicht<br />

erstrebenswert ist für Kinder, sondern dass<br />

diese vom Herumtollen in der freien Na-<br />

Das Beispiel Aargau<br />

Das <strong>Caritas</strong>-Projekt «schulstart+» gibt es<br />

bis jetzt in vier Kantonen: Freiburg, Graubünden,<br />

Zürich und Aargau. Im Aargau<br />

läuft es seit Anfang 2009; finanziell unterstützt<br />

wird es durch Swisslos Kanton Aargau,<br />

das Migrationsamt, die Fachstelle<br />

Integration und Beratung Kanton Aargau,<br />

das Bundesamt für Migration (BFM)<br />

und Schulen oder Integrationsorganisationen<br />

vor Ort. Bis jetzt sind Kurse mit albanischen,<br />

türkischen, tamilischen und eritreischen<br />

Eltern realisiert worden. Für die<br />

mit der Durchführung von «schulstart+»<br />

betrauten Mitarbeiterinnen Karin Knobel<br />

und Rebekka Wieland ist klar, dass das Verteilen<br />

von Flyern allein nicht ausreicht, um<br />

Mütter und Väter zu einer Kursteilnahme<br />

zu motivieren. Es braucht den persönlichen<br />

Kontakt – Telefonate, Mundpropaganda –,<br />

damit sich Eltern auf das Projekt einlassen.<br />

Karin Knobel und Rebekka Wieland<br />

ziehen eine positive Bilanz der ersten anderthalb<br />

Jahre. Eine der schönsten Rückmeldungen<br />

gab es von einer Schulleitung:<br />

Eine eritreische Familie habe sich noch vor<br />

Schuleintritt des Kindes im Schulhaus gemeldet<br />

und den Kontakt zum Team gesucht.<br />

Karin Knobel: «Mit ‹schulstart+› wollen wir<br />

Eltern unter anderem ermutigen, sich aktiv<br />

mit Kindergarten und Schule auseinanderzusetzen.<br />

Feedbacks dieser Art zeigen uns,<br />

dass wir auf dem richtigen Weg sind.»<br />

Text: Ursula Binggeli; Bild: Jiri Vurma 2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong> 15


<strong>Caritas</strong>-Netz<br />

«Meine Einstellung zum Tod hat<br />

sich geändert»<br />

<strong>Caritas</strong> bildet Menschen aus, die Schwerkranke und Sterbende<br />

