28.12.2013 Aufrufe

Pfalzrätliche Strafuntersuchung gegen Joseph Antoni Egger aus ...

Pfalzrätliche Strafuntersuchung gegen Joseph Antoni Egger aus ...

Pfalzrätliche Strafuntersuchung gegen Joseph Antoni Egger aus ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

«Die Wahrheit muss her<strong>aus</strong>!» – <strong>Pfalzrätliche</strong><br />

<strong>Strafuntersuchung</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong><br />

<strong>aus</strong> Tablat wegen Totschlags und<br />

Leichenschändung 1775<br />

Dissertation<br />

der Universität St. Gallen,<br />

Hochschule für Wirtschafts-, Rechtsund<br />

Sozialwissenschaften (HSG)<br />

zur Erlangung der Würde einer<br />

Doktorin der Rechtswissenschaft<br />

vorgelegt von<br />

Miriam Lendfers<br />

von<br />

Arosa (Graubünden)<br />

Genehmigt auf Antrag der Herren<br />

Prof. Dr. Lukas Gschwend<br />

und<br />

Prof. Dr. Hans Vest<br />

Dissertation Nr. 3518<br />

Dike Verlag Zürich/St. Gallen 2008


Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und<br />

Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der<br />

vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin <strong>aus</strong>gesprochenen<br />

Anschauungen Stellung zu nehmen.<br />

St. Gallen, den 23. Juni 2008<br />

Der Rektor:<br />

Prof. Ernst Mohr, PhD<br />

Die gleiche Arbeit ist erschienen als Band 4 der Schriftenreihe<br />

«Europäische Rechts- und Regionalgeschichte»,<br />

her<strong>aus</strong>gegeben von Prof. Dr. Lukas Gschwend und<br />

Prof. Dr. René Pahud de Mortanges<br />

ISBN 978-3-03751-117-6


Vorwort<br />

Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 2008 an der Universität St. Gallen (HSG)<br />

als Dissertation angenommen. Nachdem bereits während meines rechtswissenschaftlichen<br />

Studiums mein Interesse für rechtshistorische Zusammenhänge<br />

geweckt und gefördert worden war und ich im Rahmen meiner Diplomarbeit<br />

erste Erfahrungen mit der qualitativen Analyse eines frühneuzeitlichen Kriminalfalls<br />

sammeln konnte, habe ich mich an die vorliegende Studie gewagt. Das<br />

Stiftsarchiv St. Gallen geniesst international Bekanntheit und Ansehen. Dennoch<br />

lagern dort aufgrund der vorhandenen Fülle an Quellenmaterial bedeutende<br />

Mengen an Akten und Dokumenten, die auf eine Aufarbeitung warten. Die<br />

vorliegende Arbeit soll dazu einen – zugegebenermassen äusserst kleinen – Beitrag<br />

leisten.<br />

Zur Archivarbeit allgemein und zum Studium der frühneuzeitlichen Strafakten<br />

des Stiftsarchivs St. Gallen im Besonderen ermuntert und motiviert hat mich<br />

mein Doktorvater, Prof. Dr. Lukas Gschwend. Dafür und für seine stets hilfreiche<br />

und äusserst kompetente Unterstützung möchte ich mich ganz herzlich bedanken.<br />

Für die Übernahme des Koreferats und das grosse Interesse an meiner<br />

Arbeit bin ich Prof. Dr. Hans Vest dankbar.<br />

Zu dieser Arbeit mit sehr wertvoller Hilfe beigetragen hat weiter lic. phil. Lorenz<br />

Hollenstein, Stiftsarchivar. Er nahm sich immer wieder Zeit, meine vielen<br />

Fragen zu beantworten und stand mir mit Rat zur Seite. Auch sein Stellvertreter<br />

Dr. phil. Peter Erhart zeigte stets Interesse an meiner Arbeit und gab mir Anregungen.<br />

Beiden wie auch Silvia Bärlocher, Sekretärin des Stiftsarchivs, danke<br />

ich herzlich.<br />

Grosse Unterstützung erhielt ich durchgehend von meinem Partner lic. iur.<br />

Benedikt van Spyk, der mir mit vielen befruchtenden Diskussionen und kritischen<br />

Anmerkungen zur Seite stand. Dankbar bin ich auch meiner Schwester<br />

lic. rer. publ. Corina Lendfers sowie lic. iur. Manuela Studach, Rechtsanwältin,<br />

und Heidi Becker, M.A. Law, für das stets «offene Ohr», das Interesse an meiner<br />

Arbeit und die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts.<br />

St. Gallen, im Juli 2008<br />

Miriam Lendfers


Inhaltsübersicht<br />

Inhaltsübersicht<br />

Inhaltsverzeichnis .................................................................................................3<br />

Zusammenfassung/Summary................................................................................9<br />

1 Einleitung ....................................................................................................13<br />

2 Die Kulisse: Alte Landschaft ......................................................................25<br />

3 Vorgeschichte..............................................................................................51<br />

4 Strafverfahren..............................................................................................63<br />

5 Prozessrechtliche Beurteilung...................................................................103<br />

6 Materielle Beurteilung...............................................................................157<br />

7 Urteil und Strafe........................................................................................185<br />

8 Schlussbetrachtungen................................................................................211<br />

Anhang<br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

ZUSAMMENFASSUNG/SUMMARY .............................................................9<br />

1 EINLEITUNG ...........................................................................................13<br />

1.1 Einführung in die Thematik...............................................................................................13<br />

1.2 Zielsetzung ...........................................................................................................................15<br />

1.3 Methode................................................................................................................................15<br />

1.4 Aufbau..................................................................................................................................23<br />

2 DIE KULISSE: ALTE LANDSCHAFT..................................................25<br />

2.1 Entstehung und Entwicklung.............................................................................................25<br />

2.2 Die Zeit Abt Bedas...............................................................................................................28<br />

2.3 Rechtssystem........................................................................................................................30<br />

2.3.1 Gerichts- und Verwaltungswesen.....................................................................................30<br />

2.3.1.1 Grundlagen .............................................................................................................30<br />

2.3.1.2 Hohe und niedere Gerichtsbarkeit..........................................................................33<br />

2.3.1.3 Der Pfalzrat, das «höchste tribunal der gerechtigkeit»..........................................37<br />

2.3.2 Relevante Gesetzgebung ..................................................................................................43<br />

2.3.2.1 Grundlagen .............................................................................................................43<br />

2.3.2.2 Die Constitutio Criminalis Carolina.......................................................................44<br />

2.3.2.3 Landsatzung und Landmandat der Alten Landschaft..............................................47<br />

3 VORGESCHICHTE .................................................................................51<br />

3.1 Der Täter: <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong>........................................................................................51<br />

3.2 Das Opfer: Catharina Himmelberger ...............................................................................55<br />

3.3 Der Tag der Tat: Montag, 6. Februar 1775 ......................................................................56<br />

3.4 Die Zeit bis zur Gefangennahme <strong>Egger</strong>s...........................................................................57<br />

3.4.1 Erste Verdachtsmomente..................................................................................................57<br />

3.4.2 Aussprache mit dem Wirt.................................................................................................58<br />

3.4.3 Gespräch mit Schwager und Stiefvater; Gefangennahme ................................................60<br />

4 STRAFVERFAHREN ..............................................................................63<br />

4.1 Besetzung des Gerichts .......................................................................................................63<br />

4.2 Weitere am Verfahren beteiligte Beamte ..........................................................................67<br />

4.3 Untersuchungshandlungen und erste Einvernahme <strong>Egger</strong>s............................................70<br />

4.3.1 Zeugen<strong>aus</strong>sage der Näherin Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er am 13. Februar 1775.......................70<br />

4.3.2 Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> Bensegger und Bestätigung von Johannes Kunz<br />

am 14. Februar 1775.........................................................................................................70<br />

3


Inhaltsverzeichnis<br />

4.3.3 Bergung der Leiche <strong>aus</strong> dem Galgentobel am 14. Februar 1775......................................71<br />

4.3.4 Berichte des Fiskals Zollikofer vom 14. und 15. Februar 1775........................................71<br />

4.3.5 Das «visum et repertum» von Leibarzt Rogg vom 15. Februar 1775...............................72<br />

4.3.6 Stellungnahme des Chirurgen Wolff vom 15. Februar 1775............................................73<br />

4.3.7 Erste Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 15. Februar 1775 .............................................................74<br />

4.4 Weitere Untersuchungshandlungen und zweite Einvernahme <strong>Egger</strong>s..........................76<br />

4.4.1 Anzeige des Strumpfwebers Pankraz Rietmann am 16. Februar 1775............................76<br />

4.4.2 H<strong>aus</strong>durchsuchung am 16. Februar 1775 .........................................................................76<br />

4.4.3 Aussage von Jacob Himmelberger am 17. Februar 1775 und dessen förmliche<br />

Zeugeneinvernahme am 18. Februar 1775 .......................................................................77<br />

4.4.4 Zweite Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 17. Februar 1775...........................................................78<br />

4.5 Weitere Untersuchungshandlungen und dritte Einvernahme <strong>Egger</strong>s...........................81<br />

4.5.1 Öffnung des Grabs von Maria Baumann am 18. Februar 1775........................................81<br />

4.5.2 Zurückkommen auf Zeugen<strong>aus</strong>sagen vom August 1773..................................................82<br />

4.5.3 Exkurs: Das Schicksal der Elisabeth Han.........................................................................83<br />

4.5.4 Befragung des Knechts Franz <strong>Antoni</strong> Ritter am 18. Februar 1775...................................86<br />

4.5.5 Anzeige des Wirts Christian Louis am 18. Februar 1775.................................................86<br />

4.5.6 Zeugeneinvernahme von Carl Etter am 20. Februar 1775................................................87<br />

4.5.7 Dritte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 20. Februar 1775 ............................................................87<br />

4.6 Vierte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 21. Februar 1775 ...........................................................90<br />

4.7 Weitere Untersuchungshandlungen und fünfte Einvernahme <strong>Egger</strong>s ..........................92<br />

4.7.1 Zeugeneinvernahme von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern am 22. Februar 1775...............................92<br />

4.7.2 Fünfte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 22. Februar 1775 ...........................................................92<br />

4.8 Weitere Untersuchungshandlungen und letzte Einvernahme <strong>Egger</strong>s ............................95<br />

4.8.1 Zeugeneinvernahme der Ehefrau am 23. Februar 1775....................................................95<br />

4.8.2 Zeugeneinvernahme von <strong>Joseph</strong> Rüesch am 23. Februar 1775........................................97<br />

4.8.3 Sechste und letzte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 7. März 1775...............................................98<br />

4.8.4 Zeugeneinvernahme von Johannes Geser am 8. März 1775.............................................99<br />

4.9 Beratung und «Rechtsgutachten»....................................................................................101<br />

5 PROZESSRECHTLICHE BEURTEILUNG.......................................103<br />

5.1 Der Inquisitionsprozess und seine Grundlagen ..............................................................103<br />

5.1.1 Abgrenzung zum Akkusationsprozess............................................................................103<br />

5.1.2 Entstehung und Entwicklung des Inquisitionsprozesses.................................................104<br />

5.2 Zur Zweiteilung des Verfahrens ......................................................................................107<br />

5.3 Der Beweis im Inquisitionsprozess ..................................................................................108<br />

5.3.1 Der Indizienbeweis.........................................................................................................108<br />

5.3.1.1 Rechtshistorische Einordnung ..............................................................................108<br />

5.3.1.2 Indizien im Fall <strong>Egger</strong> ..........................................................................................111<br />

5.3.2 Der Zeugenbeweis..........................................................................................................114<br />

5.3.2.1 Rechtshistorische Einordnung ..............................................................................114<br />

5.3.2.2 Zeugen im Fall <strong>Egger</strong> ...........................................................................................118<br />

4


Inhaltsverzeichnis<br />

5.3.3 Der Sachverständigenbeweis..........................................................................................122<br />

5.3.3.1 Rechtshistorische Einordnung ..............................................................................122<br />

5.3.3.2 Sachverständige im Fall <strong>Egger</strong>.............................................................................126<br />

5.4 Generalinquisition.............................................................................................................129<br />

5.4.1 Erste Schritte in der Verbrechensaufklärung..................................................................129<br />

5.4.2 Vorgehen bis zu <strong>Egger</strong>s Verhaftung...............................................................................131<br />

5.5 Spezialinquisition ..............................................................................................................134<br />

5.5.1 Entwicklung und Stellenwert der Verfahrensrechte .......................................................134<br />

5.5.2 Exkurs: Fürstäbtische Verhaltensvorschriften für Anwälte und Pfalzräte.....................137<br />

5.5.3 Die Verfahrensrechte <strong>Egger</strong>s..........................................................................................139<br />

5.5.4 Das Verhör .....................................................................................................................140<br />

5.5.4.1 Befragung des Angeschuldigten ohne Folter ........................................................140<br />

5.5.4.2 Folter und weitere Druckmittel.............................................................................143<br />

5.5.4.3 Verhöre <strong>Egger</strong>s nach Gefangennahme .................................................................147<br />

5.5.5 Zeugeneinvernahmen .....................................................................................................151<br />

5.5.6 Haftbedingungen ............................................................................................................153<br />

6 MATERIELLE BEURTEILUNG .........................................................157<br />

6.1 Totschlag ............................................................................................................................157<br />

6.1.1 Historisch-kriminologische Grundlagen.........................................................................157<br />

6.1.2 Rechtliche Einordnung ...................................................................................................161<br />

6.1.3 Totschlag der Catharina Himmelberger..........................................................................165<br />

6.2 Leichenschändung.............................................................................................................168<br />

6.2.1 Historisch-kriminologische und rechtliche Einordnung .................................................168<br />

6.2.2 <strong>Egger</strong>s Experimente........................................................................................................170<br />

6.2.2.1 Vorbemerkung.......................................................................................................170<br />

6.2.2.2 Aberglaube und Wissenschaft im frühneuzeitlichen Wettstreit .............................171<br />

6.2.2.3 Die Geköpfte und die Wöchnerin ..........................................................................178<br />

7 URTEIL UND STRAFE .........................................................................185<br />

7.1 Das Strafsystem .................................................................................................................185<br />

7.1.1 Poena ordinaria und extraordinaria.................................................................................185<br />

7.1.2 Todesstrafe .....................................................................................................................186<br />

7.1.3 Freiheitsstrafen ...............................................................................................................187<br />

