Der Wert von Produktvielfalt: - Universität St.Gallen
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<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>:<br />
Wirkung großer Sortimente auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten<br />
DISSERTATION<br />
der <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>,<br />
Hochschule für Wirtschafts-,<br />
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)<br />
zur Erlangung der Würde eines<br />
Doktors der Wirtschaftswissenschaften<br />
vorgelegt <strong>von</strong><br />
Michael Riemenschneider<br />
aus<br />
Deutschland<br />
Genehmigt auf Antrag der Herren<br />
Prof. Dr. Andreas Herrmann<br />
und<br />
Prof. Dr. Torsten Tomczak<br />
Dissertation Nr. 3142<br />
Deutscher <strong>Universität</strong>s-Verlag, Wiesbaden 2006
Die <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften<br />
(HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne<br />
zu den darin ausgesprochenen Anschauungen <strong>St</strong>ellung zu nehmen.<br />
<strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>, den 17. November 2005<br />
<strong>Der</strong> Rektor:<br />
Prof. Ernst Mohr, PhD<br />
Die Arbeit erscheint unter dem Titel: „<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>: Wirkung großer<br />
Sortimente auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten“, in Reinhold Decker, Franz-Rudolf<br />
Esch, Andreas Herrmann, Henrik Sattler, Herbert Woratschek (Hrsg.): Marken- und<br />
Produktmanagement, Deutscher <strong>Universität</strong>s-Verlag, Wiesbaden, 2006.<br />
ISBN 3-8350-0305-4
Geleitwort<br />
„Je mehr, desto besser“ lautete lange Zeit – und lautet häufig noch immer – die Devise<br />
<strong>von</strong> Unternehmen im Hinblick auf die Größe der <strong>von</strong> ihnen angebotenen Vielfalt an<br />
Produkten. Basis dieser Argumentation ist die Annahme, dass die Bedürfnisse <strong>von</strong><br />
Konsumenten verschieden sind und durch eine höhere Anzahl <strong>von</strong> Produkten besser<br />
erfüllt werden können als durch eine geringe. Dieser Logik folgend ist die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument ein seinen Bedürfnissen entsprechendes<br />
Produkt findet und kauft, bei großer Auswahl höher als bei kleiner.<br />
Doch sowohl in der Praxis als auch in der Forschung wurden die Grenzen dieser<br />
Argumentation deutlich. So haben zahlreiche Forschungsarbeiten – in neuerer Zeit v.a.<br />
im Themenfeld der Konsumentenverwirrtheit – gezeigt, dass Konsumenten<br />
Schwierigkeiten mit der hohen Komplexität großer Vielfalt haben, in deren Folge<br />
sowohl ihre Kaufabsicht als auch Zufriedenheit sinkt.<br />
Riemenschneider wendet sich mit seiner Arbeit dem Spannungsfeld hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> zu und erklärt mittels eines auf umfassender theoretischer Basis<br />
entwickelten Kosten-und-Nutzen-Ansatzes, welche positiven (Nutzen) und negativen<br />
(Kosten) Aspekte Konsumenten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> verbinden und wie sich<br />
diese auf deren Verhalten auswirken. Die Ergebnisse der umfassenden und<br />
anspruchsvollen empirischen Untersuchungen verdeutlichen zum einen, dass (zu)<br />
große Sortimente aus Konsumenten – und somit auch aus Unternehmenssicht – mit<br />
deutlichen Nachteilen verbunden sind und „mehr“ nicht „besser“ sondern sogar<br />
„schlechter“ sein kann. Zum anderen verdeutlichen die Untersuchungsergebnisse<br />
Einflussstärke und Bedeutung einzelner positiver und negativer Facetten hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Entscheidungsverhalten und die Zufriedenheit <strong>von</strong><br />
Konsumenten.<br />
Die auf Basis des Modells abgeleiteten Erklärungsansätze hierfür sind sowohl für die<br />
Wissenschaft als auch für die Praxis relevant. So zeigt Riemenschneider anschaulich<br />
und auf umfassender theoretischer Basis die Zusammenhänge positiver und negativer<br />
Aspekte großer Sortimente mit dem Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten auf und entwickelt<br />
ein Instrumentarium, diese zu messen.<br />
I
Für den Praktiker – insbesondere für Handelsunternehmen und Hersteller <strong>von</strong><br />
Gebrauchs- und Verbrauchsgütern – leitet der Autor aus den Untersuchungsergebnissen<br />
umfassende praxisorientierte und pragmatische Handlungsempfehlungen zur<br />
Optimierung <strong>von</strong> Sortimenten und der Gestaltung des Marketing-Mix ab. Vor diesem<br />
Hintergrund wünsche ich der Arbeit eine weite Verbreitung.<br />
Professor Dr. Andreas Herrmann<br />
II
Vorwort<br />
Die stete Sortimentserweiterung <strong>von</strong> Handelsunternehmen und Herstellern <strong>von</strong> Geund<br />
Verbrauchsgütern verdeutlicht ebenso wie die Entstehung immer größerer<br />
Einkaufszentren und Gigastores, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Unternehmen ein<br />
bedeutendes Marketinginstrument ist, um Konsumenten anzuziehen und zum Kauf zu<br />
motivieren. Gleichzeitig ist sowohl in der Praxis als auch in der Forschung eine<br />
intensiver werdende Diskussion der negativen Auswirkungen (über)großer Sortimente<br />
auf das Entscheidungsverhalten und die Zufriedenheit der Konsumenten zu<br />
beobachten. Aus der Sicht <strong>von</strong> Konsumenten hat hohe <strong>Produktvielfalt</strong> demnach<br />
sowohl positive als auch negative Aspekte, die beide ihr Verhalten beeinflussen. <strong>Der</strong><br />
dieser Arbeit zu Grunde liegende Kosten- und Nutzenansatz identifiziert bedeutende<br />
positive und negative Facetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, beschreibt Zusammenhänge<br />
zwischen diesen und dem Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten und überprüft diese mittels<br />
umfassender empirischer Untersuchungen. Die hohe Praxisrelevanz des Themas und<br />
die Faszination der fachgebietsübergreifenden Fragestellungen bildeten die Motivation<br />
für diese Forschungsarbeit.<br />
Bei den zahlreichen Personen, die mich hierbei direkt oder indirekt unterstützt haben,<br />
möchte ich mich an dieser <strong>St</strong>elle bedanken:<br />
Insbesondere und allen voran danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Andreas<br />
Herrmann. Er hat durch seine intensive Betreuung, seine konstruktiven Vorschläge<br />
und seine hohe Fachkompetenz wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen.<br />
Mein Dank gilt ebenso Herrn Prof. Dr. Torsten Tomczak für die Übernahme des<br />
Korreferats und seine praxisnahen Anregungen und konstruktiven Analysen, die nicht<br />
nur bei der Detaillierung der Fragestellung sehr hilfreich waren.<br />
Bedanken möchte ich mich auch bei meinen ehemaligen Kollegen <strong>von</strong> The Boston<br />
Consulting Group. Insbesondere danke ich der Münchner Doktorandengruppe sowie<br />
Hrn. Dr. Fabian <strong>von</strong> Löwenfeld für intensive fachliche Diskussionen und<br />
willkommene Gespräche abseits der Promotion. Für die infrastrukturelle Unterstützung<br />
im BCG-Büro in München bin ich besonders Georg <strong>St</strong>icher und Dr. Kai Obring<br />
zu Dank verpflichtet.<br />
Nicht zuletzt möchte ich meiner Mutter Elfriede Riemenschneider danken, die mein<br />
<strong>St</strong>udium intensiv unterstützt und damit diese Arbeit erst ermöglicht hat.<br />
III
Lob gebührt auch Herrn Dr. Hans Kluth, der dankenswerterweise die mühselige Arbeit<br />
des Korrekturlesens übernahm.<br />
Für die Unterstützung der empirischen Untersuchung möchte ich mich bei den<br />
Mediamarkt-Geschäftsführern Edel, Herter, Kreipl und Kretzschmar sowie bei den<br />
710 Teilnehmern der Befragung bedanken.<br />
Für ihre unschätzbare Hilfe danke ich schließlich meiner Freundin Vanessa Kluth. Ihre<br />
Geduld und ihr Verständnis halfen mir entscheidend, diese Arbeit zu vollenden.<br />
München, im Dezember 2005<br />
Michael Riemenschneider<br />
IV
Inhaltsübersicht<br />
1. <strong>Produktvielfalt</strong> und ihre Wirkung: Grundlagen und Zielsetzung der<br />
Arbeit 1<br />
1.1 Die Bedeutung der <strong>Produktvielfalt</strong> aus Marketingsicht 1<br />
1.2 Präzisierung des Untersuchungsgegenstands 9<br />
1.3 <strong>St</strong>ruktur der weiteren Untersuchung 40<br />
2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung 42<br />
2.1 Bestandsaufnahme: Empirische Forschungsergebnisse ausgewählter<br />
<strong>St</strong>udien zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten 42<br />
2.2 Grundlegende theoretische Perspektiven zur Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten 68<br />
2.3 Theoretische Bezugspunkte zur Erklärung der Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 94<br />
3. Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 187<br />
3.1 Grundlagen der Messung <strong>von</strong> Konstrukten 187<br />
3.2 Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Kosten- und Nutzendimension 208<br />
3.3 Pretest 230<br />
3.4 Hauptuntersuchung 251<br />
3.5 Zusammenfassung 300<br />
4. Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen der Vielfalt auf das<br />
Konsumentenverhalten 302<br />
4.1 Methodik und Vorgehensweise bei der Analyse der Daten 302<br />
4.2 Wirkung auf das Kaufverhalten 307<br />
4.3 Wirkung auf die Kauf- und Nachkaufbewertung 310<br />
4.4 Erweiterte Modelle und weiterführende Untersuchungen 341<br />
5. Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 366<br />
5.1 Sortimentseigenschaften als Determinanten 366<br />
5.2 Empirische Untersuchung 373<br />
5.3 Zusammenfassung 385<br />
6. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 387<br />
6.1 Die Ergebnisse der Untersuchung aus Sicht der Marketingtheorie 387<br />
6.2 Implikationen für die Unternehmenspraxis 397<br />
Literaturverzeichnis 411<br />
V
Inhaltsverzeichnis<br />
Zusammenfassung<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis<br />
XIII<br />
XV<br />
XXI<br />
1. <strong>Produktvielfalt</strong> und ihre Wirkung: Grundlagen und Zielsetzung der<br />
Arbeit 1<br />
1.1 Die Bedeutung der <strong>Produktvielfalt</strong> aus Marketingsicht 1<br />
1.2 Präzisierung des Untersuchungsgegenstands 9<br />
1.2.1 Begriffliche Grundlagen 9<br />
1.2.2 Identifikation relevanter Größen der Untersuchung: Ablauf <strong>von</strong><br />
Kaufentscheidungen und die Rolle der <strong>Produktvielfalt</strong> 15<br />
1.2.3 Zielsetzung, forschungsleitende Fragestellungen und Abgrenzung<br />
des Untersuchungsgegenstands 28<br />
1.2.3.1 Forschungsbedarf 28<br />
1.2.3.2 Ziele der Untersuchung und Forschungsfragen 30<br />
1.2.3.3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands 33<br />
1.3 <strong>St</strong>ruktur der weiteren Untersuchung 40<br />
2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung 42<br />
2.1 Bestandsaufnahme: Empirische Forschungsergebnisse<br />
ausgewählter <strong>St</strong>udien zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten 42<br />
2.1.1 Amos Tversky und Eldar Shafir (1992): Choice under Conflict:<br />
The Dynamics of Deferred Decision 42<br />
2.1.2 Donald A. Redelmeier und Eldar Shafir (1995): Medical Decision<br />
Making in Situations That Offer Multiple Alternatives. 46<br />
2.1.3 Ravi Dhar (1997): Consumer Preference for a No-Choice Option 49<br />
VII
2.1.4 John Gourville und Dilip Soman (1999): Is More Choice Always<br />
Better? The Effect of Assortment Type on Consumer Choice 51<br />
2.1.5 Sheena S. Iyengar und Mark R. Lepper (2000): When Choice is<br />
Demotivating: Can One Desire Too Much of a Good Thing? 58<br />
2.1.6 Sheena Iyengar, Wei Jiang und Gur Huberman (2003): How<br />
Much Choice is Too Much? Contributions to 401(k) Retirement<br />
Plans 62<br />
2.1.7 Zusammenfassung der <strong>St</strong>udien 65<br />
2.2 Grundlegende theoretische Perspektiven zur Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten 68<br />
2.2.1 Die gegensätzlichen Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und<br />
Informationsüberlastung 68<br />
2.2.1.1 Die Hypothese des Informationsdefizits 69<br />
2.2.1.2 Die Hypothese der Informationsüberlastung (Information<br />
Overload) 70<br />
2.2.2 Die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level 80<br />
2.2.3 <strong>Produktvielfalt</strong> und „The Tyranny of Freedom” 84<br />
2.2.4 Zusammenfassung 90<br />
2.3 Theoretische Bezugspunkte zur Erklärung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 94<br />
2.3.1 Theorien zur Erklärung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 94<br />
2.3.1.1 Nutzenerwartungswerttheorie und rationale<br />
Entscheidungstheorie 95<br />
2.3.1.2 Hedonic Shopping Value 106<br />
2.3.1.3 Zusammenfassung 121<br />
2.3.2 Theorien zur Erklärung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 122<br />
2.3.2.1 The Cost of Thinking 122<br />
2.3.2.2 Konflikt-Theorie 134<br />
2.3.2.3 Antizipiertes Regret 158<br />
VIII
2.3.3 Hypothesen und Modellentwicklung 176<br />
2.3.3.1 Hypothesen zu Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 178<br />
2.3.3.2 Hypothesen zu den Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 183<br />
3. Messung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 187<br />
3.1 Grundlagen der Messung <strong>von</strong> Konstrukten 187<br />
3.1.1 Grundlagen der Konstruktmessung 187<br />
3.1.1.1 Begriffliche Grundlagen 187<br />
3.1.1.2 Das Messmodell im Kontext <strong>von</strong> <strong>St</strong>rukturgleichungsmodellen 190<br />
3.1.2 Das Messmodell 192<br />
3.1.2.1 Das reflektive Messmodell 194<br />
3.1.2.2 Das formative Messmodell 197<br />
3.1.2.3 Entscheidungskriterien zur Verwendung formativer oder<br />
reflektiver Messmodelle 204<br />
3.1.3 Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für<br />
den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Dimensionen 207<br />
3.2 Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und seiner Kosten- und Nutzendimension 208<br />
3.2.1 Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 209<br />
3.2.1.1 Konzeptualisierung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 210<br />
3.2.1.2 Konzeptualisierung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 211<br />
3.2.2 Operationalisierung 214<br />
3.2.2.1 Vorgehensweise und Quellen zur Generierung der<br />
Indikatoren 214<br />
3.2.2.2 Operationalisierung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 217<br />
3.2.2.3 Operationalisierung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 222<br />
3.2.2.4 Art der Messmodelle 226<br />
IX
3.3 Pretest 230<br />
3.3.1 Methodik und Gütekriterien 231<br />
3.3.2 Untersuchungsdesign 237<br />
3.3.3 Ergebnisse der Analysen 240<br />
3.3.3.1 Faktoren der Nutzendimension 240<br />
3.3.3.2 Faktoren der Kostendimension 245<br />
3.3.3.3 Gesamtbeurteilung 248<br />
3.4 Hauptuntersuchung 251<br />
3.4.1 Analyseverfahren und Gütekriterien 251<br />
3.4.1.1 Auswahl eines geeigneten Analyseverfahrens 251<br />
3.4.1.2 <strong>Der</strong> PLS-Ansatz 253<br />
3.4.1.3 Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle 259<br />
3.4.2 Untersuchungsdesign und Auswahl der Datensätze 273<br />
3.4.2.1 Untersuchungsdesign 273<br />
3.4.2.2 Auswahl der Datensätze 276<br />
3.4.3 Ergebnisse der Analysen 278<br />
3.4.3.1 Deskriptive und soziodemographische Analysen 278<br />
3.4.3.2 PLS-Messmodell der Nutzendimension 283<br />
3.4.3.3 PLS-Messmodell der Kostendimension 293<br />
3.5 Zusammenfassung 300<br />
4. Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt auf das<br />
Konsumentenverhalten 302<br />
4.1 Methodik und Gütekriterien bei der Analyse der Daten 302<br />
4.1.1 Methodik und Vorgehensweise 302<br />
4.1.2 Gütekriterien zur Beurteilung des <strong>St</strong>rukturmodells 303<br />
4.2 Wirkung auf das Kaufverhalten 307<br />
4.3 Wirkung auf die Kauf- und Nachkaufbewertung 310<br />
4.3.1 Messmodelle der endogenen Konstrukte 310<br />
4.3.1.1 Operationalisierung der Konstrukte 310<br />
X<br />
4.3.1.2 Überprüfung der Messmodelle im Pretest 316
4.3.2 Ergebnisse des PLS-Modells der Hauptuntersuchung 323<br />
4.3.2.1 Ebene 1: Messmodelle der endogenen Konstrukte 323<br />
4.3.2.2 Ebene 2: <strong>St</strong>rukturmodell 328<br />
4.3.2.3 Zusammenfassung 339<br />
4.4 Erweiterte Modelle und weiterführende Untersuchungen 341<br />
4.4.1 Erweitertes <strong>St</strong>rukturmodell 341<br />
4.4.2 Einfluss <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 343<br />
4.4.2.1 Messung der Konstrukte Beratungszufriedenheit und<br />
Preisführerschaft 343<br />
4.4.2.2 <strong>Der</strong> Einfluss <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und<br />
Preisführerschaft auf die Kaufentscheidung und<br />
Nachkaufbewertung 347<br />
4.4.3 Personenimmanente Eigenschaften 352<br />
4.4.3.1 Expertise 352<br />
4.4.3.2 Optimum <strong>St</strong>imulation Level (OSL) 358<br />
4.4.4 Zusammenfassung 363<br />
5. Determinanten der Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 366<br />
5.1 Sortimentseigenschaften als Determinanten 366<br />
5.1.1 Potenzielle Einflussfaktoren des Sortiments 366<br />
5.1.2 Operationalisierung der untersuchten Einflussfaktoren 369<br />
5.2 Empirische Untersuchung 373<br />
5.3 Zusammenfassung 385<br />
6. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 387<br />
6.1 Die Ergebnisse der Untersuchung aus Sicht der Marketingtheorie 387<br />
6.2 Implikationen für die Unternehmenspraxis 397<br />
Literaturverzeichnis 411<br />
XI
XII
Zusammenfassung<br />
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Wirkung großer Sortimente auf das<br />
Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten. Im Zentrum stehen dabei drei Fragen, die auf Basis eines<br />
Kosten- und Nutzenansatzes theoretisch und empirisch untersucht werden:<br />
1. Welche positiven und negativen Aspekte verbinden Konsumenten mit hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>?<br />
2. In welchem Zusammenhang stehen diese Phacetten mit dem Ausgang der<br />
Kaufentscheidung und der Bewertung <strong>von</strong> Kaufprozess und Produkt.<br />
3. Durch welche quantitativen und qualitativen Eigenschaften des Sortiments<br />
werden Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst?<br />
Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen, dass Konsumenten zum einen Spaß an<br />
hoher Vielfalt haben und mit ihr die Möglichkeit der Informationsgewinnung und eine<br />
große Chance des erfolgreichen Abschlusses der Kaufhandlung verbinden. Zum<br />
anderen fühlen sie sich durch hohe Vielfalt aber verwirrt, empfinden den<br />
Entscheidungsprozeß als geistig und emotional anstrengend und antizipieren Bedauern<br />
über die potenzielle Fehlentscheidung.<br />
Mit Hilfe des entwickelten und empirisch getesteten Instrumentariums zur Messung<br />
<strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wird gezeigt, dass sich die Kosten hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> negativ auf die Kaufentscheidung und die Zufriedenheit des<br />
Konsumenten mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt auswirken.<br />
Gleichzeitig gilt, dass die positiven Phacetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong> das<br />
Konsumentverhalten positiv beeinflussen. Die Ergebnisse verdeutlichen sowohl die<br />
Verhaltensrelevanz des untersuchten Konstrukts als auch die konträren Effekte großer<br />
Sortimente im Hinblick auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten.<br />
Für die Praxis ist insbesondere relevant, dass durch die Gestaltung des Sortiments<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> – und somit auch das Verhalten <strong>von</strong><br />
Konsumenten – beeinflusst werden können. So zeigen die Ergebnisse u.a., dass sich<br />
(zu) hohe Vielfalt doppelt negativ auswirkt und sowohl die positiven Vielfaltaspekte<br />
abschwächt, als auch die negativen erhöht.<br />
Auf Basis der Untersuchungserkenntnisse werden für den Praktiker konkrete und<br />
pragmatische Handlungsempfehlungen zur Optimierung der Sortimentsgestaltung<br />
abgeleitet.<br />
XIII
XIV
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Anzahl der PKW-Varianten und durchschnittlicher Marktanteil<br />
pro Variante in Deutschland <strong>von</strong> 1981 bis 2000 4<br />
Abbildung 2: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong>gewinn 12<br />
Abbildung 3: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als mediierendes Konstrukt<br />
zwischen Sortiment und Konsumentenverhalten 14<br />
Abbildung 4: Das Consumer-Decision-Process-Modell <strong>von</strong> Engel, Blackwell<br />
und Miniard 16<br />
Abbildung 5: Entscheidungsmatrix in einer Kaufsituation 18<br />
Abbildung 6. Aufwand und Genauigkeit <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien 21<br />
Abbildung 7: Grafische Veranschaulichung der Forschungsfragen 33<br />
Abbildung 8: Eigenschaften verschiedener Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen 38<br />
Abbildung 9: Aufbau der Arbeit 41<br />
Abbildung 10: Ergebnisse der Untersuchungen <strong>von</strong> Tversky/Shafir (1992) 45<br />
Abbildung 11: Auswirkung verschieden hoher Alternativenzahl auf das<br />
Entscheidungsverhalten bei medizinischen Entscheidungen 47<br />
Abbildung 12: <strong>Der</strong> Anteil der Käufer in verschiedenen Produktkategorien ist<br />
abhängig <strong>von</strong> Anzahl und Art der verfügbaren Alternativen 50<br />
Abbildung 13: Vergleichbare Produktlinie (Alignable Assortment) und<br />
nicht-vergleichbare Produktlinie (Non-alignable Assortment) 53<br />
Abbildung 14: Kaufwahrscheinlichkeit bei einem vergleichbaren und<br />
nicht-vergleichbaren Sortiment 55<br />
Abbildung 15: Die Auswirkung der Größe eines nicht-vergleichbaren<br />
Sortiments<br />
auf die Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten eine extreme<br />
Option auswählen 57<br />
Abbildung 16: Ergebnisse der <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper 2000 59<br />
Abbildung 17: Zusammenhang der Anzahl angebotener Fonds und<br />
Teilnahmequote an betrieblichem Pensionsplan 64<br />
Abbildung 18: <strong>St</strong>ruktur des Theorieteils 67<br />
Abbildung 19: Informationsaufnahme und -verarbeitung im Drei-Speicher-<br />
Modell 71<br />
XV
Abbildung 20: Kurzzeitspeicher ist Engpass bei der menschlichen<br />
Informationsverarbeitung 73<br />
Abbildung 21: <strong>Der</strong> Information Overload Effekt 75<br />
Abbildung 22 Die Entscheidungsqualität in Anhängigkeit der Merkmals- und<br />
Alternativenzahl 76<br />
Abbildung 23: Vergleich verfügbarer und bei der Entscheidung berücksichtigter<br />
Alternativenzahl für verschiedene Produktarten 79<br />
Abbildung 24: Zusammenhang <strong>von</strong> Erregungspotenzial und Hedonic Value und<br />
deren Abhängigkeit <strong>von</strong> Persönlichkeitsmerkmalen 83<br />
Abbildung 25: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und positiver<br />
Konsumerfahrung 87<br />
Abbildung 26: Hypothese des abnehmenden Grenznutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 91<br />
Abbildung 27: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der<br />
Nutzenerwartungswerttheorie und dem Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 105<br />
Abbildung 28: Antezedenzien und Konsequenzen der hedonistischen und<br />
utilitaristischen Dimension des Perceived Shopping Values 112<br />
Abbildung 29: Hedonistische und utilitaristische Nutzendimensionen <strong>von</strong> Sales<br />
Promotions 114<br />
Abbildung 30: Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils: <strong>Der</strong> Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> utilitaristischer und hedonistischer Produktbewertung,<br />
positivem und negativem Affekt und der Zufriedenheit 115<br />
Abbildung 31: Zusammenfassende Darstellung der Zusammenhänge des<br />
Shopping Hedonismus und des Nutzens <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> 121<br />
Abbildung 32: Zusammenhang <strong>von</strong> Ähnlichkeit und Kovarianz <strong>von</strong> zwei<br />
Produkten und der Schwierigkeit der Entscheidung zwischen<br />
diesen 125<br />
Abbildung 33: Zusammenhang <strong>von</strong> Alternativenzahl und kognitivem<br />
Entscheidungs-aufwand bei verschiedenen<br />
Entscheidungsstrategien 130<br />
Abbildung 34: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der<br />
Theorie der Cost of Thinking und der EIP-Methodik mit den<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 134<br />
XVI
Abbildung 35: Veranschaulichung der Entstehung und Lösung eines<br />
Appetenz-Appetenz-Konflikts und eines Appetenz-Aversions-<br />
Konflikts 138<br />
Abbildung 36: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der<br />
Konflikttheorie und den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 158<br />
Abbildung 37: Idealtypischer Verlauf der Regret-Funktion 161<br />
Abbildung 38: Die Auswirkungen <strong>von</strong> Regret auf die Zufriedenheit und die<br />
Wiederkaufsabsicht 167<br />
Abbildung 39: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
antizipiertem Regret und den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 176<br />
Abbildung 40: Zusammenfassende Darstellung der aus den Theorien des<br />
Bezugs-rahmens abgeleiteten Zusammenhänge <strong>von</strong><br />
Determinanten, Facetten und Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 177<br />
Abbildung 41 Gesamtmodell der in der Untersuchung berücksichtigten<br />
Konsequenzen und Determinanten des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 185<br />
Abbildung 42: Möglichkeiten der Konzeptualisierung <strong>von</strong> Konstrukten 189<br />
Abbildung 43: Pfaddiagramm eines <strong>St</strong>rukturgleichungsmodells mit formativer<br />
und reflektiver latenter Variable 191<br />
Abbildung 44: Reflektives und formatives Messmodell 192<br />
Abbildung 45: Konstrukte zweiter Ordnung mit formativen und reflektiven<br />
<strong>St</strong>rukturen 193<br />
Abbildung 46: MIMIC-Modell und Modell mit Phantomvariable zur<br />
Untersuchung der externen Validität formativ operationalisierter<br />
Konstrukte 202<br />
Abbildung 47: Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Messinstruments für<br />
den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 207<br />
Abbildung 48: Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
zweidimensionales Konstrukt mit den Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
unabhängige Dimensionen 209<br />
Abbildung 49: Konzeptualisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seiner<br />
Dimensionen mit den jeweils zugrunde liegenden theoretischen<br />
Bezugspunkten 214<br />
XVII
Abbildung 50: Ergebnisse der qualitativen Konsumentenbefragung 216<br />
Abbildung 51: Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als<br />
zweidimensionales, mehrfaktorielles Konstrukt mit reflektivem<br />
Messmodell auf Faktorenebene und formativem Messmodell auf<br />
Dimensionsebene 230<br />
Abbildung 52: Anpassungsmaße zur Gütebeurteilung <strong>von</strong> Kausalmodellen im<br />
Überblick 234<br />
Abbildung 53: Das mit 36 Produkten größte „künstliche Sortiment“ des Pretests 239<br />
Abbildung 54: PLS-Modell nach der Parameterschätzung 253<br />
Abbildung 55: Ablaufdiagramm des PLS-Schätzalgorithmus 254<br />
Abbildung 56: Von Wold entwickelte <strong>St</strong>ruktur zur Abbildung eines Konstrukts<br />
zweiter Ordnung in PLS 258<br />
Abbildung 57: Ebenen des Messmodells 260<br />
Abbildung 58: Umsetzung der vier Schritte der Operationalisierung formativer<br />
Konstrukte nach Diamantopoulos und Winklhofer 267<br />
Abbildung 59: Gütekriterien zur Beurteilung der Messmodelle <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in der Hauptuntersuchung 272<br />
Abbildung 60: Verteilung der Käufer und Nicht-Käufer pro Geschäft 278<br />
Abbildung 61: Verteilung der Befragten auf die Produktgruppen 279<br />
Abbildung 62: Verteilung der <strong>St</strong>ichprobe nach Geschlecht 280<br />
Abbildung 63: Boxplots zur Veranschaulichung der Altersverteilung der drei<br />
Geschäfte 282<br />
Abbildung 64: Ergebnisse der PLS-Schätzung des formativen Messmodells der<br />
Nutzendimension mit Phantomvariable: Gütemaße und<br />
Parameterschätzungen (Ebene 2) 288<br />
Abbildung 65: Ergebnisse der PLS-Schätzung des formativen Messmodells der<br />
Kostendimension mit Phantomvariable: Gütemaße und<br />
Parameterschätzungen (Ebene 2) 296<br />
Abbildung 66: Gütemaße zur Beurteilung des Gesamtmodells 306<br />
Abbildung 67: Die Auswirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
die Kaufabsicht, Ergebnisse der PLS-Parameterschätzung 308<br />
Abbildung 68: Pfaddiagramm der mittel- und langfristigen Konsequenzen <strong>von</strong><br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 329<br />
XVIII
Abbildung 69: Anteil der Käufer und Nicht-Käufer <strong>von</strong> beratenen und nicht<br />
beratenen Konsumenten 349<br />
Abbildung 70: Erweitertes <strong>St</strong>rukturmodell unter Berücksichtigung <strong>von</strong><br />
Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 350<br />
Abbildung 71: Vorgehensweise bei der Untersuchung personenimmanenter<br />
Einflüsse 356<br />
Abbildung 72: In der empirischen Untersuchung berücksichtigte<br />
Sortimentsaspekte als potenzielle Einflussgrößen auf Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 369<br />
Abbildung 73: Anzahl der Marken, Produkte und Preispunkte sowie<br />
Preisspannen der drei Geschäfte 370<br />
Abbildung 74: Vergleich der durch Konsumenten eingeschätzten und der<br />
tatsächlichen Anzahl der Produkte in den drei untersuchten<br />
Geschäften 371<br />
Abbildung 75: Ergebnisse der PLS-Parameterschätzung der Determinanten der<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 374<br />
Abbildung 76: Grafische Veranschaulichung des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
Produktanzahl und den <strong>Wert</strong>en der latenten Nutzen- und<br />
Kostenvariablen 381<br />
Abbildung 77: Abschnittweise PLS-Modelle des Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
Alternativenzahl und Kosten- und Nutzenkonstrukt 383<br />
Abbildung 78: Die Ergebnisse der Überprüfung der Hypothesen zu den<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 391<br />
Abbildung 79: Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 393<br />
Abbildung 80: Die neun einflussstärken Messmodellfaktoren und<br />
Determinanten zeigen effektive und effiziente Ansatzpunkte für<br />
Maßnahmen auf 398<br />
Abbildung 81: Aus den Untersuchungsergebnissen abgeleitete Maßnahmen und<br />
deren Ansatzpunkte im Überblick 409<br />
XIX
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1: Klassifikation und Beschreibung <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien 22<br />
Tabelle 2: Ergebnisse der zweiten <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Gourville und Soman (1999) 56<br />
Tabelle 3: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Produktnutzen 101<br />
Tabelle 4: Übersicht verschiedener Elementary Information Processes (EIPs) 129<br />
Tabelle 5: Gegenüberstellung der Eigenschaften <strong>von</strong> formativen und<br />
reflektiven Messmodellen 199<br />
Tabelle 6: Entscheidungskriterien zur Verwendung eines formativen oder<br />
reflektiven Messmodells 205<br />
Tabelle 7: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Antizipierter Produktnutzen“ 218<br />
Tabelle 8: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Erfolgsaussichten“ 219<br />
Tabelle 9: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Informationsmöglichkeiten“ 220<br />
Tabelle 10: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Spaß (am Einkauf)“ 221<br />
Tabelle 11: Indikatoren des Nutzen-Faktors „Positive Emotionen“ 222<br />
Tabelle 12: Indikatoren des Kosten-Faktors „Aufwand und Anstrengung“ 223<br />
Tabelle 13: Indikatoren des Kosten-Faktors „Verwirrung und Frustration“ 224<br />
Tabelle 14: Indikatoren des Kosten-Faktors „Antizipiertes Regret“ 226<br />
Tabelle 15: Gütekriterien des Pretests 237<br />
Tabelle 16: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors<br />
„Erfolgsaussichten“ 241<br />
Tabelle 17: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Antizipierter<br />
Produktnutzen“ 242<br />
Tabelle 18: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors<br />
„Informationsmöglichkeiten“ 243<br />
Tabelle 19: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Spaß“. 244<br />
Tabelle 20: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Positive<br />
Emotionen“ 245<br />
Tabelle 21: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Verwirrung<br />
und Frustration“ 246<br />
Tabelle 22: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Aufwand“ 247<br />
Tabelle 23: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Faktors „Antizipiertes<br />
Regret“ 248<br />
XXI
Tabelle 24: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Nutzen- und Kostendimension im Pretest 249<br />
Tabelle 25: Anzahl der Indikatoren pro Dimension und Faktor vor und nach dem<br />
Pretest 250<br />
Tabelle 26: Gütemaße und Kriterien der Hauptuntersuchung für die Ebene 1 des<br />
Messmodells (reflektives Messmodell) 266<br />
Tabelle 27: Gütemaße und Kriterien der Hauptuntersuchung für die Ebene 2 des<br />
Messmodells (formatives Messmodell) 271<br />
Tabelle 28: Verteilung <strong>von</strong> Kaufverhalten, Produktgruppe und Geschlecht in der<br />
Hauptuntersuchung 280<br />
Tabelle 29: Verteilung der (höchsten) Bildungsabschlüsse in der <strong>St</strong>ichprobe 281<br />
Tabelle 30: Verteilung der Berufsgruppen in der <strong>St</strong>ichprobe 281<br />
Tabelle 31: Kenngrößen zur Beschreibung der Altersstruktur der Befragten 282<br />
Tabelle 32: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) für die<br />
Nutzendimension 285<br />
Tabelle 33: Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen der<br />
Nutzendimension 286<br />
Tabelle 34: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Nutzendimension 287<br />
Tabelle 35: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 2) für die<br />
Nutzendimension 289<br />
Tabelle 36: Gütekriterien des Messmodells der reflektiv operationalisierten<br />
Phantomvariablen für die Nutzendimension 290<br />
Tabelle 37: Relativer Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren der<br />
Nutzendimension 291<br />
Tabelle 38: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) der<br />
Kostendimension. 293<br />
Tabelle 39: Korrelationen zwischen manifesten und latenten Variablen der<br />
Kostendimension 295<br />
Tabelle 40: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Kostendimension 295<br />
Tabelle 41: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 2) der<br />
Kostendimension 297<br />
XXII
Tabelle 42: Gütekriterien des Messmodells der Phantomvariable für die<br />
Kostendimension 298<br />
Tabelle 43: Relativer Erklärungsbeitrag der einzelnen Faktoren der<br />
Kostendimension zur Gesamtdimension 300<br />
Tabelle 44: Gütemaße zur Beurteilung der Wirkung der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Kaufabsicht 309<br />
Tabelle 45: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Zufriedenheit mit<br />
dem Kaufprozess“ 312<br />
Tabelle 46: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Kognitive<br />
Dissonanz“ 313<br />
Tabelle 47: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Zufriedenheit mit<br />
dem gekauften Produkt“ 314<br />
Tabelle 48: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Loyalität zur<br />
gekauften Marke“ 315<br />
Tabelle 49: Operationalisierung des endogenen Konstrukts „Loyalität zum<br />
Geschäft“ 316<br />
Tabelle 50: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts<br />
„Zufriedenheit mit dem Kaufprozess“ im Pretest 317<br />
Tabelle 51: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Kognitive<br />
Dissonanz“ im Pretest 318<br />
Tabelle 52: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts<br />
„Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt“ im Pretest 319<br />
Tabelle 53: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Loyalität<br />
zur gekauften Marke“ im Pretest 320<br />
Tabelle 54: Parameterschätzungen und Gütekriterien des Konstrukts „Loyalität<br />
zum Geschäft“ im Pretest 321<br />
Tabelle 55: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Konsequenzgrößen im Pretest 322<br />
Tabelle 56: Anzahl der Indikatoren zur Messung der endogenen Konstrukte vor<br />
und nach dem Pretest 323<br />
Tabelle 57: Ergebnisse der Analysen des Messmodells (Ebene 1) für die<br />
endogenen Konstrukte 324<br />
Tabelle 58: Rotierte Faktorladungen der Konsequenzen. 326<br />
Tabelle 59: Korrelationen manifester und latenter Variablen der Konsequenzen 327<br />
XXIII
Tabelle 60: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums der<br />
Konsequenzen 328<br />
Tabelle 61: Gütemaße des <strong>St</strong>rukturmodells (2. Ebene). 331<br />
Tabelle 62: Einflussstärke der KPV und NPV auf die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess 333<br />
Tabelle 63: <strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen der Kognitiven Dissonanz. 334<br />
Tabelle 64: Einflussstärke <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
Kognitive Dissonanz 335<br />
Tabelle 65: <strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen der Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt. 336<br />
Tabelle 66: Einflussstärke <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt 337<br />
Tabelle 67: <strong>St</strong>ärke der direkten Einflussgrößen auf die Loyalität zum Geschäft 338<br />
Tabelle 68: Einflussstärke <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf die<br />
Loyalität zum Geschäft 338<br />
Tabelle 69: Gütemaße des Zielkonstrukts Loyalität zur Marke im erweiterten<br />
Modell 342<br />
Tabelle 70: Operationalisierung des Konstrukts Beratungszufriedenheit 344<br />
Tabelle 71: Gütekriterien des PLS-Messmodells der Beratungszufriedenheit 344<br />
Tabelle 72: Korrelationen manifester und latenter Variablen der Konsequenzen<br />
des erweiterten Modells 345<br />
Tabelle 73: Ergebnisse der Überprüfung des Fornell-Larcker-Kriteriums unter<br />
Berücksichtigung <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 346<br />
Tabelle 74: Wirkung <strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft auf die<br />
Kaufintention 348<br />
Tabelle 75: Gütemaße des erweiterten <strong>St</strong>rukturmodells unter Berücksichtigung<br />
<strong>von</strong> Beratungszufriedenheit und Preisführerschaft 351<br />
Tabelle 76: Operationalisierung <strong>von</strong> Expertise 356<br />
Tabelle 77: Ergebnisse der Clusteranalyse zur Expertise 357<br />
Tabelle 78: Ergebnisse des T-Tests <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
für Befragte mit hoher und geringer Expertise 357<br />
Tabelle 79: Operationalisierung des Optimum <strong>St</strong>imulation Levels 359<br />
XXIV
Tabelle 80: Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse des OSL im<br />
Pretest 360<br />
Tabelle 81: Gütekriterien des PLS-Messmodells der Hauptuntersuchung für das<br />
OSL 361<br />
Tabelle 82: Ergebnisse der Clusteranalyse zum Optimum <strong>St</strong>imulation Level 362<br />
Tabelle 83: Ergebnisse des T-Tests <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
für Befragte mit hohem und geringem OSL 362<br />
Tabelle 84: Operationalisierung der Einflussfaktoren 373<br />
Tabelle 85: Parameterschätzung und Gütemaße der Determinanten <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 375<br />
Tabelle 86: Einflussstärke der betrachteten Sortimentseigenschaften auf Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> 377<br />
Tabelle 87: Parameter und Gütemaße der PLS-Modelle der Subsamples „bis<br />
Optimum“ und „über Optimum“ 384<br />
XXV
XXVI
„Ne quid nimis 1 “ („nichts zu viel“)<br />
(Terenz, Andria 61, 171 v. Chr.)<br />
„Variety truly is the spice-of-life, but like any spice it<br />
must be used in moderation“<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 76)<br />
1. <strong>Produktvielfalt</strong> und ihre Wirkung: Grundlagen und<br />
Zielsetzung der Arbeit<br />
1.1 Die Bedeutung der <strong>Produktvielfalt</strong> aus Marketingsicht<br />
Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Reaktion <strong>von</strong> Konsumenten auf<br />
die Höhe der <strong>Produktvielfalt</strong> (Product Variety) in einer Kaufsituation. Dazu wird<br />
untersucht, welche positiven und negativen Aspekte <strong>Produktvielfalt</strong> aus Sicht des<br />
Konsumenten hat und wie sich diese auf das Kaufverhalten, die nachgelagerte<br />
Evaluation <strong>von</strong> Kaufprozess und erworbenem Produkt sowie zukünftige Verhaltensabsichten<br />
auswirken.<br />
Funktionen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> hat für Konsumenten zwei grundlegende Funktionen (vgl.<br />
Kahn/Morales 2001, S. 64; Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528f.):<br />
1<br />
„Übersetzung eines griechischen, meist Solon zugeschriebenen Wortes bei Terenz, Andria 61.<br />
Wichtigster Grundsatz der griechischen Ethik und Ästhetik“ (Lamer/Kroh (1995): Wörterbuch der<br />
Antike, S. 495). Griechische Inschrift auf dem Apollontempel in Delphi: mädén ágan.<br />
1
• Vielfalt bei mehreren aufeinander folgenden Käufen (Variety-Seeking): „If<br />
decision makers are making many choices over time, the variety or depth in the<br />
choice-set will enable exploration and choice of different options over time”<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 64)<br />
• Vielfalt bei einmaligen oder seltenen Käufen (Customization): „If the decision<br />
maker is making a single choice, then variety or breadth in the assortment will<br />
enable one to find the desirable customized option among those offered.”<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 64)<br />
Variety-Seeking Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Variety-Seeking beschreibt das Bedürfnis nach Abwechslung, das durch Sättigungseffekte,<br />
dem Wunsch nach (intellektueller) Herausforderung und einer Art<br />
„natürlichem Instinkt“ verursacht wird (vgl. Kahn 1998, S. 46). Variety-Seeking kann<br />
tendenziell in Produktkategorien beobachtet werden, in denen Verbraucher im Laufe<br />
der Zeit viele Entscheidungen treffen, die Entscheidungen mit eher geringem Risiko<br />
verbunden sind, die Konsumenten mit den angebotenen Produkten vertraut sind und<br />
eher große Consideration Sets 2 haben. Das Bedürfnis nach Abwechslung ist v.a. bei<br />
Konsumgütern des täglichen Bedarfs (FMCG 3 ) ein bedeutungsvolles Markenwechselmotiv<br />
(vgl. Kahn/Kalwani/Morrison 1986, S. 97; Gi<strong>von</strong> 1984, S. 17; Tscheulin 1994,<br />
S. 60f.; Helmig 1996, S. 8f.). Die hier vorliegende Untersuchung fokussiert auf<br />
Produkte und Dienstleistungen, die eher selten gekauft werden und mit deren<br />
Kaufentscheidung sich Konsumenten intensiv beschäftigen. Das Variety-Seeking-<br />
Behavior spielt deshalb als Funktion <strong>von</strong> Vielfalt hier eine untergeordnete Rolle (siehe<br />
hierzu auch die Ausführungen zur Einschränkung des Untersuchungsgegenstands,<br />
S. 33ff.).<br />
Customization-Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Die Customization-Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, die im Fokus dieser Untersuchung<br />
steht, basiert auf der sowohl in der Praxis als auch der Marketingforschung<br />
vorherrschenden Meinung, dass sich Konsumenten hinsichtlich ihrer Wünsche und<br />
2<br />
3<br />
2<br />
Nedungadi (1990) definiert Consideration Set als „(…) the set of brands brought to (consumer’s)<br />
mind on a particular choice occasion” (S. 264).<br />
Fast Moving Consumer Goods
Bedürfnisse unterscheiden (vgl. Fiuczynski 1961, S. 867; Raffée 1969, S. 112;<br />
Gutenberg 1984, S. 510) und diese durch hohe <strong>Produktvielfalt</strong> besser erfüllt werden<br />
können als durch geringe Vielfalt (vgl. Kahn 1998, S. 46, Hoch/Bradlow/Wansink<br />
1999; Loewenstein 1999, S. 1). Durch ein vielfältiges Angebot erhöht sich somit die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument das findet, was er sucht (vgl. Shapiro 1977,<br />
Lancaster 1979, Connor 1981, Quelch/Kenny 1994, S. 153f.). Diese Argumentation<br />
gilt gleichermaßen für Produkthersteller und Handelsunternehmen:<br />
Aus der Sicht eines Herstellers heißt das: „a broader product line makes it more<br />
likely that at least one of the firm’s products will match any individual consumer’s<br />
preference“ (Bayus/Putsin 1999, S. 142). Ein Hersteller, der eine hohe Anzahl an<br />
Produkten und Produktvarianten am Markt anbietet, setzt somit auf den<br />
Partizipationseffekt, der besagt, dass es einem Unternehmen durch die Einführung<br />
zusätzlicher Produkte oder Produktvarianten gelingt Käufer hinzuzugewinnen, die<br />
bislang Konkurrenzprodukte erworben oder keine Käufe in der jeweiligen<br />
Produktkategorie getätigt haben (vgl. Gutenberg 1984, S. 547, Meffert 2000, S. 449).<br />
Aus Handelssicht erfüllt hohe <strong>Produktvielfalt</strong> zwei wesentliche Funktionen: Zum<br />
einen wird dadurch die Sortimentskompetenz des Händlers betont und zum anderen<br />
die positive Wahrnehmung des Geschäftes gestärkt (vgl. Louviere/Gaeth 1987;<br />
Craig/Ghosh/McLafferty 1984). Beide Aspekte spielen bei der Einkaufsstättenwahl<br />
eine wichtige Rolle: Konsumenten nennen die Sortimentsvielfalt nach der Lage und<br />
den Preisen eines Geschäfts als drittwichtigstes Auswahlkriterium(vgl.<br />
Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 527). Sie bevorzugen (ceteris paribus) Geschäfte mit<br />
großer Angebotsvielfalt gegenüber solchen mit geringer Vielfalt (vgl. Arnold/Oum/<br />
Tiger 1983, S. 152) und sind diesen gegenüber vergleichsweise loyaler (vgl.<br />
Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528).<br />
Folgt man der Argumentation des Marketingkonzepts, so liegt „(...) der Schlüssel zur<br />
Erreichung unternehmerischer Ziele darin (...), die Bedürfnisse und Wünsche des<br />
Zielmarktes zu ermitteln und diese dann wirksamer und wirtschaftlicher zufriedenzustellen<br />
als die Wettbewerber“ (Kotler/Bliemel 1999, S. 25). In Kombination mit den<br />
obigen Argumenten impliziert dies, dass Hersteller und Händler, die ihr Produktangebot<br />
erweitern, gegenüber Wettbewerbern, die dies nicht tun, Marktanteile<br />
hinzugewinnen sollten (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 1; Bayus/Putsin 1999,<br />
S. 140ff.). Die <strong>Produktvielfalt</strong> hat sich, dieser Argumentation folgend, in den letzen 20<br />
– 30 Jahren insbesondere bei Verbrauchs- und Gebrauchsgütern vervielfacht (vgl.<br />
Plewe 2000, S. 3; Esch/Wicke 2000, S. 12ff.; Bainbridge 1998, S. 37):<br />
3
So hat beispielsweise die Anzahl der in Deutschland angebotenen PKW-Varianten <strong>von</strong><br />
208 im Jahr 1981 auf 358 im Jahr 2000 zugenommen, was einem Zuwachs <strong>von</strong> 78%<br />
entspricht. <strong>Der</strong> Gesamtabsatz hat sich aber nicht im gleichen Maße erhöht, so dass der<br />
Marktanteil pro Produktvariante abgenommen hat. Abbildung 1 stellt die beiden<br />
Entwicklungen grafisch dar.<br />
Anzahl<br />
Varianten<br />
400<br />
Marktanteil<br />
pro Variante<br />
0,5%<br />
350<br />
300<br />
- 44%<br />
+ 78%<br />
0,4%<br />
250<br />
0,3%<br />
200<br />
150<br />
0,2%<br />
100<br />
0,1%<br />
50<br />
0<br />
0,0%<br />
1981<br />
1982<br />
1983<br />
1984<br />
1985<br />
1986<br />
1987<br />
1988<br />
1989<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
1993<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
Abbildung 1: Anzahl der PKW-Varianten und durchschnittlicher Marktanteil pro Variante in<br />
Deutschland <strong>von</strong> 1981 bis 2000: In Anlehnung an Marketing Systems GmbH, Essen 2001, S. 4<br />
Ein weiteres Beispiel für hohe <strong>Produktvielfalt</strong> ist die Anzahl der in Deutschland<br />
angebotenen Zahnpastamarken, die sich im Zeitraum <strong>von</strong> 1950 bis 2000 in etwa<br />
verfünffacht hat (14 auf 93) (Esch/Wicke 1999, S. 13). In den USA gibt es in dieser<br />
Produktkategorie allein 63 verschiedene Artikel 4 der Marke Crest und 58 der Marke<br />
Colgate (vgl. Kahn 1998, S. 49). Ähnlich stellt sich die Vielfalt in der Kategorie<br />
Frühstückscerialien dar, in der ein Supermarkt in den USA teilweise bis zu 200<br />
verschiedene Produkte anbietet (vgl. Assael 1998, S. 250). Eine beeindruckend große<br />
Vielfalt bietet beispielsweise auch die britische Kaffee-Kette Coffee Republic: Kunden<br />
können hier zwischen 6.000 verschiedenen Kaffeezubereitungen wählen (Random<br />
Sampling, in: Marketing News, 11. September 2000, S. 8). Die Anzahl <strong>von</strong> 40.000 in<br />
4<br />
4<br />
Als Artikel wird hier die Anzahl der SKUs (<strong>St</strong>ock Keeping Units) bezeichnet.
