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2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 23<br />
Dies kann in Figur 2.12 eingezeichnet werden, und zwar im unteren Teilbild als<br />
Extrapolation der Parabel des Meissnerzustandes bis zum Schnittpunkt mit der<br />
Geraden F=F NL , und im oberen Teilbild durch die skizzierte Konstruktion mit<br />
Flächengleichheit (A 1 =A 2 ).<br />
Die Angabe von B cth folgt aus rein praktischen Gründen, z.B. wenn die<br />
Magnetisierungsarbeit (=Fläche unter der Magnetisierungskurve) bestimmt werden<br />
soll ist es nützlich, das Integral eines fiktiven SL 1.Art zu verwenden.<br />
Somit gilt formell auch für den Supraleiter 2. Art:<br />
2<br />
Bcth<br />
F<br />
NL<br />
− FSL<br />
(0) = V<br />
2µ<br />
(2.2)<br />
Bisher wurde nur der Unterschied der Helmholtzschen Freien Energie mit und ohne<br />
Feld betrachtet. Es galt:<br />
F<br />
SL<br />
( B ) − F<br />
a<br />
SL<br />
Der Ausdruck rechts vom Gleichheitszeichen beschreibt hierbei die magnetische<br />
Dipolenergie im Feld B a .<br />
Um die Freie Energie des Normalleiters zu bestimmen, verwendet man beim<br />
SL 1. Art: B a =B c =B cth bzw. beim SL 2. Art: B a =B cth . Somit gilt für beide:<br />
2<br />
Bcth<br />
F<br />
NL<br />
− FSL<br />
(0) = V<br />
2µ<br />
0<br />
Diese Angabe ist für den SL 1. Art wirklich gültig und für den SL 2. Art per<br />
Definition von B cth erfüllt.<br />
Die Freie Energie im Nullfeld hängt ab von der inneren Energie, der Temperatur und<br />
der Entropie, weshalb nun auf die Entropie des Supraleiters eingegangen wird.<br />
0<br />
(0) = V<br />
B a<br />
<strong>∫</strong><br />
0<br />
MdB<br />
/<br />
a<br />
2.1.3.2 Die Entropie des Supraleiters<br />
Ist kein Feld vorhanden, so gilt sowohl für die Freie Energie des Supraleiters als<br />
auch für die Freie Energie des Normalleiters:<br />
F=U-TS<br />
wobei U die innere Energie, T die Temperatur und S die Entropie ist.<br />
Das Differential ist dann gegeben mit:<br />
dF=dU-TdS-SdT<br />
Nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik gilt für dU:<br />
dU=δQ-dW<br />
Dabei beschreibt δQ die zugeführte Wärme und dW die vom System geleistete<br />
mechanische Arbeit.<br />
In der Regel leistet der Supraleiter keine mechanische Arbeit, weshalb dW = 0<br />
angenommen wird. Somit gilt für die innere Energie:<br />
dU=δQ
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 24<br />
Die zugeführte Wärme δQ kann man über die Entropie ausdrücken (2. Hauptsatz der<br />
Thermodynamik):<br />
δ Qreversibel<br />
dS = ⇒ δ Q = TdS ⇒ dU = TdS<br />
T<br />
Somit läßt sich die Freie Energie angeben als:<br />
dF=TdS-TdS-SdT=-SdT<br />
bzw.<br />
S<br />
= −<br />
dF<br />
dT<br />
Dies gilt im Falle des Nullfeldes sowohl für den Supraleiter als auch für den<br />
Normalleiter. Es muß nur die entsprechende Freie Energie (F NL bzw. F SL ) eingesetzt<br />
werden.<br />
Es soll dies nun auf die Entropiedifferenz zwischen NL und SL angewendet werden.<br />
Es gilt:<br />
S<br />
NL<br />
−<br />
S<br />
SL<br />
d<br />
( B = 0) = − ( FNL<br />
− FSL<br />
(0))<br />
dT<br />
F NL -F SL (0) wurde bereits in Formel 2.2 definiert. Dies eingesetzt ergibt:<br />
S<br />
NL<br />
−<br />
S<br />
0) = −<br />
2<br />
SL<br />