7.1.4 Landesverweisung und Galeerenstrafe...........................................................................193<br />

7.1.5 Begnadigung und Urfehde..............................................................................................198<br />

7.2 Bestrafung <strong>Egger</strong>s wegen Totschlags und Leichenschändung .....................................201<br />

7.2.1 Verurteilung zur Todesstrafe..........................................................................................201<br />

7.2.2 Begnadigung zur Galeerenstrafe ....................................................................................205<br />

7.2.3 Vollzug ...........................................................................................................................208<br />

8 SCHLUSSBETRACHTUNGEN............................................................211<br />

5


Inhaltsverzeichnis<br />

ANHANG............................................................................................................. I<br />

A<br />

B<br />

C<br />

D<br />

E<br />

F<br />

Akten im Fall <strong>Egger</strong>....................................................................................................................i<br />

Personen im Fall <strong>Egger</strong>............................................................................................................. ii<br />

Quellen und Materialien...........................................................................................................iv<br />

Literatur .................................................................................................................................. vii<br />

Nachschlagewerke.................................................................................................................xxxi<br />

Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................... xxxiii<br />

6


Zusammenfassung<br />

Zusammenfassung<br />

Am 6. Februar 1775 verschwindet Catharina Himmelberger <strong>aus</strong> Rotmonten.<br />

Wenige Tage später gerät <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> Tablat in Verdacht, ihr etwas<br />

angetan zu haben. Unter Druck gesteht er, sie getötet zu haben, worauf die<br />

Obrigkeit aktiv wird. <strong>Egger</strong> wird im Turm hinter dem Wirtsh<strong>aus</strong> «Hirschen» in<br />

St. Fiden gefangengesetzt. Das Verbrechen gelangt vor den Pfalzrat der Alten<br />

Landschaft, das «höchste tribunal der gerechtigkeit». Die Verhöre beginnen.<br />

Bei der Bergung der Leiche Catharina Himmelbergers werden im Galgentobel<br />

zwei weitere, verstümmelte Leichen gefunden, was den Fall zunehmend<br />

verzwickter erscheinen lässt und das Gericht vor einige Probleme stellt. Der<br />

Leibarzt von Abt Beda wird beauftragt, die Leichen zu begutachten und über<br />

seine Erkenntnisse schriftlich Bericht zu erstatten. Auch ein Wundarzt und zwei<br />

Hofbarbiere werden um ihre sachkundige Meinung ersucht. Es kommt zu einer<br />

H<strong>aus</strong>durchsuchung auf <strong>Egger</strong>s Hof. Gräber werden aufgegraben und inspiziert.<br />

Das Gericht verhört eine Reihe von Zeugen. Immer wieder muss auch <strong>Egger</strong><br />

Rede und Antwort stehen, wobei neben der Ergründung der Vorgehensweise<br />

beim Totschlag Catharina Himmelbergers der Fokus auf dem Motiv für die Leichenschändungen<br />

liegt.<br />

Die vorliegende Studie verankert das pfalzrätliche Strafverfahren in der Forschung<br />

über die Strafrechtsgeschichte in der frühen Neuzeit. Der Fall wird im<br />

Sinne einer qualitativen Einzelfalluntersuchung unter Einbezug und Verwertung<br />

sämtlicher vorhandener Akten aufgearbeitet und analysiert. Ein Schwerpunkt<br />

liegt dabei auf der Untersuchung der Vorgehensweise des Pfalzrats der Fürstabtei<br />

St. Gallen. Neben der prozessrechtlichen Seite des Falles wird die materiellrechtliche<br />

behandelt. Die Delikte des Totschlags und der Leichenschändung<br />

werden gesellschaftlich und rechtlich in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />

eingeordnet. Schliesslich wird der Abschluss des Verfahrens mit der Verurteilung<br />

und dem Vollzug der Strafe, soweit dieser nachvollzogen werden kann,<br />

gewürdigt. Die Arbeit gewährt Einblick in die Strafrechtsverhältnisse einer Zeit,<br />

die an der Schwelle zur «modernen» Welt noch gar nicht so weit zurück liegt.<br />

9


Summary<br />

Summary<br />

On February 6 th 1775, Catharina Himmelberger from Rotmonten disappears.<br />

Rotmonten belonged to the monastery of St. Gallen. A few days later, <strong>Joseph</strong><br />

<strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> from Tablat is accused having laid his hands on her. Set under<br />

pressure he confesses having killed her, whereupon the authorities take actions.<br />

<strong>Egger</strong> is being held in custody in a tower behind the restaurant «Hirschen» in<br />

St. Fiden. The case is taken to court, to the so called «Pfalzrat», which is the<br />

«highest tribunal of justice». The questionings begin.<br />

When recovering the corpse of Catharina Himmelberger, two more mutilated<br />

bodies are found in the Galgentobel. This makes the whole case seem even more<br />

intricate and the authorities are confronted with even more problems. Abbot<br />

Beda’s medical attendant is instructed to examine the bodies and give a full<br />

written account on his findings. Further, a surgeon and two barbers are being<br />

asked for their competent opinion. A house search is being done on the premises<br />

on <strong>Egger</strong>’s farm. Graves are dug up and inspected. The court is interrogating<br />

more and more witnesses. Time and again, <strong>Egger</strong> is obliged to give account of<br />

Catharina Himmelberger’s homicide. Moreover the questioning is focusing on<br />

the motive of the desecration of the bodies.<br />

The present study anchors the criminal procedure of the «Pfalzrat» in the research<br />

of the history of criminal law in the early modern times. The case is<br />

worked up and analysed in terms of a qualitative exploration of an individual<br />

case, considering all preserved files. A main focus lies on the inquest of the procedural<br />

methods of the «Pfalzrat». Besides the procedural law, the substantive<br />

law is being discussed. The crimes of homicide and desecration of corpses are<br />

socially and legally classified in the second half of the 18 th century. Eventually,<br />

the conclusion of proceedings with the conviction and the enforcement of the<br />

sentence – as far as this can be retraced – is dissected. The study provides an<br />

insight into the criminal law of a time not so long ago, on the threshold of the<br />

modern world.<br />

11


Einleitung<br />

1 Einleitung<br />

1.1 Einführung in die Thematik<br />

Im Jahr 1775 beschäftigten den Pfalzrat der Fürstabtei St. Gallen erschütternde<br />

Verbrechen, die <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> Tablat zur Last gelegt wurden. Ein<br />

Totschlag mit einer Mistgabel und brutale Leichenverstümmelungen; war <strong>Joseph</strong><br />

<strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> ein kaltblütiger Gewalttätiger oder steckte etwas anderes<br />

hinter den von ihm verübten Taten?<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte eine unbekannte<br />

Autorschaft in St. Gallen eine kleine Schrift mit dem Titel «Kriminalgeschichten<br />

– aktengetreu erzählt» 1 . Das Büchlein enthält zwei Geschichten. Die erste<br />

handelt von «<strong>Joseph</strong> Anton <strong>Egger</strong> von Tablat, Todtschläger und Leichenräuber»,<br />

die zweite von einem gewissen «Sebastian Hohl von Trogen, Goldmacher<br />

und Mädchenschänder». Dem Vorwort des Büchleins ist folgendes zu entnehmen:<br />

«Wenn die Veröffentlichung vorliegender Straf-Fälle vielleicht einer entschuldigenden Einleitung<br />

bedürfen, so kann die Ursache hiezu jedenfalls nur in dem Umstande liegen, dass<br />

ihr Inhalt in gewissem Sinne als beinahe ‹zu interessant› erscheinen dürfte.» 2<br />

Der Fall <strong>Egger</strong>, ist dem Vorwort weiter zu entnehmen, fessle durch die «Seltsamkeit<br />

der Vergehen» und durch «die räthselhaft stumpfe Rohheit des Verbrechers,<br />

die uns übrigens mehr mit sinnlichem Ekel als mit sittlichem Abscheu<br />

erfüllt». 3 Die gebotenen Enthüllungen seien nach Kräften von den anstössigeren<br />

Bestandteilen gesäubert worden, sodass das Büchlein zwar nicht als Jugendschrift<br />

angepriesen, doch aber Erwachsenen als ebenso belehrende wie unterhaltende<br />

Lektüre übergeben werden dürfe, schliesst der anonyme Autor sein Vor-<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860]. Das Erscheinungsjahr<br />

fehlt in der Schrift. Da der Autor auf S. 1 «die Eisenbahn von St. Gallen nach Rorschach»<br />

erwähnt und diese seit 1856 in Betrieb ist (vgl. DIETZ [2005]), wurde das Büchlein<br />

schätzungsweise in den 1860er-Jahren geschrieben.<br />

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], 1. Seite des Vorworts<br />

(ohne Seitenzahl).<br />

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], 1. Seite des Vorworts<br />

(ohne Seitenzahl).<br />

13


Einleitung<br />

wort. 4 Möge der heutige Leser bei der Konfrontation mit dem Kriminalfall <strong>Egger</strong><br />

nun sinnlichen Ekel oder sittliche Abscheu empfinden; unberührt lassen die<br />

Geschehnisse und das Schicksal der Protagonisten dieses frühneuzeitlichen Falles<br />

keineswegs.<br />

«Die Wahrheit müsse her<strong>aus</strong>» war eine der Wendungen, mit der das Gericht<br />

im Fall <strong>Egger</strong> im Rahmen der langwierigen Einvernahmen die Zunge des Delinquenten<br />

zu lockern versuchte. 5 Insbesondere die Leichenverstümmelungen<br />

wurden als so ungeheuerlich und unverständlich empfunden, dass man sich mit<br />

<strong>Egger</strong>s Antworten lange nicht zufrieden gab und auf verschiedene Arten – so<br />

auch unter Androhung der Folter – versuchte, den auf ihn <strong>aus</strong>geübten Druck zu<br />

erhöhen, um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen.<br />

Diese Suche nach der Wahrheit um fast jeden Preis hat ihre Grundlage im Inquisitionsprozess,<br />

der den Akkusationsprozess allmählich ablöste und die Aufklärung<br />

von Verbrechen von der Privatsache wegbrachte und zur Aufgabe der<br />

Landesobrigkeit machte. Die Notwendigkeit der hoheitlichen Verbrechensverfolgung<br />

beschrieb der Rechtsgelehrte BENEDIKT CARPZOV 6 in der Vorrede zu<br />

seinem Peinlichen sächsischen Inquisitions- und Achtsprozess 1638 folgendermassen:<br />

«Dass an dem exercitio der peinlichen Gerichte besonders aber an rechtmessiger Ausübung<br />

des inquisition processus wider die Verbrecher unnd Bestrafung der Übelthäter der Republic<br />

und gemeinem Wesen höchlichen unnd viel gelegen wird von niemand leichtlichen<br />

in zweifel gezogen alldieweil hierdurch die Frommen bey ihren Haab und Gütern auch Leib<br />

und Leben geschützet hin<strong>gegen</strong> die Bösen hinweg und <strong>aus</strong> dem Mittel gereumet andere von<br />

dergleichen Übelthaten unnd Verbrechungen abgeschrecket und also Fried und Einigkeit allenthalben<br />

erhalten zuförderst aber des lieben Gottes Ehre gesuchet und sein ernster Wille<br />

vollbracht wird dann in Warheit kein besseres Opffer dem beleidigten Gott geleistet noch<br />

derselbe anderer Gestalt als durch Hinrichtung unnd gebürlicher Bestraffung der Missethäter<br />

versönet werden mag.» 7<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], 2. Seite des Vorworts<br />

(ohne Seitenzahl).<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 127.<br />

Benedikt Carpzov (1595-1666) gilt als der eigentliche Begründer der deutschen gemeinrechtlichen<br />

Strafrechtswissenschaft. Eine übersichtliche Biographie findet sich bei KLEIN-<br />

HEYER/SCHRÖDER [1996], S. 87 ff.<br />

CARPZOV [1638], S. 3.<br />

14


Einleitung<br />

1.2 Zielsetzung<br />

Das Ziel der vorliegenden Studie ist, den Kriminalfall <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> dem Jahr 1775<br />

aufzuarbeiten. Die Taten von <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> sowie das darauf folgende<br />

Strafverfahren werden in den geschichtlichen Kontext gestellt und <strong>aus</strong> einer<br />

rechtshistorischen Perspektive untersucht. Anhand der qualitativen Einzelfalluntersuchung<br />

soll nicht nur ein Beitrag zur Geschichte der st. gallischen Stiftslande<br />

geliefert werden, 8 sondern es wird ein Stück Strafrechtsgeschichte <strong>aus</strong> einer<br />

Zeit aufgearbeitet und analysiert, in der sich die bestehende Ordnung grundlegend<br />

zu wandeln begann.<br />

Man mag sich die Frage stellen, ob sich die qualitative Aufarbeitung eines<br />

einzigen historischen Kriminalfalls im Rahmen einer Dissertation im wissenschaftlichen<br />

Diskurs behaupten kann. Zwar vermögen die Betrachtungen nur<br />

einen Ausschnitt von juristischen und sozialgeschichtlichen Begebenheiten gewisser<br />

Bevölkerungsschichten und gewisser Zeiten zu vermitteln und weisen<br />

somit kaum quantitativen Wert auf. Dennoch eignet sich nach Ansicht der Verfasserin<br />

gerade eine qualitative Untersuchung, verbunden mit der Aufarbeitung<br />

umfangreicher, bisher unbekannter Akten, äusserst gut dazu, Einblick in und<br />

Verständnis für eine Zeit zu verschaffen, die mit ihren Strukturen und Werten<br />

zwar vergangen ist, aber dennoch eine Grundlage der Entwicklungen der Gegenwart<br />

bildet. Die Studie wird durch Beizug einschlägiger Literatur und Beachtung<br />

aktueller Forschung breit abgestützt.<br />

1.3 Methode<br />

Mit einer Schnur zusammengebunden befindet sich im St. Galler Stiftsarchiv<br />

ein umfangreiches Bündel an Akten zum Kriminalfall <strong>Egger</strong>. Wie das <strong>aus</strong>führliche<br />

Verhörprotokoll <strong>Egger</strong>s belegt, musste <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> dem fürstäbtischen<br />