Deutschland erhältlichen Süßigkeiten (vgl. Mehler 1999, S.8) verdeutlicht wie auch<br />
die anderen Beispiele, dass Konsumenten in verschiedenen Produktkategorien und<br />
Kaufsituationen mit teilweise extrem hoher <strong>Produktvielfalt</strong> konfrontiert werden. Die<br />
positive Wirkung hoher Vielfalt hat aber Grenzen:<br />
Grenzen der positiven Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Huffmann und Kahn (1998) betonen, dass eine sehr hohe Vielfalt nicht notwendigerweise<br />
im Sinne der Konsumenten und daher auch nicht in dem <strong>von</strong> Herstellern oder<br />
Händlern ist: „(...) large assortment strategies (...) can backfire (...) if the complexity<br />
causes information overload such that a costumer feels overwhelmed and dissatisfied,<br />
or chooses not to make a choice at all“ (S. 491). Ähnlich äußert sich Schmidt (1990),<br />
der <strong>von</strong> „‚<strong>St</strong>ressgefühlen’ angesichts eines unüberschaubaren Angebots“ (S. 242)<br />
spricht. In der neueren Literatur wird hierbei häufig <strong>von</strong> „Verwirrung“ bzw.<br />
„confusion“ des Konsumenten gesprochen (vgl. Rudolph/Schweizer 2003, S. 23ff;<br />
Walsh 2002, S. 1ff.; Kahn 1998, S. 45ff.; Huffmann/Kahn 1998, S. 491ff.;<br />
Jackson/Shapiro 1979, S. 140). Goodman (1987, zitiert in Engel/Blackwell/Miniard<br />
1995, S. 159) geht hier noch einen Schritt weiter, indem er Einkaufen als<br />
„decision-making-marathon“ bezeichnet.<br />
Bosshart (2002) verdeutlicht das Verhältnis <strong>von</strong> Vielfalt, Entscheidungsbereitschaft<br />
und Wohlbefinden beispielhaft anhand der TV-Kanäle, die ein Haushalt empfängt:<br />
Können die Haushaltsmitglieder aus einer geringen Anzahl an Sendern wählen, so<br />
entsteht bei ihnen das Bedürfnis nach mehr Programmen. Empfängt man beispielsweise<br />
drei TV-Sender, wünscht man sich zehn, hat man zehn, will man zwanzig.<br />
„Aber spätestens bei fünfzig Sendern ändert sich die Ausgangslage. Man sieht nicht<br />
mehr fern, sondern zappt nur noch herum und ist am Ende frustriert, weil man nicht<br />
mehr gesehen hat. Die Chance steigt, dass dann gar nicht mehr ferngesehen wird“<br />
(Bosshart 2002, S. 17).<br />
Übertragen auf Kaufsituationen bedeutet dies, dass sich übermäßige <strong>Produktvielfalt</strong><br />
sowohl auf die Nachfrage als auch auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und<br />
dem gekauften Produkt negativ auswirken kann und Konsumenten auf Grund der<br />
Vielfalt nicht glücklicher, sonder unglücklicher werden (vgl. Lane 2000, S. 19ff.).<br />
Obwohl eine Vielzahl <strong>von</strong> Untersuchungen die positive Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
auf die Nachfrage bei Herstellern und Händlern gezeigt hat (vgl. z. B.<br />
Robinson/Fornell 1985, Robinson 1988, Roberts/Samuelson 1988, Kekre/Srinivasan<br />
5
1990, Kadiyali et al. 1999, Bayus/Putsin 1999), wird die obige Argumentation durch<br />
Beispiele sowohl aus der Praxis als auch der Forschung unterstützt, die gezeigt haben,<br />
dass die Reduzierung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf ein moderates Niveau positive<br />
Auswirkungen auf die Kaufwahrscheinlichkeit und somit auf den Absatz eines<br />
Unternehmens hat:<br />
• So reduzierte Procter & Gamble die Anzahl der Produktvarianten seiner<br />
Shampoo-Marke Head & Shoulders um 43% <strong>von</strong> 26 auf 15 und realisierte<br />
dabei ceteris paribus eine Umsatzsteigerung <strong>von</strong> 10% (vgl. Osnos, 1997).<br />
• Auch Apple senkte die Anzahl ihrer Macintosh-Submarken mit dem Ziel, die<br />
Verwirrung der Konsumenten zu reduzieren: <strong>Der</strong> Umsatz wurde durch diese<br />
Maßnahme ceteris paribus erhöht (vgl. Advertising Age, 18. Oktober 1993).<br />
• Broniarczyk, Hoyer und McAlister (1998) haben die Folgen reduzierter<br />
Produktauswahl wissenschaftlich untersucht und konnten feststellen, dass eine<br />
Herabsetzung der <strong>von</strong> einem Einzelhändler in einer Produktkategorie angebotenen<br />
Artikelzahl um 25% zu einer positiveren Einschätzung der angebotenen<br />
Auswahl und Vielfalt führt. Die Testpersonen bevorzugten dieses Geschäft bei<br />
ihrer Einkaufsstättenwahl und empfanden den Einkauf dort als einfacher<br />
(S. 173ff.).<br />
• Drèze, Hoch und Purk (1994) konnten in ihren Untersuchungen beobachten,<br />
dass eine Reduzierung der Artikelanzahl in einer Produktkategorie um 10%<br />
nicht zum Umsatzrückgang führt. Die stärkere Präsenz und bessere Organisation<br />
schnell drehender Artikel auf der konstant gehaltenen Fläche bewirkte<br />
ganz im Gegenteil eine Absatzsteigerung um 4% (S. 305ff.). Auf weitere<br />
Forschungsarbeiten wird in einem späteren Abschnitt detailliert eingegangen<br />
(siehe Kapitel 2.1, S. 42ff.).<br />
In der Literatur werden für die negative Wirkung hoher Vielfalt zwei Hauptgründe<br />
genannt:<br />
• Kognitive Informationsüberlastung (Information Overload) des Konsumenten<br />
(vgl. Jacoby/Speller/Kohn 1974; Malhotra/Jain/Lagakos, 1982; Best/Ursic<br />
1987) und<br />
• negative Emotionen, die der Konsument während der Entscheidung empfindet<br />
oder antizipiert (vgl. Anderson 2003, S. 160).<br />
Die Erkenntnisse aus Praxis und Forschung lassen insgesamt vermuten, dass<br />
Konsumenten <strong>von</strong> einer moderaten Vielfalt in der Entscheidungssituation am meisten<br />
6
profitieren, dieser den höchsten <strong>Wert</strong> beimessen und folglich zu einer Kaufentscheidung<br />
kommen, mit der sie sehr zufrieden sind. Die einleitenden Zitate auf<br />
Seite 1 verdeutlichen, dass dieses „Prinzip der Mäßigkeit“ bereits in der Antike<br />
Gültigkeit hatte und diese auch in der Gegenwart nicht verloren hat. Die Vermutung,<br />
dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht negative Aspekte hat und sich diese<br />
nachteilig auf sein Verhalten auswirken, widerspricht aber der Annahme der rationalen<br />
Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice), dass Vielfalt und Absatzhöhe in<br />
einem positiven Zusammenhang stehen (vgl. Luce 1959, 1977; Tversky/Shafir 1992,<br />
S. 358; siehe auch S. 43f.). Die Existenz dieser negativen Aspekte hoher Vielfalt<br />
theoretisch zu begründen und empirisch zu zeigen, ist ein wesentliches Ziel der<br />
vorliegenden Arbeit.<br />
Ansatzpunkte der vorliegenden Untersuchung zur Erklärung der Wirkung <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten<br />
Loewenstein (1999) versucht die Wirkung <strong>von</strong> Vielfalt auf das Konsumentenverhalten<br />
zu erklären, indem er „Benefits of more choice“ und „Costs of more choice“ (S. 1f.)<br />
unterscheidet. Als Nutzen (Benefits) <strong>von</strong> Vielfalt führt er dabei im Wesentlichen<br />
Aspekte der oben erläuterten Customization-Funktion (S. 2ff.) an, stützt sich also auf<br />
die Argumentation, dass hohe Vielfalt aus Sicht eines Konsumenten die Wahrscheinlichkeit<br />
erhöht, ein Produkt zu finden, das seinen Vorstellungen entspricht und er<br />
dieses kauft. Zunehmende Vielfalt erhöht somit die Kaufwahrscheinlichkeit.<br />
Hinsichtlich der Kosten (Costs) unterscheidet er<br />
• Time costs – „the opportunity costs of spending time making decisions that<br />
could be used for other activities” (Loewenstein 1999, S. 2),<br />
• Error costs – „the tendency to choose badly when people lack expertise”<br />
(Loewenstein 1999, S. 2) und<br />
• Psychic costs – „anxiety about making decisions under conditions of uncertainty,<br />
and regret if they turn out badly” (Loewenstein 1999, S. 2).<br />
Die vorliegende Forschungsarbeit folgt diesem Kosten-Nutzen-Ansatz zur Erklärung<br />
der Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten und unterscheidet<br />
entsprechend Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht. Diese<br />
Aspekte werden als Dimensionen eines gemeinsamen Konstrukts – dem <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> – verstanden.<br />
7
<strong>Der</strong> Ansatz folgt auch Erkenntnissen und Schlussfolgerungen, die Kahn und Lehmann<br />
(1991) aus ihrer Untersuchung des „value of an assortment“ (S. 296) gezogen haben:<br />
„(...) customers evaluate an assortment in terms of their flexibility for future choice<br />
and the effort required to weed out the unacceptable alternatives“ (S: 296f.;<br />
Hervorhebung nicht im Original). Die <strong>Wert</strong>schätzung eines Sortiments durch<br />
Konsumenten hängt demzufolge <strong>von</strong> der Abwägung der mit der Vielfalt verbundenen<br />
positiven (Flexibilität) und negativen Aspekte (Entscheidungsaufwand) bei der<br />
Entscheidungsfindung ab. Auf die definitorischen Grundlagen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wird im Definitionsteil detailliert eingegangen (siehe Kapitel<br />
1.2.1, S. 12f.).<br />
Ziel der Arbeit ist es, basierend auf Theorien der Psychologie, Soziologie und des<br />
Marketings, ein Messinstrument für Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus<br />
Konsumentensicht, die als unabhängige Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
verstanden werden, zu entwickeln, um so deren Zusammenhang mit dem<br />
Kaufverhalten, nachgelagerten Bewertungen <strong>von</strong> Kaufprozess und gekauftem<br />
Produkt und zukünftigen Verhaltensabsichten gegenüber Handel und Marke zu<br />
untersuchen. Ferner soll analysiert werden, welche quantitativen und qualitativen<br />
Eigenschaften des Sortiments Kosten und Nutzen <strong>von</strong> Vielfalt in welchem Maße<br />
beeinflussen, um so konkrete Ansatzpunkte für die Gestaltung <strong>von</strong> Produktsortimenten<br />
ableiten zu können. Dies soll zu einem besseren Verständnis des Umgangs<br />
<strong>von</strong> Konsumenten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation beitragen<br />
und Unternehmen Hinweise zur Optimierung der angebotenen Sortimente geben.<br />
Die Relevanz dieser Fragestellungen für Unternehmen entsteht aus dem direkten<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Absatzvolumen und wird aus den obigen<br />
Beispielen bereits deutlich (siehe S. 6). Demnach kann ein Unternehmen durch ein<br />
besseres Verständnis der Bedürfnisse <strong>von</strong> Konsumenten hinsichtlich der angebotenen<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> sowohl das Absatzvolumen als auch die Zufriedenheit <strong>von</strong><br />
Konsumenten steigern. Eine Aussage <strong>von</strong> Meffert (2000) betont die Relevanz des<br />
Untersuchungsgegenstands aus der Sicht der Marketingtheorie: Er bezeichnet die<br />
Produkt- und Programmpolitik eines Unternehmens, die „alle Entscheidungstatbestände,<br />
die sich auf die marktgerechte Gestaltung aller vom Unternehmen im<br />
Absatzmarkt angebotenen Leistungen beziehen“ (Meffert 2000, S. 327) als „‚Herz des<br />
Marketing’“ (Meffert 2000, S. 327). Die <strong>Produktvielfalt</strong> stellt demnach einen<br />
zentralen Bestandteil der marketingpolitischen Entscheidungstatbestände eines<br />
Herstellers und Handelsunternehmens dar.<br />
8
Um die aufgezeigten Fragestellungen um Laufe der Arbeit zu beantworten, präzisiert<br />
das nächste Kapitel zunächst den Untersuchungsgegenstand. Dazu werden grundlegende<br />
Begriffe geklärt und die Zielsetzung der Forschungsarbeit detailliert<br />
beschrieben. Anschließend wird die Thematik knapp in die Konsumentenverhaltensforschung<br />
eingeordnet und der Verlauf der weiteren Untersuchung beschrieben.<br />
1.2 Präzisierung des Untersuchungsgegenstands<br />
1.2.1 Begriffliche Grundlagen<br />
In der vorliegenden Untersuchung geht es im Wesentlichen um die Erklärung des<br />
Verhaltens <strong>von</strong> Konsumenten im Umgang mit (hoher) <strong>Produktvielfalt</strong>. Nachfolgend<br />
werden deshalb zunächst die Begriffe Konsumentenverhalten, Käuferverhalten,<br />
Kaufverhalten und <strong>Produktvielfalt</strong> erläutert. Anschließend wird das Konstrukt <strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> mit seinen Dimensionen Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> inhaltlich präzisiert.<br />
Konsumentenverhalten und Käuferverhalten (Consumer Behavior)<br />
Das Käuferverhalten umfasst nicht nur den reinen Kauf, den Kuß (1987) als „den<br />
freiwilligen Austausch <strong>von</strong> Geld gegen Güter, Dienstleistungen, Rechte und<br />
Vermögenswerte durch Personen, Personengruppen und Organisationen“ (S. 11)<br />
definiert, sondern auch diesem vor- und nachgelagerte Prozesse und Tätigkeiten,<br />
sowie Faktoren, die diese beeinflussen (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 9f.). Entsprechend<br />
lässt sich in der Literatur eine Vielzahl an Definitionen des Käuferverhaltens bzw.<br />
des synonym verwendeten Begriffs Konsumentenverhalten finden. Diese<br />
unterscheiden sich teils erheblich hinsichtlich der berücksichtigten Aspekte. Das<br />
Spektrum reicht hierbei <strong>von</strong> einer relativ engen und prozessorientierten Sichtweise <strong>von</strong><br />
Blackwell, Miniard und Engel (2001), die Konsumentenverhalten (Consumer<br />
Behavior) als „activities people undertake when obtaining, consuming, and disposing<br />
of products and services“ (S. 6), definieren, bis hin zu einem sehr weit gefassten<br />
Verständnis <strong>von</strong> Peter und Olson (1996), die sich bei ihrer Definition an derjenigen<br />
9
der American Marketing Association orientieren. Sie bezeichnen Konsumentenverhalten<br />
als „the dynamic interaction of affect and cognition, behavior, and the<br />
environment by which human beings conduct the exchange aspects of their lives“<br />
(Peter/Olson 2002, S. 6). Diese Bandbreite spiegelt sich auch in der Definition <strong>von</strong><br />
Kroeber-Riel und Weinberg (1996) wieder, die Konsumentenverhalten im engeren und<br />
Konsumentenverhalten im weiteren Sinn unterscheiden. Ersteres definieren sie als<br />
„das Verhalten der Menschen beim Kauf und Konsum <strong>von</strong> wirtschaftlichen Gütern“,<br />
letzteres als „ganz allgemein das Verhalten der ‚Letztverbraucher’ <strong>von</strong> materiellen<br />
und immateriellen Gütern“ (S. 3).<br />
Das Ziel dieser Untersuchung ist die Erklärung der Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten als Individuen 5 . Es ist deshalb ein relativ enges<br />
Verständnis des Konsumentenverhaltens sinnvoll, das die Entscheidungsprozesse bei<br />
der Kaufhandlung und unmittelbar nachgelagerte Evaluationsprozesse in den<br />
Mittelpunkt stellt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass am Ende des Entscheidungsprozesses<br />
nicht notwendigerweise der Kauf eines Produkts stehen muss. <strong>Der</strong><br />
Konsument kann den Kaufprozess auch abbrechen und später fortsetzen oder ganz auf<br />
den Kauf verzichten. Da dies mögliche Reaktionsformen <strong>von</strong> Konsumenten auf hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> sind (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358ff.; Gourville/Soman 1999,<br />
S. 5ff.; Desmeules 2002, S. 10ff.; Anderson 2003, S. 146), werden sie auch als Teil<br />
des Konsumentenverhaltens verstanden.<br />
In Anlehnung an Kuß und Tomczak (2000, S. 12) wird in dieser Untersuchung unter<br />
Käufer- bzw. Konsumentenverhalten die Auswahl einer <strong>von</strong> mehreren<br />
Alternativen an Sachgütern, Dienstleistungen, Rechten und Vermögenswerten<br />
verstanden, wobei der (vorübergehende) Abbruch der Kaufentscheidung eine der<br />
möglichen Entscheidungsalternativen darstellt. Weiterhin schließt der Begriff alle zu<br />
dieser Entscheidung hinführenden und ihr folgenden Prozesse und Tätigkeiten, die<br />
künftige Käufe beeinflussen können, mit ein.<br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entspricht der in der englischsprachigen Literatur häufig zu findenden<br />
Bezeichnung „Product Variety“ (vgl. Bayus/Putsin 1999, S. 137; Gourville/Soman<br />
5<br />
Kaufverhalten <strong>von</strong> Organisationen wie z. B. Unternehmen spielt in dieser Untersuchung keine<br />
Rolle. Zur Unterscheidung vgl. z. B. Müller-Hagedorn 1986, S. 38ff.)<br />
10
1999, S. 1ff.). Synonym wird hierfür häufig der Term Assortment verwendet, der <strong>von</strong><br />
Levy und Weitz (1995) als „the number of different items in a merchandise category“<br />
(S. 30) definiert wird 6 .<br />
In der deutschsprachigen Literatur wird der Begriff der <strong>Produktvielfalt</strong> synonym mit<br />
der v.a. im Handelsmarketing gebräuchlichen Bezeichnung der Sortimentstiefe 7<br />
verwendet (vgl. Rudolph/Schweizer 2003, S. 48). Diese beschreibt die „Anzahl der<br />
Artikel, welche die Konsumenten im Hinblick auf die Befriedigung eines bestimmten<br />
Bedürfnisses als Substitute ansehen“ (Gümbel 1963, S. 64). Die Sortimentstiefe stellt<br />
„aus der Sicht des Kunden eine Auswahl alternativer Kaufmöglichkeiten“ dar (Theis<br />
1999, S. 550). Da die Arbeit nur die Vielfalt einer Produktkategorie betrachtet, wird<br />
im weiteren Verlauf anstatt Sortimentstiefe vereinfachend der Begriff Sortiment<br />
verwendet.<br />
Wie in Kapitel 1.2.3.3 (S. 33ff.) noch näher beschrieben wird, konzentriert sich diese<br />
Untersuchung auf Auswahlprobleme innerhalb einer Produktkategorie bzw.<br />
Produktgruppe. Hierunter würde beispielsweise der Kauf einer Digitalkamera durch<br />
einen Konsumenten in einem bestimmten Geschäft fallen.<br />
Im Rahmen dieser Analyse bezeichnet <strong>Produktvielfalt</strong> die Gesamtheit der bei einer<br />
Kaufentscheidung zur Auswahl stehenden Alternativen innerhalb einer<br />
Produktkategorie. Es werden sowohl quantitative (Anzahl der Produkte) als auch<br />
qualitative Aspekte (Ähnlichkeit der Produkte) unter dem Begriff <strong>Produktvielfalt</strong><br />
subsumiert. In dem oben genannten Beispiel des Digitalkamerakaufs wäre die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> durch die Anzahl und Art aller in diesem Geschäft zum Kauf<br />
verfügbaren Digitalkameras bestimmt.<br />
Zur Vervollständigung sei erwähnt, dass die Produktalternativen im Handelsmarketing<br />
meist als Artikel einer bestimmten Sorte bezeichnet werden (vgl. Brockhoff 1966,<br />
6<br />
7<br />
Die Verwendung des Begriffes Assortment ist in der Forschung nicht einheitlich. So verwendet z.<br />
B. Kotler (2000) Assortment gleichbedeutend mit Product Mix und definiert dieses als „(...) the set<br />
of all products and items that a particular seller offers for sale to buyers“ (S. 396). Diese<br />
Verwendung entspricht inhaltlich dem Sortiment eines Handelsunternehmen (vgl. Schmidt 1990,<br />
S. 22). Diese Arbeit folgt der Definition <strong>von</strong> Levy und Weitz (1995) und versteht unter<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>, Assortment und Product Variety jeweils die Anzahl der Artikel einer<br />
Produktkategorie.<br />
In Industrieunternehmen wird die Angebotspalette nicht wie im Handel als Sortiment, sondern als<br />
Produktionsprogramm bezeichnet. Unter dem Produkt(ions)programm versteht man die<br />
„Gesamtheit aller Produktlinien und Produkte, die ein Anbieter seinen jeweiligen Kunden zum<br />
Kauf anbietet“ (Haedrich/Tomczak 1996, S. 45). Entsprechend wird hier <strong>von</strong> der Tiefe des<br />
Produkt(ions)programms gesprochen, das die Anzahl der Varianten innerhalb einer Produktlinie<br />
beschreibt (vgl. Herrmann 1998, S. 5).<br />
11
S. 41; Kotler/Bliemel 1999, S. 673). In der englischsprachigen Literatur werden<br />
hierfür synonym die Begriffe <strong>St</strong>ock Keeping Unit (SKU), Item und Product Variant<br />
verwendet (vgl. Kotler 2000, S. 396).<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (WPV)<br />
Ausgangspunkt der Definition des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind in der<br />
Marketingliteratur gebräuchliche Definitionen des <strong>Wert</strong>-Begriffs. So definieren Flint,<br />
Woodruff und Gardial (1997): „(…) a value judgement is the customer’s assessment<br />
of the value that has been created for them by a supplier given the trade-off between<br />
all relevant benefits and sacrifices in a specific use situation” (Flint/Woodruff/Gardial<br />
1997, S. 167; Hervorhebungen nicht im Original). Nach dieser Definition entsteht aus<br />
Sicht des Konsumenten der <strong>Wert</strong> z. B. eines Produkts aus der Abwägung seiner<br />
positiven (Benefits) und negativen Aspekte (Sacrifices). Auch die Definition des<br />
wahrgenommenen <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> Zeithaml (1988) folgt dieser Logik: „Perceived Value is<br />
the consumer’s overall assessment of the utility of a product based on perceptions of<br />
what is received and what is given“ (Zeithaml 1988, S. 14; Hervorhebungen nicht im<br />
Original). Kotler und Bliemel (1999) führen den konzeptionell ähnlichen <strong>Wert</strong>gewinn<br />
eines Angebots ebenfalls auf entstandene Kosten und generierten Nutzen (hier als<br />
<strong>Wert</strong> bezeichnet) zurück (siehe Abbildung 2).<br />
Produktwert<br />
Begleitende<br />
Dienstleistungen<br />
<strong>Wert</strong> durch<br />
Mitarbeiter<br />
<strong>Wert</strong>summe<br />
<strong>Wert</strong> durch Image<br />
Monetäre<br />
Kosten<br />
Kosten für Zeit<br />
Kosten für Energie<br />
<strong>Wert</strong>gewinn<br />
Kostensumme<br />
Psychischer<br />
Aufwand<br />
Abbildung 2: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong>gewinn (Kotler/Bliemel 1999) wird durch die Nutzenaspekte (<strong>Wert</strong>summe)<br />
und Konsteanspekte (Kostensumme) bestimmt. Quelle: Kotler/Bliemel 1999, S. 49<br />
12
Aus den Definitionen geht hervor, dass sich ein „<strong>Wert</strong>“ aus zwei Dimensionen<br />
zusammensetzt: einer Kostendimension und einer Nutzendimension. Um dieses<br />
<strong>Wert</strong>konzept auf die <strong>Produktvielfalt</strong> zu übertragen, müssen Konsumenten mit<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> folglich Kosten- und Nutzenaspekte verbinden. Im Rahmen der<br />
vorliegenden Arbeit werden diese als Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
bezeichneten Aspekte theoretisch begründet. Weiterhin wird ein Messinstrument<br />
entwickelt, um die Konsequenzen und Determinanten der Kosten- und Nutzenfacetten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> empirisch untersuchen zu können. Im Gegensatz zu obiger<br />
Definition des <strong>Wert</strong>gewinns <strong>von</strong> Kotler und Bliemel (1999) liegt die Betrachtungsebene<br />
des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf Ebene seiner Dimensionen Kosten und<br />
Nutzen, und nicht auf deren Verknüpfungsebene, welche die beiden Autoren als<br />
<strong>Wert</strong>gewinn bezeichnen. <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wird somit als ein Konstrukt<br />
mit zwei unabhängigen Dimensionen – einer Kostendimension (Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>) und einer Nutzendimension (Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>) –<br />
betrachtet. Eine ähnliche <strong>St</strong>ruktur mit zwei Dimensionen legen beispielsweise Babin,<br />
Darden und Griffin (1994, S. 653) zugrunde, dem <strong>von</strong> ihnen untersuchten Perceived<br />
Shopping Value, auf den in einem späteren Abschnitt noch detaillierter eingegangen<br />
wird (siehe S. 112ff.).<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> der <strong>Produktvielfalt</strong> besteht aus den für einen Konsumenten mit<br />
einer Kaufentscheidung verbundenen positiven und negativen,<br />
nicht-monetären Aspekten, die durch das Sortiment in einer Kaufsituation<br />
verursacht werden und sich auf das Verhalten des Konsumenten auswirken.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht (kurz: <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>) lässt sich damit folgendermaßen definieren:<br />
Das Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> stellt damit eine Art mediierende Variable<br />
dar, die psychische Reaktionen eines Konsumenten auf (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong> bzw.<br />
ein (großes) Sortiment erfasst und einen Zusammenhang mit seinem Verhalten im<br />
Sinne des Entscheidungsausgangs, der Bewertung <strong>von</strong> Prozess und Produkt und den<br />
zukünftigen Verhaltensabsichten herstellt.<br />
Abbildung 3 verdeutlicht dies grafisch.<br />
13
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
(Sortiment)<br />
Konsumentenverhalten<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(KPV)<br />
Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(NPV)<br />
Ergebnis<br />
Kaufentscheidung<br />
Evaluation <strong>von</strong> Prozess<br />
und Produkt<br />
Zukünftiges<br />
Verhalten<br />
Abbildung 3: <strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> als mediierendes Konstrukt zwischen Sortiment<br />
(<strong>Produktvielfalt</strong>) und Konsumentenverhalte<br />
Es sei nochmals betont, dass im Rahmen dieser Arbeit kein funktionaler<br />
Zusammenhang zur Abbildung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in Abhängigkeit <strong>von</strong><br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> entwickelt werden soll, da zunächst die<br />
Existenz <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> empirisch zu zeigen ist. Folglich<br />
ist die Analyseebene, insbesondere der empirischen Untersuchung, nicht der <strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, sondern die ihm zugrunde liegenden Größen, also Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Diese werden nachfolgend definiert.<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht (KNPV)<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht (kurz: Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>, KPV) bezeichnen den kognitiven und emotionalen,<br />
nicht-monetären Aufwand der Entscheidungsfindung eines Konsumenten<br />
während des Kaufprozesses, der durch die <strong>Produktvielfalt</strong> in der Kaufsituation<br />
verursacht wird. Sie umfassen somit alle mit der <strong>Produktvielfalt</strong> verbundenen<br />
negativen psychischen Aspekte für den Konsumenten während des<br />
Kaufentscheidungsprozesses.<br />
Unter dem Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentenperspektive (kurz: Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, NPV) werden die aus der Sicht des Konsumenten<br />
nicht-monetären positiven Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, die auf die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in der Kaufsituation zurückzuführen sind, verstanden.<br />
14
Verwendete Kürzel<br />
Um die Lesbarkeit der Arbeit zu vereinfachen, werden im weiteren Verlauf folgende<br />
Kürzel verwendet:<br />
WPV:<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
KNPV: Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
KPV:<br />
NPV:<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
1.2.2 Identifikation relevanter Größen der Untersuchung: Ablauf <strong>von</strong><br />
Kaufentscheidungen und die Rolle der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Ziel dieses Abschnitts ist die Identifikation wesentlicher und für die Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten relevanter Größen.<br />
Diese sollen als Ausgangsbasis der Untersuchung dienen. Hierzu wird ein<br />
einführender Überblick zum Umgang <strong>von</strong> Konsumenten mit <strong>Produktvielfalt</strong> im<br />
Entscheidungsprozess gegeben und mögliche Auswirkungen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
das Verhalten aufgezeigt. <strong>Der</strong> Fokus liegt hierbei auf Größen und Zusammenhängen,<br />
die für die weitere Untersuchung relevant sind. Auf eine umfassende Darstellung der<br />
Erkenntnisse der Konsumentenverhaltensforschung wird an dieser <strong>St</strong>elle verzichtet.<br />
<strong>Der</strong> interessierte Leser sei diesbezüglich auf die ausführlichen <strong>St</strong>andardwerke der<br />
Konsumentenverhaltensforschung verwiesen 8 .<br />
Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Consumer Decision Process (CDP)-Modell<br />
<strong>von</strong> Blackwell, Engel und Miniard, das den Ablauf <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
modellhaft beschreibt.<br />
Das CDP-Modell <strong>von</strong> Blackwell, Miniard und Engel<br />
Das Consumer Decision Process (CDP)-Modell <strong>von</strong> Blackwell, Engel und Miniard<br />
geht auf das erstmals 1968 veröffentlichte Entscheidungsprozessesmodell <strong>von</strong> Engel,<br />
Kollat und Blackwell zurück (vgl. Bänsch 1998, S. 131; Blackwell/Miniard/Engel<br />
8<br />
Deutschsprachig: z. B. Kroeber-Riel/Weinberg 1999, Trommsdorf 1998, Kuß/Tomczak 2000;<br />
englischsprachig: z. B. Blackwell/Miniard/Engel 2000, Peter/Olson 1996.<br />
15
2001, S. 71ff.). Das in Abbildung 4 dargestellte Modell „captures the activities that<br />
occur when decisions are made in a schematic format and shows how different<br />
internal and external forces interact and affect how consumers think, evaluate and<br />
act“ (Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 71).<br />
Das Modell ist neben dem <strong>von</strong> Howard und Sheth (1969) der bekannteste Vertreter<br />
kognitiver Totalmodelle, die im Gegensatz zu den ebenfalls zur Gruppe der<br />
<strong>St</strong>rukturmodelle gehörenden Partialmodellen (vgl. Bänsch 1998, S. 5) versuchen, „alle<br />
wesentlichen Kaufverhaltenskonstrukte und deren Beziehungen untereinander zu<br />
integrieren“ (Meffert 2000, S. 132). Das CDP-Modell berücksichtigt sowohl<br />
Umwelteinflüsse, wie z. B. Kultur und Familie, als auch individuelle Unterschiede <strong>von</strong><br />
Konsumenten, wie beispielsweise Involvement und Wissen als Einflussfaktoren auf<br />
den Ablauf und Ausgang <strong>von</strong> Kaufentscheidungen. Es unterscheidet sich<br />
diesbezüglich <strong>von</strong> dem Modell <strong>von</strong> Howard und Sheth (1969).<br />
Need<br />
recognition<br />
<strong>St</strong>imuli<br />
• Marketer<br />
dominated<br />
• Non-marketer<br />
dominated<br />
External search<br />
Exposure<br />
Attention<br />
Comprehension<br />
Acceptance<br />
Retention<br />
Internal<br />
search<br />
Memory<br />
Search<br />
Pre-purchase<br />
evaluation of<br />
alternatives<br />
Purchase<br />
Consumption<br />
Environmental influences<br />
• Culture<br />
• Social class<br />
• Personal influences<br />
• Family<br />
• Situation<br />
Individual differences<br />
• Consumer resources<br />
• Motivation and<br />
involvement<br />
• Knowledge<br />
• Attitudes<br />
• Personality, values and<br />
lifestyle<br />
Postconsumption<br />
evaluation<br />
Dissatisfaction<br />
Satisfaction<br />
Divestment<br />
Abbildung 4: Das Consumer-Decision-Process Modell <strong>von</strong> Engel, Blackwell und Miniard. Quelle:<br />
Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 83<br />
16
Im Zentrum des Erklärungsmodells stehen sieben Phasen, die ein Konsument bei einer<br />
Entscheidung durchläuft. Diese werden nachfolgend knapp beschrieben und in den<br />
Zusammenhang mit der <strong>Produktvielfalt</strong> gesetzt.<br />
Problemerkenntnis (Need Recognition)<br />
Am Anfang des Kaufentscheidungsprozesses steht die Phase der Problemerkenntnis.<br />
Eine Person nimmt die Existenz eines zu lösenden Problems in Form eines<br />
Bedürfnisses wahr, wenn sie zwischen ihrem derzeitigen Zustand und einem<br />
Idealzustand einen erheblichen Unterschied erkennt. Dieser kann auf zweierlei Arten<br />
entstehen (vgl. Solomon 1996, S. 271f.): Erstens durch die Verschlechterung des<br />
bisherigen Zustands, wenn z. B. ein Produkt aufgebraucht ist (leerer Kühlschrank) und<br />
zweitens durch die Veränderung des Idealzustands, was beispielsweise durch die<br />
Einführung eines neuen und besseren Produkts geschehen kann (vgl. Solomon/<br />
Bamossy/Askegaard 2001, S. 251).<br />
Übersteigt die Differenz <strong>von</strong> tatsächlichem und idealem Zustand einen gewissen<br />
Schwellenwert (Threshold), nimmt der Konsument ein Bedürfnis wahr, das<br />
anschließend einen Kaufprozess auslöst (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 100).<br />
Voraussetzung hierfür ist, dass der Konsument über die notwendigen finanziellen<br />
Ressourcen verfügt und <strong>von</strong> einem entsprechenden Kauf eine Bedürfnisbefriedigung<br />
erwartet (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 92).<br />
In der nächsten Phase wird informationsseitig die Grundlage für die Kaufentscheidung<br />
gelegt.<br />
Informationssuche (Search)<br />
Während dieser Phase werden die Informationen, die in den Entscheidungsprozess<br />
einfließen und die Basis für die Entscheidung bilden, gesucht und aufgenommen.<br />
Bevor hierauf näher eingegangen wird, ist zunächst zu klären, was unter dem Begriff<br />
Information zu verstehen ist:<br />
<strong>Der</strong> hier verwendete Informationsbegriff knüpft an die Konzeption <strong>von</strong> Chaffee und<br />
McLeod (1973, S. 385ff.) an, deren Kern die so genannte Entscheidungsmatrix ist.<br />
Diese besteht aus zwei Dimensionen – den Objekten und den Attributen. In einer<br />
Kaufsituation entsprechen die zur Verfügung stehenden Alternativen den Objekten<br />
17
(Spalten) und die Produkteigenschaften, wie beispielsweise Farbe oder Preis, den<br />
Attributen (Zeilen) der Entscheidungsmatrix (siehe Abbildung 5). Jedes Feld der<br />
Matrix kommt in dieser Konzeption einer Informationseinheit gleich (vgl.<br />
Kuß/Tomczak 2000, S. 109; Kuß 1987, S. 47).<br />
Alternativen<br />
Eigenschaften<br />
A 1 A 2 ... A m<br />
E 1<br />
Informationseinheit<br />
(1,1)<br />
IE (1,2) … IE (1,m)<br />
E 2 IE (2,1) IE (2,2) ... IE (2,m)<br />
...<br />
...<br />
... ...<br />
...<br />
E n IE (n,1) IE (n,2) ... IE (n,m)<br />
Abbildung 5: Entscheidungsmatrix in einer Kaufsituation<br />
Damit wird auch der Zusammenhang zur <strong>Produktvielfalt</strong> deutlich: Die Menge der<br />
verfügbaren Informationen in der Entscheidungssituation ist abhängig <strong>von</strong> der Anzahl<br />
der zur Auswahl stehenden Produkte und deren Anzahl an Attributen.<br />
Bei der Informationssuche stehen dem Konsumenten zwei Informationsquellen zur<br />
Verfügung: Er kann interne Informationen aus seinem Gedächtnis abrufen und<br />
externe Informationen aus verschiedenen Quellen wie z. B. der direkten Kaufumgebung<br />
oder Testberichten aufnehmen (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 98). Dauer und<br />
Intensität einer aktiven Informationssuche hängen dabei beispielsweise <strong>von</strong> der<br />
Persönlichkeit, der sozialen Zugehörigkeit, dem Einkommen und der Erfahrung des<br />
Konsumenten ab, sowie der Zufriedenheit mit früheren Käufen, dem mit dem Kauf<br />
verbundenen (finanziellen) Risiko sowie der Wichtigkeit des Kaufs (vgl. Blackwell/<br />
Miniard/Engel 2001, S. 74, 108).<br />
Für den Kontext dieser Arbeit ist wichtig, dass nach obiger Definition die verfügbare<br />
Informationsmenge <strong>von</strong> der Anzahl der Alternativen in der Kaufsituation abhängt. Je<br />
größer die <strong>Produktvielfalt</strong> ist, desto mehr Informationen stehen dem Konsumenten<br />
(ceteris paribus) in der Entscheidungssituation zur Verfügung.<br />
18
Vor-Kauf-Bewertung der Alternativen (Pre-Purchase Evaluation of Alternatives)<br />
Ziel dieser Phase ist es, aus den vorhandenen Alternativen die aus der Sicht eines<br />
Konsumenten beste auszuwählen (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 76). Dazu<br />
müssen zwei Aufgaben erfüllt werden: „The choice alternatives must be evaluated in<br />
terms of the choice criteria, and then one of the alternatives must be selected“<br />
(Peter/Olson 2002, S. 174). Herrmann (1998, S. 93) spricht in diesem Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> einem „Beurteilungsprogramm zur Verarbeitung <strong>von</strong> Informationen“ und einem<br />
„Auswahlprogramm zur Selektion eines Objekts“.<br />
Hierbei besteht eine enge Verbindung mit der Phase der Informationsaufnahme, da<br />
durch die Verarbeitung der Informationen zur Beurteilung und Auswahl neue<br />
Informationsbedürfnisse entstehen können. Dies äußerst sich z. B. darin, dass<br />
Konsumenten den Kaufprozess in einem Geschäft abbrechen, um sich in anderen<br />
Geschäften weitere Informationen zu besorgen. Es wird deshalb <strong>von</strong> einem iterativen<br />
Prozess <strong>von</strong> Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung bis zur<br />
Entscheidung ausgegangen (vgl. Kuß 1987, S. 39).<br />
Durch die empirische Entscheidungsforschung, die sich mit dem Ablauf realer<br />
Kaufentscheidungen beschäftigt (vgl. Herrmann 1998, S. 96), konnten verschiedene<br />
Entscheidungsstrategien identifiziert werden, mit deren Hilfe Konsumenten<br />
Alternativen beurteilen und auswählen. Payne, Bettman und Johnson (1993) definieren<br />
eine Entscheidungsstrategie als „a sequence of mental and effector (actions on the<br />
environment) operations used to transform an initial state of knowledge into a final<br />
goal state of knowledge where the decision maker views the particular decision<br />
problem as solved” (S. 9). In der Literatur werden Entscheidungsstrategien häufig<br />
anhand <strong>von</strong> zwei Eigenschaften charakterisiert:<br />
• Hinsichtlich der Art, in der Konsumenten einzelne Merkmalsinformationen<br />
verbinden, um zu einer Entscheidung zu kommen und bezüglich<br />
• der Reihenfolge, in der „einzelne Informationen herangezogen (und integriert)<br />
werden“ (Bleicker 1983, S. 45).<br />
Hinsichtlich der Art der Informationsverknüpfung lassen sich kompensatorische und<br />
nicht-kompensatorische <strong>St</strong>rategien unterscheiden: Eine <strong>St</strong>rategie wird als<br />
kompensatorisch bezeichnet, wenn negative Eigenschaften eines Produkts bezüglich<br />
eines Merkmals durch andere positive Produkteigenschaften kompensiert werden<br />
können (vgl. Peter/Olson 2002, S. 174). Bei nicht-kompensatorischen Entscheidungsstrategien<br />
erfolgt keine „Aufrechnung“ positiver und negativer Attributeigenschaften.<br />
19
In Bezug auf die Reihenfolge, in der Konsumenten Produktinformationen verknüpfen,<br />
wird zwischen einer Auswahl nach Produkten (by Alternative, produktweise<br />
Beurteilung) und einer Auswahl nach Attributen (by Attribute, attributweise<br />
Beurteilung) unterschieden. Im ersten Fall werden die Merkmalsausprägungen jeder<br />
Produktalternative einzeln beurteilt und zu einem Gesamturteil kombiniert. Die<br />
Beurteilung selbst erfolgt dabei anhand individueller und situationsspezifischer<br />
Kriterien (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 76), auf die aber hier nicht näher<br />
eingegangen wird. Die Wahl fällt auf das Produkt mit dem höchsten Gesamtwert (vgl.<br />
Bleicker 1983, S. 45). Bei einem attributweisen Vergleich beurteilt ein Konsument<br />
gleichzeitig alle Alternativen hinsichtlich der für ihn wichtigsten Merkmale.<br />
Konsumenten greifen bei der Entscheidungsfindung auf Heuristiken bzw.<br />
vereinfachende Entscheidungsregeln zurück (vgl. Herrmann 1998, S. 97), die „an<br />
adaptive response of a limited-capacity information processor to the demands of<br />
complex decision tasks“ darstellen (Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 2). Die<br />
Entscheidungsstrategien unterscheiden dabei hinsichtlich des bei ihrer Anwendung<br />
erforderlichen kognitiven Aufwands (Effort) und der Richtigkeit der Entscheidung<br />
(Accuracy). Payne, Bettman und Johnson (1993) konnten zeigen, dass Konsumenten<br />
die <strong>St</strong>rategie zur Lösung eines Entscheidungsproblems nach dem Verhältnis <strong>von</strong><br />
kognitivem Aufwand und erzielbarer Genauigkeit auswählen (S. 13f, S. 92ff.). Sie<br />
habe diese Erkenntnisse in ihrem Accuracy-Effort-Framework, das in Abbildung 6<br />
veranschaulicht ist, zusammengefasst (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 72ff.).<br />
Die WADD (Weighted ADDitive) und die RC-<strong>St</strong>rategie (Random Choice) bilden<br />
dabei die Extremkombinationen <strong>von</strong> Genauigkeit und Aufwand. Während die<br />
WADD-<strong>St</strong>rategie durch ihre kompensatorische und vollständige Informationsverarbeitung<br />
die höchste Genauigkeit bei der Entscheidung bietet und dabei am<br />
aufwändigsten ist, liefert die Zufallswahl (RC) ungenauere <strong>Wert</strong>e, ist jedoch mit nur<br />
minimalem Aufwand verbunden. Payne und seine Kollegen gehen da<strong>von</strong> aus, dass<br />
Konsumenten abhängig <strong>von</strong> der Art und Wichtigkeit des Entscheidungsproblems<br />
bestimmte Unter- bzw. Obergrenzen hinsichtlich der erwarteten Genauigkeit und des<br />
Entscheidungsaufwandes haben und die anzuwendende <strong>St</strong>rategie entsprechend ihrer<br />
individuellen Präferenzfunktion hinsichtlich Genauigkeit und Aufwand wählen.<br />
20
Relative 100%<br />
Genauigkeit<br />
(% WADD)<br />
WADD<br />
Präferenzfunktion für<br />
Genauigkeit > Aufwand<br />
(Genauigkeit wichtiger<br />
als Aufwand)<br />
EQW<br />
75%<br />
50%<br />
MCD<br />
Genauigkeitsgrenze<br />
(problemspezifisch)<br />
LEX<br />
Präferenzfunktion für<br />
Genauigkeit < Aufwand<br />
(Aufwand wichtiger als<br />
Genauigkeit)<br />
EBA<br />
25%<br />
Aufwandsobergrenze<br />
(problemspezifisch)<br />
RC<br />
0%<br />
200<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Aufwand (Anzahl EIPs)<br />
WADD = weighted additive; EQW = equal weight; EBA = elimination-by-aspects;<br />
LEX = lexicographic; MCD = majority of confirming dimensions; RD = Random choice<br />
Abbildung 6. Aufwand und Genauigkeit <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien. Quelle:<br />
Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 97<br />
Tabelle 1 stellt wichtige Entscheidungsstrategien sowie deren Charakterisierung<br />
hinsichtlich Aufwand und Genauigkeit im Überblick dar. Auf Einzelheiten soll an<br />
dieser <strong>St</strong>elle jedoch nicht eingegangen werden 9 .<br />
9<br />
Eine detaillierte Darstellung findet sich z. B. bei Bleicker (1983, S. 31ff.) und<br />
Payne/Bettman/Johnson (1993), S. 24ff.<br />
21
Art<br />
Reihenfolge<br />
Kompensatorische<br />
Modelle<br />
Nichtkompensatorische<br />
Modelle<br />
Zur Elimination <strong>von</strong><br />
Produkten<br />
Zur Wahl <strong>von</strong><br />
Produkten<br />
Merkmalsweise Beurteilung<br />
(by Attribute)<br />
Additives Differenzmodell<br />
(ADDIF – ADDitive DIFference)<br />
• Paarweiser Vergleich der Produkte je<br />
Merkmal<br />
• Abspeichern <strong>von</strong> Differenzwerten und<br />
Errechnen der Differenzsumme<br />
• Vergleich des besseren mit dem<br />
nächsten Produkt<br />
• Ergebnis: relative Einstellungen je<br />
Produkt<br />
Modell der aspektweisen Elimination<br />
(EBA – Elimination By Aspects)<br />
• Ordnung der Merkmale nach<br />
Wichtigkeit<br />
• Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andard für<br />
wichtigstes Merkmal<br />
• Erfüllen Produkte den <strong>St</strong>andard? Wenn<br />
nein, eliminiert<br />
• ggf. Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andard für<br />
zweitwichtigstes Merkmal<br />
• usw.<br />
Lexikografisches Modell<br />
(LEX – LEXicographic)<br />
• Ordnung der Merkmale nach<br />
Wichtigkeit<br />
• Vergleich aller Produkte hinsichtlich<br />
wichtigstem Merkmal<br />
• Wahl des Produkt mit bester<br />
Ausprägung<br />
• ggf. zweitwichtigstes Merkmal<br />
• usw.<br />
Produktweise Beurteilung<br />
(by Alternative)<br />
Additives Modell<br />
(WADD – Weighted ADDitive)<br />
• Summierung aller Merkmalsausprägungen<br />
je Produkt, evtl.<br />
Gewichtung<br />
• Vergleich der abgespeicherten<br />
Summen<br />
• Ergebnis: absolute Einstellungen je<br />
Produkt<br />
Konjunktives Modell<br />
(SAT – Satisficing)<br />
• Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andards für alle<br />
Merkmale<br />
• Erfüllt erstes Produkt alle <strong>St</strong>andards?<br />
Wenn nein, eliminiert.<br />
• ggf. zweites Produkt<br />
• usw.<br />
Disjunktives Modell<br />
(DIS – DISjunctive)<br />
• Festlegung <strong>von</strong> <strong>St</strong>andards für alle<br />
Merkmale<br />
• Erfüllt erstes Produkt den <strong>St</strong>andard für<br />
ein Produkt? Wenn ja, akzeptiert.<br />
• ggf. zweites Produkt<br />
• usw.<br />
Tabelle 1: Klassifikation und Beschreibung <strong>von</strong> Entscheidungsstrategien. In Anlehnung an<br />
Bleicker (1983), S. 49<br />
Zusammenhang mit <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Konsumenten müssen mehr Informationen verarbeiten, wenn sie bei zunehmender<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> eine gleichbleibende Entscheidungsqualität erreichen wollen. <strong>St</strong>oßen<br />
sie dabei an die Kapazitätsgrenze der Informationsverarbeitung (siehe Kapitel 2.2.1.2,<br />
S. 70ff.), können sie darauf durch die Anwendung vereinfachender Entscheidungsstrategien<br />
reagieren (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 2ff.) oder im Extremfall<br />
den Kaufprozess abbrechen (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358). Die Anwendung <strong>von</strong><br />
vereinfachenden Heuristiken, die auch darin bestehen können, nur noch einzelne<br />
Merkmale wie z. B. den Preis bei der Entscheidung zu berücksichtigen oder der<br />
Empfehlung eines Freundes oder des Verkäufers zu folgen (vgl. Peter/Olson 2002,<br />
22
S. 179) haben aber im Normalfall eine Reduzierung der Entscheidungsqualität zur<br />
Folge (siehe Ausführungen oben und Abbildung 6). Dies kann sich wiederum negativ<br />
auf das Vertrauen des Konsumenten in den Kaufprozess und das gekaufte Produkt<br />
auswirken und letztlich zur Unzufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem<br />
erworbenen Produkt führen (vgl. z. B. Klein/Yadav 1989, S. 417f.; Schmidt 1990,<br />
S. 244; Sethi-Iyengar/Lepper 2000, S. 1003).<br />
Neben dieser rein kognitiven Betrachtung weist z. B. Oliver (1996, S. 243) darauf hin,<br />
dass durch die schwierige Entscheidung zwischen Alternativen, die jeweils<br />
verschiedene Vor- und Nachteile haben, Konflikte entstehen können, die <strong>von</strong> der<br />
Person als emotional unangenehm und schwierig empfunden werden und die sie<br />
deshalb reduzieren oder vermeiden möchten: „(...) at the moment when a decision is<br />
required the fact that each alternative has both advantages and disadvantages poses<br />
an impediment to the attainment of the most immediate subgoal – namely, escape from<br />
the unpleasant state of conflict induced by the decision problem itself“ (Shepard 1964,<br />
S. 277).<br />
Diese durch die Vielfalt verursachten „emotionalen Kosten“ können sich ebenfalls auf<br />
die Wahl der Entscheidungsstrategie auswirken und z. B. zur Anwendung einer<br />
Heuristik führen, die explizite Trade-Offs zwischen den Attributwerten einzelner<br />
Alternativen vermeidet (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 75). Tversky und Shafir<br />
(1992) haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass emotional schwierige Konflikte<br />
insbesondere zum Aufschub <strong>von</strong> Entscheidungen führen können (S. 358). Eine weitere<br />
Möglichkeit zur Reduktion oder Vermeidung negativer Emotionen ist die Delegation<br />
der Entscheidung an Dritte, z. B. an einen Verkäufer oder Freund (vgl.<br />
Beattie/Baron/Hershey 1994, S. 130f.; Brownstein 2003, S. 547f.).<br />
Vor beziehungsweise während der Entscheidung realisiert der Konsument außerdem<br />
„(...) that the purchase decision will leave the unchosen alternatives ‚on the table’<br />
where they may remain as a reminder that another purchase outcome could have been<br />
realized“ (Oliver 1996, S. 243). Dies kann zu dem „unguten Gefühl“ und der<br />
„dunklen Vorahnung“ (Apprehension) führen, dass der Konsument evtl. eine<br />
Entscheidung trifft, die er später bedauert. Die Antizipation dieses Bedauerns kann<br />
bewirken, dass der Konsument den Kauf aufschiebt oder ganz auf ihn verzichtet:<br />
„Whenever choice can induce regret consumers have an incentive to eliminate the<br />
choice“ (Thaler 1980, S. 52; vgl. Simonson 1992, S. 105ff.; Beattie/<br />
Baron/Hersehy/Spranca 1994, S. 131f.; Desmeules 2002, S 2). In verschiedenen<br />
Untersuchungen wurde gezeigt, dass zunehmende <strong>Produktvielfalt</strong> die Entstehung<br />
23
antizipierten Bedauerns fördert und zu verstärkten Entscheidungskonflikten und<br />
kognitiver Dissonanz führen kann (vgl. Sethi-Iyengar/Lepper 2000, S. 999;<br />
Brownstein 2003, S. 548; Oliver 1996, S. 252, Schmidt 1990, S. 244).<br />
Für den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies folgendes:<br />
Hinsichtlich der Nutzendimension ist festzuhalten, dass durch eine höhere<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> mehr Informationen bei der Beurteilung und Auswahl zur Verfügung<br />
stehen, was insgesamt zu einer besseren Entscheidung führen sollte. Dies gilt aber nur,<br />
wenn bei der Verarbeitung der Informationen die Kapazität des Informationsverarbeitungssystems<br />
des Entscheiders nicht überschritten wird (siehe S. 71ff.).<br />
In der Phase der Vor-Kauf-Bewertung sind mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> sowohl kognitive<br />
als auch emotionale „Aufwände“ verbunden. Diese manifestieren sich in kognitiver<br />
Anstrengung und negativen Emotionen, die durch die Antizipation <strong>von</strong> Bedauern und<br />
Entscheidungskonflikten entstehen. Auf diese Aspekte wird bei der Darstellung des<br />
theoretischen Bezugsrahmens im Rahmen der Theorie der Cost of Thinking (Kapitel<br />
2.3.2.1, S. 122ff.), der Konflikt Theorie (Kapitel 2.3.2.2, S. 134ff.) und der Theorie des<br />
Antizipierten Regrets (Kapitel 2.3.2.3, S. 158 ff.) detailliert eingegangen.<br />
Kauf (Purchase)<br />
Diese Phase manifestiert gewissermaßen das Ergebnis des Kaufentscheidungsprozesses:<br />
<strong>Der</strong> Konsument entscheidet sich endgültig, ob er das während der<br />
Vor-Kauf-Bewertung ausgewählte Produkt kauft und setzt diese Entscheidung in<br />
tatsächliches Verhalten um, indem er das ausgewählte Produkt erwirbt oder den Kauf<br />
abbricht und das Geschäft ohne Kauf verlässt. Die Unterscheidung zwischen den<br />
beiden Phasen der Vor-Kauf-Bewertung und dem Kauf wird getroffen, da die<br />
Entscheidung für ein bestimmtes Produkt nicht immer sofort in tatsächliches<br />
Kaufverhalten umsetzbar ist (z. B. aufgrund mangelnder Verfügbarkeit) (vgl. Kuß<br />
1987, S. 39) oder der Konsument sich „in letzter Sekunde“ beispielsweise wegen<br />
eines Sonderangebots anders entscheidet (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001,<br />
S. 127f.).<br />
24
Nachkaufphasen: Konsum und Evaluation (Consumption & Evaluation)<br />
Mit dem Kauf entscheidet sich der Konsument nicht nur für das gekaufte, sondern<br />
auch gegen die nicht gekauften Produktalternativen. Die Inkonsistenz, die durch die<br />
Attraktivität der nicht gewählten Alternativen und der Entscheidung für ein<br />
bestimmtes Produkt hervorgerufen wird, kann zur Entstehung kognitiver Dissonanz<br />
führen. Diese beschreibt Festinger (1959) als einen „psychologically uncomfortable<br />
tension state“(Oliver 1996, S. 247). Kognitive Dissonanz entsteht besonders dann,<br />
wenn sich der Konsument nicht sicher ist, das optimale Produkt aus den vorhandenen<br />
Alternativen für sich gewählt zu haben. Es ist deshalb anzunehmen, dass hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> die Entstehung kognitiver Dissonanz begünstigt (vgl. Oliver 1996,<br />
S. 252).<br />
Nach dem Kauf steht das Produkt zum Gebrauch zur Verfügung. In dem hier<br />
betrachteten Fall kognitiver Kaufentscheidungen (siehe S. 37) handelt es sich hierbei<br />
meist um Gebrauchsgüter, also um Produkte, die über einen längeren Zeitraum benutzt<br />
werden können.<br />
Während der Nutzung bewertet der Käufer das Produkt hinsichtlich seiner<br />
Erwartungen, was entweder zur Zufriedenheit oder zur Unzufriedenheit mit diesem<br />
führen kann (vgl. Blackwell/Miniard/Engel 2001, S. 71). Neben der Zufriedenheit<br />
spielen in dieser Phase auch Fragen bezüglich der Qualität und der Erfüllung der<br />
ursprünglichen Bedürfnisse eine Rolle (vgl. Oliver 1996, S. 243). Durch den Vergleich<br />
der nicht gewählten Alternative mit der gewählten kann es dabei ferner zum Bedauern<br />
(Regret) der Entscheidung kommen. Zeelenberg (1996) beschreibt dies als eine „(...)<br />
negative, cognitively determined emotion that we experience when realizing or<br />
imagining that our present situations would have been better, had we acted<br />
differently“ (S. 6). Regret kann als Reue und Enttäuschung der eigenen Entscheidung<br />
umschrieben werden (vgl. Simonson 1992, S. 105).<br />
Jacoby et al. (1974b, S. 39) und Scammon (1977) konnten weiterhin einen negativen<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> hoher Informationsmenge (Alternativenzahl) und Vertrauen in die<br />
Qualität der eigenen Entscheidung, also die wahrgenommene Sicherheit der richtigen<br />
Wahl, feststellen. Kombiniert man dieses Ergebnis mit dem <strong>von</strong> Jacoby et al. (1974a,<br />
S. 68), das einen positiven Zusammenhang <strong>von</strong> Sicherheit und Zufriedenheit<br />
nachweisen konnte, so kann man schlussfolgern, dass Regret und Zufriedenheit in<br />
einem negativen Verhältnis stehen (vgl. hierzu auch Taylor 1997). Zusammengefasst<br />
bedeutet dies, dass hohe Vielfalt zu einer verminderten Entscheidungssicherheit und<br />
damit zu Regret und geringerer Zufriedenheit führen kann.<br />
25
Die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt ist dahingehend <strong>von</strong> Interesse, da sie in<br />
Zusammenhang mit künftigem Verhalten steht: So existiert ein positiver<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> Produktzufriedenheit und zukünftigen Kaufabsichten hinsichtlich<br />
der Marke (vgl. Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 7; Tsiros/Mittal 2000,<br />
S. 405f.; siehe auch Abbildung 38, S. 167).<br />
Neben dem gekauften Produkt bewerten Konsumenten den Prozess zu dessen Erwerb.<br />
Zhang und Fitzsimons (1999) bezeichnen die hierbei zugrunde liegene<br />
Bewertungsgröße als „Choice-Process Satisfaction“ (Kaufprozesszufriedenheit)<br />
(S. 193) und verstehen darunter „(...) consumers’ satisfaction with their experience in<br />
the decision and purchase experience leading up to, and including, the actual<br />
purchase transaction“ (Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 1). Es ist<br />
anzunehmen, dass ein Zusammenhang selbiger mit der <strong>Produktvielfalt</strong> besteht: So<br />
konnten Sethi-Iyengar und Lepper (2000) zeigen, dass Konsumenten mit einem<br />
gewählten Produkt unzufriedener sind, wenn sie es aus einem Set mit vergleichsweise<br />
hoher Vielfalt gewählt haben (30 Alternativen) (S. 1003). Zu ähnlichen Ergebnissen<br />
kommen auch andere Autoren wie z. B. Klein und Yadav (1989, S. 417f.) und Schmidt<br />
1990, S. 244). Ein gegenteiliges Verhältnis zeigten die Untersuchungen <strong>von</strong> Jacoby et<br />
al. (1974a), die einen positiven Zusammenhang <strong>von</strong> Markenzahl und Zufriedenheit mit<br />
der Wahlentscheidung festgestellt haben (S. 67). Hierzu ist anzumerken, dass die<br />
Testpersonen unter maximal 12 Alternativen und damit aus einer moderaten<br />
Alternativenzahl ausgewählt haben. In einer anderen Untersuchung bestätigten Jacoby<br />
und seine Mitarbeiter (1974b) den negativen Zusammenhang <strong>von</strong> hoher Markenzahl<br />
und Zufriedenheit (S. 39). Weiterhin konnten Chang und Fitzsimons (1999) zeigen,<br />
dass Konsumenten mit dem Kaufprozess zufriedener sind, wenn die verfügbaren<br />
Alternativen hinsichtlich wichtiger Attribute vergleichbar (alignable) sind, was die<br />
Autoren auf geringere emotionale und kognitive Kosten bei der Entscheidung<br />
zurückführen (S. 206).<br />
Insgesamt ist deshalb da<strong>von</strong> auszugehen, dass sich sowohl die Anzahl als auch die<br />
<strong>St</strong>ruktur der Alternativen auf die Kaufprozesszufriedenheit auswirken (vgl.<br />
Westbrook/Newman/Taylor 1978, S. 59; Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997,<br />
S. 5ff.).<br />
Die Kaufprozesszufriedenheit wirkt sich wiederum auf die Gesamtzufriedenheit sowie<br />
insbesondere auf die Loyalität gegenüber dem Geschäft aus. Letzteres ist darauf<br />
zurückzuführen, dass der Kaufprozess eher dem Geschäft als dem Hersteller<br />
zugeschrieben wird (vgl. Fitzsimons/Greenleaf/Lehmann 1997, S. 7).<br />
26
Festzuhalten ist, dass sich hohe <strong>Produktvielfalt</strong> sowohl auf die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt als auch mit dem Kaufprozess auswirkt, was wiederum die<br />
Loyalität hinsichtlich der gekauften Marke und des Geschäfts, in dem das Produkt<br />
erworben wurde, beeinflusst. Des Weiteren ist zu vermuten, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong><br />
die Entstehung kognitiver Dissonanz begünstigt. Diese stellt gewissermaßen das<br />
Bindeglied zwischen Kaufprozess und Produktzufriedenheit dar und wird häufig als<br />
eine der Antezedenzien selbiger bezeichnet (vgl. Oliver 1996, S. 259f.). Die<br />
aufgefühten Größen sollen folglich in dem zu entwickelnden Modell der<br />
Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen hoher <strong>Produktvielfalt</strong> berücksichtigt werden.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Beschreibung der Phasen des Kaufprozesses hat verdeutlicht, dass die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> insbesondere in zwei Phasen eine wichtige Rolle spielt: In der Phase<br />
der Vor-Kauf-Bewertung und der Nachkaufphase. Dies verwundert auch nicht<br />
weiter, da sich der Konsument in der Bewertungsphase der <strong>Produktvielfalt</strong> gegenüber<br />
sieht und deshalb in diesem Schritt der <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in Form <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen entsteht. Die Nachkaufphase zeigt das Ergebnis der Entscheidung und<br />
somit die Konsequenzen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Zu berücksichtigen ist hierbei,<br />
dass auch der Verzicht auf den Kauf bzw. dessen Verschiebung ein mögliches<br />
Ergebnis des Kaufprozesses ist. Das hier betrachtete Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> kann mit seinen Dimensionen Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> somit der Phase der Vor-Kauf-Bewertung und seine<br />
Konsequenzen der Kauf- und Nachkauf-Phase zugeordnet werden.<br />
Als Konsequenzen sind hierbei in der weiteren Untersuchung insbesondere<br />
• die Kaufintention,<br />
• die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt und dem Kaufprozess,<br />
• die kognitive Dissonanz als Bindeglied zwischen Kaufprozess und<br />
Produktzufriedenheit sowie<br />
• die Loyalität gegenüber Geschäft und Marke<br />
zu berücksichtigen.<br />
27
1.2.3 Zielsetzung, forschungsleitende Fragestellungen und Abgrenzung des<br />
Untersuchungsgegenstands<br />
1.2.3.1 Forschungsbedarf<br />
Dhar beschreibt die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen zur Wirkung der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten als Beantwortung der Fragen „is?“ und<br />
„when?“ (Dhar 1997b, S. 126). Die Forschung hat sich bisher folglich vornehmlich<br />
damit beschäftigt, ob es einen Einfluss des Entscheidungskontextes, wie z. B. der<br />
