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Die Waffen nieder! - bei LiTheS

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<strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

Von Bertha von Suttner und Hans Engler


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

http://lithes.uni-graz.at/texte.html<br />

DIE WAFFEN NIEDER! *<br />

[U1]<br />

Position: Heinrich Apel<br />

Regie: Mai 1922<br />

[U2]<br />

[Bl 1 r ]<br />

Friedens–Nobelpreis<br />

DIE WAFFEN NIEDER!<br />

Schauspiel in 4 Akten<br />

von Berta von Suttner und Hans Engler<br />

[Zeichnung: Taube mit Brief]<br />

Eigentum von Heinrich Apel, Dresden 1922<br />

[Stempel: Aus der Puppenspielsammlung Wilhelm Löwenhaupt]<br />

[Bl 1 v ]<br />

[Bl 2 r ]<br />

[Bl 81r/U3 sic!]<br />

[PERSONEN.]<br />

[Oberst von Althaus.]<br />

[Martha, seine Tochter.]<br />

[Hans, sein Sohn /18 Jahre alt/.]<br />

[Graf Arno Dotzky.]<br />

[Adelgunde v. Althaus, seine Schwester.]<br />

[Frau von Alsmann.]<br />

* <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>! Schauspiel in 4 Akten von Bertha von Suttner und Hans Engler [d. i. Robert<br />

Overweg]. Handschrift. Format: 17,3 x 21 cm; hart gebunden. Theaterwissenschaftliche Sammlung<br />

der Universität zu Köln / Schloss Wahn, Sign. 1067.<br />

Transliteration: Eveline Thalmann, Lektorat: Eveline Thalmann und Beatrix Müller-Kampel.<br />

Orthographie und Interpunktion wurden im Haupttext <strong>bei</strong>behalten, im Nebentext<br />

(Regieanweisungen) der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit halber vereinheitlicht und<br />

vervollständigt. Vom Schreiber nachträglich eingefügte Zeichen, Wörter und Satzteile sind zwischen<br />

»{ }« gesetzt. Durchgestrichener Text wurde gekennzeichnet.


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

http://lithes.uni-graz.at/texte.html<br />

[Rudolf, ihr Sohn.]<br />

[Der Sanitätsrat.]<br />

[Feldwebel Schröder.]<br />

[Giordano, Bursche <strong>bei</strong> Dotzky.]<br />

[Sophie, <strong>Die</strong>nstmädchen daselbst.]<br />

[Kasper Wilhelm, <strong>Die</strong>ner <strong>bei</strong> Althaus.]<br />

[Zwei Soldaten.]<br />

Ort der Handlung: Wien. Zeit 1859.<br />

1. AKT<br />

Grünes Zimmer. Sofa, Stühle, Tische. – Ehe sich der Vorhang hebt, hört man Arnos Gesang.<br />

ARNO singt.<br />

Noch ist die blühende goldene Zeit,<br />

O Du schöne Welt, wie bist Du so weit;<br />

Und so weit ist das Herz,<br />

Und so froh wie der Tag,<br />

wie die Welt durchjubelt vom Lerchenschlag.<br />

Ihr Fröhlichen singt, weil das Leben noch mait:<br />

Noch ist die blühende goldene Zeit,<br />

Noch sind die Tage der Rosen – der Rosen. –<br />

MARTHA. Der Ro – o – osen! – Arno, wie glücklich sind wir, wie glücklich! Und wenn jetzt<br />

der Frühling kommt<br />

[Bl 2 v ]<br />

der erste Frühling, den wir <strong>bei</strong>de Seite an Seite durchkosten dürfen –<br />

ARNO. Dann wollen wir diesen Frühling genießen nach Herzenslust, und ein „Zeugel“ wollen<br />

wir uns anschaffen – mit vier ungarischen Juckern; und wenn wir dann wie ein Königspaar<br />

durch den Prater fahren, dann soll ganz Wien sagen: Das ist das schönste, glückliche<br />

Paar. Umarmen sich.<br />

HANS kommt von rechts.<br />

Fahrt nur ruhig fort, Kinder! Ihr seid ja noch in den Flitterwochen; erst seit fünf Wochen<br />

verheiratet, da kann ich das alles verstehen. – Aber sage mal lieber Schwager, hast Du<br />

nich’n Tropfen für’s Jemüt?<br />

ARNO.<br />

[Bl 3 r ]<br />

Sollst Du haben, mein Junge! Um so besser wirst Du heut nachmittag dann marschieren!<br />

- -<br />

MARTHA. Und Du bist dann dienstfrei?<br />

ARNO. Völlig dienstfrei bis morgen früh! – –


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

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MARTHA. Dann bleiben wir heute zuhause, nicht wahr Schatz? Dann musizieren wir<br />

zusammen, oder malen uns die Zukunft im rosigsten Licht aus! – Luftschlösser wollen wir<br />

bauen – so schön und herrlich. – –<br />

ARNO lacht. Das wollen wir lieber nicht tun, mein Kind. – Luftschlösser verschwinden<br />

ebenso schnell wieder, wie sie gekommen sind, und nichts ist dann schmerzlicher,<br />

[Bl 3 v ]<br />

wie die Enttäuschung. Laß die Zukunft Zukunft sein und genieße die Gegenwart, das ist<br />

gescheiter.<br />

GIORDANO kommt von rechts.<br />

Signor befehlen? –<br />

ARNO. Himmelkreuzschockschwerenot, schon wieder das verfluchte Italienisch!<br />

GIORDANO. Herr Graf befehlen?<br />

ARNO lacht. Gott sei dank. Endlich scheinst Du zu begreifen!<br />

HANS. Bist Du ein Unikum! Wo stand die Wiege Deiner Väter?<br />

MARTHA. Wo Du geboren bist, meint er!<br />

[Bl 4 r ]<br />

GIORDANO. In Italia. –<br />

HANS. Italien ist aber sehr groß, mein Sohn. –<br />

GIORDANO. In Lavento <strong>bei</strong> Solferino<br />

HANS. Da ist es wohl schöner wie hier zulande?<br />

GIORDANO. In Italia andre Sonne und andrer Himmel, und – und andre Menschen.<br />

ARNO. Das mag ja alles sein, – aber nun bist Du Österreicher, mein Freund; wenn es Dir<br />

drüben besser gefiel, so hätte Dein Vater nicht hier herüber siedeln, und sich nicht<br />

[Bl 4 v ]<br />

naturalisieren lassen dürfen. Nun bist Du österreichischer Soldat und mein Bursche, das<br />

merke Dir, und gib Dir nun endlich Mühe, unsere Landessprache so zu beherrschen, wie<br />

es sich gehört. – So, und nun marsch. Giordano ab, rechts. Das auch ich gerade auf einen solchen<br />

Burschen hereinfalle mußte! – War verteufeltes Pech!<br />

MARTHA. Sag das nicht; er ist beschränkt, aber doch gutmütig und willig – und daß er seine<br />

Heimat nicht vergessen kann –<br />

ARNO. Papperlapapp! Entweder Italiener oder Österreicher, ein Mittelding gibts nicht! Der<br />

Kerl kann froh sein, daß er nicht unter preußischer Zucht steht, da würde<br />

[Bl 5 r ]<br />

man nicht so viel Geduld mit ihm haben! –<br />

HANS. Mir persönlich gefällt auch die österreichische Zucht nicht, lieber Schwager; und<br />

wenn meine Zeit erst um ist, will ich Gott danken. <strong>Die</strong>ses ewige Einerlei, tagein, tagaus –<br />

dieses immerwährende Schikanieren – das gefällt mir nicht. Weißt Du, ich gönne einem<br />

jeden das bißchen Leben, das es hat, aber Einem möcht ich es lieber heute ausblasen, als<br />

morgen, – und das ist der Feldwebel Schröder. Wenn dieser Halunke heute gerädert,<br />

gehenkt und geviertelt würde, ich glaube, ich würde lachen! – –<br />

ARNO streng. Ich will Dir mal etwas sagen, mein Junge, als Bruder meiner Frau habe ich Dich<br />

stets gern gehabt,


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

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[Bl 5 v ]<br />

ich habe Dir auch Deine Großmäuligkeit nie übelgenommen, denn im Grunde genommen<br />

bist Du ja doch noch nichts weiter als ein dummer Junge; wenn Du aber mal über einen<br />

Vorgesetzten so sprichst, wie Du es aber tatest, dann ist es vor<strong>bei</strong>, dann sind wir Freunde<br />

gewesen!<br />

MARTHA. Er hat recht, Hans; wenn man bedenkt, daß Du der Sohn eines Offiziers bist, daß<br />

alle Deine Vorgesetzten Vorfahren Offiziere waren, und daß das soldatische Blut Dir<br />

gleichsam eingeimpft ist.<br />

HANS. Kann ich mich anders machen, als wie ich bin? Ich bin eben aus der Art geschlagen;<br />

aber meine Schuld ist das nicht. Wenn ich als Soldat auch nichts Rühm–<br />

[Bl 6 r ]<br />

liches leiste, später tu ich mich um so mehr hervor!<br />

ARNO. Wenn Du so fortfährst, wird aus Dir nie was Gescheites! –<br />

HANS. Oho! Du glaubst weil ich nur knappermente mein Einjährigen-Zeugnis verrichte? Das<br />

lag an meinem Lehrer, – an mir lag das nicht. – Wenn ich zum größten Aerger von meinem<br />

Vater auch kein Offizier werde – die ganze Welt steht mir offen – Ich kann Bankdirektor<br />

werden, – kann ein großes Geschäft übernehmen. –<br />

ARNO. Abwarten, mein Junge. Jedenfalls würde sich niemand mehr freuen, wenn doch noch<br />

etwas tüchtiges aus Dir würde, als Deine Schwester und ich.<br />

[Bl 6 v ]<br />

Aber noch bist Du ja Soldat, und da tu in jedem Punkt Deine Pflicht; vergiß nie, was Du<br />

dem Rock, den Du trägst, schuldig bist. Herrgott, raff Dich doch mal auf, Junge! Du bist<br />

doch ein Althaus! Mach doch Deinem Vater endlich mal Freude, – Du machst ihn ja<br />

immer noch kränker durch Deine Streiche!<br />

HANS. Kann ich jemanden kränker machen, für den ich tot bin? Nein, Arno, seitdem ich von<br />

meinem Vater fort bin und anderswo wohne, existiere ich nicht mehr für ihn!<br />

MARTHA. Umsomehr mußt Du jetzt sehen, ihn durch doppelte Pflichterfüllung wieder zu<br />

versöhnen.<br />

HANS.<br />

[Bl 7 r ]<br />

Ich weiß nur eines, das ihn wieder versöhnen würde – – wenn jetzt ein Krieg käme. –<br />

MARTHA. Ein Krieg? – –<br />

HANS. Wenn ich da fidel mitzög und dann eine Ruhmestat nach der andern vollführte. –<br />

MARTHA. Dann wirst Du ihn wohl auf eine andere Weise versöhnen müssen; an einen Krieg<br />

denkt niemand, – niemand bedroht uns, – alles ist ruhig im Lande. –<br />

ARNO. Na, na, das weist Du so sicher? Mit Sardinien liegen wir uns schon seit langer Zeit in<br />

den Haaren. –<br />

MARTHA.<br />

[Bl 7 v ]<br />

So, so? Wäre es wirklich nicht ausgeschlossen, daß ein Krieg käme? – und nie sprachst Du<br />

davon! –<br />

ARNO. Auf unserer Hochzeitsreise hatte ich selbst keine Lust den politischen Horizont zu<br />

betrachten und seit drei Tagen sind wir erst wieder zurück. –<br />

MARTHA. Tante Adelgunde sagte, sicher gäbs Krieg. – {Kasper [unleserlich]}


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ARNO lacht. <strong>Die</strong> muß es ja wissen. Ich selbst weiß nichts weiter, als daß Österreich von Sardinien<br />

verlangt hat, es solle entwaffnen. Von der Antwort hängt freilich viel ab; aber wozu<br />

schon jetzt die Köpfe zerbrechen.<br />

ALTHAUS kommt von rechts.<br />

MARTHA entgegen.<br />

[Bl 8 r ]<br />

Pappachen, ist das eine Überraschung!<br />

ALTHAUS. Tag Kind, – alles noch wohl und munter? –<br />

ARNO. Wenn es uns noch besser ging, hielten wir’s gar nicht mehr aus, Schwiegerpappachen.<br />

–<br />

ALTHAUS zu Hans. Du hast vorgestern abend in Zivil in Café Orient gesessen und hast Dich<br />

mit – e, mit einigen Liedrijahnen, total betrunken!?<br />

HANS. Das waren keine Liedrijane! –<br />

ALTHAUS. Du hast also wieder eine Kneipe besucht, die Dir verboten war, – dazu noch in<br />

Zivil, – dann sollst Du gestern<br />

[Bl 8 v ]<br />

Abend über Zapfenstreich ausgeblieben sein? –<br />

HANS. Das ist eine infame Lüge!<br />

ALTHAUS. Bengel! –<br />

MARTHA. Rege Dich nicht auf, Papa, Du darfst Dich nicht aufregen mit Deinem Herz. –<br />

HANS. Soll ich mir etwa noch sagen lassen, was nicht der Fall ist!? –<br />

ALTHAUS. Spar Dir alles weitere, – wir <strong>bei</strong>de sind fertig miteinander – für immer! – Wenn es<br />

nach mir ginge, so würde ich mich schon heute gänzlich von Dir lossagen, aber so lange<br />

Du des Kaisers Rock trägst,<br />

[Bl 9 r ]<br />

muß ich noch für Dich sorgen, dazu bin ich verpflichtet, – dann ist aber Schluß, Junge,<br />

dann bist Du für mich gewesen!<br />

MARTHA. Er wird in sich gehen und sich bessern, Papa.<br />

ALTHAUS verbittert. Nein, nein, solchen Illusionen geb ich mich nicht mehr hin. – Aber daß<br />

ich es nicht vergesse – Frau von Altsmann läßt Dich grüßen.<br />

MARTHA. Du hast sie getroffen?<br />

ALTHAUS. Vor einer Stunde; jetzt ist sie drüben <strong>bei</strong> Sendens, dann kommt sie her.<br />

ARNO.<br />

[Bl 9 v ]<br />

Schade, daß ich gleich fort muß. – Ist sie denn wieder gesund? –<br />

ALTHAUS. Na ich weiß nicht, sie selbst freilich sagt: sie wäre wieder frisch wie ein Wiesel; –<br />

aber das ist nur äußerlich. Ich glaube, wenn sie noch mal ein’n Knacks kriegt, geht es zu<br />

Ende, – akurat wie <strong>bei</strong> mir.<br />

MARTHA schmerzlich. Pappa!<br />

ALTHAUS. Ist das so schrecklich? An die Wahrheit muß man sich langsam gewöhnen; es<br />

wird immer toller mit meinem Herzklaps, vielleicht mach ich noch’ne Zeit lang so hin.<br />

HANS bittend. Bin ich schuld, daß es immer schlimmer wurde


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[Bl 10 r ]<br />

mit Deinem Leiden? Verzeihe mir, ich war leichtsinnig; aber es soll nie wieder was vorkommen.<br />

ALTHAUS. Das hast Du schon oft gesagt, – aber nie hast Du’s gehalten; nun hoffe ich nicht<br />

noch einmal, um nicht noch einmal enttäuscht zu werden. – Nun sind wir fertig miteinander,<br />

aber Junge, ein bittrer Nachgeschmack bleibt doch auf meiner Zunge haften, und<br />

wenn ich einmal die Augen zutue, dann tue ich es mit dem Bewußtsein, daß Du der Erste<br />

sein wirst, der den Namen Althaus in den Schutz zieht; einmal kommt der große Skandal,<br />

ob ich noch lebe, oder ob ich schon tot bin, einmal kommt er sicher.<br />

HANS.<br />

[Bl 10 v ]<br />

Wenn Du eine solche Meinung von mir hast, dann kann ich ja gehen.<br />

MARTHA. Bitte Pappa um Verzeihung.<br />

HANS frech. Das tut ich schon einmal, wie Du gehört haben könntest! Soll ich jetzt auf den<br />