Pfalzgericht zu 255 Fragen Rede und Antwort stehen, bevor über seine Taten<br />

beraten und geurteilt wurde. Untersucht wurde der Totschlag einer gewissen<br />

8<br />

Auch wenn die Zahl der Studien zur landesherrlichen Strafjustiz im Wachsen begriffen<br />

ist, überwiegen zumindest für das späte Mittelalter Studien über die städtische Kriminaljustiz;<br />

m.w.H. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 22.<br />

15


Einleitung<br />

Catharina Himmelberger, die angeblich eine Gläubigerin <strong>Egger</strong>s gewesen war.<br />

Weiter geriet <strong>Egger</strong> unter Verdacht, zwei Leichen geraubt und an ihnen grauenhafte<br />

Verstümmelungen vorgenommen zu haben. Während der mehreren Wochen,<br />

über die sich das Verhör hinzog, wurden viele Zeugen befragt, es wurden<br />

medizinische Gutachten zu den gefundenen drei Leichen eingeholt und der<br />

Hofweibel, der Hatschier 9 und der Totengräber mit Nachforschungen betraut.<br />

Schliesslich wurde ein rechtliches Gutachten erstellt, der Fall abgeurteilt und<br />

das Urteil vollstreckt. Der Kriminalfall <strong>Egger</strong> verfügt über umfangreiches, gut<br />

erhaltenes Quellenmaterial, das in der vorliegenden Studie aufgearbeitet und<br />

<strong>aus</strong>gewertet wurde.<br />

Für die Kriminalitätsgeschichte sind Quellenbestände, vor allem Gerichtsakten,<br />

die ihre Existenz dem rechtlichen Kontroll- und Sanktionierungssystem<br />

verdanken, von grosser Wichtigkeit. Der Informationsgehalt solcher Quellen<br />

beschränkt sich nicht auf die gerichtliche Ebene. Die Quellen gewähren vielmehr<br />

nicht selten Einblick in das Zusammenspiel zwischen dem formellrechtlichen<br />

und dem informell-gesellschaftlichen Kontrollsystem; sie lassen das<br />

Recht und das Gericht als Teil der Gesellschaft plastisch hervortreten. 10 Gerade<br />

die zahlreichen Gerichtsakten von frühneuzeitlichen Inquisitionsprozessen besitzen<br />

aufgrund ihrer Reichhaltigkeit und Ausführlichkeit jedoch den trügerischen<br />

Anstrich der Authentizität. Hier sind zwei Vorbehalte anzubringen. 11 Der<br />

eine zielt auf die Aussergewöhnlichkeit des Handlungskontextes ab, der Aussagen<br />

von Delinquenten und Zeugen hervorbringt. Die hinter einem Gerichtsverfahren<br />

liegende gesellschaftliche Wirklichkeit wird nur unzureichend und verzerrt<br />

abgebildet. 12 Der zweite Vorbehalt betrifft den künstlichen Charakter von<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

Als Hatschiere (auch Hartschiere, Haschiere oder Harschiere) wurde ursprünglich die<br />

kaiserliche Leibwache zu Pferde bezeichnet. Der Begriff leitet sich vom italienischen/spanischen<br />

«arciere» (Bogenschütze) und dies vom lat. «arcus» (der Bogen) ab,<br />

weil die Leibwache in alten Zeiten <strong>aus</strong> Bogenschützen bestanden hatte; vgl. KRÜNITZ,<br />

Bd. 22 [1789], Stichwort «Hatschier», S. 248. In der Stadt St. Gallen erscheint die Berufsbezeichnung<br />

des Harschiers offenbar erstmals 1766 und war identisch mit dem Stadtdiener,<br />

MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 165.<br />

M.w.H. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 12 f.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62.<br />

Dennoch erlauben historische Gerichtsakten eine Zugangsmöglichkeit zur Lebenswelt<br />

und zu den Handlungsstrategien. Damit ermöglichen sie nicht nur die Thematisierung von<br />

16


Einleitung<br />

schriftlichen gerichtlichen Aussagen und weist auf die Informationsverluste des<br />

geschriebenen Wortes im Vergleich zum gesprochenen Wort hin. Die mündliche<br />

Kommunikation verfügt <strong>gegen</strong>über der schriftlichen über grössere semiotische<br />

Reichhaltigkeit, etwa durch Intonation und Prosodie. Bei schriftlicher<br />

Kommunikation ist es nicht möglich, perzeptionsgestützte Wissensdaten hinzuzufügen,<br />

die Ebenenvielfalt sprachlicher oder sprachunterstützender Zeichen ist<br />

in der mündlichen Sprache grösser. 13 Diese Informationsverluste treffen freilich<br />

auch die Kommunikation in der Gegenwart; bei historischen Gerichtsakten, deren<br />

Sprache einen anderen Entwicklungsstand aufweist als unsere heutige, vergrössern<br />

sich die Informationsverluste zusätzlich.<br />

Die Niederschriften von mündlichen Äusserungen im Rahmen eines frühneuzeitlichen<br />

Strafverfahrens sind zudem mit einer gewissen Vorsicht zu lesen,<br />

weil eine angstfreie Interaktion zwischen Verhörendem und Verhörtem wohl<br />

nur selten möglich war. Auch war das soziale Gefälle oftmals beträchtlich, sodass<br />

unterschiedliche Erfahrungs- und Bildungshorizonte aufeinander trafen,<br />

aber auch unterschiedliche sprachliche Codes verwendet wurden, was nicht selten<br />

zu Missverständnissen führen musste. 14<br />

Für die Arbeit mit dem Quellenmaterial werden die Erkenntnisse der rechtshistorischen<br />

Textexegese beachtet. 15 Um wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht<br />

zu werden, sind die Einarbeitung der einschlägigen Literatur und die Auseinandersetzung<br />

mit den dort vertretenen Meinungen Vor<strong>aus</strong>setzungen dieser Fallanalyse.<br />

16 Durch die Verarbeitung von geschichtlichen Forschungserkenntnissen<br />

wird bezweckt, die eigene Auslegung zu differenzieren und diese in Breite und<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

Kriminalität und Konflikt im engeren Sinn; m.w.H. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999],<br />

S. 21.<br />

BUSSE [1992], S. 135. Erschwerend bei den frühneuzeitlichen Gerichtsakten kommt die<br />

Filterfunktion der Schreiber hinzu: Flüchtigkeiten bei der Niederschrift, aber auch<br />

Verständigungs- und Sprachprobleme konnten eine Aussage verfälschen. Das Protokoll<br />

ist eher eine summarische und typisierte Zusammenfassung als eine individuelle Aussage;<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 64. Andererseits waren die Schreiber jedoch schon<br />

allein deshalb zur Detailgenauigkeit verpflichtet, weil die Protokolle in der Regel übergeordneten<br />

Gerichtsinstanzen als Entscheidungsgrundlage dienten; SCHWERHOFF, Aktenkundig<br />

[1999], S. 65.<br />

BEHRINGER [1996], S. 282.<br />

Siehe etwa Erläuterungen dazu bei SENN/GSCHWEND [2004], S. 16 ff.<br />

GSCHWEND/KRAMER, Textexegese [2004], S. 248.<br />

17


Einleitung<br />

Tiefe zu verbessern. Da Fundstelle, Autor und Datum bei fast allen der <strong>aus</strong>zuwertenden<br />

Akten bekannt sind, erfolgt die Interpretation unter Berücksichtigung<br />

der durch diese Angaben eröffneten Erkenntnisperspektiven. 17 Bei der Aufarbeitung<br />

des historischen Hintergrunds wird stets darauf geachtet, nur die für die<br />

Quellen und deren Verständnis tatsächlich relevanten Gegebenheiten darzulegen<br />

und allenfalls (weiter) zu entwickeln. 18 Die Einordnung in den rechtlichen, politischen<br />

und verwaltungstechnischen Rahmen ist für die Kontextualisierung der<br />

Akten unerlässlich. 19 Um die Gefahr unnötiger Weitschweifigkeit zu vermeiden,<br />

erscheinen allgemeine Darstellungen zur Entstehungszeit der Quellen nur insoweit<br />

angebracht, als sie dem Forschungs<strong>gegen</strong>stand direkt dienlich sind.<br />

Der Inquisitionsprozess mit obrigkeitlicher Verfolgung von Verbrechern und<br />

möglichst weitgehender materieller Ermittlung der Wahrheit zog eine zunehmende<br />

Verschriftlichung der Gerichtsbarkeit nach sich. Nun ermittelten immer<br />

häufiger spezialisierte Richter und Amtsleute, Verhöre und Zeugenbefragungen<br />

wurden durchgeführt und schriftlich festgehalten. Somit wird die Entstehung<br />

der Gerichts- und Kriminalakten in der Epoche des Spätmittelalters verankert. 20<br />

Bis weit in die frühe Neuzeit hinein kann jedoch nicht von einem abstrakten<br />

Streben der Herrschenden nach umfassender Dokumentation von Kriminalfällen<br />

gesprochen werden; vielmehr standen bei der Verschriftlichung der Strafjustiz<br />

jeweils ganz praktische Gesichtspunkte im Vordergrund, weshalb die einschlägigen<br />

Quellen grundsätzlich ein lückenhaftes Bild präsentieren. 21 Die Aussagekraft<br />

von Strafprozessakten für den frühneuzeitlichen Alltag ist denn auch sehr<br />

unterschiedlich. 22 Das wachsende Bedürfnis nach Dokumentation der peinlichen<br />

Strafen – insbesondere der Todesstrafen – liegt nicht zuletzt in einem Wunsch<br />

nach Legitimation begründet. Zudem sollte wohl die exemplarisch verhängte<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

21<br />

22<br />

GSCHWEND/KRAMER, Textexegese [2004], S. 248.<br />

GSCHWEND/KRAMER, Textexegese [2004], S. 248.<br />

Die rein textimmanente Interpretation kann nicht zu tragfähigen Ergebnissen führen;<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 298.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 25 f.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 26. Der Prozess der Ausbildung des Aktenwesens<br />

gelangte im Wesentlichen im Laufe des 18. Jahrhunderts zum Abschluss; SCHMID GER-<br />

HARD [2003], S. 75.<br />

Diese Aussagekraft dürfte grösser sein bei Akten über Straftaten, die tendenziell eher zum<br />

Alltag gehörten als andere (etwa Eigentumsdelikte, mitunter auch Totschlag); VALENTI-<br />

NITSCH [1992], S. 77 und 81. Siehe auch SCHULZE [1996], S. 322.<br />

18


Einleitung<br />

gerechte Strafe im kollektiven Gedächtnis des Herrschaftsgebiets verankert<br />

werden. 23<br />

Gerade bei der Beschäftigung mit historischen Strafprozessakten ist man<br />

mitunter der Kritik <strong>aus</strong>gesetzt, nur ein von obrigkeitlichen Vorstellungen geprägtes<br />

Bild zu gewinnen, zur Selbstwahrnehmung der Menschen in ihrem sozialen<br />

Umfeld aber keinen Zugang zu bekommen. Es existiert die Befürchtung,<br />

beim Studium von Strafprozessakten den «Erzählkünsten» der Betroffenen auf<br />

den Leim zu gehen, was immerhin nicht überall als Nachteil gewertet wird. 24<br />

Nicht verkannt werden darf jedenfalls, dass erhaltene historische Kriminalakten<br />

über erstaunlichen Aussagegehalt und hohe Validität verfügen. Gerade die Gattungsvielfalt<br />

der Akten 25 erlaubt oft eine umfassende Kontextualisierung und<br />

damit eine weitgehend objektive Rekonstruktion konkreter Straffälle. Dies ermöglicht<br />

die Erfassung einer historischen Wirklichkeit, die die Wahrnehmung<br />

und Verarbeitung von historischen Vorkommnissen durch den historischen<br />

Menschen erschliesst. 26 Historische Kriminalfälle bilden nicht bloss rechtshistorisches<br />

Anschauungsmaterial, sondern sind hilfreich, den Blick für ein breites,<br />

sozial- und kulturhistorisch geprägtes Verständnis der Strafrechtsgeschichte zu<br />

schärfen, wie wegweisende Erkenntnisse der historischen Kriminologie der<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

Mit Beispielen SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 32; SCHMID GERHARD [2003],<br />

S. 75.<br />

Einen Überblick über in diese Richtung zielende kritische Stimmen bietet SCHNABEL-<br />

SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 296. Bezogen auf Verhörprotokolle sieht Z’GRAG-<br />

GEN [1999] die Her<strong>aus</strong>forderung darin, diese bei der Auswertung einerseits auf Widersprüche<br />

und Pl<strong>aus</strong>ibilität zu überprüfen, sie andererseits in einem breiteren Kontext zu betrachten,<br />

S. 79. Mit Gefahren und Chancen der Arbeit mit Zeugenverhörprotokollen in der<br />

Forschung befasst hat sich FUCHS, Zeugenverhöre [2001], S. 141 ff., insbes. S. 142.<br />

Diese beinhaltet etwa Verhöre von Verdächtigen, Zeugenbefragungen, medizinische oder<br />

rechtliche Gutachten, Untersuchungsberichte, Anklage- und Verteidigungsschriften sowie<br />

allenfalls Akten der unterschiedlichen Prozessinstanzen eines Falles.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 297, S. 299. Bezogen auf Zeugenverhöre<br />

weist SCHULZE auf die Vielzahl an Informationen hin, die durch die Beachtung des Lebenslaufs<br />

der Zeugen, ihrer Mobilität, ihrer Kenntnis der Welt <strong>aus</strong>serhalb ihres Umfelds,<br />

ihrer Kenntnisse von herrschaftlich-administrativen Strukturen und ihrem Bild von der<br />

Obrigkeit, allenfalls auch ihrer Selbsteinschätzung in der Gesellschaft, gewonnen werden<br />

können; SCHULZE [1996], S. 322. Siehe auch FUCHS, Gott [2000], S. 315 ff.<br />

19


Einleitung<br />

1990er Jahre zeigen. 27 Die bewusste Beschränkung auf die Untersuchung eines<br />

einzigen Kriminalfalls erlaubt es, auch Details des Falles und der Untersuchungsmethode<br />

zu beachten, zu analysieren, zu würdigen und schliesslich in<br />

grössere Zusammenhänge zu stellen. So wird nicht nur Quellenstudium betrieben,<br />

sondern es erfolgt eine Auswertung sowie eine umfassende Würdigung des<br />

vorhandenen Materials.<br />

Die Forschungsarbeit eines Historikers verlangt nach VON BRANDT unter anderem<br />

die kritische Fähigkeit, die gefundenen Quellen möglichst fehlerfrei <strong>aus</strong>zuwerten,<br />

also ihnen durch einen Schleier von Entstellungen und Lückenhaftigkeit,<br />

von Verworrenheit und Mehrdeutigkeit, von Widersprüchen, Tendenzen<br />

und Lügen ein möglichst hohes Mass an wahren Aussagen abzugewinnen. 28<br />

Auch in der kriminalhistorischen Forschung muss man sich dieses «möglichst<br />

hohe Mass von wahren Aussagen» zum Ziel setzen; Sicherheit oder absolute<br />

Gewissheit wird man kaum je erreichen können. Bei der Arbeit mit den historischen<br />