Auswahlvielfalt auf das Entscheidungsverhalten gibt, und wann diese Effekte<br />
auftreten. In Kapitel 2.1 (S. 42ff.) werden einige der wichtigsten Untersuchungen<br />
detaillierter beschrieben.<br />
Weitgehend unbeantwortet ist dagegen die Frage „how?“, die erklärt, wie die Effekte<br />
zu <strong>St</strong>ande kommen und welche psychischen Prozesse sie verursachen (vgl. Dhar<br />
1997b, S. 127). Lehmann (1998) stellt zusätzlich den Forschungsbedarf hinsichtlich<br />
der Gesamtperspektive im Sinne der <strong>Wert</strong>schätzung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch<br />
Konsumenten und deren Umgang mit großen Sortimenten heraus: „(...) research on<br />
how much customers value variety (...) and the reactions of customers to large sets of<br />
options are (…) important areas for research” (S. 64).<br />
Forschungsbedarf besteht somit sowohl hinsichtlich der Makroebene, die sich mit der<br />
<strong>Wert</strong>schätzung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch Konsumenten beschäftigt, als auch<br />
hinsichtlich der Mikroebene, die die verschiedenen Aspekte und Prozesse, die zu<br />
dieser <strong>Wert</strong>schätzung führen, beleuchtet.<br />
<strong>Der</strong> in der Literatur genannte Forschungsbedarf konzentriert sich deshalb auf die<br />
Erklärung des beobachteten Konsumentenverhaltens und kann hierbei unter<br />
Einbeziehung der im Rahmen der Untersuchung verwendeten Begriffe Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (KPV), Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (NPV) und <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (WPV) im Wesentlichen drei Themenbereichen zugeordnet werden:<br />
28
1. Besseres Verständnis der <strong>Wert</strong>schätzung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> durch<br />
Konsumenten. Dies beinhaltet insbesondere die theoretische Erklärung der<br />
zugrunde liegenden positiven und negativen sowie kognitiven und affektiven<br />
Reaktionen <strong>von</strong> Konsumenten auf (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong> sowie deren<br />
Messung.<br />
• „(...) research on how much customers value variety (...) and the reactions<br />
of customers to large sets of options are (…) important areas for research“<br />
(Lehman 1998, S. 64).<br />
• „There is no consensus on a comprehensive principle that predicts<br />
decision difficulty, that provides measures of difficulty, or even on a definition“<br />
(Hastie 2000, S. 11).<br />
• „(…) future research should focus on the underlying cognitive processes<br />
that drive the negative impact of non-alignability on consumer choice“<br />
(Gourville/Soman 1999, S. 22).<br />
• „Additional research might investigate the role of affectively based<br />
assortment perceptions more thoroughly (…)”<br />
(Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 175).<br />
2. Untersuchung der Auswirkungen verschiedener Kosten- und Nutzenaspekte<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten<br />
• „(…) how the aversive elements of decision making are offset by the<br />
positive elements of greater choice to account for the fact that decisions do<br />
get made“ (Dhar 1997a, S. 230).<br />
• „Further research should investigate the influences of anticipating<br />
decision errors on purchase timing and choices between brand name and<br />
price (…)“ (Simonson 1992, S. 117).<br />
• „(…) dissonance is integral to decision making and to consumption (…).<br />
Little work on the occurrence and reduction of dissonance in consumption<br />
is currently available, and managers are generally unable to determine the<br />
extent of dissonance experienced by their consumers or of the influence of<br />
dissonance on satisfaction“ (Oliver 1996, S. 261).<br />
29
3. Einfluss der Eigenschaften des Choice Sets auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong><br />
• „Of particular interest is how the characteristics of a choice set (i.e.<br />
perceived similarity/differences between choices) contribute to choice<br />
uncertainty“ (Urbany/Dickson/Wilkie 1989, S. 214).<br />
• „Additional research might derive a more specific quantitative model of<br />
assortment perceptions to the functional relationships between objective<br />
stimulus changes and subjective experiences in psychophysics“<br />
(Broniarczyk/Hoyer/McAlister 1998, S. 174).<br />
• „(…) further research will probably help define what kind of changes and<br />
variety consumers actually desire“ (Desmeules 2002, S. 14).<br />
Die Forschungslücke besteht somit vor allem. in der Erklärung des Zusammenhangs<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation und dem Ergebnis des<br />
Kaufprozesses sowie den nachgelagerten Evaluationsprozessen, um so letztlich die<br />
Frage beantworten zu können „(...) when is too much variety too much?“ (Kahn<br />
1998, S. 52).<br />
Ansatzpunkt der vorliegenden Untersuchung ist es, diese Forschungslücke mit Hilfe<br />
der Konstrukte Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
(NPV) als Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (WPV), zu schließen.<br />
Die Zielsetzung der Untersuchung lässt sich damit wie folgt formulieren:<br />
1.2.3.2 Ziele der Untersuchung und Forschungsfragen<br />
Im Hinblick auf die Wissenschaft soll mit Hilfe der Konstrukte Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (NPV) als unabhängige<br />
Dimensionen des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (WPV) der Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation und dem Ergebnis des Entscheidungsprozesses<br />
sowie nachgelagerten Bewertungsprozessen aufgezeigt werden. Dieser<br />
Zusammenhang wird mit Hilfe existierender Theorien erklärt.<br />
Darauf aufbauend wird das Konstrukt <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und seine Kosten- und<br />
Nutzendimension theoriebasiert konzeptualisiert und operationalisiert. Unter<br />
Konzeptualisierung wird dabei die Erarbeitung der relevanten Kosten- und<br />
Nutzenfacetten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus der Sicht des Konsumenten verstanden.<br />
30
Anschließend werden im Rahmen der Operationalisierung Methoden zur Messung der<br />
Eigenschaften dieser Facetten entwickelt (Homburg 1998, S. 4). Des Weiteren sollen<br />
die Auswirkungen <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Kaufverhalten<br />
und die Bewertung des Kaufs, sowie des Kaufprozesses empirisch untersucht werden.<br />
Drittens soll schließlich der Einfluss der Charakteristika des Sortiments auf Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> untersucht werden. Hierbei werden sowohl<br />
quantitative Aspekte wie z. B. die Anzahl der Produkte im Sortiment, als auch<br />
qualitative Eigenschaften, wie beispielsweise Vergleichbarkeit und Unterscheidbarkeit<br />
der zur Wahl stehenden Alternativen, berücksichtigt.<br />
<strong>Der</strong> Unternehmenspraxis sollen damit Anhaltspunkte für die Optimierung des<br />
Produktprogramms zur <strong>St</strong>eigerung der Kaufintention <strong>von</strong> Konsumenten und damit zur<br />
Erhöhung des eigenen Absatzes gegeben werden. Weiterhin werden die<br />
Zusammenhänge <strong>von</strong> angebotener Vielfalt und der Zufriedenheit der Kunden mit<br />
dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt näher untersucht. Unternehmen werden<br />
dadurch unterstützt, sowohl kurzfristige (Kaufintention) als auch mittelfristige<br />
(Zufriedenheit) Nachfrageeffekte <strong>von</strong> Vielfaltssenkungen und -steigerungen besser<br />
abschätzen zu können.<br />
Insgesamt hat die Untersuchung das Ziel, Zusammenhänge <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten zu beleuchten, um so Wissenschaft und Praxis durch ein<br />
besseres Verständnis der Bedürfnisse <strong>von</strong> Konsumenten hinsichtlich der Vielfalt in der<br />
Entscheidungssituation weiterführende Hinweise zur gestalterischen Verbesserung der<br />
am Markt angebotenen <strong>Produktvielfalt</strong> zu geben.<br />
31
Forschungsfragen<br />
Zusammenfassend kann der Untersuchungsgegenstand durch vier Forschungsfragen<br />
beschrieben werden:<br />
1. Wie kann der Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
insgesamt und aufgrund vielfaltsbedingter Kosten- und Nutzenaspekte<br />
theoretisch erklärt werden?<br />
2. Wie lassen sich Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> konzeptualisieren und<br />
messen?<br />
3. Im welchem Zusammenhang steht die Höhe <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> mit dem Ergebnis der Kaufentscheidung und der Bewertungen<br />
<strong>von</strong> Kaufprozess und gekauftem Produkt sowie zukünftigen Verhaltensabsichten<br />
gegenüber dem Geschäft und der gekauften Marke?<br />
4. Durch welche Eigenschaften des Sortiments werden Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in welcher Höhe beeinflusst und welche Rolle spielt hier<br />
insbesondere die Anzahl der zur Wahl stehenden Produkte?<br />
Vereinfacht gesagt dienen die Forschungsfragen dazu, die „Blackbox des<br />
Konsumenten“ (vgl. Bänsch 1998, S. 4f.) ein <strong>St</strong>ück weit zu öffnen, um seine<br />
Reaktionen auf hohe <strong>Produktvielfalt</strong> besser zu verstehen. In Abbildung 7 werden die<br />
Forschungsfragen in Analogie zu einem S-O-R-Modell 10 veranschaulicht. Das Modell<br />
beschreibt dabei die Reaktion des Konsumenten (Objekt) auf den <strong>St</strong>imulus (in diesem<br />
Fall die <strong>Produktvielfalt</strong>) in Form <strong>von</strong> (Nicht)Kaufhandlung und Kaufbewertung (vgl.<br />
Meffert 2000, S. 99f.).<br />
10 <strong>St</strong>imulus-Object-Response-Modell<br />
32
<strong>St</strong>imulus<br />
(Sortiment in der<br />
Kaufsituation)<br />
Objekt<br />
(Konsument)<br />
Reaktion<br />
(Ergebnis Entscheidungsprozess)<br />
Ergebnis Kaufentscheidung<br />
"Blackbox"<br />
Evaluation und zukünftiges<br />
Verhalten<br />
"Öffnen der Blackbox"<br />
1 Theorie<br />
Größe und<br />
Eigenschaften des<br />
Sortiments<br />
<strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Facette 1<br />
Ergebnis Kaufentscheidung<br />
• Kaufwahrscheinlichkeit<br />
4<br />
...<br />
Facette n<br />
Facette 1<br />
...<br />
Facette n<br />
Kosten<br />
2<br />
Nutzen<br />
3<br />
3<br />
Evaluation und zukünftiges<br />
Verhalten<br />
• Zufriedenheit<br />
- Kaufprozess<br />
- Produkt<br />
• Kognitive Dissonanz<br />
• Loyalität<br />
- Marke<br />
- Geschäft<br />
1 Theoretische<br />
Begründung 2<br />
Messung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> durch seine<br />
Kosten- und<br />
Nutzendimension<br />
3 Konsequenzen:<br />
Wirkung auf<br />
Konsumentenverhalten<br />
4 Determinanten:<br />
Einflussgrößen des<br />
Sortiments<br />
Abbildung 7: Grafische Veranschaulichung der Forschungsfragen<br />
Um die Realisierbarkeit dieser Forschungsziele zu gewährleisten, wird der<br />
Untersuchungsgegenstand einerseits hinsichtlich der berücksichtigten unternehmerischen<br />
Aspekte und andererseits hinsichtlich der Art der Kaufentscheidung<br />
eingegrenzt.<br />
1.2.3.3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands<br />
Eingrenzung der berücksichtigten unternehmerischen Aspekte<br />
Die Untersuchung konzentriert sich auf die Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das<br />
Konsumentenverhalten und somit auf Nachfrageeffekte (vgl. Bayus/Putsin 1999,<br />
33
S. 137). Weitere Auswirkungen und Determinanten wie z. B. Kosteneffekte,<br />
strategische Effekte, unternehmensinterne und organisatorische Rahmenbedingungen<br />
sowie ökonomische Ziele wie Gewinn oder Deckungsbeitrag finden keine<br />
Berücksichtigung (vgl. hierzu z. B. Bayus/Putsin 1999, S. 137, Schuh/Schwenk 2001,<br />
S. 1ff.; Schmidt 1990, S. 1ff.; Prillmann 1996, S. 1ff.)<br />
Eingrenzung nach der Art der Kaufentscheidung<br />
Die vorherigen Abschnitte sind bereits auf die verschiedenen Aspekte der Kosten- und<br />
Nutzendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> knapp eingegangen. Hierbei wurde<br />
deutlich, dass vor allem Kosteneffekte auf der hohen kognitiven Belastung der<br />
Informationsverarbeitung bei großer <strong>Produktvielfalt</strong> beruhen. Dies gilt jedoch nicht bei<br />
allen Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen gleichermaßen. So ist die Intensität der<br />
Informationsverarbeitung und das Sicherheitsbedürfnis, die richtige Entscheidung zu<br />
treffen beim Kauf einer Frühstücksmarmelade sicherlich eine andere als beim Erwerb<br />
eines Autos oder langlebigen Konsumgutes wie einer Digitalkamera. Gleiches gilt<br />
auch für die Nutzenaspekte. Bei Verbrauchsgütern wie Marmelade spielt hier z. B. die<br />
Variation über die Zeit (Variety Seeking) eine wichtige Rolle, d. h. der Konsument<br />
möchte nicht jeden Tag dieselbe Marmeladesorte essen und profitiert folglich beim<br />
Kauf <strong>von</strong> großer Auswahl im Sinne der Verschiedenartigkeit der Produkte. Beim Kauf<br />
einer Waschmaschine ist dies offensichtlich vollkommen unbedeutend. Um diesen<br />
Unterschieden in der Art der gekauften Produkte Rechnung zu tragen, wird die<br />
Untersuchung entsprechend eingegrenzt. Die Eingrenzung erfolgt dabei aber nicht<br />
nach der Art der gekauften Produkte, sondern nach der Art der Kaufentscheidung.<br />
Dieser allgemeinere Ansatz kann entsprechend auf verschiedene Produktarten<br />
übertragen werden.<br />
Nachfolgend werden zunächst verschiedene Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
charakterisiert um auf dieser Basis die Eigenschaften „echter Kaufentscheidungen“<br />
herauszuarbeiten, auf die diese Untersuchung eingegrenzt wird.<br />
34
Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
Die in der Marketingliteratur sehr gebräuchliche Kaufentscheidungstypologie <strong>von</strong><br />
Katona und Howard/Sheth unterscheidet nach dem Grad der kognitiven Kontrolle vier<br />
idealtypische Kaufentscheidungsarten (vgl. z. B. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 359;<br />
Herrmann 1998, S. 95f.; Meffert 2000, S. 102ff.; Kuß 1987, S. 18):<br />
• Extensive Entscheidungen<br />
• Limitierte Entscheidungen<br />
• Habitualisierte Entscheidungen und<br />
• Impulsive Entscheidungen<br />
Diese Typologisierung geht ursprünglich auf Georg Katona (1950/1960) zurück, der<br />
zwei Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen unterschied:<br />
• echte Entscheidungen<br />
• habituelles Verhalten<br />
„Echte Entscheidungen werden nur gelegentlich getroffen (...) (und) (...) erfordern<br />
die Wahrnehmung einer neuen Situation und die Lösung des durch sie geschaffenen<br />
Problems“ (Katona 1960, S. 57, Hervorhebungen nicht im Original). Sie sind des<br />
Weiteren durch intensive Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung<br />
gekennzeichnet und finden vor allem beim Kauf <strong>von</strong> hochwertigen und langlebigen<br />
Gebrauchsgütern statt (vgl. Meffert 2000, S. 102; Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 359).<br />
Im Gegensatz hierzu beschreibt das habituelle Verhalten das „übliche oder<br />
alltägliche Verhalten“ bei dem man das tut „was man vorher in einer ähnlichen<br />
Situation auch schon getan hat“ (Katona 1960, S. 57, Hervorhebung nicht im<br />
Original). Die Wahl <strong>von</strong> Produkten und Marken ist nicht kognitiv gesteuert, sondern<br />
erfolgt gewohnheitsmäßig. Habituelle Kaufentscheidungen finden sich vor allem. bei<br />
Gütern des täglichen Bedarfs (vgl. Meffert 2000, S. 102; Herrmann 1998, S. 96).<br />
Die beiden Kaufentscheidungsarten unterscheiden sich somit hauptsächlich.<br />
hinsichtlich des Neuigkeitsgrades der Situation für den Konsumenten, was sich nach<br />
Katona (1960, S. 57) insbesondere auf die psychischen Prozesse der Entscheidungsfindung<br />
auswirkt.<br />
35
Howard und Sheth (1969) haben diese Unterscheidung verfeinert und zwei weitere<br />
Kaufentscheidungsarten unterschieden:<br />
• Limitierte Entscheidungen und<br />
• Impulskäufe<br />
Die limitierten Entscheidungen liegen gewissermaßen zwischen den echten und den<br />
habitualisierten Kaufentscheidungen. Konsumenten können bei dieser Art der<br />
Entscheidung auf Erfahrungen in ähnlichen Situationen zurückgreifen und haben klar<br />
definierte Entscheidungskriterien, anhand derer die Produktwahl getroffen wird (vgl.<br />
Kuß 1987, S. 18). <strong>Der</strong> kognitive Aufwand ist dabei begrenzt und die Auswahl erfolgt<br />
weitgehend emotionslos (vgl. Herrmann 1998, S. 96; Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 359).<br />
Die Impulskäufe unterscheiden sich <strong>von</strong> den anderen Entscheidungsarten in erster<br />
Linie durch den Zeitpunkt des Vorliegens eines Bedürfnisses: Während bei den bisher<br />
aufgeführten Auswahlarten das Bedürfnis bereits vor dem Betreten des Geschäfts<br />
beim Konsumenten existiert, reagiert der Konsument beim Impulskauf spontan auf<br />
Reize am Point of Sale, wie z. B. auf einen Wobbler oder eine auffällig gestaltete<br />
Verpackung (vgl. Meffert 2000, S. 102). Die Kaufentscheidung unterliegt nur einer<br />
geringen kognitiven Kontrolle und erfolgt meist affektgesteuert (vgl. Kuß 1987, S. 19;<br />
Herrmann 1998, S. 96; Meffert 2000, S. 102).<br />
Eingrenzung der Untersuchung auf „echte Kaufentscheidungen“ bzw.<br />
Auswahlprobleme<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden vor allem durch die kognitive Überforderung des<br />
Konsumenten bei der Kaufentscheidungsfindung (Information Overload) (vgl.<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974; Malhotra/Jain/Lagakos, 1982; Best/Ursic 1987) und<br />
während der Entscheidung empfundene oder antizipierte negative Emotionen (vgl.<br />
Anderson 2003, S. 160) verursacht. Sie setzen somit ein Mindestmaß an kognitiver<br />
Kontrolle und Informationsverarbeitung im Entscheidungsprozess voraus. Wie oben<br />
beschrieben, werden impulsive und habitualisierte Kaufentscheidungen weitgehend<br />
ohne kognitiven Aufwand getroffen, weshalb da<strong>von</strong> auszugehen ist, dass bei diesen<br />
Kaufentscheidungsarten mit hoher <strong>Produktvielfalt</strong> keine negativen Aspekte verbunden<br />
sind. <strong>Der</strong> Konsument würde auch bei einer großen Anzahl an Produkten ohne<br />
intensives Nachdenken entweder ein beliebiges oder sein „<strong>St</strong>amm-Produkt“, das er<br />
häufig kauft, erwerben.<br />
36
Um die „desirable depth of questioning“ (Westbrook/Newman/Taylor 1978, S. 55)<br />
des Konsumenten bei der Entscheidungsfindung sicherzustellen, wird die<br />
Untersuchung deshalb auf Auswahlprobleme bzw. echte Kaufentscheidungen<br />
eingeschränkt, d. h. auf Situationen, in denen ein Konsument „(...) auf der Basis <strong>von</strong><br />
Beurteilungen aus einer größeren Zahl <strong>von</strong> Möglichkeiten eine Alternative (...)“<br />
auswählt (Kuß 1987, S. 7). Die Produktwahl ist folglich das Ergebnis einer „;echten’<br />
Entscheidung“ in der „(...) der Konsument das Für und Wider einer Produktwahl<br />
überlegt, also bewusst auswählt“ (Kroeber-Riel 1992, S. 371). Kuß (1983) bezeichnet<br />
Entscheidungen, die dieser Bedingung genügen, als „kognitive Kaufentscheidungen“<br />
(S. 28), wobei der Begriff darauf zurückgeht, dass die während der Informationsaufnahme<br />
und -verarbeitung ablaufenden Prozesse den kognitiven Prozessen<br />
zugeordnet werden, was nicht bedeuten soll, dass affektive Reaktionen während der<br />
Kaufentscheidung keine Rolle spielen (vgl. Kuß 1983, S. 28).<br />
Zusammenfassende Charakterisierung echter bzw. kognitiver Kaufentscheidungen<br />
Hinsichtlich der Produkte lässt sich sagen, dass typischerweise langlebige<br />
Konsumgüter und höherwertige Produkte in die Kategorie der kognitiven Käufe fallen,<br />
während der Kauf <strong>von</strong> Gütern des täglichen Bedarfs eher den habitualisierten oder<br />
impulsiven Kaufentscheidungen zuzuordnen ist (vgl. Meffert 2000, S. 102;<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 359; Herrmann 1998, S. 96). Dies bedeutet auch, dass<br />
erstere Produkte meist teurer und komplexer sind sowie seltener gekauft werden (vgl.<br />
Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 250). Bei kognitiven Kaufentscheidungen sind<br />
die Produkte und Marken daher dem Käufer weniger bekannt (vgl. Solomon/<br />
Bamossy/Askegaard 2001, S. 250), weisen aber meist eine gewisse Verbindung zur<br />
Persönlichkeit und Selbsteinschätzung des Konsumenten auf, was den Kauf aus<br />
Konsumentensicht wichtiger macht (vgl. Assael 1981, S. 11; Meffert 2000, S. 112).<br />
Fritz und Hefner (1981, S. 233) konnten einen Zusammenhang der Produktart mit dem<br />
Informationsverhalten nachweisen und zeigen, dass der Informationsbedarf und die<br />
Informationsbeschaffung beim Kauf langlebiger Güter größer sind, als bei<br />
Lebensmitteln.<br />
<strong>Der</strong> Konsument sieht sich in der Kaufsituation bei einer kognitiven Entscheidung<br />
normalerweise einem relativ neuartigen Entscheidungsproblem gegenüber, für dessen<br />
Lösung ihm viele Informationen z. B. aus Werbung oder Testberichten oder vom<br />
Hersteller bzw. Händler zur Verfügung stehen. Die Dringlichkeit des Kaufs ist im<br />
Normalfall nicht sehr hoch, weshalb der Konsument nicht unter hohem Zeitdruck steht<br />
37
(vgl. Trommsdorff 1998, S. 308). Da die Produkte meist relativ teuer sind, können die<br />
Konsequenzen einer Fehlentscheidung bei einer echten Kaufentscheidung durchaus<br />
schwerwiegend sein (vgl. Desmeules 2002, S. 11). Dies führt dazu, dass der<br />
Konsument in der Entscheidungssituation ein hohes Risiko wahrnimmt (vgl. z. B.<br />
Assael 1981, S. 11; Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 250). Er ist daher relativ<br />
stark involviert, d. h. der Kauf hat eine große „Ich-Bedeutung“ für ihn (vgl. z. B.<br />
Assael 1981, S.11; Dellaert/Conlon/Soest 2001, S. 24f.). Auf die Rolle des<br />
Involvement wird in einem späteren Abschnitt noch detaillierter eingegangen (siehe<br />
S. 352ff.)<br />
In Abbildung 8 werden die beschriebenen Kaufentscheidungsarten sowie deren<br />
Eigenschaften im Überblick dargestellt.<br />
Fokus der Untersuchung<br />
Art der<br />
Entscheidung<br />
Impulsive<br />
Entscheidungen<br />
Habitualisierte<br />
Entscheidungen<br />
Limitierte<br />
Entscheidungen<br />
Echte/kognitive<br />
Kaufentscheidungen<br />
Extensive<br />
Entscheidungen<br />
Produkte<br />
Güter des täglichen Bedarfs,<br />
billige Produkte<br />
Geläufige Produkte<br />
und Marken<br />
Beziehung/Relevanz für Persönlichkeit<br />
Langlebige Konsumgüter,<br />
höherwertige, teure Produkte<br />
Weniger bekannte Produkte/Marken<br />
Neuartigkeit der Situation<br />
Situation<br />
Verfügbarkeit an Informationen<br />
Risiko/Konsequenzen einer Fehlentscheidung<br />
Involvement<br />
Schwierigkeit der Entscheidung<br />
Entscheidungsprozess<br />
Bedürfnis entsteht<br />
im Kaufprozess<br />
Informationsbeschaffung vor dem Kauf<br />
Intensität der Informationsverarbeitung<br />
Zeitbedarf<br />
Bedürfnis<br />
vor Kaufbeginn<br />
Prozesse<br />
Reaktiv<br />
emotional<br />
Kognitiv<br />
Abbildung 8: Eigenschaften verschiedener Arten <strong>von</strong> Kaufentscheidungen<br />
38
Beschränkung auf hohe <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Da die Arbeit das Ziel hat, die positiven und negativen Aspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
theoretisch zu begründen und empirisch zu untersuchen, werden die Ausführungen auf<br />
Kaufsituationen mit hoher Vielfalt eingeschränkt, also auf Situationen, in denen der<br />
Konsument ein Produkt aus einem großem Sortiment auswählen möchte.<br />
Weitere Einschränkungen<br />
Die Auswahlprobleme werden weiter auf so genannte Quantal Choice Problems bzw.<br />
All-or-Nothing-Responses eingeschränkt. Es geht also nicht um die Frage wie viel<br />
gekauft wird, sondern ob ein Produkt einer bestimmten Produktgruppe in einer<br />
spezifischen Kaufsituation gekauft wird (vgl. Shugan 1980, S. 99). Die Einschränkung<br />
auf das Quantal Choice Problem ist in der Konsumentenforschung häufig zu finden<br />
(vgl. Shugan 1980, S. 99 und die hierin zitierten Quellen).<br />
Des Weiteren spielen die einer Kaufentscheidung vorgelagerten Allokationsstufen, wie<br />
die Aufteilung des verfügbaren Kapitals in Spar- und Konsumanteil, sowie die<br />
Budgetierung des zum Konsum zur Verfügung stehenden Einkommens auf<br />
verschiedene Konsumsituationen bei der weiteren Betrachtung keine Rolle (vgl. Kuß<br />
1987, S. 10f).<br />
Die im Fokus dieser Untersuchung stehenden Entscheidungssituationen lassen sich<br />
somit folgendermaßen beschreiben:<br />
• Die Entscheidung wird durch ein Individuum für einen Haushalt getroffen.<br />
• Die Entscheidung hat einen gewissen Neuheitsgrad und wird nicht aus Routine<br />
getroffen (echte/kognitive Kaufentscheidungen).<br />
• <strong>Der</strong> Konsument kann sich zum Kauf (oder Nicht-Kauf) <strong>von</strong> genau einem<br />
Produkt entscheiden (Quantal Choice Problem).<br />
• Die grundsätzliche Entscheidung zum Kauf eines Produkts der Kategorie ist<br />
bereits im Vorfeld gefallen (keine Berücksichtigung vorgelagerter Allokationsstufen).<br />
39
1.3 <strong>St</strong>ruktur der weiteren Untersuchung<br />
Dieses Kapitel hat die Relevanz der <strong>Produktvielfalt</strong> für das Konsumentenverhalten<br />
dargestellt, die Zielsetzung dieser Untersuchung konkretisiert und grundlegende<br />
Begriffe erläutert. Des Weiteren wurde ein Überblick zu Erklärungsansätzen des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten gegeben und<br />
relevante Größen der Untersuchung identifiziert.<br />
Im nächsten Kapitel der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen der<br />
Untersuchung dargestellt. Hierbei wird im ersten Teil eine Bestandsaufnahme<br />
empirischer Forschungsergebnisse zum Umgang <strong>von</strong> Konsumenten mit <strong>Produktvielfalt</strong><br />
erstellt und bedeutende <strong>St</strong>udien in diesem Forschungsfeld beschrieben. <strong>Der</strong> zweite Teil<br />
geht auf Theorien, die den grundlegenden Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
Konsumentenverhalten beschreiben, ein. Im zweiten Teil werden die theoretischen<br />
Bezugspunkte zur Erklärung des Nutzens und der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus<br />
Konsumentensicht beschrieben. <strong>Der</strong> zuvor beschriebene Gesamteffekt wird hierbei<br />
gewissermaßen in einen Kosten- und einen Nutzeneffekt aufgegliedert, der dann<br />
jeweils theoretisch erklärt wird. Das Kapitel endet mit der Formulierung der aus der<br />
Theorie abgeleiteten Hypothesen.<br />
Das anschließende dritte Kapitel (S. 187ff.) befasst sich mit der Messung, d. h. der<br />
Konzeptualisierung und Operationalisierung des <strong>Wert</strong>s bzw. <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Hierbei wird auf die methodischen Grundlagen und die<br />
Vorgehensweise bei der empirischen Untersuchung eingegangen. Ziel dieses Kapitels<br />
ist es, ein Messinstrumentarium für die beiden Konstrukte Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu entwickeln und dieses in einer empirischen <strong>St</strong>udie<br />
zu überprüfen. Das Kapitel geht hierbei auch auf methodische Hintergründe der<br />
verwendeten Verfahren (LISREL, PLS) ein.<br />
Im Fokus des vierten Kapitels (S. 302ff.) steht die Wirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten: Hierbei werden die aus der<br />
Theorie abgeleiteten Hypothesen zum Einfluss der Kosten- und Nutzendimension des<br />
<strong>Wert</strong>konstrukts auf verschiede Größen des Konsumentenverhaltens einer empirischen<br />
Überprüfung unterzogen.<br />
Während sich das vierte Kapitel mit Konsequenzen der beiden zentralen Konstrukte<br />
beschäftigt, werden im fünften Kapitel (S. 366 ff.) die Determinanten <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> näher untersucht. Hierzu werden die in Kapitel 2<br />
formulierten Hypothesen zu den Einflussgrößen empirisch überprüft.<br />
40
Die Arbeit endet mit einem zusammenfassenden sechsten Kapitel (S. 387ff.), das die<br />
Ergebnisse aus wissenschaftlicher Sicht zusammenfasst, weiteren Forschungsbedarf<br />
sowie Implikationen für die Unternehmenspraxis ableitet.<br />
In Abbildung 9 ist der Aufbau der Arbeit grafisch veranschaulicht.<br />
Kapitel 1<br />
Grundlagen und Zielsetzung der Arbeit<br />
Kapitel 2<br />
Theoretische Grundlagen der Untersuchung<br />
2.1<br />
2.2<br />
Bestandsaufnahme<br />
Theorien zur Erklärung des übergeordneten Zusammenhangs<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
2.3.1<br />
Theorien zur Erklärung<br />
2.3.2<br />
des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Theorien zur Erklärung<br />
der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Kapitel 5<br />
Determinanten<br />
Kapitel 3<br />
Messung<br />
Kapitel 4<br />
Konsequenzen<br />
Größe und Eigenschaften des<br />
Choice Sets<br />
Facette 1<br />
...<br />
Facette n<br />
Kosten<br />
Ergebnis<br />
Kaufentscheidung<br />
Facette 1<br />
...<br />
Facette n<br />
Nutzen<br />
Evaluation und<br />
zukünftiges Verhalten<br />
Kapitel 6<br />
Zusammenfassung aus Sicht der Wissenschaft<br />
und Implikationen für die Unternehmenspraxis<br />
Abbildung 9: Aufbau der Arbeit<br />
41
2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung<br />
2.1 Bestandsaufnahme: Empirische Forschungsergebnisse<br />
ausgewählter <strong>St</strong>udien zum Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und Konsumentenverhalten<br />
Ziel dieses Abschnitts ist es, einen Überblick zu wichtigen empirischen <strong>St</strong>udien zu<br />
geben, die den Zusammenhang der Höhe und <strong>St</strong>ruktur <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in der<br />
Entscheidungssituation und im Kaufverhalten sowie Auswirkungen auf<br />
nachgelagerte Konstrukte, wie beispielsweise die Zufriedenheit mit dem<br />
Kaufprozess zum Untersuchungsgegenstand hatten. Die Darstellung erhebt dabei<br />
keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll vielmehr die Existenz empirischer<br />
Hinweise aufzeigen, welche die zentrale Hypothese dieser Arbeit stützen, dass<br />
Konsumenten mit hoher Auswahlvielfalt nicht nur positive (Nutzen) sondern auch<br />
negative (Kosten) Aspekte verbinden.<br />
2.1.1 Amos Tversky und Eldar Shafir (1992): Choice under Conflict: The<br />
Dynamics of Deferred Decision<br />
Die beiden Autoren untersuchten, als zwei der ersten in dieser <strong>St</strong>udie, die<br />
Auswirkungen der Alternativenanzahl auf das Kaufverhalten, insbesondere auf die<br />
Tendenz zum Kaufaufschub (Choice Deferral). Hierbei argumentieren Tversky und<br />
Shafir, dass durch zusätzliche (attraktive) Alternativen Konflikte beim Konsumenten<br />
entstehen, die zum Aufschub oder Abbruch der Entscheidung führen. Ursache hierfür<br />
sind schwierige Zielkonflikte (Trade-offs) zwischen den Attributen der<br />
Wahlalternativen: „Conflict arises because a person does not always know how to<br />
trade off costs against benefits, risk against value, and immediate satisfaction against<br />
future discomfort. As a consequence, it is often difficult to make important decisions<br />
(…)“ (Tversky/Shafir 1992, S. 358). Die Tendenz zum Kaufaufschub steigt folglich,<br />
wenn die Entscheidung zwischen attraktiven Alternativen zum Entscheidungskonflikt<br />
führt und einem Konsumenten deshalb schwer fällt. Dies widerspricht dem Prinzip der<br />
42
Nutzenmaximierung der rationalen Entscheidungstheorie, wonach ein Konsument eine<br />
Kaufentscheidung nur dann aufschiebt, wenn der Aufschub für ihn einen (subjektiv)<br />
höheren <strong>Wert</strong> hat, als die vorhandenen Alternativen, was beispielsweise dann der Fall<br />
ist, wenn er sich <strong>von</strong> der Suche nach weiteren Informationen oder Alternativen einen<br />
höheren Nutzen verspricht, als vom Kauf einer der verfügbaren Alternativen. Dies<br />
bedeutet aber, dass die Wahrscheinlichkeit des Kaufabbruchs nicht steigen kann, wenn<br />
einem Choice Set zusätzliche Alternativen hinzugefügt werden. In der<br />
Rationalitätstheorie wird dies als Regularitätsprinzip (Regularity) bezeichnet (vgl.<br />
Luce 1959, 1977; Gourville/Soman 1999, S. 5ff.).<br />
Formal ausgedrückt besagt es:<br />
Bezeichnet P(z; y) den Anteil der Konsumenten, die z aus einer Auswahl <strong>von</strong> {z, y}<br />
wählen und P(z; y, x) den Konsumentenanteil, die z wählen, wenn {z, y, x} zur Wahl<br />
stehen, dann gilt:<br />
P (z;y) ≥ P (z;y,x) (1)<br />
z, y, x Alternative Entscheidungsausgänge<br />
Wenn z den „Aufschub einer Kaufentscheidung“ bezeichnet, folgt aus dem<br />
Regularitätsprinzip, dass der Anteil an Konsumenten, die den Kauf aufschieben, nicht<br />
steigen kann, wenn zusätzlich zum Produkt y auch noch Produkt x verfügbar ist.<br />
Die Gültigkeit dieses Prinzips haben Tversky und Shafir getestet: Versuchspersonen<br />
wurden in zwei Gruppen unterteilt und mit einer fiktiven Kaufsituation konfrontiert.<br />
Einer Gruppe (N = 121) wurde dabei ein Produkt – ein CD-Player der Marke SONY –<br />
zur Wahl gestellt, eine zweite Testgruppe (N = 124) hatte zusätzlich zu diesem<br />
Produkt noch einen höherwertigen CD-Player der Marke AIWA zur Wahl. Die<br />
Testpersonen beider Gruppen konnten sich entweder für ein Produkt entscheiden oder<br />
den Kauf aufschieben, um mehr über die verschiedenen Produktmodelle in Erfahrung<br />
zu bringen. In der ersten Gruppe, der nur ein Produkt angeboten wurde, entschieden<br />
sich 66% für den CD-Player der Marke SONY und 34% für den Kaufaufschub. Von<br />
der zweiten Teilnehmergruppe wählten jeweils 27% den SONY und den AIWA<br />
CD-Player und 46% entschieden sich gegen den Kauf. <strong>Der</strong> Anteil der Nicht-Käufer ist<br />
durch die Verfügbarkeit einer zweiten Option also <strong>von</strong> 34% auf 46% gestiegen (siehe<br />
Abbildung 10, linker Teil (Experiment 1).<br />
43
Tversky und Shafir erklären diesen Anstieg damit, dass die zweite attraktive<br />
Alternative einen Entscheidungskonflikt verursacht hat. Die Erklärung gründet dabei<br />
auf der Beobachtung, dass der Anteil der Konsumenten, die den Kauf aufschieben,<br />
nicht steigt, wenn die zweite Alternative deutlich unattraktiver ist als die erste und<br />
deshalb keinen Konflikt verursacht (vgl. S. 360).<br />
In einem zweiten Experiment haben Tversky und Shafir untersucht, wie sich die<br />
Anzahl der verfügbaren attraktiven Alternativen auf die Wahrscheinlichkeit der<br />
Entscheidung für eine vorgegebene Option (Default Option) auswirkt. Dadurch<br />
konnten sie ausschließen, dass die obigen Ergebnisse der ersten <strong>St</strong>udie alternativ<br />
dadurch erklärt werden können, dass Konsumenten den Kauf aufschieben, weil sie die<br />
Existenz weiterer attraktiver Produkte am Markt vermuten.<br />
Versuchspersonen wurde in dieser Untersuchung als „Dankeschön“ für die Teilnahme<br />
an einer Befragung $1,50 (Default) in Aussicht gestellt. Nach dem Ausfüllen eines<br />
Fragebogens wurde einer Hälfte der Teilnehmer alternativ zu den $1,50 ein<br />
Metallkugelschreiber angeboten. Die andere Hälfte konnte alternativ zum Geldbetrag<br />
zwischen dem Metallkugelschreiber und zwei Plastikkugelschreibern wählen, hatte<br />
also neben der vorgegebenen Option ($1,50) statt einer zwei Wahlmöglichkeiten.<br />
Das Ergebnis gleicht dem der ersten <strong>St</strong>udie: In der ersten Gruppe entschieden sich<br />
25% der Konsumenten für den Geldbetrag, in der zweiten 53%. <strong>Der</strong> durch die größere<br />
Auswahl verursachte Konflikt hat nach der Erklärung der beiden Autoren dazu<br />
geführt, dass die Konsumenten auf eine „aktive“ Entscheidung zwischen den<br />
Optionen (Metallkugelschreiber oder zwei Plastikkugelschreiber) verzichtet und<br />
deshalb den <strong>St</strong>andard bzw. die vorgegebene Option gewählt (S. 361) haben. <strong>Der</strong> rechte<br />
Teil <strong>von</strong> Abbildung 10 verdeutlicht grafisch die Ergebnisse des zweiten Experiments.<br />
44
Experiment 1: Kauf vs. Kaufaufschub<br />
(N= 225)<br />
Experiment 2: Default Option vs. explizite Entscheidung<br />
(N= 80)<br />
Anteil 80%<br />
der<br />
Befragten 70%<br />
(in %)<br />
60%<br />
66%<br />
Anteil<br />
der<br />
Befragten<br />
(in %)<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
75%<br />
50%<br />
46%*<br />
60%<br />
Zusammen 47% (1)<br />
53%*<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
34%<br />
27%<br />
27%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
25% 23,5% 23,5%<br />
10%<br />
10%<br />
0%<br />
SONY Aufschub SONY AIWA Aufschub<br />
0%<br />
MKS $ 1.50<br />
(Default)<br />
MKS 2 PKS $ 1.50<br />
(Default)<br />
Produktalternativen 1 2 1 2<br />
(1) Keine genauere Angabe vorhanden<br />
*: p < 0,05 MKS: Metallkugelschreiber PKS: Platsikkugelschreiber<br />
Abbildung 10: Ergebnisse der Untersuchungen <strong>von</strong> Tversky/Shafir (1992): Die Erhöhung der Anzahl<br />
der Alternativen reduziert die Bereitschaft der Konsumenten zur Entscheidung. Daten aus<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358ff.<br />
Die Untersuchungen <strong>von</strong> Tversky und Shafir haben gezeigt, dass mehr Vielfalt zum<br />
Verzicht des Konsumenten auf die aktive Entscheidung zwischen den Alternativen<br />
und damit zum Kaufaufschub oder zur Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo führen kann. Dies<br />
stellt eine Verletzung des Regularitätsprinzips der rationalen Entscheidungstheorie<br />
(vgl. Luce 1959, 1977; siehe S. 43) dar. Nach der Argumentation <strong>von</strong> Tversky und<br />
Shafir ist die Ursache hierfür ein durch die Alternativen verursachter Entscheidungskonflikt,<br />
den der Konsument nicht lösen kann oder will. <strong>Der</strong> Konflikt entsteht aber<br />
nur, wenn die Alternativen aus der Sicht des Konsumenten etwa gleich attraktiv und<br />
potenzielle „Kandidaten“ zur Bedürfnisbefriedigung sind. Dies führt dazu, dass der<br />
Konsument unschlüssig ist, welche der angebotenen Optionen er wählen soll. Die<br />
Ergebnisse der Untersuchungen verdeutlichen auch, dass sich nicht allein die Anzahl<br />
der Alternativen, sondern auch deren Art und Beziehung untereinander auf das<br />
Verhalten der Konsumenten auswirkt.<br />
45
2.1.2 Donald A. Redelmeier und Eldar Shafir (1995): Medical Decision Making<br />
in Situations That Offer Multiple Alternatives.<br />
Die <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Redelmeier und Shafir (1995) war eine der ersten – wenn nicht die<br />
erste –, die in einem medizinischen Umfeld die Hypothese getestet hat „(...) whether<br />
situations involving multiple options can paradoxically influence people to choose an<br />
option that would have been declined if fewer options were available“<br />
(Redelmeier/Shafir 1995, S. 302). Eine Besonderheit ist hierbei, dass Entscheidungen<br />
im medizinischen Bereich vergleichsweise schwer zu treffen sind, da sie aufgrund<br />
ihrer Komplexität und Dringlichkeit fehleranfällig sind und Fehlentscheidungen<br />
gleichzeitig weitreichende und teilweise irreparable Folgen für den Patienten haben<br />
(vgl. S. 302). Wesentliche Fragestellung dieser Untersuchung war der Einfluss der<br />
Alternativenzahl auf die Entscheidungswahrscheinlichkeit für die Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo oder für die Wahl einer vorgegebenen Option.<br />
In ihrem ersten Experiment untersuchten die Autoren, ob sich Ärzte hinsichtlich der<br />
Behandlung eines Patienten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für die<br />
Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo entscheiden, wenn mehrere anstatt nur wenige alternative<br />
Behandlungsoptionen möglich sind. In einer zweiten <strong>St</strong>udie wurden Politiker vor ein<br />
ähnliches Entscheidungsproblem gestellt: Hierbei wurde untersucht, ob sich die<br />
Gesetzgeber eher für den <strong>St</strong>atus quo entscheiden, wenn ein politisches Problem<br />
hinsichtlich der Schließung medizinischer Einrichtungen mehrere anstatt nur wenige<br />
alternative Lösungen hat. Ziel der dritten Untersuchung war schließlich festzustellen,<br />
ob die Wahl einer bestimmten Alternative <strong>von</strong> der Anzahl und der Ähnlichkeit der<br />
anderen Optionen abhängt.<br />
Die Autoren stützen ihre Hypothese, dass die Präferenz <strong>von</strong> Entscheidern für die<br />
Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo mit steigender Alternativenzahl zunimmt, auf die<br />
Konflikttheorie. Demnach versuchen Personen Konflikte zu lösen, die durch die<br />
gleichzeitige Verfügbarkeit mehrerer ähnlich attraktiver Alternativen entstehen, indem<br />
sie entweder beim <strong>St</strong>atus quo bleiben oder eine Alternative wählen, die quasi den<br />
„Weg des geringsten Widerstands“ darstellt. Dadurch können sie eine explizite<br />
Lösung des Konflikts der konkurrierenden Alternativen vermeiden.<br />
Zur Überprüfung der Hypothese haben die Autoren in einem ersten Experiment 287<br />
Ärzte befragt, wie sie einen Patienten, dessen Krankheitsbild detailliert im Fragebogen<br />
beschrieben war, behandeln würden. <strong>Der</strong> Hälfte der Ärzte standen hierzu zwei<br />
alternative Behandlungsformen zur Auswahl, die andere Hälfte konnte zwischen drei<br />
Optionen wählen. Die erste Gruppe konnte entweder den bereits mit dem Patienten<br />
46
abgestimmten Behandlungsweg beibehalten (<strong>St</strong>atus quo) oder alternativ ein bisher<br />
vom Patienten noch nicht angewandtes Medikament (Ibuprofen) zur Behandlung<br />
vorschlagen. <strong>Der</strong> zweiten Hälfte der Ärzte stand neben der Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo und dem Ibuprofen noch ein zweites Medikament (Piroxicam) zur<br />
Auswahl. Die Ergebnisse haben dabei gezeigt, dass <strong>von</strong> der ersten Gruppe 53% beim<br />
abgestimmten Vorgehen geblieben sind, wohingegen 72% der Ärzte diese<br />
Entscheidung getroffen haben, wenn nicht ein, sondern zwei alternative Medikamente<br />
zur Wahl standen (p < 0,001) (vgl. S. 304). <strong>Der</strong> linke Teil <strong>von</strong> Abbildung 11 zeigt die<br />
Ergebnisse in grafischer Form.<br />
Anteil<br />
der Befragten<br />
(in %)<br />
100%<br />
90%<br />
Experiment 1<br />
(N= 287)<br />
Experiment 2<br />
(N= 352 )<br />
Experiment 3<br />
(N= 41)<br />
80%<br />
72%***<br />
70%<br />
60%<br />
53%<br />
62%<br />
58%***<br />
64%<br />
50%<br />
40%<br />
38%<br />
42%<br />
30%<br />
26%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
<strong>St</strong>atus quo <strong>St</strong>atus quo Patient 1 Patient 2 Patient 1<br />
(1)<br />
oder 3<br />
Patient 2<br />
keine<br />
Entsch.<br />
keine<br />
Entsch.<br />
Anzahl Alternativen<br />
2 3 2 3 1 2<br />
(1) Sehr ähnliches Krankheitsbild<br />
*: p < 0,05 ***: p < 0,001<br />
Abbildung 11: Auswirkung verschieden hoher Alternativenzahl auf das Entscheidungsverhalten bei<br />
medizinischen Entscheidungen. Quelle: Daten aus Redelmeier/Shafir 1995, S. 302ff.<br />
Im zweiten Experiment mussten insgesamt 352 Ärzte entscheiden, welchen der<br />
beschriebenen Patienten sie als Ersten operieren würden, wenn aufgrund äußerer<br />
Bedingungen nur ein Patient operiert werden kann. Die Anzahl der OP-Kandidaten<br />
variierte je nach Szenario zwischen zwei und drei. Entscheidend war hierbei, dass der<br />
im letzten Fall hinzugefügte dritte Patient dem ersten hinsichtlich Alter,<br />
Krankheitsbild und Lebenssituation sehr ähnlich war. Redelmeier und Shafir haben<br />
jeweils etwa die Hälfte der 352 Ärzte mit einem der Szenarien konfrontiert und dabei<br />
festgestellt, dass sich im Fall <strong>von</strong> drei Patienten mehr Ärzte für die Operation <strong>von</strong><br />
47
Patient 2 entscheiden, als im Szenario mit zwei Patienten. Sie führen dieses Verhalten<br />
darauf zurück, dass es den Ärzten Schwierigkeiten bereitet hat, sich zwischen den<br />
beiden sehr ähnlichen Patienten 1 und 3 zu entscheiden und sie diesen Konflikt gelöst<br />
haben, indem sie sich für Patient 2 entschieden haben, der den beiden anderen sehr<br />
unähnlich war. Die Operation des zweiten Patienten kann der Arzt somit vor sich<br />
selbst und anderen leichter rechtfertigen (vgl. Redelmeier/Shafir 1995, S. 304) (siehe<br />
Abbildung 11, mittlere Grafik).<br />
Das dritte Experiment brachte vergleichbare Ergebnisse wie das erste hervor: In einem<br />
der ersten <strong>St</strong>udie ähnlichen Design wurden 41 Politiker befragt, wie sie hinsichtlich<br />
der Schließung eines Krankenhauses entscheiden würden, wenn entweder ein oder<br />
zwei Krankenhäuser zur Wahl stünden. In beiden Fällen konnten die Politiker die<br />
Entscheidung „verweigern“ und angeben, dass sie keine Empfehlung aussprechen<br />
wollen, ob bzw. welches Haus geschlossen werden soll (Default Option). Auch hier<br />
hat sich gezeigt, dass mehr Personen die Entscheidung ablehnen und keine<br />
Empfehlung abgeben, wenn zwei Optionen anstatt einer verfügbar sind (64% vs. 26%,<br />
p < 0,05) (vgl. S. 304). <strong>Der</strong> rechte Teil <strong>von</strong> Abbildung 11 stellt die Ergebnisse grafisch<br />
dar.<br />
Die Untersuchungen <strong>von</strong> Redelmeier und Shafir sind für diese Arbeit besonders<br />
interessant, da sie ein Entscheidungsproblem zum Gegenstand hatten, das mit<br />
weitreichenden Konsequenzen verbunden ist. Es ist deshalb da<strong>von</strong> auszugehen, dass<br />
die Person entsprechend versucht, eine möglichst gute Entscheidung zu treffen, indem<br />
sie Zeit und Energie aufwendet, um die Optionen miteinander zu vergleichen und<br />
deren Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Damit fällt diese Art der<br />
Entscheidung in die hier betrachtete Kategorie der echten bzw. kognitiven<br />
Kaufentscheidungen (siehe 37ff.). Die Ergebnisse der Experimente haben gezeigt, dass<br />
durch Hinzufügen einer attraktiven Alternative ein Konflikt verursacht wird, der das<br />
Entscheidungsverhalten der Testpersonen verändert: Diese haben den Konflikt gelöst,<br />
indem sie den „Weg des geringsten Widerstands“ gegangen sind und sich für den<br />
<strong>St</strong>atus quo oder eine klar unterscheidbare Alternative entschieden haben.<br />
Interpretiert man die Alternativen einer Entscheidung als Äste eines Entscheidungsbaums,<br />
lassen sich die obigen Ergebnisse damit erklären, dass der Entscheider bei<br />
einem Konflikt den Ast auswählt, der eine einfachere oder leichter zu begründende<br />
Lösung des Entscheidungskonflikts darstellt, als die anderen Äste. Überträgt man dies<br />
auf Kaufsituationen, so kann man vermuten, dass ein Konsument bei einer großen<br />
Anzahl an etwa gleich attraktiven Alternativen eher zum Nicht-Kauf tendiert und<br />
48
somit im Normalfall den <strong>St</strong>atus quo beibehält. Kauft der Konsument ein Produkt, so<br />
steigt mit der Alternativenzahl auch die Wahrscheinlichkeit, dass er eine<br />
„vorgegebene“ Option, wie z. B. ein besonders hervorgehobenes Produkt<br />
(„Bestseller“) wählt.<br />
2.1.3 Ravi Dhar (1997): Consumer Preference for a No-Choice Option<br />
Dhar hat in insgesamt sieben <strong>St</strong>udien untersucht, wie sich die Attraktivität einer<br />
zweiten verfügbaren Alternative in der Kaufsituation auf die Kaufintention auswirkt.<br />
Basierend auf den Ideen der Theorie der Präferenz-Unsicherheit (Preference<br />
Uncertainty) (Payne/Bettman/Johnson 1992; Slovic 1995) argumentiert der Autor,<br />
dass Konsumenten eher zum Kaufaufschub neigen, wenn mehrere in etwa gleich<br />
attraktive Alternativen zur Auswahl stehen, verglichen mit einer Entscheidungssituation<br />
in der nur eine attraktive Alternative verfügbar ist. Demnach führen<br />
Situationen zur Verwirrung, in denen der Konsument nicht weiß, welche der<br />
Alternativen er präferiert, es kein klar dominierendes Produkt im Sortiment gibt und er<br />
sich gleichzeitig aber auch nicht sicher ist, dass alle Optionen seine Bedürfnisse gleich<br />
gut erfüllen. Als Folge dieser Verwirrung verzichtet der Nachfrager auf die<br />
Entscheidung oder verschiebt diese (vgl. S. 216; Scholnick/Wing 1988; zitiert nach<br />
Dhar 1997a, S. 216). Dhar formuliert als zentrale Hypothese, dass die Kaufintention<br />
des Konsumenten sinkt, wenn einem Choice Set mit einer Alternative eine zweite, in<br />
etwa gleich attraktive Alternative hinzugefügt wird. Ist die zweite Wahlmöglichkeit<br />
dagegen weniger attraktiv, steigt die Kaufintention (vgl. Dhar 1997a, S. 218).<br />
Zur Überprüfung seiner Hypothese wurden in einer ersten Laborstudie 190 <strong>St</strong>udenten<br />
mit einer fiktiven Kaufentscheidung in vier verschiedenen Produktkategorien<br />
(Regallautsprecher, Anrufbeantworter, Laptop, Elektrorasierer) konfrontiert. Die<br />
Testpersonen hatten dabei, je nach Versuchsbedingung, entweder ein Produkt oder<br />
zwei Produkte zur Auswahl, wobei im letzten Fall entweder gleich attraktive<br />
Alternativen oder eine dominierende und eine unterlegene Alternative zur Verfügung<br />
standen. Die „Konsumenten“ konnten sich entweder zum Kauf entscheiden oder eine<br />
„Nicht-Kauf-Option“ wählen (A: mehr Informationen sammeln oder B: nach weiteren<br />
Alternativen suchen). Übereinstimmend mit seiner Hypothese konnte Dhar feststellen,<br />
dass der Anteil der Testpersonen, die sich für eine der „Nicht-Kauf-Optionen“<br />
entschieden, im Durchschnitt über die vier Produktarten um 11%<br />
(χ 2 (1) = 6,7, p < 0,01) gestiegen ist, wenn zwei in etwa gleich attraktive Alternativen<br />
49
zur Auswahl standen. Wurde hingegen eine deutlich unattraktivere Alternative<br />
hinzugefügt, lag die Kaufhäufigkeit um 14% (χ 2 (1) = 8,7, p < 0,01) höher, als bei der<br />
Verfügbarkeit <strong>von</strong> nur einer Option (vgl. S. 219f.).<br />
Personen, die<br />
gekauft haben<br />
= P( Kauf)<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
62%<br />
52%**<br />
50%**<br />
Experiment 1: Einfluss der Anzahl der Alternativen und Trade-offs auf die<br />
Kaufwahrscheinlichkeit (N= 199)<br />
64%<br />
77%**<br />
70%**<br />
58% 58% 58%<br />
52%<br />
50%<br />
48%<br />
45%*<br />
44%<br />
42%*<br />
74%**<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
Produkt<br />
0%<br />
Lautsprecher Anrufbeantworter Laptop Elektrorasierer<br />
Alternativen 1 2<br />
1 2 1 2 1 2<br />
1 Alternative Hohe Anzahl Trade-offs Geringe Anzahl Trade-offs Eine dominierende Alternative<br />
Personen, die<br />
gekauft haben<br />
= P( Kauf)<br />
100%<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
64%<br />
Experiment 2: Einfluss der Anzahl der Alternativen und deren Attraktivität auf die<br />
Kaufwahrscheinlichkeit (N= 300)<br />
79%*<br />
60%<br />
52%** 52%*<br />
82%**<br />
68%<br />
52%**<br />
88%**<br />
66%<br />
54%*<br />
78%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
Produkt<br />
0%<br />
Schnurloses Telefon Kopfhörer Laptop Kamera<br />
Alternativen 1 2 1 2 1 2 1 2<br />
1 Alternative Gleich attraktive Alternativen Eine dominierende Alternative<br />
*: p < 0,1 **: p < 0,05<br />
Abbildung 12: <strong>Der</strong> Anteil der Käufer in verschiedenen Produktkategorien ist abhängig <strong>von</strong> Anzahl<br />
und Art der verfügbaren Alternativen. Daten aus Dhar 1997a, S. 218ff.<br />
50
Eine zweite nur leicht modifizierte <strong>St</strong>udie mit 300 <strong>St</strong>udenten bestätigte die Ergebnisse:<br />
<strong>Der</strong> Anteil der Testpersonen, die den Kauf aufgeschoben haben, lag hier im Vergleich<br />
mit der Situation, die nur eine Option enthielt, um durchschnittlich 12%<br />
(χ 2 (1) = 6,6, p < 0,01) höher, wenn eine zweite, gleich attraktive Alternative zur Wahl<br />
stand, und um 19% (χ 2 (1) = 26,2 p < 0,01) niedriger, wenn eine zweite, weniger<br />
attraktive Alternative wählbar war (vgl. S. 221). In Abbildung 12 sind die Ergebnisse<br />
der beiden <strong>St</strong>udien für die einzelnen Produktgruppen grafisch dargestellt. Zu erkennen<br />
ist hierbei die im Vergleich zur Situation mit nur einer Alternative deutliche Abnahme<br />
des Käuferanteils (entspricht der Kaufwahrscheinlichkeit über alle Käufer), wenn eine<br />
zweite attraktive Alternative verfügbar ist, sowie der Anstieg des Käuferanteils, wenn<br />
die zweite Alternative der ersten eindeutig in ihrer Attraktivität unterlegen ist.<br />
Die beiden <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Dhar haben gezeigt, dass die Erweiterung der Produktauswahl<br />
um eine zweite attraktive Alternative zu einem deutlichen Anstieg des Kaufaufschubs<br />
bzw. Kaufverzichts und somit zu einer Senkung der Kaufintention führen kann. Das<br />
Gegenteil ist der Fall, wenn die hinzugefügte Alternative weniger attraktiv ist, als die<br />
erste. Dhar führt diese Effekte auf die Präferenzunsicherheit des Konsumenten zurück,<br />
die entsteht, wenn dieser keine Dominanzstruktur in der Produktauswahl erkennen<br />
kann, d. h. er kein Produkt findet, das dem anderen eindeutig überlegen ist (vgl.<br />
S. 229). Die Ergebnisse widersprechen damit einer der Annahmen der rationalen<br />
Entscheidungstheorie, wonach ein Konsument stets das für ihn beste Produkt in einem<br />
Sortiment identifizieren kann (vgl. Dhar 1997a, S. 215).<br />
Interessant an den Ergebnissen der <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Dhar ist insbesondere, dass der<br />
Ausgang einer Kaufentscheidung vom Zusammenspiel der Anzahl und Art der<br />
Wahlalternativen beeinflusst wird. Dies verdeutlicht, dass sich sowohl quantitative, als<br />
auch qualitative Aspekte des Sortiments auf das Konsumentenverhalten auswirken und<br />
im Fortgang der Untersuchung als Determinanten <strong>von</strong> Kosten und Nutzen<br />
entsprechend zu berücksichtigen sind.<br />
2.1.4 John Gourville und Dilip Soman (1999): Is More Choice Always Better?<br />
The Effect of Assortment Type on Consumer Choice<br />
Gourville und Soman (1999) stellten in ihren Untersuchungen fest, dass die Erhöhung<br />
der <strong>Produktvielfalt</strong> den Marktanteil einer Marke verringern kann, wenn die<br />
Alternativen nur schwer miteinander vergleichbar sind. Dies bedeutet eine Verletzung<br />
des Regularitätsprinzips und damit einer der zentralen Annahmen der rationalen<br />
51
Entscheidungstheorie (vgl. Luce 1959, 1977). Gourville und Soman führen das<br />
Konstrukt „Assortment Type“ ein, das die Vergleichbarkeit der Produkte innerhalb<br />
einer Produktlinie beschreibt und als moderierende Größe den beobachteten<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Marktanteil erklärt.<br />
Die Autoren unterscheiden hierbei die Extreme „vergleichbare Produktlinie“<br />
(Alignable Assortment) und „nicht-vergleichbare Produktlinie“ (Non-alignable<br />
Assortment) und haben gezeigt, dass die Erhöhung der <strong>Produktvielfalt</strong> einer Marke zu<br />
einer Marktanteilssteigerung führt, wenn die Produktlinie vergleichbar ist und das<br />
Gegenteil eintritt, wenn es sich um ein Non-alignable Assortment, d. h. ein nicht<br />
vergleichbares Produktangebot handelt.<br />
Die zentrale Hypothese des moderierenden Effekts der „Vergleichbarkeit einer<br />
Produktlinie“ (Alignable vs. Non-alignable Assortment) gründet auf Forschungsergebnissen<br />
hinsichtlich der „Attribute Alignability“ <strong>von</strong> Markman und seinen<br />
Kollegen (siehe z. B. Markman/Medin 1995; Zhang/Markman 1998; Zhang/Markman<br />
1999). Diese haben vorgeschlagen, dass bei einem Produktvergleich die Attribute der<br />
Alternativen in „vergleichbare Unterschiede“ (Alignable Differences) und<br />
„nicht-vergleichbare Unterschiede“ (Non-alignable Differences) klassifiziert werden<br />
können. Sie definieren diese als „(...) attributes or dimensions that are readily<br />
comparable between the two alternatives“ bzw. „(...) attributes or dimensions that are<br />
possessed by one alternative but not by the other“ (Gourville/Soman 1999, S. 6). So<br />
wäre beispielsweise die Motorleistung <strong>von</strong> zwei zur Wahl stehenden Autos eine<br />
Alignable difference (z. B. 150 vs. 200 KW); hat dagegen das eine Auto ein<br />
Schiebedach, das zweite dafür eine Klimaautomatik und kein Schiebedach, so würden<br />
diese Attribute in die Gruppe der Non-alignable differences fallen. Abbildung 13<br />
verdeutlicht die Unterschiede grafisch.<br />
In verschiedenen Forschungsarbeiten wurde gezeigt, dass Personen bei der<br />
Entscheidung zwischen zwei Alternativen vergleichbare Unterschiede in Relation zu<br />
nicht-vergleichbaren Unterschieden mehr Gewicht beimessen (Markman/Medin 1995),<br />
sich an diese besser erinnern (Zhang/Markman 1998) und ihnen deren kognitive<br />
Verarbeitung leichter fällt (Zhang/Fitzsimons 1999).<br />
Gourville und Soman haben das Alignability-Prinzip <strong>von</strong> der Attributebene auf die<br />
Produktlinien- bzw. Sortimentsebene übertragen und definieren entsprechend eine<br />
vergleichbare Produktlinie (Alignable Assortment) als „(...) a set of product variants<br />
that differ along a readily comparable dimension, such that each variant has a unique<br />
quantity of that attribute“ und eine nicht-vergleichbare Produktlinie (Non-alignable<br />
52
Assortment) als „(...) a set of variants that simultaneously vary along non-comparable<br />
or discrete attributes, such that any particular variant possesses a unique feature or<br />
option that is not possessed by the other“ (Gourville/Soman 1999, S. 6).<br />
Vergleichbare Produkteigenschaften<br />
(Alignable Assortment)<br />
Nicht vergleichbare Produkteigenschaften<br />
(Non-alignable Assortment)<br />
Preis<br />
Produkt D<br />
Preis<br />
Produkt C<br />
Produkt C<br />
Produkt B<br />
Produkt A<br />
Produkt B<br />
Produkt A<br />
Nein<br />
Ja<br />
Klimaautomatik<br />
Ja<br />
Leistung (KW)<br />
Schiebedach<br />
Abbildung 13: Vergleichbare Produktlinie (Alignable Assortment) und nicht-vergleichbare<br />
Produktlinie (Non-alignable Assortment)<br />
Folgt man den Argumenten der rationalen Entscheidungstheorie (vgl. Luce 1959,<br />
1977; Schmidt 1995), so sollte ein Hersteller durch die Erweiterung seines Sortiments<br />
– unabhängig <strong>von</strong> dessen Art und <strong>St</strong>ruktur – seinen Marktanteil steigern können.<br />
Demgegenüber argumentieren Gourville und Soman, basierend auf verschiedenen<br />
Forschungsergebnissen (z. B. Payne/Bettman/Johnson 1993; Lehmann 1998, Shugan<br />
1980), dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für den Konsumenten mit Kosten verbunden ist.<br />
Diese Hypothese stützt sich auf Vorschläge <strong>von</strong> Loewenstein (1999), der argumentiert,<br />
dass hohe Vielfalt für Konsumenten mit „Time costs“, „Error costs“ und „Psychic<br />
costs“ (S. 2) verbunden ist (siehe hierzu die Ausführungen auf S. 7f.). Hauptthese der<br />
beiden Autoren ist, dass diese Kosten bei einem vergleichbaren Sortiment geringer<br />
sind, als bei einem nicht-vergleichbaren. Sie begründen dies damit, dass bei einem<br />
Alignable Assortment Kompromisse (Trade-offs) leichter fallen, da sich die<br />
Alternativen nur innerhalb einer Dimension unterscheiden. Gleichzeitig sind die<br />
Abstände zwischen den Optionen geringer, so dass die Folgen einer suboptimalen<br />
Entscheidung weniger bedeutsam sind, als bei einer nicht-vergleichbaren<br />
Produktauswahl.<br />
Im Gegensatz hierzu müssen die Konsumenten bei einem nicht-vergleichbaren<br />