Knien rutschen? Wer nicht will, der hat, – ich gehe! – Ab rechts.<br />

ARNO ihm nach. Junge!<br />

ALTHAUS. Laß ihn laufen! Jedes Wort in dieser Sache ist zwecklos.– Aber nun gehe einmal<br />

hinaus, Kind, ich möchte mit Deinem Manne ein paar Worte unter vier Augen sprechen.<br />

ARNO.<br />

[Bl 11 r ]<br />

Aber wir haben doch keine Geheimnisse, Schwiegerpappachen!<br />

ALTHAUS. Tut nichts zu Martha erfahren wirst Du die Freudenbotschaft auch schon, aber<br />

erst dann, wenn’s wirklich an der Zeit ist.<br />

MARTHA. Wie Du denkst Vater, aber nicht wahr, wenn Hans ein anderer wird, wirst Du<br />

wieder versöhnlich.<br />

ALTHAUS. Wenn er wirklich ein anderer wird – ja, dann reden wir darüber, jetzt hat’s keinen<br />

Zweck. Martha; ab links. Junge, Dein sehnlichster Wunsch geht nun in Erfüllung.<br />

ARNO. Mein sehnlichster Wunsch?<br />

[Bl 11 v ]<br />

ALTHAUS. Nun wirst Du zeigen können, daß Du ein Mann und ein Soldat bist.<br />

ARNO. So gibts wirklich Krieg?<br />

ALTHAUS. Sicher ist es noch nicht; aber der Krieg kann in dieser Minute schon erklärt sein.<br />

ARNO. Ja, wie ist denn das möglich? – So schnell?<br />

ALTHAUS. Sardinien entwaffnet nicht, das Ultimatum ist abgelehnt. Freilich, sicher ist es<br />

noch nicht, wie ich schon sagte, aber in jeder Minute muß die offizielle Entscheidung eintreffen.<br />

[Bl 12 r ]<br />

ARNO. Wer sagt denn das? Woher hast Du die Nachricht?<br />

ALTHAUS. Vom Minister! O, ich habe schon meine Beziehungen, und sagt ich nicht immer,<br />

ein Ultimatum hat noch nie einen Krieg abgewendet, noch nie?<br />

ARNO. Wenn es wirklich wahr wär, Papa, wenn wirklich mal so’n Donnerwetter in dem<br />

gewohnten Trott hineinführ, – ich glaube, ich würde verrückt vor Freude. Was nützen all<br />

die guten Lehren von der Liebe zu Kaiser und Vaterland, wenn man sie nicht betätigen<br />

kann? Ja, ja, ich muß meine Feuertaufe erhalten, es muß zum Krieg kommen; das italienische<br />

Jammerpack hat


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[Bl 12 v ]<br />

noch nicht genug von der ersten Lektion, es will noch eine zweite haben.<br />

ALTHAUS. Und es wird sie kriegen, mein Junge! Wir wollen diesem Gesindel zeigen, was wir<br />

sind; groß und herrlich, wie nie zuvor soll Österreich nach dieser Kampagne dastehen.<br />

Sollst mal sehen wie schön sich unser Königreich durch das Gebiet vergrößern läßt, – wie<br />

Österreich jubeln wird, wenn wir in Turin einziehen, – ha! – setzt sich.<br />

ARNO erschrocken. Mein Gott, was hast Du?<br />

ALTHAUS. Ich habe geträumt, mein Junge, weiter nichts; ich sah mich schon an der Spitze<br />

meines alten Regi–<br />

[Bl 13 r ]<br />

ments in Turin einziehen, – und ich bin doch tot für euch, tot für das Vaterland. Gott,<br />

könnte ich doch mitziehen, könnte ich doch auch an den kommenden Gefahren und an<br />

dem neu erblühenden Ruhm teilhaben. Hätten sie mich damals zum Krüppel geschossen,<br />

hätten sie mir die Beine oder die Arme fortgeschossen, ich würde mich trösten und in das<br />

Unvermeidliche fügen. – Aber so, äußerlich frisch und rüstig, daß ich eine ganze Armee<br />

anführen könnte – und hier drinnen diese zehrende, schleichende Krankheit an meinem<br />

Herzen!<br />

ARNO. Du hast mehr für’s Vaterland getan, wie mancher anderer. Gab Dir Majestät nicht die<br />

Hand mit<br />

[Bl 13 v ]<br />

den Worten, Sie sind einer meiner besten Offiziere, Oberst von Althaus! –<br />

ALTHAUS. Fürs Gewesene gibt der Jude nichts. Aber na, ich muß mich schon trösten. Während<br />

ihr nun draußen seid, werde ich still daheim sitzen und eure Operationen auf der<br />

Karte verfolgen; aber, wenn ihr dann wiederkehrt, werde ich der Erste sein, der vor der vor<br />

den Toren Wiens auf euch wartet. Gott, wenn Du wüßtest wie es mich zu Dir zog, als ich<br />

hörte, daß es nun losging; wie ich – entgegen dem Befehl meines Arztes – Sturmschritt<br />

hier her lief, immer die Hand auf dem Herzen.<br />

ARNO. Mein gutes Papachen.<br />

[Bl 14 r ]<br />

ALTHAUS. Zuerst wollt ich hier gleich mit der Thür ins Haus fallen, aber als ich – als ich den<br />

Bengel dann stehen sah – –<br />

ARNO. Der wird auch noch anders, den wird der Krieg stählen und erziehen; aber noch ist er<br />

ja nicht erklärt, vielleicht hab ich mich ganz umsonst schon gefreut.<br />

ALTHAUS steht auf. Wird alles noch werden, mein Junge. – Ich gehe jetzt wieder ins Ministerium<br />

und mache dort spitze Ohren; mir entgeht nichts, Jungchen, und wenn dann horcht.<br />

Blasen sie nicht Alarm? Horchen <strong>bei</strong>de. Nein, war’ne Täuschung, und doch ist mirs, als ob<br />

jede Stunde der Jubel losbräch, wie ’ne dumpfe Schwüle liegts jetzt über allen, – aber wer<br />

weiß, – vielleicht<br />

[Bl 14 v ]<br />

liegt die offizielle Entscheidung schon vor, während ich hier müßig stehe und schwatze.<br />

Lebt jetzt wohl und sieh zu, wie Du Deine Frau von der Sache verständigst; ohne Tränen<br />

wird’s wohl nicht abgehen.<br />

ARNO lacht. Tränen wird es nicht geben. Glaubst Du, Deine Tochter hätte einen Husarenoffizier<br />

in dem Glauben gefreit, sein Handwerk wäre die Tulpenzucht? –<br />

ALTHAUS. Hast recht mein Junge, hoffen wir das beste. Ab, rechts.


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MARTHA kommt von links.<br />

ARNO. Giordano, Giordano!<br />

MARTHA. Papa ist schon fort?<br />

ARNO.<br />

Ja, mein Herz, er kommt aber wieder.<br />

[Bl 15 r ]<br />

GIORDANO kommt von rechts.<br />

Signor befehl’n?<br />

ARNO. Ich gebe die Hoffnung auf, meinetwegen nenn mich Signor bis an Dein Lebensende.<br />

– Also höre, Du wirst das Haus jetzt nicht eher wieder verlassen, als bis {ich} es Dir gesagt<br />

habe, verstanden? Keinen Schritt gehst Du vor die Tür. –<br />

GIORDANO ab rechts.<br />

Su Befehl, Signor! –<br />

MARTHA. Was soll er denn, Arno?<br />

ARNO. Wirst Du schon alles erfahren, mein Schatz!<br />

[Bl 15 v ]<br />

MARTHA. Und was wollte Papa?<br />

ARNO. Wirst Du auch schon erfahren. Aber nun muß ich gehen, – Du bleibst jetzt zu<br />

Hause?<br />

MARTHA. Frau von Alsmann wollte ja kommen.<br />

ARNO. Na ja, dann ist’s gut, – dann bis nachher Schatz, – und mag uns die Zukunft bringen,<br />

was sie will, wir <strong>bei</strong>de bleiben stets zusammen. Ob ich auch räumlich mal von Dir getrennt<br />

bin – stets werde ich im Geist <strong>bei</strong> Dir sein, wie Du <strong>bei</strong> mir; wie unsichtbare Fäden werden<br />

die Gedanken sich von Einem zu dem Anderen hinziehen. –<br />

[Bl 16 r ]<br />

MARTHA. Du sprichst von Trennung? Wo wir uns kaum besessen haben? Wir wollen stets<br />

zusammen bleiben – ich könnte ja nicht leben und sterben ohne Dich.<br />

ARNO. Genieße die Stunde in der Du lebst, und denk nicht an die Zukunft, das ist das beste!<br />

– Und nun leb wohl, Schatz, in einer halben Stunde komme ich wieder. Ab, links.<br />

MARTHA allein. Was wäre mir die Welt, was wäre mir das Leben ohne Dich. –<br />

GIORDANO kommt von rechts.<br />

Signor –<br />

MARTHA. Der Herr Graf ist fort. –<br />

[Bl 16 v ]<br />

GIORDANO. Soll zu Hause bleiben, hat Signor befohlen, und – und soll bis Mittag auch<br />

Hafer holen für Pferde. –<br />

MARTHA. Eilt denn das so?<br />

GIORDANO. Wenn Hafer bis Mittag nicht im Stall ist – will – Signor –<br />

MARTHA. Nun? Was will er denn?<br />

GIORDANO. Mir – mir den Kopf abreisen! –


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MARTHA lacht. Hahaha, so schlimm wird es nicht sein; – freilich in einer unangenehmen<br />

Lage bist Du, – Du sollst unbedingt zu Hause bleiben, – und doch gleichzeitig<br />

[Bl 17 r ]<br />

Hafer holen? – Wie finden wir uns nun aus dieser Lage? – Ach was, Du besorgst einfach<br />

Deine Hafergeschichte und kommst gleich wieder; meinen Mann werde ich schon wieder<br />

versöhnen, der wird Dir –<br />

HANS kommt von rechts.<br />

Martha! Martha! es gibt Krieg! Der Krieg mit Sardinien ist erklärt! –<br />

MARTHA. Ist erklärt?<br />

HANS. Von einem „Ja“ oder „Nein“ auf das Ultimatum hing alles ab; nun ist das „Nein“<br />

gefallen – und wir marschieren. –<br />

MARTHA. Auch Arno?! –<br />

HANS. Natürlich. Zu Girodano. Aber was stehst Du denn<br />

[Bl 17 v ]<br />

da und stierst mich so an? Bist Du bange? Ein tüchtiger Soldat darf sich vor einem Krieg<br />

nicht fürchten – hier, sieh mich an! –<br />

GIORDANO kniet. Will hier dienen, Signor bis tot bin, will alles tun, wie – wie Hund, nur<br />

nicht in Krieg ziehen gegen Landsmann, – nicht in Krieg gegen eigene Vaterland!<br />

MARTHA. Es, es ist ja noch gar nicht bestimmt, daß es zum Krieg kommt.<br />

HANS. Nicht bestimmt? Überall kleben schon Extrablätter, – und dieser Jubel auf allen Straßen.<br />

–<br />

MARTHA.<br />

[Bl 18 r ]<br />

Jubel? und dann sagst Du wieder, ’s gäb Krieg?<br />

HANS. Hier in der gottverlassenen Gegend bleibt es ja immer still; aber in der Stadt drinn<br />

herrscht lauter Jubel!<br />

GIRODANO. Lieber mich selbst totmachen, als Bruder – und – Landsmann, lieber mich<br />

selbst, lieber mich selbst. Ab.<br />

HANS. Daß der arme Kerl nun gegen sein eigenes Vaterland in den Krieg muß, daran dacht<br />

ich nicht mehr, aber kein Engel wird es verhindern können – er ist österreichischer Soldat<br />

– und muß mitziehen! –<br />

MARTHA. Nein, nein, Du – Du weißt nicht was Du sprichst,<br />

[Bl 18 v ]<br />

Hans – wenn wirklich Krieg wär, würde es Arno gesagt haben. –<br />

HANS. Der konnts noch nicht wissen. – Aber weißt du, ich freue mich auf den Krieg, der<br />

bringt Abwechslung in dies Jammerleben. Was werde ich Dir alles erzählen können, – mir<br />

passiert nichts, ich werde mich schon wieder immer zu decken wissen. Aber nun muß ich<br />

laufen. – Leb wohl! – so bald kann ich nicht wiederkommen!– Ab, rechts.<br />

MARTHA allein. Es gibt wirklich Krieg, – und den soll ein einziges Wort heraufbeschworen<br />

haben? Ein „Ja“ oder „Nein“ hätte entschieden! Ob Tausende bluten und sterben sollen,<br />

sterben in diesem sonnigen, seligen Früh–<br />

[Bl 19 r ]<br />

lingstagen? <strong>Die</strong>ses Ja oder Nein sollte tausend junge, hoffnungsfrohe Menschen dahinschlachten,<br />

sollte tausende Kinder zu Waisen, tausende Frauen zu Witwen machen? Und


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da sollte das Friedenswort nicht gefallen sein? – O mein Gott, das – das ist ja ganz<br />

undenkbar, – das kann doch nicht sein!<br />

SOPHIE kommt v. rechts.<br />

Frau von Alsmann. –<br />

MARTHA. Frau – – Ja – ja, ich – ich lasse bitten! – Sophie ab.<br />

FR. V. ALSMANN kommt.<br />

Mein liebes Kind, ich wollte nach Ihrer Rückkehr doch eine der Ersten sein, die Ihnen<br />

noch mal von ganzem Herzen Glück wünscht! –<br />

MARTHA.<br />

[Bl 19 v ]<br />

Glück? – Es soll ja doch Krieg geben. – Mein Bruder sagt, er wäre schon erklärt! –<br />

FR. V. ALSMANN. Krieg? Der Krieg ist durch Gottes wundersame Fügung abgewendet worden.<br />

Vor wenigen Stunden sprach mein Sohn erst darüber: ängstige Dich nicht, Mutter, die<br />

Gefahr ist vorüber.<br />

MARTHA. Aber es kleben doch Extrablätter an allen Ecken. Mein Bruder sagte, drinn in der<br />

Stadt herrschte jetzt lauter Jubel! –<br />

FR. V. ALSMANN. Als ich vor einer Stunde in der Stadt war, und Ihren Herrn Vater traf,<br />

waren die Straßenbilder ruhig und unverändert wie immer; dann war<br />

[Bl 20 r ]<br />

ich drüben <strong>bei</strong> Sendens, – auch da sprach niemand von einem Krieg.<br />

Martha. Ja, ja, es wäre ja auch ganz undenkbar, – wenn wirklich Krieg wäre, würde die arme<br />

Frühlingssonne da draußen doch gar nicht so scheinen können; dann würde der junge<br />

Frühling doch gar nicht so blühen und lachen können. – – Aber mein Mann – mein Mann<br />

sprach vorhin von Trennung,– jetzt, jetzt glaub ich ihn zu verstehen, wenn er auch räumlich<br />

von mir getrennt wär.<br />

RUDOLF kommt v. rechts<br />

Da bist Du ja, Mutter; verzeihen Sie nur, daß ich hier eindringe, gnädige Gräfin, aber das<br />

Mädchen sagte, meine Mutter wäre oben. –<br />

[Bl 20 v ]<br />

FR. V. ALSMANN. Unsere Freundin fürchtet, daß es Krieg gäb’, mein Jungchen, – sag ihr nun<br />

selbst –<br />

RUDOLF. <strong>Die</strong>, – die Sache hat sich geändert, Mama – der Krieg ist vor einer halben Stunde<br />

erklärt worden.<br />

MARTHA. So ist’s wahr, es gibt wirklich Krieg? –<br />

FR. V. ALSMANN. Und Du, Du hast noch vor einer Stunde gesagt, die Gefahr wäre vorüber?<br />

–<br />

RUDOLF. Ich wollte Dich nicht beunruhigen, bevor es Gewißheit war, und ich wußte ja, wie<br />

Du um mich gebangt hättest.<br />

MARTHA.