(<br />
cth<br />
2µ<br />
0<br />
dT<br />
Der Verlauf von B cth ist bekannt. Nun kann qualitativ daraus der Ausdruck für die<br />
Entropiedifferenz bestimmt werden. Dies ist in Figur 2.13 gezeigt. Teilbild a) zeigt<br />
den gewohnten Verlauf des thermodynamischen kritischen Feldes in Abhängigkeit<br />
von der Temperatur. Wie später gezeigt wird, mündet die Tangente an die Kurve bei<br />
2<br />
T=0 waagerecht ein. In Bild b) ist der Verlauf von B cth angegeben. Der lineare<br />
2<br />
Verlauf von B cth bei T c bedingt nun einen parabelförmigen Anstieg von B cth<br />
. Nach<br />
2<br />
einem Wendepunkt geht B cth für T → 0 wieder in Sättigung über. In Figur c) ist<br />
2<br />
schließlich die Ableitung von B cth<br />
nach der Temperatur mit umgekehrten Vorzei-chen<br />
gegeben. Für den parabelförmigen Verlauf von b) bei T c erhält man bei Ableitung<br />
einen linearen Anstieg. Die Kurve in c) durchläuft dann ein Maximum beim<br />
Wendepunkt von b).<br />
Aus dieser qualitativen Betrachtungsweise kann gefolgert werden:<br />
a) T=0: Nach dem Satz von Nernst gilt, daß die Entropie S→ 0 geht, wenn T→ 0<br />
geht. (3. Hauptsatz der Thermodynamik; Bedingung: es muß sich ein<br />
Gleichgewicht einstellen). Damit ist die Entropie des Normalleiters und die<br />
des Supraleiters Null. Es gilt also: S NL -S SL (0)=0. Die Kurve (Bild c)) muß<br />
also für T=0 in den Nullpunkt laufen. Somit ergibt sich die bereits erwähnte<br />
waagrechte Tangente sowohl in Bild b) als auch in Bild a) bei T=0.<br />
V<br />
d<br />
B
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 25<br />
Fig. 2.13: qualitative Ableitung des Verlaufes der Entropiedifferenz S NL -S SL<br />
b) 0
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 26<br />
2.1.3.3 Die Wärmekapazität eines Supraleiters:<br />
Sie ist definiert als:<br />
dQ<br />
C = = T<br />
dT<br />
dS<br />
dT<br />
Im Gegensatz zu Gasen, wo zwischen einer spezifische Wärmekapazität bei<br />
konstantem Druck c p bzw. konstantem Volumen c v unterschieden wird, wird hier<br />
aufgrund der zu vernachlässigenden Volumenänderung nur eine spezifische<br />
Wärmekapazität angegeben. (Die Wärmeausdehnung ist vernachlässigbar, weshalb<br />
keine mechanische Arbeit geleistet wird ⇒ c p =c v. )<br />
Es soll nun die Differenz der Wärmekapazität zwischen SL und NL angegeben<br />
werden. Es gilt:<br />
d<br />
CSL<br />
(0) − C<br />
NL<br />
= T ( S<br />
SL(0)<br />
− S<br />
NL<br />
)<br />
dT<br />
Dies wird wieder graphisch veranschaulicht (s. Fig. 2.14). (Beachte: Im Gegensatz zu<br />
Fig. 2.13 wurde S SL -S NL aufgetragen.)<br />
Fig. 2.14: Differenz der Wärmekapazität zwischen SL und NL graphisch abgeleitet.<br />
In Bild a) ist die Entropiedifferenz von Fig. 2.13 gegeben. Teilbild b) zeigt qualitativ<br />
die Ableitung der Kurve von a). Das Minimum in a) ist in b) als Nulldurchgang<br />
erkennbar. Bei T=0 bzw. T=T c ist in b) die Kurve maximal, da in a) an diesen<br />
Punkten die maximale Steigung vorliegt. Die Differenz der Wärmekapazität ist durch<br />
Multiplikation von b) mit der Temperaturgeraden gegeben (s. Bild c)). Da die<br />
Temperaturgerade durch den Ursprung geht, folgt aus der Multiplikation, daß bei<br />
T=0 ∆C=0 ist. Außerdem ist ∆C für T>T c Null.
