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<strong>LiTheS</strong> Nr. 8 (Februar 2013)<br />
http://lithes.uni-graz.at/lithes/13_08.html<br />
Und so verlockend und scheinbar passend etwa Freuds Thesen zum Humor 32<br />
gerade in Hinblick auf den König vom Odenwald auch erscheinen mögen, da<br />
ja in dessen Gedichten das ‚Ich‘ und sein Verhältnis zur eigenen literarischen<br />
Produktion wie auch zur Welt so stark präsent sind, so problematisch ist doch ihre<br />
Anwendung – es handelt sich hier um ein völlig anderes ‚Ich‘ als dort, mit ganz<br />
anderen mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen und von anderen sozialen<br />
Kontexten geprägt. Ein Ausweg aus diesem Dilemma mag sich in der Idee des<br />
homo ludens anbieten 33 , denn das Spiel (und die Freude daran) zieht sich wie ein<br />
roter Faden durch die verschiedenen Ebenen der vorgestellten ‚Geflügelgedichte‘<br />
wie auch der übrigen Tiergedichte des Königs. Spielerisch ist das Aufzählen und<br />
collageartige Ansammeln von Allerweltwissen in den Gedichten, spielerisch sind<br />
die Selbstreferenzen und vorgeblich belehrenden Publikumsanreden des Text-<br />
Ichs, und spielerisch ist der Umgang der Texte mit zeitgenössisch etablierten<br />
literarischen Formen und Konzepten.<br />
Der König vom Odenwald beschließt sein Gänselob mit folgenden Versen: „Hie<br />
hat die rede von der gense ein ende / nieman sol mich dar u ͤ m pfende.“ 34 Der erste<br />
Teil ist noch relativ klar: „Hier endet die Rede von der Gans“. Der Schlussvers<br />
jedoch lässt, wie es so oft <strong>bei</strong>m König der Fall ist, einen Interpretationsspielraum<br />
offen. Er könnte auf Neuhochdeutsch entweder lauten: „niemand soll mich<br />
deshalb pfänden“, oder aber: „niemand wird / darf sie mir wegnehmen“. Dieser<br />
Schluss ist insofern bezeichnend, als er in seiner Zweideutigkeit meines Erachtens<br />
zwei wichtige, zeitenüberspannende Merkmale komischer Äußerungen berührt.<br />
Zum einen spielt er auf die komische Redelizenz an, die innerhalb der jeweiligen<br />
Lachgemeinschaft entsprechend der stillschweigenden Übereinkunft über die<br />
Harmlosigkeit des Gesagten den Verfasser von Komischem temporär unter<br />
Schutz stellt. Niemand soll bzw. darf den König um seines Gedichtes willen<br />
„pfänden“, i. e. bestrafen (wo<strong>bei</strong> diese Apprehension angesichts der totalen<br />
Absenz irgendwelcher gewichtiger, straf- oder zensurwürdiger Aussagen im<br />
Gedicht für sich genommen schon wieder komisch ist). Zum anderen transportiert<br />
der letzte Vers eine Haltung, die bereits im Generieren von Komik selbst einen<br />
74<br />
32 „Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch<br />
etwas Großartiges und Erhebendes, welche Züge an den <strong>bei</strong>den anderen Arten des Lustgewinns<br />
aus intellektueller Tätigkeit nicht gefunden werden. Das Großartige liegt offenbar<br />
im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs.<br />
Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum<br />
Leiden nötigen zu lassen, es beharrt da<strong>bei</strong>, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht<br />
nahegehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind.“ Sigmund<br />
Freud: Der Humor (1927). In: Freud-Studienausgabe. Bd. 4. Psychologische Schriften.<br />
Herausgegeben von Alexander Mitscherlich [u. a.]. Frankfurt am Main: Fischer 1970,<br />
S. 275–282, hier S. 278.<br />
33 Vgl. Müller-Kampel, Komik und das Komische, S. 17; Fromm, Komik und Humor in der<br />
Dichtung des deutschen Mittelalters, S. 323 („Der homo comicus [...] handelt als homo<br />
ludens – und zwar unter allen Aspekten, die das Spiel bietet.“).<br />
34 KvO, Gänselob, V. 117–118.