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

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[Bl 21 r ]<br />

Da – da soll ich also wirklich mein ein und alles verlieren, nachdem ich es kaum besessen<br />

habe! – Arno geht fort von mir. –<br />

RUDOLF. In den ersten Tagen rückt sein Regiment noch nicht aus, Gnädige Gräfin!<br />

FR. V. ALSMANN. Und du? Wann mußt Du fort?<br />

RUDOLF. Wann weiß ich noch nicht. Aber jedenfalls wird mein Regiment als eins der ersten<br />

die Grenze passieren.<br />

MARTHA. Und Arno bleibt hier? Er – er rückt noch nicht aus?<br />

FR. V. ALSMANN zu Rudolf. Ich habe Deinen Vater im Krieg verloren, – nun will<br />

[Bl 21 v ]<br />

ich Tag und Nacht für die – die Hinausziehenden beten. Aber solltest Du auch unter den<br />

Vielen sein, die nicht wiederkehren?! –<br />

RUDOLF. Vielleicht kehr ich schneller wieder, als daß Du denkst? Vielleicht ist schon wieder<br />

Friede, bevor ich nur den Feind gesehen habe.<br />

FR. V. ALSMANN. Ich würde es nicht überleben, Du bist das Einzige, das ich noch habe auf<br />

dieser Welt. Kehrst Du nicht wieder, so werde ich Dir dahin nachfolgen, wo uns niemand<br />

mehr trennen kann, – in andere Welten, und auf andere Sterne, wo Du auch hinziehst,<br />

folge ich Dir nach!<br />

RUDOLF. Ich kehre wieder, Mutter, frisch und gesund, – als<br />

[Bl 22 r ]<br />

Leutnant zieh ich hinaus, und als Rittmeister kehr ich wieder, dann freust Du Dich doppelt.<br />

Leben Sie wohl, gnädigste Gräfin, und auf frohes baldiges Wiedersehn. Rud. u. Fr. v.<br />

Alsmann ab.<br />

MARTHA. Das Schrecklichste ist Gewißheit geworden, die frühlingsjunge Erde soll nun<br />

durch das Blut Tausender getränkt werden, – und doch möchte ich jauchzen, möchte<br />

betend <strong>nieder</strong>knien, Gott danken, daß Arno hierbleibt – er bleibt! Deshalb möchte ich<br />

jauchzen u. möchte jubeln – jubeln, während tausend Andere nun in stummer Verzweiflung<br />

die Hände ringen!<br />

ARNO kommt, v. links, mit Mütze und Säbel.<br />

ARNO. Martha!<br />

MARTHA. Arno! –<br />

[Bl 22 v ]<br />

ARNO. Du weißt es, – Du weißt alles?! –<br />

MARTHA. Ja, es ist Krieg! – Aber Dein Regiment bleibt!<br />

ARNO. Ja, es wurde noch nicht beordert.<br />

MARTHA. Wer weiß, was alles geschieht, bis auch ihr ausrücken müßt, – bis dahin ist vielleicht<br />

wieder Friede – oder Du – Du nimmst Deinen Abschied, – ja, ja, Du nimmst Deinen<br />

Abschied!<br />

Fernes Trommeln und Musik.<br />

ARNO sich losmachend. So nimm doch Vernunft an! –<br />

MARTHA. Nein, nein, jubeln will ich; jubeln und jauchzen; –


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[Bl 23 r ]<br />

Hörst du? Nun ziehen alle Regimenter in ihre Kasernen, – und morgen geht es dann für<br />

immer fort, – für immer, – aber Du bleibst, Arno, Du bleibst!<br />

ARNO. Höre mich doch erst an, Schatz, ich – ich habe mich versetzen lassen. –<br />

MARTHA. Du – Du hast Dich versetzen lassen?!<br />

ARNO. Zu einem Regiment, welches morgen früh um vier Uhr ausrückt.<br />

MARTHA mit einem Schrei. Arno! Sinkt in seine Arme. O mein Gott, warum hast Du das getan?<br />

– Warum hast Du mir das getan? {Mir ahnt es, ich sehe Dich niemals wieder.}<br />

Ende des ersten Aktes<br />

ZWEITER AKT<br />

[Bl 23 v ]<br />

<strong>Die</strong>selbe Ausstattung. – MARTHA und GIORDANO.<br />

[MARTHA.] Also es ist alles in Ordnung, – alles was der Herr Graf mitnimmt? Das heißt, es<br />

ist ja so bitter wenig!?<br />

GIORDANO. Su Befehl, Signora! –<br />

MARTHA. Dann, dann schlaf jetzt noch ein paar Stunden, und sei nicht so gedrückt, nicht so<br />

<strong>nieder</strong>geschlagen; Du mußt Dich in das Unvermeidliche fügen; Du gehörst ja doch nun zu<br />

uns, – bist doch ein Österreicher, – da gehts doch nicht anders, siehst Du das ein? – Na,<br />

geh nun und leg Dich nur ruhig <strong>nieder</strong>; sollte noch etwas nötig sein, so kann das Sophie<br />

besorgen. Giord. ab. O mein Gott! Geht z. Fenster. <strong>Die</strong>se Frühlingsnacht –<br />

[Bl 24 r ]<br />

mit ihrem geheimnisvollen Rauschen und ihrem Duft, – und diese Millionen Sterne, die<br />

über die Stadt leuchten, friedlich und still, – so wie gestern, – so wie immer; ja, wißt ihr<br />

denn nicht, daß dies die letzte Nacht ist? – die letzte Nacht. Pause – alles still.<br />

Herr und Fräulein Althaus!<br />

SOPHIE kommt von rechts.<br />

MARTHA zu Sophie. Ich bitte! – Du, Du hast geweint? Ich weiß, auch Dein Liebster ist Soldat,<br />

– aber tröste dich, die hinausziehen – kehren ja wieder! –<br />

SOPHIE. Nicht alle, gräfliche Gnaden, nicht alle! Ab rechts.<br />

ADELGUNDE und ALTHAUS kommen.<br />

ADELGUNDE<br />

[Bl 24 v ]<br />

Mein Kind, mein teures Kind. Umarmt sie. Ich bin gekommen Dir Trost zu sprechen; ich<br />

will Dir Ergebung predigen in dieser Prüfung. –<br />

ALTHAUS. Blödsinn, – gratulieren mußt Du! –<br />

MARTHA. Gratulieren?


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ALTHAUS. Was denn sonst? Gibts für einen Soldaten etwas besseres als den Krieg? Denk<br />

doch nur an die Chancen, die der Junge jetzt hat: Beförderung, Auszeichnung. Gott weiß,<br />

welcher Art! –<br />

MARTHA. Da zieht unser Herr nur hinaus um sich auszuzeichnen; ich weiß, der Eine kann<br />

sich nur <strong>bei</strong> Feuersbrünsten, der Andere nur <strong>bei</strong> Feldzügen auszeichnen! –<br />

[Bl 25 r ]<br />

Und wie, wenn Arno fällt, wenn ich ihn für immer verlieren würde?! –<br />

ALTHAUS. Du denkst nur immer an Dich, – an die einzelnen Menschen, – um ganz Österreich<br />

handelt sich’s hier! –<br />

MARTHA. Und besteht dieses nicht aus lauter einzelnen Menschen?<br />

ALTHAUS. Ein Reich, ein Staat, lebt ein längeres und wichtigeres Leben, als die Individuen; –<br />

diese schwinden Generation um Generation, – und das Reich entfaltet sich weiter, –<br />

wächst zu Ruhm, Größe und Macht, – oder sinkt und schrumpft zusammen, wenn es sich<br />

von anderen Reichen besiegen läßt. Also ist die Größe und Wohlfahrt des Reiches das<br />

Wichtigste und Höchste, das ein jeder<br />

[Bl 25 v ]<br />

erstreben muß.<br />

MARTHA. Und wenn Österreich jetzt besiegt wird, wenn es alle die Opfer, die es jetzt bringt,<br />

umsonst bringt? Wenn durch den Krieg alles wieder zerstört wird, was in langen Jahren<br />

aufgebaut wurde?<br />

ALTHAUS. <strong>Die</strong> Katzelmacher bekommen eine Lektion von uns, an der sie zeitlebens genug<br />

haben; darauf verlaß Dich.<br />

ADELGUNDE. Das glaube ich auch, Kind, wir werden siegen!<br />

MARTHA. Was frommt den armen Toten? was den armen Verkrüppelten, was den armen<br />

Witwen der Sieg? Vater, wenn ich Arno verlieren würde!<br />

[Bl 26 r ]<br />

ALTHAUS. Man kommt vom Krieg auch nach Hause – wie Figura zeigt –, ich habe mehr<br />

Kampagnen mitgemacht als wie eine!<br />

ADELGUNDE. Ja, ja, die Sterbestunde eines jeden ist <strong>bei</strong> seiner Geburt schon bestimmt, und<br />

wir wollen für unsere lieben Krieger so fleißig und inbrünstig beten. –<br />

MARTHA. Der Tod ist einem jeden <strong>bei</strong> der Geburt schon besti[m]t, – und doch kann man<br />

ihn {da} durch Gebet abwenden? –<br />

ADELGUNDE. Kind, Kind, Du warst nie eine von den Frömmsten! – Aber Du wirst<br />

sehen,wie die Seele in schweren Stunden doch zur Religion flüchtet. Vielleicht schickt Dir<br />

der liebe Gott jetzt die Prüfung, damit Du Deine sonstigen Lau–<br />

[Bl 26 v ]<br />

heit mal ablegst.<br />

MARTHA. <strong>Die</strong> ganze Verstimmung zwischen Österreich und Sardinien, die ganzen jetzigen<br />

Verhandlungen, – das alles ist nur von Gott veranstaltet worden, um meinen lauen Sinn zu<br />

erwärmen? Ja was redet Ihr denn da, was wollt Ihr denn da von mir, – was geht mich das<br />

alles an? Habt Ihr das Volk gefragt, ob es Krieg will? Was gehen mich die paar Menschen<br />

an, die ihn her<strong>bei</strong>sehnen? Was geht mich das fremde Sardinien an? Ich soll mein Ein und<br />

Alles hingeben, – alles was ich habe! – und nicht nur ich, hundert und hunderttausende!<br />

Fragt das Volk mal, ob es den Krieg will! – Nicht die Minister, die ihn heraufbeschwören,<br />

nicht die Offiziere,


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[Bl 27 r ]<br />

die {sich} nach einem Orden, nach einem Titel sehnen; – das Volk müßt ihr fragen. Fragt,<br />

ob die Mutter den Sohn, ob die Braut ihren Liebsten, ob die Schwester den Bruder freudig<br />

ziehen läßt. Fragt selbst die, die jetzt jubelnd hinausmarschieren, ob sie nicht heimlich die<br />

Hand aufs Herz pressen vor Weh und tötlicher Angst! –<br />

ALTHAUS. Mit Dir ist jetzt nicht vernünftig zu reden, mein Kind, – hättest Du den Jubel<br />

gehört, als der Krieg erklärt war.<br />

MARTHA. Es ist Lüge! Wer jetzt jubelt belügt sich selbst, oder er ist sich nicht des Elends<br />

bewußt, welches jeder Krieg mit sich bringt. Wenn unser Heer bedroht wär, oder unser<br />

Land, ich selbst würde sagen, geht! Setzt euer<br />

[Bl 27 v ]<br />

Leben ein um das Joch abzuschütteln, – aber so, wo wir alle in Frieden leben könnten,<br />

wenn wir wollten. –<br />

ALTHAUS. Wir sind nicht Schuld an dem Krieg. Napoleon, dieser Intrigant, der sich mit dem<br />

Katzelmacher verbündet hat.<br />

MARTHA. Natürlich, die Schuld liegt stets auf der andren Seite, – immer ist der Feind schuld.<br />

ALTHAUS. Bist Du nun fertig? Ich will Dir lieber sagen, weshalb ich überhaupt herkam,<br />

damit Du Deinem Mann nicht die Ohren vollheulen solltest, verstehst du? Er selbst bat<br />

mich drum, – und für einen Soldat, der in den Krieg zieht, ist das ein Jammern absolut<br />

[Bl 28 r ]<br />

nichts. – Aber, er könnte nun bald hier sein. –<br />

HANS kommt schnell v. rechts.<br />

Hurra, morgen um Sechs!<br />

ALTHAUS. Wann, wann rückt Ihr aus?<br />

HANS. Morgen um sechs. –<br />

ALTHAUS. Und Du ziehst gern mit? –<br />

HANS. Gern? Was soll man denn machen, ob gern oder nicht gern, danach wird man nicht<br />

gefragt, – aber ungern zieh ich nicht mit – da müßte ich lügen, – so ein abenteuerliches<br />

Hinausmarschieren –<br />

ALTHAUS.<br />

[Bl 28 v ]<br />

ALTHAUS. Ich weiß, für die hohen, edlen Ziele, die wir jetzt verfolgen, hast Du kein Verständnis;<br />

aber ich will Dir jetzt keine Vorwürfe machen, – ich will Dir in dieser Stunde<br />

auch nicht nachtragen, wie viel Kummer Du mir schon gemacht hast; nur bitten will ich<br />

dich: mach meinem Namen keine Schade, thu Deine Pflicht, Junge, kehr als treuer und<br />

braver Soldat zurück – oder kehre nie zurück! – Sieh mal, ich habe Dich noch nie im<br />

Leben um etwas gebeten, – jetzt tu ich’s.<br />

HANS. Vater!<br />

ALTHAUS. Du brauchst Dich nicht hervorzutun, brauchst keine Ruhmestaten zu volführen,<br />

nur Deine Pflicht tue,<br />

[Bl 29 r ]<br />

die tu recht und schlicht wie jeder andere Soldat unseres Kaisers, – und wenn Dir das oft<br />

schwer fällt, halt aus, Junge, <strong>bei</strong>ß die Zähne zusammen! sonst komme mir nie wieder unter<br />

die Augen!


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HANS. Sei unbesorgt, Du wirst noch staunen über mich! Mutig und tapfer will ich sein, wie<br />

ein Löwe, und wenn Du mal in der Zeitung liest, daß ich mich mehr ausgezeichnet habe<br />

wie alle andern –<br />

MARTHA. Bruder, Du weißt ja nicht, was Du sprichst, Du hast uns schon manchen Kummer<br />

bereitet – aber Du bist doch noch ein Kind, ein gutes, unerfahrenes Kind; wer weiß wie<br />

Du sprichst, wenn Du die Gräuel des Krieges erst mal gesehen hast, wie Du, – aber nein, –<br />

[Bl 29 v ]<br />

ich will Dir Dein Herz nicht schwer machen, – nur eins will ich Dir sagen: Kehr ebenso<br />

fröhlich wieder, wie Du jetzt hinausziehst.<br />

ARNO kommt von links.<br />

Gott sei Dank, da wären wir endlich, nun ist alles im Lote; und um fünf Uhr geht es los, –<br />

dann zeig’ Dich als tapfere Soldatenfrau, denk nur, wenn ich mit einem Kreuz auf der<br />

Brust zurückkehre.<br />

MARTHA. Nicht zehn Kreuze auf Deiner Brust könnten mir Ersatz für die Möglichkeit bieten,<br />

daß eine Kugel sie zerschmettert.<br />

ARNO. Von tausend Kugeln trifft höchstens eine, – und warum sollt ich grad der Eine sein?<br />

– Das ist alles nicht so gefährlich. – Ich danke Dir auch, daß Du geko[m]en<br />

[Bl 30 r ]<br />

bist, Schwiegerpapachen, und auch du, liebes Tantchen, schön, daß Du da bist. Aber sag<br />

mir mal, warum heißt Du denn Adelgunde, das klingt doch so – so raubritterähnlich?<br />

ADELGUNDE. Adelgunde ist so viel wie Adelheid, – so hieß die Tochter Rudolfs von Burgund,<br />

und die war eine Heilige. Der Mensch kann heißen wie er will, so lang er ein gutes,<br />

{reines} Herz bewahrt hat –<br />

ARNO. Stimmt Tantchen, stimmt ganz genau – aber nun wollen wir noch eine kurze Spanne<br />

Zeit gemütlich <strong>bei</strong>sammen sein.<br />

MARTHA. Ich habe den Burschen zu Bett geschickt, Arno. –<br />

[Bl 30 v ]<br />

ARNO. War recht, – hat er sich denn nun in sein Los gefunden?<br />

MARTHA. Seit heute mittag ist er wie umgewandelt; er war ja immer schon so gedrückt, –<br />

aber jetzt spricht er kein Wort mehr. Seit heute mittag hat er keinen Bissen gegessen.<br />

ARNO. Verlaß Dich drauf, wenn er mal so ne Kampagne {ein Gefecht} mitgemacht hat,<br />

wird der Hunger schon kommen.<br />

SOPHIE kommt v. rechts.<br />

[ARNO.] Ist der Bursche schon zu Bett?<br />

SOPHIE. Noch nicht, gräfliche Gnaden, er sitzt immer ganz still und stumm da, immer sieht<br />

er auf einen Fleck.<br />

ALTHAUS. Was hat der Kerl denn?<br />

[Bl 31 r ]<br />

SOPHIE. Ich fragte ihn, aber bekam keine Antwort, – kein Wort bekommt man aus ihn heraus;<br />

immer sitzt er da, wie wie erstarrt, nur einmal hat er ein paar Worte in sich hinein<br />

gesprochen, aber das verstand ich nicht, das war italienisch.<br />

ARNO. Ruf ihn mal rein, ich will mal selbst mit ihm reden.