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 27<br />
Die Wärmekapazität des Normalleiters ist aus der Festkörperphysik bekannt. Sie<br />
setzt sich bei Metallen aus dem elektronischen und dem phononischen Anteil<br />
zusammen. Für Temperaturen weit unterhalb der Debyetemperatur gilt:<br />
C NL =γT+A T ³<br />
wobei γT den elektronischen und AT³ den phononischen Anteil repräsentiert. Meist<br />
bezeichnet man γ auch als den Sommerfeldparameter.<br />
Zieht man von C NL den phononischen Anteil ab, so erhält man den rein<br />
elektronischen Anteil, wie er in Figur 2.15 gezeigt ist (punktiert).<br />
Fig. 2.15: Wärmekapazität eines SLs bzw. NLs<br />
Nach 2.14 ist der Verlauf von ∆C=C NL -C SL bekannt. Mit dem Verlauf der<br />
Wärmekapazität des NL kann daraus die Wärmekapazität des SL (s. Fig. 2.15)<br />
angegeben werden. Sie liegt zunächst unterhalb der des NL. Mit zunehmender<br />
Temperatur schneidet sie jedoch die Gerade. Wird die kritische Temperatur erreicht,<br />
kommt es zu einem Sprung in der Wärmekapazität des SL.<br />
Immer wenn ein Sprung in der Wärmekapazität zu verzeichnen ist, und wenn keine<br />
latente Wärme auftritt, spricht man von einem Phasenübergang 2. Ordnung. Dieser<br />
Sprung ist direkt meßbar, wie das Beispiel in Fig. 2.16 zeigt. Hier ist die spezifische<br />
Wärmekapazität von Al sowohl im NL als auch im SL Zustand gezeigt. Den NL<br />
Zustand für tiefe Temperaturen erzwingt man dabei durch ein äußeres Magnetfeld,<br />
Fig. 2.16: Verlauf der spezifischen Wärmekapazität von Al im NL und SL Zustand. Deutlich ist der<br />
Sprung in der spezifischen Wärmekapazität zu erkennen.
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 28<br />
das größer ist als das kritische Feld. Im Normalleiter hat das Magnetfeld keinen<br />
Einfluß auf die Wärmekapazität. Da die Sprungtemperatur in Aluminium sehr tief<br />
liegt (1.2 K), ist hier der phononische Anteil zur spezifischen Wärmekapazität sehr<br />
gering.<br />
Nach der BCS-Theorie gilt für den Sprung der spezifischen Wärmekapazität bei T c :<br />
wobei γT c =C NL (T c ) ist.<br />
∆C(<br />
T<br />
γ T<br />
c<br />
c<br />
)<br />
= 1,43<br />
Tabelle 2.1 zeigt zum Vergleich experimentell bestimmte Werte. Für viele Metalle<br />
ist die Übereinstimmung recht gut. Einige zeigen aber Abweichungen. Dies sind die<br />
sog. “stark koppelnden” Supraleiter.<br />
Tab. 2.1: Sprungverhältnis der Wärmekapazität für unterschiedliche Elemente.<br />
Bei Hochtemperatursupraleitern ist ebenfalls ein Sprung in der Wärmekapazität<br />
vorhanden. Aufgrund der höheren Temperaturen trägt in diesem Fall der<br />
phononische Anteil stärker bei. Das Debyesche T³-Gesetz ist nicht mehr gültig. Figur<br />
2.17 zeigt einen Verlauf der spezifischen Wärmekapazität für zwei HTS-Materialien.<br />
Man erkennt einen kleinen Sprung der spezifischen Wärmekapazität bei T c .<br />
Schätzt man den rein elektronischen Anteil ab, so gilt für das Verhältnis:<br />
∆C(<br />
T<br />
γ T<br />
c<br />
c<br />
)<br />
= 1−<br />
2<br />
Die BCS – Theorie ist also wieder in etwa erfüllt.