Strafprozessakten sind zur Ergründung eines möglichst hohen Wahrheitsgehalts<br />

folgende Fragestellungen nützlich: Konnte eine in den Akten vorkommende<br />

Person ein Interesse daran haben, im Prozess bewusst falsche Aussagen<br />

zu machen? Worin liegt dieses Interesse? Konnten hoheitlich eingesetzte Personen<br />

ein Interesse an der durch parteiische Protokollführung erreichbaren Verfälschung<br />

der gehörten Aussagen haben, um den Prozess in eine andere Richtung<br />

zu lenken? 29 Auch wenn sich bei der vertieften Beschäftigung mit einem historischen<br />

Straffall wohl unweigerlich Sympathien mit oder Antipathien <strong>gegen</strong> den<br />

Beteiligten einstellen, gilt es doch, der Versuchung zu widerstehen, nachträglich<br />

als eine Art Gericht zweiter Instanz zu fungieren und einzelne Delinquenten<br />

erneut zu verurteilen oder aber zu rehabilitieren. 30<br />

Akten sind im Archivgut eine Vereinigung von Schriftstücken zu mehr oder<br />

weniger festen Kompositionseinheiten. 31 Die Aktenbildung begann sich wie er-<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

Vgl. den Überblick über die Erkenntnisse der historischen Kriminologie bei GSCHWEND,<br />

Studentenmord [2002], S. 15. Siehe auch mit Schwerpunkt auf dem Aussagegehalt von<br />

Zeugenverhörprotokollen FUCHS/SCHULZE [2002], S. 9.<br />

VON BRANDT [1998], S. 9.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 300.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 65 f.<br />

FRANZ [2004], S. 52.<br />

20


Einleitung<br />

wähnt bereits im <strong>aus</strong>gehenden Mittelalter zu entwickeln, als neben rechtserheblichen<br />

Urkunden auch mit der Aufbewahrung von Verwaltungsschriftstücken,<br />

Befehls- und Mitteilungsschreiben begonnen wurde. So wurden sämtliche Unterlagen<br />

zu einem bestimmten Gerichtsprozess oder etwa zu einem Vertragsabschluss<br />

gesondert gelagert und zusammengebunden. 32 Diese «Bündel» stellen<br />

Sachakten dar und nicht mehr bloss eine Aktenserie, die älteste und am nächsten<br />

liegende Ordnungsform der einfachen chronologischen Reihung. 33 Die Quellen<br />

des Kriminalfalls <strong>Egger</strong> stellen eine vermutlich vollständige Sachakte dar.<br />

Sämtliche Akten des Kriminalfalls <strong>Egger</strong> sind in handschriftlicher Form erhalten.<br />

Für die wörtlichen Zitate <strong>aus</strong> den Akten des Falles sowie <strong>aus</strong> zahlreichen<br />

weiteren beigezogenen handschriftlichen Dokumenten werden folgende Transkriptionsregeln<br />

angewendet: 34<br />

Die Buchstaben «u», «v» und «w» werden entsprechend dem Lautwert<br />

wiedergegeben.<br />

Der Buchstabe «s», der in den Akten verschiedene Schreibweisen kennt,<br />

wird stets als «s» bzw. «ss» wiedergegeben; auf «ß» wird verzichtet.<br />

Bei Wörtern, die im Originaldokument mit Zeilenumbruch (Silbentrennung)<br />

geschrieben sind, wird der Trennungsstrich weggelassen.<br />

Sämtliche Wörter mit Ausnahme von solchen am Satzanfang sowie Namen<br />

(Orts-, Flur-, Gewässer- und Personennamen) werden klein geschrieben.<br />

32<br />

33<br />

34<br />

FRANZ [2004], S. 52.<br />

VON BRANDT [1998], S. 107.<br />

Zur Erstellung der Regeln beachtet wurden die im Jahrbuch der historischen Forschung in<br />

der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1980, abgedruckten «Empfehlungen zur<br />

Edition frühneuzeitlicher Texte», hg. vom «Arbeitskreis Editionsprobleme der frühen<br />

Neuzeit», v.a. S. 89, sowie die Regeln bei GUGGENHEIMER/SONDEREGGER, CD-ROM<br />

[2006].<br />

21


Einleitung<br />

Reine Distinktionszeichen (z.B. auf «ÿ» und auf «ù» zur Unterscheidung<br />

von «n») werden weggelassen.<br />

Abkürzungen 35 und Ligaturen werden aufgelöst.<br />

Den Familiennamen der Frauen wurde in den Gerichtsakten häufig die in jener<br />

Zeit typische weibliche Endung «-in» angehängt, beispielsweise Himmelbergerin,<br />

Grossin oder dergleichen. Im wörtlichen Zitat entsprechender Textstellen<br />

werden die Endungen übernommen. Da uns der Name ohne Endung jedoch<br />

geläufiger ist, wird bei der Nennung <strong>aus</strong>serhalb des Zitats auf die Endung «-in»<br />

verzichtet. Weiter werden dem Lesefluss hinderliche Zweitnamen (insbesondere<br />

zweite Vornamen) nach einer ersten Nennung – <strong>aus</strong>genommen im direkten Zitat<br />

– nicht wiederholt, sofern Verwechslungen <strong>aus</strong>geschlossen sind. Die Orthographie<br />

weicht nicht selten massgeblich von der heutigen ab. Obwohl bei der<br />

Mehrheit der vorhandenen Dokumente ein und derselbe Schreiber tätig war,<br />

weist dasselbe Wort mithin eine unterschiedliche Schreibweise auf. Direkte Zitate<br />

alter Druckschriften erfolgen buchstaben- und satzzeichengetreu, wobei die<br />

Gross- und Kleinschreibung dem Original folgt.<br />

Die Akten des Kriminalfalls <strong>Egger</strong> sind im Stiftsarchiv St. Gallen zwar zu einem<br />

Bündel zusammengeschnürt, die einzelnen Aktenstücke weisen aber keine<br />

nachvollziehbare Ordnung auf. Zur Bearbeitung wurden sie deswegen gemäss<br />

dem im Anhang abgedruckten Aktenverzeichnis chronologisch sortiert, nummeriert<br />

und werden entsprechend zitiert. Dabei werden die Seiten der einzelnen<br />

Dokumente beziffert und nach diesen Seitenzahlen zitiert, obwohl diese auf den<br />

Handschriften fast immer fehlen. Das separat gebundene Verhörprotokoll von<br />

<strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> umfasst 93 Seiten und enthält 255 Fragen. Die Zitate dar<strong>aus</strong> erfolgen<br />

wenn möglich unter Nennung der Ziffer der entsprechenden Frage bzw.<br />

Antwort.<br />

Eine vom Ratssekretär Gross verfasste Abschrift des Verhörprotokolls findet<br />

sich im Kriminalprotokollbuch des Ledigen Pfalzrats. 36 Um 1865 verfasste zudem<br />

der damalige Archivar des Stiftsarchivs St. Gallen, Eugen von Gonzen-<br />

35<br />

36<br />

Getreu den in der Zeit der Entwicklung der Kurrentschriften herrschenden Bedürfnissen<br />

nach Lesbarkeit und der Möglichkeit schneller Ausführung der Buchstaben (BOESELAGER<br />

[2004], S. 49 und 57) finden sich auch in den Akten <strong>Egger</strong> vermehrt Abbrevaturen.<br />

StiASG, Bd. 1074, S. 3-77.<br />

22


Einleitung<br />

bach, eine Abschrift des Verhörprotokolls (ohne die übrigen Dokumente), das<br />

im Staatsarchiv St. Gallen erhalten ist. 37<br />

1.4 Aufbau<br />

Konzentriert man sich zu sehr auf vorhandene Quellen, so läuft man Gefahr,<br />

gewisse Zusammenhänge und Strukturen zu vernachlässigen oder gar nicht zu<br />

erkennen. Bevor materiell auf die Kriminalakten des Falls <strong>Egger</strong> eingegangen<br />

werden kann, ist daher eine Einführung in die relevanten historischen und gesellschaftlichen<br />

Hintergründe notwendig. Der Kriminalfall ereignete sich in der<br />

zu Neige gehenden frühen Neuzeit, also in der Blüte der Aufklärung, einer Zeit,<br />

in der viele Strukturen aufzubrechen begannen.<br />

Kulisse des Kriminalfalls sind die st. gallischen Stiftslande des 18. Jahrhunderts,<br />

das Gebiet der sog. Alten Landschaft. Nach einem Abriss über Entstehung<br />

und Entwicklung der Alten Landschaft wird in das ebenda in der <strong>aus</strong>gehenden<br />

frühen Neuzeit vorherrschende Rechtssystem eingeführt. Für die Fallstudie direkt<br />

relevante Bereiche wie das Gerichtswesen und die einschlägige Gesetzgebung<br />

werden eingehender behandelt.<br />

Das dritte Kapitel widmet sich der Vorgeschichte des Strafverfahrens. Der<br />

Protagonist <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong>, seine Familie und sein direktes Umfeld werden<br />

vorgestellt. Weiter wird von seiner Bekanntschaft mit Catharina Himmelberger<br />

und seiner Beziehung zu ihr berichtet. Nach ihrem Tod vergehen bis zur<br />

Gefangennahme <strong>Egger</strong>s mehrere Tage, auf deren bekannt gewordene Geschehnisse<br />

eingegangen wird. Im vierten Kapitel wird das Strafverfahren dargestellt,<br />

wobei die Untersuchungshandlungen in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben<br />

sowie thematisch gegliedert werden. Dabei nehmen die Einvernahmen<br />

<strong>Egger</strong>s einen zentralen Platz ein.<br />

Nach der Darlegung der Fakten erfolgt im fünften Kapitel eine prozessrechtliche<br />

Beurteilung, die in die Erkenntnisse der frühneuzeitlichen Strafprozessforschung<br />

eingebettet wird. Mit Blick auf den durchgeführten Inquisitionsprozess<br />

37<br />

StaASG, Sig. AA 8 A 3-5.<br />

23


Einleitung<br />

werden dessen entstehungsgeschichtliche Grundlagen erläutert. Besondere Beachtung<br />

erhält das Beweisverfahren, das in die Bereiche des Indizienbeweises,<br />

des Zeugenbeweises und des Sachverständigenbeweises aufgegliedert wird.<br />

Nach einer rechtshistorischen Einordnung erfolgt jeweils eine detaillierte Subsumtion.<br />

In der Beurteilung wird der Zweiteilung des Verfahrens in Generalund<br />

Spezialinquisition Rechnung getragen. Insbesondere im Rahmen letzterer<br />

werden die Verfahrensrechte des Angeschuldigten untersucht und die Verhörund<br />

Fragetechnik der Untersuchenden <strong>gegen</strong>über <strong>Egger</strong> einerseits und <strong>gegen</strong>über<br />

den Zeugen und Aussagenden andererseits gewürdigt.<br />

<strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> wird nicht nur wegen Totschlags verhört. Angeblich hat er sich<br />

noch eines anderen Verbrechens schuldig gemacht, demjenigen der Leichenschändung.<br />

Die im sechsten Kapitel vorgenommene materielle Beurteilung des<br />

Falles gliedert sich daher in die Betrachtung des Delikts des Totschlags einerseits<br />

und jenem der Leichenschändungen andererseits. Die Delikte werden jeweils<br />

in ihren rechtshistorischen Kontext gestellt. Im Zusammenhang mit den<br />

Leichenschändungen gibt die Suche des Gerichts nach möglichen Motiven den<br />

Blick auf eine Erscheinung frei, die historisch eine grosse Vielfalt aufweist, aber<br />

keineswegs ein angestaubtes Thema längst vergangener Zeiten darstellt: den<br />

Aberglauben. Nicht nur dem Aberglauben, sondern auch dessem Gegner, der<br />

Wissenschaft, kommt insbesondere im 18. Jahrhundert eine erhebliche Bedeutung<br />

zu. Neben der Entwicklung der beiden Gebiete in der <strong>aus</strong>gehenden frühen<br />

Neuzeit wird ihre Korrelation näher betrachtet. Auf dieser Grundlage erfolgt<br />

schliesslich eine Beurteilung der von <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> an den Leichen vorgenommenen<br />

«Experimente».<br />

Das Urteil, das <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> im März 1775 trifft, hält Überraschungen bereit,<br />

auf die im siebten Kapitel nach einer Darlegung der historischen Entwicklung<br />

des Strafsystems eingegangen wird. Die Strafe ist ebenfalls – zumindest auf den<br />

ersten Blick – ungewöhnlich. Auch hier erfolgt eine Analyse.<br />

Die Studie schliesst mit Schlussbetrachtungen zu den durch Quellenstudium<br />

und Quellen<strong>aus</strong>wertung <strong>aus</strong> der Vergessenheit einer Archivschachtel her<strong>aus</strong>gearbeiteten<br />

Begebenheiten.<br />

24


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

2 Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

2.1 Entstehung und Entwicklung<br />

Das aufgrund der Taten von <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> durchgeführte Strafverfahren fand<br />

1775 statt. Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine Epoche, in der sich<br />

nicht nur gesellschaftlich vieles im Umbruch befand. 38<br />

Die Fürstabtei St. Gallen und die Stadtrepublik St. Gallen bildeten bis zum<br />