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SOPHIE ab, rechts.<br />

ALTHAUS. Der Kerl wird Dir doch zu guterletzt keinen Streich spielen, – irgend eine<br />

Dummheit. –<br />

ARNO. Ich erzählte Dir schon von ihm, er stammt aus Italien, aber jetzt ist er österreichischer<br />

Untertan, weil<br />

[Bl 31 v ]<br />

sich sein Vater naturalisieren ließ. Nun ist es den Menschen natürlich schmerzlich, einen<br />

Krieg gegen sein eigenes Vaterland mitzumachen, aber <strong>bei</strong>m besten Willen kann ich’s nicht<br />

ändern, weißt Du, der Junge ist tölpelhaft dumm, alles mögliche, aber seine Liebe zu seinem<br />

Vaterlande ist einfach rührend.<br />

ALTHAUS. Wenn Du ihm das jetzt vorpredigst, kommt er sich als Märtyrer vor, dann verübt<br />

er sicherlich tolle Streiche.<br />

GIORDANO kommt von rechts.<br />

ARNO. Sag mal Giordano, hast Du noch Verwandte drüben in Italien?<br />

GIORDANO. Noch Bruder, – und – und viele Verwandte. –<br />

[Bl 32 r ]<br />

ARNO. Warum sind denn die dort geblieben? Warum zogen die, besonders Dein Bruder,<br />

denn damals nicht auch mit nach Österreich?<br />

GIORDANO. Weil großer Streit mit Vater.<br />

ARNO. Wenn das <strong>bei</strong> Dir auch nicht der Fall war, so konntest Du doch deshalb auch drüben<br />

bleiben, wenn Du an Deiner Heimat so hängst.<br />

GIORDANO. Vater nicht allein lassen weil alt ist, ganz alt.<br />

ARNO. Gewiß, Du bist Deinem Vater zuliebe Österreicher geworden, – aber nun mußt Du<br />

auch die Konsequenzen<br />

[Bl 32 v ]<br />

tragen; Du mußt Deiner Pflicht als österreichischer Soldat jetzt genügen, vergiß das nie, –<br />

und mach um Gotteswillen keine Streiche! Wenn Du desertiertest, – aber nein, – so dumm<br />

wirst Du nicht sein, daran wollen wir gar nicht denken. – Also Kopf hoch, Junge, und<br />

dann bleib auf und geh nicht mehr zu Bett, das ist das beste, hol Dir lieber eine Flasche<br />

Wein aus dem Keller, ich erlaub Dirs, und um drei Uhr klopfst Du an die Tür hier, verstanden?<br />

Vielleicht ruh ich noch etwas hier aus, – ich weiß nicht, – aber jedenfalls klopfst<br />

Du um drei Uhr und nun geh, und nimm Dir in jeder Weise zu Herzen, was ich gesagt<br />

hab. G. ab. {Giordano ab.}<br />

HANS. Ich glaube, der wäre zum Desertieren sogar zu dumm.<br />

MARTHA.<br />

[Bl 33 r ]<br />

Und niemand hatte Mitleid mit ihm, – niemand konnte verhindern –<br />

ALTHAUS. Papperlapapp! Im Krieg gibt es kein Mitleid, da haben wir andere Herzen als im<br />

Frieden!<br />

MARTHA. Ich weiß, im Krieg ist Totschlag kein Totschlag, Raub ist kein Raub!<br />

ADELGUNDE. Da hat sie recht, nicht wahr lieber Johannes, Du sollst nicht stehlen, sollst<br />

Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst.


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MARTHA. Das alles gilt nicht, solange Krieg ist, und diejenigen die berufen wären, diese Sätze<br />

zu lehren, sind die ersten, die des Himmels Segen auf unsere Schlacht–<br />

[Bl 33 v ]<br />

ar<strong>bei</strong>t herabflehen.<br />

ALTHAUS. Wenn Arno mit grünem Lorbeer bedeckt zurückkehrt, wirst Du anders reden.<br />

MARTHA. Ich werde nie anders reden, ob Arno zurückkehrt oder nicht, ob wir siegen oder<br />

ob wir untergehen. Der Krieg ist das größte allen Unglücks, – aber Du freust Dich über<br />

dieses Unglück Papa! –<br />

ALTHAUS. Ja ich freue mich, daß wir dem italienischen Jammerpack das große Mundwerk<br />

wieder mal stopfen, – und so Gott will, – sieht uns Turin bald als Sieger. – Es lebe unser<br />

herrliches Österreich und unser Kaiser!<br />

ARNO.<br />

[Bl 34 r ]<br />

Und alle die, die jetzt hinausziehen, und ihr Leben dafür lassen wollen!<br />

ALTHAUS. Wenn ich nur mitziehen könnte. – Ach ihr wißt ja nicht, wie es einem Soldaten zu<br />

Mute ist, der daheim bleiben muß, während die Anderen mit klingendem Spiel und wehenden<br />

Standarten hinausziehen.<br />

MARTHA. Und wird nicht auch Mancher sagen: Gott ich danke dir, daß ich den Meinen<br />

erhalten bleibe.<br />

ARNO. Das Vaterland geht über alles, mein Schatz.<br />

HANS. Süß und ehrenvoll ist’s, für das Vaterland zu sterben!<br />

MARTHA.<br />

[Bl 34 v ]<br />

Ja, das hören die Kinder schon in der Schule, – und dann wollen sie auch solche Helden<br />

werden, – wollen auch Soldaten werden, mit einem richtigen Säbel und einem richtigen<br />

Pferd; und sie spielen Krieg und sehnen die Zeit her<strong>bei</strong>, wo aus dem fröhlichen Spiel blutige<br />

Wirklichkeit wird; aber dann, wenn sie Abschied nehmen von Weib und Kind, – wenn<br />

sie mit klaffenden Wunden in einem Graben liegen und elend verschmachten, wenn über<br />

die zerschossenen Glieder schwere Wagen hinwegfahren, wenn man den erstarrt daliegenden<br />

für tot hält und ihn noch lebend mit anderen Toten in die seichte Grube scharrt!<br />

ADELGUNDE. Martha!<br />

MARTHA. Dann wird wohl jeder dieser dem Tod geweihten die<br />

[Bl 35 r ]<br />

verwünschen, die sich nach dem Kriege sehnten, und die ihn heraufbeschworen, dann gilt<br />

der letzte Gedanke dieser Armen nicht.<br />

ALTHAUS. Da sieht man wieder mal wie schlecht Du orientiert bist, wie manches Regiment,<br />

wie manches Schiff ging mit dem Ruf: „Es lebe unser Kaiser!“ unter.<br />

MARTHA. Ich weiß; und doch – was ist das anders als Verzweiflung! Der freie Wille eines<br />

jeden bringt diese Rufe nicht hervor; es ist die eiserne Disziplin des Heeres, da tut dann<br />

jeder, was er seinem Rocke schuldig ist, – und was er muß! Aber tief im Herzen da sind<br />

andere Gedanken, sie werden hinüberfliegen zu den Lieben, die er zurückließ. So wird<br />

auch der<br />

[Bl 35 v ]<br />

letzte Gedanke des Kriegers, der auf weitem Feld verschmachtet, über das weite, blutige<br />

Schlachtfeld hinübereilen zu der geliebten Mutter: Mütterchen, ich wollte Dir eine Stütze<br />

sein für Dein Alter, auf den Händen wollte ich Dich tragen, wer sorgt nun für Dich nun


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ich sterbe? Oder an die Geliebte wird er denken: Könnt ich doch einmal noch Deine Hand<br />

drücken, könnt ich Dir einmal nur sagen, wie sehr ich Dich geliebt; was machst Du nun<br />

ohne mich, wird der Gram Dich verzehren? oder folgst Du mir nach? Oder an seine Kinder<br />

wird er denken: Bleibt brav, ich selbst hätte euch beschützt, hätte euch gern sicher<br />

geführt, bis ihr groß wäret, aber nun muß ich sterben! – Tausend solcher Gedanken<br />

durchjagen zuletzt das Hirn dieser Totgeweihten. Was ist das Los dieser<br />

[Bl 36 r ]<br />

Armen, daß sie sich opferten? Was haben die Hinterlassenen, was die Krüppel?!<br />

ALTHAUS. Für alle ist gesorgt – für alle!<br />

MARTHA. Für die Toten braucht niemand mehr zu sorgen, aber wer sorgt für die Krüppel?<br />

ALTHAUS. <strong>Die</strong> haben Pension und den Vorzug –<br />

MARTHA. Pension? Sieh sie Dir an, an den Ecken kannst Du sie finden, die Brust voller<br />

Kriegsmedaillen, die alte Soldatenmütze auf dem Kopf.–<br />

ALTHAUS. Ich habe Dich ausreden lassen, weil ich Deiner Er–<br />

[Bl 36 v ]<br />

regung manches zugute halte; solltest Du aber mal in Gegenwart von Freunden so sprechen<br />

–<br />

MARTHA. Gewiß, das wäre nicht schicklich. Innerlich kann man denken und fühlen wie man<br />

will; trägt man nur äußerlich den althergebrachten Ehrbegriffen und Anschauungen unserer<br />

Kreise Rechnung.<br />

ADELGUNDE. Nein, nein, in vielem kann ich Dir nur Recht geben, mein liebes Kind; es ist<br />

doch schrecklich mit solch einem Kriege. Heute abend traf ich Frau Löhrmann, die war <strong>bei</strong><br />

Bechers gewesen und hatte eine Gans gekauft, – ich würde jetzt keine mehr kaufen, die<br />

schmecken nun nicht mehr, – und die weinte auf offener Straße. –<br />

[Bl 37 r ]<br />

ALTHAUS. <strong>Die</strong> Gans? Hans lacht.<br />

ADELGUNDE. Nein, Frau Löhrmann! Vor vier Wochen hat sie ihren Jüngsten verloren, der<br />

hatte Diphtheritis, – und nun muß der Älteste in den Krieg. –<br />

ALTHAUS. Du hast den ganzen Tag nur Dein Essen im Kopf, an was anderes kannst Du<br />

nicht denken!<br />

SOPHIE kommt v. rechts.<br />

Der Herr Sanitätsrat ist draußen. –<br />

ARNO. Jawohl, für ihn sind wir zu sprechen, nur herein!<br />

SOPHIE. Wie Eure gräfliche Gnaden befehlen! – Ab.<br />

ALTHAUS. Was ist denn los? Jemand krank hier?<br />

[Bl 37 v ]<br />

Sanitätsrat kommt v. rechts.<br />

ARNO. Ich danke Ihnen von Herzen, daß Sie doch noch gekommen sind, Herr Sanitätsrat; in<br />

wenig Stunden rücke ich aus, da wollte ich Sie bitten, doch täglich nach meiner Frau zu<br />

sehen, so lange ich fort bin. Nehmen Sie sie unter ihren ganz besonderen ärztlichen<br />

Schutz, Herr Sanitätsrat. –


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SANITÄTSRAT. Ich verspreche es Ihnen, – kein Tag soll vergehen, ohne daß ich nach Ihrer<br />

Gattin gesehen habe.<br />

MARTHA. Sie meinen es gut, Herr Sanitätsrat, aber bis {ich} Arno<br />

[Bl 38 r ]<br />

wieder hier hab, wird mein Leben voller Qual und tötlicher Angst sein.<br />

ALTHAUS. Nun hab ich genug von der Jammerei, Herr Sanitätsrat bringen Sie etwas Leben in<br />

die Bude, mir gelingt’s nicht! –<br />

SANITÄTSRAT. Ich glaube, es wird dem Grafen Dotzky und seiner Gattin lieber sein, wenn<br />

sie die kurze Spanne Zeit bis zum Ausmarsch ohne einen Fremden verleben können. –<br />

Aber ich sah Sie heute wieder Sturmschritt laufen, Herr Oberst, ich sagte Ihnen schon<br />

einmal –<br />

ALTHAUS. Das hätten zehn Pferde nicht hindern konnen, und Sie mit Ihrer Quaksalberei<br />

erst recht nicht!<br />

[Bl 38 v ]<br />

SANITÄTSRAT. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich! Leben Sie wohl, Herr Graf!<br />

Möchte es mit diesem unseligen Krieg bald vor<strong>bei</strong>sein. –<br />

ALTHAUS. Was?! Sieben – dreißig Jahre soll der Krieg dauern, bis das Gesindel genug hat.<br />

SANITÄTSRAT. Dreißig Jahre soll er dauern? Und das sagen Sie, Herr Oberst, der Sie das<br />

unbeschreibliche Massenelend eines Krieges selbst gesehen haben! – Und dann Gesindel?!<br />

– weil Sardinien an der Spitze nationaler Einheitsbestrebungen steht, weil Italien sich freimachen<br />

will von unserem Einfluß? Ich glaube, niemand kann ihm das verdenken. – Wer<br />

weiß wie<br />

[Bl 39 r ]<br />

dieser Krieg endet, wieviel Gräul und wieviel Elend er noch mit sich bringt. Aber vielleicht<br />

ko[m]t noch mal die Zeit, in welcher dieser Totschlag und diese Zerstörung aufhören wird,<br />

in der die Welt nicht mehr angefüllt ist mit geharnischten Männern und Schreckensmaschinen,<br />

in der die Völker sich erheben und mit einer Stimme ihren Lenkern zurufen: Rettet<br />

uns und unsere Kinder, rettet die Zivilisation und unsere Errungenschaften; eine Zeit,<br />

in der zum mindesten das Volk entscheidet, ob Krieg, ob Frieden.<br />

ALTHAUS. Da wollen Sie also ne Republik, Sie Radikaler?<br />

SANITÄTSRAT. Gewiß, ich selbst würde die Republik der Monarchie<br />

[Bl 39 v ]<br />

vorziehen. – Ich sage mir, ein Mann, der Jahrzehnte hindurch bewiesen hat, was er leistet,<br />

der infolgedessen von dem Volk, das er regiert gewählt ist, kann ihm mehr nützen, als ein<br />

nicht fähiger Fürst; aber darum handelt es sich hier nicht, Herr Oberst. Auch in einem<br />

monarchischen Staate könnte das Volk das „Ja“ oder „Nein“ im Kriegsfall sprechen, – es<br />

bringt ja doch auch die Opfer. –<br />

ALTHAUS. Und dann gäb’s nie mehr Krieg?<br />

SANITÄTSRAT. Nein. Kriege, durch welche nur ein Streit zwischen zwei Kabinetten<br />

geschlichtet werden soll, gäb es dann nicht mehr. Verteidigungs–Krieg ist was anderes,<br />

Herr Oberst. Das Recht der Notwehr und Selbstverteidigung kann sich kein Volk nehmen<br />

lassen, des–<br />

[Bl 40 r ]<br />

halb wäre es auch Unsinn, wollten wir heute entwaffnen.<br />

ALTHAUS. Und auch die Verteidigungskriege werden schwinden!