Sortiment sowohl innerhalb als auch zwischen Attributen Trade-offs eingehen, was<br />
53
insbesondere dann schwer fällt, wenn es sich hierbei um „Alles-oder-nichts“-<br />
Entscheidungen handelt. So muss ein Konsument bei dem in Abbildung 13 gezeigten<br />
Beispiel des PKW-Kaufs beim Vergleich der Autos A und B zwischen<br />
Klimaautomatik und Schiebedach abwägen. Im Vergleich zu einem Alignable<br />
Assortment sind daher die Folgen einer Fehlentscheidung (Error Costs) gravierender,<br />
was insbesondere auch die Angst vor der Entscheidung und die Gefahr des Bedauerns<br />
selbiger erhöht (Psychic Costs) (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 8).<br />
Gourville und Soman konnten ihre Hypothese hinsichtlich des moderierenden Effekts<br />
der Produktlinienvergleichbarkeit in zwei <strong>St</strong>udien bestätigen:<br />
Im ersten Experiment wurden insgesamt 300 Erwachsene gebeten, ein<br />
Mikrowellengerät aus einem Sortiment mit Produkten <strong>von</strong> zwei verschiedenen<br />
Herstellern auszuwählen. Dabei wurde <strong>von</strong> einer Marke immer nur ein Produkt<br />
angeboten und die Anzahl und Art der Produkte der anderen Marke (Zielmarke) in<br />
einem 5 (Alternativenzahl) x 2 (Art des Sortiments) Design verändert. Die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> variierte in Einerschritten zwischen 1 und 5 und die Sortimentart<br />
zwischen „vergleichbar“ und „nicht-vergleichbar“. Untersucht wurde, wie sich die<br />
Anzahl und Art der Alternativen auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, dass die<br />
Konsumenten die Zielmarke auswählen. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die<br />
Kaufwahrscheinlichkeit der Zielmarke zunimmt, wenn deren Produkte vergleichbar<br />
waren, und diese sinkt, wenn die Produktlinie nicht-vergleichbar war (siehe Abbildung<br />
14). Ein Gruppenvergleich (klein: n = 1,2; groß: n = 4,5) hat einen signifikanten<br />
positiven Effekt der <strong>Produktvielfalt</strong> gezeigt, wenn die Produktlinie vergleichbar war<br />
(P klein/vergleichbar = 57% vs. P groß/vergleichbar = 77%; χ 2 (1) = 5,40, p < 0,005) und einen<br />
signifikanten negativen Effekt, wenn die Produktlinie nicht-vergleichbar war<br />
(P klein/nicht-vergleichbar = 58% vs. P groß/nicht-vergleichbar = 40%; χ 2 (1) = 4,03, p < 0,005). Die<br />
Hypothese wurde auch durch eine anschließende logistische Regression 11 gestützt<br />
(vgl. S. 11).<br />
11 Independent logistic regression<br />
54
Wahrscheinlichkeit<br />
der Wahl der Zielmarke<br />
90%<br />
80%<br />
Alignable Assortment<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
Non-alignable Assortment<br />
40%<br />
30%<br />
0 1 2 3 4 5 6<br />
Anzahl Alternativen<br />
Abbildung 14: Kaufwahrscheinlichkeit bei einem vergleichbaren und nicht-vergleichbaren Sortiment.<br />
Quelle: Gourville/Soman 1999, S. 31<br />
Die Ergebnisse der ersten <strong>St</strong>udie konnten Gourville und Soman in einer zweiten<br />
Untersuchung bestätigen. In dieser wurde den Testpersonen jede Alternative sowohl in<br />
einem vergleichbaren als auch in einem nicht-vergleichbaren Sortiment angeboten.<br />
Dadurch haben die Autoren ausgeschlossen, dass Konsumenten die Produkteigenschaften,<br />
die das Sortiment in der ersten Untersuchung nicht-vergleichbar<br />
machten, negativ bewertet und deshalb das Produkt im nicht-vergleichbaren Sortiment<br />
nicht gekauft haben.<br />
Das Vorgehen war dem der ersten Untersuchung ähnlich, allerdings wurden die<br />
<strong>St</strong>imuli in einem 2 (Produktkategorie) x 4 (Choice Set) Design manipuliert. Als<br />
Produkte dienten Laptop Computer und Mikrowellengeräte. Jedes Sortiment wurde<br />
wiederum aus einem Produkt einer Marke und mehreren Produkten der Zielmarke<br />
kombiniert. In den ersten drei Sortimenten {A, B 1 , B 2 }, {A, B 3 , B 4 } und {A, B 5 , B 6 }<br />
konnten die Konsumenten aus jeweils drei Produkten wählen: Dem „Einzelprodukt“<br />
A und einem Alignable Assortment der Zielmarke B. <strong>Der</strong> vierte – nicht-vergleichbare<br />
– Choice Set {A, B 1 , B 2 , B 3 , B 4 , B 5 , B 6 } bestand aus insgesamt sieben Alternativen,<br />
dem Einzelprodukt A und den sechs verschiedenen Produkten B 1-6 . Dem<br />
Regularitätsprinzip (siehe S. 43) folgend, sollte die Wahrscheinlichkeit, dass sich<br />
Konsumenten für ein Produkt der Marke B aus dem vierten Sortiment entscheiden<br />
nicht kleiner sein als die Wahrscheinlichkeit, dass sie Marke B wählen, wenn einer der<br />
drei kleineren Sortimente zur Wahl steht. <strong>Der</strong> Haupthypothese folgend sollte im<br />
Gegensatz hierzu die Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument sich für ein Produkt der<br />
55
Zielmarke B entscheidet, größer sein, wenn er aus einem kleineren vergleichbaren,<br />
anstatt einem größeren nicht-vergleichbaren Sortiment wählt.<br />
Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, konnte diese Hypothese auch nach der zweiten<br />
Untersuchung aufrechterhalten werden. So haben sich im Fall der Mikrowellengeräte<br />
62,5%, 60% bzw. 70% der Befragten für die Zielmarke B entschieden, wenn sie aus<br />
einem der ersten drei kleineren vergleichbaren Sortimente gewählt haben, wohingegen<br />
sich mit 32,5% signifikant weniger Testpersonen für die Zielmarke aus dem größeren<br />
nicht-vergleichbaren Set entschieden haben (χ 2 (1) = 12,22, p < 0,001). Ein ähnliches<br />
Resultat ergab sich auch bei der Produktkategorie Laptop Computer<br />
(χ 2 (1) = 4,16, p < 0,05).<br />
Sortiment (Optionen) Abhängige Variable Mikrowellengeräte Laptop Computer<br />
Choice Set 1: {A, B 1 , B 2 } P (Wahl <strong>von</strong> B 1 oder B 2 ) 62,5% (25 <strong>von</strong> 40) 62,5% (25 <strong>von</strong> 40)<br />
Choice Set 2: {A, B 3 , B 4 } P (Wahl <strong>von</strong> B 3 oder B 4 ) 60,0% (24 <strong>von</strong> 40) 62,5% (25 <strong>von</strong> 40)<br />
Choice Set 3: {A, B 5 , B 6 } P (Wahl <strong>von</strong> B 5 oder B 6 ) 70,0% (28 <strong>von</strong> 40) 65,0% (26 <strong>von</strong> 40)<br />
Choice Set 4: {A, B 1 – B 6 } P (Wahl <strong>von</strong> B 1 – B 6 ) 32,5% (13 <strong>von</strong> 40) 45,0% (18 <strong>von</strong> 40)<br />
Tabelle 2: Ergebnisse der zweiten <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Gourville und Soman (1999): Wahrscheinlichkeit,<br />
die Zielmarke B aus einem Sortiment zu wählen. In Anlehnung an Gourville/Soman 1999, S 28<br />
In einer dritten <strong>St</strong>udie, deren Ergebnisse hier aber nur kurz erwähnt werden sollen,<br />
haben die Autoren die Auswirkung der Alignability der Produktlinie einer Marke auf<br />
die Wahl innerhalb selbiger untersucht. Sie haben dabei festgestellt, dass die<br />
Konsumenten zu extremen Optionen der Produktlinie neigen, also minimal bzw.<br />
maximal ausgestattete Produktalternativen wählen, wenn die Anzahl der Alternativen<br />
in einem Non-alignable Assortment erhöht wird (siehe Abbildung 15). Dieses Ergebnis<br />
widerspricht dem gut dokumentierten Compromise Effect (Simonson 1989), wonach<br />
Käufer zu einer Kompromisswahl tendieren, also nicht das billigste oder teuerste,<br />
sondern ein Produkt „in der Mitte“ wählen. Die Autoren begründen das<br />
Untersuchungsergebnis damit, dass ein Konsument bei der Wahl einer mittleren<br />
Produktalternative schwierige Trade-offs innerhalb und zwischen Attributen machen<br />
muss, diese aber umgehen kann, indem er eine Vereinfachungsstrategie anwendet und<br />
entweder die Minimal- oder die Maximalversion des Sortiments wählt.<br />
56
Wahrscheinlichkeit<br />
der Wahl einer<br />
Extremoption<br />
90,0%<br />
80,0%<br />
70,0%<br />
60,0%<br />
Vollversion<br />
Basisversion<br />
61,7%<br />
82,5%<br />
45,0%<br />
50,0%<br />
40,0%<br />
40,9%<br />
35,0%<br />
30,0%<br />
21,7%<br />
20,0%<br />
10,0%<br />
19,2%<br />
26,7%<br />
37,5%<br />
0,0%<br />
3 (N = 120) 4 (N = 120) 5 (N =120)<br />
Anzahl Alternativen<br />
Abbildung 15: Die Auswirkung der Größe eines nicht-vergleichbaren Sortiments auf die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten eine extreme Option auswählen. Quelle: Gourville/Soman<br />
1999, S. 32<br />
Im Zusammenhang mit Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind besonders zwei<br />
Punkte dieser <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Interesse:<br />
Gourville und Soman konnten in ihren Untersuchungen zum einen zeigen, dass sich<br />
erhöhte Vielfalt einer Marke negativ auf deren Marktanteil auswirken kann. Sie<br />
begründen dies damit, dass durch die Verfügbarkeit zusätzlicher nicht-vergleichbarer<br />
Alternativen die emotionalen und kognitiven Entscheidungskosten des Konsumenten<br />
steigen und er deshalb auf Lösungen des Entscheidungsproblems zurückgreift, die<br />
diese reduzieren. In den Untersuchungen der beiden Autoren waren dies die Wahl<br />
einer Marke mit nur einer Alternative im Sortiment und die Entscheidung für eine<br />
extreme Option. Entscheidend für den hier betrachteten Zusammenhang ist aber nicht,<br />
welche Lösungsstrategie der Konsument zur Senkung der Entscheidungsschwierigkeit<br />
verwendet hat, sonder dass er eine Reduktionsstrategie angewendet hat. Die Autoren<br />
konnten damit durch ihre Untersuchungen indirekt die Existenz vielfaltsbedingter<br />
Entscheidungskosten und deren Konsequenzen zeigen.<br />
<strong>Der</strong> zweite interessante Punkt bezieht sich auf die Einflussgrößen der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>. So wurde deutlich, dass nicht allein die Anzahl, sondern auch die<br />
<strong>St</strong>ruktur und Abhängigkeit der Alternativen des Sortiments die Entscheidungskosten<br />
<strong>von</strong> Konsumenten und dadurch ihr Verhalten beeinflussen. Mit der Vergleichbarkeit<br />
(Alignability) der Alternativen wurde dabei ein vermutlich wesentlicher Einflussfaktor<br />
der Kostendimension identifiziert.<br />
57
2.1.5 Sheena S. Iyengar und Mark R. Lepper (2000): When Choice is<br />
Demotivating: Can One Desire Too Much of a Good Thing?<br />
In ihrer viel zitierten <strong>St</strong>udie untersuchten Iyengar und Lepper die Auswirkung der<br />
Größe des Sortiments sowohl auf die Kauf- bzw. Handlungswahrscheinlichkeit als<br />
auch auf die nachfolgende Zufriedenheit. Sie konnten zeigen, dass mehr Vielfalt<br />
Konsumenten zunächst begeistert, sie dadurch aber letztlich bei der Entscheidungsfindung<br />
überfordert werden und im Nachhinein unzufriedener sind.<br />
Die ihrer <strong>St</strong>udie zugrunde liegende Hypothese, die Iyengar und Lepper als Choice<br />
Overload Hypothesis bezeichnen, besagt „(...) that, although the provision of<br />
extensive choices may sometimes still be seen as initially desirable, it may also prove<br />
unexpectedly demotivating in the end“ (Iyengar/Lepper 2000, S. 996).<br />
Die Autoren formulierten diese Hypothese einerseits auf der Basis der Erkenntnisse<br />
der psychologischen Forschung, „that has repeatedly demonstrated (...) a link between<br />
the provision of choice and increases in intrinsic motivation, perceived control, task<br />
performance, and life satisfaction“ (S. 995) und andererseits auf den Erkenntnissen<br />
neuerer <strong>St</strong>udien (u. a. den in diesem Kapitel beschriebenen), die gezeigt haben, dass<br />
durch hohe Vielfalt überforderte Konsumenten zum Kaufaufschub neigen oder die<br />
Entscheidung durch die Anwendung vereinfachender <strong>St</strong>rategien (Heuristiken) treffen.<br />
Iyengar und Lepper prüften ihre Hypothese in einem ersten Feldexperiment, bei dem<br />
sie Konsumenten in einem Supermarkt in einem Versuchsaufbau 6 (limitierte<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>) und im anderen 24 (extensive <strong>Produktvielfalt</strong>) verschiedene<br />
Marmeladesorten einer Marke zum Test anboten. Sie untersuchten dabei, wie stark die<br />
Anziehungskraft des Probierstands auf die vorbeikommenden Konsumenten in<br />
Abhängigkeit <strong>von</strong> der Anzahl der Testprodukte ist und ob die Tester anschließend ein<br />
Produkt der probierten Marke kaufen.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten <strong>von</strong> höherer Vielfalt zunächst stärker<br />
angesprochen werden, letztlich aber seltener kaufen:<br />
So blieben im Fall der größeren Auswahl (24 Marmeladesorten) <strong>von</strong> 242<br />
vorbeikommenden Konsumenten 60% (145) am Probierstand stehen, bei geringerer<br />
Auswahl (6 Sorten) stoppten 40% (104) der 260 Passanten. Die Konsumenten wurden<br />
<strong>von</strong> der höheren <strong>Produktvielfalt</strong> somit stärker angezogen, als <strong>von</strong> der geringeren<br />
(χ 2 (1) = 19,89, p < 0,001). Die Anzahl der probierten Marmeladesorten variierte<br />
hingegen nicht signifikant zwischen den beiden Bedingungen (F(1,245) = 0,83, ns).<br />
58
Entscheidend ist aber, dass das anschließende Kaufverhalten der Tester <strong>von</strong> der<br />
angebotenen <strong>Produktvielfalt</strong> am Probierstand abhängig war: Von den 104 Personen,<br />
die bei einer Auswahl <strong>von</strong> 6 Marmeladen am Probierstand waren, haben anschließend<br />
30% (31) eine Marmelade dieser Marke gekauft. In der Bedingung der extensiven<br />
Produktauswahl waren dies nur 3% (4) (χ 2 (1) = 32,34, p < 0,0001). Die Nettokaufrate<br />
lag insgesamt bei limitierter <strong>Produktvielfalt</strong> mit 12% rund siebenmal so hoch wie bei<br />
extensiver <strong>Produktvielfalt</strong> (1,7%) (vgl. S. 995ff.).<br />
In Abbildung 16 sind die Ergebnisse dieser sowie der nachfolgend beschriebenen<br />
<strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper grafisch verdeutlicht<br />
Anteil<br />
(in %)<br />
100<br />
90<br />
80<br />
Experiment 1:<br />
Marmeladen<br />
N= 502<br />
Experiment 2: Essays<br />
N= 197<br />
8,04<br />
74%<br />
7,59*<br />
Experiment 3: Schokoladen<br />
N= 134<br />
10<br />
9<br />
8<br />
Subjektive<br />
Einschätzung<br />
(1: gering<br />
bis<br />
10: sehr hoch)<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
40%<br />
12%<br />
60%***<br />
1,7%***<br />
60%*<br />
48%<br />
4,72<br />
2,24<br />
3,3<br />
6,28<br />
12%***<br />
6,02***<br />
3,2**<br />
4,45***<br />
7<br />
5,46***<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
0<br />
(1)<br />
Interesse<br />
(2)<br />
Kauf<br />
Interesse<br />
Kauf<br />
Eingereicht<br />
Qualität<br />
Eingereicht<br />
Qualität<br />
Kauf<br />
unterhaltsam<br />
frustrierend<br />
schwierig<br />
Zufriedenheit<br />
Kauf<br />
unterhaltsam<br />
frustrierend<br />
schwierig<br />
Zufriedenheit<br />
1<br />
Alternativen<br />
6 24 6 30 6 30<br />
*: p < 0,05 **: p < 0,01 ***: p < 0,001<br />
(1) Anteil der Passanten, die am Probierstand stehen geblieben sind<br />
(2) Anteil der Passanten, die ein Produkt der Testmarke probiert und gekauft haben (Nettokaufrate)<br />
Abbildung 16: Ergebnisse der <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper 2000. Daten aus Iyengar/Lepper 2000,<br />
S. 995ff.<br />
Das erste Experiment <strong>von</strong> Iyengar und Lepper hat gezeigt, „(...) that an extensive<br />
array of options can at first seem highly appealing to consumers, yet can reduce their<br />
subsequent motivation to purchase the product“ (Iyengar/Lepper 2000, S. 997).<br />
Im Zusammenhang dieser <strong>St</strong>udie ist vor allem interessant, dass mit Vielfalt<br />
offensichtlich positive und negative Elemente verbunden sind – also Nutzen und<br />
Kosten –, wobei bei zu hoher Vielfalt die Kosten den Nutzen übersteigen und dadurch<br />
die Kaufwahrscheinlichkeit sinkt.<br />
59
Iyengar und Lepper konnten die Ergebnisse der ersten <strong>St</strong>udie in einer zweiten<br />
bestätigen. Hier hatten <strong>St</strong>udenten die Möglichkeit, durch das Schreiben eines<br />
zweiseitigen Essays zusätzliche Punkte (Credits) für einen Kurs zu erhalten. Die<br />
<strong>St</strong>udenten konnten dabei in der ersten Versuchsbedingung unter 6 möglichen<br />
Essaythemen wählen, in einer zweiten Bedingung standen 30 Themen zur Verfügung.<br />
Untersucht wurde, wie sich die Themenanzahl auf die intrinsische Motivation der<br />
<strong>St</strong>udenten auswirkt. Dies erfolgte, indem die Anteile der <strong>St</strong>udenten, die unter der<br />
jeweiligen Bedingung (6 oder 30 Themen) einen Essay geschrieben haben und die<br />
Qualität der Aufsätze miteinander verglichen wurden.<br />
Hierbei hat sich gezeigt, dass <strong>von</strong> den <strong>St</strong>udenten, die 6 Themen zur Auswahl hatten<br />
74% einen Essay geschrieben haben, wohingegen dies nur 60% der <strong>St</strong>udenten taten,<br />
die aus 30 Themen wählen konnten (χ 2 (1, N = 193) = 3,93, p < 0,05). Interessant ist,<br />
dass sich die Themenvielfalt auch signifikant auf die Qualität der Essays ausgewirkt<br />
hat. So wurden die Essays der <strong>St</strong>udenten, die ursprünglich aus weniger Themen<br />
gewählt hatten im Durchschnitt mit 8,04 (SD = 1,33) Punkten bewertet 12 , wohingegen<br />
die Aufsätze der <strong>St</strong>udenten, denen 30 Themen zur Wahl standen, nur 7,59 (SD = 1,02)<br />
<strong>von</strong> 10 möglichen Punkten erreicht haben (F(1, 124) = 5,65, p < 0,02) (vgl.<br />
Iyengar/Lepper 2000, S. 999).<br />
In einer dritten <strong>St</strong>udie untersuchten die Autoren neben der Wirkung unterschiedlich<br />
hoher Produktauswahl auf das Kaufverhalten auch affektive Reaktionen der<br />
Konsumenten während und nach der Entscheidung wie z. B. Spaß, Schwierigkeit und<br />
Frust während der Entscheidungsfindung, sowie die antizipierte und erfahrene<br />
Zufriedenheit mit dem gewählten Produkt. <strong>St</strong>udenten konnten dabei, je nach<br />
Bedingung, entweder aus 6 oder 30 verschiedene Sorten Schokolade eine auswählen<br />
und füllten anschließend einen Fragebogen hinsichtlich verschiedener affektiver<br />
Reaktionen aus. Anschließend durften sie die gewählte Schokolade probieren. Als<br />
Dankeschön für die Teilnahme hatten die <strong>St</strong>udenten schließlich die Wahl zwischen $5<br />
und einer Packung Schokolade im <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> $5. Dies diente als Operationalisierung<br />
des Kaufverhaltens, wobei die Wahl der Schokolade als Kauf und die Entscheidung<br />
für das Geld als Nicht-Kauf gewertet wurde.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass die Anzahl der Alternativen keinen Einfluss auf die<br />
wahrgenommene Entscheidungsqualität (Wahl einer zufrieden stellenden Schokolade<br />
12 Die Bewertung erfolgte auf einer Skala <strong>von</strong> 1 (extremely poor) bis 10 (excellent) durch zwei<br />
unabhängige Prüfer, denen die Bedingung, unter denen die <strong>St</strong>udenten die Arbeit geschrieben hatten<br />
und die Fragestellung der Untersuchung unbekannt war (vgl. S. 999).<br />
60
vs. Wahl einer der besten Schokoladen), die antizipierte Zufriedenheit mit der<br />
Produktwahl und das wahrgenommene Level der Informiertheit hat. Die Testpersonen<br />
haben bei großer <strong>Produktvielfalt</strong> den Entscheidungsprozess aber als unterhaltsamer<br />
(F(1, 132) = 47,01, p < 0,0001), schwieriger (F(1, 132) = 16,38, p < 0,0001) und<br />
frustrierender (F(1, 123) = 7,61, p < 0,007) empfunden. Nach der Interpretation <strong>von</strong><br />
Iyengar und Lepper scheint es, „(...) that people can indeed find choosing among too<br />
many alternatives to be both enjoyable and overwhelming“ (Iyengar/Lepper 2000,<br />
S. 1002).<br />
Hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Produktwahl zeigen die Ergebnisse, dass<br />
Versuchpersonen, die aus 30 Sorten ausgewählt haben, mit ihrer getesteten<br />
Produktwahl unzufriedener sind als Personen, die aus 6 Schokoladesorten wählten<br />
(F(1, 122) = 28,02, p < 0,0001).<br />
Was das Kaufverhalten angeht wurden die Ergebnisse der ersten beiden <strong>St</strong>udien<br />
bestätigt: Von den Teilnehmern, die aus 30 Schokoladensorten wählten, haben 12% als<br />
Giveaway für die Teilnahme die Schokolade gewählt. In der Bedingung der limitierten<br />
Auswahl waren dies 48% (χ 2 (2, N=134) = 21,84, p < 0,0001) (vgl. S. 1003).<br />
Interessant ist, dass sich dieses Verhalten auch in der Gesamtbewertung 13 der<br />
angebotenen Auswahl widerspiegelt: So gaben Konsumenten mit extensiver Auswahl<br />
durchschnittlich an, „zu viele“ Alternativen bekommen zu haben, wohingegen<br />
Personen mit limitierter Vielfalt die angebotene Auswahlauswahl im Schnitt als<br />
„genau richtig“ (F(1, 132) = 43,68, p < 0,0001) bewerteten.<br />
Zusammenfassend haben die <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Iyengar und Lepper gezeigt, dass<br />
Konsumenten eine große Auswahl einerseits attraktiv und anziehend finden und ihnen<br />
der Entscheidungsprozess mehr Freude bereitet als bei limitierter Auswahl.<br />
Andererseits empfinden Konsumenten den Entscheidungsprozess bei großen<br />
Sortimenten auch als schwieriger und frustrierender. <strong>Produktvielfalt</strong> ist für<br />
Konsumenten somit mit Kosten und Nutzen verbunden.<br />
Für Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> sind insbesondere drei Ergebnisse dieser<br />
<strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Interesse:<br />
13 Die Testpersonen konnten auf einer Skala <strong>von</strong> 1 bis 5 (1 = too few, 3 = just right, 5 = too many)<br />
angeben, wie sie die ihnen angebotene Auswahl beurteilen. Die Bewertung bei sechs Alternativen<br />
war dabei durchschnittlich 3,61 (SD = 1,01) und bei 30 Alternativen 4,88 (SD = 1,20) (vgl. S. 1002)<br />
61
Erstens wurde gezeigt, dass Konsumenten <strong>Produktvielfalt</strong> einerseits gut und attraktiv<br />
finden, sie also einen Nutzen für sie hat, andererseits durch sie aber die<br />
Entscheidungsschwierigkeit und somit der Kostenaspekt erhöht wird.<br />
Zweitens haben alle drei <strong>St</strong>udien – in jeweils unterschiedlichem Kontext – gezeigt,<br />
dass Konsumenten bei hoher Produktauswahl seltener kaufen.<br />
Drittens haben die <strong>St</strong>udien gezeigt, dass sich zu hohe Vielfalt auch negativ auf die<br />
Nachkaufbewertung, insbesondere auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt,<br />
auswirken kann. Die Produktzufriedenheit soll deshalb als Konsequenz <strong>von</strong> Kosten<br />
und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in dem zu entwickelnden Modell berücksichtigt<br />
werden.<br />
2.1.6 Sheena Iyengar, Wei Jiang und Gur Huberman (2003): How Much Choice<br />
is Too Much? Contributions to 401(k) Retirement Plans<br />
In diesem erst kürzlich veröffentlichten Workingpaper des Pension Research Council<br />
beschreiben die Autoren die Ergebnisse einer <strong>St</strong>udie, in der sie mit Daten <strong>von</strong> 800.000<br />
US-Arbeitnehmern die Hypothese getestet haben, dass die Teilnahmequote an einer<br />
betrieblichen Altersvorsorge fällt, wenn die Anzahl der möglichen Fonds, in die<br />
Arbeitnehmer einzahlen können, erhöht wird. Dabei hat sich gezeigt, dass bei<br />
Pensionsplänen, die eine relativ überschaubare Anzahl an Investitions-Möglichkeiten<br />
(3 – 6) bieten, die Teilnahmequote deutlich höher ist, als bei Plänen, die zehn oder<br />
mehr alternative Fonds zur Wahl stellen.<br />
Hintergrund der Fragestellung war, dass sich die Anzahl angebotener Pensionspläne in<br />
den USA <strong>von</strong> unter 100.000 im Jahr 1990 auf über 400.000 im Jahr 2002 mehr als<br />
vervierfacht hat (vgl. Mottola/Utkus 2003, zitiert nach Iyengar/Jiang/Hubermann<br />
2003, S. 1) und die Teilnahmequote der Arbeitnehmer an diesen gleichzeitig gesunken<br />
ist. So haben z. B. Ende 2001 71% der Arbeitnehmer in einen Pensionsplan einzahlt,<br />
ein Jahr später waren es noch 68,8% (vgl. Iyengar et al. 2003, S. 6).<br />
Theoretische Basis der Hypothese abnehmender Teilnahmequoten mit zunehmender<br />
Alternativenzahl war die bereits oben dargestellte Choice Overload Hypothese (siehe<br />
S. 58ff.), wonach Konsumenten durch zu viele Optionen verwirrt werden und ihnen<br />
die Entscheidung so schwer fällt; dass sie es vorziehen, sie zu verschieben oder ganz<br />
auf sie zu verzichten.<br />
62
Hauptunterschiede dieser Untersuchung zu den bisher dargestellten sind zum einen die<br />
Datengrundlage und zum anderen die Art des Entscheidungsproblems:<br />
So wurden zur Überprüfung der Hypothese reale Daten einer Investmentgesellschaft<br />
(Vanguard Group) <strong>von</strong> 800.000 Arbeitnehmern in den USA verwendet. Diese<br />
enthielten u. a. Informationen darüber, ob ein Arbeitnehmer im Jahr 2001 in einen<br />
Pensionsplan eingezahlt hat. Die als 401(k) 14 bezeichnete Form der betrieblichen<br />
Altersvorsorge wird Arbeitnehmern vom Arbeitgeber angeboten und ermöglicht es<br />
diesen, Teile 15 ihres Einkommens steuervergünstigt in einen der angebotenen Fonds<br />
einzuzahlen. Dabei müssen die Arbeitnehmer entscheiden, ob sie einen Pensionsplan<br />
abschließen und wenn ja, in welche(n) der angebotenen Fonds sie investieren wollen.<br />
Hinsichtlich der Art des Entscheidungsproblems unterscheidet sich diese<br />
Untersuchung <strong>von</strong> den bisher beschriebenen (mit Ausnahme <strong>von</strong> Tversky/Shafir 1992)<br />
dahingehend, dass die Entscheidung für den Arbeitnehmer mit deutlich weiter<br />
reichenden Konsequenzen verbunden ist, als dies bei den meisten bisherigen<br />
Untersuchungen der Fall war (z. B. Schokolade, Marmelade). Es ist deshalb da<strong>von</strong><br />
auszugehen, dass der Konsument intensiver über die Wahl nachdenkt und die<br />
Alternativen detaillierter miteinander vergleicht, was den Choice Overload-Effekt<br />
verstärken kann. Die Problemstellung fällt damit in die Kategorie der echten bzw.<br />
kognitiven Kaufentscheidungen (siehe S. 37ff.), weshalb diese <strong>St</strong>udie für den im<br />
Rahmen dieser Arbeit betrachteten Zusammenhang besonders interessant ist.<br />
Die Autoren haben die Hypothese überprüft, indem sie den Einfluss der Anzahl der im<br />
Rahmen eines 401(k) Plans angebotenen Fonds auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit<br />
eines Arbeitnehmers an diesem Plan mit Hilfe einer Regressionsanalyse getestet<br />
haben. Berücksichtigt wurde dabei neben der Anzahl der Fonds auch der Einfluss<br />
weiterer Faktoren auf Arbeitnehmerebene (z. B. Gehalt, Geschlecht, Alter), sowie<br />
Informationen auf Pensionsplanebene, wie z. B. ob Aktien des Arbeitgebers erworben<br />
werden können.<br />
Die Ergebnisse der Regressionsanalyse haben gezeigt, dass die Hypothese <strong>von</strong> Jyengar<br />
et al. aufrechterhalten werden kann. Demnach fällt die Wahrscheinlichkeit, dass ein<br />
Arbeitnehmer einen Pensionsplan abschließt, mit jeweils zehn zusätzlich verfügbaren<br />
Anlageoptionen ceteris paribus um 1,5% bis 2% 16 . So liegt z. B. die Abschluss-<br />
14 Bezeichnet nach dem Abschnitt 401(k) des „Internal Revenue Code” (S. 1)<br />
15 Bis zu 25% des Jahreseinkommens, aber nicht mehr als $12.000 (<strong>St</strong>and 2003)<br />
16 Die Autoren haben vier verschiedene Modellspezifikationen (u. a. Linear Probability, Probit)<br />
angewendet, die aber alle zu ähnlichen Ergebnissen geführt haben.<br />
63
wahrscheinlichkeit für einen Pensionsplan mit zwei alternativen Anlageformen bei<br />
rund 75%. Bietet der Plan hingegen 59 verschiedene Fonds an, fällt diese auf rund<br />
60% (vgl. Iyengar et al. 2003, S. 9). Abbildung 17 verdeutlicht den Zusammenhang<br />
grafisch.<br />
Teilnahmequote<br />
80%<br />
75%<br />
70%<br />
65%<br />
95% Konfidenzintervall<br />
60%<br />
55%<br />
50%<br />
0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60<br />
N = 800.000<br />
Anzahl angebotener Fonds<br />
Abbildung 17: Zusammenhang der Anzahl angebotener Fonds und Teilnahmequote an betrieblichem<br />
Pensionsplan. Quelle: Iyengar et al. 2003, S. 15<br />
Die <strong>St</strong>udie <strong>von</strong> Jyengar et al. zeigt, wie sich hohe Vielfalt negativ auf das<br />
Entscheidungsverhalten auswirken kann. Die Ergebnisse sind dahingehend <strong>von</strong><br />
besonderer Bedeutung, als dass sie auf realen Verhaltensdaten <strong>von</strong> rund 800.000<br />
Arbeitnehmern in den USA beruhen und ein Entscheidungsproblem zum Gegenstand<br />
haben, das mit weitreichenden Folgen verbunden ist. Die Konsequenzen einer<br />
„Fehlentscheidung“ in Form einer nicht getroffenen Entscheidung („Choose not to<br />
choose“ (S. 11)) sind in dem hier untersuchten Zusammenhang offensichtlich und<br />
verdeutlichen, dass sich hohe Produktauswahl nicht nur negativ auf das Kaufverhalten,<br />
sondern auch auf das längerfristige Gesamtwohl einer Person auswirken kann.<br />
Demzufolge kann es für den Entscheider aus mittel- und längerfristiger Perspektive<br />
vorteilhaft sein, wenn die Auswahl – und damit seine Entscheidungsfreiheit – begrenzt<br />
wird. Thaler und Sunstein (2003) haben hierfür kürzlich den zunächst als Oxymoron<br />
anmutenden Begriff Libertarian Paternalism – freiheitliche Bevormundung – geprägt<br />
und verstehen hierunter „(...) an approach that preserves freedom of choice but that<br />
authorizes both public and private institutions to steer people in directions that will<br />
promote their welfare“ (S. 179).<br />
64
Interpretiert man dies in dem hier betrachteten Kontext des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>,<br />
so lässt sich dieser nach der Argumentation <strong>von</strong> Thaler und Sunstein steigern, wenn<br />
die Auswahl auf ein überschaubares Maß beschränkt wird. Als Folge wird der Nutzen<br />
der Vielfalt für den Entscheider auf einem hohen Niveau gehalten, die Kosten im<br />
Sinne <strong>von</strong> kognitiver und emotionaler Entscheidungsschwierigkeit gleichzeitig<br />
reduziert. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer überlegten und zielgerichteten<br />
Entscheidung, <strong>von</strong> der Konsumenten und Unternehmen kurz- und mittelfristig<br />
profitieren.<br />
2.1.7 Zusammenfassung der <strong>St</strong>udien<br />
Die dargestellten <strong>St</strong>udien haben in unterschiedlichem Kontext – <strong>von</strong> der Wahl einer<br />
Marmelade bis zur medizinischen Entscheidung – gezeigt, dass erhöhte Auswahl das<br />
Verhalten <strong>von</strong> Entscheidern beeinflussen kann. Resultate höherer <strong>Produktvielfalt</strong><br />
waren hierbei insbesondere:<br />
• Geringere Kaufwahrscheinlichkeit (Tversky/Shafir 1992; Dhar 1997a;<br />
Gourville/Soman 1999; Iyengar/Lepper 2000; Iyengar et al. 2003)<br />
• Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo (Redelmeier/Shafir 1995)<br />
• Wahl der <strong>St</strong>andardoption (Default) (Tversky/Shafir 1992)<br />
• Wahl einer Konflikt vermeidenden, einfach zu rechtfertigenden Wahlmöglichkeiten<br />
(Redelmeier/Shafir 1995)<br />
• Geringere Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und der gewählten Alternative<br />
(Iyengar/Lepper 2000)<br />
Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass höherer Vielfalt anziehend auf<br />
Konsumenten wirkt und ihnen Freude bereitet (Iyengar/Lepper 2000).<br />
Damit lässt sich insgesamt schlussfolgern, dass es empirische Hinweise für sowohl<br />
negative als auch positive Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus der Sicht <strong>von</strong><br />
Konsumenten gibt. Die Untersuchungen haben ferner gezeigt, dass sich diese im<br />
direkten (Kauf)Verhalten und in der nachgelagerten Bewertung <strong>von</strong> Kaufprozess<br />
und erworbenem Produkt manifestieren.<br />
Weiterhin wurde deutlich, dass nicht allein die Anzahl der verfügbaren Alternativen<br />
das Verhalten der Konsumenten beeinflusst, sondern auch deren <strong>St</strong>ruktur: So konnten<br />
negative Effekte <strong>von</strong> höherer Vielfalt nur festgestellt werden, wenn die Alternativen in<br />
65
etwa gleich attraktiv waren und für den Konsumenten relevante Optionen zur<br />
Bedürfnisbefriedigung darstellten und deshalb einen Entscheidungskonflikt ausgelöst<br />
haben (vgl. Dhar 1997a, S. 215ff.). Des Weiteren haben die <strong>St</strong>udien gezeigt, dass auch<br />
die Vergleichbarkeit (Alignability) der Alternativen die Entscheidungsschwierigkeit<br />
des Konsumenten wesentlich beeinflusst (vgl. Soman/Gourville 1999, S. 7ff.).<br />
Insgesamt lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass neben den quantitativen<br />
Eigenschaften eines Sortiments auch dessen qualitative Charakteristika den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> bzw. dessen Kosten- und Nutzendimension beeinflussen. Beide<br />
Eigenschaftsarten sind deshalb als Determinanten im zu entwickelnden Gesamtmodell<br />
zu berücksichtigen.<br />
Auch wenn die vorgestellten <strong>St</strong>udien in erster Linie einen Überblick über das<br />
Spektrum der Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Kaufverhalten <strong>von</strong> Konsumenten<br />
geben sollten und daher kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht, wird dennoch<br />
deutlich, dass der Konsument in seiner Reaktion auf (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong> in der<br />
Literatur bisher als „Blackbox“ behandelt wurde. Nach dem Kenntnisstand des Autors<br />
liegen bisher keine empirischen Ergebnisse vor, die explizit die aus Konsumentensicht<br />
positiven und negativen Aspekte großer Sortimente im Sinne eines Kosten-<br />
Nutzen-Ansatzes <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> erfassen und in Beziehung zum Verhalten des<br />
Konsumenten gesetzt haben. <strong>Der</strong> dieser Arbeit zugrunde liegende<br />
Kosten-Nutzen-Ansatz versucht diese Forschungslücke zu schließen, um so ein<br />
besseres Verständnis des Umgangs <strong>von</strong> Konsumenten mit (hoher) <strong>Produktvielfalt</strong> zu<br />
ermöglichen.<br />
Weitere Vorgehensweise<br />
In den nächsten beiden Kapiteln wird der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit<br />
entwickelt. Hierzu werden zunächst drei theoretische Ansätze zur Erklärung des<br />
übergeordneten Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
gegeben:<br />
1. Die Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und Informationsüberlastung,<br />
2. die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level und<br />
3. der Tyranny of Freedom.<br />
66
Im Anschluss daran wird der Gesamteffekt in einen Kosten- und einen Nutzeneffekt<br />
„aufgegliedert“. Beide Effekte werden unter Rückgriff auf verschiedene Theorien<br />
begründet.<br />
Zur theoretischen Erklärung der Nutzenaspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> dienen hierbei<br />
• die Nutzenerwartungswerttheorie,<br />
• die klassische Entscheidungstheorie und<br />
• der Hedonic Shopping Value<br />
Die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> werden auf der Basis <strong>von</strong> den drei Theorien bzw.<br />
theoretischen Konzepten begründet:<br />
• der Cost of Thinking,<br />
• der Konflikt-Theorie und<br />
• der Theorie des antizipierten Regrets.<br />
.<br />
Abbildung 18 veranschaulicht die <strong>St</strong>ruktur des nachfolgenden Theorieteils.<br />
2.2<br />
Theorien zur Erklärung des übergeordneten Zusammenhangs<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
"<strong>Wert</strong>"<br />
2.3.1<br />
Theorien zur Erklärung<br />
des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
2.3.1<br />
Theorien zur Erklärung<br />
der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
"Nutzen"<br />
"Kosten"<br />
Facetten der KPV und NPV Hypothesen zu Konsequenzen Hypothesen zu Determinanten<br />
Abbildung 18: <strong>St</strong>ruktur des Theorieteils<br />
67
2.2 Grundlegende theoretische Perspektiven zur Erklärung des<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten<br />
Die oben beschriebenen empirischen Forschungsergebnisse haben verdeutlicht, dass<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten mit negativen Aspekten verbunden sein kann<br />
und sich diese nachteilig auf das kurzfristige (Kaufintention) und mittel- bzw.<br />
langfristige Konsumentenverhalten (Zufriedenheit, Loyalität) auswirken können. Da<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> für Konsumenten aber auch Vorteile hat, liegt die Vermutung<br />
nahe, dass moderate Auswahlvielfalt aus Konsumentensicht besser ist, als sehr hohe<br />
oder sehr geringe. <strong>Der</strong> bereits in der Einleitung der Untersuchung zitierte Ausspruch<br />
<strong>von</strong> Kahn und Morales (2001) verdeutlicht dies bildhaft:<br />
„Variety truly is the spice-of-life, but like any spice it must be used in moderation“<br />
(Kahn/Morales 2001, S. 76).<br />
Die nachfolgenden Kapitel dienen dazu, diese Annahme, die im Widerspruch zu den<br />
Thesen der rationalen Entscheidungstheorie (vgl. Luce 1959, 1977; Tversky/Shafir<br />
1992, S. 358) steht, mittels verschiedener Theorien und theoretischer Konzepte zu<br />
begründen.<br />
2.2.1 Die gegensätzlichen Hypothesen <strong>von</strong> Informationsdefizit und<br />
Informationsüberlastung<br />
Die Hypothese der Informationsüberlastung (Information Overload) geht im<br />
Wesentlichen auf drei <strong>von</strong> Jacoby und seinen Mitarbeitern Anfang der 70er-Jahre<br />
durchgeführte <strong>St</strong>udien zurück (vgl. Jacoby/Speller/Berning 1974, Jacoby/Speller/Kohn<br />
1974) und steht der Hypothese des Informationsdefizits gegenüber. Letztere fußt auf<br />
den Grundideen der mikroökonomischen Haushaltstheorie zum Modell des „Homo<br />
oeconomicus“. Diesem liegt die Annahme zugrunde „je mehr Informationen desto<br />
besser die Entscheidung“ (vgl. Berndt 1983, S. 22f.).<br />
Die nächsten zwei Abschnitte stellen die beiden konträren Hypothesen dar.<br />
68
2.2.1.1 Die Hypothese des Informationsdefizits<br />
Ausgangspunkt der Hypothese des Informationsdefizits ist das mikroökonomische<br />
Idealbild des Konsumenten, der Homo oeconomicus. Er kann als „zweckrationales<br />
Wesen, das nach Nutzenmaximierung strebt und dieses Ziel aufgrund besonderer<br />
Fähigkeiten auch erreichen kann“ (Berndt 1983, S. 45) beschrieben werden. Hierbei<br />
wird insbesondere da<strong>von</strong> ausgegangen, dass der Homo oeconomicus bei einer<br />
Kaufentscheidung über vollkommene Informationen hinsichtlich aller Marktdaten<br />
wie z. B. Alternativen, Preise und Eigenschaften <strong>von</strong> Produkten verfügt, diese<br />
uneingeschränkt verarbeiten kann und sich hinsichtlich seiner eigenen Präferenzen<br />
stets im Klaren ist (vgl. Berndt 1983, S. 45; Rosenstiel/Ewald 1979, S. 19f.).<br />
Da der reale Konsument im Gegensatz zum Ideal des Homo oeconomicus nicht über<br />
vollkommene Information verfügt, sollen ihm nach der „Hypothese des<br />
Informationsdefizits“ (Berndt 1983, S. 22) in der Entscheidungssituation möglichst<br />
viele Informationen angeboten werden, um so eine gute Entscheidung zu ermöglichen<br />
(vgl. Sproles et al. 1980, zitiert nach Berndt 1983, S. 23).<br />
Folgt man dieser Argumentation, bedeutet das für die Thematik der <strong>Produktvielfalt</strong>,<br />
dass Konsumenten sowohl möglichst viele Produktalternativen, als auch<br />
Informationen angeboten werden sollten. Ziel ist es, dem Konsumenten die<br />
Möglichkeit zu geben, sich einen guten Überblick zu den am Markt verfügbaren<br />
Produkten und deren Eigenschaften zu verschaffen.<br />
Aus der Modellannahme der Verfügbarkeit vollkommener Information folgt, dass<br />
Konsumenten unendliche Informationsverarbeitungskapazität besitzen. Diese ist aber<br />
sehr unrealistisch und kann deshalb das tatsächliche Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten nur<br />
eingeschränkt erklären (vgl. Berndt 1983, S. 46; Jacoby/Speller/Kohn 1974, S. 63ff.;<br />
Bleicker 1983, S. 10; Jacoby/Speller/Berning 1974, S. 33ff.). Einzelne Annahmen des<br />
Modells der mikroökonomischen Entscheidungstheorie wurden deshalb aufgehoben,<br />
was z. B. zum „Prinzip der begrenzten Rationalität“ (vgl. Simon 1957) geführt hat.<br />
Dieses legt dem Kaufverhalten nicht mehr das Rationalitätsprinzip 17 als oberste<br />
Handlungsmaxime zugrunde, sondern erlaubt die Wahl einer zufrieden stellenden<br />
17 Das Rationalitätsprinzip besagt, dass entweder ein bestimmtes Ziel mit möglichst geringem<br />
Ressourceneinsatz erreicht (Minimalprinzip) oder bei gegebenem Mitteleinsatz ein möglichst hoher<br />
Nutzen erzielt werden soll (Maximalprinzip) (vgl. Gabler Wirtschafts Lexikon).<br />
69
Alternative 18 , wobei der „(...) Grund dafür, dass Menschen sich mit suboptimalen<br />
Ergebnissen (...) zufriedengeben, (...) in unserer begrenzten Informationsverarbeitungs-Kapazität<br />
zu suchen (...)(ist)“ (Rhenius 1979, S. 388). Kirsch (1977)<br />
bemerkt diesbezüglich, dass Konsumenten sich auch dann nicht im Sinne der<br />
Nutzenmaximierung verhalten könnten, wenn sie dies wollten, da dies aufgrund der<br />
begrenzten menschlichen Informationsverarbeitungskapazität zu einem<br />
„unerträglichen kognitiven <strong>St</strong>ress“ (S. 70) führen würde.<br />
<strong>Der</strong> Mensch neigt daher zur Abkehr vom Prinzip der Nutzenmaximierung, was aber<br />
eine Verschlechterung der Entscheidungsqualität zur Folge hat. Dies ist eine der<br />
wesentlichen Folgerungen der Hypothese der Informationsüberlastung, die<br />
nachfolgend erläutert wird.<br />
2.2.1.2 Die Hypothese der Informationsüberlastung (Information Overload)<br />
„Information overload 19 refers to the fact that there are finite limits to the<br />
ability of human beings to assimilate and process information during any<br />
given unit of time. Once these limits are surpassed, the system is said to be<br />
‘overloaded’ and human performance (including decisionmaking) becomes<br />
confused, less accurate and less effective” (Jacoby 1977, S. 569).<br />
Informationsüberlastung(en) entstehen folglich, „wenn Informationsmengen, die dem<br />
Empfänger zur Aufnahme und Verarbeitung angeboten werden, die Belastungsgrenzen<br />
seines Informationsaufnahme und –verarbeitungssystems überschreiten“ (Raffée/Fritz<br />
1990, S. 83). Jacoby und seine Mitarbeiter untersuchten in den 70er Jahren, ob in einer<br />
Konsum- bzw. Entscheidungssituation Informationsüberlastung (Information<br />
Overload) auftritt und zu einer Minderung der Entscheidungsqualität führt (vgl.<br />
Jacoby/Speller/Berning 1974, Jacoby/Speller/Kohn 1974). Die Forscher stützten ihre<br />
Hypothesen dabei auf Ergebnisse psychologischer Untersuchungen hinsichtlich der<br />
Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitungskapazität. Ein Beispiel hierfür ist<br />
der viel zitierte Artikel „The magical number seven, plus or minus two“ <strong>von</strong> Miller<br />
(1956), in dem er – auch unter Rückgriff auf frühere <strong>St</strong>udien anderer Autoren (z. B.<br />
18 Unter zufrieden stellend (satisficing) ist dabei eine Übereinstimmung der Ausprägungen der<br />
gewählten Alternative mit dem Anspruchsniveau des Entscheiders zu verstehen (vgl. Berndt 1983,<br />
S. 46).<br />
70
Pollack 1952; Beebe-Center/Rogers/O’Connell 1955) – aufzeigt, dass der Mensch nur<br />
ca. sieben alternative <strong>St</strong>imuli gleichzeitig verarbeiten kann (vgl. Miller 1956, S. 84ff.).<br />
Als Erklärungsmodell für die begrenzte menschliche Informationsverarbeitungskapazität<br />
wird häufig das so genannte Drei-Speicher-Modell der Informationsverarbeitung<br />
verwendet (vgl. z. B. Silberer 1981, S. 37).<br />
Das Drei-Speicher-Modell der Informationsverarbeitung<br />
Nach dem Drei-Speicher-Modell erfolgt die Informationsaufnahme und -verarbeitung<br />
durch drei Subsysteme des menschlichen Gedächtnisapparats, die als „Speicher“ oder<br />
Gedächtnisarten bezeichnet werden (Koeber-Riel/Weinberg 1996, S. 225) (siehe<br />
Abbildung 19):<br />
• Sensorischer Speicher (Ultrakurzzeitspeicher)<br />
• Kurzzeitspeicher (Arbeitsgedächtnis)<br />
• Langzeitspeicher (Langzeitgedächtnis) (vgl. z. B. Silberer 1981, S. 37;<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 225; Trommsdorff 1998, S. 238)<br />
Informationsverarbeitungssystem (Drei-Speicher-Modell)<br />
Sensorischer<br />
Speicher<br />
Kurzzeitspeicher/<br />
Arbeitsspeicher<br />
Lernen<br />
Umwelt<br />
(<strong>St</strong>imuli)<br />
Sensorischer<br />
Filter<br />
Optisch<br />
Akustisch<br />
.<br />
.<br />
.<br />
Wahrnehmung/<br />
Aufmerksamkeit<br />
Prozesse:<br />
• Memorieren<br />
• Verschlüsselung<br />
• Entscheidung<br />
• Zugriff zum<br />
Gedächtnis<br />
• ...<br />
Memorieren<br />
Langzeitspeicher/<br />
permanenter<br />
Speicher<br />
Abrufen/<br />
Haptisch<br />
Vergessen<br />
Verhalten<br />
Abbildung 19: Informationsaufnahme und -verarbeitung im Drei-Speicher-Modell. In Anlehnung an<br />
Kuß/Tomczak 2000, S. 26, 30; Bettman 1979, S. 140<br />
19 Jacoby greift bei der Definition <strong>von</strong> „information load“ auf die <strong>von</strong> MacCormick (1970) zurück, der<br />
„information load“ als „the variety of stimuli (in type and number) to which the receiver must<br />
attend“ (zitiert nach Jacoby 1977, S. 569) definiert.<br />
71
Ausgangspunkt der Informationsverarbeitung ist die Umwelt des Konsumenten, aus<br />
der er mit Hilfe seiner Sinnesorgane z. B. optische, akustische oder haptische<br />
Eindrücke aufnimmt und diese für sehr kurze Zeit 20 im sensorischen Speicher behält.<br />
<strong>Der</strong> sensorische Speicher dient also der unmittelbaren und kurzen Speicherung einer<br />
großen Menge <strong>von</strong> aus der Umwelt wahrgenommenen Reizen (vgl. Silberer 1981,<br />
S. 37).<br />
Teile dieser Reize, deren Auswahl wesentlich <strong>von</strong> ihrem Aktivierungspotenzial<br />
abhängt (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 226), gelangen in den Kurzzeitspeicher<br />
und werden dort interpretiert und verarbeitet. <strong>Der</strong> Prozess der Aufnahme und<br />
Selektion <strong>von</strong> Reizen, sowie deren Organisation und Interpretation wird dabei als<br />
Wahrnehmung bezeichnet (vgl. Harrell 1986, S. 66): „Ergebnis der Wahrnehmung<br />
ist ein subjektiv gefärbtes Bild der Realität, das dem Handeln in einer aktuellen<br />
Situation oder dem Aufbau eines Wissens- und Erfahrungsschatzes für Handeln in<br />
künftigen Situationen dient“ (Bänsch 1998, S. 71).<br />
Das Kurzzeitgedächtnis stellt in gewisser Weise den „Arbeitsspeicher“<br />
(Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 226) der Informationsverarbeitung dar und verfügt<br />
über entsprechende Verarbeitungsmöglichkeiten. So werden dort z. B. Informationen<br />
memoriert und kodiert, Informationen aus dem Langzeitspeicher abgerufen und<br />
beobachtbares Verhaltens wie z. B. das Treffen einer Kaufentscheidung und deren<br />
Umsetzung gesteuert (vgl. Kuß/Tomczak 2000, S. 27). Die Kodierung <strong>von</strong><br />
Informationen bezeichnet dabei die kognitiven Verarbeitungsprozesse bei der<br />
Übersetzung der wahrgenommenen Reize in gedankliche Einheiten (vgl.<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 334). Dies geschieht, indem neue Informationen zu<br />
vorhandenem Wissen in Beziehung gesetzt werden. Das Ausmaß in dem dies erfolgt,<br />
bezeichnet dabei ein sehr wichtiges Konstrukt der psychologischen Forschung, die<br />
Verarbeitungstiefe, die in der Konsumentenforschung häufig im Zusammenhang<br />
(teilweise auch synonym) mit dem Begriff des Involvement verwendet wird. Darunter<br />
wird die „Ich-Beteiligung bzw. das gedankliche Engagement und die damit<br />
verbundene Aktivierung, mit der sich jemand einem Sachverhalt oder einer Aktivität<br />
zuwendet“ (Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 338) verstanden. Auf die Bedeutung des<br />
Involvement wird später noch näher eingegangen (siehe S. 352ff.).<br />
Wesentliches Kennzeichen des Kurzzeitspeichers ist dessen flexible, aber stark<br />
begrenzte Informationsverarbeitungskapazität. So hat Miller bereits 1956 erkannt,<br />
20 Die Speicherdauer beträgt zwischen 0,1 und 1 Sekunde (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 226).<br />
72
dass das menschliche „Arbeitsgedächtnis“ nur rund sieben so genannte „Information<br />
Chunks“ gleichzeitig verarbeiten kann (vgl. Silberer 1981, S. 38; Solomon/<br />
Bamossy/Askegaard 2001, S. 103). Information Chunks stellen Informationseinheiten<br />
dar, die man sich als zu Blöcken zusammengefasste Einzelinformationen vorstellen<br />
kann (vgl. Bänsch 1998, S. 75). So werden z. B. mit dem Markennamen Informationen<br />
wie Preis, Design und Qualität verbunden.<br />
Mit der Übernahme der im Kurzzeitspeicher verarbeiteten Informationen in den<br />
Langzeitspeicher findet ein Lernprozess und somit der Aufbau <strong>von</strong> Wissen statt (vgl.<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 334). <strong>Der</strong> Langzeitspeicher entspricht dem<br />
Gedächtnis des Menschen, dient der langfristigen Speicherung <strong>von</strong> Informationen und<br />
somit dem Aufbau <strong>von</strong> Wissen und Erfahrung. Wissen und Erfahrung beeinflussen<br />
wiederum die Informationsverarbeitung und können somit auch Einfluss auf den <strong>Wert</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, insbesondere auf die Kostendimension haben.<br />
Sensorischer Speicher<br />
Langzeitspeicher<br />
Kurzzeitspeicher<br />
Speichermenge<br />
0,1 – 1 Sek. einige Sek. (sehr) lange<br />
Speicherzeit<br />
Abbildung 20: Kurzzeitspeicher ist Engpass bei der menschlichen Informationsverarbeitung<br />
(schematische Darstellung). In Anlehnung an Kuß/Tomczak 2000, S. 29<br />
Die begrenzte menschliche Informationsverarbeitungskapazität lässt sich anhand der<br />
drei-Speicher-<strong>St</strong>ruktur erklären: Diese besteht mit dem sensorischen und dem<br />
Langzeitspeicher aus zwei Speichern, die über sehr große Verarbeitungskapazität,<br />
aber unterschiedliche Speicherdauer verfügen. Sie sind durch einen Speicher mit<br />
begrenzter Kapazität, dem Kurzzeitspeicher verbunden (vgl. Kuß/Tomczak 2000,<br />
73
S. 28) (siehe Abbildung 20). Die Übertragung <strong>von</strong> Informationen vom<br />
Kurzzeitgedächtnis in den Langzeitspeicher und die dortige Kodierung und<br />
Speicherung erfordert einen Zeitaufwand <strong>von</strong> einigen Sekunden, was in Kombination<br />
mit der begrenzten Verarbeitungskapazität den Kurzzeitspeicher zum „Engpass der<br />
menschlichen Informationsverarbeitung“ macht (Kuß/Tomczak 2000, S. 28).<br />
Übertragen auf die hier behandelte Fragestellung heißt dies: Wollen Konsumenten aus<br />
einer großen Anzahl <strong>von</strong> Produktalternativen eine auswählen, kann die während des<br />
Vergleichsprozesses zu verarbeitende Informationsmenge die Verarbeitungskapazität<br />
des Entscheiders überschreiten und ihn dadurch überfordern. Dies kann zur<br />
Anwendung vereinfachender Entscheidungsregeln durch den Konsumenten und einer<br />
damit verbundenen Verschlechterung der Entscheidungsqualität führen (vgl.<br />
Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 2f.). Die Informationsüberlastung kann weiterhin zu<br />
„feelings of anxiety and unpleasantness associated with the decision-making process“<br />
(Hausman 2000, S. 410) führen, worauf Konsumenten u. a. mit impulsiven<br />
Kaufentscheidungen reagieren (vgl. Hausman 2000, S. 410ff.).<br />
Jacoby und seine Kollegen (1974a,b; 1977) haben den Zusammenhang <strong>von</strong><br />
Informationsmenge und Entscheidungsqualität in mehreren Experimenten untersucht.<br />
Empirische Untersuchungen zum Information Overload Effekt<br />
Im ersten Experiment <strong>von</strong> Jacoby, Speller und Kohn (1974, S. 63ff.) erhielten<br />
Konsumenten Informationen zu einzelnen Produkten und deren Attribute in Form<br />
einer Information-Display-Matrix (Merkmale x Alternativen – Matrix) und wurden<br />
aufgefordert, unter Beachtung aller in der Matrix enthaltenen Informationen ein<br />
Produkt auszuwählen. Jacoby et al. operationalisierten die unabhängige Variable<br />
„Informationsmenge“ dabei als Produkt <strong>von</strong> Alternativenzahl und Merkmalsinformation<br />
und variierten diese, indem sie einerseits die Anzahl der Alternativen (4, 8<br />
oder 12 Waschmittelmarken) und andererseits die Anzahl der Merkmale pro Produkt<br />
(2, 4 oder 6 Attribute pro Produkt) veränderten. Demnach musste beispielsweise ein<br />
Konsument bei acht verfügbaren Alternativen, die jeweils durch vier Merkmalen<br />
beschrieben sind, eine Informationsmenge <strong>von</strong> insgesamt 32 (= 4 x 8) Informationseinheiten<br />
verarbeiten.<br />
Die abhängige Variable „Entscheidungsqualität“ wurde gemessen als Anteil der<br />
„richtigen Entscheidungen“. Eine Entscheidung galt als „richtig“, wenn die gewählte<br />
Alternative der auf individuell erhobenen Merkmalsausprägungen und<br />
74
Merkmalswichtigkeiten basierenden Idealmarke des Konsumenten besser entsprach,<br />
als alle anderen Alternativen.<br />
<strong>Der</strong> Zusammenhang <strong>von</strong> Informationsmenge und Entscheidungsqualität, den die<br />
Experimente gezeigt haben, lässt sich als „Mehr ist nicht besser!“ (Bleicker 1983,<br />
S. 10) zusammenfassen und ist in Abbildung 21 dargestellt. Die Grafik verdeutlicht,<br />
dass die Entscheidungsqualität zunächst mit zunehmender Informationsmenge steigt<br />
und dann, nach dem Überschreiten eines Optimums, fällt.<br />
Anzahl<br />
richtiger<br />
Entscheidungen<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
0 8 16 24 32 48 72<br />
Informationsmenge<br />
(Attribute x Marken)<br />
Abbildung 21: <strong>Der</strong> Information Overload Effekt: Zusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungsqualität und<br />
Informationsmenge. In Anlehnung an Jacoby/Speller/Kohn 1974, S. 66<br />
Für den hier betrachteten Zusammenhang ist in erster Linie nicht der Einfluss der<br />
Gesamtinformationsmenge, sondern der Einfluss der Alternativenanzahl <strong>von</strong> Interesse.<br />
Hierfür muss die Wirkung <strong>von</strong> Attribut- und Alternativenzahl getrennt betrachtet<br />
werden. In Abbildung 22 erfolgt dies grafisch für die erste Untersuchung <strong>von</strong> Jacoby<br />
et al. (Jacoby/Speller/Kohn 1974, S. 63ff.) und eine im Versuchsaufbau leicht<br />
modifizierte 21 zweite <strong>St</strong>udie (Jacoby/Speller/Berning 1974, S. 33ff.).<br />
21 4 x 4, anstatt 3 x 3 Matrix mit maximal 256 statt 72 Informationseinheiten<br />
75
Anteil der Personen,<br />
die die "richtige"<br />
Marke wählten<br />
(%)<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
Anzahl<br />
Attribute<br />
16<br />
6<br />
12<br />
Mit Vielfalt sinkende Qualität<br />
Mit Vielfalt zunächst steigende, dann<br />
sinkende Qualität<br />
Mit Vielfalt steigende Qualität<br />
50<br />
40<br />
4<br />
30<br />
4<br />
20<br />
10<br />
8<br />
2<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17<br />
Anzahl Alternativen<br />
Abbildung 22 Die Entscheidungsqualität in Anhängigkeit der Merkmals- und Alternativenzahl. Daten<br />
aus Bleicker 1983, S. 12<br />
Die Abbildung veranschaulicht, dass die Entscheidungsqualität bei geringer<br />
Alternativenanzahl mit der Anzahl verfügbarer Attributinformationen steigt. Erhöht<br />
sich die Anzahl der Produkte, so nimmt die Entscheidungsqualität mit Ausnahme des<br />
Zwei-Attribut-Falls tendenziell ab. Bei Produkten mit 4 und 8 Attributen steigt sie<br />
zunächst bei der Erhöhung <strong>von</strong> 4 auf 8 Alternativen, fällt aber auch dann bei einer<br />
weiteren Erhöhung der Alternativenzahl. Die Entscheidungsqualität sinkt laut der<br />
Ergebnisse <strong>von</strong> Jacoby et al. somit für Produkte mit mehr als zwei Attributen nach<br />
Überschreiten eines Optimums mit zunehmender Alternativenzahl.<br />
<strong>Der</strong> Gesamteffekt im Sinne einer multiplikativen Verknüpfung <strong>von</strong> Marken- und<br />
Merkmalsanzahl ergab den in Abbildung 21 (S.75) dargestellten nicht-linearen Verlauf<br />
der Entscheidungsqualität in Abhängigkeit <strong>von</strong> der Gesamtinformation in Form einer<br />
zunächst zunehmenden und nach einem Optimum abnehmenden Kurve. Diese<br />
Grundform der Abhängigkeit fand sich auch bei einer modifizierten Operationalisierung<br />
der Entscheidungsqualität 22 (vgl. Jacoby/Speller/Berning 1974, S. 37f.).<br />
22 Anstatt des oben beschriebenen „Most Preferred Brand Accuracy“ verwendeten Jacoby et al. einen<br />
mittels des Kendall’schen Konkordanzkoeffizienten errechneten „Rank Order Accuracy“, welcher<br />
die Korrelation zwischen der Rangreihe der tatsächlichen Wahl und der Rangreihe, die sich aus der<br />
Beschreibung der Idealmarke ergibt (vgl. Berndt 1983, S. 98), wiedergibt.<br />
76
In einem weiteren Experiment haben Jacoby, Szybillo und Busato-Schach (1977,<br />
S. 209ff.) die Realitätsnähe erhöht, indem sie es den Testpersonen freistellten, wie<br />
viele Merkmalsinformationen sie zu den vier, acht bzw. zwölf Marken haben wollten.<br />
Dabei konnten sie einen ähnlichen Verlauf der Entscheidungsqualität in Abhängigkeit<br />
<strong>von</strong> der Alternativenzahl feststellen, wie dies vorher für die Gesamtinformationsmenge<br />
der Fall war. Ferner konnten sie beobachteten, dass die Versuchspersonen,<br />
unabhängig <strong>von</strong> der Anzahl der verfügbaren Marken, durchschnittlich nur 5,05<br />
Informationen pro Marke wünschten.<br />
Die <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Jacoby und seinen Kollegen haben in der Fachwelt heftige und<br />
kontroverse Diskussionen ausgelöst und wurden teilweise stark kritisiert. Im Zentrum<br />
der Kritik standen dabei Definition und Operationalisierung der Informationslast, die<br />
Marken und Attribute als gleich wichtig betrachtet (vgl. z. B. Wilkie 1974, S. 463ff.).<br />
Summers (1974) bemerkt hierzu, dass die Entscheidungsqualität <strong>von</strong> der <strong>St</strong>ruktur der<br />
Informationsmenge abhängig ist 23 und insbesondere <strong>von</strong> der Alternativenstruktur<br />
beeinflusst wird. So ist es sicherlich leichter, aus einem Sortiment mit einer eindeutig<br />
dominierenden Alternative zu wählen, verglichen mit einer Produktset, das aus vielen<br />
gleichwertigen Alternativen besteht, die sich nur geringfügig unterscheiden (vgl.<br />
Summers 1974, S. 467ff.). Ferner wurde auch die nicht-lineare Abhängigkeit der<br />
Entscheidungsqualität <strong>von</strong> der Informationslast, und somit das Gesamtergebnis der<br />
<strong>St</strong>udien angezweifelt, da die Datenmenge unzureichend („A trend based on a single<br />
point is hardly convincing“ (Russo 1974, S. 68)) und die verwendeten statistischen<br />
Verfahren (Chi-Quadrat-Test, Varianzanalyse) ungeeignet seien (Malhotra et al. 1982,<br />
S. 29ff.). Bezieht man die teils kontroversen Ergebnisse früherer und auch späterer<br />
Untersuchungen 24 (vgl. z. B. <strong>St</strong>reufert/Driver 1965; Anderson et al. 1966,<br />
Jacoby/Speller/Kohn 1974; Patton 1981; Scammon 1977, <strong>St</strong>anley 1977; Ratchford/van<br />
Raaij 1980; Witte 1972; Bronner/Witte/Wissodlo 1972) in die Diskussion mit ein, so<br />
kann man folgern, dass der Effekt der Informationsüberlastung nicht eindeutig<br />
nachgewiesen werden konnte (vgl. Berndt 1983, S. 112).<br />
Jacoby (1984) fasst die Diskussion folgendermaßen zusammen:<br />
23 Er führt hierzu als Beispiel an, dass bei einer Informationslast <strong>von</strong> 16 und gleicher Samplegröße<br />
einmal 3 und ein andermal 6 „korrekte“ Entscheidungen getroffen wurden, abhängig da<strong>von</strong>, ob 8<br />