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 29<br />
Fig.: 2.17:<br />
Verlauf der spezifischen Wärmekapazität für einen HTS. Auch hier ist ein Sprung in der<br />
spezifischen Wärmekapazität des SL zu erkennen. Allerdings wird die Messung durch<br />
den phononischen Anteil stark beeinträchtigt.<br />
Betrachtet man den Verlauf der spezifischen Wärmekapazität von Fig. 2.16<br />
nochmals, so erkennt man, daß für T nicht zu weit unterhalb von T c die spezifische<br />
Wärmekapazität des SL höher als die des NL ist. Dies ist typisch für einen<br />
Phasenübergang 2. Ordnung. Die Kondensationswärme verteilt sich über einen<br />
ganzen Bereich. Dies bedeutet, daß ab T c innerhalb eines Temperaturintervalls eine<br />
allmähliche Kondensation der Elektronen zu Paaren stattfindet. Die Ordnung stellt<br />
sich erst allmählich ein.<br />
Anmerkung:<br />
Vergleiche dazu das Schmelzen von Eis (Phasenübergang 1. Ordnung). Hier<br />
kommt es bei einer bestimmten Temperatur zu einem Übergang von der festen in<br />
die flüssige Phase. Erst wenn die gesamte Masse flüssig ist, erhöht sich die<br />
Temperatur weiter.<br />
Für tiefere Temperaturen T→ 0 wird die spezifische Wärmekapazität des SL sehr<br />
klein. Die Elektronen sind fast alle gebunden. Man spricht davon, daß sie im<br />
Grundzustand „ausgefroren“ (=geordnet) sind. Der SL hat keine Entropie mehr und<br />
kann deshalb keine Wärme mehr aufnehmen. Hierzu sollen genaue Messungen von<br />
metallischen Supraleitern (=Tieftemperatur SL) und oxidische SL (=Hochtemperatursupraleitern)<br />
betrachtet werden.
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 30<br />
a) metallische Supraleiter:<br />
Figur 2.18 zeigt den Verlauf der spezifischen Wärmekapazität für die<br />
metallischen Supraleiter Vanadium und Zinn. Aufgetragen ist die spezifische<br />
Wärmekapazität des SL normiert auf die Wärmekapazität des NL als Funktion<br />
von T c /T. Man erkennt, daß ein exponentielles Ausfrieren der Elektronen vorliegt.<br />
Der Verlauf läßt sich durch eine logarithmische Gerade anpassen.<br />
Fig. 2.18:<br />
spezifischen Wärmekapazität im SL ohne Feld als Funktion von T c /T (Buckel)<br />
Die logarithmische Gerade läßt sich darstellen als:<br />
C ∝ e<br />
∆<br />
−<br />
k B T<br />
Bei dieser Messung war ∆≈1,5 k b T c . Die BCS Theorie liefert einen Wert von 1.73.<br />
Diese Aktivierungsenergie ∆, die wir später als Energielücke (energy gap)<br />
identifizieren, ist also in der Größenordnung der thermischen Energie bei T c .<br />
Ein solches exponentielles Ausfrieren läßt sich nur bei metallischen SL finden.<br />
b) Oxidische Supraleiter (HTS):<br />
Diese zeigen ein Potenzgesetz beim Ausfrieren:<br />
α<br />
C SL<br />
∝ T<br />
α :1- 2<br />
Je sauberer der SL, d.h. je weniger Defekte der Einkristall hat, desto mehr nähert<br />
sich α dem Wert 1 an. Dieses Verhalten weist auf eine anisotrope Energielücke<br />
hin. Sie ist richtungsabhängig im k-Raum. Diese Richtungsabhängigkeit im HTS<br />
entspricht einem d 2 2 − Orbital.<br />
x −y<br />
Aus diesem Grund spricht man bei den HTS auch von d-Wellen SL. Fig. 2.19<br />
zeigt dies schematisch.<br />
Fig. 2.19: Richtungsabhängigkeit der Energielücke im k-Raum.