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

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SANITÄTSRAT. Wenn es keine einfallenden Nachbarstaaten mehr gibt. – Und wie die Raubritter<br />

geschwunden sind, die Städte und Burgen überfielen, so werden mit der Zeit auch<br />

diese schwinden.<br />

ALTHAUS. Dann hätten wir den Völkerfrieden? Famose Idee – aber unausführbar!<br />

SANITÄTSRAT. Unausführbar? – Man muß nur wollen! – Der Völkerfrieden ist ein Ideal, aber<br />

Ideale sind dazu da, daß sie verwirklicht werden! – Nochmals, leben<br />

[Bl 40 v ]<br />

Sie wohl, Herr Graf, und auch Sie, mein junger Freund, für Sie gelten dieselben Wünsche!<br />

Also auf Wiedersehn. – Ab, rechts.<br />

ALTHAUS. Gott sei Dank! Wär der noch lange geblieben, wir wären noch aneinander geraten.<br />

ADELGUNDE. Ich – ich hätte ihn nach meinem Katarrh fragen sollen, lieber Johannes.<br />

ALTHAUS. Unsinn. Du bist gesünder wie wir alle zusammen. Aber komm jetzt, mach Dich<br />

zurecht. –<br />

ADELGUNDE. So schlägt schon die Scheidestunde? – Ach ja, liebe Martha, es ist schon spät,<br />

– aber sei ruhig, Martha, ich<br />

[Bl 41 r ]<br />

werde immer zu Dir kommen und werde Dich trösten.<br />

MARTHA. Ja, ja, – ich –<br />

ARNO. Ihr wollt schon gehen?<br />

ALTHAUS. Ja, mein Junge; bald ist auch Deine Zeit. Aber an der Bahn bin ich, das laß ich mir<br />

nicht nehmen.<br />

ARNO. Aber Papa, Du hast ja so wie so Deine halbe Nachtruhe schon geopfert! –<br />

ALTHAUS. Tut nichts! An der Bahn bin ich. Aber meine guten Wünsche will ich Dir hier<br />

schon sagen, ich – ach was, ich bin kein Freund von langem Abschiednehmen, –<br />

[Bl 41 v ]<br />

nur eins will ich Dir sagen, bleib immer so, wie Du jetzt bist! –<br />

ARNO. Leb wohl, Papa, und tu wegen Deines Herzens nur alles, was der Arzt will.<br />

ALTHAUS. Na ja, mal sehen. Gebt Ihr dem Gegner nur’n paar tüchtige auf die Hosen, das<br />

geht vor. Rechts ab.<br />

ARNO. Das besorgen wir schon, deshalb sei ohne Sorge. Zu Hans. na, und Du?<br />

HANS ängstlich. Ach Arno, wenn ich – wenn ich auch lebendig begraben würde?<br />

ARNO. Nun, ist es schon wieder vorüber mit Deinem Mut?<br />

[Bl 42 r ]<br />

Mein Gott, wärst Du doch meinem Regiment zugeteilt, könnte ich doch stets über Dich<br />

wachen!<br />

HANS. Das – das hast Du gar nicht nötig; ich werde schon meinen Mann stellen. Das war ja<br />

jetzt nur vorübergehende Schwäche von mir. Das kann der besten Nation passieren. Also,<br />

leb wohl, Arno; hoffendlich sehen wir uns bald gesund wieder! – Martha, leb wohl!<br />

MARTHA. Leb wohl, Bruder, leb wohl! Hans ab, rechts.<br />

ADELGUNDE. Arno, mag Dir das Schicksal bringen, was es will, Deine Tante Adelgunde<br />

darfst Du nicht vergessen!<br />

ARNO.<br />

[Bl 42 v ]<br />

Nein, Tante, Dich vergesse ich nie!<br />

ADELGUNDE. Und schreibe immer so oft Du kannst.


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ARNO. Ja, ja, das tu ich, stets sollt Ihr von mir hören, wie fröhlich und lustig die ganze<br />

Kompagne vor sich geht.<br />

ADELGUNDE. Und hol Dir keine Erkältung; ich hatte erst neulich wieder so entsetzlichen<br />

Schnupfen.<br />

ARNO. Ja, ja, ich binde immer ein dickes Tuch um, dann erkälte ich mich nicht. Mit Adelgunde<br />

ab.<br />

MARTHA allein. Noch eine Stunde, dann bin ich allein. O könnt ich doch den Zeiger, und mit<br />

ihm die Zeit zurück–<br />

[Bl 43 r ]<br />

stellen. – Aber unaufhörlich eilt sie weiter, gleichgültig und mit selber Hast eilt sie am<br />

Glück vorüber – und am Unglück.<br />

SOPHIE kommt, r.<br />

[MARTHA.] Ist der Bursche noch in der Küche?<br />

SOPHIE. Sein Vater war da, gräfliche Gnaden.<br />

MARTHA. Und wie hat er sich in die Sache gefunden?<br />

SOPHIE. Er sprach auf seinen Sohn immer ein, aber der rührte sich nicht. – Nun ist er wieder<br />

fort.<br />

MARTHA. Hat er denn gegessen und getrunken? Hat er sich eine Flasche Wein geholt, wie<br />

mein Mann wollte?<br />

SOPHIE.<br />

[Bl 43 v ]<br />

Nein, davon weiß ich nichts. Ich stellte ihm, wie gewöhnlich, sein Essen hin, – aber das<br />

steht genau noch so, wie ich es auftrug. Ab.<br />

ARNO kommt.<br />

So, ich hab mich schnell noch gewaschen, nun zieh ich genau so, wie ich hier bin. Vor der<br />

Hand komm ich aus diesem Rock nun nicht wieder heraus. – Und nun sei mutig und<br />

wacker, mein Liebling, es ist ja keine Trennung für immer, wenn wir nun Abschied nehmen,<br />

dann sagen wir fröhlich, auf Wiedersehn, als machte ich eine Spazierfahrt durch den<br />

Prater. Und eins versprich mir, Du bleibst hier, wenn ich nun fortgehe, – zur Bahn gehst<br />

Du nicht mit; das hast Du mir auch schon versprochen. Sieh mal, was sollen die Kame–<br />

[Bl 44 r ]<br />

raden sagen, wenn Du in Tränen aufgelöst dastehst? Ist das eine Soldatenfrau? werden sie<br />

sagen. – Nein, nein, Du bleibst hübsch hier und gehst schlafen; und geh viel aus, wenn ich<br />

nun fort bin, mach Dir immer Zerstreuung, geh viel spazieren, nun der Frühling doch da<br />

ist.<br />

MARTHA. Was nützt mir der Frühling da draußen? Jetzt hat die Erde Frühling, der Wald, der<br />

wieder grün ist, – aber für mich kommt jetzt der Winter, der stille, der tote Winter!<br />

ARNO. Du bist ja dumm, wann käme der Frühling denn für Dich?<br />

MARTHA.<br />

[Bl 44 v ]<br />

Wenn Du zurückkehrst, wenn Du immer <strong>bei</strong> mir bleibst! Aber wenn ich Dich auch wiederhabe,<br />

muß ich nicht immer fürchten, es käme ein neuer Krieg, dann würdest Du mir


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nochmals entrissen? – Und dann vielleicht auf immer! O wenn doch ein dauernder Friede<br />

käme, dann käme doch auch für alle Völker ein Frühling, daß sie sich nicht mehr zu Tausenden<br />

hinmetzeln würden.<br />

ARNO. Ja, das wäre der schönste Frühling! – Aber der kommt nie, Schatz!<br />

MARTHA. Man muß nur wollen, sprach der Sanitätsrat; – Aber Du – Du hättest doch noch<br />

was schlafen sollen?!<br />

ARNO. Schlafen? Das ist wohl vor<strong>bei</strong>, Schatz Setzt sich. Nur<br />

[Bl 45 r ]<br />

träumen möcht ich noch etwas, träumen von Dir; wenn ich noch so kampfbereit hinauszieh,<br />

wenn das Bevorstehende meine Seele auch ganz erfüllt, – Dich werde ich nicht vergessen,<br />

stets wird Dein Bild mich begleiten, – immer und immer. Und wenn ich dann<br />

zurückkehr, einen Orden auf der Brust –<br />

MARTHA. Ach, Arno – Arno –<br />

ARNO. Warum bist Du so traurig? Trauerst Du um mich? – Ich bin zu beneiden, daß ich<br />

sofort versetzt wurde. – Nun wirst Du Dich doppelt freuen, wenn ich zurückkehr. Ist diese<br />

Hoffnung nicht etwas Schönes? – Sing mir noch ein Lied, Schatz, ein Lied zum Abschied.<br />

[Bl 45 v ]<br />

MARTHA. Ich – ich kann jetzt nicht singen, das Herz würde mir zerspringen, wenn ich nun<br />

singen würde!<br />

ARNO. Tus mir zuliebe, ein einziges schlichtes Lied, daran will ich dann immer denken.<br />

MARTHA singt.<br />

Und Du fragst noch, um wem ich traure,<br />

Und ich traure um Dich allein,<br />

Muß Dich verlassen, Dich nicht mehr sehen,<br />

Und ich möcht’, es könnte anders sein.<br />

[MARTHA] spricht. Er schläft Kniet. ruhig und still, als käme nie ein Abschied. – Du mein Einziger,<br />

wie lieb ich Dich habe, wie lieb; und Du gehst fort von mir.<br />

[Bl 46 r ]<br />

ARNO im Traume. Dotzky, Sie sind einer meiner besten Offiziere.<br />

MARTHA. Er träumt, träumt von Ruhm und kriegerischen Lorbeer, – und wie kehrt er vielleicht<br />

zurück, – oder er kehrt nie zurück. Es ist alles still, auch draußen auf der Straße, und<br />

drüben, da – da schlafen sie nun, ruhig und fest, da bringt diese Nacht für Niemanden<br />

einen Abschied.<br />

Signal zum Wecken<br />

GIORDANO von außen, klopft.<br />

Drei Uhr, Signor, Drei Uhr! Höchste Zeit, Signor, höchste Zeit! – –<br />

ARNO springt auf. Ja, ja, was – ? Zum Henker, da hätte ich also wirk–<br />

[Bl 46 v ]<br />

lich geschlafen, Martha, wo – ach so, da bist Du! Weißt Du, Dein Lied hat mich schläfrig<br />

gemacht, – Dein weiches, trauriges Lied; aber nun soll mir das nicht mehr passieren. Wer<br />

das Gebrüll der Kanonen und das Klirren der <strong>Waffen</strong> hört, hält die Augen schon auf,


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Schatz. Wer zehn Jahre nicht geschlafen hat, bleibt da munter, aber wo, wo steckt denn der<br />

Bursche? Ruft. Giordano, Giordano! – Und nun sei wacker. In längstens zwei Monaten ist<br />

die Sache vor<strong>bei</strong>, und ich kehr wieder, sollst mal sehen, wie stolz Du später sein sollst<br />

wirst, daß ich im Jahre 59 <strong>bei</strong> den großen italienischen Siegen auch da<strong>bei</strong> war. Sorg Dich<br />

nicht um mich und gib mir auf Dich acht. Grüß auch Frau von Alsmann nochmals<br />

[Bl 47 r ]<br />

von mir; – eigentlich tut sie mir leid, – sie hängt so mit allen Fasern ihres Herzens an ihrem<br />

Jungen. – Aber na, er wird ja auch wiederkehren, frisch und gesund, genau wie ich. – Aber<br />

wo steckt denn der Kerl – Giordano, Giordano!<br />

MARTHA. Vielleicht wartet er unten auf Dich.<br />

ARNO. Mag sein, dann – dann leb jetzt wohl, Martha.<br />

MARTHA. Arno, wenn Du nicht wiederkehrst. Signal.<br />

ARNO. Martha!<br />

Der – der Bursche – – hat sich –<br />

ARNO.<br />

SOPHIE kommt.<br />

[Bl 47 v ]<br />

Mein Gott, was – was ist passiert?<br />

SOPHIE. Im Stall unten – erhängt!<br />

ARNO. Schnell, schnell! Laufen Sie zum Arzt – zum Sanitätsrat! –<br />

SOPHIE. Das ist zu spät nun, der kann nicht mehr helfen! Ab.<br />

ARNO. <strong>Die</strong> Liebe zu seinem Vaterlande hat ihn in den Tod getrieben. Ich möchte dem braven<br />

Kerl die Augen gern zudrücken, aber mich ruft die Pflicht. – Und nun nochmals – leb<br />

wohl, mein Kind, mein Alles!<br />

[Bl 48 r ]<br />

MARTHA. Bleib, Arno – bleib. Ferne Musik.<br />

ARNO. Leb wohl! Ab.<br />

MARTHA kniet. Arno, Du kehrst nicht wieder, – Du kehrst nicht wieder!<br />

Trommeln–Signal.<br />

Ende des zweiten Aktes<br />

[Bl 48 v ]<br />

DRITTER AKT<br />

<strong>Die</strong>selbe Ausstattung. – Martha u. Sophie mit Brief {Zeitung}.<br />

MARTHA. Ein Telegramm, – ein Brief? –<br />

SOPHIE. Das Familienjournal, gräfliche Gnaden, weiter nichts. Ab.<br />

MARTHA. Nichts, wieder nichts! So vergehen Minuten, Stunden, Tage, kein Wort von ihm,<br />

kein einziges Zeichen, daß er noch lebt. Setzt sich O, wie ich warte!<br />

ALTHAUS kommt.


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[MARTHA.] Hast Du Nachricht vom Arno oder vom Hans, Vater?<br />

ALTHAUS. Stets denkst Du nur an Dich, Kind, an Deine persönliche Ruhe und Dein Glück,<br />

Martha. – Napoleon und Viktor Emanuel sind in Mailand<br />

[Bl 49 r ]<br />

eingerückt; wir sind geschlagen, wieder geschlagen. Zuerst <strong>bei</strong> Montebello, nun <strong>bei</strong> Madschenta;<br />

wie hatten wir zuerst gehofft, eine Siegesbotschaft käme nach der andern, glaubte<br />

jeder, und nun ist’s umgekehrt, nun singen die Brister, wehen die Fahnen in Turin.<br />

MARTHA. Und wenn noch eine Niederlage kommt, glaubst Du, daß dann Frieden würde? In<br />

diesem Falle würde ich es wünschen.<br />

ALTHAUS. Martha! 20 - 30 Jahre kann der Krieg jetzt dauern, nur sollen unsere <strong>Waffen</strong> zum<br />

Schluß siegen. – Wozu geht man denn in den Krieg, um ihn baldmöglichst zu Ende zu<br />

bringen? Dann blieb<br />

[Bl 49 v ]<br />

man von vorn herein besser zu Hause.<br />

MARTHA. Das wäre wohl auch das beste!<br />

ALTHAUS. Ja, für die Wohlfahrt des Vaterlandes habt Ihr Frauen kein Verständnis. Aber Du<br />

hast auch nichts gehört? Vom Hans nichts, und auch nichts vom Arno?<br />

MARTHA. Nichts, kein Wort, keine Silbe! O wenn Du wüßtest wie mich die Sehnsucht nach<br />

ihm verzehrt, wie mich diese Ungewißheit langsam zu tote martert! – Wo ist er? Lebt er<br />

noch? Ist er schon tot? Ein Gedanke jagt den andern. Oft liege ich des Nachts stundenlang<br />

wach, dann jagen mich wieder wilde, entsetzliche Träume, dann seh ich ihn ganz allein auf<br />

[Bl 50 r ]<br />

weitem Felde liegen,– er lechzt nach einem Stück Brot, nach einem Trunk Wasser, der ihn<br />

retten könnte, – aber niemand hört ihn!<br />

ALTHAUS. Du mußt ruhiger werden, mußt Dir solche Phantasie aus dem Kopfe schlagen.<br />

MARTHA. Ja, wenn ich das könnte. – Aber diese tötliche Angst, diese Ungewißheit zehrt an<br />

mir, tagein und tagaus, treibt mich aus dem Zimmer in den Garten, und aus dem Garten in<br />

das Zimmer.<br />

ALTHAUS. Er wird Dir längst wieder geschrieben haben, aber der Brief hat Dich noch nicht<br />

erreicht. Jetzt geht das alles langsamer wie im Frieden. – Aber, was Arno<br />

[Bl 50 v ]<br />

angeht, deshalb ist mir nicht bange; anders ist’s mit dem Jungen, sollte der wirklich nicht<br />

wieder geschrieben haben – der Brief vom sechsten Mai wäre der letzte? – Martha – wenn<br />

Du – wenn Du mir etwas verschweigst? –<br />

MARTHA. Ja, es war eine Lüge! Er hat geschrieben, ein Schrei der Verzweiflung war’s, ein<br />

Schrei tötlicher Angst und Qual! Ich lebe nicht mehr, auf Schritt und Tritt muß ich fürchten,<br />

daß eine Granate mich zerschmettert, daß ein brennender Balken herabstürzt und<br />

mich erschlägt; – kann ich das Leben nennen?<br />

ALTHAUS. Gib den Brief her,! Warum verschweigst Du mir das? Ich will alles wissen – alles!<br />

[Bl 51 r ]<br />

MARTHA. Du sollst den Brief nie lesen, Papa, nie, weil Du ihn nicht verstehen könntest, und<br />

nicht verstehen wolltest.<br />

ALTHAUS. Du hast recht, ich würde nie verstehen, daß ein Althaus einen solchen Brief<br />

schrieb. – Aber, was schreibt er noch, hält er nicht aus? Will er nicht aushalten?<br />

MARTHA. Doch, er hofft, daß der Krieg bald vor<strong>bei</strong> ist.