Jahre 1798 als sog. zugewandte Orte der Alten Eidgenossenschaft mehr oder<br />

weniger selbstständige Staatswesen. Im Gegensatz zu ihren katholischen Nachbarn<br />

im Fürstenland waren die Bürger der Stadt evangelischer Konfession. 39<br />

Wenngleich man sich im Laufe der Jahrhunderte zusammenraufte, war die Ausgangslage<br />

des nachbarschaftlichen Verhältnisses von Fürstabtei und Stadt<br />

St. Gallen keine einfache. 40<br />

Das nach dem heiligen Gallus benannte Stift entwickelte sich <strong>aus</strong> dessen Zelle,<br />

dem Ort in der einsamen, unwirtlichen Gegend, an dem sich der irische Gottesmann<br />

im Jahre 612 als Einsiedler niedergelassen hatte. Die ersten Benediktiner,<br />

die seit Mitte des 8. Jahrhunderts im Kloster über Gallus’ Grab lebten,<br />

mochten wohl auch eher nach der abgelegenen Ruhe gesucht haben als nach<br />

politischem Leben. Doch der Grundbesitz des Stifts vergrösserte sich durch<br />

Schenkungen stetig, sodass eine über die Klostermauern hin<strong>aus</strong>greifende Verwaltung<br />

notwendig wurde. 41 Bereits im Jahr 818 erlangte das Kloster die Stellung<br />

einer Reichsabtei und die Immunität, was das Stift in einer ersten Blütezeit<br />

zu einer der bedeutendsten Stätten geistigen Lebens nördlich der Alpen machte.<br />

42 So entwickelte sich das Stift im Hochmittelalter zu einem Lehenstaat mit<br />

einer bedeutenden Ministerialität. 43 Im 13. Jahrhundert verursachten strittige<br />

Abtwahlen und Kämpfe <strong>gegen</strong> Habsburg jedoch einen Niedergang. Die kurz<br />

nach 1400 <strong>aus</strong>brechenden Appenzellerkriege brachten die Fürstabtei um einen<br />

38<br />

39<br />

40<br />

41<br />

42<br />

43<br />

Siehe etwa VAN DÜLMEN, Gesellschaft [1993], S. 16 f., MÜNCH [1992], S. 11.<br />

THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 15.<br />

Näheres dazu bei EHRENZELLER ERNST [1988], S. 73 ff.<br />

THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 16.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. IX.<br />

MÜLLER, Ordnung [1973], S. 246.<br />

25


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Grossteil ihrer geschlossenen Grundherrschaft; erst in der zweiten Hälfte des 15.<br />

Jahrhunderts gelang es Abt Ulrich Rösch 44 , dem «zweiten Gründer des Klosters<br />

St. Gallen» 45 , durch den Aufbau eines territorial abgerundeten und wesentlich<br />

vergrösserten Klosterstaats eine neue Blütezeit herbeizuführen. 46 Die Verwaltungstätigkeit<br />

von Abt Ulrich Rösch wird häufig als mustergültig beschrieben;<br />

ihm gelang es, durch den Erwerb von Niedergerichten, durch Rückkauf von<br />

verpfändeten Rechten und Gütern, durch Lösung der verpfändeten Reichsvogtei<br />

und durch Rechtsvereinheitlichung Grundsteine für einen modernen geistigen<br />

Territorialstaat zu legen. 47<br />

Die sog. Alte Landschaft, das angestammte Fürstenland, bildete seit der<br />

zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Kernstück des neuen Staates 48 und erstreckte<br />

sich auf das Gebiet zwischen dem Reichshof Rorschach und der Kleinstadt<br />

Wil, ohne die Stadt St. Gallen. 49 Abt Ulrich Rösch regierte in der Alten<br />

Landschaft als absolutistischer Fürst, während das Toggenburg, die «Neue<br />

Landschaft», eine Art konstitutioneller Monarchie darstellte, 50 in der neben dem<br />

Abt der Landrat politischen Einfluss hatte, was einen höheren Grad an Eigenständigkeit<br />

gewährleistete. 51 Die Bevölkerung der Alten Landschaft versuchte<br />

verschiedentlich, mehr Freiheit und Unabhängigkeit vom Stift zu erlangen. Spätestens<br />

nachdem 1559 durch den Eidgenössischen Schiedsspruch in Rapperswil<br />

die nominelle Leibeigenschaft der äbtischen Untertanen anerkannt wurde, war<br />

den Freiheitsbestrebungen jedoch auf lange Sicht – bis zum <strong>aus</strong>gehenden<br />

18. Jahrhundert – jede Aussicht auf Erfolg genommen. 52<br />

44<br />

45<br />

46<br />

47<br />

48<br />

49<br />

50<br />

51<br />

52<br />

Ulrich Rösch, geb. 1426, gest. 1491, Abt von 1463 bis 1491. Biographie bei DUFT ET AL.<br />

[1986], S. 149 ff. Siehe auch EHRENZELLER WILHELM [1938], S. 3 bis 12; HENGGELER<br />

[1929], S. 132 ff.<br />

MÜLLER, Verfassung [1969], S. 378.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. IX. STAERKLE schrieb, Ulrich Rösch habe das Stift <strong>aus</strong><br />

dem Abgrund der Verachtung und Verschuldung her<strong>aus</strong>gezogen, STAERKLE, Hofstaat<br />

[1964], S. 37. BAUMGARTNER [1868] hielt fest, unter Ulrich Rösch habe alles wieder einen<br />

höheren Schwung genommen, S. 47.<br />

COZZIO [2005], S. 59 f.; BAUMGARTNER [1868], S. 48.<br />

MÜLLER, Ordnung [1973], S. 246.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. X.<br />

COZZIO [2005], S. 60.<br />

BAUMANN MAX [2003], S. 67.<br />

Mit weiterführenden Hinweisen STAUB [1988], S. 10.<br />

26


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Seit 1451 zählte die Fürstabtei zu den zugewandten Orten der Eidgenossenschaft.<br />

53 Trotz der Bündnisse mit den Eidgenossen blieben die Äbte jedoch stets<br />

mit dem Heiligen Römischen Reich verbundene Reichsfürsten, was der Abtei<br />

eine ungewöhnliche Doppelstellung einbrachte. 54 Alle Äbte hielten de iure an<br />

der Zugehörigkeit zum Reich fest und holten Bestätigungen der Reichslehen<br />

und Regalien ein. Faktisch waren die Bindungen aber lose, leistete das Stift<br />

doch weder Reichssteuer, noch besuchten die Äbte die Reichstage. 55<br />

Im 18. Jahrhundert bestand in der Fürstabtei ein leicht modifiziertes absolutistisches<br />

Feudalsystem. Der Fürstabt war geistlicher und weltlicher Herrscher<br />

zugleich. Doch <strong>aus</strong> früheren Zeiten waren gewisse alte Rechte bestehen geblieben,<br />

die Teilen der Bevölkerung ein sehr bescheidenes Mitwirkungsrecht in administrativen<br />

und juristischen Angelegenheiten ermöglichten. 56 Den Fürstäbten<br />

gelang es nicht, diese Rechte ganz zu beseitigen; der Bevölkerung gelangt es<br />

jedoch auch nicht, sie zu erweitern. 57 Regierungs- und Verwaltungsämter standen<br />

in der Regel nur wenigen vermögenden Magistratsfamilien zu. Im Zuge<br />

barocker Prachtentfaltung fand in der Verwaltung der Alten Landschaft eine<br />

<strong>aus</strong>gesprochene Aristokratisierung der hohen Beamten statt, die vom Abt zu<br />

adligen Gottesh<strong>aus</strong>leuten erhoben wurden. 58<br />

Die Alte Landschaft war zum grössten Teil von Bauern bewohnt und kannte<br />

die dörfliche Dreifelderwirtschaft. 59 Nur im Osten und Westen bestanden schützende<br />

befestigte Städte. 60 Während der Herrschaft des im Jahr 1718 gewählten<br />

Abts <strong>Joseph</strong> 61 erlebte die Alte Landschaft eine friedliche und ruhige Entwicklung.<br />

«Glücklich waret ihr übrigen Bezirke des Landes», schrieb der Ge-<br />

53<br />

54<br />

55<br />

56<br />

57<br />

58<br />

59<br />

60<br />

61<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 38 Rz. 56.<br />

COZZIO [2005], S. 60 f.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. X.<br />

HÖHLE [1999], S. 426. ENGENSPERGER [1953] schrieb über jene Zeit in der Fürstabtei,<br />

dass reiner Absolutismus als Staatsprinzip angenommen worden sei, wenn er sich auch,<br />

wie zugestanden werden müsse, in Form einer verhältnismässig milden Monarchie geäussert<br />

habe, S. 45.<br />

HÖHLE [1999], S. 426.<br />

LEMMENMEIER [2003], S. 43.<br />

Zur Landwirtschaft im 18. Jahrhundert siehe LEMMENMEIER [2003], S. 15 ff.<br />

THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 19.<br />

<strong>Joseph</strong> von Rudolphi, geb. 1666, gest. 1740, Abt von 1717 bis 1740, Biographie bei DUFT<br />

ET AL. [1986], S. 170 ff.; HENGGELER [1929], S. 154 ff.<br />

27


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

schichtsschreiber Pater ILDEFONS VON ARX 62 und fuhr fort: «Die Geschichte<br />

scheinet euer über die Toggenburger Händel vergessen zu haben; aber eben das<br />

ist der stärkste Beweis eures glücklichen Zustandes.» 63 Durchgehend glücklich<br />

dürfte sich die Alte Landschaft zwar keineswegs präsentiert haben, litt doch<br />

auch sie etwa unter der schlimmen Hungersnot in den Jahren 1770/71 sowie<br />

unter einer erheblichen Teuerung. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben<br />

auf dem ganzen Gebiet des späteren Kantons St. Gallen geriet in eine tiefe<br />

Krise, die vor allem Bauern, Kleinproduzenten und Heimarbeiter traf. 64 Politisch<br />

ereignete sich aber im Fürstenland in jener Zeit bis zur allgemeinen Unrast in<br />

der Eidgenossenschaft und den zugewandten Orten ab den 1790er Jahren 65 wenig.<br />

2.2 Die Zeit Abt Bedas<br />

Im Jahr 1740 wurde Cölestin Gugger von Staudach 66 der Nachfolger von Abt<br />

<strong>Joseph</strong>. Er war sehr geschickt und initiativ und konnte sogar die über 60 Jahre<br />

dauernden Streitigkeiten mit dem Toggenburg beilegen. Von der Geschichtsschreibung<br />

wurde er verschiedentlich gerühmt. So äusserte sich etwa ILDEFONS<br />

VON ARX in seiner St. Galler Geschichte, es sei bewundernswert, «wie ein Prälat<br />

von so <strong>aus</strong>gedehntem Geschäftskreise eine so grosse Versammlung des Geistes<br />

beybehalten konnte». 67 Bei seinem Tod hinterliess Abt Cölestin einen vorbildlich<br />

organisierten Staat mit beachtlichem Stiftsvermögen. 68<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

66<br />

67<br />

68<br />

Geb. 1755, gest. 1833, ab 1827 Stiftsbibliothekar. Biographisches z.B. bei VOGLER WER-<br />

NER, Geschichtsschreibung [1999], S. 389 ff.<br />

VON ARX, Bd. 3 [1813], S. 591.<br />

HÖHLE [1999], S. 427.<br />

Siehe etwa THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 61 ff. und 87 ff. oder VON<br />

ARX, Bd. 3 [1813], S. 633 ff.<br />

Cölestin Gugger von Staudach, geb. 1701, gest. 1767, Abt von 1740 bis 1767, Biographie<br />

bei DUFT ET AL. [1986], S. 172 ff.; HENGGELER [1929], S. 157 ff.<br />

VON ARX, Bd. 3 [1813], S. 612.<br />

STAUB [1988], S. 5.<br />

28


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Beda Angehrn 69 wurde 1767 zum 72. Abt von St. Gallen gewählt. Er erfreute<br />

sich grosser Beliebtheit. «Heiter und offen war sein Blick, ohne Wolken die<br />

Stirne und weit entfernt von List oder Trug sein Herz» 70 , beschrieb WEIDMANN<br />

im Jahre 1834 Abt Beda «den Gütigen», wie er von seinen Untertanen genannt<br />

wurde. Als Mensch habe er die seligen Gefühle von Freundschaft und Wohltätigkeit<br />

gekannt und süss seien ihm die Augenblicke gewesen, in denen er Leiden<br />

habe trösten können. 71 Sofort nach seiner Wahl zum Abt machte er sich daran,<br />

den von seinem Vorgänger begonnenen Bau der Kathedrale zu vollenden. Darüber<br />

hin<strong>aus</strong> begann er mit dem Bau der Neuen Pfalz, dem Klosterflügel, der<br />

heute das kantonale Regierungsgebäude beherbergt. 72 Bei der Hungersnot, die<br />

im Winter 1770/71 den ganzen Bodenseeraum erfasste, bewahrte er seine Untertanen<br />

durch <strong>aus</strong> Italien importiertes Getreide, das er ihnen gratis oder billig abgab,<br />

vor dem Schlimmsten. 73<br />

Beda, der nach seinem Eintritt in das Stift und den Orden selbst während<br />

mehrerer Jahre Philosophie, «Gottesgelehrtheit» und beide Rechte 74 studiert und<br />

später die «höheren Wissenschaften» gelehrt hatte, 75 setzte sich während seines<br />

Wirkens als Abt nicht nur für die Ausbildung der Mönche ein, sondern bemühte<br />

sich auch um verbesserte Bildung der Bevölkerung, indem er für die Einführung<br />

der österreichischen «Normalschule» 76 und einen neueren, klareren Katechismus<br />

eintrat. Diese Bestrebungen stiessen jedoch auf Widerstand bei den Untertanen<br />

selbst sowie bei konservativen Mönchen, die ein gebildetes Volk als mögliche<br />

Bedrohung der Klosterherrschaft fürchteten. 77 Von den fortschrittlich anmutenden<br />

Bestrebungen um bessere Bildung der Bevölkerung abgesehen, trat der Abt<br />

aufklärerischem Gedankengut freilich kritisch-ablehnend <strong>gegen</strong>über, erlaubte<br />

69<br />

70<br />

71<br />

72<br />

73<br />

74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

Beda Angehrn, geb. 1725, gest. 1796, Abt von 1767 bis 1796, Biographie bei DUFT ET<br />

AL. [1986], S. 175 ff.; HENGGELER [1929], S. 160 ff.<br />

WEIDMANN [1834], S. 2.<br />

WEIDMANN [1834], S. 2.<br />

DUFT ET AL. [1986], S. 176.<br />

STAUB [1988], S. 6; WEIDMANN [1834], S. 4 f; BAUMGARTNER [1868], S. 107. Dennoch<br />

stiegen die Todesraten in jenen Jahren an; für Tablat und Rotmonten vgl. MENOLFI, Bevölkerungsentwicklung<br />