2.1 Grundwissen 2.1.3. Thermodynamik des Supraleiters 31<br />
Entlang der Knotenlinien gilt, daß die Energielücke = 0 ist. Dies bedeutet, daß<br />
sich dort nicht kondensierende Elektronen aufhalten können. Aus diesem Grund<br />
erhält man eine schwächere (Potenzgesetz statt exponentielles Verhalten)<br />
Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität. Die Elektronen frieren langsamer<br />
aus.<br />
Bemerkung:<br />
Generell gilt, daß je tiefer die Temperatur ist, desto besser sind die supraleitenden<br />
Eigenschaften. Dies gilt nicht nur für ein äußeres Magnetfeld, sondern wie in<br />
Fig. 2.20 gezeigt auch für den Strom. Es wird dabei analog zum kritischen B-Feld<br />
eine sog. kritische Stromdichte j c definiert.<br />
Fig. 2.20: Abhängigkeit der kritischen Stromdichte bzw. des kritischen Magnetfeldes von der<br />
Temperatur.<br />
Die Wirkung des Stromes liegt dabei in seinem magnetischen Selbstfeld, welches<br />
den gleichen Einfluß wie ein äußeres Magnetfeld auf den Supraleiter hat.<br />
Damit erhält man ein einfaches Bild für die Elektronen im SL. Nebeneinander gibt es<br />
in allen SL zwei Sorten von Elektronen, nämlich<br />
a) kondensierte, supraleitende Elektronen ohne Widerstand und ohne Entropie, die<br />
sog. Supraflüssigkeit.<br />
b) unkondensierte, normalleitende Elektronen mit Entropie und mit Widerstand, die<br />
sog. Normalflüssigkeit. Da beide Sorten von Elektronen im Metall parallel<br />
geschaltet sind, werden die normalleitenden durch die supraleitenden Elektronen<br />
kurzgeschlossen. Nur bei hohen Frequenzen, bei denen die<br />
Beschleunigungskräfte für die supraleitenden Elektronen merklich werden, ist<br />
der Kurzschluß nicht mehr vollständig, und es läßt sich ein Widerstand messen.<br />
Dieses sog. 2-Flüssigkeits-Modell wurde ca. 1930 von Gorter und Kasimir<br />
vorgeschlagen. Es ist auch heute noch nützlich, z.B. für die Berechnung des<br />
Widerstandes von HTS für Mikrowellenfilter. Die BCS-Theorie hat auch gezeigt,<br />
daß es tatsächlich 2 Sorten von Elektronen im Supraleiter gibt, die Paare und die<br />
einzelnen Elektronen. Doch sind diese nicht so unabhängig voneinander, wie dies<br />
von Gorter und Kasimir angenommen wurde. Wir wollen uns zunächst mit der<br />
„Supraflüssigkeit“, also den Paaren, näher beschäftigen.