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ALTHAUS. Ja, er muß doch aushalten! Er muß doch, er wird stets an mich denken, an seinen<br />

Namen. – Wenn ich nur nicht immer schon gefürchtet hätte, einmal<br />

[Bl 51 v ]<br />

käm der große Skandal; dann würde seine Schande unseren makellosen Namen für immer<br />

in den Schmutz ziehen. – Hielt er jetzt nicht aus, lieber würde ich selbst mit meinem kranken<br />

Herzen im Kugelregen stehen, lieber sollten tausend Geschosse dieses kranke Herz<br />

durchbohren. Langsam könnten sie mir mein Herzblut nehmen, Tropfen für Tropfen, nur<br />

das nicht, – nur das nicht! –<br />

SANITÄTSRAT kommt.<br />

Wie gehts, gnädigste Gräfin, haben Sie Nachricht von Ihrem Gatten oder Ihrem Bruder?<br />

MARTHA. Nichts, – immer noch nichts!<br />

ALTHAUS. Sie werden nach dieser neuesten Niederlage nun Ihr<br />

[Bl 52 r ]<br />

Teil denken, nicht wahr? Sehr Ihr, das habt Ihr nun davon, werden Sie sagen. Wäret ihr<br />

ruhig daheim geblieben, wäre alles nicht passiert.–<br />

SANITÄTSRAT. Das wird wohl mancher andere auch sagen. Mit der Wohlfahrt der Gesamtheit<br />

und unseres Landes geht es nun doch immer mehr bergab. <strong>Die</strong> Ar<strong>bei</strong>t der Fabriken,<br />

die Ar<strong>bei</strong>t auf den Feldern, alles stockt; unzählige Menschen werden verdienst– und brotlos,<br />

die Papiere fallen, das Agio steigt, alle Unternehmungslust ist versiegt, zahlreiche Firmen<br />

müssen Bankrott erklären, kurz, alles geht zurück nicht vorwärts. Nichts kann sich in<br />

dieser Kriegszeit entwickeln, – und geht das so weiter, erleiden wir noch viele solcher Niederlagen.<br />

[Bl 52 v ]<br />

Sind wir völlig verblutet, dann vergehen fünfzig, dann vergehen hundert Jahre, bis wir wieder<br />

auf der Höhe sind, auf der wir waren, bevor der Krieg begann.<br />

ALTHAUS. Da glauben Sie also das wäre das Ende vom Liede? Sie glauben, wir würden nun<br />

weiter verlieren? – Fehlgeschossen, verehrter Freund! Gewiß haben wir jetzt ein paar<br />

Schlappen erlitten, aber das ist eher zu unserm Vorteil, als zu unserm Nachteil. Nun wird<br />

der Feind übermütig und großmütig werden in dem Glauben, uns nun schon ganz in der<br />

Tasche zu haben, und wir werden diese Nachlässigkeit benutzen, um ihm mit aller Überlegung<br />

zu schlagen.<br />

[Bl 53 r ]<br />

SANITÄTSRAT. Es gibt Menschen, die hoffen, so lange sie leben, zu denen gehören auch Sie,<br />

Herr Oberst. – Aber wenn wir zum Schluß auch als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen,<br />

an dem, was ich gesagt habe, ändert das wenig. Auch das siegreiche Volk hat seine besten,<br />

tüchtigsten Söhne hergegeben, hat Millionen opfern müssen. Im Gegenteil, oft ist das siegreiche<br />

Land noch mehr geschwächt wie das besiegte. –<br />

ALTHAUS. Das läßt sich nicht ändern.<br />

SANITÄTSRAT. O doch! –<br />

ALTHAUS. Und wodurch? –<br />

[Bl 53 v ]<br />

SANITÄTSRAT. Indem man den Krieg abschafft; die <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>.<br />

ALTHAUS. Ich weiß, Sie sprachen schon einmal davon, da wollten Sie, daß das Volk bestimmen<br />

sollte, ob’s Krieg gäb oder nicht; aber bis es in einem monarchischen Staat dahin<br />

kommt, können Sie lange warten.


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SANITÄTSRAT. Mag sein. Aber dann ist es eben Sache der Regierungen, den Krieg zu vermeiden.<br />

Irgendwelchen Zwist zwischen zwei Staaten wird es immer mal geben, der Streit<br />

läßt sich nicht aus der Welt schaffen.<br />

ALTHAUS. Das ist selbstverständlich; aber wie soll ein<br />

[Bl 54 r ]<br />

Streit zwischen zwei Staaten anders geschlichtet werden als durch den Krieg?<br />

SANITÄTSRAT. Wie werden denn Prozesse zwischen einzelnen, gesitteten Menschen<br />

geschlichtet?<br />

ALTHAUS. Durch die Gerichte, durch das Tribunal; die Völker unterstehen aber keinem<br />

solchen.<br />

SANITÄTSRAT. Als ginge das nicht? Je weiter Sie in der barbarischen Vergangenheit zurückgehen,<br />

um so häufiger die gegenseitige Bekriegung, um so enger die Grenzen des Friedens;<br />

Familie gegen Familie, Stadt gegen Stadt, Provinz gegen Provinz; nun sind es nur noch<br />

große Staaten,<br />

[Bl 54 v ]<br />

die sich bekriegen. Sollte es nun wirklich nicht möglich sein, daß diese ein Schiedsgericht<br />

zur Schlichtung ihrer Differenzen einsetzten?<br />

ALTHAUS. <strong>Die</strong> starken Regierungen würden sich einem solchen Schiedsgericht nie beugen,<br />

ebensowenig wie zwei Edelleute von denen der Eine beleidigt wurde, ihre Differenzen zu<br />

Gericht tragen; die schicken einander einfach ihre Zeugen und schlagen sich. Das sind alles<br />

Dinge, die nur ausgefochten, und nicht ausprozessiert werden können.<br />

SANITÄTSRAT. Das Duell ist aber auch ein barbarischer unsittlicher Brauch, Herr Oberst.<br />

ALTHAUS.<br />

[Bl 55 r ]<br />

Trotzdem läßt es sich nicht abschaffen, solange es Edelleute gibt.<br />

SANITÄTSRAT. Das muß auch nicht immer sein, Herr Oberst!<br />

ALTHAUS. Oho, nun wollen Sie noch den Adel abschaffen, Sie Radikaler!<br />

SANITÄTSRAT. Den feudalen allerdings. Edelleute braucht die Zukunft keine – um so mehr<br />

aber Edelmenschen!<br />

ALTHAUS. Und diese neue Gattung wird Ohrfeigen einstecken.<br />

SANITÄTSRAT. Sie wird vor allem keine austeilen.<br />

ALTHAUS. Und sich nicht verteidigen, wenn der Nachbarstaat<br />

[Bl 55 v ]<br />

einen kriegerischen Einfall macht?<br />

SANITÄTSRAT. Es wird keinen einfallenden Nachbarstaat mehr geben; ebensowenig, wie<br />

unsere Landsitze jetzt noch von feindlichen Nachbarburgen umgeben sind, und wie der<br />

heutige Schloßherr keinen Troß bewaffneter Knappen mehr braucht.<br />

ALTHAUS. So soll es mit dem Zukunftsstaat des bewaffneten Heeres also ex sein? Was wird<br />

aus unseren Offizieren?<br />

SANITÄTSRAT. Was ist aus den Knappen geworden?<br />

ALTHAUS. Mit Ihnen ist nicht zu reden, da nützt alles nichts!<br />

MARTHA.<br />

[Bl 56 r ]<br />

Mir sprachen Sie aus der Seele, Herr Sanitätsrat; Sie haben recht, Edelleute braucht die<br />

Zukunft keine, um so mehr aber Edelmenschen.


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ALTHAUS. Was sie sagten hat ja wohl etwas für sich, das muß ich zugestehen. Genau so, wie<br />

man vor langen Jahren sagte, es ist undenkbar, daß die Wälle und Graben um unsere<br />

Schlösser, und das die Knappen verschwinden.<br />

SANITÄTSRAT. So sagt jetzt Mancher, es ist undenkbar, daß die Kriege schwinden, – und<br />

doch, – so wie das Eine schwand, wird auch das Andere schwinden. – Freilich, mit Reden<br />

allein kommt man nicht zum Ziel, es müssen Taten kommen, und Jeder, mag<br />

[Bl 56 v ]<br />

er noch so klein sein, muß mit helfen.<br />

SOPHIE kommt.<br />

<strong>Die</strong> Anna ist draußen von Frau von Alsmann, die gnädige Frau wär schon seit dem frühen<br />

Morgen verschwunden.<br />

MARTHA. Verschwunden?<br />

SOPHIE. Da soll ich fragen ob gräfliche Gnaden nicht wüßten? –<br />

MARTHA. Nein, nein, ich weiß nichts, ich habe keine Ahnung, wo sie sein kann; seit vierzehn<br />

Tagen hab ich Frau von Alsmann nicht mehr gesehen.<br />

SOPHIE. Schön, ich werde es ihr sagen. Ab.<br />

SANITÄTSRAT.<br />

[Bl 57 r ]<br />

Frau von Alsmann sagten Sie?<br />

MARTHA. Ja, ja. Wissen Sie vielleicht?<br />

SANITÄTSRAT. Ich selbst kenne sie nicht, Doktor Bresser ist dort Hausarzt; aber der sprach<br />

davon, die alte Dame hat gestern ihren einzigen Sohn, der den Krieg als Leutnant mitmacht,<br />

verloren.<br />

MARTHA ein Schrei. Verloren!? Rudolf v. Alsmann ist tot? – o Gott!<br />

SANITÄTSRAT. Sie stehen der Familie so nahe, Frau Gräfin? – Verzeihen Sie, ich wußte<br />

nicht –<br />

MARTHA. Als der Krieg erklärt war, war sie mit dem Sohne<br />

[Bl 57 v ]<br />

hier. „Wenn auch Du fällst, ich würde es nicht überleben,“ sagte sie ihm; „in andere Welten<br />

und auf andere Sterne, wo Du auch hinziehst, folg ich Dir nach.“ Nie konnte ich diese<br />

Worte vergessen, immer wieder mußte ich an sie denken, – nun ist der Sohn tot, – und sie<br />

selbst ist seit heute morgen verschwunden. Ich will sie suchen, will sehen, daß ich das Entsetzlichste<br />

noch abwenden kann, ich will zur Polizei gehen! –<br />

ALTHAUS. Ueberlaß das mir, mein Kind, ich will alles tun, was ich kann. Auf Wiedersehn!<br />

und nichts für ungut. Ab.<br />

MARTHA. Tot? Rudolf von Alsmann tot?! – Wie hat sie denn es erfahren? in der Verlustliste<br />

stand doch nichts?!<br />

[Bl 58 r ]<br />

SANITÄTSRAT. <strong>Die</strong> Verlustliste wird den Namen wohl heute bringen, sie selbst erfuhr es<br />

gestern schon durch ein Telegramm.<br />

MARTHA. Mein Gott, da – da ist mein Mann vielleicht auch schon tot; wenn ich doch nur ein<br />

einziges Zeichen hätte, daß er noch lebte! –<br />

SANITÄTSRAT. Verzehren Sie sich nicht selbst Gräfin! Solange Sie das Gegenteil noch nicht<br />

wissen.


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SOPHIE kommt mit Zeitung.<br />

MARTHA. Ein Brief? Ein Brief von meinem Arno?<br />

SOPHIE. <strong>Die</strong> Zeitung, gräfliche Gnaden, weiter nichts! Ab.<br />

[Bl 58 v ]<br />

MARTHA. Wieder nichts. Aber vielleicht bringt diese Zeitung wieder eine Liste der Gefallenen.<br />

SANITÄTSRAT. Kommen Sie, Gräfin, ich will nachsehen. Beide zu Tisch.<br />

MARTHA. Sagen Sie, wenn auch mein Mann dasteht, oder mein Bruder!<br />

SANITÄTSRAT. Weder das eine, noch das andere.<br />

MARTHA. So sind <strong>bei</strong>de noch am Leben?<br />

SANITÄTSRAT. Wäre das Gegenteil der Fall, so hätten Sie das schon auf andere Weise erfahren,<br />

Frau Gräfin.<br />

[Bl 59 r ]<br />

MARTHA liest. Ja, ja, Müller, Hamsing, Gurter – alles Tote – alles Tote, und da – da steht: den<br />

Heldentot für sein Vaterland erlitt Rudolf von Alsmann. – Aber mein Ein und Alles lebt, –<br />

er lebt, er lebt!<br />

SANITÄTSRAT. Würde Frau von Alsberg Alsmann nicht ebenso jubeln, wenn statt ihres Sohnes<br />

Arno v. Dotzky da stände? Aber gewiß, wer will Ihnen verdenken, daß sie den Himmel<br />

für die bisherige Rettung ihrer Lieben danken! – Aber leben Sie jetzt wohl, gnädige Gräfin,<br />

– sollte ich über Frau von Alsmann irgendetwas erfahren, sofort komme ich wieder.<br />

MARTHA. Ich danke Ihnen, Herr Sanitätsrat; wenn Sie<br />

[Bl 59 v ]<br />

wüßten, welchen Trost mir Ihr Besuch stets gewährt.<br />

SANITÄTSRAT. Trost? Ich tue nichts weiter wie meine Pflicht, Frau Gräfin, ich erfülle lediglich<br />

ein Versprechen, das ich Ihrem Herrn Gemahl gab. Aber leben Sie jetzt wohl und hoffen<br />

wir das beste. – Ab.<br />

MARTHA. Ja, Du lebst, mein Ein und Alles, Du lebst! Ließt. Und auch er steht nicht auf der<br />

Liste der Toten, – auch er lebt. Ruft. Sophie!<br />

SOPHIE kommt.<br />

[MARTHA.] Der Herr Graf lebt, Sophie, und auch Dein Liebster steht nicht auf der Liste der<br />

Gefallenen.<br />

SOPHIE. Der Herr Graf wird leben, gräfliche Gnaden, so einen Hohen übergeht man nicht,<br />

dessen Tot ständ<br />

[Bl 60 r ]<br />

in der Zeitung, aber so einen gewöhnlichen Soldaten den übergeht man leicht. Wenn mein<br />

Liebster auch nicht unter den Toden genannt ist, – aber er ist vielleicht längst mit tausend<br />

Anderen in ein Grab gescharrt, oder liegt einsam auf weitem Feld oder in einem Graben –<br />

oder Gott weiß wo –. Niemand vermißt ihn, niemand sucht ihn, kein Kreuz, kein Stein<br />

zeigt an, wo er gefallen ist.<br />

MARTHA. Sophie, so darfst Du nicht denken.<br />

SOPHIE. Was macht ein Soldat aus, unter so vielen? Vielleicht ist er längst verschollen und<br />

niemand weiß es, niemand achtet darauf, niemand – niemand. Ab.