Marken mit jeweils 2 Attributen oder 4 Marken mit jeweils 4 Attributen zur Wahl standen (vgl.<br />
Summers 1974, S. 467).<br />
24 Berndt (1983, S. 103ff.) gibt eine detailliertere Darstellung der Ergebnisse der einzelnen<br />
Untersuchungen.<br />
77
„Can consumers be overloaded? Yes, they can. Will consumers be<br />
overloaded? Generally speaking, no, they will not. (sic!) This is because they<br />
are highly selective in how much and just which information they access, and<br />
tend to stop well short of overloading themselves“ (Jacoby 1984, S. 435).<br />
<strong>Der</strong> Autor geht damit auf die Kritik ein, dass die Versuchspersonen in seinen <strong>St</strong>udien<br />
angehalten waren, alle verfügbaren Informationen, d. h. alle Marken und Attribute bei<br />
ihrer Entscheidung zu berücksichtigen und diese kompensatorisch zu verarbeiten. In<br />
der Realität können Konsumenten aber wählen, wie viele Marken und Attribute sie bei<br />
der Wahl berücksichtigen und wie sie die Informationen verarbeiten.<br />
In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass Konsumenten die Art der Informationsverarbeitung<br />
abhängig <strong>von</strong> der Komplexität und der zu erzielenden Genauigkeit der<br />
Entscheidung wählen, indem sie entsprechende Entscheidungsstrategien bzw.<br />
Heuristiken anwenden (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 13f., S. 92ff.; siehe<br />
hierzu auch die Ausführungen zu Heuristiken ab Seite 20). In Bezug auf die Wirkung<br />
hoher <strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies folgendes:<br />
Werden Konsumenten <strong>von</strong> der angebotenen Vielfalt überfordert, können sie die<br />
Entscheidungskomplexität verringern, indem sie die bei der Entscheidung<br />
berücksichtigten Alternativen und Attribute auf eine überschaubare Anzahl reduzieren.<br />
Abbildung 23 veranschaulicht die Ergebnisse verschiedener <strong>St</strong>udien, die die Anzahl<br />
der verfügbaren und bei der Entscheidung berücksichtigten Produkte gegenüberstellt.<br />
Dabei wird deutlich, dass Konsumenten beim Kauf <strong>von</strong> teuren (PKW, Kamera) oder<br />
wichtigen (Kopfschmerzmittel) Produkten zwischen 50% und 100% der Alternativen<br />
bei der Entscheidung berücksichtigen, wobei dieser Anteil mit zunehmender<br />
Alternativenanzahl tendenziell sinkt. Bei Produkten des täglichen Bedarfs (Kaffee,<br />
Frühstücksflocken) wird dagegen nur rund ein Drittel der Alternativen in die<br />
Entscheidung einbezogen 25 . Hierbei wird meist impulsiv oder habitualisiert<br />
entschieden (siehe auch S. 34ff.) (vgl. hierzu auch Raffée et al. 1979, S. 122).<br />
Dennoch zeigt sich, dass Käufer auch in diesem Fall bis zu 25% der Alternativen bei<br />
ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen.<br />
25 Die Ergebnisse hinsichtlich des Kaufs <strong>von</strong> Margarine sind deshalb schwer nachvollziehbar.<br />
78
Anzahl<br />
berücksichtigte<br />
Alternativen<br />
20<br />
100% Berücksichtigung<br />
(Alternativen)<br />
15<br />
Trend<br />
Kopfschmerzmittel<br />
10<br />
5<br />
PKW<br />
Kamera<br />
Kamera<br />
Kaffeemaschine<br />
Margarine<br />
Kaffee<br />
50% Berücksichtigung<br />
(Alternativen)<br />
Frühstückflocken<br />
0<br />
0 5 10 15 20<br />
Anzahl verfügbare Alternativen<br />
Abbildung 23: Vergleich verfügbarer und bei der Entscheidung berücksichtigter Alternativenzahl für<br />
verschiedene Produktarten. Daten aus Bleicker 1983, S. 16<br />
Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Untersuchung<br />
Im Hinblick auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> lässt sich aus den<br />
Ergebnissen der beschriebenen <strong>St</strong>udien <strong>von</strong> Jacoby und seinen Kollegen<br />
schlussfolgern, dass Konsumenten, die sich einer großen <strong>Produktvielfalt</strong> gegenüber<br />
sehen, aufgrund der hohen kognitiven Last, die zu deren vollständiger Verarbeitung<br />
notwendig wäre, die Betrachtung auf eine überschaubare Anzahl <strong>von</strong> Alternativen und<br />
Attributen reduzieren. Bei der Entscheidung nicht berücksichtigte Produkte können<br />
dem Konsumenten somit aber auch keinen Nutzen stiften. Die Experimente <strong>von</strong><br />
Jacoby und seinen Kollegen konnten sogar das Gegenteil zeigen: Die Entscheidungsqualität<br />
hat mit der Anzahl der verfügbaren Alternativen nach dem Überschreiten eines<br />
Optimums abgenommen.<br />
Berndt (1983) spricht deshalb in Analogie zum ersten Gossen’schen Gesetz der<br />
mikroökonomischen Haushaltstheorie vom abnehmenden Grenznutzen <strong>von</strong><br />
Informationen: „Hat jede zusätzlich beschaffte Informationseinheit einen geringeren<br />
Grenznutzen, so steigt der Gesamtnutzen der Informationen in immer geringer<br />
werdenden Raten bis zu einem Maximum (‚Sättigungspunkt’), <strong>von</strong> wo ab er wieder<br />
sinkt; der Grenznutzen wird dann negativ“ (Berndt 1983, S. 47). <strong>Der</strong> Grund hierfür<br />
liegt in der begrenzten menschlichen Informationsverarbeitungskapazität: Zusätzlich<br />
verfügbare Informationen erbringen immer weniger zusätzlichen Nutzen, da der<br />
Entscheider sie aufgrund seiner eingeschränkten Verarbeitungskapazität nicht mehr<br />
79
effizient verarbeiten kann. Letztlich kommt es so zur Überforderung des Organismus<br />
und der Grenznutzen wird negativ (vgl. Berndt 1983, S: 47f.).<br />
Aus den Ausführungen zur Hypothese zum Informationsdefizit folgt aber gleichzeitig,<br />
dass hohe Vielfalt Konsumenten die Möglichkeit gibt, sich umfassend über Produkte<br />
und ihre Eigenschaften zu informieren und so einen guten Marktüberblick zu<br />
bekommen. Die so gewonnene breite Informationsbasis kann die Entscheidungsqualität<br />
verbessern, so lange der Konsument dabei nicht überfordert wird.<br />
Die nachfolgend erläuterte Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level geht <strong>von</strong> ähnlichen<br />
Zusammenhängen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten aus, erklärt diese<br />
aber nicht auf der Basis der Informationsverarbeitung, sondern mit Hilfe der<br />
Motivationstheorien. Hierbei steht die motivierende Kraft zu hoher bzw. zu geringer<br />
<strong>St</strong>imulation z. B. eines Sortiments im Vordergrund.<br />
2.2.2 Die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level<br />
Grundannahme der Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level (OSL) ist, dass die<br />
affektive Reaktion einer Person auf interne oder durch die Umwelt induzierte<br />
<strong>St</strong>imulation einem umgekehrt-u-förmigen Verlauf folgt, mit „intermediate levels of<br />
stimulation perceived as the most satisfying“ (<strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1992, S. 434).<br />
In einer Produktwahlsituation kann die Höhe der <strong>St</strong>imulation nach Berlyne (1960,<br />
1968, zitiert nach Menon/Kahn 1995, S. 286) insbesondere durch die Neuigkeit<br />
(Novelty), Komplexität (Complexity), Unsicherheit (Uncertainty), Mehrdeutigkeit<br />
(Ambiguity), die Unvereinbarkeit (Incongruity), die Unterschiedlichkeit (Change) und<br />
das Überraschungspotenzial (Surprise) der <strong>St</strong>imuli oder der Situation und damit<br />
insbesondere auch durch die Art und die Höhe der <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst<br />
werden.<br />
Die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level geht auf Arbeiten <strong>von</strong> Hebb (1955) und<br />
Leuba (1955) zur Erklärung des Lernverhaltens <strong>von</strong> Individuen zurück und hat zum<br />
Ziel, die Erklärungslücke „between a modified reinforcement theory and classical<br />
conditioning“ (Leuba 1955, S. 32) zu schließen. Im Gegensatz zu den oben erläuterten<br />
Hypothesen des Informationsdefizits und der Informationsüberlastung, die auf die<br />
kognitiven Aspekte der Informationsverarbeitung zur Erklärung des menschlichen<br />
Verhaltens fokussieren, ist die Theorie des OSL eher den Motivationstheorien<br />
80
zuzuordnen, welche die affektive Komponente als zentrale Triebkraft des Verhaltens<br />
betrachten (vgl. <strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1992, S. 434, Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 141ff.).<br />
Die OSL-Theorie geht da<strong>von</strong> aus, dass ein Individuum versucht, ein für sich optimales<br />
Niveau an <strong>St</strong>imulation zu erreichen. Weicht die momentane <strong>St</strong>imulation <strong>von</strong> diesem<br />
Optimum ab, führt dies zu entsprechendem Verhalten des Konsumenten, der – je nach<br />
momentanem <strong>St</strong>imulationsniveau – dieses entweder erhöht oder reduziert: „The<br />
organism tends to acquire those reactions which, when over-all stimulation is low, are<br />
accompanied by increasing stimulation; and when over-all stimulation is high, those<br />
which are accompanied by decreasing stimulation“ (Leuba 1955, S: 29; vgl. auch<br />
Jones 1969, Raju 1980, S. 272).<br />
Menon und Kahn (1995) greifen diese Argumentation zur Erklärung des Bedürfnisses<br />
<strong>von</strong> Konsumenten nach Vielfalt (Variety Seeking) und deren Umgang mit zu hoher<br />
Vielfalt auf:<br />
„ (...) when an environment provides low stimulation (below the optimum<br />
level), the individual is bored and the desire for increased stimulation rises.<br />
This leads to exploration, novelty seeking, or variety seeking, whereby the<br />
individual seeks to increase stimulation from any source in the environment.<br />
Conversely, if the environment provides very high stimulation (above the<br />
optimal level), the individual seeks more moderate situations by reducing or<br />
simplifying input from the environment by means such as avoidance of novelty<br />
or variety” (S. 286).<br />
Das Niveau der <strong>St</strong>imulation, das ein Individuum als optimal empfindet, ist<br />
intra-individuell relativ stabil, variiert aber inter-individuell (vgl. Mittelstaedt et al.<br />
1976, S. 86). Raju (1980) beschreibt das OSL folglich als „property that characterizes<br />
an individual in terms of his general response to environmental stimuli“ (S. 272). In<br />
empirischen Untersuchungen konnte ein positiver Zusammenhang zwischen dem OSL<br />
einer Person und deren Neigung zu explorativem Verhalten 26 wie z. B.<br />
Risikofreudigkeit, Markenwechselneigung, Variety-Seeking, Adaption neuer Produkte<br />
und Informationssuche festgestellt werden (vgl. Raju 1980; Joachimsthaler/Lastovicka<br />
26 Berlyne (1963) definiert exploratives Verhalten (Exploratory Behavior) als „behavior with the sole<br />
function of changing the stimulus field“ (S. 288) und konkretisiert dessen Zweck als „(…) (to)<br />
afford access to environmental information that was not previously available” (Berlyne 1960,<br />
S. 79).<br />
81
1984; Wahlers/Dunn/Etzel 1986, S. 389ff.; <strong>St</strong>eenkamp/Baumgartner 1992;<br />
Mittelstaedt et al. 1976, Menon/Kahn 1995). Ferner hat sich gezeigt, dass das OSL im<br />
Zusammenhang mit demografischen Variablen steht, negativ mit dem Alter und<br />
positiv mit dem Ausbildungsniveau korreliert (vgl. Raju 1980, S. 277, Kisch/Busse<br />
1968; Robertson 1971). Eine Person mit hohem OSL lässt sich damit als „one who has<br />
a stronger than average need to seek and approach situations, activities, and ideas<br />
which are novel, changing, complex, surprising, and more intense“<br />
(Kish/Donnenwerth 1969, S. 49) charakterisieren.<br />
Für diese Arbeit ist insbesondere der <strong>von</strong> Raju (1980) gezeigte Zusammenhang<br />
zwischen dem OSL und dem Wunsch nach Vielfalt und Abwechslung einer Person<br />
<strong>von</strong> Interesse: Demnach neigen Personen mit hohem OSL eher dazu „to seek change<br />
or variety“ (S. 276). Ferner beschreibt Raju, dass Personen mit hohem OSL „feel less<br />
threatened by ambiguous stimuli and are more likely to respond rather than withdraw<br />
from such stimuli“ (Raju 1980, S. 280). Individuen mit hohem OSL reagieren folglich<br />
auf uneindeutige <strong>St</strong>imuli in einer Kaufsituation, wie z. B. eine Produktauswahl ohne<br />
dominierende Alternative, nicht mit sofortigem Kaufabbruch, sondern empfinden den<br />
hohen <strong>St</strong>imulationsgrad evtl. sogar als angenehm.<br />
<strong>Der</strong> <strong>von</strong> der Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Levels postulierte Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>St</strong>imulationshöhe und affektiver Reaktion des Konsumenten gleicht der <strong>von</strong> Berlyne<br />
(1971) untersuchten Abhängigkeit des Hedonic Value <strong>von</strong> der Höhe des<br />
Erregungspotenzials (Arousal Potential) einer Situation. <strong>Der</strong> Hedonic Value beschreibt<br />
dabei „the pleasure and the reward value people receive from increasing or<br />
decreasing arousal“ (Hank/Prinkey 1986, S. 124). Diese Größe stellt somit ebenfalls<br />
eine affektive Reaktion auf die Höhe des <strong>St</strong>imulationsniveaus einer Situation dar. <strong>Der</strong><br />
Theorie <strong>von</strong> Berlyne (1971) folgend, führt eine Erhöhung des Arousal Potentials<br />
zunächst zu einem höherem positiven Hedonic Value, bis dieser nach einem<br />
bestimmten Punkt, der als „optimum arousal level“ (Hank/Prinkey 1986, S. 124)<br />
bezeichnet werden kann, mit weiter steigendem Erregungspotential sinkt und<br />
schließlich negativ wird. Hank und Prinkey (1986) konnten zeigen, dass der<br />
Optimalpunkt <strong>von</strong> den Persönlichkeitsmerkmalen des Konsumenten (Introverts vs.<br />
Extroverts) abhängig ist und somit interpersonell schwankt (vgl. Hank/Prinkey 1986,<br />
S. 128ff.). Abbildung 24 stellt den Zusammenhang grafisch dar.<br />
82
Positive<br />
Hedonic<br />
Value<br />
Introverts<br />
Extroverts<br />
Arousal<br />
Potential<br />
Negative<br />
Hedonic<br />
Value<br />
Abbildung 24: Zusammenhang <strong>von</strong> Erregungspotenzial (Arousal Potential) und Hedonic Value und<br />
deren Abhängigkeit <strong>von</strong> Persönlichkeitsmerkmalen (Extroverts im Vergleich zu Introverts). Quelle:<br />
Hank/Prinkey 1986, S. 126)<br />
Eine ähnliche Erklärung des Konsumentenverhaltens liefert auch das auf Faison (1977,<br />
S. 172ff.) zurückgehende theoretische Konzept „The variety drive“, das ebenfalls<br />
da<strong>von</strong> ausgeht, dass der Mensch einen gewissen „Spannungszustand“ als ideal<br />
empfindet. Hierauf soll aber an dieser <strong>St</strong>elle nicht näher eingegangen werden.<br />
Zusammenfassung und Bezug zur Untersuchung<br />
Fasst man die obigen Erläuterungen und Ergebnisse zusammen, so lassen sich daraus<br />
im Wesentlichen zwei Konsequenzen für diese Untersuchung ableiten:<br />
Zum einen bietet die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level einen motivationstheoretischen<br />
und somit affektiv begründeten Ansatz zur Erklärung des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>. Die Theorie stellt insbesondere einen Bezug zu bestimmten<br />
Verhaltensweisen <strong>von</strong> Konsumenten bei zu geringer bzw. zu großer Vielfalt her. So<br />
kann zu geringe Produktauswahl in einem Geschäft Konsumenten dazu motivieren, ein<br />
weiteres Geschäft mit einer größeren Auswahl aufzusuchen und somit zum<br />
vorläufigen Abbruch bzw. Aufschub der Kaufhandlung führen. Auf zu hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> reagiert der Konsument im (für den Anbieter) besten Fall damit, dass<br />
er einen Teil der Produkte oder Produktinformationen nicht beachtet und dadurch die<br />
<strong>St</strong>imulation reduziert, im schlimmsten Fall tut er dies, indem er das Geschäft verlässt<br />
und den Kauf in einem anderen Geschäft mit geringerer Auswahl fortsetzt. Insgesamt<br />
83
liefert die Theorie des Optimum <strong>St</strong>imulation Level Hinweise dafür, dass sehr hohe<br />
Auswahlvielfalt das Kaufverhalten und die Kauf(prozess)bewertung negativ<br />
beeinflussen. Will man auf einen funktionalen Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>,<br />
Kaufintention und Zufriedenheitsurteilen schließen, so legt diese Theorie die<br />
Annahme eines umgekehrt-u-förmigen Zusammenhangs nahe. Die Ableitung einer<br />
funktionalen Abbildungsvorschrift <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und deren <strong>Wert</strong> aus<br />
Konsumentensicht ist aber nicht Bestandteil der vorliegenden Untersuchung.<br />
<strong>Der</strong> zweite wichtige Punkt für diese Untersuchung ergibt sich aus dem<br />
inter-individuellen Unterschied des OSL: Personen empfinden ein unterschiedlich<br />
hohes Niveau an <strong>St</strong>imulation als optimal. Übertragen auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies, dass Nutzen- und Kostenaspekte <strong>von</strong> Person zu Person<br />
schwanken, abhängig da<strong>von</strong>, ob die vorgefundene <strong>Produktvielfalt</strong> unterhalb, oberhalb<br />
oder im Optimum des Konsumenten liegt. Es bietet sich deshalb an, das OSL als<br />
personenspezifischen Moderator in die Untersuchung einzubeziehen.<br />
2.2.3 <strong>Produktvielfalt</strong> und „The Tyranny of Freedom”<br />
Barry Schwartz (2000) argumentiert in seinem vielbeachteten Artikel<br />
„Self-Determination: The Tyranny of Freedom“, dass „freedom, autonomy and<br />
self-determination can become excessive, and that when that happens, freedom can be<br />
experienced as a kind of tyranny“ (S. 79). Schwartz stellt dabei insbesondere die <strong>von</strong><br />
der rationalen Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice) angenommene<br />
positive Wirkung der durch Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten entstandene<br />
Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmtheit auf das (psychische) Wohlbefinden eines<br />
Individuums in Frage (vgl. Schwartz 2000, S. 80f). The Tyranny of Freedom<br />
beschäftigt sich somit im Kern mit der Fragestellung, ob es für einen Konsumenten<br />
vorteilhaft ist, sehr viele Optionen zur Wahl zu haben, anstatt aus einer<br />
überschaubaren Menge an Alternativen zu wählen. Schwartz kommt hierbei zu dem<br />
Schluss, dass sich eine übermäßige Anzahl an Optionen zur Allokation <strong>von</strong> Geld und<br />
Zeit negativ auf den Entscheidungsprozess und das emotionale Wohlbefinden des<br />
Konsumenten auswirken kann (vgl. S. 84).<br />
Zur Begründung seiner Folgerung stellt Schwartz die allgemeine Gültigkeit<br />
zentraler Annahmen der rationalen Entscheidungstheorie in Frage. Hierzu gehören<br />
beispielsweise die Annahme geordneter Präferenzen und vollständiger Information<br />
des Konsumenten und dessen Nutzenmaximierungsziel bei der Entscheidung.<br />
84
So argumentiert er z. B., dass die Annahme geordneter Präferenzen hinsichtlich aller<br />
mit einem bestimmten Ressourceneinsatz erzielbarer Optionen sowohl vollständige<br />
Informationen über alle Optionen, als auch die Möglichkeit zur Verarbeitung dieser<br />
Informationen durch den Konsumenten voraussetzt (vgl. Schwartz 2000, S. 81ff.).<br />
Schwartz kommt deshalb zu folgendem Schluss:<br />
„The idea that people are rational choosers is on the one hand too rich, by<br />
giving people credit for more calculation and flexibility than they possess, and<br />
on the other hand too impoverished, by failing to appreciate a range of<br />
influences on decision making that are not themselves amenable to rational<br />
calculation“ (Schwarz 2000, S. 83).<br />
<strong>Der</strong> Autor betont weiterhin, dass sich zu hohe Vielfalt nicht nur negativ auf den<br />
Kaufprozess, sondern auch auf die affektiven Reaktionen nach dem Kauf auswirken<br />
kann. Kaufentscheidungen hinterlassen bei Konsumenten dann ein „dissatisfied<br />
feeling that they might have done better“ (S. 84).<br />
Um seine Theorie empirisch zu untermauern, greift Schwartz auf die Theorie der<br />
Learned Helplessness zurück (vgl. Schwartz 2000, S. 85). Diese besagt, dass<br />
<strong>St</strong>euerbarkeit (Control) und Autonomie (Autonomy) des eigenen Handelns wichtige<br />
Voraussetzungen für die mentale Gesundheit sind (z. B. Abramson/Metalsky/Alloy<br />
1989; Peterson/Maier/Seligmann 1993; zitiert nach Schwartz 2000, S. 85). Fehlen<br />
diese, können dadurch unter bestimmten Umständen Depressionen entstehen. Im<br />
Umkehrschluss, so Schwartz, bedeutet dies, „that having control over significant<br />
things in one’s life is important to preventing clinical depression“ (S. 85).<br />
Dieser Theorie folgend, ist es nach Schwartz verwunderlich, dass sich in den USA,<br />
dem sprichwörtlichen „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ mit fast unbegrenzten<br />
Wahlmöglichkeiten, die Anzahl der an Depressionen leidenden Personen seit der<br />
Jahrhundertwende in etwa verzehnfacht hat (vgl. Schwartz 2000, S. 85). <strong>Der</strong> Autor<br />
führt diese Entwicklung auf drei Gründe zurück (vgl. Schwartz 2000, S. 85f.):<br />
Erstens hat die zunehmende (Wahl)freiheit zu übertriebenen und unrealistischen<br />
Erwartungen geführt, die stets <strong>von</strong> Perfektion ausgehen. Individuen haben diesen<br />
hohen Anspruch insbesondere auch gegen sich selbst. In diesem Zusammenhang hat<br />
die Individualisierung der (amerikanischen) Gesellschaft, die Schwarz als zweiten<br />
Grund anführt, dazu beigetragen, dass eine Person die Schuld für – unvermeidbares –<br />
suboptimales Verhalten in erster Linie bei sich selbst sucht. Drittens hat die Betonung<br />
<strong>von</strong> Autonomie und eigener <strong>St</strong>euerung zur Abnahme der Zugehörigkeit und Bindung<br />
85
an soziale Gruppen geführt, wodurch eine der wichtigsten „Abwehrmöglickeiten“ <strong>von</strong><br />
Depressionen an Einfluss verloren hat.<br />
Auf Basis dieser Argumentation kommt Schwarz (2000) zum Schluss, dass „freedom<br />
of choice is not all it’s cracked up to be, at least not with respect to psychological<br />
well-being“ (S. 86).<br />
Die theoretischen Überlegungen <strong>von</strong> Schwarz beziehen sich auf verschiedene<br />
Lebenssituationen, in denen Individuen eine <strong>von</strong> vielen Alternativen wählen können.<br />
In dem im nächsten Abschnitt beschriebenen „theoretischen Konzept“ überträgt<br />
Desmeules (2002) die Überlegungen <strong>von</strong> Schwartz auf die Wirkung <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in einer Kaufentscheidungssituation.<br />
The Impact of Variety on Consumer Happiness: Marketing and the Tyranny of<br />
Freedom (Desmeules 2002)<br />
Desmeules (2002) greift in seinem Artikel auf Erkenntnisse und Annahmen der<br />
Tyranny of Freedom (Schwartz 2000, S. 79ff.) zur Erklärung der Wirkung <strong>von</strong> Vielfalt<br />
auf das Konsumerlebnis einer Person zurück. Er leitet daraus einen<br />
umgehehrt-u-förmigen Zusammenhang <strong>von</strong> Vielfalt und dem <strong>von</strong> ihm als<br />
„positiveness of consumption experience“ (S. 9) bezeichneten (positiven)<br />
Konsumerlebnis ab. In Abbildung 25 wird dieser grafisch dargestellt. Die Verwendung<br />
der Bezeichnung „positiveness of consumption experience“ an <strong>St</strong>elle <strong>von</strong> z. B.<br />
Zufriedenheit begründet der Autor damit, dass – wie später gezeigt wird – übermäßige<br />
Vielfalt aufgrund <strong>von</strong> Bedauern und Frustration zum Kaufabbruch führen kann und<br />
Zufriedenheit auf der Basis des Expectation-Disconfirmation Modells dann nicht mehr<br />
messbar ist (S. 9).<br />
86
Positiveness of<br />
consumption<br />
experience<br />
(Consumer<br />
Happiness)<br />
Erwartungen<br />
Risiko<br />
Involvement<br />
Erfahrung<br />
"Nutzeneffekte"<br />
• höherer Bedürfniserfüllungsgrad<br />
• mehr Spaß<br />
"Kosteneffekte"<br />
• Komplexe Informationsverarbeitung<br />
• Mehr Verwirrung und<br />
Frustration<br />
• Antizipiertes Regret<br />
1 2 3<br />
Point of<br />
Satisfaction<br />
Point of<br />
Regret<br />
Variety<br />
Abbildung 25: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und positiver Konsumerfahrung. In Anlehnung an<br />
Desmeules 2002, S. 10<br />
<strong>Der</strong> in Abbildung 25 dargestellte Graph, der den Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
und positivem Konsumerlebnis darstellt besteht aus drei Abschnitten:<br />
• Einem ansteigenden Teil (1),<br />
• einem relativ flachen Plateau (2)<br />
• und einem abfallenden Abschnitt (3).<br />
Die drei Teile des Graphen werden dabei durch die als Point of Satisfaction bzw.<br />
Point of Regret bezeichneten <strong>St</strong>ellen auf der x-Achse <strong>von</strong>einander getrennt.<br />
<strong>Der</strong> Anstieg des Kurvenverlaufs im ersten Abschnitt bis zum Point of Satisfaction ist<br />
darauf zurückzuführen, dass durch die Verfügbarkeit mehrerer Optionen einerseits der<br />
Erfüllungsgrad der Bedürfnisse des Konsumenten steigt (S. 9) und sich die Auswahl<br />
andererseits positiv auf den hedonistische <strong>Wert</strong> des Einkaufserlebnisses auswirkt, d. h.<br />
das Einkaufen macht aufgrund der größeren Wahlmöglichkeiten mehr Spaß (S. 8). Ist<br />
mit dem Point of Satisfaction der Beginn des Plateaus (2) erreicht, wird durch weitere<br />
Optionen das positive Einkaufserlebnis weder gesteigert noch gemindert, bis mit dem<br />
Point of Regret das Ende des Plateaus erreicht ist: „Increased variety is an advantage<br />
to a consumer only up to a point“ (Baumol/ Ide 1956, S. 96).<br />
Im Bereich des Plateaus kann der Konsument die zusätzlichen Optionen<br />
berücksichtigen oder ignorieren, ohne dass sich dadurch die (positive) Wahrnehmung<br />
des Kaufprozesses verändert. Vom Point of Regret an beginnt die Kurve zu fallen, da<br />
„stress, frustration, disengagement from the process, or anticipated/experienced<br />
87
egret caused by heightened expectations and/or an inability to conduct all the<br />
evaluations and calculations (mathematically or otherwise) necessary to arrive at a<br />
choice“ (S. 9) das positive Erleben des Entscheidungsprozesses mindern und im<br />
Extremfall zu dessen Abbruch führen können.<br />
Den negativen Effekt hoher Vielfalt auf das Kauferlebnis erklärt Desmeules (2002,<br />
S. 10) auf Basis derTheorie der „Tyranny of Freedom“ (Schwartz 2000): Die hohe<br />
Vielfalt und der damit verbundene Beurteilungsaufwand überfordern den<br />
Konsumenten, was dazu führt, dass dieser die erste „zufrieden stellende“ Option wählt<br />
und dadurch das Risiko eingeht, eine bessere Alternative auszuschlagen (vgl.<br />
Muraven/Baumeister 2000, S. 247ff.; Keinan 1987, S. 639ff.). <strong>Der</strong> Rückgriff auf eine<br />
vereinfachende Heuristik führt zu einem Verlust der Kontrolle über den<br />
Entscheidungsprozess seitens des Käufers und kann als gelernte Hilflosigkeit (Learned<br />
Helplessness) (siehe S. 85) und somit als Teil der Theorie der „Tyranny of Freedom“<br />
interpretiert werden (vgl. Desmeules 2002, S. 10; Schwarz 2000; Schwarz et al. 2002).<br />
Nach der Argumentation <strong>von</strong> Desmeules (2002) führt hohe Vielfalt außerdem dazu,<br />
dass Kunden ihre Erwartungen und Ziele zu hoch stecken und dann <strong>von</strong> sich selbst<br />
enttäuscht sind, wenn sich diese nicht erfüllen bzw. sie diese nicht erreichen: „These<br />
poor self-evaluations then produced emotional distress (...)“ (Desmeules 2002, S. 10).<br />
Unterstützt wird die Schlussfolgerung des Autors auch durch die Untersuchungen <strong>von</strong><br />
Baumeister/Heatherton/Tice (1994), die zeigen, dass unrealistische Ziele zu einem<br />
Versagen der Selbstkontrolle (Self-Regulation) und dadurch zu negativen Emotionen<br />
führen.<br />
Die Lage des Point of Regret auf der x-Achse und damit der Beginn der negativen<br />
Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> hängt nach Desmeules (2002, S. 11) vor allem <strong>von</strong> der<br />
Erfahrung und Expertise des Konsumenten, dessen Erwartungen, Involvement und<br />
wahrgenommenem Risiko ab. So ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass der Point of Regret eines<br />
Konsumenten, der mit der Produktkategorie vertraut ist, weiter rechts auf der x-Achse<br />
liegt, als der eines unerfahrenen Konsumenten. <strong>Der</strong> erfahrene Käufer kann damit mehr<br />
Vielfalt „verarbeiten“ als der unerfahrene. Dies ist damit zu begründen, dass ein<br />
„Experte“ die (für sich) entscheidungsrelevanten Attribute eines Produktes kennt und<br />
auf dieser Basis die verfügbaren Optionen schnell auf eine überschaubare und<br />
verarbeitbare Anzahl an Alternativen, die für den Kauf in Frage kommen<br />
(Consideration Set), reduzieren kann (vgl. z. B. Huffmann/Kahn 1998, S. 492ff.;<br />
Bettman/Park 1980, S. 242ff., Rao/Monroe 1988, S. 254ff.).<br />
88
Höhere Erwartungen, größeres Risiko und höheres Involvement bewirken nach<br />
Desmeules (2002, S. 11.) eine Verschiebung des Point of Regret nach links:<br />
Hohe Erwartungen, die durch die Vielfalt selbst oder durch Werbung gefördert<br />
werden (vgl. Richins 1991), können, wie bereits erläutert, zur Enttäuschung über die<br />
eigene Unfähigkeit, das beste Produkt zu finden, und dadurch zur Antizipation <strong>von</strong><br />
Bedauern führen. <strong>Der</strong> Point of Regret <strong>von</strong> Personen, die sehr hohe Erwartungen haben<br />
– Schwartz et al. (2002) bezeichnen diese als „Maximizers“ (S. 1178) – sollte folglich<br />
im Vergleich zu Personen mit geringeren Erwartungen („Satisficers“) weiter links auf<br />
der x-Achse liegen.<br />
Markman, Zhang und Moreau (2000) konnten zeigen, dass in Situationen mit hohem<br />
(finanziellen) Risiko die Entscheider größere Consideration Sets haben und daher<br />
leichter überfordert werden. Gleiches gilt für Kaufsituationen, in denen der<br />
Konsument hohes Involvement empfindet: <strong>Der</strong> Konsument möchte „Herr der Lage“<br />
sein und die Kontrolle über den eigenen Entscheidungsprozess haben. Führt hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> zu einem schwierigen und frustrierenden Entscheidungsprozess,<br />
empfindet dies ein hoch involvierter Käufer als Verlust der Kontrolle, wofür er sich<br />
selbst die Schuld gibt. Trifft der Konsument dennoch eine Kaufentscheidung,<br />
projiziert er die Schuld eines eventuellen Fehlkaufs auf sich und empfindet dadurch<br />
stärkeres Regret (vgl. Desmeules 2002, S. 11).<br />
Sowohl die Expertise als auch das Involvement einer Person haben somit<br />
zusammenfassend Einfluss auf deren Reaktion auf <strong>Produktvielfalt</strong> und somit auch auf<br />
die mit Vielfalt verbundenen Kosten- und Nutzenaspekte.<br />
Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Untersuchung<br />
Die Theorie der „Tyranny of Freedom“ <strong>von</strong> Schwartz (2000) und deren Anwendung<br />
auf eine hohe <strong>Produktvielfalt</strong> in Kaufsituationen durch Desmeules (2002) zeigen<br />
Ansatzpunkte sowohl für die positiven als auch für die negativen Aspekte <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong>. Interessant ist hierbei vor allem, dass die Theorie die Auswirkungen<br />
<strong>von</strong> Vielfalt auf das Kaufverhalten und auf das affektive Erlebnis des Kaufprozesses<br />
beschreibt. Damit stellt sie einen expliziten Zusammenhang <strong>von</strong> Vielfalt,<br />
Kaufverhalten und Nachkaufbewertung her und gibt Hinweise auf das zu<br />
entwickelnde Gesamtmodell der Wirkung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
auf das Kaufverhalten und die nachgelagerten Evaluationsprozesse und -ergebnisse.<br />
89
Desmeules (2002) hat weiterhin den Einfluss personenspezifischer Merkmale wie<br />
Involvement und Expertise auf die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> betont. Diese können<br />
als Anhaltspunkte für personenspezifischen Moderatoren der Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> dienen (siehe Kapitel 4.4.3, S. 352).<br />
2.2.4 Zusammenfassung<br />
Die dargestellten Theorien des Optimum <strong>St</strong>imulation Level und der Tyranny of<br />
Freedom und die Hypothesen zum Informationsdefizit und zur Informationsüberlastung<br />
geben mit verschiedenen Ansätzen und Schwerpunkten Hinweise für die<br />
Reaktion <strong>von</strong> Konsumenten auf unterschiedlich hohe <strong>Produktvielfalt</strong> und damit auf<br />
Kosten und Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. Gemeinsam ist allen drei Ansätzen, dass sie<br />
insgesamt <strong>von</strong> einem umgekehrt-u-förmigen Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
positivem Kaufverhalten bzw. Kauf(prozess)bewertung ausgehen. Dies lässt sich in<br />
einer Hypothese zum abnehmenden Grenznutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
zusammenfassen:<br />
Hypothese zum abnehmenden Grenznutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nach dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens nimmt der Nutzen eines Gutes mit<br />
dessen zunehmendem Konsum ab (vgl. Woll 1978, S. 91). Interpretiert man die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation nicht als gegeben, sondern als<br />
nachfragbares Gut, dann lässt sich das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen auf<br />
Basis der beschriebenen Theorien auch auf den <strong>Wert</strong> <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> übertragen<br />
(vgl. Berndt 1983, S. 47):<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wert</strong> einer zusätzlichen Alternative nimmt mit zunehmender Anzahl bereits zur<br />
Verfügung stehender Wahlmöglichkeiten ab, d. h. jede zusätzlich verfügbare<br />
Produktalternative hat einen geringeren Grenznutzen (in der hier verwendeten<br />
Terminologie einen geringeren Grenzwert). <strong>Der</strong> Gesamtwert der <strong>Produktvielfalt</strong> steigt<br />
somit in immer geringer werdenden Raten mit dem Angebot zusätzlicher Alternativen<br />
bis zu einem Optimum an, <strong>von</strong> wo ab er sinkt. Ebenso argumentierten bereits 1956<br />
Baumol und Ide: „An increased number of items will at first yield increasing average<br />
returns, then decreasing marginal and average returns. Finally, it will yield negative<br />
marginal returns“ (Baumol/ Ide 1956, S. 98). <strong>Der</strong> Grenznutzen einer zusätzlichen<br />
Produktalternative wird demzufolge ab einer bestimmten <strong>St</strong>elle negativ. Zu einem<br />
90
ähnlichen Ergebnis in der Domäne des Konsumentenverhaltens kommt auch Bucklin<br />
(1967), der den Zusammenhang der Größe eines Einkaufscenters und seinem Nutzen<br />
aus der Sicht <strong>von</strong> Konsumenten untersucht hat: „(...) as the downward sloping<br />
character of the curve suggests, additional size has a negative effect upon utility. (...)<br />
Very large centers above the size necessary for maximum economics of scale for price<br />
competition, are likely to repel these shoppers“ (S. 42).<br />
Abbildung 26 stellt den angenommenen Kurvenverlauf <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und dessen<br />
<strong>Wert</strong> aus Konsumentensicht grafisch darf.<br />
Betrachteter Bereich<br />
<strong>Wert</strong>, Nutzen, Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
"Nutzen"<br />
"<strong>Wert</strong>"<br />
"Kosten"<br />
δ <strong>Wert</strong><br />
δ # Alternativen<br />
Produktanzahl<br />
Abbildung 26: Hypothese des abnehmenden Grenznutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>. In Anlehnung an<br />
Berndt 1983, S. 47 (Die Untersuchung wird insgesamt auf den grau unterlegten Bereich hoher<br />
Vielfalt eingeschränkt.)<br />
Verdeutlichen kann man den Kurvenverlauf <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und dessen <strong>Wert</strong> für<br />
Konsumenten, indem man den Gesamteffekt in einen „Nutzeneffekt“ und einen<br />
„Kosteneffekt“ aufteilt. Aus den beschriebenen theoretischen Überlegungen kann<br />
dann der Schluss gezogen werden, dass mit zunehmender Vielfalt der Nutzen zunächst<br />
ansteigt und sich dann asymptotisch einem Grenzwert nähert (Gossen’sches Gesetz,<br />
vgl. Woll 1978, S. 91). Im Gegensatz hierzu sind die Kosten <strong>von</strong> Vielfalt anfänglich<br />
relativ gering, steigen dann aber mit zunehmender Vielfalt stark an, was insgesamt zu<br />
91
einem negativen Grenznutzen (Grenzwert) zusätzlicher Produktalternativen führen<br />
kann.<br />
Die Kurvenverläufe begründen die beschriebenen Theorien unterschiedlich: So wird<br />
der steigende Nutzen <strong>von</strong> größerer Auswahl durch die bessere Informationsbasis bei<br />
der Entscheidung (Hypothese des Informationsdefizits), die Erfüllung des<br />
<strong>St</strong>imulationsbedürfnisses (Optimum <strong>St</strong>imulation Level) und den höheren<br />
Erfüllungsgrad <strong>von</strong> funktionalen und hedonistischen Erwartungen (Tyranny of<br />
Freedom) erklärt. Im Gegensatz hierzu begründen die Theorien den Verlauf der<br />
Kostenkurve relativ ähnlich: Im Wesentlichen sind die mit höherer <strong>Produktvielfalt</strong><br />
steigenden kognitiven und emotionalen Aufwände auf eine Überforderung des<br />
Konsumenten bei der Informationsverarbeitung und Bewertung der Alternativen sowie<br />
auf Entscheidungskonflikte zurückzuführen. <strong>Der</strong> Käufer reagiert auf diese psychischen<br />
Kosten mit der (bewussten) Anwendung vereinfachender Heuristiken, was wiederum<br />
das Risiko einer Fehlentscheidung erhöht und dem Konsumenten das Gefühl gibt, die<br />
Kontrolle über die Entscheidung zu verlieren. Dadurch kann antizipiertes und<br />
wahrgenommenes Regret entstehen, das sich nicht nur auf den Ausgang der<br />
Kaufentscheidung, sondern auch auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem<br />
evtl. gekauften Produkt auswirkt.<br />
Insgesamt haben die beschriebenen theoretischen Überlegungen mit unterschiedlichen<br />
Erklärungsansätzen Hinweise dafür gegeben, dass hohe Vielfalt aus Konsumentensicht<br />
nicht nur positive, sondern auch negative Aspekte hat.<br />
Das Aufzeigen der Existenz dieser negativen Facetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, die<br />
in dieser Arbeit als Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (KPV) bezeichnet werden, ist das<br />
zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit.<br />
Dies lässt sich in der zentralen Hypothese der vorliegenden Untersuchung wie folgt<br />
zusammenfassen:<br />
Hypothese 1: Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> ist für Konsumenten nicht nur mit Nutzensondern<br />
auch mit Kostenaspekten verbunden. Diese beeinflussen den Ausgang<br />
der Kaufentscheidung und die Nachkaufbewertung aus Unternehmenssicht in<br />
negativer Weise.<br />
Da die Arbeit das Ziel hat, die Existenz negativer Effekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
aufzuzeigen, konzentriert sie sich folglich auf den rechten, grau unterlegten Teil der<br />
Abbildung 26, d. h. den Bereich des abnehmenden Grenznutzens bzw. Grenzwerts.<br />
92
Entsprechend muss bei der empirischen Untersuchung ein Design gewählt werden, in<br />
dem Konsumenten aus einem großen Sortiment mit hoher Vielfalt wählen können. Um<br />
die Hypothese zu überprüfen, ist zu untersuchen, ob sich die gemessenen<br />
Kostenaspekte negativ auf das Kaufverhalten und die Nachkaufbewertung auswirken.<br />
Die letzten Abschnitte haben auf Basis unterschiedlicher theoretischer Überlegungen<br />
ein Spektrum der Nutzen- und Kostenkomponenten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
aufgezeigt. Im nächsten Kapitel werden darauf aufbauend verschiedene Theorien<br />
beschrieben, die eine theoretische Erklärung <strong>von</strong> Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> im Hinblick auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten geben. Die<br />
dargestellten Theorien und theoretischen Konzepte dienen als Argumentationsgrundlage<br />
für die Herleitung der Facetten der Kosten- und Nutzendimension des<br />
<strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, sowie deren Konsequenzen und Determinanten.<br />
93
2.3 Theoretische Bezugspunkte zur Erklärung <strong>von</strong> Kosten und<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
2.3.1 Theorien zur Erklärung des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
„Je mehr, desto besser“<br />
(deutsches Redensart)<br />
Dieses Kapitel stellt Theorien zu theoretischen Erklärungen des Nutzens <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> aus Konsumentensicht dar. Hierbei werden in der Literatur meist zwei<br />
Aspekte unterschieden:<br />
„Most classifications (...) of consumer benefits start with the distinction<br />
between utilitarian (extrinsic) and hedonic (intrinsic) benefits (...). Utilitarian<br />
benefits are primarily instrumental, functional and cognitive; they provide<br />
consumer value by being a means to and end. Hedonic benefits are noninstrumental,<br />
experiential, and affective; they are appreciated for their own sake,<br />
without further regard to their practical purposes“ (Chandon/<br />
Wansink/Laurent 2000, S. 66; Hervorhebungen nicht im Original).<br />
Die utilitaristischen, nutzenorientierten Gesichtspunkte beziehen sich somit auf den<br />
mit höherer <strong>Produktvielfalt</strong> steigenden Erfüllungsgrad der individuellen Bedürfnisse<br />
und Präferenzen eines Konsumenten. Dies wurde im Einführungsteil der Arbeit als<br />
Customization Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bezeichnet (siehe S. 2). Die hedonistische<br />
Komponente <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> könnte, vereinfacht gesagt, als „Spaß an der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>“ bezeichnet werden. Mano und Oliver (1993) kontrastieren die beiden<br />
Aspekte als „thinking versus feeling“ (S. 452), womit diese den „archetypal<br />
constructs of emotion and reason“ (Chaudhuri/Holbrook 2001. S. 85) entsprechen.<br />
94
Die Nutzenerwartungswerttheorie und die Theorie des Hedonic Shopping Value<br />
dienen als Basis zur Erklärung der utilitaristischen und der hedonistischen<br />
Komponente des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und werden nachfolgend beschrieben.<br />
2.3.1.1 Nutzenerwartungswerttheorie und rationale Entscheidungstheorie<br />
„de gustibus non est disputandum“<br />
(lateinisches Sprichwort unbekannter Herkunft)<br />
„Geschmäcker und Ohrfeigen sind verschieden.“<br />
(deutsches Sprichwort)<br />
„(...) a high-variety strategy (or customisation strategy) increases the likelihood that<br />
each consumer will find exactly what she or he wants“ (Kahn 1998, S. 46).<br />
Barbara Kahn umschreibt mit diesem Satz die zentrale Hypothese der rationalen<br />
Entscheidungstheorie (Rational Theory of Choice) (vgl. Luce 1959, 1977;<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358; Schmidt 1995; siehe auch S. 43f.) zum Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Konsumentenverhalten: Mit der Anzahl an Produktalternativen<br />
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument unter den verfügbaren<br />
Optionen eine findet, die seinen Vorstellungen entspricht und er diese deshalb kauft.<br />
Hierbei liegen u. a. die Annahmen zugrunde, dass Konsumenten erstens das Ziel<br />
haben, ihren Nutzen zu maximieren und die beste Option wählen, und sie zweitens<br />
die Alternativen bewerten sowie ihre Präferenzen bestimmen können (vgl.<br />
Desmeules 2002, S. 1). Auf diese Funktion <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> wurde in der Literatur<br />
an vielen <strong>St</strong>ellen hingewiesen (vgl. z. B. Iyengar/Lepper 2000, S. 996; Baumol/Ide<br />
1956, S. 93; Desmeules 2002, S. 4; Schmidt 1990, S. 245; Wright/Barbour 1975,<br />
S. 248; Kaish 1967, S. 31; Billot/Thisse 1999, S. 519).<br />
95
Das Grundmodell der Nutzenerwartungswerttheorie<br />
In diesem Abschnitt werden die Grundannahmen der rationalen Entscheidungstheorie<br />
(Rational Theory of Choice) kurz skizziert. Dabei geht es um die Modellierung <strong>von</strong><br />
Situationen, in denen sich ein Konsument für eine der zur Wahl stehenden<br />
Alternativen entscheidet (Quantal Choice Problem, siehe S. 39). Die Alternativenmenge<br />
enthält dabei alle verfügbaren, sich gegenseitig ausschließenden<br />
Handlungsoptionen, was auch die Option des Kaufabbruchs oder der Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo beinhaltet. Formal werden die in einer Entscheidungssituation zur<br />
Verfügung stehenden Alternativen durch die Alternativenmenge F, mit den<br />
Elementen f 1 , f 2 , ... f n bezeichnet (vgl. Schmidt 1995, S. 24ff.):<br />
F = {f 1 , f 2 , ... f n }<br />
Die Konsequenzen, die mit der Entscheidung für eine Alternative verbunden sind,<br />
hängen dabei vom jeweiligen Umweltzustand ab. So hat beispielsweise der Kauf eines<br />
Cabrios unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, ob es regnet oder die Sonne<br />
scheint. Zur formalen Beschreibung des Entscheidungsmodells ist deshalb eine<br />
endliche Umstandsmenge Z, welche die in einer Entscheidungssituation relevanten<br />
Umstände beschreibt, und eine endliche Konsequenzenmenge C zur Beschreibung der<br />
möglichen Konsequenzen der Handlungen erforderlich:<br />
Z = {A, B , ... }<br />
C = { c 1 , c 2 , ... }<br />
Damit lässt sich die intuitiv nachvollziehbare Annahme, dass Handlungsalternativen<br />
unter verschiedenen Umständen unterschiedliche Konsequenzen haben, formal wie<br />
folgt darstellen: Jedes Element f der Alternativenmenge F kann als eine Funktion <strong>von</strong><br />
der Zustands- in die Konsequenzenmenge aufgefasst werden, d. h. für jedes f ∈ F gilt:<br />
f : Z a<br />
z a<br />
C<br />
f ( z )<br />
Im Grundmodell der Nutzenerwartungswerttheorie geht es nun im Kern um die Frage,<br />
welche Alternative in einer Entscheidungssituation ein Individuum gemäß rationaler<br />
96
Kriterien wählen soll. Da dem Entscheider die zukünftigen Umstände unbekannt sind<br />
und er deshalb eine Entscheidung unter Unsicherheit treffen muss, geht die<br />
Nutzenerwartungswerttheorie da<strong>von</strong> aus, dass einem Individuum eine subjektive<br />
Wahrscheinlichkeitsfunktion P, die die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines<br />
Umstands angibt, zugeschrieben werden kann:<br />
P:Z<br />
a<br />
[ 0,1]<br />
A a<br />
P( A )<br />
Dem Individuum wird ferner eine Nutzenfunktion U zugeordnet, die der jeweiligen<br />
Konsequenz eine reelle Zahl, den „Nutzen“ zuordnet:<br />
U: C a<br />
c a<br />
R<br />
U( c )<br />
<strong>Der</strong> Erwartungswert des Nutzens einer Alternative f x ∈ F ergibt sich somit wie folgt:<br />
E( U ( f )) = U ( f ( z))<br />
⋅ P({<br />
z})<br />
(2)<br />
x<br />
∑<br />
z∈Z<br />
x<br />
Damit lässt sich das Grundprinzip der Nutzenerwartungswerttheorie formulieren:<br />
„Wähle diejenige Alternative, für die der Erwartungswert des Nutzens maximal ist“<br />
(Schmidt 1995, S. 32). Dieses Prinzip der Maximierung des Nutzenerwartungswerts ist<br />
im vereinfachten Fall <strong>von</strong> zwei Handlungsalternativen f 1 und f 2 genau dann erfüllt,<br />
wenn gilt:<br />
∑<br />
z∈Z<br />
∑<br />
f 1 ≥ f2<br />
⇔ U( f1(<br />
z )) ⋅ P({ z }) ≥ U( f2(<br />
z )) ⋅ P({ z })<br />
(3)<br />
z∈Z<br />
wobei „f 1 ≥ f 2 “ bedeutet, dass „f 1 gegenüber f 2 schwach vorgezogen wird“ (vgl.<br />
Schmidt 1995, S. 33). Dieses Grundprinzip ist nicht auf zwei Alternativen beschränkt<br />
und kann z. B. durch paarweise Vergleiche auf beliebig große Alternativenmengen<br />
angewendet werden.<br />
Die folgenden Ausführungen basieren auf diesem Grundmodell der Nutzenerwartungswerttheorie<br />
bzw. der „klassischen Entscheidungstheorie“.<br />
97
Produktnutzen und Produktwahlverhalten<br />
Zentraler Aspekt der Rational Theory of Choice ist der vom Konsumenten erwartete<br />
Nutzen eines Produkts. Er kann als ein „subjektives Maß der Attraktivität eines<br />
Resultats“ (Seilheimer 2001, S. 8) bezeichnet werden, wobei unter „Resultat“ die<br />
Entscheidung für ein Produkt, sowie dessen anschließender Konsum zu verstehen ist.<br />
<strong>Der</strong> erwartete Produktnutzen ist dabei nicht auf die funktionalen Aspekte des<br />
Produkts, die aus dessen physikalisch-chemisch-technischen Eigenschaften folgen<br />
(vgl. Herrmann 1992, S. 25), begrenzt, sondern „summarize(s) the desirability of<br />
alternatives“ (McFadden 1986, S. 280) und beinhaltet damit auch Produkteigenschaften<br />
wie „Prestige, Geltung und <strong>St</strong>atus“ (Herrmann 1998, S. 14).<br />
Die Ansätze der rationalen Entscheidungstheorie basieren auf der Annahme, dass das<br />
Konsumentenverhalten „aus dem Prozess der multiattributiven Produktbeurteilung<br />
abzuleiten“ (Herrmann 1998, S. 102) ist. Im vereinfachten, diskreten Entscheidungsmodell<br />
hängt der Nutzen, den das Produkt i dem Konsumenten k stiftet, demnach <strong>von</strong><br />
dessen persönlichen, marketingpolitischen Merkmalen s k und den <strong>von</strong> ihm als<br />
entscheidungsrelevant wahrgenommenen Produktmerkmalen z ik ab (vgl. Herrmann<br />
1998, S. 104):<br />
U ik = U ik (z ik , s k ) (4)<br />
U ik<br />
z ik<br />
s k<br />
Nutzen <strong>von</strong> Produkt i für Konsument k<br />
Vektor der vom Konsument k als entscheidungsrelevant wahrgenommenen Eigenschaften<br />
(Attribute) <strong>von</strong> Produkt i<br />
Vektor der persönlichen Merkmale <strong>von</strong> Konsument k<br />
Je nachdem, ob bei der Produktbeurteilung <strong>von</strong> konstanten, dem Konsumenten<br />
bekannten Nutzenwerten oder <strong>von</strong> probabilistischen Nutzenwerten für die Alternativen<br />
ausgegangen wird, spricht man vom Konstantnutzen- oder Zufallsnutzenmodell der<br />
Entscheidungstheorie. Im letzteren Fall resultiert die Nutzenbewertung einer<br />
Alternative neben den persönlichen Merkmalen des Entscheiders und den<br />
Produkteigenschaften auch aus einem Zufallsterm zur Erfassung zufälliger Einflüsse<br />
auf die Nutzenbewertung (vgl. Herrmann 1998, S. 106ff.). Die Unterschiede dieser<br />
98
Modelle sind für die weitere Argumentation nicht relevant und werden deshalb an<br />
dieser <strong>St</strong>elle nicht vertieft 27 .<br />
Entscheidend ist vielmehr der Zusammenhang <strong>von</strong> Nutzenbewertung und<br />
Produktwahlverhalten, der sich aus dem Prinzip der Maximierung des Nutzenerwartungswerts<br />
ergibt und wie folgt darstellen lässt (vgl. Herrmann 1998, S. 106):<br />
P ik = P ik (U ik ≥ U jk ) (5)<br />
P ik<br />
U ik , U jk<br />
Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument k das Produkt i wählt<br />
Nutzen <strong>von</strong> Option i bzw. Option j<br />
Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Konsument für eine verfügbare<br />
Option entscheidet gleich der Wahrscheinlichkeit, dass der Nutzen dieser Option<br />
mindestens so groß ist wie der Nutzen einer anderen Option (vgl. Herrmann 1998,<br />
S. 106). Die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer Alternative ist folglich proportional zu<br />
deren Nutzen.<br />
Ein wichtiger Aspekt der rationalen Entscheidungstheorie soll an dieser <strong>St</strong>elle<br />
nochmals betont werden: Ein Element der Kaufentscheidung wie z. B. ein zur Wahl<br />
stehendes Produkt, stiftet dem Entscheider ausschließlich Nutzen „by being a means<br />
to and end“ (Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 66). Die means-end Theorie greift<br />
diesen Grundgedanken der Zielorientierung des Konsumentenverhaltens auf und<br />
erklärt dies mit Hilfe <strong>von</strong> Mittel-Ziel (means-end) Ketten (vgl. Herrmann 1998,<br />
S. 31). Demnach kommt „die Motivation zum Kauf eines Produkts (...) dadurch<br />
zustande, dass ein Konsument das Produkt als geeignetes Mittel wahrnimmt<br />
(=kognitiver Vorgang), um angenehme Gefühle zu verwirklichen und seine Triebe<br />
zu befriedigen (...)“ (Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 147). Ein Konsument erwirbt<br />
nach den Ideen der means-end Theorie ein Produkt mit bestimmten Eigenschaften<br />
(z. B. Laufschuh mit Fersenstütze), um durch dessen funktionalen Nutzen (z. B.<br />
schneller laufen) erstrebenswerte Zielzustände zu erreichen. Letztere werden durch<br />
relativ stabile instrumentale (z. B. körperliche Fitness) und terminale<br />
<strong>Wert</strong>haltungen (z. B. Selbstachtung) des Individuums generiert (vgl. Herrmann<br />
1998, S. 31ff.). Da der Zielzustand nur durch den Kauf des Produkts erreicht werden<br />
kann, dient dieses letztlich als „Mittel zum Zweck“.<br />
27 Eine ausführliche Darstellung verschiedener Modelle findet sich beispielsweise bei McFadden<br />
1985, S. 275ff. und 1981, S. 198ff. oder bei Herrmann 1992, S. 85ff.<br />
99
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Produktnutzen<br />
Die Annahme der rationalen Entscheidungstheorie, „(…) that an increase in variety<br />
will be accompanied by an increase in the likelihood that consumers find exactly what<br />
they are looking for“ (Desmeules 2002, S. 1) lässt sich folgendermaßen<br />
veranschaulichen:<br />
Geht man da<strong>von</strong> aus, dass sich ein Produkt als ein Bündel <strong>von</strong> Eigenschaften<br />
beschreiben und spezifizieren lässt und ein Konsument einen „Idealpunkt“<br />
hinsichtlich der Ausprägungen dieser Eigenschaften hat, dann nimmt die Bewertung<br />
(Evaluation) eines Produkts ab „as the ‚distance’ between its specification and that of<br />
consumer’s ideal good increases“ (Lancaster 1990, S. 197). Da die <strong>Wert</strong>schätzung<br />
eines Objekts <strong>von</strong> dessen relativer Lage zum Idealpunkt im Attributraum abhängig ist,<br />
wird diese Modellart auch als Locational, Locational analog, oder Neo-Hotelling<br />
Models bezeichnet (vgl. Lancaster 1990, S. 191, 198f.). Wie sich zunehmende Vielfalt<br />
unter diesen Annahmen auf die Produktbewertung durch Konsumenten auswirkt,<br />
verdeutlicht Lehmann (1998) anhand des folgenden schematischen Beispiels:<br />
Nimmt man an, dass die Präferenzen <strong>von</strong> Konsumenten in Form ihrer Idealpunkte<br />
gleichmäßig auf einer <strong>St</strong>recke zwischen 0 und 1 verteilt sind und sich die<br />
konsumentenspezifische Nachteiligkeit eines Produkts (Disutility) als Abstand<br />
zwischen dem Idealpunkt eines Konsumenten und einer Produktausprägung messen<br />
lässt und unterstellt man weiterhin, dass Hersteller und Handel aus Kundensicht<br />
optimale Produkte anbieten, dann nimmt der durchschnittliche Abstand zwischen dem<br />
„nächstgelegenen“ Produkt und dem Idealpunkt eines Konsumenten mit steigender<br />
Anzahl an Alternativen ab.<br />
Daraus folgt, dass „(...) the expected maximum utility increases with the number of<br />
alternatives (…)“ (Billot/Thisse 1999, S. 519), wobei der Grenznutzen einer<br />
zusätzlichen Alternative sinkt (vgl. Lehmann 1998, S. 64). Tabelle 3 verdeutlicht<br />
diesen Zusammenhang.<br />
100
Verfügbare<br />
Optionen<br />
Produktausprägungen<br />
Durchschnittliche<br />
Distanz<br />
Inkrementeller<br />
<strong>Wert</strong><br />
1 0,5 0,25<br />
2 0,25, 0,75 0,125 0,125<br />
3 0,167; 0,5; 0,833 0,083 0,042<br />
4 0,125; 0,375; 0,625; 0,875 0,0625 0,0205<br />
5 0,1; 0,3; 0,5; 0,7; 0,9 0,050 0,0125<br />
...<br />
10 0,05; 0,15; ... 0,025<br />
...<br />
100 0,005; 0,015; ... 0,0025<br />
Tabelle 3: Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Produktnutzen. In Anlehnung an<br />
Lehmann 1998, S. 64<br />
Auch wenn die Annahme, dass Unternehmen aus Konsumentensicht optimale<br />
Produkte anbieten z. B. <strong>von</strong> der Spieltheorie widerlegt wurde (vgl. Desmeules 2002,<br />
S. 8) und konstante (monetäre) Kosten als weitere Annahme eher unrealistisch sind<br />
(vgl. Lehmann 1998, S. 64), verdeutlicht das Beispiel die Beziehung <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und Nutzen, wie sie aus der Nutzentheorie folgt.<br />
Den angenommenen positiven Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem<br />
Nutzen konnten Kahn und Wansink (2004) auch empirisch zeigen. Sie haben den<br />
Einfluss der Alternativenanzahl sowie deren Organisation auf den antizipierten Nutzen<br />
des Sortiments durch Konsumenten untersucht und dabei festgestellt, dass „the<br />
perceived variety influences the anticipated consumption utility that a consumer<br />
believes the assortment will deliver“ (S. 529). Obwohl demnach nicht die absolute<br />
Anzahl an Alternativen, sondern die vom Konsumenten wahrgenommene Vielfalt<br />
entscheidend ist, besteht ein positiver Zusammenhang zwischen <strong>Produktvielfalt</strong> und<br />
dem (erwarteten) Nutzen der Produkte eines Sortiments. Dies lässt den Schluss zu,<br />
dass Entscheider „(…) may intuitively realize (…) that a larger pool (of alternatives)<br />
increases his chance for an optimal choice while adding to his processing effort”<br />
(Wright/Barbour 1975, S. 248).<br />
101
Auf eine wesentliche Vorraussetzung des dargestellten Zusammenhangs <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und dessen utilitaristischen Nutzen soll an dieser <strong>St</strong>elle nochmals<br />
explizit hingewiesen werden:<br />
Höhere <strong>Produktvielfalt</strong> führt nur dann durchschnittlich zu höherem maximalen<br />
Nutzen, wenn sich die Präferenzen der Konsumenten erheblich unterscheiden, d. h.<br />
wenn sie verschiedene Idealvorstellungen hinsichtlich der Attributausprägungen eines<br />
Produkts haben. Diese Unterschiede müssen dabei aus Konsumentensicht so<br />
bedeutend sein, dass „(...) individuals consider themselves to be better off (or have a<br />
higher welfare) when they have a product which exactly fits their view of the ideal<br />
design for that class of products than when they do not“ (Lancaster 1979, S. 5f.). Hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> ist aus Unternehmenssicht folglich nur dann sinnvoll, wenn die<br />
Geschmäcker der Konsumenten tatsächlich verschieden sind, diese die bessere<br />
Erfüllung ihrer Vorstellungen schätzen und demzufolge das entsprechende Produkt<br />
kaufen (vgl. Lancaster 1990, S. 190). Letzteres folgt aus dem oben dargestellten<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> Produktnutzen und Produktwahlverhalten.<br />
Diese Argumentation setzt implizit voraus, dass Individuen die eigenen Präferenzen<br />
kennen. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass „people do not always have a<br />
well-defined preference order“ (Tversky 1996, S. 17). Unter diesen Umständen bietet<br />
hohe <strong>Produktvielfalt</strong> einen weiteren Vorteil: In der Entscheidungssituation kann der<br />
Konsument lange flexibel bleiben, die eigenen Vorlieben und Präferenzen erkunden<br />
und dann entsprechend wählen (vgl. Billot/Thisse 1999, S. 519). Diese Flexibilität<br />
stellt im Sinne eines Optionswerts einen weiteren utilitaristischen Nutzenaspekt <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> dar (vgl. Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528).<br />
Betrachtet man nochmals die Beziehung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Kaufwahrscheinlichkeit<br />
bzw. –absicht, so stellt sich die Frage, wie sich der bewusste Aufschub bzw.<br />
Abbruch einer Kaufentscheidung aus nutzentheoretischer Sicht darstellen lässt. Nach<br />
den Worten <strong>von</strong> Dhar (1997) kann man dies erreichen, indem man „no choice as just<br />
another option“ (S. 216) betrachtet und damit in die Alternativenmenge einbezieht.<br />