2.2 Supraflüssigkeit 2.2.1. Einführung 32<br />
2.2 Supraflüssigkeit<br />
2.2.1 Einführung<br />
2.2.1.1. Elektronenpaare<br />
1935 erklärte F. London, daß das Kondensat nicht mit klassischer Physik<br />
beschreibbar ist, sondern er postulierte eine quantenmechansiche Phänomenologie<br />
für die SL. Darin bezeichnete er das Kondensat als eine makroskopische<br />
Wellenfunktion mit einer Phase. Dies versteht man besser, wenn man im Vorgriff auf<br />
die BCS-Theorie die Eigenschaften von Elektronenpaaren betrachtet.<br />
Betrachten wir zunächst ein einzelnes Elektronenpaar mit Elektronen am Ort r 1 bzw.<br />
r 2 . Um einen gebundenen Zustand zu erlangen, wird eine anziehende<br />
Wechselwirkung benötigt. Diese Wechselwirkung ist nur vom Abstand zwischen den<br />
Elektronen (r 1 -r 2 ) abhängig. Zusätzlich fordern wir noch, daß die Spins<br />
antisymmetrisch sein sollen. Dies hat den Vorteil, daß wir eine symmetrische (und<br />
dadurch einfachere) Ortswellenfunktion erhalten.<br />
Die daraus resultierende 2-Teilchenwellenfunktion läßt sich angeben mit:<br />
Y(r 1 ,r 2 ) = y 1 (r 1 )y 2 (r 2 )<br />
Dies ist vergleichbar mit dem 2-Körper Problem der klassischen Mechanik.<br />
Entsprechend zu der dort eingeführten Aufteilung in eine Schwerpunktskoordinate r s<br />
und eine Relativkoordinate r r ,<br />
r r<br />
r r r<br />
1<br />
+<br />
2<br />
r r r<br />
1<br />
,<br />
2<br />
→<br />
s<br />
= ;<br />
r<br />
=<br />
1<br />
−<br />
2<br />
2<br />
kann man hier die Wellenfunktion separieren: (s. z.B. Schwabl QM: Kap. 6.4)<br />
Y(r 1 ,r 2 ) = F(r s )y(r r )<br />
wobei<br />
F(r s ) die Schwerpunkt-Wellenfunktion und<br />
y(r r ) die Relativ-Wellenfunktion ist.<br />
Als Beispiel sei hier das Wasserstoffatom angeführt:<br />
Befindet man sich am Ort des Protons (≈Schwerpunkt), so entspricht die relative<br />
Wellenfunktion y(r r ) dem Orbital des Elektrons.<br />
Die Schwerpunktsbewegung eines freien H-Atomes ist gegeben durch:<br />
r Φ s ) = e<br />
r r<br />
ik s s<br />
(<br />
iΘ<br />
( r<br />
s<br />
) = e<br />
Befindet sich das H-Atom in Ruhe, so ist k s =0. Dann bleibt nur noch:<br />
Φ<br />
Θ stellt dabei einen beliebigen Phasenwinkel dar. Daher genügt es in der<br />
Quantenmechanik nur die Relativkoordinaten zu betrachten.
2.2 Supraflüssigkeit 2.2.1. Einführung 33<br />
Der Supraleiter enthält nun viele solche Paare. Da sie jeweils den Spin 0 besitzen,<br />
müssen wir uns fragen, ob sie als Bosonen angesehen werden können. Ein typisches<br />
Bosegas ist Heluium 4. Im Kern des 4 He sind 4 Fermionen mit Spin 0 gebunden. Die<br />
Elektronen bilden eine abgeschlossene Edelgasschale, haben also ebenfalls Spin 0.<br />
Der Durchmesser des He-Atoms beträgt ca. 0,05 nm, der mittlere Abstand im<br />
flüssigen Helium bei Atmosphärendruck 0,36 nm. Die Nachbarn sind also genügend<br />
weit weg, so daß die innere Struktur des He-Atoms keine Rolle spielt und das ganze<br />
6-Teilchen-System nach außen als Boson wirkt.<br />
Anders ist es aber für die Paare im Supraleiter. Hier ergibt sich folgende<br />
Abschätzung:<br />
Da die Elektronen relativ zueinander lokalisiert sind, entspricht der<br />
Bahndurchmesser ihrer Ortsunschärfe ∆x. Nach der Unschärferelation<br />
∆x∆p ≈ h<br />
ist ∆x ≈ h /∆p. Da der Impuls mindestens gleich seiner Unschärfe ist, benötigt man<br />
zur Lokalisierung die Mindestenergie:<br />
Diese nennt man auch die Lokalisierungsenergie. Sie ist z.B. im H-Atom dafür<br />
verantwortlich, daß das Elektron nicht in den Kern stürzen und dadurch potentielle<br />
Energie gewinnen kann.<br />
Hier steht zur Lokalisierung nur die geringe Paarbindungsenergie<br />
∆ SL ≈k B T c<br />
zu Verfügung. Dies ergibt die Abschätzung:<br />
bzw.:<br />
2<br />
( ∆p)<br />
2<br />
E p<br />
= ≈<br />
kin<br />
2m<br />
2 m<br />
∆p<br />
≈ 2mk T B c<br />
∆x<br />
≈<br />
2 mk T B<br />
Setzt man z.B. eine kritische Temperatur von 10 K ein ergibt sich ein Bahnradius<br />
von ca. 40 nm. Im allgemeinen bezeichnet man den Druchmesser der Paare als<br />
Kohärenzlänge x. In realen SL gilt als Größenordnung für diesen Durchmesser<br />
- Metallische SL: 10 nm<br />
- oxidische SL: 1,5 nm<br />
h<br />
c<br />
Das in der Abschätzung erhaltenen Ergebnis ist also innerhalb der gleichen<br />
Größenordnung wie die Meßwerte für metallische SL.