[1991], S. 107.<br />

Kanonisches und römisches Recht.<br />

WEIDMANN [1834], S. 2.<br />

Vgl. unten Kap. 6.2.2.2.<br />

STAUB [1988], S. 6.<br />

29


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

aber immerhin die Anschaffung aufklärerischer Werke für die Bibliothek. Abt<br />

Beda trieb zudem den Bau moderner Strassen in den Stiftslanden voran und begünstigte<br />

damit auch Wirtschaft und Handel. 78 Offenbar setzte Beda sich <strong>aus</strong>serdem<br />

für mehr Milde in Strafverfahren und Strafurteilen ein. So verschonte er<br />

manchen Übeltäter vor der Todesstrafe und engagierte sich für dem Staat nützliche<br />

Strafen wie Arbeitshaft oder Galeerenstrafe. 79 Bei allem Lob fehlte Beda<br />

jedoch der h<strong>aus</strong>hälterische Sinn seines Vorgängers; zur Zeit seines Todes hinterliess<br />

der Abt eine Schuldenlast, die eine Million Gulden 80 bei Weitem überstiegen<br />

zu haben scheint. 81<br />

2.3 Rechtssystem<br />

2.3.1 Gerichts- und Verwaltungswesen<br />

2.3.1.1 Grundlagen<br />

Die Gerichtsorganisation der Alten Landschaft ab dem <strong>aus</strong>gehenden 14. Jahrhundert<br />

zeichnet sich <strong>gegen</strong>über der mittelalterlichen Gerichtsverfassung insbesondere<br />

dadurch <strong>aus</strong>, dass den äbtischen Gerichten neu die gesamte Bevölkerung<br />

des Landes unterstand und auf Verschiedenheit der Stände oder der<br />

78<br />

79<br />

80<br />

81<br />

TREMP [2005], S. 130, WEIDMANN [1834], S. 6 f.<br />

PETER, [1997].<br />

Der Gulden ist eine Münze <strong>aus</strong> Gold mit einem Gewicht von 3.54 Gramm. Die erstmals<br />

1252 in Florenz geprägte Münze erscheint in Schweizer Quellen bereits um 1300, erste<br />

Funde stammen <strong>aus</strong> dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts. Eine eigene Prägung setzte<br />

erst später und nur im deutschsprachigen Gebiet ein. Bei seiner Einführung im Spätmittelalter<br />

entsprach der Gulden in der Regel einem Pfund lokaler Währung, Ende des 15. Jahrhunderts<br />

war der Wert jedoch bereits auf zwei Pfund gestiegen. Im 18. Jahrhundert prägten<br />

neben anderen Orten auch Stadt und Fürstabtei St. Gallen Silbermünzen mit der Bezeichnung<br />

Gulden, vgl. SCHMUTZ/ZÄCH, Gulden, e-HLS [2005]. Ein Gulden (fl.=florin)<br />

bestand <strong>aus</strong> 15 Batzen oder 60 Kreuzern und ein Kreuzer entsprach acht (bisweilen sieben)<br />

Hellern; EHRENZELLER ERNST [1988], S. 72 und S. 227; BAUMANN MAX [2003],<br />

S. 134. Ein Pfund war seit dem Frühmittelalter bis zur Einführung des Frankens 1850 in<br />

der Schweiz eine Recheneinheit zu 240 Pfennigen [SCHMUTZ, Pfund (Währung), e-HLS<br />

(2006)].<br />

THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 93. Ildephons von Arx kritisierte Abt<br />

Beda in seiner St. Galler Geschichte wegen der Schuldenwirtschaft und bezeichnete ihn<br />

gar als charakterschwache Persönlichkeit und daher als unfähigen Regenten; VON ARX,<br />

Bd. 3 [1813], S. 640, 642, 646.<br />

30


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Rechtstitel, unter denen sie unter die äbtische Herrschaft gelangt waren, grundsätzlich<br />

keine Rücksicht mehr genommen wurde. Die Landeshoheit konnte somit<br />

alte Standesunterschiede überwinden und den Weg zum Staatsbürgertum<br />

ebnen. 82<br />

Der jeweilige Abt des Stifts St. Gallen liess die Regierungsgeschäfte teils<br />

durch geistliche, teils durch weltliche Beamte besorgen. Die wichtigsten geistlichen<br />

Beamten waren der Dekan, Vorsitzender des Pfalzrates und Haupt des<br />

Konvents, der Statthalter und der Offizial 83 . An weltlichen Ämtern existierten<br />

neben demjenigen des Landshofmeisters, des Hofkanzlers und des Lehenvogts<br />

in St. Gallen jene des Hofammanns und des Lehenvogts zu Wil sowie mehrerer<br />

Vögte und Obervögte. 84<br />

Im 18. Jahrhundert wies die Alte Landschaft folgende Verwaltungs- und Gerichtsorganisation<br />

auf: Die Ortschaften waren gebietsmässig eingeteilt in ein<br />

Oberamt und in ein Unteramt, das auch Wileramt genannt wurde und <strong>aus</strong> zwölf<br />

Niedergerichten 85 bestand. Das Oberamt gliederte sich in das Landshofmeisteramt,<br />

das Rorschacheramt 86 , das Oberbergeramt 87 und das Romanshorneramt 88 .<br />

82<br />

83<br />

84<br />

85<br />

86<br />

87<br />

88<br />

CAVELTI [1914], S. 81 f.<br />

Der Offizial war der Vertreter des äbtischen Ordinariats, zuständig u.a. für die Überwachung<br />

der Pfarrei und die Sorge für das Schulwesen, vgl. STAERKLE, Geschlecht [1942],<br />

S. 5.<br />

Obervögte zu Rorschach und zu Oberberg; im Toggenburg der Landvogt in Lichtensteig,<br />

der Vogt auf Iberg und der Vogt zu Schwarzenbach; im Rheintal der Vogt auf Rosenberg,<br />

der Vogt zu Blatten, der Gerichtsammann von Altstätten; im Reich der Vogt zu Neuravensburg;<br />

HOLLENSTEIN LORENZ, Oberbeamte [2005], S. 76; GMÜR [1903], S. 1. Zur<br />

Vogtgerichtsbarkeit im Mittelalter vgl. etwa GANAHL [1931], S. 71 ff.<br />

Zuzwil, Lenggenwil-Thurstuden, Niederhelfenschwil, Zuckenriet, Niederbüren, Oberbüren,<br />

Schneckenbund (Bronschhofen, Rossrüti, Trungen), Thurlinden, Rickenbach, Berggericht<br />

(um Wuppenau), Hüttenswil und Wängi (die letzten vier ganz im Thurgau, Thurlinden<br />

zum Teil), vgl. MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI.<br />

Bestehend <strong>aus</strong> den vier Niedergerichten Rorschach, Goldach, Steinach und Mörschwil<br />

sowie den Schlössern Wartensee und Sulzberg mit kleinen eigenen Gerichtsbezirken als<br />

Lehen des niederen Adels, vgl. MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI.<br />

Bestehend <strong>aus</strong> den sieben Niedergerichten Gossau, Oberdorf, Andwil, Niederwil-Gebhardschwil,<br />

Oberarnegg-Neuandwil, Waldkirch und Sitterdorf (im Thurgau), vgl. MÜL-<br />

LER, Einleitung [1974], S. XI.<br />

Bestehend <strong>aus</strong> den fünf Niedergerichten Romanshorn, Kesswil, Dozwil, Herrenhof und<br />

Zuben, vgl. MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI.<br />

31


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Die Fürstabtei St. Gallen 1468-1798 89<br />

Legende:<br />

Die Ortschaft Tablat 90 , das Zuh<strong>aus</strong>e von <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong>, war dem Landshofmeisteramt<br />

zugehörig. Dieses umfasste das Hofgericht mit den Hauptmannschaften<br />

91 Straubenzell, Gaiserwald, Bernhardzell, Wittenbach, Berg, Rotmonten<br />

und Lömmenschwil sowie Tablat und Muolen und die im Thurgau gelegenen<br />

Niedergerichte Sommeri, Hagenwil, Hefenhofen und Roggwil. 92 Das<br />

89<br />

90<br />

91<br />

92<br />

Quelle: ZANOLI MARCO, 2005, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/3/3d/<br />

Fuerstabtei_St_Gallen.png, (Datum des letzten Besuchs: 11. Juli 2008).<br />

MAYER MARCEL, Tablat, e-HLS [2005].<br />

Die Hauptmannschaften wurden im Gegensatz zu den Gemeinden nicht von einem Ammann,<br />

sondern von einem Hauptmann regiert und besassen keine eigenen Offnungen;<br />

THÜRER, Staatswesen [1963], S. 57.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI; HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt, e-HLS<br />

[2005].<br />

32


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Landshofmeisteramt unterstand im Gegensatz zum Rorschacheramt, das von<br />

einem Obervogt und einem geistlichen Statthalter verwaltet wurde, lediglich<br />

einem weltlichen hohen Beamten der äbtischen Regierung, dem Landshofmeister,<br />

der auch den Vorsitz im Hofgericht als Hofammann bzw. Hofmeister führte.<br />

93 Der Landshofmeister war erster Minister des Abts mit Regierungs- und<br />

Richterfunktionen sowie mit diplomatischen Aufgaben wie der Vertretung an<br />

der Tagsatzung. 94<br />

Das äbtische Untersuchungsgefängnis war in einem Turm hinter dem Wirtsh<strong>aus</strong><br />

«Hirschen» in St. Fiden untergebracht, die Richtstätte befand sich auf dem<br />

Espen. 95 Das Wirtsh<strong>aus</strong> diente als Gerichtslokal bei den Einvernahmen der Insassen<br />

des Gefängnisturms. Bei der Kapelle St. Fiden stand zu Zeiten von Abt<br />

Ulrich Rösch <strong>aus</strong>ser der Kaplanei kein anderes H<strong>aus</strong>, weshalb der Abt für die<br />

Gerichtssitzungen das Wirtsh<strong>aus</strong> bauen liess. 96 Auch der Sitz des Niedergerichts<br />

Tablat befand sich im «Hirschen». 97 Der Gefängnisturm wurde unter Abt Bernhard<br />

98 gebaut, der in seinem Rechnungsbuch 1619 festhielt:<br />

«Item hab’ ich ein Thurm und Gefangenschaft mit allen Notwendigkaitten, den Bluottpann<br />

und Malefizgericht desto besser und komlicher zue üben und verrichten, zue St. Fiden an<br />

dem Wirttsh<strong>aus</strong> lassen bauwen, thutt solcher Bauwkosten, laut specificierter Rechnung, in<br />

allem – fl. 829.» 99<br />

2.3.1.2 Hohe und niedere Gerichtsbarkeit<br />

Bei der Gerichtsbarkeit vor 1800 ist zwischen geistlicher und weltlicher zu unterscheiden,<br />

wobei letztere die Einteilung in Hoch- und Niedergerichtsbarkeit<br />

kennt. 100 Die geistlichen Statthalter des Abtes durften nach Kirchenrecht nicht<br />

93<br />

94<br />

95<br />

96<br />

97<br />

98<br />

99<br />

100<br />

GMÜR [1903], S. 295; STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 4; STAUB [1988], S. 72; MÜLLER,<br />

Offnungen [1964], S. 74.<br />

HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt, e-HLS [2005].<br />

ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 52.<br />

VON ARX, Bd. 2 [1811], S. 361.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3.<br />

Bernhard Müller, geb. 1557, gest. 1630, Abt von 1594 bis 1630, Biographie bei DUFT ET<br />

AL. [1986], S. 161 ff.<br />

StiASG, Bd. 879, S. 143b; Wiedergabe bei WEGELIN, Materialien [1855], S. 43.<br />

DUBLER, Gerichtswesen, Kap. 1.2, e-HLS [2005]; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988],<br />

S. 31.<br />

33


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

über Leben und Tod richten, sodass diese Aufgabe den weltlichen Beamten<br />

übertragen wurde. 101<br />

Weil bei der Bestrafung Blut floss, nannte man die Hochgerichtsbarkeit auch<br />

Blutgerichtsbarkeit. 102 Das Hoch- oder Blutgericht war zuständig für die Bestrafung<br />

von Verbrechen <strong>gegen</strong> Leib und Leben wie Tötungs- und schweren Körperverletzungsdelikten<br />

sowie von Sexualverbrechen, Raub, schwerem Diebstahl<br />

und Verbrechen <strong>gegen</strong> die Obrigkeit. 103 Auch Verbrechen <strong>gegen</strong> die Ehre konnten<br />

todeswürdig sein. 104 Seit dem Hochmittelalter war die hohe Gerichtsbarkeit<br />

ein königliches Privileg, das unter anderem durch die Verleihung des hochgerichtlichen<br />

Rechts zum Richten über Leben und Tod, dem sog. Blutbann, lehensrechtlich<br />

übertragen wurde. 105 Grundsätzlich konnte für die Blutgerichtsbarkeit<br />

räumlich auch das Dorfgericht zuständig sein. In diesem Falle hatte ein<br />

Vertreter der Landesherrschaft, der Landvogt oder Amtmann, den Vorsitz. 106<br />

Als Symbol umfassender hoheitlicher Machtbefugnisse einer Herrschaft haftete<br />

dem Blutbann ein enormes Prestige an. 107 Dem Kloster St. Gallen kam 1466<br />

und 1487 die Verbundenheit mit dem Reich zugute: Es erhielt vom Reich für<br />

die Reichsvogtei Rorschach und weitere Vogteien den Blutbann 108 mit der Auflage,<br />

dass die Abtei ihre Untertanen nach Reichsrecht zu beurteilen und zu strafen<br />

habe. Das übrige in der Abtei geltende Recht sollte hiervon nicht betroffen<br />

101<br />

102<br />

103<br />

104<br />

105<br />

106<br />

107<br />

108<br />

«Ecclesia non sitit sanguinem» – die Kirche dürstet nicht nach Blut; SPECKER [1987],<br />

Beitrag vom 31. Juli 1987; STAERKLE, Obervögte [1951], S. 23.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 106, Rz. 164.<br />

HIRSCH [1922], S. 16 ff., zur Abgrenzung von Hoch- und Niedergericht S. 50 ff.; WIL-<br />