<strong>Der</strong> Nutzen der „Nicht-Kauf Option“ entspricht dabei der Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo<br />
bzw. dem erwarteten Nutzen des Produkts, das ein Konsument durch die Fortsetzung<br />
der Suche erwartet zu finden. Eine Person entscheidet sich folglich für den Abbruch<br />
der Kaufentscheidung, wenn „none of the alternatives appears attractive, or when the<br />
decision maker expects to find better alternatives by continuing to search“ (Dhar<br />
1997a, S. 216). Hierbei liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass der Konsument über<br />
vollkommene Informationen verfügt und deren Verarbeitung weder mit monetären,<br />
102
noch mit psychischen Kosten (z. B. geistige Anstrengung) verbunden ist (vgl. Dhar<br />
1997a, S. 216).<br />
Betrachtet man den Aufschub als mögliche Entscheidungsoption, folgt aus der<br />
Nichtnegativität der Nutzenfunktion (vgl. McFadden 1981, S. 206) und dem<br />
Regularitätsprinzip (vgl. Luce 1959, 1977; Gourville/Soman 1999, S. 5ff., siehe auch<br />
S. 43f.), dass die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Konsument für den Aufschub<br />
entscheidet, nicht zunehmen kann, wenn einem Sortiment Produkte hinzugefügt<br />
werden. Obwohl diese Folgerung nicht so stark ist wie die, dass höhere Vielfalt aus<br />
Konsumentensicht besser ist, bedeutet sie doch, dass „(...) increasing variety should<br />
never harm a brand“ (Gourville/Soman 1999, S. 4).<br />
Ohne späteren Ausführungen zu den Kostenaspekten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> vorzugreifen,<br />
soll bereits hier darauf hingewiesen werden, dass diese Sichtweise rein utilitaristisch<br />
ist, nur die positiven Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> betrachtet und negative<br />
Konsequenzen hoher <strong>Produktvielfalt</strong>, wie kognitive und emotionale Kosten sowie<br />
Suchkosten unberücksichtigt lässt. Da diese Annahmen unrealistisch sind, kann damit<br />
das reale Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten nicht ausreichend erklärt werden (vgl. z. B.<br />
Desmeules 2002, S. 4). Das Regularitätsprinzip wurde deshalb auch empirisch<br />
mehrfach widerlegt (vgl. z. B. Tversky/Shafir 1992, S. 358ff., Gourville 1999, S. 10ff.,<br />
siehe auch S. 42ff.). Eine mögliche Erklärung hierfür geben die später dargestellten<br />
Theorien zur Erklärung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> (siehe Kapitel 2.3.2, S. 122ff.).<br />
Zusammenfassung und Bezug zur vorliegenden Untersuchung<br />
Die dargestellten utilitaristischen Aspekte des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> lassen sich<br />
wie folgt zusammenfassen: Konsumenten haben unterschiedliche Geschmäcker und<br />
verschiedene Vorstellungen da<strong>von</strong>, welche Eigenschaften ein aus ihrer Sicht ideales<br />
Produkt einer bestimmten Produktkategorie haben soll. Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
ein Konsument ein Produkt findet, das seinen Vorstellungen entspricht und dieses<br />
deshalb kauft, sollte unter oben erläuterten Annahmen mit der Anzahl der verfügbaren<br />
Alternativen steigen oder zumindest nicht abnehmen. Diese Argumentation hat sich<br />
<strong>von</strong> den Anfängen der Marketingforschung bis in deren Gegenwart kaum verändert:<br />
„(...) ... the greater the number of items carried by the store (…), the greater,<br />
ordinarily, is the consumer’s reason for expecting that the shopping trip will<br />
(…be) successful” (Baumol/ Ide 1956, S. 93).<br />
103
„Greater variety and larger assortments increase the probability of a perfect<br />
match” (Hoch/Bradlow/Wansink 1999, S. 528).<br />
„(…)in preference-matching contexts, in which people enter hoping to find<br />
some particular product or service they already know themselves to prefer,<br />
larger number of options should increase the likelihood that they will be<br />
successful in their search”. (Iyengar/Lepper 2000, S. 996).<br />
Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> bietet aus Konsumentensicht somit zusammenfassend vier<br />
wesentliche Nutzenaspekte:<br />
• Durch ein großes Sortiment besteht tendenziell eine hohe Chance ein Produkt<br />
zu finden, das den eigenen Vorstellungen entspricht und einen entsprechend<br />
hohen antizipierten Produktnutzen aufweist.<br />
• Dies impliziert, dass Konsumenten mit großen Sortimenten eine hohe<br />
Wahrscheinlichkeit verbinden, den Kaufprozess erfolgreich mit dem Kauf<br />
eines Produktes abzuschließen und so ihr Bedürfnis, das zur Auslösung der<br />
Kaufhandlung geführt hat, befriedigen können.<br />
• Aus dem hohen antizipierten Produktnutzen und der daraus resultierenden<br />
Erfüllung der Erwartungen des Konsumenten resultiert außerdem eine erhöhte<br />
Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt. <strong>Der</strong> Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
kann sich somit positiv auf die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
auswirken.<br />
• Da sich der erfolgreiche Abschluss der Kaufhandlung außerdem positiv auf die<br />
Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirkt, ist weiterhin da<strong>von</strong><br />
auszugehen, dass sich die Nutzenaspekte erhöhter <strong>Produktvielfalt</strong> positiv auf<br />
die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirken können.<br />
Dieser Logik folgend lassen sich Kaufintention und die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkte ceteris paribus durch eine Ausdehnung des Angebots erhöhen.<br />
In Abbildung 27 sind die für diese Untersuchung wesentlichen Aspekte der<br />
Nutzenerwartungswerttheorie zusammengefasst. Die Darstellungsform wird auch für<br />
alle nachfolgenden Theorien beibehalten. Sie stellt die zentralen Zusammenhänge der<br />
104
eschriebenen Theorie und den Kosten- bzw. Nutzen <strong>von</strong> hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in<br />
kompakter Form dar und wird nachfolgend kurz erläutert.<br />
Determinanten<br />
Nutzendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten des Nutzens hoher PV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der<br />
Produkte<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
+<br />
• Konsumenten haben verschiedene<br />
Präferenzen<br />
Kaufintention +<br />
• Je höher die Anzahl der Produkte,<br />
desto höher ist der antizipierter<br />
Produktnutzen und desto<br />
Zufriedenheit<br />
wahrscheinlicher ist es, ein<br />
• Prozess<br />
passendes Produkt zu finden und<br />
den Kauf erfolgreich abzuschließen<br />
• Produkt<br />
Nutzen<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
+<br />
+<br />
Facetten des Nutzens hoher PV<br />
antizipierter<br />
Produktnutzen<br />
Erfolgsaussichten<br />
Abbildung 27: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der Nutzenerwartungswerttheorie<br />
und des Nutzens <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Im Abbildungsschema werden vier aus der jeweiligen Theorie abgeleitete Aspekte<br />
<strong>von</strong> Kosten bzw. Nutzen der <strong>Produktvielfalt</strong> dargestellt:<br />
1. Determinanten: Es werden die aus der beschriebenen Theorie abgeleiteten<br />
qualitativen und quantitativen Eigenschaften des Sortiments abgebildet, die<br />
Kosten bzw. Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> beeinflussen.<br />
2. Konsequenzen: Die abgeleiteten Auswirkungen auf den Ausgang der<br />
Kaufentscheidung und die nachgelagerte Bewertung <strong>von</strong> Kaufprozess und<br />
gekauftem Produkt, die aus der beschriebenen Theorie gefolgert werden<br />
können.<br />
3. Argumentationslogik, die die Determinanten und die Konsequenzen nach der<br />
Argumentation der Theorie verbindet.<br />
4. Facetten der jeweiligen Dimension: Die durch die Theorie aufgezeigten<br />
Facetten der Kosten- oder Nutzendimension, die in der Konzeptualisierung zu<br />
berücksichtigen sind.<br />
105
Positive Zusammenhänge werden hierbei durch ein + symbolisiert, negative<br />
entsprechend durch ein _ bzw.<br />
In der oberen Abbildung wirkt sich folglich die Anzahl der Produkte positiv auf den<br />
Nutzen <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> aus, d. h. je höher die Anzahl der Produkte, desto höher<br />
der Nutzen. Als Konsequenz folgt nach der Logik der Erwartungsnutzentheorie, dass<br />
aufgrund des höheren Nutzens die Kaufintention sowie die Zufriedenheit mit dem<br />
gekauften Produkt und dem Kaufprozess steigen. Dies ist damit zu begründen, dass<br />
sich durch die höhere Vielfalt der antizipierte Produktnutzen und dadurch auch die<br />
Wahrscheinlichkeit ein passendes Produkt zu finden, erhöhen. Die Nutzenerwartungswerttheorie<br />
hat damit aufgezeigt, dass der Antizipierte Produktnutzen und<br />
die Erfolgsaussichten zwei wesentliche Facetten des Nutzens hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
sind.<br />
2.3.1.2 Hedonic Shopping Value<br />
Die klassische Konsumentenverhaltensforschung, in deren Tradition auch die oben<br />
dargestellte Theorie der rationalen Entscheidungstheorie steht, betrachtet den<br />
Konsumenten stets als Problemlöser, der als logisch und rational handelndes Wesen<br />
auf der Basis verfügbarer Informationen ein Entscheidungsproblem löst, indem er ein<br />
entsprechendes Produkt kauft (vgl. Holbrook/Hirschman 1982, S. 132). Die<br />
Motivation zum Einkauf ist demnach allein auf den Kauf eines Produkts zur<br />
Befriedigung eines Bedürfnisses zurückzuführen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996,<br />
S. 147).<br />
Das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten kann aber durch diesen reinen Akquisitionsfokus<br />
nicht vollkommen erklärt werden. So haben Untersuchungen gezeigt, dass<br />
Konsumenten beispielsweise ein Einkaufserlebnis nicht nur nach den „instrumental<br />
benefits of shopping (e.g., acquiring some specific item)“ (Babin/Darden 1995, S. 49),<br />
sondern auch nach dessen hedonistischen <strong>Wert</strong> beurteilen: Diesen umschreiben<br />
Babin und Darden (1995) wie folgt: „(...) hedonic or intrinsic, value reflects more<br />
experiential benefits provided directly by a shopping experience itself (e.g., fun,<br />
novelty, etc.)“ (S. 49).<br />
Ein Individuum misst demnach nicht nur dem Erwerb eines Produkts, sondern auch<br />
dem Kauferlebnis einen <strong>Wert</strong> bei. Dieser ist weitgehend unabhängig vom Ausgang des<br />
Kaufprozesses (vgl. Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646). Damit lässt sich<br />
106
eispielsweise auch die Vorliebe vorwiegend weiblicher Konsumenten für<br />
ausgedehnte Shoppingtrips mit Freundinnen erklären, in deren Verlauf ausgiebig<br />
anprobiert und betrachtet, aber nicht notwendigerweise auch gekauft wird. Das<br />
Positive dieses Einkaufserlebnisses – der Hedonic Shopping Value – „(...) reflects<br />
shopping’s potential entertainment and emotional worth“ (Babin/Darden/Griffin<br />
1994, S. 646). <strong>Der</strong> Kauf <strong>von</strong> Produkten ist hierfür keine notwendige Voraussetzung:<br />
„People buy so they can shop, not shop so they can buy“ (Langrehr 1991, S. 428).<br />
Theoretischer Hintergrund<br />
<strong>Der</strong> hedonistische Aspekt des Konsumentenverhaltens geht auf Hirschman und<br />
Holbrook (1982) zurück (vgl. Hirschman/Holbrook 1982; Holbrook/Hirschman 1982).<br />
Ausgangspunkt der Überlegungen der beiden Autoren war dabei die Konzentration der<br />
Konsumentenverhaltensforschung auf die Informationsverarbeitungsperspektive, die<br />
den Konsumenten in der Tradition der mikroökonomischen Theorie als Homo<br />
oeconomicus betrachtet, der als logischer Denker Probleme löst, um eine<br />
Kaufentscheidung zu treffen (siehe S. 69). Die Dominanz der Informationsverarbeitungsperspektive<br />
in der Verhaltensforschung wurde u. a. <strong>von</strong> Holbrook und<br />
Hirschman (1982) „(...) on the grounds that it may neglect important consumption<br />
phenomena“ wie z. B. „(…) various playful leisure activities, sensory pleasures,<br />
daydreams, esthetic enjoyment, and emotional responses (…)“(Holbrook/Hirschman<br />
1982, S. 132) kritisiert.<br />
Die Autoren gründen ihre Hypothesen und theoretischen Aussagen auf Erkenntnisse<br />
<strong>von</strong> Teilbereichen verschiedener verhaltenswissenschaftlicher Forschungsgebiete,<br />
wie z. B. der Ästhetik als Teilbereich der Philosophie (Jaeger 1945), dem<br />
Forschungsgebiet der affektiven Reaktion (affective Response) innerhalb der<br />
Psycholinguistik (Osgood/Suci/Tannenbaum 1957) sowie auf verschiedene Teilgebiete<br />
der Soziologie und Psychologie. Des Weiteren greifen sie auf die Marketingforschung<br />
und hierbei insbesondere auf Erkenntnisse zur Motivationsforschung (vgl.<br />
Dichter 1960) und zum Produktsymbolismus (Grubb/Grathwohl 1967; Levy 1959)<br />
zurück (vgl. Hirschman/Holbrook 1982, S. 93 und die hierin zitierten Quellen).<br />
Auf Basis dieser Theorien haben die beiden Autoren die hedonistischen Aspekte des<br />
Produktkonsums untersucht, die sie als „hedonic consumption“<br />
(Hirschman/Holbrook 1982, S. 92) bzw. als „experiential view“<br />
(Holbrook/Hirschman 1982, S. 132) bezeichnen. Letzterer steht dem vorherrschenden<br />
107
„information processing view“ gegenüber. Unter Hedonic Consumption bzw. dem<br />
Experiential View subsumieren die Autoren dabei „(...) consumers’ multisensory<br />
images, fantasies and emotional arousal“ (Hirschman/Holbrook 1982, S. 93), die<br />
durch die Produktnutzung entstehen und einen „steady flow of fantasies, feelings, and<br />
fun“ (Holbrook/Hirschman 1982, S. 132) umfassen. Im Zusammenhang dieser Arbeit<br />
sind hierbei vor allem die emotionalen Reaktionen des Konsumenten während des<br />
Konsums <strong>von</strong> Interesse. Diese haben (kauf)motivierenden Charakter und umfassen<br />
Gefühle wie z. B. Freude, Spaß, Beigeisterung, aber auch Angst, und gehen über die<br />
affektiven Komponenten der Präferenzvariablen (Nutzen) hinaus (vgl.<br />
Hirschman/Holbrook 1982, S. 92f.). Die beiden Autoren betonen, dass es sich bei den<br />
Gefühlen um Ergebnisse primärer mentaler Prozesse handelt. Diese sind primär in<br />
dem Sinn, dass sie ein „(...) immediate pleasure or gratification“<br />
(Holbrook/Hirschman 1982, S. 135) als Reaktion auf ein Ereignis oder Erlebnis<br />
darstellen, das dem Verhalten eines Kleinkindes ähnelt und deshalb als primär<br />
bezeichnet werden. Im Gegensatz hierzu sind sekundäre Prozesse als Ergebnis der<br />
Sozialisation erlernt und umfassen vor allem die Informationsverarbeitung mit dem<br />
Ziel einer optimalen Produktwahl (vgl. Holbrook/Hirschman 1982, S. 135).<br />
<strong>Der</strong> Experiential View und der Information Processing View unterscheiden sich<br />
folglich auch und vor allem im Ergebnis einer Kauf- bzw. Konsumhandlung:<br />
Aus der Sicht der Informationsverarbeitungsperspektive werden die Folgen einer<br />
Kaufentscheidung primär durch die funktionalen Aspekte und die „economic benefits“<br />
(Holbrook/Hirschman 1982, S. 138) des erworbenen Produkts bestimmt. Die Kriterien<br />
zur Bewertung einer Kaufentscheidung bauen folglich in erster Linie auf dem<br />
Produktnutzen auf.<br />
Im Gegensatz hierzu äußern sich die hedonistischen Aspekte des Konsums<br />
„(…) in the fun that a consumer derives from a product – the enjoyment that it<br />
offers and the resulting feeling of pleasure that it evokes. (…) (they) hinge on<br />
an appreciation of the product for its own sake, apart from any utilitarian<br />
function that it may or may not perform” (Holbrook/Hirschman 1982, S. 138).<br />
Batra und Ahtola (1991) bringen die Unterscheidung <strong>von</strong> hedonistischer und<br />
utilitaristischer Dimension auf die einfache Formel: „(...) the hedonic determinant of<br />
overall evaluations is presumed to be based on the consumer’s assessment of how<br />
much pleasure he gets; his utilitarian determinant is based on his assessment about<br />
108
the instrumental value of (...) functional attributes“ (S. 161, Hervorhebungen nicht im<br />
Original).<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die hedonistische Perspektive die<br />
unmittelbaren emotionalen Reaktionen des Konsumenten auf bestimmte <strong>St</strong>imuli in<br />
der Kauf- oder Konsumsituation beschreibt und Gefühle wie Freude, Spaß und<br />
Begeisterung umfasst. Diese Perspektive soll die traditionellen, auf die<br />
Informationsverarbeitung ausgerichteten Theorien des Konsumentenverhaltens nach<br />
Ansicht <strong>von</strong> Hirschman und Holbrook (1982, S. 100) nicht ersetzten, sondern um dort<br />
nicht berücksichtigte Aspekte ergänzen. Da die hedonistischen Elemente für den<br />
Fortgang der Untersuchung <strong>von</strong> hoher Bedeutung sind, werden nachfolgend einige<br />
Forschungsergebnisse zur Koexistenz <strong>von</strong> utilitaristischen und hedonistischen<br />
Aspekten in verschiedenen Phasen und Gesichtspunkten des Konsumentenverhaltens<br />
vorgestellt.<br />
Beispiele für hedonistische und utilitaristische Aspekte des Konsumentenverhaltens<br />
Die Koexistenz hedonistischer und utilitaristischer Elemente konnte in verschiedenen<br />
Aspekten und Phasen des Konsumentenverhaltens empirisch gezeigt werden. Diese<br />
reichen <strong>von</strong> der Motivation zum Einkauf, über die Beurteilung des Einkaufserlebnisses<br />
bis hin zur Produktbewertung und der damit verbundenen Herausbildung eines<br />
Zufriedenheitsurteils:<br />
Motivation zum Einkaufen<br />
„Why Do People Shop? Do people shop simply to make purchases? Are shopping trips<br />
motivated by considerations that are unrelated to an actual purchase?“ Mit diesen<br />
Fragen hat Tauber (1972, S. 46) seinen Artikel im Journal of Marketing begonnen und<br />
damit eine Reihe <strong>von</strong> <strong>St</strong>udien initiiert, die sich mit der Untersuchung der<br />
Beweggründe <strong>von</strong> Konsumenten zum Einkaufen befasst haben. Er vertrat dabei die<br />
Hypothese, dass die Einkaufsmotivation nicht ausschließlich mit dem funktionalen<br />
Erwerb <strong>von</strong> Produkten zu erklären ist. Tauber entwickelte deshalb theoriegeleitet eine<br />
Reihe <strong>von</strong> psychosozialen Einkaufmotiven, die in persönliche und soziale Motive<br />
klassifiziert werden können. Als persönliche Motive führt er dabei z. B. das Lernen<br />
neuer Trend soder sensorische <strong>St</strong>imulation an, sowie Ablenkung als Möglichkeit, der<br />
109
täglichen Routine zu entkommen und die Absicht, sich selbst etwas Gutes zu tun<br />
(Selbst-Belohnung (Self-gratification)). Soziale Erfahrungen außerhalb des Hauses,<br />
Kommunikation mit anderen Personen mit ähnlichen Interessen und den Ausdruck <strong>von</strong><br />
<strong>St</strong>atus und Autorität nennt der Autor als Beispiele für soziale Einkaufsmotive (vgl.<br />
Tauber 1972, S. 47f.).<br />
Westbrook und Black (1985, S. 80ff.) haben die Ideen <strong>von</strong> Tauber (1972) aufgegriffen<br />
und diese mit Ergebnissen der Motivationsforschung kombiniert (McGuire 1974). Sie<br />
kommen zu dem Schluss, dass Individuen primär aus drei Gründen shoppen:<br />
1. um ein Produkt zu kaufen (z. B. antizipierter Nutzen)<br />
2. um das gewünschtes Produkt zu kaufen und dabei gleichzeitig Bedürfnisse zu<br />
befriedigen, die nichts mit dem Produkt zu tun haben (z. B. verhandeln) und<br />
3. um Ziele zu erreichen, die nicht mit dem Kauf eines Produkts verbunden sind<br />
(z. B. <strong>St</strong>imulation).<br />
Die Ergebnisse der Untersuchungen <strong>von</strong> Westbrook und Black (1985) haben<br />
verdeutlicht, dass Konsumenten nicht nur vom beabsichtigten, funktional getriebenen<br />
Erwerb eines Produkts zum Einkaufen motiviert werden, sondern hierbei auch andere<br />
Ziele verfolgen. Die Triologie dieser Ziele, die Westbrook und Black (1985)<br />
vorgeschlagen hatten, hat sich aber in der Marketingforschung nicht durchgesetzt,<br />
„(...) most typologies consider instrumental and hedonic motivations as fundamental<br />
to understanding consumer shopping behavior because they maintain a basic<br />
underlying presence across consumption phenomena“ (Childers/Carr/Peck/Carson<br />
2001, S. 513; Hervorhebungen nicht im Original).<br />
Arnolds und Reynolds (2003) haben in einer neueren Untersuchung eine Skala zur<br />
Messung der hedonistischen Einkaufsmotivation entwickelt und dabei die Existenz<br />
<strong>von</strong> sechs verschiedenen Faktoren der hedonistischen Komponente zeigen können.<br />
Diese ähneln denen <strong>von</strong> Taubner (1972) und reichen <strong>von</strong> Abenteuer über Belohnung<br />
bis hin zur Information über neueste Trends und Produkte (Idea Shopping) (vgl.<br />
Arnold/Reynolds 2003, S. 79ff.) 28 .<br />
Interessant ist hierbei insbesondere, dass auch Informationen hedonistische Aspekte<br />
beinhalten. Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommen auch Bloch, Sherrell und Ridgway<br />
28 Die Faktoren sind im Einzelnen: „adventure, gratification, role, value, social und idea shopping“<br />
(Arnold/Reynolds, S. 95). Eine Erklärung dieser Faktoren findet sich dort auf S. 80f.<br />
110
(1986): Sie konnten feststellen, dass Konsumenten im Wesentlichen aus zwei Gründen<br />
kontinuierlich und unabhängig <strong>von</strong> einem beabsichtigten Kauf Informationen zu<br />
bestimmten Produkten suchen: „to augment stores of product knowledge and to<br />
experience pleasure“ (S. 125; Hervorhebungen nicht im Original).<br />
Wie Childers et al. (2001) gezeigt haben, ist die hedonistische Motivationskomponente<br />
aber nicht nur für das „herkömmliche“ Einkaufsverhalten <strong>von</strong> Bedeutung, sondern<br />
auch für den Online-Einkauf. Die Autoren untersuchten, wie die Nützlichkeit<br />
(Usefulness) und Bedienungsfreundlichkeit (Ease of Use) einer Webseite, sowie der<br />
bei der Nutzung erlangte Spaß (Enjoyment), die Einstellung und Nutzungsabsicht<br />
beeinflussen. Dabei kamen sie zu der Erkenntnis, dass „while the instrumental aspects<br />
of the new media are important predictors of online attitude, the more immersive,<br />
hedonic aspects of the new media play at least an equal role” (Childers et al. 2001,<br />
S. 527).<br />
Somit kann festgehalten werden, dass Konsumenten sowohl <strong>von</strong> funktionalen<br />
Aspekten des Erwerbs eines Produkts als auch <strong>von</strong> hedonistischen Aspekten, die sich<br />
vornehmlich auf das während des Einkaufserlebnisses erlangte Vergnügen beziehen,<br />
zum Einkaufen und der Informationssuche motiviert werden.<br />
Diese Aspekte wirken sich aber nicht nur auf die Motivation zum Einkaufen aus,<br />
sondern haben auch entsprechenden Einfluss auf die nachgelagerte Beurteilung des<br />
Einkaufserlebnisses.<br />
Beurteilung eines Einkaufserlebnisses<br />
Babin, Darden und Griffin (1994) haben untersucht, anhand welcher Kriterien<br />
Konsumenten den „<strong>Wert</strong> eines Einkaufserlebnisses“ (Shopping Experience)<br />
bestimmen und dabei zwei verschiedene Bewertungskategorien identifiziert:<br />
Utilitarian und hedonic. <strong>Der</strong> utilitaristische <strong>Wert</strong> des Einkaufserlebnisses wird im<br />
Wesentlichen da<strong>von</strong> bestimmt, ob „(...) the particular consumption need stimulating<br />
the shopping trip was accomplished“ (Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646). Im<br />
Gegensatz hierzu resultiert der hedonistische <strong>Wert</strong> „(...) more from fun and<br />
playfulness than from task completion“ und „(...) reflects shopping’s potential<br />
entertainment and emotional worth“ (Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646). Er wird<br />
charakterisiert durch „increased arousal, perceived freedom and/or fantasy<br />
fulfillment“ (Haytko/Baker 2004, S. 77).<br />
111
Babin et al. (1994) konnten diese beiden Aspekte des Einkaufserlebnisses anhand der<br />
Dimensionalität der <strong>von</strong> ihnen entwickelten Personal Shopping Value-Skala empirisch<br />
veranschaulichen. Demzufolge beurteilen Konsumenten ein Konsumerlebnis einerseits<br />
nach der Effizienz und Effektivität des Produktkaufs, andererseits nach dem Spaß und<br />
der Unterhaltsamkeit des Kaufprozesses selbst und können deshalb „(be) portrayed, in<br />
a shopping context, as both intellectual and emotional“ (Babin/Darden/Griffin 1994,<br />
S. 653).<br />
In späteren <strong>St</strong>udien konnten Griffin, Babin und Modianos (2000) sowie Babin und<br />
Attaway (2000) die zweidimensionale <strong>St</strong>ruktur des Perceived Shopping Value<br />
bestätigen und dessen Einfluss auf das Kaufverhalten <strong>von</strong> Konsumenten zeigen. Sie<br />
stellten fest, dass der Perceived Shopping Value zwischen den positiven und negativen<br />
Emotionen, die durch die Atmosphäre in einem Geschäft ausgelöst werden<br />
(Environmental Affect) und dem Anteil der Einkäufe in einer Produktgruppe, die ein<br />
Konsument in diesem Geschäft tätigt (Customer Share), moderiert (Babin/Attaway<br />
2000, S. 97). Die Ergebnisse der <strong>St</strong>udie sind in Abbildung 28 anhand des<br />
identifizierten <strong>St</strong>rukturmodells grafisch veranschaulicht.<br />
Perceived Shopping<br />
Value<br />
Positive<br />
Affect<br />
0,62 (t=6,1)<br />
Hedonic<br />
Shopping<br />
Value<br />
0,32 (t=5,5)<br />
- 0,26 (t=2,6)<br />
0,23 (t=2,3)<br />
- 0,19 (t=2,5)<br />
Customer<br />
Share<br />
Negative<br />
Affect<br />
- 0,46 (t=4,0)<br />
Utilitarian<br />
Shopping<br />
Value<br />
0,37 (t=3,5)<br />
Abbildung 28: Antezedenzien und Konsequenzen der hedonistischen und utilitaristischen Dimension<br />
des Perceived Shopping Values. In Anlehnung an Babin/Attaway 2000, S. 96<br />
<strong>Der</strong> Einfluss utilitaristischer und hedonistisches Aspekte auf das Verhalten <strong>von</strong><br />
Konsumenten wird auch <strong>von</strong> Untersuchungsergebnissen zur Beurteilung <strong>von</strong><br />
Einkaufszentren durch Konsumenten bestätigt. So konnten z. B. Wakefield und Baker<br />
(1998) zeigen, dass die Aufenthaltsdauer in und die Loyalität zu einem<br />
Einkaufszentrum (Repatronage) wesentlich da<strong>von</strong> abhängt, wie aufregend ein<br />
112
Individuum das Einkaufserlebnis findet (vgl. S. 533). Diese positive Aufregung<br />
(Excitement) kann als hedonistische Komponenten des Einkaufserlebnisses<br />
interpretiert werden, da es einen „positive emotional state that consists of high levels<br />
of pleasure and arousal“ (Wakefield/Baker 1998, S. 519) beschreibt. Zu einem<br />
ähnlichen Ergebnis kommen auch Haytko und Baker (2004, S. 77ff.).<br />
Hedonisitische und utilitaristischer Aspekte wirken sich aber nicht nur auf die<br />
Beurteilung des gesamten Einkaufserlebnisses, sondern auch auf Einzelaspekte wie<br />
beispielsweise die Beurteilung <strong>von</strong> verkaufsfördernden Maßnahmen (Sales<br />
Promotions) aus:<br />
Beurteilung des Nutzens <strong>von</strong> verkaufsfördernden Maßnahmen (Sales Promotions)<br />
Nach den Ergebnissen <strong>von</strong> Chandon, Wansink und Laurent (2000) können<br />
Konsumenten sowohl hinsichtlich hedonistischer als auch utilitaristischer Aspekte <strong>von</strong><br />
verkaufsfördernden Maßnahmen (Sales Promotions) wie z. B. Rabatten profitieren.<br />
Abbildung 29 zeigt das Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (second<br />
order) des Nutzens <strong>von</strong> Sales Promotions aus Konsumentensicht. Wie erkennbar ist,<br />
hat sowohl die utilitaristische als auch die hedonistische Nutzendimension eine<br />
dreifaktorielle <strong>St</strong>ruktur (vgl. Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 65). Dabei fällt<br />
weiter auf, dass die beiden Dimensionen relativ stark korrelieren (r = 0,67). Trotz<br />
dieses hohen <strong>Wert</strong>s ist aber die Diskriminanzvalidität der beiden Dimensionen<br />
gegeben 29 .<br />
Dies erlaubt den Schluss, dass „sales promotions can provide consumers with an<br />
array of hedonic and utilitarian benefits beyond monetary savings“ (Chandon/<br />
Wansink/Laurent 2000, S. 77). Sie sind ein weiteres Beispiel für die Koexistenz<br />
utilitaristischer und hedonistischer Nutzenaspekte.<br />
29 Da das Konfidenzintervall der Korrelation den <strong>Wert</strong> 1 nicht beinhaltet und die Höhe der<br />
gemeinsamen Varianz zwischen den second-order Faktoren geringer ist als die durchschnittliche,<br />
für jedem Faktor extrahierte Varianz, ist die Diskriminanzvalidität gegeben (vgl.<br />
Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 67).<br />
113
0,67<br />
Utilitarian<br />
Hedonic<br />
0,83<br />
0,74 0,78 0,41 0,46 0,45 0,75<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
δ<br />
Savings Quality Convenience<br />
Value<br />
Expression<br />
Entertainment<br />
Exploration<br />
0,88<br />
0,80 0,84<br />
0,66<br />
0,78 0,61<br />
0,53<br />
0,66 0,56<br />
0,76<br />
0,69 0,76<br />
0,85<br />
0,86 0,65<br />
0,80<br />
0,86 0,72<br />
s1 s2 s3<br />
q1 q2 q3<br />
c1 c2 c3<br />
ve1 ve2 ve3<br />
e1 e2 e3<br />
x1 x2 x3<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
δ δ δ<br />
Abbildung 29: Hedonistische und utilitaristische Nutzendimensionen <strong>von</strong> Sales Promotions. Quelle:<br />
Chandon/Wansink/Laurent 2000, S. 70. (χ 2 127 =565; p < 0,05, GFI = 0,881, AGFI = 0,840, RMSEA =<br />
0,087)<br />
<strong>Der</strong> Einfluss hedonistischer und utilitaristischer Aspekte konnte auch bei der<br />
Produktbewertung und der damit verbundenen Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils<br />
gezeigt werden.<br />
Produktbewertung und Zufriedenheit<br />
Mano und Oliver (1993) haben bei ihrer Untersuchung der Bewertungskriterien eines<br />
gekauften Produkts festgestellt, dass Konsumenten Produkte anhand <strong>von</strong> zwei<br />
Dimensionen bewerten – einer utilitaristischen und einer hedonistischen (Mano/Oliver<br />
1993, S. 457). Die erste entspricht in der Konzeption <strong>von</strong> Mano und Oliver der<br />
„traditional notion of instrumental or utilitarian performance whereby the product is<br />
seen as performing a useful function“. Die hedonistische Komponente der<br />
Produktbeurteilung „is that of hedonic or aesthetic performance (…) whereby<br />
products are valued for their intrinsically pleasing properties“ (beide Mano/Oliver<br />
1993, S. 453). Die Autoren greifen zur Erklärung dieser Dimensionalität u. a. auf<br />
Untersuchungsergebnisse <strong>von</strong> Batra und Ahtola (1991) zurück, die gezeigt haben, dass<br />
„attitudes towards brands and behaviors have at least two distinct components,<br />
hedonic and utitarian“ (S. 168). Die in Abbildung 30 grafisch dargestellten<br />
Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen die Koexistenz der utilitaristischen und<br />
hedonistischen Bewertungsdimension als Determinanten der Zufriedenheit mit einem<br />
gekauften Produkt. Von Interesse ist hierbei insbesondere auch der Zusammenhang<br />
114
dieser Dimensionen mit den affektiven Reaktionen des Konsumenten. So hat sich<br />
gezeigt, dass die hervorgerufene emotionale Erregung (Arousal) die <strong>St</strong>ärke der<br />
positiven bzw. negativen Emotionen beeinflusst, wobei die Höhe des Arousals vor<br />
allem <strong>von</strong> der hedonistischen Bewertung abhängt. Im Vergleich zu utilitaristischen<br />
Faktoren ist der Einfluss hedonistischer Aspekte auf die affektiven Reaktionen<br />
insgesamt größer. Weiterhin hat sich gezeigt, dass die Zufriedenheit sowohl <strong>von</strong> der<br />
utilitaristischen Dimension, als auch <strong>von</strong> den affektiven Reaktionen (positiv, negativ)<br />
beeinflusst wird und die hedonistische Bewertungskomponente gleichzeitig keinen<br />
direkten Einfluss auf die Zufriedenheit hat, sondern nur über den positiven Affekt<br />
wirkt. Die Autoren interpretieren dies als Hinweis darauf, dass „hedonic evaluation is<br />
mostly affective while utilitarian evaluation is mostly cognitive“ (Mano/Oliver 1993,<br />
S. 464).<br />
0,306<br />
Need<br />
0,739<br />
Value<br />
0,974<br />
Utilitarian<br />
-0,256<br />
0,209<br />
0,450<br />
Negative<br />
Affect<br />
- 0,489<br />
Hedonic<br />
-0,207<br />
0,080<br />
Satisfaction<br />
Interrest<br />
Positive<br />
0,813<br />
0,858<br />
0,515<br />
Hedonic<br />
0,585<br />
0,287<br />
Positive<br />
Affect<br />
0,345<br />
Appeal<br />
0,739<br />
0,161<br />
Abbildung 30: Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils: <strong>Der</strong> Zusammenhang <strong>von</strong> utilitaristischer<br />
und hedonistischer Produktbewertung, positivem und negativem Affekt und der Zufriedenheit. Quelle:<br />
Mano/Oliver 1993, S. 455<br />
Die Ergebnisse <strong>von</strong> Mano und Oliver (1993) zeigen, dass bei der Produktbeurteilung<br />
neben den funktionalen, die hedonistischen Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dabei<br />
wirken sich letztere insbesondere auf die affektiven Reaktionen in Folge des<br />
Produktkaufs aus. Insgesamt führt dies dazu, dass die Wirkung der hedonistischen<br />
Komponenten auf die Zufriedenheit vornehmlich affektiver Natur ist, während jene<br />
der utilitaristischen Aspekte in erster Linie kognitiv geprägt sind.<br />
115
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse zu hedonistischen und<br />
utilitaristischen Aspekten im Konsumentenverhalten<br />
Emotionen wie Freude und Spaß sind neben funktionalen Aspekten wie z. B.<br />
erwartetem Produktnutzen wichtige Bestimmungsfaktoren des Konsumentenverhaltens.<br />
Die dargestellten Untersuchungsergebnisse haben dabei verdeutlicht, dass<br />
beide Komponenten in der Vorphase des Einkaufs (Motivation zum Einkaufen,<br />
Informationssuche) sowie während (Benefits <strong>von</strong> Promotions) und nach diesem<br />
(Beurteilung des Einkaufserlebnisses und des gekauften Produkts) <strong>von</strong> Bedeutung<br />
sind.<br />
Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass analog hierzu auch <strong>Produktvielfalt</strong> für<br />
Konsumenten mit utilitaristischen und hedonistischen Aspekten verbunden ist. Erstere<br />
wurden bereits erläutert (siehe S. 100ff.) und beziehen sich darauf, dass mit steigender<br />
Vielfalt auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Produkt den eigenen<br />
Vorstellungen entspricht und einen entsprechend hohen Nutzen hat.<br />
Die hedonistischen Aspekte <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> umfassen die durch die<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> hervorgerufenen positiven Emotionen wie Freude, Freiheitsgefühl<br />
und Spaß. Dieser Zusammenhang wird nachfolgend näher erläutert.<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und Hedonismus im Kaufprozess<br />
Kahn und Wansink (2004) legen ihren Untersuchungen die in der Marketingliteratur<br />
weit verbreitete Annahme zugrunde, dass „variety is generally considered positive (...)<br />
and may result in consumers feeling more positive affect“ (S. 521). <strong>Produktvielfalt</strong><br />
kann demzufolge zur Entstehung positiver Emotionen und damit zur <strong>St</strong>eigerung des<br />
hedonistischen Kauferlebnisses führen. Wie oben erläutert, setzt dies nicht voraus,<br />
dass ein Konsument tatsächlich ein Produkt erwirbt, vielmehr geht es um die positiven<br />
Emotionen, die unabhängig vom Ausgang der Kaufentscheidung durch die Vielzahl<br />
der verfügbaren Optionen ausgelöst werden.<br />
An dieser <strong>St</strong>elle soll die Unterscheidung zwischen Emotionen, die während der<br />
Entscheidungsfindung entstehen (Process Emotions) und solchen, die unabhängig<br />
da<strong>von</strong> sind, betont werden. So haben beispielsweise Iyengar und Lepper (2000) in<br />
ihren Untersuchungen festgestellt, dass „an extensive array of options can at first<br />
seem highly appealing to consumers, yet can reduce their subsequent motivation to<br />
purchase the product“ (Iyengar/Lepper 2000, S. 997). Obwohl Konsumenten die<br />
116
große Produktauswahl als attraktiv und anziehend empfunden haben, ist ihnen die<br />
Kaufentscheidung schwer gefallen und hat zu negativen Emotionen, wie<br />
empfundenem oder antizipiertem Regret, und dadurch zum teilweisen Verzicht auf die<br />
Kaufentscheidung geführt (siehe hierzu auch die Ausführungen zu den emotionalen<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong>, Kapitel 2.3.2.3, S. 158ff.). Positive Emotionen im Vorfeld<br />
der Entscheidung und negative Emotionen während der Entscheidungsfindung<br />
schließen sich somit nicht aus. Zu diesem Ergebnis kommen auch Iyengar und<br />
Lepper (2002) und argumentieren „that people can indeed find choosing among<br />
too many alternatives to be both enjoyable and overwhelming“ (S. 1002). In<br />
diesem Abschnitt wird der Schwerpunkt der Betrachtung aber auf die (positiven)<br />
Emotionen gelegt, die im Vorfeld der Kaufentscheidung durch hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> entstehen, (zur Entstehung und Wirkung negativer Emotionen siehe<br />
Kapitel 2.3.2.2, S. 134ff. und Kapitel 2.3.2.3, S. 158ff.).<br />
Beginnt man die Überlegungen zu deren Ursachen damit, dass sich hedonistische<br />
Konsumaspekte, wie oben erläutert, durch „increased arousal, perceived freedom<br />
and/or fantasy fulfillment“ (Haytko/Baker 2004, S. 77) charakterisieren lassen, so<br />
besteht zwischen <strong>Produktvielfalt</strong> und Perceived Freedom ein offensichtlicher<br />
Zusammenhang: Je mehr Produkte dem Konsumenten zur Wahl stehen, desto größer<br />
ist seine Entscheidungsfreiheit. Reibstein, Youngblood und Fromkin (1975) konnten<br />
entsprechend zeigen, dass Konsumenten, die aus vier verschiedenen Produkten<br />
wählen, größere Entscheidungsfreiheit empfinden als diejenigen, die zwei Alternativen<br />
zur Wahl haben. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass „an enlarged choice set<br />
leads to greater perceived decision freedom“ (Reibstein/Youngblood/Fromkin 1975,<br />
S. 435).<br />
Die Entstehung dieser positiven Emotion lässt sich auch mit Hilfe der<br />
Reaktanztheorie (Brehm 1980) erklären. Demnach ist ein Individuum bemüht, die<br />
subjektiv erlebte Entscheidungs- und Wahlfreiheit (vgl. Fischer/Wiswede 1997,<br />
S. 312) aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Brehm/Wicklund 1970, S. 6).<br />
Wird die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, kann dadurch ein motivationaler<br />
Erregungszustand entstehen, der als Reaktanz bezeichnet wird (vgl. Brehm 1980,<br />
S. 29). Kleine Sortimente, die den Entscheidungsspielraum des Kunden einengen,<br />
können deshalb Reaktanzeffekte hervorrufen (vgl. Silberer 1990, S. 390). Im<br />
Umkehrschluss bedeutet dies, dass Konsumenten, denen eine hohe Anzahl an<br />
Produkten zur Wahl steht, eine Erweiterung ihrer persönlichen Wahlfreiheiten<br />
empfinden. Dadurch kann eine Art „inverser Reaktanzeffekt“ entstehen, der mit<br />
117
positiven Emotionen verbunden ist oder zumindest die Entstehung negativer<br />
Emotionen vermeidet.<br />
Iyengar und Lepper (2002) weisen in diesem Zusammenhang auf das Gefühl der<br />
Kontrolle hin, das dem der Wahlfreiheit ähnlich ist und dessen Abhängigkeit <strong>von</strong> der<br />
<strong>Produktvielfalt</strong>: „the provision of choice enhances feelings of personal control“ (S. 3).<br />
Wie Lefcourt (1973) betont, hat dieses Gefühl positive Valenz: „the sense of control,<br />
the illusion that one can exercise personal choice, has a definite and a positive role in<br />
sustaining life“ (S. 424). Einen Zusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungsfreiheit und<br />
Kontrolle konnten auch Thompson, Locander und Pollio (1990) in ihrer Untersuchung<br />
des Einkaufsverhaltens <strong>von</strong> Frauen feststellen: „(...) being free of restrictions, being in<br />
control, and being deliberate are experienced by participants as conducive to free<br />
choices (...)“ (S. 358). Demnach bedingen und verstärken sich die Gefühle <strong>von</strong><br />
Entscheidungsfreiheit und Kontrolle gegenseitig, wobei Entscheidungsfreiheit <strong>von</strong><br />
Konsumenten insbesondere dann als positiv empfunden wird, wenn sie gleichzeitig<br />
das Gefühl haben, die Situation zu kontrollieren. Verlieren sie die Kontrolle, kann es<br />
während der Entscheidungsphase zu negativen Emotionen kommen (siehe hierzu auch<br />
die Ausführungen auf Seite 134 ff.) (vgl. Thompson et al. 1990, S. 358). Im Vorfeld<br />
der Kaufentscheidung wird die Wahlfreiheit demnach als positiv empfunden.<br />
Durch das Angebot einer hohen Anzahl an Produktalternativen steigt somit<br />
zusammenfassend das (positive) Gefühl der Kontrolle und Selbstbestimmtheit<br />
(Self-Determination) des Entscheiders, was sich wiederum positiv auf die Höhe der<br />
intrinsischen Motivation und damit auf die Qualität der Entscheidung und die<br />
Zufriedenheit mit dieser auswirkt (vgl. Iyengar/Lepper 2000, S. 995).<br />
Neben den Gefühlen der Kontrolle und Selbstbestimmtheit, die als Folge der<br />
empfundenen Wahlfreiheit entstehen, fördert <strong>Produktvielfalt</strong> auch die Phantasie in<br />
Form der Vorstellung, verschiedene Produkte zu besitzen. Die mit der Anzahl<br />
verfügbarer Optionen zunehmenden positiven Emotionen beschreibt Desmeules<br />
(2002) als das „pleasure of anticipation“ (S. 8).<br />
Ein weiteres Argument für den Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und der<br />
Entstehung positiver Emotionen geht aus der oben aufgeführten Einkaufsmotivation<br />
nach Tauber (1972) hervor. Demnach ist das Erlangen sensorischer <strong>St</strong>imulation eines<br />
der hedonistischen Motive, die Personen veranlassen einkaufen zu gehen. Die Höhe<br />
der <strong>St</strong>imulation nimmt offensichtlich mit der Anzahl der Produktalternativen zu. Dies<br />
bewirkt die Erfüllung des hedonistischen Motivs der <strong>St</strong>imulation und damit die<br />
Entstehung positiver Emotionen. Auch Punj und <strong>St</strong>aelin (1983) schlussfolgern nach<br />
118
dieser Logik, dass „consumers get pleasure (benefit) from trying out numerous brands<br />
within a product class or from seeking out information about them“ (S. 368f.).<br />
Verbraucher haben folglich Spaß an der <strong>St</strong>imulation durch das Ausprobieren einer<br />
Vielzahl <strong>von</strong> Produkten.<br />
Die positive Wirkung <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> auf hedonistische Aspekte des<br />
Konsumerlebnisses kann schließlich auch damit erklärt werden, dass Konsumenten<br />
durch ein großes Produktangebot mehr Möglichkeiten haben, ihre eigenen<br />
Präferenzen zu lernen. Häufig kennt ein Verbraucher seine Wünsche und<br />
Präferenzen vor einer Kaufentscheidung nicht (vgl. Dhar 1997a, S: 216 Tversky 1996,<br />
S. 17) und konkretisiert diese erst bei der Besichtigung des Vorhandenen (vgl.<br />
Schmidt 1990, S. 246). Wie Kahn (1998) gezeigt hat, haben Entscheider hieran<br />
grundsätzlich Freude und sind dadurch nach und mit dem Einkauf zufriedener (vgl.<br />
Kahn 1998, S. 51). Da mit der Anzahl der verfügbaren Produktalternativen auch die<br />
Lernmöglichkeiten der eigenen Präferenzen steigen „(…) enjoy (customers) asserting<br />
their preferences within a large assortment (…)“ (Desmeules 2002, S. 6).<br />
Fasst man die aufgeführten Argumentationsstränge zusammen, so kann man<br />
annehmen, dass Konsumenten der <strong>Produktvielfalt</strong> einen hedonistischen <strong>Wert</strong><br />
beimessen, der sich im Empfinden positiver Emotionen, wie z. B. empfundener<br />
Wahlfreiheit, Freude und Spaß manifestiert. Zurückzuführen ist dies auf die<br />
• mit der Vielfalt zunehmende Wahlfreiheit,<br />
• Gefühle der Kontrolle und Selbstbestimmtheit,<br />
• zunehmende <strong>St</strong>imulation und<br />
• (Präferenz)Lernmöglichkeiten sowie<br />
• inversen Reaktanzeffekte.<br />
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Desmeules (2002), der mit dem „potential<br />
benefit of variety on the hedonic value of shopping“ den Zusammenhang <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> und hedonistischem Einkaufserlebnis betont und insgesamt folgert,<br />
dass „(…) large assortments support a pleasant shopping experience, and thus create<br />
a stream of positive affect experiences (…)“ (Desmeules 2002, S. 8).<br />
119
Auswirkungen des positiven Affekts auf das Konsumentenverhalten<br />
Folge der positiven Emotionen während des Einkaufs ist, dass „people evaluate nearly<br />
everything more positively“ (Kahn/Wansink 2004, S. 521). Kahn und Wansink (2004)<br />
erklären dies damit, dass Konsumenten erstens in einer positiven <strong>St</strong>immung eher<br />
positive Informationen aus dem Gedächtnis abrufen und sie zweitens ihre positiven<br />
Emotionen als Information und Grundlage für die Beurteilung einzelner Produkte<br />
nutzen. Sind sie positiv gestimmt, beurteilen sie folglich einen <strong>St</strong>imulus positiver. Als<br />
drittes Argument führen die Autoren an, dass Entscheider die empfundenen Gefühle<br />
nutzen, um ihre künftigen Emotionen zu antizipieren: „(...) if increases in perceived<br />
variety increase positive feelings, people should also anticipate a higher enjoyment of<br />
the items to be consumed (…)” (Kahn/Wansink 2004, S. 521).<br />
Als kurzfristige Konsequenz steigt durch die <strong>von</strong> der <strong>Produktvielfalt</strong> verursachten<br />
positiven Emotionen die Kaufintention des Konsumenten, mittelfristig sollte durch<br />
die positive Produktbeurteilung die Zufriedenheit mit dem gekauften Produkt<br />
zunehmen. Da Konsumenten wie oben erläutert dem „act of purchasing itself“<br />
(Babin/Darden/Griffin 1994, S. 646) einen hedonistischen <strong>Wert</strong> beimessen und dieser<br />
durch die Anzahl der Alternativen gesteigert werden kann, sollte sich eine erhöhte<br />
Anzahl an Alternativen auch positiv auf die Beurteilung des Einkaufserlebnises, und<br />
damit auf die Zufriedenheit mit dem Kaufprozess auswirken.<br />
Abbildung 31 stellt die aus den Ausführungen zum Shopping Hedonismus abgeleiteten<br />
Zusammenhänge im Überblick dar.<br />
120
Determinanten<br />
Nutzendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten des NPV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der<br />
Produkte<br />
+<br />
Nutzen<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
Entstehung positiver Emotionen durch<br />
• Entscheidungsfreiheit/ "inverse Reaktanz"<br />
• Kontrolle und Selbsbestimmtheit<br />
• Sensorische <strong>St</strong>imulation<br />
• Vorstellung, Produkt zu besitzen<br />
• Spass am Informationsgewinn und Lernen<br />
der eigenen Präferenzen<br />
Durch positive Emotionen positive Bewertung<br />
<strong>von</strong> Produkt und Prozess<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kauintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
+<br />
+<br />
+<br />
Facetten des NPV<br />
Spaß am<br />
Einkauf<br />
positive<br />
Emotionen<br />
Abbildung 31: Zusammenfassende Darstellung der Zusammenhänge des Shopping Hedonismus und<br />
dem Nutzen <strong>von</strong> hoher <strong>Produktvielfalt</strong><br />
2.3.1.3 Zusammenfassung<br />
In diesem Kapitel wurden durch die theoretischen Ausführungen zur Nutzenerwartungswerttheorie<br />
und dem Shopping Hedonismus verschiedene Aspekte der positiven<br />
Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> aufgezeigt. Hierbei wurde deutlich, dass sich hohe<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> positiv auf den Ausgang der Kaufentscheidung und die Bewertung<br />
<strong>von</strong> Kaufprozess und gekauftem Produkt auswirken kann. Dieser vermutete<br />
Wirkungszusammenhang basiert sowohl auf kognitiven als auch auf affektiven<br />
Nutzenfacetten hoher <strong>Produktvielfalt</strong>. Erstere folgen vor allem aus der<br />
Nutzenerwartungswerttheorie und beziehen sich auf den mit zunehmender<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> steigenden antizipierten Produktnutzen und der dadurch zunehmenden<br />
Erfolgsaussicht. Die affektiven Aspekte basieren auf dem Shopping Hedonismus und<br />
erklären die positive Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> durch die dadurch hervor<br />
gerufenenen positiven Emotionen und den Spaß am Einkauf. Die aus den Theorien<br />
abgeleiteten Hypothesen werden zusammenfassend in Kapitel 2.3.3 (S. 176ff.)<br />
beschrieben.<br />
Nach der theoretischen Begründung der Nutzenaspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> in<br />
diesem Kapitel, wird im nächsten Abschnitt aus verschiedenen Theorien die negative<br />
Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Verhalten <strong>von</strong> Konsumenten abgeleitet.<br />
121
2.3.2 Theorien zur Erklärung der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Nachfolgend werden Theorien zur Erklärung der mit der <strong>Produktvielfalt</strong> verbundenen<br />
Kosten aus Konsumentensicht dargestellt. Dabei werden sowohl kognitive als auch<br />
affektive Aspekte berücksichtigt. Die Theorie der Cost of Thinking dient der<br />
Erklärung der kognitiven Kostenwirkung der <strong>Produktvielfalt</strong>. Die affektive<br />
Komponente wird durch die Konflikttheorie und die Theorie des antizipierten Regrets<br />
abgedeckt. Dadurch werden sowohl antizipierte als auch im Prozess entstandene und<br />
erlebte Emotionen als Basis der Erklärung der negativen Wirkung <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> auf das Konsumentenverhalten verwendet.<br />
2.3.2.1 The Cost of Thinking<br />
„To most people nothing is more troublesome than the effort of thinking”<br />
(James Bryce, The American Commonwealth 1888, zitiert nach<br />
Shugan 1980, S. 99)<br />
Shugan (1980) schlägt in seiner Theorie der „Cost of Thinking“ eine Methodik vor,<br />
wie der kognitive Aufwand der Entscheidungsfindung für verschiedene<br />
Entscheidungsstrategien quantifiziert werden kann, indem er ein „(...) measurable<br />
(i.e., well-defined and calculable) unit of thought (...)“ (Shugan 1980, S. 100)<br />
definiert. Diese Gedankeneinheit – das „unit of thought“ (Shugan 1980, S. 100) –<br />
legte er fest als den kognitiven Aufwand, den ein Entscheider beim Vergleich <strong>von</strong><br />
zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs hat (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993,<br />
S. 76).<br />
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei, dass ein Konsument, der erstmalig aus<br />
einem Sortiment mit M Alternativen wählt, insgesamt M – 1 Vergleiche <strong>von</strong> jeweils<br />
zwei Alternativen machen muss, um das aus seiner Sicht optimale Produkt zu<br />
identifizieren. Shugan legt seiner Theorie damit Entscheidungsmodelle zugrunde, die<br />
auf binären Vergleichen <strong>von</strong> Alternativen basieren, was die allgemeine Anwendbarkeit<br />
seiner Theorie aber deutlich einschränkt (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 76).<br />
Einen Entscheidungsprozess, der auf binären Vergleichen basiert, kann man sich als<br />
eine Art „Turnier“ vorstellen: <strong>Der</strong> Entscheider ermittelt zunächst aus zwei<br />
(beliebigen) Alternativen die aus seiner Sicht bessere und vergleicht diese<br />
122
anschließend mit der nächsten Alternative. Er wählt wiederum die bessere und verfährt<br />
nach diesem Prinzip so lange, bis nur noch ein Produkt übrig bleibt. Dieses ist dann<br />
das aus seiner Sicht beste.<br />
Ist der Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen mit dem kognitiven Aufwand f i verbunden, so<br />
entstehen durch die Entscheidung insgesamt kognitive Kosten (Thinking Costs) c <strong>von</strong><br />
M<br />
∑ − 1<br />
f i<br />
p=<br />
1<br />
c =<br />
(6)<br />
M<br />
f i<br />
c<br />
Anzahl der Alternativen<br />
Geistiger Aufwand beim Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen<br />
Kognitive Kosten (Thinking Costs)<br />
Kognitiver Aufwand bei der Wahl eines <strong>von</strong> zwei Produkten<br />
Shugan geht da<strong>von</strong> aus, dass die Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei Alternativen f i <strong>von</strong> der<br />
Anzahl der Attributvergleiche abhängt, die ein Konsument machen muss, um mit<br />
entsprechender Sicherheit zu wissen, das bessere der beiden Produkt zu wählen. Er<br />
postuliert, dass drei Faktoren diese Vergleichsanzahl bestimmen:<br />
Bezeichnet z r die Nutzendifferenz <strong>von</strong> zwei Produkten hinsichtlich des zufällig<br />
gewählten Attributs r, so ist die Anzahl der Vergleiche abhängig <strong>von</strong>:<br />
1. Dem Durchschnittlichen Nutzenunterschied der Alternativen: Ist das Attribut<br />
r zufällig gewählt so entspricht dies dem Erwartungswert E(z).<br />
2. Dem Konfidenzniveau α mit dem die Entscheidung getroffen wird<br />
(Wahrscheinlichkeit, keine Fehlentscheidung zu treffen)<br />
3. <strong>Der</strong> Schwankung (Variability) der Nutzenunterschiede über die Attribute r: Ist<br />
r zufällig gewählt, wird diese durch die Varianz Var(z) beschrieben (vgl.<br />
Shugan 1980, S. 101).<br />
1. Nutzenunterschiede [E(z)]: Haben zwei Alternativen aus Sicht des Konsumenten<br />
deutlich unterschiedliche Nutzenwerte, dominiert also beispielsweise eine Alternative<br />
alle anderen, so fällt dem Konsumenten die Entscheidung relativ leicht. Die Höhe des<br />
durchschnittlichen Nutzenunterschieds ist folglich umgekehrt proportional zur<br />
Entscheidungsschwierigkeit.<br />
123
2. Konfidenzniveau (α): Im Gegensatz hierzu wird die Entscheidung schwieriger,<br />
wenn der Konsument das Risiko einer Fehlentscheidung reduzieren möchte und somit<br />
das Konfidenzniveau α erhöht. Als Folge unternimmt der Konsument mehr<br />
Attributvergleiche. Wichtig ist, dass α ein exogener Einflussfaktor ist und nicht <strong>von</strong><br />
der Anzahl und Art der Alternativen bestimmt wird. Das Konfidenzniveau ist vielmehr<br />
vom Involvement des Konsumenten in der Entscheidung (Felt Involvement) und damit<br />
z. B. vom Ressourcenbedarf und der Wichtigkeit anderer Entscheidungen abhängig<br />
(vgl. Shugan 1982, S. 173). Konfidenzniveau und Entscheidungsschwierigkeit sind<br />
somit direkt proportional zueinander.<br />
3. Nutzenunterschiede [Var(z)]: <strong>St</strong>eigt die Schwankung der Nutzenunterschiede, so<br />
erhöht sich auch die Entscheidungsschwierigkeit, Var(z) und die Entscheidungskosten<br />
sind damit direkt proportional. Die Varianz Var(z) kann dabei als „(...) perceptual<br />
difficulty in comparing the two products (...)“ (Shugan 1980, S. 102) interpretiert<br />
werden. Deutlich wird dies, wenn man die Varianz in ihre Komponenten zerlegt:<br />
var(z) = var(U j ) + var(U k ) – 2 cov(U j , U k ) (7)<br />
U j,k<br />
Nutzen der Alternativen j, k<br />
Die ersten beiden Terme var(U j ) und var(U k ) können als Fehlen eines Halo-Effekts 30<br />
<strong>von</strong> Produkt j bzw. k interpretiert werden: Ist ein Produkt j hinsichtlich aller Alttribute<br />
sehr attraktiv, dann ist die Varianz des Nutzens var(U j ) relativ gering und das Produkt<br />
besitzt einen ausgeprägten Halo-Effekt. Bei der Wahl dieses Produkts muss der<br />
Konsument keine Kompromisse eingehen und negative Aspekte in Kauf nehmen, was<br />
die Entscheidung erleichtert. Besitzt Produkt j dagegen attraktive und weniger<br />
attraktive Attribute (Appetenz-Aversions-Konflikt, siehe hierzu auch die Ausführungen<br />
auf S. 136ff.), dann ist die Varianz des Produktnutzens var(U j ) hoch und ein<br />
Halo-Effekt fehlt. Da ein Konsument mit dem Kauf dieses Produkt neben den<br />
positiven Aspekten auch die negativen realisiert, fällt die Entscheidung zu Gunsten des<br />
Produkts schwer. Je ähnlicher ein Produkt in allen Attributen ist, je stärker also sein<br />
Halo-Effekt, desto einfacher ist die Entscheidung.<br />
30 Einfluss der allgemeinen Einstellung zu einem Produkt auf die Wahrnehmung einzelner<br />
Produktattribute. Halo kommt aus dem Englischen und bedeutet Heiligenschein. Für das Produkt<br />
und dessen Wahrnehmung bedeutet dieser Effekt, dass man bei Produkten, die man mag und<br />
schätzt, auch alle Eigenschaften dieses Produktes für gut hält (vgl. Herrmann 1998, S. 95).<br />
124
Die Kovarianz cov(U j , U k ) kann als wahrgenommene Ähnlichkeit der Produkte j und<br />
k interpretiert werden und ist indirekt proportional zur Entscheidungsschwierigkeit. Je<br />
unähnlicher sich die Produkte hinsichtlich ihrer Attributausprägungen sind, desto<br />
schwerer ist folglich die Entscheidung. Shugan verdeutlicht dies an einem Beispiel,<br />
das in Abbildung 32 dargestellt ist:<br />
Abbildung A<br />
Einfache Entscheidung: positive Kovarianz<br />
Abbildung A:<br />
Schwierige Entscheidung: negative Kovarianz<br />
Nutzen<br />
6<br />
(cov [U A , U B ] = 1,56) (cov [U A , U B ] = -0,78)<br />
Nutzen<br />
6<br />
5<br />
Produkt A<br />
5<br />
Produkt C<br />
4<br />
Produkt B<br />
4<br />
Produkt D<br />
3<br />
3<br />
2<br />
2<br />
1<br />
1<br />
0<br />
1 2 3<br />
Produktattribute<br />
0<br />
1 2 3<br />
Produktattribute<br />
Abbildung 32: Zusammenhang <strong>von</strong> Ähnlichkeit und Kovarianz <strong>von</strong> zwei Produkten und der<br />
Schwierigkeit der Entscheidung zwischen diesen. In Anlehnung an Shugan 1980, S. 103<br />
In Abbildung A werden zwei Produkte mit je drei Attributen miteinander verglichen.<br />
Produkt A ist Produkt B in allen Eigenschaften überlegen. Die Kovarianz ist positiv<br />
und die Thinking Cost daher ceteris paribus gering. In Abbildung B werden die<br />
Produkte C und D miteinander verglichen. Diese haben mit 10 (=3+2+5) bzw. 7<br />
(=4+2+1) Nutzeneinheiten sowohl denselben Nutzenwert als auch dieselbe<br />
Nutzendifferenz wie die Produkte A (10=2+5+3) und B (7=1+4+2) in Abbildung A.<br />
Die Kovarianz ist aber negativ, da sowohl Produkt C als auch Produkt D dem anderen<br />
in jeweils einer Eigenschaft überlegen sind. <strong>Der</strong> Konsument muss daher die<br />
Eigenschaften 1 und 3 gegeneinander abwägen und hinsichtlich dieser einen<br />
Kompromiss (Trade-off) bei der Entscheidung eingehen. Dies macht die Entscheidung<br />
schwerer 31 (vgl. Shugan 1980, S. 103). Das nächste Kapitel geht auf die affektive<br />
Wirkung <strong>von</strong> Trade-offs detailliert ein.<br />
Shugan sieht damit nicht nur die Anzahl der Altnernativen und deren Attribute,<br />
sondern auch deren <strong>St</strong>ruktur als wesentliche Bestimmungsfaktoren der<br />
31 Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zur Konflikttheorie auf S. 134ff.<br />
125
Entscheidungskosten. Beide Aspekte sollen deshalb als Einflussgrößen der Kosten<br />
<strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> in dem zu entwickelnden Gesamtmodell berücksichtigt werden.<br />
Zusammenfassend ist die Anzahl notwendiger Attributvergleiche beim Vergleich <strong>von</strong><br />
zwei Produkten und damit die Entscheidungsschwierigkeit<br />
• indirekt proportional zum durchschnittlichen Nutzenunterschied der<br />
Alternativen,<br />
• direkt proportional zum Konfidenzniveau α und<br />
• direkt proportional zur Ähnlichkeit sowohl eines Produkts hinsichtlich der<br />
Attraktivität seiner Attribute, als auch zwischen den Produkten hinsichtlich der<br />
Ausprägung ihrer Attribute.<br />
Ein Konsument vergleicht so viele Attribute <strong>von</strong> zwei Alternativen miteinander, bis er<br />
mit einer Wahrscheinlichkeit <strong>von</strong> α die aus seiner Sicht bessere wählen kann.<br />