in der letzten Lebensphase begleiten. Wir sprachen<br />

mit Diana Cadruvi, die einen Kurs in Ilanz besucht hat.<br />

«<strong>Caritas</strong>-Markt –<br />

gesund!»<br />

In der reichen Schweiz<br />

haben nicht alle Menschen<br />

gleiche Chancen auf ein<br />

gesundes und langes Leben.<br />

Gerade im Bereich «Ernährung<br />

und Bewegung» zeigt<br />

sich: Armut macht krank.<br />

«<strong>Nachbarn</strong>»: Sie begleiten Menschen<br />

in sehr intimen Momenten. Was beschäftigt<br />

Sie dabei?<br />

Diana Cadruvi: Bis jetzt habe ich nur<br />

schöne Erlebnisse gehabt. Das tönt vielleicht<br />

etwas komisch. Aber die Menschen,<br />

die ich begleite, sind oft schwer krank und<br />

wünschen sich nichts anderes, als zuhause<br />

im Kreise ihrer Liebsten sterben zu können.<br />

Sie gehen gerne und strahlen eine tiefe<br />

Ruhe aus. Zum Beispiel der alte Mann, der<br />

schon tagelang nichts mehr zu sich genommen<br />

hatte und mich noch um einen letzten<br />

Kafi-Schnaps bat. Er genoss ein paar Löffel<br />

davon. Am nächsten Tag ist er gestorben.<br />

Das nimmt einen natürlich mit, man<br />

muss sich abgrenzen können. Aber meine<br />

Einstellung zum Tod hat sich geändert: Die<br />

Angst ist weg.<br />

Warum haben Sie den Grundkurs<br />

«Begleitung in der letzten Lebensphase»<br />

besucht?<br />

Ich arbeite für die Spitex und komme<br />

dabei oft mit Menschen in Kontakt, die im<br />

Der Grundkurs «Sterben und Trauern» lehrt den Umgang mit dem Tod.<br />

Sterben liegen. Ihre Angehörigen kommen<br />

jeweils mit vielen Fragen auf mich zu. Ich<br />

wollte lernen, diesen Fragen professionell zu<br />

begegnen. Die Beispiele der anderen Kursteilnehmenden<br />

und die Erfahrung der Leiterin<br />

haben mir dabei geholfen.<br />

Welche Fragen beschäftigen die Angehörigen,<br />

wenn jemand im Sterben<br />

liegt?<br />

Oft habe ich das Gefühl, dass die Sterbenden<br />

spüren, wann es so weit ist. Sie essen<br />

und trinken nicht mehr. Die Angehörigen<br />

wollen dann wissen, wie lange es noch geht.<br />

Oder wie sie nun die Medikamente weiterhin<br />

verabreichen können. Manche Fragen<br />

können beantwortet werden, andere nicht.<br />

Ich versuche, für die Angehörigen ein offenes<br />

Ohr zu haben und sie da zu unterstützen,<br />

wo es mir möglich ist.<br />

Über ein Drittel der Erwachsenen und ein<br />

Viertel der Kinder und Jugendlichen in der<br />

Schweiz sind übergewichtig – Personen mit<br />

tiefer Schulbildung rund dreimal so häufig<br />

wie Personen mit einem Hochschulabschluss.<br />

Denn bei knappem Budget fehlt oft<br />

das Geld für gesundes Essen: Nahrungsmittel<br />

mit hohem Fett- und Zuckergehalt<br />

sind billiger als Obst und Gemüse.<br />

Mit dem Projekt «<strong>Caritas</strong>-Markt – gesund!»<br />

leistet <strong>Caritas</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit Gesundheitsförderung Schweiz einen<br />

innovativen Beitrag zur gesundheitlichen<br />

Chancengleichheit. In den <strong>Caritas</strong>-Märkten<br />

können Armutsbetroffene frisches Obst<br />

und Gemüse besonders günstig kaufen. Zusätzlich<br />

bietet der <strong>Caritas</strong>-Markt Informationen<br />

und preisgünstige Produkte an, um<br />

gesunde Ernährung und Bewegung im Alltag<br />

zu verankern. Das mehrjährige Projekt<br />

wird wissenschaftlich begleitet durch die<br />

Universität <strong>Bern</strong>.<br />

www.caritas-markt.ch<br />

www.gesundheitsfoerderung.ch<br />

16 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10 Texte: Ariel Leuenberger, Adrian Wismann; Bilder: Urs Siegenthaler, Andreas Schwaiger; Collage rechts: Martin Blaser


Schmales Budget, volles Programm<br />

dank der KulturLegi<br />

Collage: Martin Blaser<br />

1/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong><br />

19


Kiosk<br />

Veranstaltungen<br />

20. November <strong>2010</strong>: Benefiz-Operngala<br />

«L’amour des trois oranges» von Sergei Prokofiev<br />

im Stadttheater <strong>Bern</strong>, organisiert vom Förderverein <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong>.<br />

Karten erhältlich via info@caritas-bern.ch oder Tel. 031 378 60 00.<br />

23. November <strong>2010</strong>: Premiere der Workshop-Filme und Lesung<br />

mit Walter Däpp aus seinem neuen Buch. La Cultina, <strong>Bern</strong>, 19 Uhr.<br />

11. und 12. Dezember <strong>2010</strong>: <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> Einelterntagung<br />

Wochenendtagung «Werte zum Leben» im Gwatt-Zentrum am Thunersee<br />

18. Dezember <strong>2010</strong>: «Eine Million Sterne»<br />

Aktionstag für eine solidarische Schweiz<br />

16 bis 21 Uhr, mit Kerzenlichtern<br />

<strong>Bern</strong>er Bundesplatz<br />

www.caritas-bern.ch<br />

Forum 2011: Ist Alterspflege Privatsache?<br />

Die sozialpolitische Tagung der <strong>Caritas</strong>. Das <strong>Caritas</strong>-Forum 2011 nimmt die<br />

Lebensbedingungen der Menschen im vierten Lebensalter unter die Lupe und stellt<br />

Strategien für eine sozial gerechte Alterspflege vor.<br />

Freitag, 14. Januar 2011, 9.30 bis 15.30 Uhr, Kultur-Casino, <strong>Bern</strong><br />

Information zu Kosten, Anmeldung und Detailprogramm:<br />

<strong>Caritas</strong> Schweiz, Löwenstrasse 3, Postfach, 6002 Luzern<br />

Telefon: 041 419 22 22, E-Mail: info@caritas.ch, www.caritas.ch<br />

«Kleine Filme machen Armut sichtbar»<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> lud Jugendliche an einen Film-Workshop zum<br />

Thema Armut ein. Drei Fragen an Livia Kernen (21) aus <strong>Bern</strong>,<br />

die mitgemacht hat.<br />

Was blieb Ihnen vom Workshop?<br />

Ganz allgemein hat es Spass gemacht. Es war erstaunlich, dass wir es ohne jegliche<br />

Filmerfahrung alle geschafft haben, einen Film zum Thema Armut zu produzieren.<br />

Armut war für Sie ein neues Thema?<br />

Mit Armut in andern Ländern und im Süden der Erde<br />

habe ich mich schon beschäftigt, aber nicht mit Armut in der<br />

Schweiz. Durchs Filmen ist uns dabei vieles bewusst geworden.<br />

Würden Sie nochmals mitmachen?<br />

Auf jeden Fall. Der Leiter Mischa Hedinger, ein freischaffender<br />

Regisseur, hat uns von Grund auf viel beigebracht. Mit<br />

seiner Unterstützung konnten wir filmen, schneiden, planen<br />

und haben etwas Gutes zustande gebracht.<br />

Die kurzen Dokumentarfilme aus dem Workshop von <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> können im<br />