LOWEIT [2005], S. 108.<br />

CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 31.<br />

MERZBACHER [1978], Sp. 172 f. Die Überzeugung der Stauferzeit, alle Gerichtsbarkeit<br />

gehe vom König <strong>aus</strong>, hatte sich tief in das Bewusstsein der nachfolgenden Generationen<br />

eingegraben; WILLOWEIT [2005], S. 122.<br />

SIMON, Grundherrschaft [1995], S. 18, sowie zur «Verdorfung» des Gerichts S. 16 f.<br />

GSCHWEND/KRAMER, Gerichtshoheit [2005], S. 18.<br />

Zum Wortlaut des Lehenbriefs Kaiser Friedrichs III. zuhanden des Gottesh<strong>aus</strong>es St. Gallen<br />

betreffend den Blutbann für das Gericht Rorschach StiASG, Bd. 66, S. 87, abgedruckt<br />

bei WEGELIN, Materialien [1855], S. 31; sowie die beiden weiteren Privilegien zum Blutbann<br />

von 1469 und 1487, StiASG, Bd. 66, S. 89 und 98, Auszüge abgedruckt bei WEGE-<br />

LIN, Materialien [1855], S. 32 bis 34; vgl. auch WILLI [1947], S. 149 f.; STAERKLE, Obervögte<br />

[1951], S. 23.<br />

34


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

sein. 109 Die Blutgerichtsbarkeit wurde schliesslich auf das ganze Gebiet des<br />

Landshofmeisteramts <strong>aus</strong>gedehnt. 110<br />

Gemäss einer das Malefiz betreffenden Bestallungurkunde 111 des Landshofmeisters<br />

<strong>aus</strong> dem Jahr 1775 verlieh der Abt dem Landshofmeister<br />

«<strong>aus</strong>s kayserl. gewalt und freiheit in dem ganzen hoffmeister-ambt, und anderen orthen,<br />

dahin wür ihne deputieren wurden, auch den pann mit der hand über das bluet und uebelthäter<br />

zu richten, [sie] zu fangen, auch peinlich zu fragen, und die urthel über sie lassen<br />

zu fellen, nach jedes verdienen [...]». 112<br />

Der Landshofmeister sollte dem Abt die Gefangennahme des Delinquenten<br />

unter Angabe des Grundes anzeigen und schliesslich die Examination und den<br />

ganzen Inquisitionsprozess dem Hofkanzler oder einem vom Abt bestimmten<br />

Vertreter überlassen. 113<br />

Im Gegensatz zur Blutgerichtsbarkeit befasste sich die niedere Gerichtsbarkeit<br />

mit kleineren Delikten wie Raufereien, Übertretung von Marktvorschriften<br />

und Sittenmandaten, in aller Regel Ehrverletzungen und dergleichen. 114 Niedergerichte<br />

deckten sich oft mit den Gemeindebezirken. Sie durften nur leichte<br />

Strafen verhängen, nicht aber schwere Körperstrafen oder gar Lebensstrafen. 115<br />

Verbreitet waren Geldbussen. 116 Neben den erwähnten leichteren Strafsachen<br />

fiel insbesondere bei Klagen betreffend Güterbesitz und Geldschuld auch die<br />

Zivilgerichtsbarkeit in den Zuständigkeitsbereich der Niedergerichte. Weiter<br />

109<br />

110<br />

111<br />

112<br />

113<br />

114<br />

115<br />

116<br />

GRAF [1996], S. 63.<br />

GMÜR [1903], S. 197. Siehe auch ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 53; WEGE-<br />

LIN, Materialien [1855] , S. 42.<br />

Unter dem Begriff Bestallung wurde die Einsetzung in ein Amt oder in einen Dienst verstanden;<br />

Meyers grosses Konversations-Lexikon, Bd. 2 [1885], S. 818.<br />

Bestallung des fürstl. st. gallischen landshofmeisters das malefiz betreffend, 1775,<br />

Art. 17, StiASG, Rubr. 27, Fasz. 5.<br />

Bestallung des fürstl. st. gallischen landshofmeisters das malefiz betreffend, 1775,<br />

Art. 18, StiASG, Rubr. 27, Fasz. 5.<br />

«Kleiner Frevel», vgl. SIMON, Grundherrschaft [1995], S. 26 f. Gemäss CARLEN betraf die<br />

niedere Gerichtsbarkeit ab dem späten Mittelalter grundsätzlich alle Sachen der bäuerlichen<br />

Bevölkerung <strong>aus</strong>ser die Blutsachen; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 31. Weitere<br />

Beispiele für Fälle niederer Gerichtsbarkeit bei HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 42;<br />

MERZBACHER [1978], Sp. 174.<br />

BLESS-GRABHER, S. 265. Ausführungen mit weiteren Literaturangaben zur Hoch- und<br />

Niedergerichtsbarkeit bei GSCHWEND/KRAMER, Gerichtshoheit [2005], S. 17 f.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 102.<br />

35


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

unterstanden ihnen das Pfandwesen und die Beistandschaften 117 sowie verschiedene<br />

Überwachungs- und Kontrollaufgaben. 118<br />

Eine klare Trennung der Zuständigkeiten von Hoch- und Niedergericht gab<br />

es jedoch nicht; oft umstritten war die Zuordnung der Körperverletzungsdelikte.<br />

119 Vom Niedergericht konnte mithin der ehrliche Totschlag behandelt werden,<br />

wie dies die Offnungen in der Fürstabtei St. Gallen teilweise vorsahen.<br />

Diese Tat wurde in der Regel mit einer Geldstrafe gebüsst. Der Täter wurde nur<br />

dann mit dem Hochgericht bedroht, wenn die gütliche Verständigung mit den<br />

Hinterbliebenen des Erschlagenen nicht gelang. 120 Der unehrliche Totschlag und<br />

der Totschlag über Friedegebot galten als Mord und damit als Fall für das Blutgericht.<br />

121 Dort kamen die Bestimmungen der Constitutio Criminalis Carolina 122<br />

zur Anwendung.<br />

Das Hofgericht des Landshofmeisteramts war als Niedergericht 123 zuständig<br />

für sieben Hauptmannschaften. 124 Es hatte seinen Sitz auf der Pfalz. 125 Bis Mitte<br />

des 15. Jahrhunderts hatte Tablat zur Vogtei Wittenbach und mit dieser zum<br />

Hofgericht gehört. Etwa im Jahre 1458 126 wurde ein eigenes Gericht Tablat geschaffen,<br />

wozu auch St. Fiden und St. Georgen gehörten. Es war wie das Hofgericht<br />

ein Niedergericht. 127 Das Tablater Gericht entschied über kleinere Rechtshändel<br />

und die in der Offnung von Tablat <strong>aus</strong> dem Jahre 1471 genannten Vergehen.<br />

Zudem vertrat es die Interessen der Gemeinde nach innen und <strong>aus</strong>sen. 128<br />

1613 wurde dem Gottesh<strong>aus</strong> St. Gallen für das Gericht Tablat von Kaiser Mat-<br />

117<br />

118<br />

119<br />

120<br />

121<br />

122<br />

123<br />

124<br />

125<br />

126<br />

127<br />

128<br />

DUBLER, Gerichtswesen, Kap. 1.2, e-HLS [2005].<br />

GSCHWEND/KRAMER, Gerichtshoheit [2005], S. 18.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 106, Rz. 164.<br />

Mit Quellenangaben MÜLLER, Offnungen [1964], S. 88, Fn. 282; siehe auch S. 100 f.<br />

MÜLLER, Offnungen [1964], S. 88, S. 101.<br />

Siehe dazu unten Kap. 2.3.2.2.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3; VON ARX, Bd. 2 [1811], S. 605.<br />

Staubenzell, Gaiserwald, Wittenbach, Lömmenschwil, Bernhardzell, Rotmonten und<br />

Berg.<br />

Heutiges Regierungsgebäude, ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 51.<br />

Siehe zur Unsicherheit über das Entstehungsjahr der Gemeinde Tablat STAERKLE, Tablat<br />

[1991], S. 28; vgl. auch HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 12.<br />

MENOLFI, Hofleute [1991], S. 85.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3. Siehe zum Gericht Tablat auch ENGENSPERGER<br />

[1953], S. 29.<br />

36


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

thias 129 der Blutbann verliehen. 130 Abt Bernhard hatte dies beantragt, damit die<br />

Übeltäter nicht mehr auf die «ungefehr zwo stundt» entfernte Urteilsstätte in<br />

Rorschach gebracht werden müssten. 131<br />

2.3.1.3 Der Pfalzrat, das «höchste tribunal der gerechtigkeit» 132<br />

Das oberste fürstäbtische Gericht war der ebenfalls auf der Pfalz ansässige<br />

Pfalzrat. Er ist seit dem 14. Jahrhundert als Pfalzgericht urkundlich erwähnt, ab<br />

dem 16. Jahrhundert bis zum Ende seines Bestehens im Jahre 1799 wurde es als<br />

Pfalzrat bezeichnet. 133<br />

Der Pfalzrat war nicht nur eine Gerichts-, sondern auch eine Verwaltungsbehörde<br />

und bestand <strong>aus</strong> verschiedenen geistlichen Mitgliedern 134 sowie <strong>aus</strong> Mitgliedern<br />

des weltlichen Stands wie dem Hofmarschall, dem Landshofmeister,<br />

dem Kanzler, dem Lehenvogt und den Obervögten der einzelnen Ämter des<br />

Oberamts. 135 Zwischen Pfalzrat und Vögten bestand eine enge Beziehung, was<br />

etwa in der mehr oder weniger intensiven Korrespondenz bei der Führung von<br />

Kriminalprozessen zum Ausdruck kommt. 136 Bei Durchsicht der Protokolle fällt<br />

auf, dass der Pfalzrat jedoch wohl kaum jemals in voller Besetzung tagte.<br />

Bei den Akten des Stiftsarchivs findet sich eine «ordnung, wie die pfaltz-räth<br />

sollen gehalten werden» <strong>aus</strong> dem Jahr 1636. 137 Die Ordnung besteht <strong>aus</strong> zehn<br />

Artikeln. Diese befassen sich insbesondere mit dem von den Parteien vor Gericht<br />

geforderten Verhalten. 138 Weiter legen sie fest, dass «fräffell undt täglich<br />

vorfallende händell alle monat abgestrafft und gericht werden [sollen], damit<br />

129<br />

130<br />

131<br />

132<br />

133<br />

134<br />

135<br />

136<br />

137<br />

138<br />

Matthias, geb. 1557, gest. 1619, war von 1612 bis 1619 Kaiser des Heiligen Römischen<br />

Reichs.<br />

Der kaiserliche Lehenbrief über den Blutbann vom 21. Oktober 1613 ist bei GMÜR<br />

[1903], <strong>aus</strong>zugsweise abgedruckt, S. 238 f.<br />

StiASG, Bd. 66, S. 149. Die entsprechende Vorstellung Abt Bernhards und die kaiserliche<br />

Konzession sind <strong>aus</strong>zugsweise abgedruckt bei WEGELIN, Materialien [1855], S. 42.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 4, Ziff. 1.<br />

GSCHWEND, Pfalzgericht, e-HLS [2006].<br />

Dekan, Statthalter und drei weitere Konventualen, MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341.<br />

MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341.<br />

MEIER ALBERT [1911], S. 133.<br />

StiASG, Bd. 314, S. 202 ff.<br />

StiASG, Bd. 314, Art. 2 bis 5.<br />

37


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

nichts verscheine, und dass bös desto mehr verhüot unndt abgeschafft werde». 139<br />

Aus dem Jahr 1723 ist eine weitere Pfalzratsordnung im Stiftsarchiv erhalten. 140<br />

Diese wurde von Abt <strong>Joseph</strong> 141 erlassen und umfasst neun Punkte. Ein besonderes<br />

Anliegen in dieser Ordnung war dem Abt offensichtlich die Gewährleistung<br />

einer sauberen Aktenführung und -verwaltung. 142 Diese kurze Pfalzratsordnung<br />

erachtete Abt <strong>Joseph</strong> aber nicht als <strong>aus</strong>reichend. Im Jahr 1733 schuf er ein <strong>aus</strong>führliches,<br />

119 handschriftliche Seiten umfassendes «concept hochfürstlicher<br />

st. gallischer pfalzrathsordnung». Darin hält «Wür <strong>Joseph</strong>us von Gottes gnaden<br />

des Heiligen Römischen Reichs fürstabbte zu St. Gallen und St. Johann im<br />

Thurthal ritter des königlichen ordens der jungfräulichen verkündigung Mariae»<br />

143 folgende Kundschaft fest:<br />

«[...] folgsam hoch- und nideren tribunalien und gerichten allermänniglich ein gleiches<br />

recht gehalten, mit pflichtmässigen eifer beförderet und mit unparteischem gemüeth ertheillet<br />

werden möge: zue disem zihl und ende auch, gleich unsern in gott ruhenden herren vorfahren<br />

in der regierung, alle die jenige, welche in unserm nammen und gewalth unsern<br />

fürstlichen pfalzrath allhier zu dirigieren, deme bei zu wohnen, auch dabei urtel und recht<br />

zu sprechen und zu vollziechen haben, mit besonderen ambtsinstructionen und verordnungen,<br />

wie ein jeder derselbe seine obligenheit zu beobachten habe, versehen. [...]» 144<br />

Diese «besondere pfalzrathsordnung» 145 Abt <strong>Joseph</strong>s enthält eine Vielzahl<br />

<strong>aus</strong>führlich dargelegter prozessrechtlicher Regeln für ein Gerichtsverfahren vor<br />

dem Pfalzrat. In der Ordnung wird dieser als «das höchste tribunal der gerech-<br />

139<br />

140<br />

141<br />

142<br />

143<br />

144<br />

145<br />

StiASG, Bd. 314, Art. 7.<br />

StiASG, Bd. 324, S. 877 ff.<br />

Abt <strong>Joseph</strong> wird als «<strong>aus</strong>gezeichneter Regent und Abt» beschrieben, dessen «Regierung<br />

und Wirksamkeit eine wohlgeordnete in allen Richtungen [...]» war, BAUMGARTNER<br />