Shugan leitet auf Basis der obigen Ausführungen eine Obergrenze f p für die<br />
minimale Anzahl an notwenigen Attributvergleichen <strong>von</strong> zwei Produkten bei einem<br />
Konfidenzniveau <strong>von</strong> α ab:<br />
f p<br />
var()<br />
z<br />
( 1−α<br />
)[ E( z)<br />
] 2<br />
= (8)<br />
f p<br />
potenzielle Kosten beim Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen<br />
Obige Gleichung besagt, dass die Wahrscheinlichkeit für eine richtige Entscheidung<br />
mindestens α ist, wenn f p Attribute der beiden Optionen miteinander verglichen<br />
werden (vgl. Shugan 1980, S. 103) (Theorem 1).<br />
Diese potenziellen Kosten f p bei der Entscheidung zwischen zwei Alternativen bilden<br />
den Grundbaustein für die Schätzung kognitiver Kosten bei der Auswahl eines<br />
Produkts aus mehreren Produkten.<br />
126
Kognitiver Aufwand bei der Wahl eines <strong>von</strong> mehreren Produkten<br />
Besteht ein Sortiment aus M Alternativen, aus denen die beste unter der Verwendung<br />
einer kompensatorischen Entscheidungsstrategie (Nutzenmaximierung!) gewählt<br />
werden soll, ist dies nach der Methodik <strong>von</strong> Shugan mit folgendem kognitiven<br />
Entscheidungsaufwand c verbunden:<br />
M 1<br />
∑ − p<br />
p = 1<br />
( M − 1) f<br />
c = f =<br />
(9)<br />
f<br />
durchschnittliche binäre Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei Alternativen<br />
Da die Verteilung <strong>von</strong> z r (Nutzendifferenz <strong>von</strong> zwei Produkten hinsichtlich Attribut r)<br />
unbekannt ist, können die durchschnittlichen Vergleichskosten f durch die<br />
potenziellen durchschnittlichen Vergleichskosten<br />
f<br />
p<br />
ersetzt werden. Sowohl f als<br />
auch f<br />
p<br />
hängen <strong>von</strong> der Reihenfolge ab, in der die Alternativen miteinander<br />
verglichen werden. Shugan geht <strong>von</strong> einer optimalen, d. h. kostenminimalen<br />
Vergleichsreihenfolge aus und definiert auf dieser Basis die Thinking Costs c p als:<br />
c<br />
p<br />
*<br />
( M − 1) f<br />
= (10)<br />
p<br />
*<br />
f<br />
p<br />
durchschnittliche Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei Alternativen bei optimaler<br />
Vergleichsreihenfolge (vgl. Shugan 1980, S. 104).<br />
Synonym zur Bezeichnung Thinking Costs verwendete Shugan auch den Begriff<br />
Confusion Index. Wie aus obiger Formel zu erkennen ist, steigen die Thinking Cost<br />
linear mit der Anzahl der verfügbaren Alternativen. Shugan trifft bei der<br />
Berechnung die Annahme, dass die durchschnittlichen Vergleichskosten <strong>von</strong> zwei<br />
Alternativen unabhängig <strong>von</strong> der Anzahl der Alternativen M sind. Empirische<br />
Untersuchungen haben aber gezeigt, dass der Vergleichsaufwand aufgrund der<br />
geringer werdenden Unterschiede der Alternativen steigt, wenn der Choice Set im<br />
Laufe der Entscheidung kleiner wird (vgl. Payne 1976; Payne/Bettman/Johnson 1993,<br />
S. 76).<br />
Die <strong>von</strong> Shugan vorgeschlagene Methodik zur Messung des kognitiven Aufwands bei<br />
einer Entscheidung hat, wie schon erwähnt, einen Schwachpunkt: Die Messeinheit, das<br />
127
Unit of Thought, ist definiert als der kognitive Aufwand beim Vergleich <strong>von</strong> zwei<br />
Alternativen hinsichtlich eines Attributs. Dadurch kann diese Methodik zur Messung<br />
des kognitiven Auswahlaufwands nur auf Entscheidungsregeln angewendet werden,<br />
die auf dem binären Vergleich <strong>von</strong> Alternativen basieren (vgl. Payne/Bettman/Johnson<br />
1993, S. 76). Aus diesem Grund wurden alternative Methoden entwickelt, die eine<br />
Entscheidung in mehrere verschiedene Komponenten zerlegen, die so genannten<br />
Elementary Information Processes (EIPs).<br />
Methodik der Elementary Information Processes (EIPs)<br />
Basierend auf den Arbeiten <strong>von</strong> Newell und Simon (1972) haben Huber (1980) und<br />
Johnson (1979) eine Methodik zur Messung des kognitiven Aufwands bei der<br />
Anwendung verschiedener Entscheidungsstrategien vorgeschlagen. Hauptunterschied<br />
dieser Methodik zu der <strong>von</strong> Shugan (1980) ist, dass Entscheidungsprozesse nicht wie<br />
bei den Thinking Costs nach Shugan durch eine Komponente, sondern durch die<br />
Abfolge mehrerer verschiedener Komponenten beschrieben werden. Diese werden<br />
als Elementary Information Processes (EIPs) bezeichnet. Ein EIP beschreibt mentale<br />
Prozesse wie z. B. das Lesen des <strong>Wert</strong>s einer Alternative in das Kurzzeitgedächtnis<br />
(READ), den Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs<br />
(COMPARE) oder den Ausschluss einer Alternative <strong>von</strong> der weiteren Betrachtung<br />
(ELIMINATE). Die „Bausteine“ wie auch die gesamte Methodik erinnert dabei an die<br />
aus der Informatik bekannte Beschreibung <strong>von</strong> Algorithmen oder Informationsverarbeitungsprozessen.<br />
Tabelle 4 beschreibt die am häufigsten verwendeten EIPs.<br />
128
EIP (Elementary<br />
Information Process)<br />
READ<br />
COMPARE<br />
DIFFERENCE<br />
ADD<br />
PRODUCT<br />
ELIMINATE<br />
MOVE<br />
CHOOSE<br />
Beschreibung des Prozessschrittes<br />
Lese den <strong>Wert</strong> eines Attributs einer Alternative ins Kurzzeitgedächtnis ein.<br />
Vergleiche zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs<br />
Berechne die Höhe des Unterschieds zweier Alternativen hinsichtlich eines Attributs<br />
Addiere die <strong>Wert</strong>e eines Attributs im Kurzzeitgedächtnis<br />
Gewichte einen <strong>Wert</strong> mit einem anderen (Multiplikation)<br />
Schließe eine Alternative oder ein Attribut <strong>von</strong> der weiteren Betrachtung aus<br />
Gehe zum nächsten Element der „Umwelt“ (external environment)<br />
Gib die gewählte Alternative bekannt und beende den Prozess<br />
Tabelle 4: Übersicht verschiedener Elementary Information Processes (EIPs), die zur<br />
Beschreibung des Ablaufs einer Kaufentscheidung dienen. Quelle: Bettman/Johnson/Payne 1990,<br />
S. 114 (Übersetzung durch Verfasser)<br />
<strong>Der</strong> kognitive Gesamtaufwand einer Entscheidung ergibt sich aus der Summe an EIPs,<br />
wobei diese entweder gleich (Equal-weighted EIP Model) oder je nach Prozessschritt<br />
individuell (Weighted EIP Model) gewichtet werden können. Da Konsumenten<br />
einzelne Schritte im Entscheidungsprozess als schwerer empfinden als andere, hat sich<br />
das Weighted EIP Model als überlegen erwiesen (vgl. Bettman/Johnson/Payne 1990,<br />
S. 134). Payne, Bettman und Johnson (1990, 1993) haben mit Hilfe der EIP-Methodik<br />
den kognitiven Aufwand einer Produktwahl untersucht und dabei festgestellt, dass<br />
dieser im Wesentlichen <strong>von</strong> drei Faktoren bestimmt wird (vgl. Payne/Bettman/Johnson<br />
1993, S. 79):<br />
1. Größe des Entscheidungsproblems (Anzahl der Alternativen und Attribute)<br />
2. Art der verwendeten Entscheidungsstrategie<br />
3. Spezifische <strong>Wert</strong>e der einzelnen Alternativen<br />
Abbildung 33 zeigt die Forschungsergebnisse im Hinblick auf die ersten beiden<br />
Faktoren.<br />
129
A: Gemessener Zeitaufwand<br />
B: Empfundener Aufwand<br />
C: Berechneter kognitiver Aufwand<br />
Sek. 180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7<br />
Anzahl Alternativen<br />
Skala<br />
(0-10)<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7<br />
Anzahl Alternativen<br />
EIPs 300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9<br />
Anzahl Alternativen<br />
Verwendete <strong>St</strong>rategie<br />
WADD<br />
EBA LEX<br />
Abbildung 33: Zusammenhang <strong>von</strong> Alternativenzahl und kognitivem Entscheidungsaufwand bei<br />
verschiedenen Entscheidungsstrategien. Daten 32 aus Bettman/Johnson/Payne (1990, 1993)<br />
Die Abbildung verdeutlicht, dass der kognitive Aufwand mit zunehmender<br />
Alternativenzahl tendenziell steigt. Die Autoren haben hierbei Konsumenten vor<br />
verschieden große Entscheidungsprobleme gestellt und zur Messung des kognitiven<br />
Aufwands, deren Zeitbedarf für die Entscheidung und die dabei empfundene<br />
Anstrengung (Effort) 33 erfasst.<br />
In der Grafik ist außerdem zu erkennen, wie durch die Anwendung vereinfachender<br />
<strong>St</strong>rategien (EBA und LEX) der Aufwand im Vergleich zum normativen Fall (WADD)<br />
erheblich reduziert werden kann. Damit geht jedoch eine Verschlechterung der<br />
Entscheidungsqualität und deshalb eine Zunahme des Fehlerrisikos einher. Die drei<br />
Autoren haben diese Beziehung in ihrem Effort-Accuracy Framework zusammengefasst.<br />
Dieses besagt, dass ein Entscheider diejenige <strong>St</strong>rategie wählt, die aus seiner<br />
Sicht das für die Entscheidung beste Kosten-Nutzen-Verhältnis (Effort-Accuracy) hat,<br />
also den besten Kompromiss aus Entscheidungsaufwand und Entscheidungsqualität<br />
darstellt (vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 94ff.) (siehe hierzu auch die<br />
Ausführungen auf S. 20 ff.)<br />
Aus dem Vergleich <strong>von</strong> Grafik A und B mit Grafik C ist zu erkennen, dass sich der<br />
kognitive Aufwand einer Entscheidung gemessen in Entscheidungszeit und<br />
empfundener Anstrengung durch ein EIP-Modell gut annähern lässt. Bettman und<br />
seine Kollegen konnten zeigen, dass insbesondere das Weighted EIP Model, das<br />
unterschiedliche Gewichtungen der Prozesskomponenten (EIPs) vorsieht, einen guten<br />
32 Die beiden linken Grafiken zeigen die Ergebnisse für den Fall, dass die Alternativen jeweils drei<br />
Attribute hatten (vgl. Bettman/Payne/Johnson 1990, S. 128f.).<br />
130
Fit sowohl für die Entscheidungszeit (R 2 = 0,75) als auch den berichteten<br />
Entscheidungsaufwand (R 2 = 0,59) hat (vgl. Bettman/Johnson/Payne 1990, S. 130).<br />
Die Autoren ziehen daraus den Schluss „(…) that a small number of simple operations<br />
can be viewed as the fundamental components from which decision rules are<br />
constructed. However, the results do suggest significant individual differences in the<br />
effort associated with individual EIPs“ (Bettman/Payne/Johnson 1990, S. 135).<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Methodik der Zerlegung eines<br />
Produktwahlprozesses in eine Abfolge verschiedener Prozesskomponenten (EIPs)<br />
weitere theoretische Argumente dafür geliefert hat, dass die kognitive Belastung<br />
einer Entscheidung mit der Höhe der <strong>Produktvielfalt</strong> steigt. Die <strong>St</strong>udien <strong>von</strong><br />
Payne, Bettman und Johnson haben hierfür empirische Belege erbracht und<br />
gleichzeitig aufgezeigt, dass Konsumenten durch die Anwendung vereinfachender<br />
Heuristiken die kognitive Belastung reduzieren können, wenn sie bereit sind, hierfür<br />
eine suboptimale Entscheidung zu riskieren.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerung<br />
Shugan (1980) hat in seiner Theorie der Cost of Thinking eine Methodik<br />
vorgeschlagen, wie der kognitive Aufwand einer Alternativenauswahl z. B. bei einer<br />
Kaufentscheidung, für Entscheidungsstrategien, die auf binären Attributvergleichen<br />
basieren, geschätzt werden kann 34 . Als Messeinheit hat er hierfür den kognitiven<br />
Aufwand beim Vergleich <strong>von</strong> zwei Alternativen hinsichtlich eines Attributs definiert<br />
(vgl. Shugan 1980, S. 100ff.). Die Methodik der EIPs basiert auf der gleichen<br />
Grundüberlegung, geht aber <strong>von</strong> mehreren Prozesskomponenten aus, die sich<br />
hinsichtlich Inhalt und kognitiver Belastung unterscheiden (vgl. z. B. Bettman/<br />
Payne/Johnson 1990, S. 114ff.).<br />
Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass sowohl die Theorie der Cost of<br />
Thinking (Shugan 1980), als auch die Methodik der EIPs (Huber 1980; Johnson<br />
1979; Bettman/Johnson/Payne 1990; Payne/Bettman/Johnson 1993) theoriebasierte<br />
Argumente für die Entstehung kognitiver Kosten durch (hohe) <strong>Produktvielfalt</strong><br />
liefern.<br />
33 Skala <strong>von</strong> 0 (gering) bis 10 (hoch)<br />
34 Im obigen Abschnitt wurden nur die Ergebnisse bei der Anwendung einer kompensatorischen<br />
<strong>St</strong>rategie gezeigt. Für die Aufwandsschätzungen verschiedener anderer <strong>St</strong>rategien sei der<br />
interessierte Leser auf Shugan 1980, S. 105ff. verwiesen.<br />
131
Im Hinblick auf die kognitiven Aspekte der Kostendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> lassen sich aus der Theorie der Cost of Thinking und der Methodik der<br />
EIPs zusammenfassend folgende Punkte ableiten:<br />
1. <strong>Der</strong> kognitive Aufwand der Entscheidung nimmt mit der Anzahl der zur Wahl<br />
stehenden Alternativen zu.<br />
2. Durch die Anwendung vereinfachender Entscheidungsstrategien<br />
(Heuristiken) kann der Konsument die kognitiven Kosten der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
reduzieren, geht hierfür aber das Risiko einer suboptimalen Entscheidung ein.<br />
Dies kann zur Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem oder empfundenen Regret<br />
führen und die Entscheidung dadurch emotional schwieriger machen. (siehe<br />
hierzu auch Kapitel 2.3.2.3, S. 158ff.). Durch die empfundene Suboptimalität<br />
der Entscheidung kann außerdem die Zufriedenheit mit dem<br />
Entscheidungsprozess und dem Produkt negativ beeinflusst werden.<br />
3. <strong>Der</strong> kognitive Entscheidungsaufwand ist vom Attraktivitätsunterschied der<br />
Alternativen abhängig: Ist beispielsweise der Gesamtnutzen <strong>von</strong> zwei<br />
Alternativen in etwa gleich hoch, dann stellen beide relevante Optionen zur<br />
Bedürfnisbefriedigung dar und die Entscheidung fällt dem Konsumenten relativ<br />
schwer.<br />
4. Die <strong>St</strong>ruktur der Alternativen beeinflusst die Entscheidungskosten: Shugan<br />
(1980) hat gezeigt, dass bei der Verwendung einer kompensatorischen<br />
Entscheidungsstrategie der kognitive Aufwand <strong>von</strong> der Kovarianz des Nutzens<br />
der Alternativen und damit <strong>von</strong> der Anzahl und Größe der Trade-offs<br />
zwischen diesen abhängt.<br />
5. Die kognitiven Ressourcen, die der Konsument in die Entscheidung investiert,<br />
richten sich nach seinem Involvement und seiner Risikobereitschaft: Je höher<br />
das Involvement, desto geringer ist die Bereitschaft, das Risiko einer<br />
Fehlentscheidung einzugehen. Hohes Involvement ist deshalb mit größeren<br />
Ressourceneinsatz bei der Entscheidungsfindung verbunden.<br />
132
6. Die Entscheidungskosten sind abhängig <strong>von</strong> der Reihenfolge der<br />
Produktvergleiche und damit <strong>von</strong> der Erfahrung bzw. dem spezifischen<br />
Wissen und den Fähigkeiten des Konsumenten: Dies ist darauf<br />
zurückzuführen, dass ein erfahrener Entscheider den „kostenminimalen<br />
Entscheidungspfad“ zur Elimination suboptimaler Produkte kennt oder diesen<br />
erschließen kann. Dadurch hat er im Vergleich zum unerfahrenen<br />
Konsumenten, der die Reihenfolge eher zufallsbasiert wählt, im Durchschnitt<br />
geringere Entscheidungskosten.<br />
Die beiden Theorien geben insgesamt theoriebasierte Hinweise dafür,<br />
• daß der kognitive Entscheidungsaufwand ein wichtiger Kostenaspekt hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> ist,<br />
• welche Eigenschaften des Sortiments die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
beeinflussen und deshalb als Bestimmungsgrößen im Modell zu<br />
berücksichtigen sind (z. B. geringe Nutzenunterschiede der Produkte, hohe<br />
Anzahl an Alternativen, schwierige Trade-offs zwischen Alternativen, schlechte<br />
Identifizierbarkeit der besten Alternative),<br />
• welche verhaltensrelevanten Konsequenzen die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
haben (z. B. Kaufaufschub, Kaufverzicht, Anwendung <strong>von</strong> Heuristiken) und<br />
• welche personenspezifischen Eigenschaften die Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
beeinflussen können und als Moderatoren ins Wirkungsmodell einbezogen<br />
werden können (z. B. Expertise, Involvement).<br />
In Abbildung 34 sind die wichtigsten Determinanten, Argumentationsstränge und<br />
Konsequenzen, sowie die aus den Theorien abgeleiteten Kostenfacetten<br />
zusammenfassend dargestellt.<br />
133
Determinanten<br />
Kostendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten der KPV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der Produkte<br />
Klare Produktunterschiede<br />
Kompromissnotwendigkeit<br />
(wechselseitige Vor- und<br />
Nachteile der Produkte)<br />
+<br />
_<br />
+<br />
Kosten<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
• <strong>Der</strong> kognitive Aufwand der Entscheidung<br />
steigt mit der Anzahl der Produkte<br />
• Wechselseitige Vor- und Nachteile <strong>von</strong><br />
Produkten verlangen vom Konsumenten<br />
Kompromisse und die Anwendung<br />
kompensatorischer<br />
Entscheidungsstrategien. Dadurch steigt<br />
der Aufwand bei der Entscheidung oder<br />
das Fehlentscheidungsrisiko.<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
_<br />
_<br />
_<br />
Facetten der KPV<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Antizipiertes<br />
Regret<br />
Abbildung 34: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der Theorie der Cost of Thinking<br />
und der EIP-Methodik mit den Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Neben dem kognitivem Aufwand einer Entscheidung spielen auch die emotionalen<br />
Prozesse und Reaktionen während dieser eine wichtige Rolle für das<br />
Konsumentenverhalten: „In an emotion-laden decision, it is not just this cognitive<br />
effort that will be considered but also the emotional toll of the decision“<br />
(Luce/Payne/Bettman 2001, S. 21).<br />
Die nächsten beiden Kapitel stellen mit der Konflikt- und der Regret-Theorie<br />
Grundlagen emotionaler Reaktionen und Prozesse dar, die gemeinsam die Grundlage<br />
für die emotionalen Kostenaspekte hoher <strong>Produktvielfalt</strong> bilden.<br />
2.3.2.2 Konflikt-Theorie<br />
„The experience of conflict is the price one pays for the freedom to choose“<br />
(Tversky/Shafir 1992, S. 358)<br />
Ein intrapersoneller Konflikt entsteht aus der „(...) simultaneous presence of at least<br />
two mutually incompatible response tendencies“ (Festinger 1964, S. 3). Bei der hier<br />
zugrunde liegenden Art <strong>von</strong> Kaufentscheidungen (Quantal Quoice Problem, siehe<br />
S. 39) muss ein Konsument aus mehreren sich gegenseitig ausschließenden<br />
134
Alternativen eine auswählen, wobei diese typischerweise jeweils verschiedene<br />
Entscheidungskriterien besser erfüllen (vgl. Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464f.). Luce,<br />
Payne und Bettman (2000) definieren den daraus resultierenden<br />
Entscheidungskonflikt (Decision Conflict) in einer Kaufsituation als „competing<br />
response tendencies arising when one of a set of multiple alternatives must be chosen“<br />
(S. 275). Sie bezeichnen diesen als den „most basic aspect of decision making, for an<br />
active decision is necessary only when there is some conflict between alternatives“<br />
(S. 275).<br />
Motivationale und kognitive Konflikte<br />
Kroeber-Riel und Weinberg (1996) unterscheiden motivationale und kognitive<br />
Konflikte. Motivationale Konflikte gehen auf Antriebskräfte zu widersprüchlichen<br />
Handlungstendenzen zurück. Kognitive Konflikte sind im Gegensatz hierzu eher dem<br />
assoziativen Bereich zuzuordnen und führen zur Umorganisation <strong>von</strong> kognitiven<br />
Elementen. Die Wahl einer <strong>von</strong> zwei Produktalternativen, die der Konsument<br />
gleichermaßen attraktiv findet, ist ein Beispiel für einen motivationalen Konflikt.<br />
Das empfinden kognitiver Dissonanz nach einer Kaufentscheidung ist ein Beispiel<br />
eines kognitiven Konflikts (vgl. Krober-Riel/Weinberg 1996, S. 160). Kognitive<br />
Konflikte sind der Entscheidung nachgelagert und sind folglich eher als eine<br />
Konsequenz denn eine Facette der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> zu verstehen. Da die<br />
kognitive Dissonanz gewissermaßen das Bindeglied zwischen Kaufprozess und<br />
Produktbewertung darstellt (vgl. Oliver 1996, S. 242ff.), wird sie als<br />
Konsequenzkonstrukt der Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> im Wirkungsmodell<br />
berücksichtigt (siehe S. 178). Die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel beziehen<br />
sich auf die für die Phase der Kaufentscheidung relevanten motivationalen Konflikte.<br />
Motivation bezeichnet einen Prozess, der Menschen dazu veranlasst, auf bestimmte<br />
Art und Weise zu handeln (vgl. Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 120).<br />
Demzufolge können durch die Entscheidungssituation ausgelöste motivationale<br />
Konflikte zu bestimmten Verhaltensweisen des Konsumenten führen. Hierbei werden<br />
zwei grundsätzliche Verhaltenstendenzen unterschieden: Appetenz und Aversion<br />
(vgl. Miller 1944, 1959; Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 120;<br />
Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276ff.).<br />
Als Appetenzverhalten – oder kurz Appetenz (approach) – wird die Annäherung<br />
eines Individuums an ein ihn subjektiv anziehendes Verhaltensziel bezeichnet.<br />
135
Entsprechend versteht man unter Aversion Verhaltenstendenzen, die zur Vermeidung<br />
eines Ziels führen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S 160). Appetenz und Aversion<br />
bezeichnen somit gegenteilige Verhaltenstendenzen eines Konsumenten. Ein Beispiel<br />
für Appetenz ist das Bestreben eines Philatelisten, in den Besitz einer seltenen<br />
Briefmarke zu kommen. Dagegen kann der hohe Preis des Produkts<br />
Aversionsverhalten bewirken und zur Vermeidung der Anschaffung führen.<br />
Resultierend aus der Unterscheidung <strong>von</strong> positiven und negativen<br />
Verhaltenstendenzen, ergeben sich drei Arten <strong>von</strong> Konflikten (vgl. Miller 1944,<br />
1959; Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 120; Luce/Payne/Bettman 2000,<br />
S. 276ff.):<br />
1. Appetenz-Appetenz-Konflikt<br />
2. Aversions-Aversions-Konflikt<br />
3. Appetenz-Aversions-Konflikt.<br />
Konfliktarten<br />
Appetenz-Appetenz-Konflikte (Approch-Approach Conflicts) entstehen wenn ein<br />
Konsument in einer Kaufsituation zwei Alternativen gleichermaßen attraktiv findet<br />
und beide aus seiner Sicht nur positive Eigenschaften besitzen. Ein Beispiel hierfür ist<br />
eine Situation, in der ein Konsument die Wahl zwischen zwei CDs hat, die er beide<br />
gleichermaßen gut findet, er aber nur eine kaufen kann.<br />
Ein Konsument empfindet einen Aversions-Aversions-Konflikt, wenn er <strong>von</strong> zwei<br />
Produkten das „kleinere Übel“ wählen muss, und beispielsweise die Wahl zwischen<br />
der Reparatur einer kaputten Waschmaschine und dem Kauf einer neuen hat.<br />
Appetenz-Aversions-Konflikte entstehen, wenn eine Produktalternative sowohl<br />
erwünschte als auch unerwünschte Eigenschaften hat. <strong>Der</strong> Entscheider wird also<br />
gleichzeitig <strong>von</strong> den positiven Eigenschaften eines Produkts angezogen (Appetenz)<br />
und dessen negativen, wie z. B. dem hohen Preis abgestoßen (Aversion) (vgl.<br />
Chatterjee/Heath 1996, S. 145).<br />
Ein bekanntes Beispiel eines Lösungsversuchs dieses Konflikts ist der Claim „Weil Sie<br />
es sich wert sind“ <strong>von</strong> L’Oréal. Das Unternehmen versucht, durch diese<br />
Kommunikationsmaßnahme der Aversion (Kaufverzicht, Kauf einer anderen billigeren<br />
Marke), die durch den vergleichsweise hohen Preis ausgelöst wird, entgegenzutreten<br />
und stärkt die Appetenz mit dem Argument „sich etwas Gutes zu tun“. Durch die<br />
136
Verstärkung der positiven Verhaltenstendenzen sollen diese die negativen übersteigen<br />
und zum Kauf führen. (vgl. Solomon/Bamossy/Askegaard 2001, S. 125).<br />
Konflikte können somit sowohl innerhalb einer Wahlalternative<br />
(Within-Alternative) in Form eines Appetenz-Aversions-Konflikts (z. B. Qualität vs.<br />
Preis) als auch zwischen Produktalternativen (Between-Alternatives) in Form <strong>von</strong><br />
Aversions-Aversions- oder Appetenz-Appetenz-Konflikten entstehen (vgl.<br />
Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464).<br />
In einer Kaufsituation muss sich der Käufer normalerweise zwischen mehreren<br />
Alternativen mit verschiedenen Vor- und Nachteilen entscheiden, wobei auch jede<br />
Alternative für sich positive und negative Eigenschaften haben kann (vgl.<br />
Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464f.). Mit der Entscheidung für eine bestimmte Alternative<br />
sind für den Konsumenten also sowohl direkte negative Folgen durch deren negative<br />
Eigenschaften, als auch Opportunitätskosten durch den Verzicht auf die positiven<br />
Eigenschaften der nicht gewählten Alternativen verbunden. Bei der Kaufentscheidung<br />
muss der Konsument folglich die positiven Eigenschaften einer Alternative gegen die<br />
direkten und indirekten negativen Folgen einer Entscheidung selbiger abwägen. <strong>Der</strong><br />
dadurch notwendige Kompromiss kann zur Entstehung eines Entscheidungskonflikts<br />
führen (vgl. Scholten 2002, S. 686). Dieser für eine Kaufsituation typische Konflikt<br />
wird als mehrfacher Appetenz-Aversions-Konflikt bezeichnet, da sowohl zwischen<br />
den Alternativen (Between-Alternative Conflict) als auch innerhalb einer Alternative<br />
(Within-Alternative Conflict) ein Konflikt besteht (vgl. Trommsdorff 1998, S. 122).<br />
Hinsichtlich Entstehung und Lösung der drei grundlegenden Konfliktarten hat Miller<br />
(1964) u. a. folgende Hypothesen formuliert (vgl. Miller 1964, S. 99f., zitiert nach<br />
Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 161):<br />
1. Die <strong>St</strong>ärke der Verhaltenstendenz (positiv und negativ) nimmt mit der Zielnähe<br />
zu.<br />
2. Die <strong>St</strong>ärke des Aversionsverhaltens ist mit zunehmender Nähe zum Ziel stärker<br />
als die Appetenzreaktion (Verlustaversion).<br />
3. Von zwei einander entgegenstehender Verhaltenstendenzen setzt sich in einem<br />
Konflikt die stärkere durch.<br />
Auf der Basis dieser Hypothesen lassen sich Konfliktarten sowie deren Entstehung<br />
und Lösung mit Hilfe sog. Zielgradienten grafisch veranschaulichen. Diese<br />
beschreiben die Beziehung zwischen Zieldistanz und <strong>St</strong>ärke der Verhaltenstendenz<br />
137
(siehe Abbildung 35). Die Pfeilrichtung des Zielgradienten verdeutlicht die Richtung<br />
der Verhaltenstendenz.<br />
A: Appetenz-Appetenz-Konflikt B: Appetenz-Aversions- Konflikt<br />
Verhaltenstendenz<br />
V +<br />
1<br />
V 2<br />
+ V +<br />
V - G 1<br />
-<br />
3<br />
G 1<br />
+ G 2<br />
+<br />
G 1<br />
+<br />
V - > V + 2<br />
3<br />
V 1 + > V 2<br />
+<br />
2<br />
6<br />
1<br />
1 4<br />
5<br />
V + > V -<br />
Z 1 K '<br />
1 K<br />
Z 1<br />
Z K 1<br />
' K K 2<br />
'<br />
V + 1,2 : <strong>St</strong>ärke der positiven Verhaltenstendenz G + 1,2 : Zielgradient der positiven Verhaltenstendenz<br />
V 1,2- : <strong>St</strong>ärke der negativen Verhaltenstendenz G 1,2- : Zielgradient der negativen Verhaltenstendenz<br />
Z 1,2 : Ziele Richtung des gewünschten Verhaltens (Verhaltenstendenz)<br />
Abbildung 35: Veranschaulichung der Entstehung und Lösung eines Appetenz-Appetenz Konflikts und<br />
eines Appetenz-Aversions Konflikts. In Anlehnung an Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 163<br />
Entstehung <strong>von</strong> Konflikten<br />
Teil A <strong>von</strong> Abbildung 35 zeigt einen Appetenz-Appetenz-Konflikt. Die Zielgradienten<br />
G + 1 und G + 2 geben jeweils die positive Verhaltenstendenz zu den Zielen Z 1 bzw. Z 2 an.<br />
An der Schnittstelle der beiden Zielgradienten sind die Verhaltenstendenzen in beide<br />
Zielrichtungen gleich groß und es entsteht ein motivationaler Konflikt K.<br />
<strong>Der</strong> im Teil B dargestellte Appetenz-Aversions-Konflikt beruht darauf, dass im Punkt<br />
K die positive Verhaltenstendenz zum Ziel Z gleich groß ist, wie die Aversion<br />
gegenüber diesem. Zum besseren Verständnis der Grafik sei nochmals betont, dass der<br />
Zielgradient G − eine negative Verhaltenstendenz darstellt, der Entscheider möchte sich<br />
also vom Ziel Z z. B. aufgrund des hohen Preises entfernen.<br />
138
Lösung <strong>von</strong> Konflikten<br />
Appetenz-Appetenz-Konflikte sind im Vergleich zu Appetenz-Aversions Konflikten<br />
leicht zu lösen, da der Konsument bei einer Entscheidung für eine Alternative keine<br />
unerwünschten Eigenschaften in Kauf nehmen muss. Sowohl Appetenz-Aversions<br />
Konflikte, als auch Aversions-Aversions-Konflikte sind für den Konsumenten<br />
potenziell mit negativen Konsequenzen und deshalb mit größeren Schwierigkeiten<br />
verbunden und schwerer zu lösen (vgl. Miller 1959; Chatterjee/Heath 1996, S. 145;<br />
Anderson 2003, S. 159; Luce/Jia/Fischer 2003, S. 464f.). Insgesamt wird eine<br />
Entscheidung schwerer, wenn den Wahlmöglichkeiten Elemente hinzugefügt werden,<br />
die der Konsument als nicht wünschenswert erachtet und deshalb vermeiden möchte<br />
(vgl. Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276).<br />
Anhand <strong>von</strong> Abbildung 35 kann die Schwierigkeit der Lösung verschiedner<br />
Konfliktarten veranschaulicht werden. Betrachtet man zunächst den Appetenz-Appetenz-Konflikt<br />
im linken Teil: Bewegt sich ein Entscheider ein kleines <strong>St</strong>ück<br />
in Richtung Z 1 ( 1 ), so überwiegt die Verhaltenstendenz V +<br />
1 gegenüber der<br />
Verhaltenstendenz V + 2 ( 2 ) und setzt sich gemäß der Hypothese <strong>von</strong> Miller (1964,<br />
S. 99f.) gegen diese durch. <strong>Der</strong> Konsument löst den Konflikt und realisiert das Ziel Z 1<br />
( 3 ). Im vorherigen Beispiel des Kaufs einer <strong>von</strong> zwei gleich attraktiven CDs reicht die<br />
Empfehlung z. B. eines Freundes aus, um den Entscheidungskonflikt zu lösen, indem<br />
der Konsument die empfohlene CD kauft (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 165).<br />
Im Gegensatz hierzu fällt die Lösung eines Appetenz-Aversions-Konflikts relativ<br />
schwer: Bewegt sich der Entscheider auf das Ziel Z zu ( 1 ), überwiegt die negative<br />
Verhaltenstendenz V − der positiven V + ( 2 ), was dazu führt, dass der Entscheider sich<br />
wieder vom Ziel Z entfernt ( 3 ). Bewegt er sich dabei über den Konfliktpunkt K<br />
hinaus weg vom Ziel ( 4 ), dann ist die Appetenz größer als die Aversion ( 5 ) und er<br />
nähert sich dem Ziel wieder an ( 6 ). <strong>Der</strong> Konflikt ist somit stabil und daher relativ<br />
schwer zu lösen. Beispiel hierfür ist der Kauf eines teuren, prestigeträchtigen<br />
Produkts. Bewegt sich der Konsument in Richtung der Entscheidung für den Kauf des<br />
Produkts, so wird ihm der hohe Preis besonders bewusst, was dazu führen kann, dass<br />
er sich den Kauf nochmals überlegt und sich somit wieder vom Ziel entfernt. Entfernt<br />
er sich weit vom Ziel, überwiegt die Anziehungskraft des Produkts, was beispielsweise<br />
ein gesteigertes Interesse an Informationen über das Produkt bewirkt. <strong>Der</strong> Konsument<br />
bewegt sich in diesem Fall wieder in Richtung Produktkauf (vgl. Kroeber-Riel/<br />
Weinberg 1996, S. 164).<br />
139
Die Pioniere der Konfliktforschung Lewin (1933) und Miller (1944) unterscheiden<br />
entsprechend der Schwierigkeit der Konfliktlösung „stable and unstable<br />
equilibriums“ (Houston/Sherman/Baker 1990, S. 413). Da Aversions-Aversions- und<br />
Aversions-Appetenz-Konflikte schwer zu lösen und daher stabil sind, fallen sie in die<br />
erste Kategorie. Die leicht lösbaren Appetenz-Appetenz-Konflikte gehören<br />
entsprechend zur Gruppe der Unstabilen Gleichgewichte (vgl. Houston/Sherman/<br />
Baker 1990, S. 413).<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Kaufentscheidung mit mehreren<br />
attraktiven Alternativen zur Entstehung <strong>von</strong> (mehrfachen) Appetenz-Aversions-<br />
Konflikten führen kann (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358). Abhängig <strong>von</strong> deren<br />
Lösung führt die Entscheidung zu verschiedenen Ergebnissen. Größe und Art <strong>von</strong><br />
Konflikten haben somit Einfluss auf das Entscheidungsverhalten eines Konsumenten.<br />
Für die weitere Betrachtung gilt es nun, Ursachen und Wirkungen <strong>von</strong> Konflikten<br />
näher zu beleuchten und den Einfluss der <strong>Produktvielfalt</strong> darzustellen.<br />
Erscheinungsmerkmale und Folgen <strong>von</strong> Konflikten<br />
Kroeber-Riel und Weinberg (1996) beschreiben Konflikte als „motivationale<br />
Spannungen (...)“, die im Allgemeinen dazu führen, „(...) dass der Konsument in der<br />
Entscheidungssituation verunsichert wird und die Entscheidung unterbricht“ (S. 166).<br />
Die Verunsicherung bezieht sich hierbei darauf, welche Alternative er wählen soll,<br />
weshalb in der Literatur die Begriffe Konflikt und Präferenzunsicherheit (Preference<br />
Uncertainty) teilweise synonym verwendet werden (vgl. Scholten 2002, S. 685).<br />
Diese Art der Unschlüssigkeit (Vacillation) hat Miller (1944, 1959) bereits in frühen<br />
Phasen der Konfliktforschung anhand <strong>von</strong> Tierexperimenten untersucht:<br />
Unschlüssigkeit ist ein Zustand, in dem „organisms (...) either (would) falter in their<br />
intentional movements and halt, or would move towards one goal, slow their<br />
approach, and retreat, only to cease retreat and begin approaching again“ (Anderson<br />
2003, S. 159). Die Erkenntnisse <strong>von</strong> Miller lassen sich gut auf menschliches<br />
Entscheidungsverhalten in Konsumsituationen übertragen (vgl. Anderson 2003,<br />
S. 159; Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276): Demnach befindet sich ein Konsument<br />
während einer Kaufentscheidung in einem Zustand, in dem er zwischen mehreren<br />
attraktiven Alternativen hin und her gerissen wird und deshalb unschlüssig ist, für<br />
welche er sich entscheiden soll. Er bewegt sich ähnlich den Tieren in Millers (1944,<br />
1959) Experimenten auf einzelne Alternativen zu, indem er z. B. mehr Informationen<br />
140
zu ihnen sammelt und verarbeitet, entfernt sich aber wieder <strong>von</strong> ihnen und stellt<br />
beispielsweise die Notwendigkeit des Kaufs in Frage. Individuen empfinden diesen,<br />
durch den Entscheidungskonflikt ausgelösten Zustand der Unschlüssigkeit als<br />
emotional unangenehm und schwierig und möchten ihn deshalb vermeiden oder lösen<br />
(vgl. Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 30). Dieser Antriebscharakter motivationaler<br />
Konflikte ist für diese Untersuchung zentral, da er eine Verbindung zwischen den<br />
Eigenschaften des Sortiments und Handlungen des Konsumenten herstellt.<br />
<strong>Der</strong> Entscheidungskonflikt äußert sich neben dem<br />
• Gefühl der Unentschlossenheit auch in einer<br />
• größeren Anzahl an Gedanken des Entscheiders hinsichtlich der Alternativen<br />
(Dhar 1997; Simonson 1989),<br />
• in längerer Entscheidungszeit (Festinger 1964; Fischer et al. 2000), in einer<br />
• größeren empfundenen Schwierigkeit der Entscheidungsfindung<br />
(Chatterjee/Heath 1996, S. 149ff.; Bettman/Johnson/Luce/Payne 1993;<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358), in<br />
• geringerem Vertrauen in die Entscheidung (vgl. Tversky 1972; Fischer et al.<br />
2000; Luce/Jia/Fischer 2003, S. 469f.; Zakay 1985, S. 79) und in<br />
• stärkeren (negativen) Emotionen während der Entscheidung<br />
(Luce/Bettman/Payne 1997, 2000).<br />
Obwohl in der Literatur keine formale und allgemein anerkannte Definition <strong>von</strong><br />
Entscheidungskonflikten existiert (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 358; Dhar 1997a,<br />
S. 217), lässt sich dieser zusammenfassend als ein <strong>von</strong> einem Entscheider als negativ<br />
empfundener motivationaler Zustand charakterisieren, der entsteht, wenn ein<br />
Konsument nicht weiß, für welche der verfügbaren Alternativen eines Sortiments<br />
er sich entscheiden soll.<br />
<strong>Der</strong> Motivationscharakter und die negative Valenz des Entscheidungskonflikts führen<br />
dazu, dass Individuen den Konflikt vermeiden wollen. Nach dem Konfliktmodell <strong>von</strong><br />
Janis und Mann (1977) hat ein Konsument hierfür zwei Möglichkeiten:<br />
Wenn der Entscheider nicht unter Zeitdruck steht, kann er die Entscheidung<br />
aufschieben, um durch Aufnahme weiterer Informationen eine bessere<br />
Entscheidungsbasis zu schaffen. Muss die Entscheidung dagegen unter Zeitdruck und<br />
deshalb schnell getroffen werden, kann der Konsument durch die Delegation der<br />
Verantwortung für die Entscheidung an eine andere Person, wie z. B. den Verkäufer<br />
141
oder einen Freund, den psychischen <strong>St</strong>ress des Entscheidungskonflikts vermeiden (vgl.<br />
Beattie/Baron/Hershey 1994, S. 130f.; Brownstein 2003, S. 547f.). Möchte<br />
beispielsweise ein Ehepaar eine neue Waschmaschine kaufen, weil ihre schon etwas<br />
älter ist, dann kann durch ein großes Sortiment des besuchten Geschäfts ein<br />
Entscheidungskonflikt hervorgerufen werden. Als Folge dieses Konflikts ist es<br />
möglich, dass das Paar den Kauf unterbricht, um in anderen Geschäften nach weiteren<br />
Produktalternativen zu suchen. Ist dagegen die alte Waschmaschine kaputt, steht die<br />
Familie unter Entscheidungsdruck. Dies kann dazu führen, dass sie einen Berater in<br />
die Entscheidung einbezieht oder einen Freund mit entsprechender Expertise um Rat<br />
fragt. Dadurch kann die Familie die Verantwortung für die Entscheidung und somit<br />
den Entscheidungskonflikt reduzieren.<br />
Auch Tversky und Shafir (1992) konnten die durch einen Konflikt hervorgerufene<br />
Neigung zum Entscheidungsaufschub beobachten (siehe S. 42ff.): In einem ihrer<br />
Experimente haben sich 34% der Konsumenten für den Kaufaufschub entschieden,<br />
wenn nur eine Alternative zur Wahl stand. Wurde zusätzlich eine zweite attraktive<br />
Option angeboten, stieg der Anteil der Personen, die sich gegen den Kauf entschieden<br />
auf 46% (vgl. Tversky/Shafir 1992, S. 360). In einem ähnlichen Szenarium stellten<br />
Redelmeier und Shafir (1995) (siehe S. 46 ff.) fest, dass Entscheider den derzeitigen<br />
<strong>St</strong>atus (<strong>St</strong>atus quo), eine vorgegebene (Default Option) oder eine sich klar <strong>von</strong> den<br />
anderen Alternativen unterscheidende Option (Distinctive Option) wählen, wenn die<br />
Anzahl der Alternativen erhöht wird. Die Autoren begründen dieses Verhalten damit,<br />
dass der Entscheidungskonflikt durch die zusätzliche(n) Alternative(n) erhöht wurde<br />
(vgl. Redelmeier/Shafir 1995, S. 302ff.; Tversky/Shafir 1992, S. 361).<br />
<strong>Der</strong> Wirkungszusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten und entscheidungs- bzw.<br />
konfliktvermeidenden Verhaltensweisen wird in der Literatur mit Hilfe verschiedener<br />
Hypothesen erklärt (vgl. Anderson 2003, S. 144ff.):<br />
• Justification Hypothese<br />
• Hypothese der negativen Emotionen<br />
• Preference Uncertainty Hypothese<br />
Da mittels dieser Hypothesen später der Zusammenhang mit der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
verdeutlicht wird, geht der nachfolgende Abschnitt hierauf näher ein.<br />
142
Hypothesen zum Wirkungszusammenhang <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten und<br />
Konsumentenverhalten<br />
Justification Hypothese<br />
Die Conflict oder Justification Hypothese basiert auf der Erkenntnis, dass<br />
Konsumenten das Bedürfnis haben, eine Entscheidung für ein bestimmtes Produkt vor<br />
sich und anderen rechtfertigen zu können. Sie entscheiden sich deshalb für das<br />
Produkt, für dessen Wahl es eindeutige Gründe gibt (vgl. Simonson 1989, S. 159;<br />
Tyszka 1998, S. 192). So argumentiert Montgomery (1983), dass Konsumenten erst<br />
dann bereit sind, eine Kaufentscheidung zu treffen, wenn sie Argumente – „strong<br />
enough for making a decision“ (S. 343) – haben. Tyszka (1998) spricht in diesem<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> der „distinctness motivation“ (S. 202ff.), dem Antrieb, das<br />
Produkt zu wählen, das sich klar <strong>von</strong> den anderen unterscheidet und dessen Wahl<br />
deshalb vor sich und anderen leicht zu rechtfertigen ist. Simonson (1989) erklärt dieses<br />
Rechtfertigungsbedürfnis unter Rückgriff auf verschiedene theoretische Erkenntnisse<br />
wie z. B. dem Wunsch nach Selbstachtung (Self-Esteem) (Hall/Lindzey 1978), der<br />
eigenen Wahrnehmung als rational handelndes Wesen (Abelson 1964, S. 159) und den<br />
Theorien der Self-presentation (Baumeister 1982), Impression Management<br />
(Schlenker 1980), Social Exchange (Blau 1964), Conformity (Deutsch/Gerard 1955)<br />
und Ingratiation (Jones 1964) (vgl. Simonson 1989, S. 159).<br />
<strong>Der</strong> Zusammenhang zwischen einem Konflikt und der Schwierigkeit der<br />
Kaufentscheidung besteht darin, dass ein „conflict makes justification more difficult<br />
(...)“ (Anderson 2003, S. 144). Dies kann dazu führen, dass Konsumenten den Kauf<br />
aufschieben (Deferred Decision) oder den <strong>St</strong>atus quo wählen, um so ihre<br />
Verantwortung und damit den Rechtfertigungsdruck für die Entscheidung zu<br />
reduzieren.<br />
<strong>Der</strong> Entscheidungskonflikt wirkt sich nach dieser Hypothese über die empfundene<br />
Schwierigkeit der Rechtfertigung einer bestimmten Wahl auf das Konsumentenverhalten<br />
aus (vgl. Anderson 2003, S. 144).<br />
Hypothese der negativen Emotionen (Trade-off Hypothese)<br />
Die Hypothese der negativen Emotionen gründet auf den Erkenntnissen, dass<br />
„conflicts in a decision (...) often lead to negative emotion“ (Anderson 2003, S. 144).<br />
143
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, diese vor oder während der Entscheidung<br />
empfundenen Emotionen wie Furcht, Angst, Verwirrung und Verzweiflung (vgl.<br />
Loewenstein et al. 2001, S. 267ff.) <strong>von</strong> antizipierten Emotionen wie z. B. Regret, die<br />
in Kapitel 2.3.2.3 (Seite 158ff.) näher betrachtet werden, zu unterscheiden.<br />
Phänomenologisch beziehen sich beide Emotionen auf potenzielle zukünftige<br />
Entscheidungskonsequenzen; der Unterschied besteht aber darin, dass im<br />
Zusammenhang mit einem Entscheidungskonflikt auftretende Emotionen während<br />
der Entscheidung entstehen und empfunden werden, während der Entscheider bei<br />
antizipierten Emotionen seine zukünftigen affektiven Reaktionen voraussieht und<br />
diese bei der Entscheidung berücksichtigt.<br />
Anderson (2003) unterscheidet deshalb „anticipatory“ (vorwegnehmende) und<br />
„anticipated“ (vorweggenommene, vorausgesehene) Emotionen (S. 141ff.). Hastie<br />
(2000) bezeichnet erstere als „decision process emotions“ oder kurz „process<br />
emotions“ (S. 21), während Luce (1998) hierfür die Bezeichnung „task-related<br />
emotion“ (S. 410) verwendet und darunter „relatively short-lived affective states<br />
directly resulting from and focused on a choice with which one is currently engaged“<br />
versteht (S. 410). Es handelt sich also um Emotionen, die aufgrund der Charakteristika<br />
des Entscheidungsproblems während des Entscheidungsprozesses entstehen.<br />
Sowohl antizipierte als auch im Prozess erlebte Emotionen sind klar <strong>von</strong> <strong>St</strong>immungen<br />
zu unterscheiden, die z. B. durch Hintergrundmusik und Farbgebung im Geschäft<br />
verursacht werden und vom Choice Set unabhängig sind (vgl. Isen 2001), weshalb<br />
diese hier nicht weiter betrachtet werden.<br />
Nahezu jede Entscheidung erfordert vom Konsumenten Kompromisse (Trade-offs):<br />
„(…) any decision requires that the decision maker give (sic!) up some considerations<br />
to maximize others“ (Luce/Payne/Bettman 2001, S. 19). Sie sind maßgeblich für die<br />
Entstehung eines Entscheidungskonflikts verantwortlich, wobei deren Intensität vom<br />
Grad „(...) to which the alternatives under consideration have different advantages<br />
and disadvantages“ (Dhar 1997a, S. 217) abhängt.<br />
Anhand eines Beispiels lässt sich dies verdeutlichen: Ein Konsument hat die Wahl<br />
zwischen zwei Autos, die sich hinsichtlich der Produktmerkmale Leistung und<br />
Zuverlässigkeit unterscheiden. Beide Eigenschaften sind dem Entscheider wichtig.<br />
Angenommen, das erste Auto ist laut Pannenstatistik sehr zuverlässig (<strong>Wert</strong> 10 auf<br />
einer Skala <strong>von</strong> 1 bis 10) und leistet 130 kW, während der zweite PKW weniger<br />
zuverlässig ist (<strong>Wert</strong> 5), aber eine Leistung <strong>von</strong> 200 kW hat. <strong>Der</strong> Käufer muss in<br />
diesem Fall bei seiner Entscheidung die Attribute Leistung und Zuverlässigkeit<br />
144
gegeneinander abwägen, sich also überlegen, ob er bereit ist, auf Zuverlässigkeit zu<br />
verzichten (5 Skalenpunkte), um mehr Leistung (70 kW) zu bekommen und<br />
umgekehrt. Dieser notwendige Trade-off zwischen den Attributen Zuverlässigkeit und<br />
Leistung kann zu negativen Emotionen führen.<br />
Die <strong>St</strong>ärke eines Entscheidungskonflikts hängt sowohl <strong>von</strong> der Art, als auch <strong>von</strong> den<br />
<strong>Wert</strong>en der Attribute abhinsichtlich derer ein Konsument einen Kompromiss<br />
eingehen muss (vgl. Chatterjee/Heath 1996, S. 146).<br />
Bezüglich der Art der Produkteigenschaften lässt sich sagen, dass die negativen<br />
Emotionen des Konsumenten umso stärker sind, je wichtiger ihm die vom<br />
Kompromiss betroffenen Attribute sind (vgl. Luce 1998, S. 411; Tetlock 1991;<br />
Tetlock/Peterson/Lerner 1997; Luce/Payne/Bettman 2001, S. 24).<br />
Die <strong>Wert</strong>e der Attribute beeinflussen einerseits die Austauschrate der<br />
Kompromissattribute und andererseits die Höhe der Trade-offs (vgl. Chatterjee/Heath<br />
1996, S. 146; Scholten 2002, S. 690ff.). Kann ein Konsument beispielsweise durch<br />
eine Preiserhöhung um 2% eine Qualitätssteigerung <strong>von</strong> 80% erreichen (Austauschrate<br />
1:40), ist die Entscheidung relativ leicht. Sind die Unterschiede der Attributwerte der<br />
Alternativen sehr hoch, wird sowohl die Appetenz als auch die Aversion gegenüber<br />
diesen verstärkt, wobei dieser Appetenz-Aversions-Konflikt durch die Verlustaversion<br />
des Konsumenten noch gesteigert werden dürfte (vgl. Chatterjee/Heath 1996, S. 146;<br />
Luce/Jia/Fischer 2003, S. 465; Scholten 2002, S. 690ff.).<br />
Negative Emotionen können aber nicht nur entstehen, wenn verschiedene<br />
Alternativen unterschiedliche Vor- und Nachteile haben (Between-Alternative<br />
Conflict), sondern auch dann, wenn eine Alternative sowohl positive als auch<br />
negative Eigenschaften besitzt (Within-Alternative Conflict) (vgl. Chatterjee/Heath<br />
1996, S. 145; Luce/Payne/Bettman 2000, S. 276ff.). Des Weiteren können Konflikte<br />
dadurch verursacht werden, dass „(...) a person does not know how to trade off costs<br />
against benefits, risk against value, and immediate satisfaction against future<br />
discomfort“ (Tversky/Shafir 1992, S. 358). <strong>Der</strong> Entscheidungskonflikt entsteht in<br />
diesem Fall aus der schwierigen Vergleichbarkeit der Attribute und hat zur Folge „(...)<br />
(that) it is often difficult to make important (...) as well as insignificant decisions (…)“<br />
(Tversky/Sharif 1992, S. 358). Insgesamt lässt sich die Trade-off Hypothese somit<br />
sowohl auf Within-Alternative als auch auf Between-Alternative Konflikte (siehe auch<br />
S. 136) anwenden.<br />
Die Handlungsrelevanz der Trade-off Hypothese basiert darauf, dass Entscheider die<br />
durch die Kompromissnotwendigkeit entstandenen negativen Emotionen als<br />
145
unangenehm empfinden und sie deshalb vermeiden oder reduzieren wollen (vgl. Luce<br />
1998, S. 409). Da Kompromisse (Trade-offs) die primäre Quelle der negativen<br />
Emotionen sind, wird die Hypothese der negativen Emotionen auch als Trade-off<br />
Avoidance Hypothese bezeichnet (vgl. Anderson 2003, S. 145).<br />
Die Wahl einer „avoidant option“ (Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33) stellt für den<br />
Konsumenten eine Möglichkeit dar, die explizite Entscheidung und somit die<br />
negativen Emotionen zu vermeiden (Luce 1998, S. 409f.; Luce/Payne/Bettman 2001,<br />
S. 26f.). Luce untersuchte diese Hypothese sehr ausführlich und konnte in seinen<br />
<strong>St</strong>udien u. a. feststellen, dass der Wahl einer entscheidungsvermeidenden Option<br />
(Avoidant Option) mehr und intensivere negative Emotionen vorangingen, und die<br />
Konsumenten nach der Wahl weniger negative Emotionen erlebten, als bei anderen<br />
Entscheidungen (vgl. Luce 1998, S. 419ff.). Entscheidungsvermeidende Optionen, wie<br />
der Kaufaufschub zur weiteren Informationssuche (Milgram et al. 1988;<br />
Greenleaf/Lehman 1995, S. 188), die Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo (vgl.<br />
Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33) oder die Wahl einer dominierenden Alternative<br />
(vgl. Luce 1998, S. 419) stellen für den Konsumenten verschiedene Möglichkeiten dar,<br />
die durch Entscheidungskonflikte ausgelösten negativen Emotionen zu reduzieren<br />
oder zu vermeiden (vgl. Anderson 2003, S. 145; Luce 1998, S. 419).<br />
Abschließend sei noch bemerkt, dass Kompromisse bzw. Trade-offs sowohl mit<br />
kognitivem als auch mit emotionalem Aufwand für den Konsumenten verbunden<br />
sind. Er will diese daher sowohl aus dem einen, als auch aus dem anderen Grund<br />
vermeiden: „(...) trade-offs may be avoided to save cognitive effort and/or to cope with<br />
negative emotion“ (Luce/Payne/Bettman 2001, S. 21). Für die hier betrachteten<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> bedeutet dies, dass sich die Trade-off Hypothese sowohl<br />
auf affektive als auch auf kognitive Kostenaspekte übertragen lässt. So erschwert die<br />
Notwendigkeit zum Kompromiss auch laut der Theorie der Cost of Thinking die<br />
Entscheidung (siehe hierzu auch die Ausführungen zu den Cost of Thinking (Shugan<br />
1980) (S. 122ff.)).<br />
Preference Uncertainty Hypothese<br />
Dhar und seine Kollegen (Dhar 1996, 1997; Dhar/Nowlis 1999, S. 369ff.;<br />
Dhar/Nowlis/Sherman 1999; Dhar/Simonson 1999), die diese Hypothese formuliert<br />
haben, gehen da<strong>von</strong> aus, dass der Entscheidungskonflikt durch die Präferenzunsicherheit<br />
(Preference Uncertainty) des Konsumenten ausgelöst wird (vgl. Dhar<br />
146
1997a, S. 215). Unter Preference Uncertainty versteht man dabei einen Zustand „in<br />
which decision makers do not feel they can determine with accuracy which option best<br />
meets their goals“ (Anderson 2003, S. 145). Im Unterschied zur Hypothese der<br />
negativen Emotionen geht die Preference Uncertainty Hypothese da<strong>von</strong> aus, dass der<br />
Entscheidungskonflikt nicht <strong>von</strong> der Höhe und der Anzahl der Trade-offs zwischen<br />
wichtigen Attributen verschiedener Alternativen abhängt, sondern <strong>von</strong> den<br />
Unterschieden der Produkte hinsichtlich ihrer Gesamtattraktivität für den<br />
Konsumenten. Gelingt es einem Konsumenten nicht, eine Alternative zu finden, die in<br />
seinen Augen deutlich attraktiver ist als die anderen, hat das zur Folge, dass die<br />
dadurch entstandene „preference uncertainty may lead to choice deferral“ (Dhar<br />
1997a, S. 215).<br />
Folgt man den Annahmen der rationalen Theorien, so entscheidet sich ein rational<br />
handelnder Konsument für den Entscheidungsaufschub nur dann, wenn ihm entweder<br />
keine der vorhandenen Alternativen attraktiv erscheint, oder wenn er erwartet, durch<br />
die Suche nach weiteren Alternativen eine noch bessere als die verfügbaren zu finden<br />
(vgl. Karni/Schwarz 1977; Beattie/Barlas 1992; Tversky/Shafir 1992, S. 358).<br />
Implizite Annahme der rationalen Entscheidungstheorien ist dabei, dass ein<br />
Konsument in der Lage ist, unabhängig vom Entscheidungskontext diejenige<br />
Alternative zu identifizieren, die aus seiner Sicht den größten Nutzen hat.<br />
Voraussetzung hierfür ist, dass er „well-articulated preferences“<br />
(Luce/Payne/Bettman 2001, S. 21), also eine feste Präferenzordnung zwischen zwei<br />
Alternativen besitzt, so dass er stets sagen kann, ob die eine Alternative mindestens so<br />
gut ist wie die andere (vgl. Herrmann 1998, S. 93f.). Dhar (1997) stellt diese<br />
Annahmen in Frage:<br />
„In practice, one often arrives at decisions not with well-established and<br />
clearly ranked preferences but, rather, with the need to determine one’s<br />
preferences (....). In such situations, not knowing which of the alternatives is<br />
most preferred, while not being certain that one wants them equally, may<br />
result in indecision and a tendency to avoid commitment” (Dhar 1997a,<br />
S. 216).<br />
Dhar und seine Kollegen führen also den Entscheidungskonflikt und das daraus<br />
resultierende averse Entscheidungsverhalten, wie beispielsweise den Aufschub einer<br />
Kaufentscheidung, auf die Unfähigkeit eines Entscheiders zurück, die beste<br />
Alternative zu identifizieren. Ähnlich argumentiert beispielsweise auch Montgomery<br />
(1989, S. 23ff.), der in seinem „Dominance-Search Model“ (S. 25) vorschlägt, dass<br />
147
Konsumenten eine Entscheidung aufgeben oder verschieben, wenn sie nicht in der<br />
Lage sind, eine Dominanzstruktur in den vorhandenen Alternativen zu identifizieren.<br />
Präferenzunsicherheit und Entscheidungsverzicht können nach Ansicht <strong>von</strong> Dhar und<br />
seinen Kollegen durch Alternativen, die nur geringe Attraktivitätsunterschiede<br />
besitzen, erhöht werden (vgl. Anderson 2003, S. 145). Dhar (1997) konnte diese<br />
Hypothese in seinen viel beachteten und bereits an früherer <strong>St</strong>elle beschriebenen<br />
<strong>St</strong>udien untermauern (siehe S. 49 ff.): So stellte er fest, dass der Anteil der<br />
Testpersonen, die den Kauf abgebrochen oder aufgeschoben haben, durchschnittlich<br />
um 11% (χ 2 (1) = 6,7, p < 0,01) gestiegen ist, wenn sie zwei in etwa gleich attraktive<br />
Alternativen zur Auswahl hatten, verglichen mit einer Entscheidungssituation, in der<br />
nur eine Alternative zur Wahl stand. Wurde einer Alternative hingegen eine deutlich<br />
unattraktivere zweite Alternative hinzugefügt, lag die Kaufhäufigkeit um 14%<br />
(χ 2 (1) = 8,7, p < 0,01) höher, als bei Verfügbarkeit <strong>von</strong> nur einer Option (vgl. Dhar<br />
1997a, S. 219f.).<br />
Daraus lässt sich folgern, dass die Präferenzunsicherheit eines Konsumenten steigt,<br />
wenn das Sortiment aus einer Vielzahl <strong>von</strong> in etwa gleich attraktiven Alternativen<br />
besteht. Dadurch stehen dem Entscheider mehrere potenzielle Wege zur<br />
Bedürfniserfüllung offen und es fällt ihm schwer, den für ihn optimalen zu<br />
identifizieren. Diese Unsicherheit kann dazu führen, dass sich der Konsument avers<br />
verhält und die Entscheidung abbricht und/oder auf später verschiebt. Abschließend<br />
sei nochmals betont, dass dies dem Regularitätsprinzip der rationalen Entscheidungstheorie<br />
widerspricht, wonach die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer zurückgewiesenen<br />
Alternative nicht durch das Hinzufügen weiterer Alternativen erhöht<br />
werden kann (vgl. Scholten 2002, S. 686; Tversky/Shafir 1992, S. 358; siehe auch die<br />
Erläuterungen zum Regularitätsprinzip auf S. 43f.).<br />
Zusammenfassung der Hypothesen<br />
Mit der Justification Hypothese, der Hypothese der negativen Emotionen und der<br />
Preference Uncertainty Hypothese wurden drei Erklärungsansätze zur Entstehung und<br />
Wirkung <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten vorgestellt.<br />
148
Alle drei Hypothesen gehen da<strong>von</strong> aus, dass Charakteristika des Sortiments zu<br />
negativen Emotionen führen, die der Konsument vermeiden möchte und deshalb<br />
Konflikt vermeidende Entscheidungen trifft, indem er<br />
• den Kaufprozess aufschiebt oder abbricht,<br />
• den <strong>St</strong>atus quo beibehält oder<br />
• die Entscheidung an andere Personen wie z. B. Verkäufer oder Freunde<br />
delegiert.<br />
Für den hier betrachteten Zusammenhang ist dabei <strong>von</strong> Interesse, dass alle drei<br />
Hypothesen das Verhalten eines Konsumenten durch dessen emotionale Reaktionen<br />
auf Sortimentseigenschaften während des Entscheidungsprozesses erklären. Sie<br />
bilden somit eine gemeinsame Grundlage zur Entstehung negativer Emotionen als<br />
Reaktion auf Entscheidungskonflikte, die durch Eigenschaften der zur Wahl stehenden<br />
Alternativen ausgelöst werden.<br />
Die Hypothesen unterscheiden sich aber in ihrer Argumentation bezüglich der<br />
Entstehung der negativen Konfliktemotionen:<br />
So geht die Justification Hypothese da<strong>von</strong> aus, dass Konsumenten das Bedürfnis<br />
haben, den Kauf eines bestimmten Produkts vor sich und anderen durch<br />
„schlagkräftige“ Argumente rechtfertigen zu können. Empfindet es der Konsument als<br />
schwer, diese Argumente zu finden, entsteht durch sein Bedürfnis nach Rechtfertigung<br />
ein innerer unangenehmer Spannungszustand, der dazu führen kann, dass er den Kauf<br />
abbricht oder delegiert.<br />
Im Gegensatz hierzu macht die Hypothese der negativen Emotionen die Aversion des<br />
Konsumenten gegenüber negativen Emotionen für dessen Konflikt vermeidendes<br />
Verhalten verantwortlich. Dieser Hypothese liegt die Annahme zugrunde, dass<br />
Trade-offs zwischen den Alternativen hinsichtlich bedeutender Attribute zu negativen<br />
Emotionen wie z. B. Angst und Verzweiflung (in abgemilderter Form) führen. Da der<br />
Konsument diese als unangenehm empfindet, versucht er sie zu vermeiden bzw. zu<br />
reduzieren, indem er eine explizite Entscheidung zwischen den Alternativen vermeidet<br />
und z. B. den <strong>St</strong>atus quo wählt oder die Entscheidung abbricht.<br />
Die Preference Uncertainty Hypothese erklärt die Wirkung des Entscheidungskonflikts<br />
über die Entstehung eines Unsicherheitsgefühls des Konsumenten, wenn<br />
sich dieser nicht in der Lage sieht, das für ihn beste Produkt zu identifizieren. Dieses<br />
Gefühl wird hervorgerufen, wenn sich ein Konsument hinsichtlich der eigenen<br />
Präferenzen nicht sicher ist und mehrere in etwa gleich attraktive Alternativen zur<br />
149
Wahl stehen (vgl. Tyszka 1998, S. 192). Die negative Valenz der Unsicherheit<br />
hinsichtlich der eigenen Präferenzen führt ebenfalls dazu, dass der Konsument diese<br />
reduzieren will, indem er entweder die Entscheidung vermeidet (Deferral) oder sich<br />
für eine hinsichtlich eines bestimmten Aspekts dominierende Alternative entscheidet.<br />
Die drei Hypothesen sind nicht überschneidungsfrei und ergänzen sich teilweise.<br />
Anderson (2003) schlägt deshalb vor, dass die drei Konzepte „can be consolidated by<br />
(…) a common mediating variable“ (Anderson 2003, S. 146). Diese gemeinsame<br />
Größe bezeichnet er als Entscheidungsschwierigkeit (Selection Difficulty) und<br />
umschreibt diese wie folgt: „Selection difficulty is (..) experienced when individuals<br />
find it difficult to choose a particular course of action, but it may occur in the absence<br />
of uncertain preferences or negative emotion, although these are strong correlates of<br />