Internet angeschaut werden: www.caritas-bern.ch.<br />

Hommage an<br />

Barbara Büschi<br />

Nach sechseinhalb<br />

Jahren<br />

ist Barbara<br />

Büschi<br />

Mitte <strong>2010</strong><br />

als Präsidentin<br />

der <strong>Caritas</strong><br />

<strong>Bern</strong> aus<br />

gesundheitlichen<br />

Gründen<br />

zurückgetreten.<br />

Mit Sachkompetenz, natürlicher Autorität<br />

und Humor hat Barbara Büschi<br />

das <strong>Caritas</strong>-Schiff zwischen Klippen,<br />

durch Stürme und ruhige Gewässer<br />

geleitet. In ihrer Zeit ist <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

stark gewachsen und hat sich als Mehrsparten-Hilfswerk<br />

im Kanton <strong>Bern</strong> zu<br />

Armut, sozialer Ausgrenzung, Migration<br />

und Freiwilligenarbeit einen Namen<br />

gemacht.<br />

Liebe Barbara, wir werden Dich<br />

sehr vermissen: als Führungspersönlichkeit<br />

mit Weitblick und fundierten<br />

betriebswirtschaftlichen Kenntnissen;<br />

als Frau mit viel Charme und ansteckendem<br />

Lachen; als Mensch mit<br />

einem grossen Herzen für andere<br />

Menschen in schwierigen Lebenslagen.<br />

Vorstand, Geschäftsleitung und<br />

Mitarbeitende der <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong> danken<br />

Dir von Herzen für das grosse Engagement!<br />

Thomas Studer, Geschäftsleiter<br />

<strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

Eine der Film-<br />

Crews vom Dokfilm-Workshop<br />

der <strong>Caritas</strong> <strong>Bern</strong><br />

macht Drehpause<br />

vor dem <strong>Caritas</strong>-<br />

Markt <strong>Bern</strong> (von<br />

links nach rechts):<br />

Julia Degelo,<br />

Selina Krüse und<br />

Luca Schmid.<br />

18 <strong>Caritas</strong> <strong>Nachbarn</strong> 2/10 Bilder: zvg, Franco Messerli


Gedankenstrich<br />

Doris Leuthard<br />

Menschen brauchen Perspektiven .<br />

Armut stigmatisiert und grenzt aus; Armut kann<br />

Individuen, Familien und damit letztlich die Gesellschaft<br />

schwer beeinträchtigen: Deshalb sind<br />

wir verpflichtet, alles daran zu setzen, damit auch<br />

in einem reichen Land wie der Schweiz alle Menschen<br />

ein ihren Fähigkeiten, ihren Möglichkeiten<br />

und ihrem Einsatz entsprechendes Auskommen<br />

finden. Wir alle müssen uns – und zwar nicht nur<br />

im «Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut<br />

und sozialer Ausgrenzung» – darum bemühen,<br />

dass durch eine gute Grund- und Ausbildung<br />

der Weg für ein würdiges Leben eröffnet wird.<br />

Menschen brauchen Perspektiven und Orientierung.<br />

Die spontane Spende und der freiwillige Dienst<br />

sind zwar ganz wichtig, aber sie reichen nicht aus.<br />

Wir müssen den Menschen vor allem die Fähigkeit<br />

und die Mittel geben, aus eigener Kraft Armut<br />

zu vermeiden oder sie selber zu überwinden.<br />

Die Grundlage dafür sind Bildung und Arbeit. Mit<br />

seiner Strategie zur Armutsbekämpfung will der<br />

Bundesrat darum die Chancengleichheit im Bildungsbereich<br />

fördern, die Massnahmen zur Reintegration<br />

in den Arbeitsmarkt verbessern und<br />

die Familienarmut bekämpfen.<br />

«Die Stärke des Volkes misst sich am Wohle<br />

der Schwachen», so steht es in unserer Verfassung.<br />

Das soll unsere Leitschnur im Kampf gegen die<br />

Armut sein.<br />

Doris Leuthard, Bundespräsidentin<br />

Ende März <strong>2010</strong> hat der Bundesrat<br />

einen Armutsbericht präsentiert.<br />

Damit bekennt er sich zu seiner Aufgabe,<br />

Armut und soziale Ausgrenzung<br />

zu bekämpfen.<br />

Zu finden ist der Bericht unter<br />

www.news.admin.ch/message/index.<br />

html?lang=de&msg-id=32457<br />

Anlässlich des «Europäischen Jahrs<br />

zur Bekämpfung von Armut und<br />

sozialer Ausgrenzung <strong>2010</strong>» hat<br />

<strong>Caritas</strong> die Kampagne «Armut<br />

halbieren» gestartet:<br />

www.armut-halbieren.ch<br />

Bild: zvg 2/10 <strong>Nachbarn</strong> <strong>Caritas</strong> 19


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