Bertha von Suttner und Hans Engler: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

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[Bl 60 v ]<br />

MARTHA. Sie hat recht! Niemand achtet darauf, niemand hat sie vorher gefragt, ob sie hinausziehen<br />

wollen. Sie müssen, sie werden kommandiert, die, die ihr Leben lassen, entscheiden<br />

nicht ob Krieg, ob Frieden. Das Volk das seine besten Söhne opfert, wird nicht<br />

gefragt.<br />

ADELGUNDE kommt.<br />

Entsetzlich, liebe Martha, entsetzlich, eben haben sie Frau von Alsmann in einem Wagen<br />

in die Irrenanstalt geschafft; und das alles verursacht der Krieg. Entsetzlich, entsetzlich!<br />

Aber hast Du Nachricht von Hans oder von Arno?<br />

MARTHA. Nein, nein, nichts. –<br />

ADELGUNDE.<br />

[Bl 61 r ]<br />

Ja, ja, die werden leben, – und was den jungen Alsmann angeht, dem geht es jetzt wohl,<br />

Martha, er ist unter den Seligen. Für die welche auf dem Schlachtfeld bleiben, bereitet der<br />

Himmel seine schönsten Wohnungen. – Aber heute abend ißt Du <strong>bei</strong> uns, nicht wahr<br />

Martha? Sehr schönen Spargel hab ich, Büchsenspargel und Prager Schinken.<br />

MARTHA. Ich bitte Dich, Tante, laß mich allein. –<br />

ADELGUNDE. So willst Du nicht <strong>bei</strong> uns essen? Ich bin extra <strong>bei</strong> Bechers gewesen, wegen<br />

des Schinkens.<br />

MARTHA. Nur eine Bitte habe ich, laß mich allein.<br />

ADELGUNDE.<br />

[Bl 61 v ]<br />

Nun willst Du Deine alte Tante sogar verstoßen? – Ja, ja, ich gehe schon, ich gehe schon;<br />

es ist aber doch eine Schande schade um den Spargel und den Schinken. Ab.<br />

MARTHA. Wie träge die Zeit jetzt dahinschleicht. – Und nichts gibt Antwort auf meine<br />

Frage. Ach, Arno, könnte ich doch auf Flügeln zu Dir hineilen. – Wo bist Du jetzt? Lebst<br />

Du noch? Bist Du gerettet? Und auch du, Bruder, wie wird es Dir jetzt ergehen? – Kann<br />

ich das Leben nennen, schrieb er! Halt aus, Bruder! Über Berge und Ebenen ruf ich dir’s<br />

zu: Halt aus Bruder! Halt Deinen Namen rein und denke an Deinen Vater. Wenn Du mich<br />

liebst muß meine Stimme jetzt zu Dir dringen; ungewollt<br />

[Bl 62 r ]<br />

mußt Du jetzt fühlen, wie ich in dieser Sekunde an Dich denke, und was ich von Dir<br />

erbitte.<br />

SANITÄTSRAT kommt.<br />

Frau Gräfin, Ihr, Ihr Herr Bruder soll hier in Wien sein, man hat ihn gesehen.<br />

MARTHA schreit. O Gott!<br />

SANITÄTSRAT. Sein früherer Feldwebel, der seinerzeit zurückblieb, soll ihn erkannt und auf<br />

der Straße verhaftet haben, – aber er ist entflohen.<br />

MARTHA. Nein, nein, das ist undenkbar, wenn es desertiert wär, hätten wir’s längst erfahren,<br />

– dann wäre längst ein Steckbrief – –<br />

SANITÄTSRAT.


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[Bl 62 v ]<br />

Man kann ihn ja vermißt haben, oder man hielt ihn für verschollen. – Aber nun, wo er in<br />

Zivil hier gesehen worden ist –<br />

MARTHA. Eilen Sie, laufen Sie zum Kommandanten, zum Minister, bringen Sie mir Gewißheit,<br />

und wenn das Entsetzliche wirklich wahr wär, dann will ich mit dem schnellsten Zug,<br />

den ich erreichen kann, ins Kriegslager fahren, dann will ich den Kaiser aufsuchen und ihn<br />

fußfällig anflehen um Gnade.<br />

SANITÄTSRAT. Gräfin, wieviel Elend bringt doch dieser Krieg, und nicht nur Ihnen allein,<br />

auch allen andern. –<br />

MARTHA. Eilen Sie, lassen Sie keine Minute unnütz vorübergehen! –<br />

[Bl 63 r ]<br />

SANITÄTSRAT. Sie sollen Gewißheit haben, das ist das beste! – Ab.<br />

MARTHA. Nein, nein, das ist undenkbar, ganz undenkbar.<br />

HANS kommt in Zivil.<br />

Martha! – Martha! –<br />

MARTHA. Hans! – Hans! –<br />

HANS. Rette mich, Schwester, ich bin geflohen; nun ist man mir auf der Spur und verfolgt<br />

mich! –<br />

MARTHA. Da – da ist’s also wahr, Du bist geflohen? Bist desertiert?!<br />

HANS. Ich konnte ja nicht mehr, – ich konnte nicht! – Wenn Du wüßtest, wie ich gelitten<br />

hab, was für Gräuel ich<br />

[Bl 63 v ]<br />

gesehen hab. Eine Brustwehr sah ich, die war aus Leichen gebildet, alle aufeinander<br />

gehäuft, damit man geschützt darüber hinweg schießen konnte, und der Eine von ihnen<br />

lebte noch, bewegte die Arme. – Ein italienischer Soldat, stark wie Goliath, hat unsern<br />

kleinen Leutnant aus seinem Sattel gerissen und seinen Kopf am Fuße einer Madonnensäule<br />

zerschmettert. – – Und dann das Heimweh, Schwester, nach Dir, nach Euch<br />

allen!<br />

MARTHA. Einmal würde seine Schande unsere Namen für immer in den Schmutz ziehen,<br />

sprach der Vater.<br />

HANS. Ach Du weißt ja nicht, was ich gelitten habe; Du weißt es ja nicht! – Aber rette mich<br />

jetzt, verbirg mich!<br />

[Bl 64 r ]<br />

Nur die eine Nacht behalte mich hier! –<br />

MARTHA. Ich – ich darf Dir nicht <strong>bei</strong>stehen! –<br />

HANS. Schwester, verbirg mich, Schwester, verbirg mich! Sieh mal, ich war schlecht, aber ich<br />

will ein anderer werden, – ich will ar<strong>bei</strong>ten, bis mir die Finger bluten, ich will das Tageslicht<br />

nicht mehr sehen, – nur rette mich, – ich bin doch Dein Bruder! Tumult. Sie kommen, sie<br />

kommen! Ich verberge mich hier in dieses Zimmer! – Aber solltest Du, solltest Du mich<br />

verraten, Schwester?!<br />

MARTHA. Verbirg Dich in dem Alkofen, ich nehme den Schlüssel zu mir!<br />

HANS.<br />

Ach Schwester, meine liebe Schwester! Beide ab.<br />

[Bl 64 v ]


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SOPHIE von außen<br />

Zurück,! ohne weiteres darf ich sie nicht einlassen, gräfliche Gnaden haben mir’s befohlen!<br />

SCHRÖDER u. ZWEI SOLDATEN kommen.<br />

Lassen Sie die Physimatenten. – Los, zeigen Sie jetzt die Wohnung! Und das sage ich Ihnen<br />

gleich, an <strong>bei</strong>den Haustüren stehen Posten, entrinnen gibts nicht, – ganz unmöglich!<br />

MARTHA kommt.<br />

SOPHIE. Ich konnte sie nicht zurückhalten, gräfliche Gnaden, ich konnte nicht! –<br />

MARTHA. Es ist gut, Sophie, gehen Sie! Sophie ab. Was wün–<br />

[Bl 65 r ]<br />

schen Sie hier?<br />

SCHRÖDER. Haussuchung! Der Einjährige Althaus vom zehnten Infantrieregiment hat sich,<br />

als er auf Vorposten stand, von seinem Truppenteil heimlich entfernt.<br />

ALTHAUS kommt.<br />

Sie – sie suchen meinen Sohn?<br />

SCHRÖDER. Zu Befehl, Herr Oberst! –<br />

ALTHAUS. Ich – ich hörte vor wenigen Augenblicken von der Verhaftung; aber das – das ist<br />

ein Irrtum Ihrerseits, – ein großer Irrtum!<br />

SCHRÖDER. Ein Irrtum?<br />

[Bl 65 v ]<br />

ALTHAUS. Es gibt Doppelgänger, lieber Schröder, Doppelgänger. Wie ein Ei dem andern<br />

gleichen sich oft die Menschen.<br />

SCHRÖDER. Gestatten, Herr Oberst, ich selbst hatte ihn doch verhaftet!<br />

ALTHAUS. Er kann – die Schande kann mir mein Junge nicht angetan haben, er ist doch<br />

mein Sohn! – Sehen Sie denn das nicht ein? Schröder? Sehen Sie das nicht ein?!<br />

SCHRÖDER. Herr Oberst! –<br />

ALTHAUS. Durchsuchen Sie nur die Wohnung – Sie wer–<br />

[Bl 66 r ]<br />

den nichts finden! – Oder sollte, ohne daß ich es wüßte? – Dreht sich um. Martha, schwöre<br />

mir, schwöre mir, daß Du nichts von ihm weißt; sprich mir die Worte nach: Ich schwöre –<br />

MARTHA. Ich schwöre<br />

ALTHAUS. Daß ich nicht weiß –<br />

MARTHA. Daß ich nicht weiß –<br />

ALTHAUS. Wo mein Bruder –<br />

MARTHA. Wo mein Bruder –<br />

ALTHAUS. Sich aufhält!<br />

MARTHA. Sich aufhält!<br />

[Bl 66 v ]<br />

ALTHAUS setzt sich. So, nun ist’s gut, – nun suchen Sie, wo Sie wollen!<br />

SCHRÖDER. <strong>Die</strong>s ist das letzte Zimmer nach der Querstraße zu?


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MARTHA. Ja!<br />

SCHRÖDER zu den Soldaten. Folgt mir! Ab mit Soldaten.<br />

ALTHAUS. Wenn ich – wenn ich {mir} nur den Irrtum erklären könnte. – Als ob der Junge<br />

überhaupt bis nach Wien hätte kommen können, – wenn er desertiert wäre.<br />

SCHRÖDER von außen. In dem Zimmer ist noch eine Tür zu einem Nebenraum, Herr Oberst!<br />

[Bl 67 r ]<br />

ALTHAUS. Ein Alkofen, da steht altes Gerümple. –<br />

SCHRÖDER kommt.<br />

<strong>Die</strong> Tür ist verschlossen, Herr Oberst!<br />

ALTHAUS. Verschlossen?<br />

MARTHA. Ich habe den Schlüssel verlegt, – schon seit mehreren Tagen.<br />

Pause<br />

ALTHAUS. Ja, was stehen Sie da und sehen mich an? – Schlagen Sie die Tür ein! Glauben Sie,<br />

ich hielt einen Deserteur hier verborgen? Und wenn es hundert mal mein Sohn wär, ich<br />

würde ihn nicht schützen. Schlagen Sie die Tür ein, kehren Sie das ganze Haus um von<br />

unten bis oben!<br />

[Bl 67 v ]<br />

SCHRÖDER. Vielleicht ist die Tür zu öffnen, Herr Oberst, ich will sehen. Ab.<br />

ALTHAUS. Hier werden sie ihn nicht finden. Man hört die Tür einschlagen. Jetzt, jetzt schlagen<br />

sie die Tür ein, aber was liegt daran? Ein Stück Holz, das ist alles, das ist bald ersetzt. Aber<br />

es wird schon so dunkel – mach doch Licht. –<br />

SCHRÖDER u. SOLD. bringen HANS.<br />

Im Alkofen versteckt gewesen – und der Schlüssel fehlte.<br />

HANS. Hilfe! Hilfe!<br />

ALTHAUS. Was?! – was seh ich? Du – Du bist es?! –<br />

Macht doch Licht! – macht doch Licht! Bricht tot zusammen.<br />

[Bl 68 r ]<br />

MARTHA schreit. Vater – was – was ist Dir?! Sprich doch Vater, red nur ein Wort! –<br />

SCHRÖDER. Der redet nun nicht mehr, der bleibt stumm!<br />

HANS kniet. Vater ich – ich schwör Dir, ich schwör’s <strong>bei</strong> Gott dem Allmächtigen, ich wollte<br />

aushalten, – aber ich konnte nicht, – es ging über meine Kräfte! Höre mich an, Vater, ich<br />

konnte nicht, ich konnte nicht! – Und wenn sie mich jetzt erschießen, – dann – dann<br />

haben sie einen Unschuldigen erschossen, – einen Unschuldigen! –<br />

MARTHA kniet.<br />

[Bl 68 v ]<br />

Ach Vater – Vater!<br />

SCHRÖDER. Den Vater hat er in die Grube gebracht und sein Vaterland hat er verraten, – für<br />

sein ganzes Vaterland bleibt er ein Schandfleck so lange er leben wird. – Aber – nun<br />

Marsch, fort mit ihm, – und sollte er noch mal einen Fluchtversuch machen, – diesmal<br />

käm er nicht weit!


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HANS stürzt sich auf Schröder. Du Hund! – Du – Du Hund! Soldaten führen Hans ab. – Im Abgehen.<br />

Schwester, rette mich, ich – ich komme nicht wieder, ich komme nicht wieder! – Rette<br />

mich. Ab<br />

MARTHA will nach. Bruder! – mein Bruder! – Verfinstern.<br />

[Bl 69 r ]<br />

SCHRÖDER. Fügen Sie sich in das Unvermeitliche! –<br />

MARTHA. So sehe ich ihn nicht wieder?!<br />

SCHRÖDER zeigt auf Althaus. Dem können Sie nachtrauern bis an Ihr Ende. Aber der da hinaus<br />

ging, der ist es nicht wert! Ab.<br />

MARTHA allein. So seh ich ihn nicht mehr wieder, – der Vater ist tot, der Bruder wird<br />

erschossen.<br />

ARNO erscheint.<br />

[MARTHA.]Und jetzt, – jetzt höre ich, wie aus weiter Ferne, ein Sterberöcheln, – jetzt wirds<br />

leiser, – und jetzt ist’s still! – Arno, ich fühle es, auch Du bist tot, auch Du bist gestorben!<br />

Kniet.<br />

Ende des dritten Aktes<br />

VIERTER AKT<br />

Rotes Zimmer. Tisch und Stühle anders überziehen.<br />

Adelgunde u. Martha in schwarz.<br />

[Bl 69 v ]<br />

ADELGUNDE. Nun liegt der gute Johannes nebenan still und tot; nun wird er mir nicht mehr<br />

die Hand reichen, nie werd ich seine Stimme mehr hören können – der gute Johannes! –<br />

Und dann das Entsetzliche mit dem Jungen! Was wird nun aus ihm? Was soll nun werden?<br />

MARTHA. Durch die ganze Stadt bin ich geirrt; <strong>bei</strong>m Kommandanten war ich und <strong>bei</strong>m<br />

Minister, – auf den Knien hab ich gebeten, wie man nur zu seinem Gott betet: Retten Sie<br />

ihn, retten<br />

[Bl 70 r ]<br />

Sie wenigstens meinen Bruder!<br />

ADELGUNDE. Und was sagten sie?<br />

MARTHA. Nichts, ein Achselzucken, das war alles. Aber dieses Achselzucken sprach mehr<br />

wie Worte. – Ein Soldat, der im Krieg desertiert und seinen Posten verläßt und dadurch<br />

die anderen in größte Gefahr bringt –<br />

ADELGUNDE. Nein, nein, sie werden ihn nicht erschießen, – so hart und grausam kann niemand<br />

sein. Er ist ja doch noch ein Kind, – ist sich ja gar nicht bewußt –<br />

MARTHA. Erst wollte ich ins Hauptquartier, wollte mich dem Kaiser zu Füßen werfen, aber<br />

sie rieten<br />

[Bl 70 v ]<br />

mir ab, – vollständig zwecklos, – Majestät ließe sich doch nicht sprechen; da gab ich’s auf.<br />