difficulty“ (Anderson 2003, S. 154).<br />
Das <strong>von</strong> Anderson vorgeschlagene Konstrukt „Entscheidungsschwierigkeit“<br />
subsumiert folglich alle negativen Emotionen, die während der Entscheidung <strong>von</strong><br />
Konsumenten empfunden und durch die Charakteristika der Entscheidungssituation,<br />
insbesondere durch Eigenschaften des Sortiments, verursacht werden.<br />
Für diese Untersuchung liefert die Konflikttheorie zusammen mit den drei Hypothesen<br />
theoretische Hinweise für die Entstehung negativer Emotionen als Reaktion des<br />
Konsumenten auf Charakteristika des Sortiments. Hierbei interessiert insbesondere der<br />
Einfluss der Anzahl und der Art der Produktalternativen, welcher nachfolgend<br />
verdeutlicht wird.<br />
Einfluss <strong>von</strong> Anzahl und Art der Produktalternativen auf die Entscheidungsschwierigkeit<br />
Betrachtet man zunächst den Einfluss der Anzahl der Alternativen auf die<br />
Entscheidungsschwierigkeit, so kann die Grundthese, dass eine höhere Anzahl an<br />
Alternativen den Entscheidungskonflikt und damit die Entstehung negativer<br />
Emotionen erhöht, unter Rückgriff auf die drei vorgestellten Hypothesen begründet<br />
werden:<br />
Justification Hypothese<br />
Die Justification Hypothese besagt, dass Konsumenten dann eine Entscheidung<br />
treffen, wenn sie diese auf der Basis guter Gründe vor sich und anderen rechtfertigen<br />
150
können, aber „(...) these (reasons) become more scarce as the number of options<br />
increases“ (Anderson 2003, S. 144). Erhöht sich die Anzahl der Alternativen, wird das<br />
Sortiment dadurch tendenziell homogener und die spezifischen Gründe, die für eine<br />
bestimmte Alternative sprechen, nehmen ab. Angenommen wird hierbei, dass die<br />
zusätzlichen Alternativen ebenfalls attraktiv sind. Würde ein Choice Set aus 20<br />
unattraktiven und nur einer attraktiven Alternative bestehen, gäbe es genügend<br />
Gründe, die für diese eine Option sprächen und die Entscheidung wäre leicht (vgl.<br />
Tversky/Shafir 1992, S. 358). Besteht die Alternativenmenge dagegen aus zehn<br />
Produkten, die alle in etwa gleich attraktiv sind, so ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass die<br />
Anzahl der Gründe, die für eine und gegen die anderen Optionen spricht, relativ gering<br />
ist; die Entscheidungsschwierigkeit wäre dann hoch. Damit bleibt festzuhalten, dass<br />
aufgrund der zunehmenden Homogenität des Sortiments die Anzahl der Argumente,<br />
mit deren Hilfe der Konsument eine Entscheidung vor sich und anderen rechtfertigen<br />
kann, mit der Anzahl der attraktiven Alternativen im Sortiment abnimmt, was zur<br />
Entstehung negativer Emotionen führt und dadurch die Entscheidungsschwierigkeit<br />
erhöht.<br />
Preference Uncertainty Hypothese<br />
Obige Argumentation lässt sich auch auf die Preference Uncertainty Komponente<br />
übertragen: „(…) adding attractive alternatives can increase choice uncertainty (…)“<br />
(Dhar 1996, S. 266). Werden einem Choice Set zusätzliche attraktive Alternativen<br />
hinzugefügt, nimmt die Überlegenheit einzelner Produkte dadurch tendenziell ab. <strong>Der</strong><br />
Konsument ist dann gezwungen, die Eigenschaften, anhand derer er den subjektiven<br />
Nutzen der Alternativen bestimmen will, zu priorisieren, um so das aus seiner Sicht<br />
optimale Produkt zu identifizieren. „This process is complicated as options are added,<br />
making it more difficult to discriminate between the subjective utilities of options (…)“<br />
(Anderson 2003, S. 158). Voraussetzung für die Priorisierung der Produktattribute ist<br />
zudem, dass der Konsument seine eigenen Präferenzen kennt. Dies ist aber nicht<br />
immer der Fall; häufig müssen Konsumenten ihre eigenen Präferenzen in<br />
Entscheidungssituation zunächst erst einmal selbst bestimmen (vgl. Dhar 1997a,<br />
S. 216).<br />
Es entsteht daher sowohl aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich der eigenen<br />
Attribut-Präferenzen, als auch aufgrund der geringer werdenden diskriminierenden<br />
Unterschiede der Produktalternativen beim Konsumenten ein Unsicherheitsgefühl<br />
darüber, ob er das zur Erfüllung seiner Bedürfnisse beste Produkt identifizieren kann.<br />
151
<strong>Der</strong> Konsument empfindet die Entscheidung deshalb bei steigender Alternativenzahl<br />
als unangenehmer und somit als schwieriger.<br />
Erwähnenswert ist, dass Festinger (1957) <strong>von</strong> einem gegenteiligen Zusammenhang<br />
ausgeht: Er argumentiert, dass der Konflikt abnimmt, wenn durch zusätzliche<br />
Alternativen die Ähnlichkeit der Wahlalternativen und damit der Überschneidungsbereich<br />
der Alternativen zunimmt. Für den Konsumenten nimmt dann das Risiko einer<br />
Fehlentscheidung und somit der Entscheidungskonflikt ab. Im Gegensatz hierzu<br />
behauptet Dhar (1997, S. 217), dass die Präferenzunsicherheit auf die Attraktivitätsunterschiede<br />
der Alternativen zurückgeht und diese geringer werden, wenn die Anzahl<br />
der Alternativen steigt. Er kann diese Hypothese in verschiedenen Experimenten<br />
untermauern (vgl. Dhar 1997a, S. 216ff.). Sie wird aber auch <strong>von</strong> <strong>St</strong>udien gestützt, die<br />
beispielsweise gezeigt haben, dass die Kaufwahrscheinlichkeit durch das Hinzufügen<br />
einer unterlegenen Alternative zum Sortiment erhöht werden kann (vgl.<br />
Huber/Payne/Puto 1982, S. 90ff.; vgl. auch Dhar 1997a, S. 216ff.), und die Anzahl der<br />
aufgenommenen Informationen steigt, wenn die Ähnlichkeit der Alternativen zunimmt<br />
(vgl. <strong>St</strong>one/Schkade 1994, S. 261ff.). Diese Effekte lassen sich auf der Basis der<br />
Argumentation <strong>von</strong> Festinger (1957) nicht erklären (vgl. Dhar 1997a, S. 217). Die<br />
vorliegende Arbeit folgt deshalb der Begründung <strong>von</strong> Dhar und geht <strong>von</strong> einem mit<br />
der Anzahl attraktiver Alternativen steigenden Entscheidungskonflikt aus.<br />
Wie oben bereits betont wurde, beeinflusst neben der Anzahl der Alternativen auch<br />
deren Art die Entscheidungsschwierigkeit. So wird beispielsweise die Entscheidung<br />
durch die Erweiterung des Sortiments nur dann schwieriger, wenn diesem attraktive<br />
Alternativen hinzugefügt werden und dadurch die Unterschiede der Alternativen<br />
hinsichtlich ihrer Gesamtattraktivität abnehmen: „Smaller differences in attractiveness<br />
of options produces more preference uncertainty. This uncertainty tends to cause<br />
greater difficulty in selection, motivating decision avoidance“ (Anderson 2003,<br />
S. 158).<br />
Im Hinblick auf die Fragestellungen dieser Untersuchungen heißt dies, dass nicht<br />
allein die Anzahl, sondern auch die Attraktivität der Alternativen die Kosten <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> beeinflusst.<br />
Trade-off Avoidance Hypothese (Hypothese der negativen Emotionen)<br />
Den Einfluss der Kombination aus Anzahl und Art der Produkte auf die Schwierigkeit<br />
der Entscheidung verdeutlicht auch die Trade-off Hypothese: Wie oben erläutert, sind<br />
152
Kompromisse dann erforderlich, wenn eine Option nicht hinsichtlich aller<br />
Produkteigenschaften besser ist als alle anderen verfügbaren Alternativen<br />
(Between-Alternative Conflict) und/oder wenn eine Alternative sowohl positive als<br />
auch negative Eigenschaften aufweist (Within-Alternative Conflict). Nimmt die Anzahl<br />
der attraktiven Alternativen im Choice Set zu, so ist zu erwarten, dass auch die<br />
Homogenität der Alternativen zu- und somit die Überlegenheit einzelner Produkte<br />
abnimmt. Dies führt dazu, dass der Konsument zur Identifikation der besten<br />
Alternative eine größere Anzahl an Attributvergleichen machen muss und „the more<br />
such comparisons are required (...) the more trade-offs are required to reach a<br />
choice“ (Anderson 2003, S. 159). Da die Anzahl und die Höhe der Trade-off sowie die<br />
Art der Attribute, die sie betreffen, für die Intensität der negativen Emotionen<br />
ausschlaggebend ist (vgl. z. B. Luce 1998, S. 411, Luce/Payne/Bettman 2001, S. 24;<br />
Payne/Bettman/Johnson 1993, S. 201ff.; Chatterjee/Heath 1996, S. 154), kann<br />
gefolgert werden, dass mit der Anzahl der Alternativen auch die negativen<br />
Emotionen zunehmen und somit die Entscheidungsschwierigkeit steigt.<br />
In der Literatur lassen sich Hinweise darauf finden, dass dieser Effekt noch dadurch<br />
verstärkt wird, dass mit zunehmender Vielfalt auch die Erwartungen der<br />
Konsumenten an das gewählte Produkt steigen (vgl. Desmeules 2002, S. 9f.; Schwartz<br />
2000, S. 85f.). Die Vielzahl an Alternativen bedingt, dass der Entscheider erwartet, ein<br />
für sich optimales Produkt zu finden. Dadurch nimmt seine Kompromissbereitschaft<br />
ab, was zu einer Intensivierung der mit einem Trade-off verbundenen negativen<br />
Emotionen führt. Höhere <strong>Produktvielfalt</strong> wirkt sich somit in doppelter Hinsicht<br />
negativ aus: Einerseits erhöht sie die Anzahl der Trade-offs und somit die<br />
Hauptursache negativer Emotionen. Anderseits reduziert sie die Kompromissbereitschaft,<br />
steigert also die Aversion gegenüber Kompromissen und verstärkt<br />
dadurch die aufgetretenen negativen Emotionen.<br />
Ähnlich wie bei der Präferenzunsicherheit spielt aber auch hier die Art der<br />
Alternativen eine wichtige Rolle. So konnten Gourville und Soman (1999) in ihrer an<br />
früherer <strong>St</strong>elle schon beschriebenen <strong>St</strong>udie (siehe S. 51 ff.) zeigen, dass der Einfluss<br />
der <strong>Produktvielfalt</strong> auf das Kaufverhalten <strong>von</strong> der Vergleichbarkeit (Alignability) der<br />
Alternativen abhängt: Variieren die Produktalternativen hinsichtlich nicht<br />
vergleichbarer Attribute, so nimmt die Kaufintention mit zunehmender<br />
Alternativenzahl ab (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 11). Die Autoren begründen diese<br />
Erkenntnis damit, dass der Konsument bei steigender Alternativenzahl mehr und<br />
schwierigere Trade-offs machen muss, wenn die Produktalternativen nicht<br />
vergleichbar sind (vgl. Gourville/Soman 1999, S. 8f.). Verdeutlichen lässt sich dies an<br />
153
einem Beispiel: Im ersten Fall hat ein Konsument die Wahl zwischen zwei Computern<br />
A und B einer bestimmten Marke. A hat einen Prozessor mit 3,5 GHz Taktfrequenz,<br />
eine Festplatte mit 40 GB und kostet € 1.500. Computer B hat eine Taktfrequenz <strong>von</strong><br />
3,5 GHz, eine Festplatte mit 60 GB und kostet € 1.600. Bei der Entscheidung muss der<br />
Käufer „nur“ überlegen, ob er €100 für den zusätzlichen Festplattenspeicherplatz ausgeben<br />
will. Im zweiten Fall ist Computer A identisch zu dem im ersten Fall, Computer<br />
B hat aber einen Prozessor mit 3,3 GHz, eine Festplatte mit 60 GB und zusätzlich<br />
bekommt der Käufer einen Tintenstrahldrucker. Computer B kostet € 1.700. Die<br />
beiden Computer sind im zweiten Fall schwieriger zu vergleichen als im ersten, da der<br />
Käufer jetzt Kompromisse hinsichtlich der Prozessorleistung, der Festplattengröße und<br />
des Preises machen muss und zusätzlich den Drucker zu berücksichtigen hat. <strong>Der</strong><br />
Entscheidungskonflikt und somit die Entscheidungsschwierigkeit nimmt also sowohl<br />
aufgrund der gestiegenen Anzahl an Trade-offs, als auch aufgrund der<br />
Nicht-Vergleichbarkeit der Alternativen zu (vgl. March/Simon 1993, S. 133).<br />
Zusammenfassend gibt die Trade-off Hypothese mehrere Anhaltspunkte dafür, dass<br />
mit der Anzahl attraktiver Alternativen die Entstehung negativer Emotionen<br />
begünstigt wird und dadurch die Entscheidungsschwierigkeit steigt. Dies ist<br />
insbesondere dann der Fall, wenn gleichzeitig die Vergleichbarkeit der Alternativen<br />
untereinander (Alignability) abnimmt. Beide Größen sollen deshalb bei der<br />
Untersuchung der Einflussfaktoren des Sortiments auf Kosten und Nutzen <strong>von</strong><br />
<strong>Produktvielfalt</strong> berücksichtigt werden.<br />
In den Worten <strong>von</strong> Dhar (1996) lässt sich der Einfluss (zu) hoher <strong>Produktvielfalt</strong> auf<br />
den emotionalen Zustand und das Verhalten des Konsumenten wie folgt<br />
zusammenfassen: „(...) when the decision situation offers many equally acceptable<br />
alternatives and none that can easily be verified as the best, it may create feelings of<br />
confusion leading to a reluctance to commit to an action“ (Dhar 1996, S. 216).<br />
154
Konsequenzen negativer Emotionen während der Entscheidung<br />
Die Folgen negativer Prozessemotionen und der damit verbundenen hohen<br />
Entscheidungsschwierigkeit wurden schon mehrfach erwähnt und sollen an dieser<br />
<strong>St</strong>elle nochmals kurz zusammengefasst werden: In verschiedenen, teilweise in Kapitel<br />
2.1 (S. 42ff.) detailliert beschriebenen Untersuchungen wurde gezeigt, dass negative<br />
Emotionen und hohe Entscheidungsschwierigkeit zu Entscheidungs vermeidendem<br />
Verhalten (Avoidant Options) des Konsumenten führt. Demzufolge reagiert ein<br />
Konsument auf Situationen mit hoher Entscheidungsschwierigkeit mit<br />
• Kaufaufschub zur weiteren Informationssuche (Tversky/Shafir 1992, S. 358;<br />
Dhar 1996; Dhar/Sherman 1996; Dhar 1997a; Luce et al. 1997; Dhar/Nowlis<br />
1999, S. 381; Dhar et al. 1999; Beattie/Barlas 2001; Milgram et al. 1988;<br />
Greenleaf/Lehman 1995, S. 188; Brownstein 2003, S. 547f.), der<br />
• Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo (vgl. Luce/Payne/Bettman 2001, S. 33;<br />
Redelmeier/Sharif 1995; Riis/Schwarz 2000; Baron/Ritov 1994), der<br />
• Wahl einer dominierenden Alternative (vgl. z. B. Anderson 2003, S. 145;<br />
Luce 1998, S. 419) oder der<br />
• Delegation der Verantwortung an eine andere Person wie z. B. den Verkäufer<br />
oder einen Freund (vgl. Beattie/Baron/Hershey 1994, S. 130f.; Brownstein<br />
2003, S. 547f.).<br />
Neben diesen unmittelbaren Folgen für den Entscheidungsausgang wirkt sich die<br />
emotionale Schwierigkeit einer Entscheidung auch auf Nachkaufprozesse,<br />
insbesondere auf die Evaluation des Kaufs und des Kaufprozesses aus:<br />
• Schwierige Entscheidungen mit hohem Entscheidungskonflikt reduzieren das<br />
Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Entscheidung (vgl. Tversky 1972;<br />
Fischer et al. 2000; Luce/Jia/Fischer 2003, S. 469f.; Zakay 1985,<br />
S. 79).Dadurch wird die Entstehung kognitiver Dissonanz nach dem Kauf<br />
begünstigt (vgl. Anderson/Taylor/Holloway 1966, S. 62ff.; Oliver 1996,<br />
S. 252f.). Diese wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Herausbildung<br />
<strong>von</strong> Zufriedenheitsurteilen hinsichtlich des gekauften Produkts und des<br />
Kaufprozesses (Oliver 1996, S. 261).<br />
• Hohe Entscheidungsschwierigkeit führt deshalb zu reduzierter Zufriedenheit<br />
mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt (vgl. Houston/Sherman/<br />
Baker 1991, S. 427f.).<br />
155
Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der Folgen <strong>von</strong> Entscheidungskonflikten<br />
festhalten: Ist ein Konsument mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert, wie<br />
dies z. B. bei hoher <strong>Produktvielfalt</strong> der Fall ist, können dadurch sowohl sein<br />
Kaufverhalten als auch die nachgelagerten Bewertungsprozesse negativ beeinflusst<br />
werden.<br />
Zusammenfassung<br />
In diesem Kapitel wurde auf Basis der Konflikttheorie aufgezeigt, wie sich Anzahl<br />
und Art der verfügbaren Produkte in einer Entscheidungssituation auf das<br />
Konsumentenverhalten auswirken können und welche Anhaltspunkte sich daraus für<br />
die Kostendimension des <strong>Wert</strong>s <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> ergeben. Die Annahme, dass<br />
höhere <strong>Produktvielfalt</strong> den Entscheidungskonflikt verstärkt, zu negativen Emotionen<br />
und zu Entscheidungs vermeidendem Verhalten des Konsumenten führt wurde dabei<br />
auf drei Hypothesen gestützt:<br />
1. Die Justification Hypothese besagt, dass Konsumenten eine Entscheidung vor<br />
sich und anderen begründen können möchten. Für die Wahl einer bestimmten<br />
Alternative muss es deshalb „gute Gründe“ geben, die für diese und gegen<br />
andere Optionen sprechen. Nimmt die Anzahl der (attraktiven) Alternativen zu,<br />
steigt tendenziell auch die Homogenität des Sortiments an, weshalb die Gründe<br />
für oder gegen eine Alternative abnehmen. Eine Erhöhung der <strong>Produktvielfalt</strong><br />
führt deshalb zu einer schwierigeren Entscheidung.<br />
2. Ähnlich ist die Argumentation der Preference Uncertainty Hypothese: Hier<br />
wird entgegen der rationalen Entscheidungstheorie angenommen, dass<br />
Konsumenten keine vorab festgelegten Präferenzen hinsichtlich aller Alternativen<br />
und deren Attribute haben, wenn sie eine Entscheidung beginnen. Sieht<br />
sich ein Konsument in einer Entscheidungssituation einer großen Anzahl <strong>von</strong><br />
Alternativen gegenüber, entsteht aufgrund der fehlenden Präferenzen ein<br />
Gefühl der Präferenzunsicherheit, das einen Zustand „in which decision<br />
makers do not feel they can determine with accuracy which option best meets<br />
their goals“ (Anderson 2003, S. 145) beschreibt.<br />
3. Annahme der Trade-off Hypothese ist, dass Konsumenten bei einer Entscheidung<br />
Kompromisse (Trade-offs) eingehen müssen. Diese können sich sowohl auf<br />
positive und negative Aspekte einer Alternative als auch auf einzelne Attribute<br />
verschiedener Alternativen beziehen. Kompromisse hinsichtlich bedeutender<br />
156
Produkteigenschaften führen zu negativen Emotionen, die der Konsument als<br />
unangenehm empfindet und deshalb vermeiden möchte. <strong>St</strong>eigt die Anzahl der<br />
Alternativen, so nimmt tendenziell die Überlegenheit einzelner Produkte ab und<br />
der Entscheider ist gezwungen, die Produkte intensiver miteinander zu<br />
vergleichen und Kompromisse bei der Entscheidung einzugehen. Dadurch führt<br />
die höhere Anzahl an (attraktiven) Alternativen zur verstärkten Entstehung<br />
negativer Emotionen und erschwert so die Entscheidung.<br />
Da die drei erklärenden Hypothesen nicht überschneidungsfrei sind und an vielen<br />
<strong>St</strong>ellen eher ergänzenden Charakter haben, wurde, der theoretischen Konzeption <strong>von</strong><br />
Anderson (2003) folgend vorgeschlagen, die drei Hypothesen unter einem<br />
gemeinsamen Konzept der emotionalen Entscheidungsschwierigkeit (Decision<br />
Difficulty) zusammenzufassen. Diese beschreibt Emotionen mit negativer Valenz, die<br />
eine affektive Reaktion auf Charakteristika der Entscheidungssituation, wie z. B. die<br />
Anzahl der Alternativen, darstellen. Zu betonen ist hierbei, dass diese negativen<br />
Emotionen im Entscheidungsprozess entstehen und erlebt werden und deshalb <strong>von</strong><br />
antizipierten Emotionen zu unterscheiden sind.<br />
Die Verhaltensrelevanz negativer Emotionen basiert darauf, dass der Konsument<br />
negative Emotionen als unangenehm empfindet, ihnen gegenüber deshalb avers ist und<br />
sie vermeiden möchte. Er wählt folglich Verhaltenweisen, die ihm dies ermöglichen.<br />
Beispiele hierfür sind der Kaufaufschub, die Wahl des <strong>St</strong>atus quo oder einer klar<br />
unterscheidbaren Alternative, sowie die Delegation der Entscheidung an andere, wie<br />
z. B. den Verkäufer.<br />
Neben diesen unmittelbaren Konsequenzen auf das Kaufverhalten wirken sich<br />
Kaufsituationen, die mit negativen Emotionen im Entscheidungsprozess verbunden<br />
sind, auch negativ auf die nachgelagerten Bewertungsprozesse aus. So wurde<br />
aufgezeigt, dass eine Entscheidung mit emotionaler Entscheidungsschwierigkeit zu<br />
einer reduzierten Zufriedenheit mit dem Kaufprozess und dem gekauften Produkt<br />
führen kann und die Entstehung kognitiver Dissonanz begünstigt.<br />
Die für diese Untersuchung wichtigsten aus der Konflikttheorie ableitbaren Aspekte<br />
sind in Abbildung 36 zusammengefasst.<br />
157
Determinanten<br />
Kostendimension<br />
Konsequenzen<br />
Facetten der KPV<br />
Quantitativ<br />
Qualitativ<br />
Anzahl der Produkte<br />
Vergleichbarkeit<br />
Klare Produktunterschiede<br />
+<br />
_<br />
_<br />
Kompromissnotwendigkeit +<br />
Kosten<br />
Argumentationslogik der Wirkung<br />
Entstehung negativer Emotionen und Erhöhung<br />
der Entscheidungsschwierigkeit<br />
• Gründe, die für ein Produkt sprechen<br />
nehmen mit zunehmender Vielfalt ab<br />
• Präferenzunsicherheit nimmt mit<br />
zunehmender Vielfalt zu<br />
• Überlegenheit einzelner Produkte nimmt ab<br />
und macht Kompromissen notwendig<br />
Verhaltensrelevanz entsteht aus der Aversion<br />
des Konsumenten gegen negative Emotionen<br />
Ausgang d.<br />
Entscheidung<br />
Bewertung<br />
Kaufintention<br />
Zufriedenheit<br />
• Prozess<br />
• Produkt<br />
_<br />
kognitive<br />
Dissonanz +<br />
_<br />
Facetten der KPV<br />
negative<br />
Emotionen<br />
Aufwand und<br />
Anstrengung<br />
Abbildung 36: Zusammenfassende Darstellung des Zusammenhangs der Konflikttheorie und den<br />
Kosten <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong><br />
Mit der detaillierten Betrachtung der Antizipation <strong>von</strong> Regret aufgrund <strong>von</strong> hoher<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> steht ebenfalls eine affektive Reaktion des Konsumenten im<br />
Mittelpunkt des nächsten Kapitels.<br />
2.3.2.3 Antizipiertes Regret<br />
„Anticipation of regret is likely to favor inaction and routine behavior“<br />
(Kahneman/Tversky 1982, S. 171)<br />
Kahneman und Tversky (1982) bringen mit obigen Zitat die für diese Arbeit zentrale<br />
Hypothese hinsichtlich der Wirkung <strong>von</strong> antizipiertem Regret zum Ausdruck: Die<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret (Bedauern) während einer Kaufentscheidung kann zu deren<br />
Aufschub oder Verzicht führen. Anschließend wird auf Basis der Regret-Theorie<br />
aufgezeigt, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> die Entstehung antizipierten Regrets fördern<br />
kann. Hierzu werden zunächst die theoretischen Grundlagen zur Entstehung und<br />
Wirkung <strong>von</strong> Regret knapp dargestellt und darauf aufbauend auf die Ursachen und<br />
158
verhaltensrelevanten Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret eingegangen. Dabei<br />
wird insbesondere der Einfluss der <strong>Produktvielfalt</strong> verdeutlicht.<br />
Die Regret-Theorie<br />
Bedauern (Regret) ist eine in Konsumsituationen sehr häufig vorkommende Emotion<br />
(vgl. Shimanoff 1984, S. 514), die durch eine vom Entscheider wahrgenommene<br />
„(...) difference in value between the assets actually received and the highest level of<br />
assets produced by other alternatives“ (Bell 1982, S. 963) hervorgerufen wird. Regret<br />
entsteht in Konsumsituationen folglich dann, wenn ein Konsument die <strong>von</strong> ihm<br />
gewählte Alternative mit den anderen, ausgeschlagenen, vergleicht und dabei zu dem<br />
Schluss kommt, dass ein anderes Produkt die bessere Wahl gewesen wäre.<br />
Voraussetzung für das Empfinden <strong>von</strong> Bedauern wäre demnach ein Feed-back über<br />
die Performance der abgelehnten Alternativen. In Untersuchungen (vgl. z. B. Bell<br />
1983, S. 1156; Larrick/Boles 1995, S. 95) wurde aber gezeigt, dass Individuen auch<br />
Entscheidungen bedauern, bei denen die Ergebnisse der nicht gewählten Optionen<br />
unbekannt sind; Konsumenten also kein Feed-back zur Performance der nicht<br />
gewählten Alternativen bekommen.<br />
Zeelenberg (1996) berücksichtigt dies in seiner umfassenden Regret-Definition, die<br />
den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt wird. Er definiert Bedauern als „(...) a<br />
negative, cognitively determined emotion that we experience when realizing or<br />
imagining that our present situation would have been better, had we acted differently“<br />
(S. 6). Hierin kommt neben der negativen Valenz der Empfindung <strong>von</strong> Bedauern auch<br />
dessen kognitiver Ursprung zum Ausdruck. Die gedanklichen Prozesse beinhalten<br />
dabei einerseits den Ergebnisvergleich der gewählten Alternative mit den<br />
ausgeschlagenen Optionen und andererseits die geistige Aufbereitung des<br />
Entscheidungsprozesses (vgl. Seilheimer 2001, S. 4).<br />
Die zentrale These der Regret-Theorie ist, dass der vom Konsumenten empfundene<br />
Gesamtnutzen einer Entscheidung nicht nur vom Nutzen des gewählten Produkts,<br />
sondern auch <strong>von</strong> der nachträglichen realen oder imaginären Beurteilung der<br />
zurückgewiesenen Alternativen abhängt.<br />
159
Dies gilt sowohl im positiven als auch im negativen Sinne:<br />
• Schneidet beim Vergleich das gewählte Produkt positiv ab, ist sich der<br />
Entscheider also sicher, das beste Produkt aus den verfügbaren gewählt zu<br />
haben, so empfindet er Freude (Rejoicing) über den Kauf.<br />
• Ergibt der Vergleich aber, dass eine andere Option die bessere Wahl gewesen<br />
wäre, so entsteht Bedauern (Regret) (vgl. Loomes/Sugden 1987, S. 119).<br />
<strong>Der</strong> Gesamtnutzen der gewählten Alternative wird entsprechend nachträglich erhöht<br />
oder reduziert, wenn der Konsument aufgrund des Vergleichs Rejoicing bzw. Regret<br />
empfindet. <strong>Der</strong> Einfluss der zurückgewiesenen Alternativen auf den Gesamtnutzen der<br />
Entscheidung stellt den wesentlichen Unterschied der Regret-Theorie zur<br />
Erwartungsnutzen-Theorie dar, die da<strong>von</strong> ausgeht, dass der Gesamtnutzen der<br />
Entscheidung unabhängig <strong>von</strong> den nicht gewählten Optionen ist (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 226).<br />
Hinsichtlich der Folgen des Regret bzw. Rejoicing ist entscheidend, dass Menschen<br />
das Bedauern einer schlechten Wahl als schlimmer empfinden, als die Freude über<br />
eine gute Wahl (vgl. Zeelenberg/van Dijk 1997, S. 684; Mellers/Schwartz/Ritov 1999,<br />
S. 338). Dieses Phänomen ist aus der Prospect-Theorie bekannt (vgl. Kahneman/<br />
Tversky 1979, S. 277ff.) und wird dort als Verlustaversion (Loss Aversion)<br />
bezeichnet: „Loss aversion refers to the human tendency to weight outcomes viewed<br />
as loss from an arbitrary reference point more heavily than equivalent gains“<br />
(Anderson 2003, S. 151). Analog hierzu wird die Abneigung gegenüber dem Regret<br />
als Regret-Aversion bezeichnet (vgl. Anderson 2003, S. 151). In der grafischen<br />
Darstellung der Regret-Funktion (siehe Abbildung 37) wird dies aus dem steileren<br />
Verlauf des Graphen im negativen Bereich der x-Achse deutlich. Erkennbar ist hieraus<br />
außerdem, dass der Nutzen der gewählten Alternative den Referenzpunkt der<br />
Regret-Funktion bildet und – im Gegensatz zur Prospect-Theorie – das Bedauern bzw.<br />
die Freude überproportional zur Abweichung der gewählten Alternative <strong>von</strong> diesem<br />
wächst (vgl. Sugden 1992, S. 172; Seilheimer 2001, S. 13).<br />
160
Freude<br />
(Rejoicing)<br />
Gewählte Alternative<br />
(Referenzpunkt)<br />
R (x 2<br />
)<br />
R (x 1<br />
)<br />
-x 2<br />
-x 1<br />
x 1 x 2<br />
R (-x 1<br />
)<br />
Abweichung der gewählten<br />
Alternative zur<br />
ausgeschlagenen Option<br />
R (-x 2<br />
)<br />
Bedauern<br />
(Regret)<br />
Abbildung 37: Idealtypischer Verlauf der Regret-Funktion. In Anlehnung an Seilheimer 2001, S. 14<br />
Obiger Darstellung liegt die entscheidungstheoretisch geprägte Annahme der<br />
Regret-Theorie zugrunde, dass allein die Differenz des Nutzens der gewählten und der<br />
ausgeschlagenen Alternativen die Ursache für Bedauern bzw. Freude sind. Dadurch<br />
kann aber die Entstehung, die Höhe und die Wirkung des Regrets nicht adäquat erklärt<br />
werden (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 226). Vielmehr spielen die Art der<br />
Entscheidungsfindung und die Charakteristika des Entscheidungsproblems<br />
hierbei eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Kahneman/Tversky 1982, S. 201ff.). Auf diese<br />
für den Zusammenhang mit der <strong>Produktvielfalt</strong> wichtigen Antezedenzien des Regrets<br />
wird nachfolgend näher eingegangen. Hierbei wird der Argumentation <strong>von</strong> Herrmann,<br />
Huber und Seilheimer folgend, insbesondere auf die Theorie des Counterfactual<br />
Thinking eingegangen (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 226).<br />
161
Antezedenzien des Regret<br />
Die Theorie des Counterfactual Thinking<br />
Roese (2000) definiert Counterfactual Thinking wie folgt: „Counterfactual thinking<br />
refers to imaginings of alternatives to past outcomes. These thoughts of what might<br />
have been often take the form of a conditional proposition, as in ¸If only I had bought<br />
a Ford instead of a Chrysler, I would have saved a lot of money’ ” (Roese 2000,<br />
S. 277). Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff Counterfactual „gegensätzlich zu den<br />
Fakten“. Als Counterfactuals werden folglich Gedanken bezeichnet, die durch<br />
mentale Simulation alternative hypothetische Szenarien zu realen zurückliegenden<br />
Ereignissen schaffen (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 403).<br />
Wie bereits oben erwähnt, können Menschen auch dann Bedauern bzw. Freude<br />
empfinden, wenn sie keine Informationen hinsichtlich der Ergebnisse zurückgewiesener<br />
Alternativen haben. Erklärt werden kann dies durch die Theorie des<br />
Counterfactual Thinking: „People undertake counterfactuals in an attempt to provide<br />
a comparison standard to reality“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 403). Hat ein Individuum<br />
nach einer Entscheidung nur Informationen über die Performance der gewählten<br />
Option, kann es sich durch die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals „künstliche“<br />
Vergleichspunkte schaffen, mit denen es die gewählte Alternative vergleicht. Diese<br />
können besser (Upward Counterfactuals) oder schlechter (Downward<br />
Counterfactuals) als das tatsächlich ausgesuchte Produkt sein und dementsprechend zu<br />
Regret oder Rejoicing führen. Für die Art der empfundenen Emotion (Regret oder<br />
Rejoicing) ist demzufolge die Richtung der generierten Counterfactuals<br />
verantwortlich. Die <strong>St</strong>ärke der emotionalen Reaktion wird durch die Anzahl der<br />
Counterfactuals bestimmt (vgl. Zeelenberg et al. 1998, S. 118; Tsiros/Mittal 2000,<br />
S. 405).<br />
Die Motivation und Fähigkeit, Counterfactuals zu erzeugen, hängt vom Risiko und<br />
der empfundenen Verantwortung, sowie <strong>von</strong> situationsspezifischen Eigenschaften<br />
der Entscheidung, wie der Umkehrbarkeit und Valenz des Ergebnisses ab. Ebenso ist<br />
entscheidend, ob mit der Wahl der Alternative eine Veränderung des <strong>St</strong>atus quo<br />
einhergegangen ist (vgl. z. B. Tsiros/Mittal 2000, S. 404ff.; Gilovich/Medvec 1994,<br />
S. 359). Entsteht ein Zustand durch die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo, so führt dies zu<br />
stärkeren kognitiven und emotionalen Reaktionen und damit zu mehr Counterfactuals,<br />
als wenn derselbe Zustand durch die Beibehaltung des bisherigen <strong>St</strong>atus erreicht<br />
162
würde(vgl. Kahneman 1985; Kahneman/Tversky 1982; Landman 1987). Erklärt<br />
werden kann dies nach Tsiros und Mittal (2000) auf Basis der Informationsverarbeitungs-<br />
und der Attributionstheorie:<br />
Aus der Perspektive der Informationsverarbeitung wird die Veränderung des<br />
<strong>St</strong>atus quo vom Konsumenten deutlicher wahrgenommen und dadurch besser erinnert<br />
als der Verbleib beim derzeitigen Zustand. Es ist ferner leichter, sich die<br />
Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vorzustellen, als dessen Veränderung<br />
(vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 404). <strong>Der</strong> Argumentation der Attributionstheorien<br />
folgend „(...) (may) people attribute a stronger link between their decision to change<br />
the <strong>St</strong>atus quo and their attitudes and beliefs than their decision to retain the<br />
<strong>St</strong>atus quo and their attitudes and beliefs“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 404). Ursache<br />
hierfür ist, dass ein Konsument eine Aktion, sprich die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo,<br />
auf sich attribuiert und sich deshalb für die Entscheidung verantwortlich fühlt (interner<br />
Lokus). Untätigkeit hingegen (beibehalten des <strong>St</strong>atus quo) lässt sich leichter extern<br />
attribuieren (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 229). Die affektive und<br />
kognitive Reaktion und damit auch die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals ist stärker,<br />
wenn sich der Konsument selbst für die Entscheidung verantwortlich fühlt und diese<br />
folglich auf sich attribuiert (vgl. Weiner 1982, S. 185ff.; Folkes 1988, S. 557). Es<br />
besteht daher ein enger Zusammenhang <strong>von</strong> Verantwortung und Regret: „A sense of<br />
personal responsibility is central to the experience of regret“ (Gilovich/Medvec 1994,<br />
S. 359; vgl. auch Simonson 1992, Zeelenberg/van Dijk/Manstead 1998).<br />
Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo die<br />
Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals und die Entstehung <strong>von</strong> Regret bzw. Rejoicing<br />
begünstigt. Dies ist in dem hier betrachteten Zusammenhang <strong>von</strong> besonderem<br />
Interesse, da Kaufentscheidungen typischerweise nicht mit der Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo, sondern durch den Kauf eines neuen Produkts mit dessen Veränderung<br />
verbunden sind und daher eher zu Regret führen können (vgl. Kahneman/Miller 1986,<br />
S. 136ff.).<br />
Neben der Veränderung bzw. dem Beibehalten des <strong>St</strong>atus quo und der Verantwortung<br />
wurden oben das Risiko sowie die Umkehrbarkeit und Valenz des Ergebnisses als<br />
Einflussfaktoren auf die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals und Regret genannt.<br />
Ist die Entscheidung mit hohem finanziellen und/oder sozialem Risiko verbunden,<br />
geht es also z. B. um den Kauf eines teuren oder prestigeträchtigen Produkts, setzt sich<br />
der Konsument intensiv mit der Kaufentscheidung auseinander, indem er die<br />
Alternativen während des Entscheidungsprozesses gründlich miteinander vergleicht.<br />
163
Hierzu versucht er auch die Zukunft mental zu simulieren, indem er Counterfactuals –<br />
bzw. korrekter – Prefactuals (siehe S. 168ff.) generiert (vgl. Tsiros/Mittal 2000,<br />
S. 403). Bleibt das Ergebnis der Kaufentscheidung hinter den Erwartungen zurück,<br />
versucht der Käufer mit Nachdruck hierfür eine Erklärung zu finden, indem er<br />
Counterfactuals produziert (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 229; Gleicher et<br />
al. 1990, S. 293). Je höher somit das vom Konsumenten empfundene Risiko einer<br />
Entscheidung, desto wahrscheinlicher ist die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals. Bei der<br />
hier betrachteten Art der „echten“ Kaufentscheidungen (siehe S. 37ff.), die mit einem<br />
gewissen finanziellen Risiko verbunden sind, ist die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals<br />
deshalb wahrscheinlich.<br />
Ist eine Entscheidung umkehrbar, verhält sich der Konsument eher passiv und ist<br />
nicht motiviert, kognitiven Aufwand in die mentale Simulation alternativer Szenarien<br />
zu investieren (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 404). Ist das Ergebnis einer Entscheidung<br />
hingegen nicht umkehrbar, ist die Entscheidung mit größerem Risiko verbunden, was<br />
wiederum die Entstehung <strong>von</strong> Counterfactuals und Regret begünstigt (s.o.).<br />
Die Valenz einer Entscheidung wirkt sich dahingehend auf die Generierung <strong>von</strong><br />
Counterfactuals aus, dass „negative outcomes stimulate more counterfactual thinking<br />
than positive outcomes“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 405). Ein Grund für dieses<br />
asymmetrische Verhalten ist, dass sich Individuen bemühen, einen positiven Zustand<br />
zu erhalten, wohingegen sie versuchen, einen negativen Zustand zu verbessern (vgl.<br />
Isen/Geva 1987). Folglich sind Konsumenten, die das Ergebnis einer Entscheidung<br />
positiv beurteilen, kaum motiviert, alternative Szenarien in Form <strong>von</strong> Counterfactuals<br />
zu generieren. Ist das Entscheidungsergebnis hingegen schlechter als erwartet,<br />
versucht der Entscheider durch mentale Simulation eine geeignete Alternative zu<br />
finden, um in Zukunft bessere Entscheidungen treffen zu können (vgl. Tsiros/Mittal<br />
2000, S. 405).<br />
164
Zusammenfassend wird die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals und die damit<br />
verbundene Entstehung <strong>von</strong> Regret oder Rejoicing im Wesentlichen <strong>von</strong><br />
• der Valenz und Umkehrbarkeit des Ergebnisses sowie<br />
• dem Risiko und der<br />
• empfundenen Verantwortung bei der Entscheidung beeinflusst.<br />
• Des Weiteren entstehen Counterfactuals ceteris paribus insbesondere dann,<br />
wenn die Entscheidung mit einer Veränderung des derzeitigen Zustands, des<br />
<strong>St</strong>atus quo verbunden ist. Dieser Aspekt ist für den hier betrachteten Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> besonderer Relevanz und wird in einem späteren Abschnitt zum<br />
antizipierten Regret noch vertieft (siehe S. 173f.).<br />
<strong>Der</strong> Einfluss der Vielfalt in der Entscheidungssituation auf die Entstehung <strong>von</strong><br />
Regret<br />
Im letzten Abschnitt wurden die in der Literatur als wesentlich erachteten<br />
Antezedenzien <strong>von</strong> Regret beschrieben. Für die Fragestellung dieser Arbeit interessiert<br />
insbesondere, welchen Einfluss die <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation auf<br />
die Entstehung <strong>von</strong> Regret hat. Zentrale Annahme ist hierbei, dass höhere Vielfalt zu<br />
mehr Regret führt. Diese Hypothese stützt sich im Wesentlichen auf drei<br />
Argumentationsstränge:<br />
Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> in der Entscheidungssituation führt erstens dazu, dass dem<br />
Konsumenten die hohe Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung, sowie deren<br />
Folgen besonders deutlich werden (vgl. Amir o.J., S. 5). Zurückzuführen ist dies<br />
darauf, dass die Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals durch die vielen Alternativen<br />
wahrscheinlicher und leichter ist und in Folge dessen das Bewusstsein (Awareness) für<br />
das Fehlentscheidungsrisiko steigt (vgl. Kahneman/Tversky 1982; Amir o.J., S. 4f.).<br />
Dadurch wird die mentale Simulation alternativer Szenarien nochmals verstärkt (siehe<br />
hierzu die Ausführungen zum wahrgenommenen Risiko). Insgesamt fördert diese<br />
verstärkte Generierung <strong>von</strong> Counterfactuals die Entstehung <strong>von</strong> Regret oder Rejoicing<br />
(vgl. Simonson 1992; Gilovich/Medvec 1995; Bell 1985; Gul 1991; Tsiros/Mittal 2000).<br />
Als zweites Argument kann angeführt werden „(...) that as consumers perceive more<br />
variety, they may set their expectations, and thus their goals too high“ (Desmeules<br />
2002, S. 10; Hervorhebung nicht im Original). Wenn der Konsument anschließend das<br />
Ergebnis des Kaufs mit diesen zu hohen Erwartungen vergleicht, fällt die Beurteilung<br />
165
der eigenen Entscheidung meist negativ aus. Da „negative outcomes stimulate more<br />
counterfactual thinking than positive outcomes“ (Tsiros/Mittal 2000, S. 405) kann<br />
angenommen werden, dass durch (zu) hohe <strong>Produktvielfalt</strong> Regret entstehen kann.<br />
Schließlich haben drittens Untersuchungen gezeigt, dass „choice-makers in<br />
extensive-choice contexts might feel more responsible for their choices given the<br />
potential opportunity of finding the very best option (…)“ (Sethi-Iyengar/Lepper 2000,<br />
S. 999; Hervorhebung nicht im Original). Wie oben gezeigt wurde, generiert der<br />
Konsument mehr Counterfactuals und schafft damit die Voraussetzung für die<br />
Entstehung <strong>von</strong> Regret, wenn er sich für eine Entscheidung verantwortlich fühlt (siehe<br />
S. 163f.).<br />
Insgesamt lässt sich damit vermuten, dass die Entstehung <strong>von</strong> Regret wahrscheinlicher<br />
ist, wenn ein Konsument aus einem großen Sortiment wählt. Verglichen damit sollte<br />
die Wahl aus einer moderaten Anzahl an Alternativen zu weniger Bedauern führen.<br />
Konsequenzen des Regret<br />
Regret steht in engem Zusammenhang mit der Zufriedenheit und wird in der Literatur<br />
als deren Antezedenz bezeichnet (vgl. Oliver 1997; Inman et al. 1997). So konnten<br />
z. B. Tsiros und Mittal (2000) zeigen, dass ein höheres Maß an Regret zu einer<br />
signifikanten Reduktion der Zufriedenheit führt (siehe auch Abbildung 38). Dies ist<br />
dadurch zu erklären, dass Konsumenten bei der Herausbildung eines Zufriedenheitsurteils<br />
die Performance des gewählten Produkts einerseits mit ihren Erwartungen<br />
vergleichen, andererseits aber auch die zurückgewiesenen Alternativen als<br />
Vergleichsmaßstab verwenden (vgl. Herrmann/Huber/Wricke 1999, S. 677ff.; Taylor<br />
1997, S. 229ff.). Entspricht das gewählte Produkt hierbei zwar den Erwartungen des<br />
Konsumenten, hätte eine andere Alternative diese aber deutlich übertroffen, so ist<br />
da<strong>von</strong> auszugehen, dass der Konsument mit seinem Kauf unzufrieden ist (vgl.<br />
Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 230f.). Zusammenfassend ist also <strong>von</strong> einem<br />
negativen Zusammenhang <strong>von</strong> Regret und Zufriedenheit auszugehen (vgl.<br />
Tsiros/Mittal 2000, S. 408).<br />
Regret beeinflusst neben der Zufriedenheit auch die Loyalität bzw. die<br />
Wiederkaufsabsicht des Konsumenten. Da zwischen Zufriedenheit und dem<br />
Wiederkaufverhalten ein positiver Zusammenhang besteht (vgl. Oliver 1980; Fornell<br />
1992, S. 14, Anderson/Sullivan 1993; S. 141), reduziert Regret indirekt über die<br />
Zufriedenheit die Wiederkaufabsicht (vgl. Herrmann/Huber/Seilheimer 2003, S. 213;<br />
166
Tsiros/Mittal 2000, S. 405). Regret kann sich aber auch direkt auf die Wiederkaufsintention<br />
auswirken: Ist ein Kunde mit dem <strong>von</strong> ihm gewählten Produkt zwar<br />
zufrieden, stellt er mittels realem oder imaginärem Vergleich (Counterfactuals) im<br />
Nachhinein aber fest, dass die Wahl eines anderen Produkts zu einem besseren<br />
Ergebnis geführt hätte, so ist es wahrscheinlich, dass er bei der nächsten<br />
Kaufgelegenheit zu diesem anderen Produkt wechselt. Er verhält sich also illoyal,<br />
obwohl er mit dem Kauf zufrieden ist (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 408). Ein höheres<br />
Maß an Regret reduziert damit die Wiederkaufsabsicht sowohl direkt als auch indirekt<br />
über eine geminderte Zufriedenheit. Tsiros und Mittal (2000) konnten in ihren<br />
Experimenten diese Zusammenhänge empirisch zeigen (S. 408). Ihre Untersuchungsergebnisse<br />
sind in Abbildung 38 in Form eines Pfaddiagramms dargestellt.<br />
Regret 1 Regret 2 Regret 3<br />
0,88* 0,84* 0,79*<br />
- 0,38*<br />
Regret<br />
Satisfaction<br />
0,09 NS<br />
0,43*<br />
-0,33*<br />
-0,41 *<br />
Repurchase<br />
Complaint<br />
0,97* 0,94* 0,89*<br />
Satisfaction 1 Satisfaction 2 Satisfaction 3<br />
*: p < 0,05; NS: nicht signifikant<br />
Abbildung 38: Die Auswirkungen <strong>von</strong> Regret auf die Zufriedenheit und die Wiederkaufsabsicht. In<br />
Anlehnung an Tsiros/Mittal 2000, S. 408<br />
Die bisherigen Ausführungen zum Regret haben Einflussgrößen und Konsequenzen<br />
<strong>von</strong> Regret verdeutlicht und den Bezug zur <strong>Produktvielfalt</strong> hergestellt. Diese durch<br />
Counterfactuals hervorgerufenen Emotionen sind aber nicht direkt entscheidungsrelevant,<br />
da sie erst nach der Kaufentscheidung entstehen und das Wohlbefinden, wie<br />
z. B. die Zufriedenheit des Konsumenten beeinflussen (vgl. Seilheimer 2001, S. 67).<br />
Die Regret-Aversion wirkt sich aber auch auf das Kaufverhalten aus „(...) because<br />
the possibility of regret is anticipated (by consumers, d. V.), and subsequently taken<br />
into account when making decisions“ (Zeelenberg 1999, S. 101). Konsumenten<br />
können Regret bzw. Rejoicing folglich antizipieren und auf diese Weise in die<br />
167
Entscheidung einbeziehen (vgl. Mellers/Schwartz/Ritov 1999, S. 333). Hierauf geht<br />
der nächste Abschnitt genauer ein.<br />
Antizipiertes Regret<br />
Counterfactuals spielen, wie oben gezeigt wurde, bei der Entstehung <strong>von</strong> Regret eine<br />
wichtige Rolle, da sie durch mentale Simulation Alternativen zu zurückliegendem<br />
Entscheidungsverhalten erzeugen können, d. h. der Konsument stellt sich vor, wie er<br />
sich in der Gegenwart (nach dem Kauf) fühlen würde, wenn er sich für ein anderes<br />
Produkt entschieden hätte. Konsumenten verhalten sich während einer<br />
Kaufentscheidung analog hierzu und „(...) imagine the costs and benefits of one world<br />
in which the product is purchased and the costs and benefits of another world in which<br />
the product is not purchased“ (McConnel/Niedermeier/Leibold/El-Alayli/Chin 2000,<br />
S. 282). Da sich diese mentalen Simulationen auf zukünftige Ereignisse beziehen,<br />
werden sie als Prefactuals(wörtlich übersetzt „vor den Fakten“) bezeichnet (vgl.<br />
McConnel et al. 2000, S. 282).<br />
Mit Hilfe <strong>von</strong> Prefactuals stellen sich Konsumenten während der Kaufentscheidung in<br />
alternativen Szenarien den Erfüllungsgrad ihrer Bedürfnisse und ihre daraus<br />
resultierenden affektiven Reaktionen mit den in Frage kommenden Produkten vor (vgl.<br />
Dunning/Madey 1995, S. 124ff.) und beziehen diese antizipierten Emotionen in den<br />
Kaufprozess ein (vgl. Mellers/Schwartz/Ritov 1999, S. 337; Loomes/Sugden 1982,<br />
S. 820). Begründet werden kann dieses Verhalten durch die Choice Certainty Theory<br />
(Mills 1968), wonach sich Konsumenten sicher sein wollen, die beste Alternative zu<br />
wählen und deshalb versuchen, durch mentale Simulation der Zukunft ihre<br />
Entscheidungssicherheit zu erhöhen (vgl. Brownstein 2003, S. 549).<br />
Die Prefactuals sind dabei typischerweise nach oben gerichtet (Upward Prefactuals),<br />
wodurch diese die „(...)anxiety during and after a purchase“ erhöhen (McConnel et<br />
al. 2000, S. 287): Nach oben gerichtete Prefectuals führen zu einem schlechten<br />
Abschneiden der jeweils aktuell betrachteten Optionen, da diese immer mit einer noch<br />
besseren imaginären Alternative verglichen werden und verursachen dadurch die<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret (vgl. Miller/Taylor 1995, S. 314; McConnel et al. 2000,<br />
S. 284ff.).<br />
168
Einfluss <strong>von</strong> Anzahl und Art der Produktauswahl auf die Generierung <strong>von</strong><br />
Prefectuals und die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
Janis und Mann (1977) haben das Vorhandensein <strong>von</strong> mehr als einer attraktiven<br />
Alternative als einen wesentlichen Einflussfaktor auf die Entstehung und die <strong>St</strong>ärke<br />
<strong>von</strong> antizipiertem Regret bezeichnet (vgl. Brownstein 2003, S. 548). Analog zu dem<br />
bereits aufgezeigten Einfluss der <strong>Produktvielfalt</strong> auf die Entstehung <strong>von</strong> Regret (siehe<br />
S. 165f.) kann dies dadurch erklärt werden, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> die Generierung<br />
<strong>von</strong> Prefactuals erleichtert und dadurch die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
fördert (vgl. Miller/Taylor 1995, S. 314). Die verstärkte Generierung <strong>von</strong> Prefactuals<br />
durch hohe <strong>Produktvielfalt</strong> lässt sich unter Rückgriff auf die oben angeführten<br />
Argumente wie folgt begründen:<br />
Hohe <strong>Produktvielfalt</strong> macht die Entstehung <strong>von</strong> Prefactuals leichter und<br />
wahrscheinlicher, da dem Konsumenten viele Optionen zur Simulation alternativer<br />
Szenarien zur Verfügung stehen (vgl. Amir o.J., S. 5). Dadurch wird dem Individuum<br />
die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung bewusst, was die Generierung <strong>von</strong><br />
Prefactuals nochmals verstärkt (vgl. Kahneman/Tversky 1982; Miller/Taylor 1995,<br />
S. 314ff.). Diese Prefactuals sind dabei vornehmlich aufwärts gerichtet, da der<br />
Konsument aufgrund der Vielzahl an Alternativen sehr hohe Erwartungen an das<br />
Ergebnis der Entscheidung hat (vgl. Desmeules 2002, S. 10). Vergleicht der<br />
Konsument in mentalen Simulationen die Wahl alternativer Produkte mit diesem<br />
hohen Referenzpunkt, führt dies tendenziell zu einer negativen Beurteilung der<br />
einzelnen Optionen und somit zur Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret. Interessant ist<br />
hierbei vor allem die gegenseitig verstärkende Wirkung dieser Einzeleffekte in einer<br />
Art emotionaler Abwärtsspirale, die insgesamt zu einer vermehrten Generierung <strong>von</strong><br />
Prefactuals führt: Große Auswahl erhöht, wie oben beschrieben, das wahrgenommene<br />
Risiko und führt zu überhöhten Erwartungen und dadurch zu einer negativen<br />
Beurteilung der Alternativen. Dadurch entstehen auf der Basis mentaler Simulation<br />
(Prefactuals) negative Ergebnisse, die wiederum die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals<br />
stimulieren (vgl. Tsiros/Mittal 2000, S. 405). Es entstehen somit einander gegenseitig<br />
verstärkende Effekte.<br />
Die Möglichkeit, aufgrund der großen Auswahl eine optimale Entscheidung zu treffen<br />
führt außerdem dazu, dass Konsumenten eine größere Verantwortung für die<br />
Entscheidung empfinden (vgl. Shety-Iyengar/Lepper 2000, S. 999). Wie bereits<br />
erwähnt (vgl. S. 163f.), steht diese in engem Zusammenhang mit der Entstehung und<br />
169
der <strong>St</strong>ärke <strong>von</strong> Regret (Gilovich/Medvec 1994, S. 359; Simonson 1992,<br />
Zeelenberg/van Dijk/Manstead 1998).<br />
Auf Basis dieser Argumente kann vermutet werden, dass hohe <strong>Produktvielfalt</strong> zur<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret führen kann. In der Literatur können aber auch Hinweise<br />
dafür gefunden werden, dass zu geringe <strong>Produktvielfalt</strong> ebenfalls zu antizipiertem<br />
Regret führt. So kann der Aufschub einer Kaufentscheidung daher kommen, dass der<br />
Konsument hofft, in einer späteren Entscheidungssituation bessere Alternativen zur<br />
Wahl zu haben (vgl. Simonson 1992; Anderson 2003, S. 151). Erwartet er<br />
beispielsweise in einem anderen Geschäft eine bessere Auswahl vorzufinden, würde er<br />
den sofortigen Kauf später eventuell bereuen.<br />
Die Antizipation des Bedauerns kann somit dazu führen, dass ein Konsument seine<br />
Entscheidung verschiebt und weitere Geschäfte aufsucht. Dieses Argument wird auch<br />
<strong>von</strong> Untersuchungen gestützt, die gezeigt haben, dass die Antizipation <strong>von</strong> Regret<br />
steigt, wenn der Entscheider ein Feed-back hinsichtlich seiner Entscheidungsqualität<br />
erwartet (vgl. Zeelenberg 1998, S. 97ff.; Inman/Dyer/Jia 1997; Ritov/Baron 1995;<br />
Taylor 1997). Sucht ein Käufer nach der Entscheidung ein weiteres Geschäft auf, kann<br />
er die dort vorhandenen Alternativen mit dem <strong>von</strong> ihm gewählten Produkt vergleichen<br />
und erhält somit ein Feed-back für seine Entscheidung. Erwartet ein Konsument, bei<br />
einem anderen Händler eine größere Auswahl vorzufinden, die ihm eine bessere<br />
Entscheidung ermöglicht, so kann dies zur Antizipation <strong>von</strong> Regret führen und der<br />
Konsument verschiebt die Entscheidung aufgrund zu geringer bzw. zu unattraktiver<br />
Auswahl (vgl. Anderson 2003, S. 152).<br />
Da sowohl zu geringe als auch zu hohe <strong>Produktvielfalt</strong> die Generierung <strong>von</strong><br />
Prefactuals und antizipiertem Regret fördert, liegt die Vermutung eines u-förmigen<br />
Zusammenhangs <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem Regret nahe. Da im Zentrum<br />
dieser Arbeit die Wirkung hoher <strong>Produktvielfalt</strong> steht, spielt hier die Entstehung <strong>von</strong><br />
Regret bei zu geringer Vielfalt keine Rolle.<br />
Neben der Größe des Sortiments beeinflusst auch deren Zusammensetzung die<br />
Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret. So argumentiert Zeelenberg (1998), dass<br />
antizipiertes Regret insbesondere dann auftritt, wenn „the most preferred alternative is<br />
not necessarily superior to another“ (S. 102). In diesem Fall kann der Konsument die<br />
Entscheidung nur schwer treffen und muss sich geistig intensiv mit dieser auseinander<br />
setzen, was die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals begünstigt. Die Entscheidungsschwierigkeit<br />
resultiert dabei aus der Zusammensetzung des Choice Sets und den<br />
Eigenschaften der Alternativen. Demnach antizipiert der Konsument insbesondere<br />
170
dann Regret, wenn Alternativen in etwa gleich attraktiv sind (z. B. hinsichtlich ihres<br />
erwarteten Nutzens) oder die Entscheidung einen Kompromiss (Trade-off) hinsichtlich<br />
wichtiger Attribute erforderlich macht (vgl. Zeelenberg 1998, S. 102). Im letzten Fall<br />
ist die Entscheidunge schwerer, was die Generierung <strong>von</strong> Prefactuals wahrscheinlicher<br />
macht (vgl. Zeelenberg 1998, S. 102).<br />
Zusammenfassend können somit große Sortimente, die aus vielen attraktiven<br />
Produkten mit jeweils unterschiedlichen Vor- und Nachteilen bestehen und deshalb<br />
einen Kompromiss bei der Entscheidung erfordern, die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem<br />
Regret begünstigen.<br />
Konsequenzen <strong>von</strong> antizipiertem Regret<br />
Aufgrund ihrer Regret-Aversion (siehe Abbildung 37, S. 161) versuchen Konsumenten<br />
eine Lösung des Entscheidungsproblems zu finden, die das antizipierte Regret<br />
minimiert (vgl. Anderson 2003, S. 148). Voraussetzung für einen systematischen<br />
Einfluss des antizipierten Regrets auf die Kaufentscheidung ist dabei, dass sich die<br />
Entscheidungsalternativen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und/oder Intensität der<br />
Generierung <strong>von</strong> Prefactuals und antizipiertem Regret unterscheiden und der<br />
Konsument durch seine Wahl die Höhe des antizipierten Regrets reduzieren kann (vgl.<br />
Simonson 1992, S. 117). Neben den Produktalternativen des Sortiments stehen dem<br />
Konsumenten in einer Kaufsituation verschiedene alternative Entscheidungsausgänge<br />
zur Wahl, wodurch er die Regret-<strong>St</strong>ärke reduzieren kann:<br />
Eine Möglichkeit hierfür ist der Verzicht auf die Entscheidung: „Whenever choice<br />
can induce regret consumers have an incentive to eliminate the choice“ (Thaler 1980,<br />
S. 52). Antizipation <strong>von</strong> Regret kann somit zur Entscheidungsaversion führen (vgl.<br />
Beattie/Baron/Hersehy 1994, S. 132). Anderson (2003, S. 138) unterscheidet drei<br />
Formen, wie eine Entscheidung vermieden werden kann: <strong>St</strong>atus quo, Omission und<br />
Deferral.<br />
Wie bereits oben erläutert wurde (vgl. S. 162), führt die Veränderung des <strong>St</strong>atus quo<br />
zu intensiveren kognitiven und emotionalen Reaktionen und begünstigt dadurch die<br />
Generierung <strong>von</strong> Prefactuals und somit die Entstehung <strong>von</strong> antizipiertem Regret (vgl.<br />
Kahneman 1995; Kahneman/Tversky 1982; Landman 1987). Die Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo stellt somit eine Regret reduzierende Option dar (vgl. Tsiros/Mittal 2000;<br />
Redelmeier/Shafir 1995). Als weiteres Argument mit direktem Bezug zur<br />
<strong>Produktvielfalt</strong> kann hier angeführt werden, dass Konsumenten versuchen,<br />
171
Entscheidungen vor sich und anderen zu rechtfertigen und dies ist „usually easier for<br />
situations having few rather than many options“ (Redelmeier/Shafir 1995, S. 304). Da<br />
der <strong>St</strong>atus quo leichter zu rechtfertigen ist und dadurch die Wahrscheinlichkeit der<br />
Antizipation <strong>von</strong> Regret reduziert wird, kann erhöhte Vielfalt zur Beibehaltung des<br />
<strong>St</strong>atus quo führen (vgl. Inman/Zeelenberg 2002).<br />
Omission – das „Nichts tun“ – unterscheidet sich <strong>von</strong> der Beibehaltung des <strong>St</strong>atus quo<br />
dadurch, dass letzteres bewusst gewählt wird, wohingegen bei einer Omission der<br />
Konsument sich weder für noch gegen eine Alternative entscheidet und „einfach“<br />
nicht handelt. <strong>Der</strong> so genannte Action Effect, der auch als Exaggeration Effect oder<br />
Emotional Amplification bezeichnet wird (Kahneman/Miller 1986, Zeelenberg et al.<br />
2002), besagt, dass „(...) actions (...) provoke more counterfactual thinking than<br />
inactions“ (Mellers/Schwartz/Ritov 1999, S. 341). Durch das „Nichts tun“ kann<br />
folglich die Höhe des antizipierten Regrets reduziert werden (vgl. Ritov/Baron 1990;<br />
1995, 1999; Baron Ritov 1994, Spranca et al. 1991).<br />
„A situation in which an individual chooses not to choose for the time being is a<br />
choice deferral“ (Anderson 2003, S. 144). Konsumenten verschieben Entscheidungen<br />
(Deferral) und vermeiden oder reduzieren dadurch die Regret-Antizipation, wenn sie<br />
auf neue Informationen hoffen, die die Entscheidung erleichtern (vgl. Zeelenberg<br />
1999a, S. 329; Cooke/Meyvis/Schwartz 2001). Ein anderer Grund für dieses Verhalten<br />
kann auch sein, dass der Konsument hofft, in einer späteren Entscheidungssituation<br />
bessere Alternativen zur Wahl zu haben (vgl. Simonson 1992; Anderson 2003,<br />
S. 151). Erwartet er beispielsweise in einem anderen Geschäft ein besseres Sortiment<br />
vorzufinden, würde er den sofortigen Kauf später vielleicht bereuen. Er verschiebt<br />
daher die Entscheidung und sucht weitere Geschäfte auf. Dieses Argument<br />
verdeutlicht, dass Regret auch dann entstehen kann, wenn sehr wenige Alternativen im<br />
Sortiment vorhanden sind. Es kann daher, wie schon erwähnt, ein u-förmiger<br />
Zusammenhang <strong>von</strong> <strong>Produktvielfalt</strong> und antizipiertem Regret vermutet werden.<br />
Die aufgeführten drei Optionen zur Regret-Vermeidung haben gemeinsam, dass der<br />
Konsument die explizite Entscheidung vermeidet, indem er letztlich nicht kauft.<br />
Simonson (1992) weißt darauf hin, dass die Wahl einer „Default Option“ – einer<br />
vorgegebenen Alternative – ebenfalls eine Regret reduzierende Entscheidung darstellt<br />
(vgl. Simonson 1992, S. 117). Durch die Vorgabe einer <strong>St</strong>andardalternative wie z. B.<br />
die Markierung eines Produkts als „besondere Empfehlung“ kann ein Einzelhändler<br />
folglich die Entscheidungskosten des Konsumenten reduzieren und dadurch die<br />
Wahrscheinlichkeit eines Kaufs erhöhen. Eine weitere Möglichkeit, antizipiertes<br />
172
Regret zu vermeiden, ist aus der vorherigen Erörterung der Antezedenzien des Regret<br />
abzuleiten: Die Entstehung <strong>von</strong> Regret ist wahrscheinlicher, wenn sich ein Individuum<br />
für die Entscheidung selbst verantwortlich fühlt (siehe S. 163). Um die persönliche<br />
Verantwortung zu reduzieren, kann der Ko