2.2 Supraflüssigkeit 2.2.1. Einführung 34<br />
Die Relativ-Wellenfunktion (=Orbital) eines Paars nach der BCS-Theorie ist in Figur<br />
2.21 dargestellt.<br />
Fig. 2.21: Relativ-Wellenfunktion eines Paares<br />
In Metallen ist die Elektronenkonzentration in etwa:<br />
N 23 −3<br />
≈ 10 cm<br />
V<br />
Dies entspricht einem mittleren Abstand von 0,2 nm. Innerhalb eines<br />
Kohärenzvolumens ∼x³ (d.h. das Volumen eines Paares) ergeben sich somit<br />
10 5 Paare in metallischen SL bzw.<br />
10 3 Paare in oxidischen SL.<br />
Es liegt also eine starke gegenseitige Durchdringung der Paare vor. Die Paare wirken<br />
daher für ihre Nachbarpaare nicht als Bosonen, sondern ganz wesentlich als<br />
Fermionen, die sich auf der 0,2 nm Skala gegenseitig aus dem Wege gehen, wie im<br />
Normalleiter. Torzdem können sie auf der 10 nm-Skala Bose-ähnliches Verhalten<br />
zeigen, indem sie alle dieselbe Schwerpunkts-Wellenfunktion einnehmen. Dieser<br />
Zustand wird durch das Pauliprinzip sogar begünstigt. Nehmen wir an (s. Fig. 2.22),<br />
alle Paare bis auf eines (gestichelt) seien im selben Zustand der<br />
Schwerpunktsbewegung, hätten also dieselbe Geschwindigkeit. Dann kreuzt das<br />
einzelne Paar die Orte aller anderen, muß also in Zustände mit höherer kinetischer<br />
Energie ausweichen, um dem Pauliprinzip zu genügen („Pauli-Abstoßung“). Es ist<br />
also energetisch günstiger, wenn sich alle Paare gleich schnell bewegen, also alle<br />
dieselbe Schwerpunkts-Wellenfunktion haben. Dies ist tatsächlich der Grundzustand<br />
nach der BCS-Theorie oder die „makroskopische Wellenfunktion nach F. London“.<br />
Fig. 2.22:<br />
Schematische Darstellung der Schwerpunktsbewegung benachbarter Paare. Ein<br />
entgegengesetzt laufendes Paar müßte, um nicht den gleichen Zustand wie ein anderes<br />
Paar einzunehmen (Pauliprinzip) auf etwas höhere Energien ausweichen.
2.2 Supraflüssigkeit 2.2.1. Einführung 35<br />
Die Bewegung aller Paare ist also gleich, d.h. quantenmechansich müssen alle die<br />
gleiche Schwerpunktsbewegung haben. Dies wiederum bedeutet, daß sie alle die<br />
gleiche Wellenfunktion und den selben Phasenfaktor<br />
r<br />
r r<br />
Φ<br />
ik s s<br />
s<br />
) = e<br />
(<br />
Θ<br />
aufweisen. Selbst in Ruhe (k s =0 – d.h. kein Stromfluß) muß trotzdem die gleiche<br />
Phase vorliegen.<br />
i<br />
Φ( r ) = e<br />
s<br />
Aus diesem Grund ist es möglich von einer makroskopischen Wellenfunktion zu<br />
sprechen. Diese läßt sich als kohärenter Zustand darstellen.