Aber der Minister versprach mir, sofort an den Kaiser zu telegraphieren, ob er Gnade üben<br />

wollte, und versprach mir ihn seiner Gnade zu empfehlen, – nun warte ich. – Der Sanitäts-


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rat wird mir die Antwort bringen. – Seit Arno in den Krieg zog ist mein ganzes Leben nur<br />

Warten – nun ist er tot – nun warte ich auf die Antwort, die das Schicksal meines Bruders<br />

besiegelt.<br />

ADELGUNDE. Du versündigst Dich, wie kannst Du von Arnos Tod sprechen, wo er noch<br />

leben kann, – wo Du nicht einmal weißt –<br />

MARTHA.<br />

[Bl 71 r ]<br />

Ich weiß es! Ich habe seine Stimme gehört, und seine Nähe gefühlt, – und ob auch Berge<br />

und Wälder und weite Ebenen dazwischen liegen, – wie unsichtbare Fäden werden die<br />

Gedanken sich von einem zu dem anderen hinziehen, – sagte er <strong>bei</strong>m Abschied. Genau so<br />

war es; es gibt Augenblicke, wo man die Nähe eines lieben Menschen fühlt, wo wir ihn<br />

hören und mit ihm denken, – wo ein unsichtbares Etwas uns leise zuruft: Jetzt ist ihm<br />

etwas Entsetzliches begegnet, jetzt ist er tot, – jetzt muß er tot sein!<br />

ADELGUNDE. Willst Du Dich selbst Deiner Hoffnung berauben? Nein, Arno wird leben<br />

und auch Hans wird wieder zu uns zurückkehren –, nur der gute Johannes<br />

[Bl 71 v ]<br />

der wacht wieder auf! Ach wer hätte das gedacht, daß so viel Leid über eine einzige Familie<br />

hereinbrechen könnte!?<br />

MARTHA. Hundert – tausend – Familien haben dasselbe Leid zu tragen, man sieht es nur<br />

nicht. Jeder hat jetzt genug für sich selbst zu tragen. – O wäre doch dieser Krieg nicht<br />

gekommen, – wäre doch Frieden geblieben! –<br />

ADELGUNDE. Wer weiß, was der gute Johannes gesagt hätte, wenn er jetzt unter uns säße,<br />

wenn er all unser Leid und unseren Jammer mit ansehe. – Geh nun zu Bett, Kind, das ist<br />

das beste.<br />

MARTHA.<br />

[Bl 72 r ]<br />

Nein, nein, ich – ich muß warten! –<br />

ADELGUNDE. Warten. – bis die Antwort kommt? – Da können Tage, da können Wochen<br />

vergehen.<br />

MARTHA. <strong>Die</strong> Antwort muß diese Nacht kommen. Ruft. Wilhelm!<br />

KASPER kommt.<br />

Frau Gräfin befehlen?<br />

MARTHA. Ist nichts angekommen für mich?<br />

KASPER. Nichts, Frau Gräfin!<br />

MARTHA. Sie können wieder gehen.<br />

KASPER.<br />

Sehr wohl, Frau Gräfin. Ab.<br />

[Bl 72 v ]<br />

Zehn Uhr Schlagen.<br />

ADELGUNDE. Wie Zehn Uhr? Da mußte ich ihm immer seinen Thee bringen und seine<br />

Pfeife, und dann erzählte er mir immer – von seinen Kriegen, – vom Vater Radetzky. –<br />

Immer hörte ich geduldig zu, – ob wohl ich alles schon kannte. Tausendmal hatte ich es


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von ihm schon gehört, – nur doch, was gäbe ich darum, wenn es jetzt noch einmal von<br />

ihm hören könnte. Aber geh Du schlafen, mein Kind, gib Dir Mühe an nichts zu denken,<br />

dann werden Dir die Augen schon zufallen – und Du wirst schlafen. –<br />

MARTHA.<br />

[Bl 73 r ]<br />

Ja, ja, ich gehe schon!<br />

KASPER kommt mit Telegramm<br />

Für Herrn Oberst von Althaus. Legt es auf d. Tisch.<br />

ADELGUNDE. Martha, sollte es wirklich noch nicht genug sein des Leides? Geht zum Tisch und<br />

liest.<br />

MARTHA. Was sollte mir das Telegramm bringen, das ich nicht längst schon gewußt, nicht<br />

längst schon gewußt, nicht längst schon gefühlt hätte?<br />

ADELGUNDE schreit auf. Martha!<br />

MARTHA. Ich hab’s gewußt, und deshalb bin ich ruhig, ganz ruhig.<br />

ADELGUNDE. Mein Gott, Dein Mann tot Liest: Dotzky, in<br />

[Bl 73 v ]<br />

heutiger Schlacht schwer verwundet und seinen Verletzungen erlegen. Er kämpfte wie ein<br />

Held! Martha, nun bist Du Witwe geworden. Vor wenigen Wochen erst warst Du im<br />

Brautkleid – und nun bist Du Witwe.<br />

MARTHA. Ich hab’s gewußt. In der Stunde, in der ich ihn sah, ist er gestorben, – muß er<br />

gestorben sein, – anders ist es nicht möglich; da waren unsere Körper getrennt, – aber<br />

unsere Seelen waren zusammen; da hörte ich wie es mich rief, und er wird gefühlt haben,<br />

daß ich <strong>bei</strong> ihm war. Nun ist er tot, – nichts, nichts hat sich verändert; und ob Tausende<br />

und ob Millionen in dieser Stunde das gleiche Los durchzukämpfen haben,<br />

[Bl 74 r ]<br />

die Erde geht nicht aus ihren Angeln, der Himmel schickt uns kein Trosteswort, – nichts,<br />

nichts Ungewöhnliches schickt er, das uns tröstete. Könnte er uns nicht Mitleid haben,<br />

könnte er uns durch einen schnellen, schmerzlosen Tod nicht erlösen?<br />

ADELGUNDE. Aber Martha! –<br />

MARTHA. Wir müssen das geschickte Leid weiter tragen, bis wir uns selbst verzehren und<br />

verbluten – oder bis wir freiwillig denen nachfolgen, die vor uns hergingen.<br />

ADELGUNDE. Martha, wenn ich doch schlafen ich {auch} Dich verlieren sollte.<br />

[Bl 74 v ]<br />

MARTHA. Ach wenn ich doch schlafen könnte, schlafen – um nicht wieder aufzuwachen!<br />

Aber ich muß wachbleiben, – ich will ja doch warten wie sich das Geschick meines Bruders<br />

gestaltet. Ich hatte schon geglaubt, ich könnte nichts mehr gewinnen, und nichts mehr<br />

verlieren, und doch gibts für mich noch ein Hoffen und ein Bangen. Gott im Himmel,<br />

mein Vater ist tot, mein Ein und Alles hast Du mir genommen, nun laß wenigstens meinen<br />

Bruder gerettet sein, dann will ich Dir nicht grollen, dann will ich Dir kniefällig danken,<br />

daß Du ihn gerettet hast.<br />

ADELGUNDE. Er erhält ihn Dir. – Aber willst Du nicht zu Bett<br />

[Bl 75 r ]<br />

gehen? Es ist ja doch so wenig, was ich Dir zum Trost sagen kann, – was soll ich alte Frau<br />

tun, Dich zu trösten?


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MARTHA. Du hast recht, wir <strong>bei</strong>de haben unser Leid ja zu tragen, – was nützen auch Trostesworte<br />

in solchem Leid, – da ist es das beste, wenn jeder sich allein durchringt. – Aber<br />

ich bleibe wach, wenn Du von Hans etwas weißt, rufe mich. Ab.<br />

ADELGUNDE allein. Johannes, wenn Du noch lebtest, wenn Du dies Leid sehen würdest, ob<br />

Du auch dann noch sagen wirst, der Krieg soll zwanzig, soll dreißig Jahre dauern.<br />

KASPER kommt.<br />

Der Herr Sanitätsrat bittet um Einlaß.<br />

[Bl 75 v ]<br />

SANITÄTSRAT kommt.<br />

ADELGUNDE. Er soll eintreten. – – Herr Sanitätsrat wie ist’s? Ist er begnadigt?<br />

SANITÄTSRAT. Fräulein von Althaus –<br />

ADELGUNDE. Sagen Sie mir’s! Sagen Sie alles, aber leise, daß sie’s nicht hört, – sie hat ihren<br />

Mann verloren! –<br />

SANITÄTSRAT. O mein Gott! –<br />

ADELGUNDE. Vor wenigen Augenblicken bekam sie das Telegramm. – Aber sagen Sie, ist er<br />

gerettet? Sagen Sie mir alles, ich will stark sein, alles will<br />

[Bl 76 r ]<br />

ich tragen, um Martha stützen zu können. – Er – er ist nicht begnadigt?!<br />

SANITÄTSRAT. In dieser Nacht wird er erschossen; ich habe noch getan, was ich tun konnte,<br />

aber es half alles nichts. Gerade in dieser schweren Zeit, die uns noch keinen Sieg gebracht<br />

hätte, wäre die größte Energie und alles nötig die Scharte wieder auszuwetzen, da muß die<br />

Disziplin eiserner sein denn jeh. –<br />

MARTHA kommt.<br />

Bringen Sie Antwort? Ist er begnadigt, bleibt er am Leben? Sprechen Sie! Er muß ja<br />

begnadigt sein! Sagen Sie, daß es der Fall ist; sehen Sie, ich habe meinen Mann verloren<br />

[Bl 76 v ]<br />

meinen Vater, – nun sagen Sie wenigstens, daß mein Bruder gerettet ist.<br />

SANITÄTSRAT. Sein – sein Schicksal ist noch nicht entschieden.<br />

MARTHA. Ist noch nicht entschieden? Es wäre also eine Antwort gekommen, aber die sagte<br />

noch nichts Bestimmtes? – Nein, nein, ich lese die Antwort aus Ihren Augen, was Sie nicht<br />

sagen wollen!<br />

SANITÄTSRAT. Gräfin –<br />

MARTHA. Bruder, armer – armer Bruder!<br />

SANITÄTSRAT. Ja, Gräfin, Ihnen bleibt nichts erspart, bis zur Neige müssen Sie den Schmerzenskelch<br />

leeren,<br />

[Bl 77 r ]<br />

aber seien Sie standhaft, der Himmel, der Ihnen das große Leid geschickt hat –<br />

MARTHA lacht. Der Himmel!? O, es kann keinen Gott im Himmel geben, keinen Gott, der<br />

das wollte alles gewollt hat; der Gott der Liebe und der Güte sollte diesen Krieg heraufbeschworen<br />

haben, sollte Hunderttausend so elend machen? Sollte jetzt mit Raub und Brand


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und Schrecken durch die Lande fahren, sollte tausende von unschuldigen Menschen hinmähen,<br />

wie ein Schnitter seine Saat? –<br />

ADELGUNDE. Martha, auch im Unglück soll der Mensch nicht murren.<br />

MARTHA.<br />

[Bl 77 v ]<br />

Nein, ich murre nicht, – ich bin nur müde.<br />

SANITÄTSRAT. Ruhen Sie etwas, Frau Gräfin.<br />

MARTHA. Nun brauch ich nicht mehr zu hoffen und zu warten, – alles vor<strong>bei</strong>, alles ist tot<br />

und leer in mir.<br />

ADELGUNDE. Dir wird der Schlaf die Augen bald zudrücken, – Martha komm, ich bringe<br />

Dich zu Bett.<br />

MARTHA. Wann wird die Hinrichtung vollstreckt werden?<br />

SANITÄTSRAT. Ich weiß es nicht, – aber sein Tod ist schnell und schmerzlos, – wie unbewußt.<br />

MARTHA.<br />

[Bl 78 r ]<br />

Schmerzlos? Ja der Tod ist schmerzlos, aber die Minuten, die Stunden vorher! – O wäre er<br />

wenigstens so gestorben wie Giordano! – Ich danke Ihnen, Herr Sanitätsrat – für alles.<br />

ADELGUNDE. Ja, ja, ich bringe Dich zu Bett, mein Kind. –<br />

MARTHA. Ich finde mich schon. – Schlafe wohl, Tante, schlafe wohl. Ab.<br />

SANITÄTSRAT. O dieses namenlose Leid, gnädiges Fräulein, ich habe manches Leid und<br />

manchen Kummer gesehen in meinen Jahren, ich kann die Male nicht zählen, wo ich an<br />

Krankenlagern das Wort aussprach, das nur der Arzt so ruhig und gelassen<br />

[Bl 78 v ]<br />

ausspricht: „Tot!“ aber noch nie erschütterte mich ein Leid so sehr, wie dieses.<br />

ADELGUNDE. Ach ja, Sie sind ja auch schon seit vielen Jahren mit uns befreundet. –<br />

SANITÄTSRAT. Das ist’s nicht allein; am schmerzlichsten ist mir der Gedanke, – wie leicht<br />

dies alles hätte abgewendet werden können. – Aber sehen Sie nachher noch mal nach der<br />

Gräfin. – Morgen früh komm ich dann wieder. Leben sie wohl! Ab.<br />

ADELGUNDE ruft. Wilhelm, Wilhelm.<br />

KASPER kommt.<br />

Fraulein von Althaus?<br />

[Bl 79 r ]<br />

ADELGUNDE. Wilhelm, gehen Sie auch schlafen, Frau Gräfin hat heute keinen Wunsch<br />

mehr.<br />

KASPER. Jawohl, Frl. v. Althaus.– Gähnt ab.<br />

SANITÄTSRAT kommt.<br />

Ich komme nochmals wieder. Schläft die Gräfin? ist sie zu Bett?<br />

ADELGUNDE. Es ist alles still.<br />

SANITÄTSRAT. Ich weiß nicht, ich habe so eine Angst Geht an Seite. Ist das das Zimmer?<br />

ADELGUNDE. Ja.


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SANITÄTSRAT klopft.<br />

[Bl 79 v ]<br />

Frau Gräfin – Frau Gräfin – Frau Gräfin, schlafen Sie schon? Alles still.<br />

ADELGUNDE. Mein Gott, da ist etwas passiert!<br />

SANITÄTSRAT. Frau Gräfin! Bringt Martha geführt. Mein Gott, was ist geschehen, was haben<br />

Sie gemacht?!<br />

MARTHA schwach. Warum weckt Ihr mich? Es war bald vorüber. Sinkt auf den Stuhl.<br />

SANITÄTSRAT. Geben Sie ihr Milch, sie hat Gift genommen, schnell, ich komme gleich wieder!<br />

Schnell ab.<br />

ADELGUNDE. Du – Du hast – –<br />

[Bl 80 r ]<br />

MARTHA. Sei ruhig – ich gehe nun schlafen, und auch Du – folgst uns bald nach – grüße –<br />

alle von mir – und sage – der letzte Schrei den ich zum Himmel emporgeschickt hätte,<br />

wäre gewesen: <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>! <strong>Die</strong> <strong>Waffen</strong> <strong>nieder</strong>!<br />

ADELGUNDE. Du darfst nicht sterben, Du darfst nicht! Was soll ich alte Frau ohne Dich?<br />

Was soll ich noch allein auf der Welt? – Rotfeuer.<br />

MARTHA. Du folgst – uns bald – nach – dann sind wir – alle – wieder zusammen – Arno ich<br />

– komme, über Berge und Wälder – folg ich Dir – ich folge Dir durch – die Nacht – zu<br />

anderen Sternen und<br />

[Bl 80 v ]<br />

anderen – Welten – und suche – bis ich – Dich finde. – Arno, wo – wo kann ich Dich finden.<br />

– Wo – wo – Arno Sinkt tot hin.<br />

ADELGUNDE mit lautem Schrei. Martha – Martha! –<br />

[ENDE.]<br />

Geschr. im Mai 1922<br />

M. Schm.<br />

[Bl 81 r /U3: Personenverzeichnis, siehe Beginn des Textes]<br />

[U 4]

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