[1868], S. 104.<br />

So legte Abt <strong>Joseph</strong> etwa Folgendes fest: «Erstlich von nun an alle unsere acta politica,<br />

tam publica, quam privata, sambt allen bissherigen geführten prothocollis, von all denenjenigen,<br />

so dergleichen bey ihren handen haben möchten, unserm hofcantzler in das<br />

cantzley-archiv geliffert, von demselben aber das künfttig einkommende quo ad substantiam<br />

kurzlich rubriciert, nachgehendts auch niemandt keine acta ohne schein und mithin<br />

deren ordentliche restitution, von ihme mehr extradirt»; StiASG, Bd. 324, Punkt 1.<br />

Eine solche Einleitung, die sich in ähnlicher Form etwa auch in Bestallungsurkunden<br />

findet, war in Form und Inhalt ganz und gar charakteristisch für einen fürstlichen Souverän<br />

<strong>aus</strong> der Zeit des Absolutismus; vgl. etwa den Ausschnitt <strong>aus</strong> der Bestallungsurkunde<br />

für <strong>Joseph</strong> Sartory von Rabenstein als Obervogt zu Rorschach bei SPECKER [1987], Beitrag<br />

vom 1. September 1987.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 2.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 3.<br />

38


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

tigkeit in unsern stüfft st. gallischen landen» bezeichnet. 146 Oberstes Haupt und<br />

Richter seien allein «wür 147 und ein jeder regierender fürst, abbt und herr zu<br />

St. Gallen selbst». 148 Wenn der Abt der Verhandlung nicht selbst beiwohnte, so<br />

war der Dekan sein Stellvertreter. War auch dieser verhindert, so hatte der<br />

Landshofmeister beim Abt nachzufragen, wer nun den Vorsitz übernehmen sollte.<br />

Der Abt würde für die Verhandlung «das nöthige verordnen [...] damit keine<br />

saumsal erscheine, noch einige zeit in beförderung der justiz und der partheyen<br />

vernachlässiget werde». 149 Damit der Pfalzratsordnung verlässlich nachgelebt<br />

werden könnte, sollte diese alle zwei Jahre vom Ratssekretär dem versammelten<br />

Rat vorgelesen und dem Präsidenten sowie jedem der Pfalzräte ein Exemplar<br />

<strong>aus</strong>gehändigt werden. 150 Materiell-rechtliche Regeln enthält die Ordnung nicht.<br />

Die Zuständigkeiten des Pfalzrats waren vielfältig. Er nahm die Stellung einer<br />

Appellationsinstanz für alle Gerichte des Oberamts 151 ein. 152 Urteile aller<br />

Niedergerichte konnten an den Pfalzrat weitergezogen werden. 153 In den Protokollen<br />

des Pfalzrats finden sich zahlreiche Prozesse wegen Ehrverletzungen und<br />

übler Nachrede, weitere wegen Kauf- und Erbangelegenheiten oder der «verletzung<br />

der guten nachbarschaft». Wichtigere Fälle wie etwa grössere Vergehen,<br />

die Errichtung von Testamenten o. ä. wurden nicht von den Niedergerichten<br />

behandelt, vielmehr entschied der Pfalzrat (bzw. der «Ledige» Pfalzrat 154 ) darüber<br />

direkt. 155 Der Pfalzrat wachte zudem über die Gemeindeverwaltungen, und<br />

146<br />

147<br />

148<br />

149<br />

150<br />

151<br />

152<br />

153<br />

154<br />

155<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 4, Ziff. 1.<br />

Gemeint ist damit der jeweilige Abt.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 4, Ziff. 1.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 6, Ziff. 3.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 70.<br />

Bestehend <strong>aus</strong> Landshofmeisteramt, Rorschacher Amt, Oberberger Amt und Romanshorner<br />

Amt, siehe Kap. 2.3.1.1.<br />

Für die Gerichte des Unteramtes war der sog. Wiler Pfalzrat Appellationsinstanz, siehe<br />

MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 164. Dieser besondere Pfalzrat wurde wohl durch Abt<br />

Ulrich Rösch geschaffen, weil Wil die zweite Residenz des Abtes war, vgl. STAERKLE,<br />

Hofstaat, S. 47 f. Siehe auch THÜRER, Staatswesen [1963], S. 57.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3; VON ARX, Bd. 2 [1811], S. 606.<br />

Siehe sogleich.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3.<br />

39


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

zwar nicht nur in Verwaltungsstreitigkeiten, sondern auch in reinen Ermessensfragen.<br />

156<br />

Der Pfalzrat war die höchste und damit letzte Gerichtsinstanz. 157 War das Urteil<br />

erst einmal gefällt, so sollte den Parteien nicht mehr viel Gehör erteilt, sondern<br />

der Vollzug des Urteils beförderlich behandelt werden. Sollte eine Partei<br />

jedoch mit neuen, zuvor nicht bekannten Dokumenten oder Zeugen vorstellig<br />

werden oder sonst einen wichtigen rechtsbeständigen Grund geltend machen, so<br />

sollte sie an den Abt gelangen und um Revision ersuchen können. Dieser würde<br />

dann die gebührende Resolution darüber erteilen. 158<br />

Richtete der Pfalzrat über grössere Strafsachen, so nahm er den Charakter eines<br />

Malefizgerichts an. 159 Den Kriminalprotokollen 160 ist zu entnehmen, dass er<br />

in den Fällen der Strafgerichtsbarkeit als «Lediger Pfalzrat» bezeichnet wurde,<br />

der in der Regel nur mit weltlichen Mitgliedern besetzt war. In gewissen Fällen<br />

von weit reichender Bedeutung führte jedoch der Abt den Vorsitz. Die Notwendigkeit<br />

einer eigenen Instanz für Kriminalfälle begründete Abt <strong>Joseph</strong> in der<br />

Pfalzratsordnung 1733 folgendermassen:<br />

«Wann es aber geistliche sachen in ihrer natur, aigenschafft, und rechten anbetrifft, so sollen<br />

solche ad forum ecclesiasticum, die criminalia aber ad forum criminale verwiesen, folgsam<br />

weder die instanzien, die grichten, noch die an einen jeden orth, und richter gehörige<br />

c<strong>aus</strong>ae, personen und sachen vermischt werden.» 161<br />

Die Zuständigkeit des Pfalzrats als Malefizgerichts ist bisher kaum erforscht.<br />

Möglicherweise hatte der Ledige Pfalzrat sich für die einzelnen Strafverfahren<br />

zu den jeweiligen Blutgerichtsstätten – etwa den Obervogteien Rorschach und<br />

Oberberg – zu begeben. Dies würde erklären, weshalb Abt Bernhard 1613 daran<br />

156<br />

157<br />

158<br />

159<br />

160<br />

161<br />

ENGENSPERGER [1953] zitierte diesbezüglich Fr. von Wyss, der sich betreffend die pfalzrätliche<br />

Kontrolle der Gemeinden dahingehend äusserte, dass dies die Art der Rechtsprechung<br />

jener Zeit gewesen sei, die Rechtliches und Administratives nicht genau voneinander<br />

unterschieden und auf Zweckmässigkeit grosse Rücksicht genommen habe, S. 48.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 54 f.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 66 ff.<br />

ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 52; BAUMANN MAX [2003], S. 58. Betreffend<br />

Zuständigkeiten von Pfalzrat und Hofgericht siehe auch MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341<br />

ff.<br />

Der Fall <strong>Egger</strong> findet sich im Stiftsarchiv St. Gallen in Bd. 1074 der Kriminalprotokolle,<br />

S. 3 bis 77.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 17.<br />

40


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

gelegen war, den Blutbann auch in Tablat <strong>aus</strong>üben lassen zu dürfen; wie WILLI<br />

festhält, war dieses Anliegen mit der günstigeren Lage für die Pfalzräte und damit<br />

der Reduktion der Kosten zu begründen. 162<br />

Im Register zu den im Stiftsarchiv St. Gallen vorhandenen Gerichtsprotokollen<br />

findet sich für den Pfalzrat auch die Bezeichnung «Samstags- und Appellationsrath».<br />

Die Sitzungen fanden jedoch nicht etwa nur samstags statt. Gemäss<br />

Pfalzratsordnung sollten die Verhandlungen einmal wöchentlich jeweils am<br />

Mittwoch abgehalten werden. War dieser ein Feiertag, so sollte der Landshofmeister<br />

nach Rücksprache mit dem Abt einen anderen Wochentag festlegen. 163<br />

Die Gerichtsprotokolle belegen hin<strong>gegen</strong>, dass die Verhandlungen an allen Wochentagen<br />

(selten sogar an Sonntagen) ohne erkennbare Regelmässigkeit stattfanden.<br />

Kriminalprotokolle des Ledigen Pfalzrats sind im Stiftsarchiv St. Gallen<br />

für den Zeitraum von 1555 bis 1799 erhalten.<br />

In der Pfalzratsordnung wurde verankert, dass an den jeweiligen Verhandlungstagen<br />

die Sitzungen der Pfalzräte von Ostern bis Michaeli 164 um acht Uhr<br />

und im Winter um halb neun Uhr vormittags «auf den gloggen streich» zu beginnen<br />

hätten. Auch die Gerichtsferien sind in der Ordnung festgehalten und<br />

dauerten von Weihnachten bis zum 6. Januar 165 , vom Sonntag vor bis Sonntag<br />

nach Aschermittwoch 166 , während der ganzen österlichen Zeit, in der Woche um<br />

Fronleichnam 167 sowie in der Zeit «des würckhlichen heüet, schnitt, und weinlese»<br />

und an «allen ganz, und halben feyrtägen das ganze jahr hindurch», wobei<br />

«auch auf die jahr- und marckt täge zu St. Gallen, Wyll, Liechtensteig, Rorschach,<br />

Altstetten, und Bischoffzell, absonderlich in ansehen der jenigen, welche<br />

solche besuechen, behörige achtung zu haben» sei. 168 Nicht zuletzt vor dem<br />

162<br />

163<br />

164<br />

165<br />

166<br />

167<br />

168<br />

WILLI [1947], S. 150.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 23, Ziff. 15.<br />

Der Tag des Erzengels Michael ist der 29. September. Zu Begriff und Fest siehe Lexikon<br />

der Bräuche und Feste [2007], S. 262 und S. 461.<br />

«Vigilia Nativitatis Domini» bis «ad festum Epiphanie», StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept<br />

S. 26, Ziff. 17; zu den Begriffen und Festen siehe Lexikon der Bräuche und Feste<br />

[2007], S. 417 ff., S. 446, S. 466.<br />

Gemäss StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 26, Ziff. 17 in der «ganzen wochen Quinquagesimae»;<br />

zum Begriff siehe Lexikon der Bräuche und Feste [2007], S. 26 f.<br />

Gemäss StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 26, Ziff. 17 in der «ganzen Corporis<br />

Christi woch»; zu Begriff und Fest siehe Lexikon der Bräuche und Feste [2007], S. 120 ff.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 26 f., Ziff. 17.<br />

41


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Hintergrund, dass das katholische Jahr auch im 18. Jahrhundert noch viele Feiertage<br />

kannte, wird deutlich, dass der Geschäftsgang an zahlreichen Tagen im<br />

Jahr nicht stattfinden konnte. In Einzel- und Landmandaten der Alten Landschaft<br />

kommt der Feiertagsheiligung eine grosse Bedeutung zu; viele Sätze richten<br />

sich <strong>gegen</strong> die Verletzung der Sonn- und Feiertage. 169 Dass wie erwähnt in<br />

seltenen Fällen sogar Protokolleinträge von Verhandlungen am Sonntag vorhanden<br />

sind, vermag somit zu erstaunen.<br />

Die vor dem Pfalzrat anfallenden Gebühren sind im Konzept von 1733 nicht<br />

geregelt. Es verweist jedoch auf eine Taxenordnung. 170 Im Stiftsarchiv ist eine<br />

am 24. Juli 1783 erstellte Abschrift einer «taxen ordnung» erhalten, «das raths<br />

secretariat betreffend, wie solche in einer alten copia bey der hochfürstl. kanzley<br />

vorgefunden, und auf gnädigsten befehl sr. hochfürstlichen gnaden, dem darmaligen<br />

herrn rats secretario Anton Pankrazius Bossart 171 zu dessen verhalt bestellet<br />

worden.» 172 Aus welchem Jahr das ursprüngliche Exemplar der Taxenordnung<br />

stammte, wurde in der Abschrift von 1783 nicht festgehalten. Die Taxenordnung<br />

führt auf sieben Seiten die Gebühren für verschiedene Handlungen vor<br />

dem Pfalzrat auf, so etwa die Einschreibgebühren, die Appellationsgebühren,<br />

die Gebühren für Rechtsschriften, Urteilsbriefe, Testamente und dergleichen.<br />

Neben solchen Bestimmungen enthält die Ordnung verschiedene Zulassungsvor<strong>aus</strong>setzungen.<br />

So konnte beispielsweise grundsätzlich an den Pfalzrat appelliert<br />

werden, ohne dass man sich vorher beim Landshofmeister oder sonst wo<br />

melden musste, sofern die Appellation «jnnert der gewöhnlichen tage geschehe»<br />

und die Sache «appellabel» sei. 173 Die gewöhnliche Einschreibgebühr betrug<br />

zwölf Kreuzer. Weiter wurde in der Taxenordnung geregelt, in welchen Fällen<br />

169<br />

170<br />

171<br />

172<br />

173<br />

Vgl. die Ausführungen mit Beispielen bei MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 242. In der<br />

letzten Fassung des Landmandats sind sämtliche Sonn- und Feiertage aufgelistet, die «alle<br />

Gottsh<strong>aus</strong> Leuth» halten sollten; Landmandat 1761, Art. 2, RQSG (Alte Landschaft),<br />

S. 111. Siehe auch VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 72 f.; MÜNCH [1992], S. 420 ff.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 80.<br />

Anton Pankraz Bossart war von 1783 bis 1797 Sekretär des fürstlichen Pfalzrats, später<br />

Obersekretär der Verwaltungskammer des Kantons Säntis. Er wurde mit allen Mitgliedern<br />

der Kammer am 22. Mai 1799 verhaftet und abgesetzt; Historisch-biographisches Lexikon,<br />

Bd. 2 [1924], S. 319.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Taxen ordnung, S. 1.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Taxen ordnung, S. 1.<br />

42


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

welches Siegel mit welchem Wachs zu verwenden sei. Die Gebühren für Prozesse<br />

vor dem Ledigen Pfalzrat sind nicht explizit erwähnt.<br />

2.3.2 Relevante Gesetzgebung<br />

2.3.2.1 Grundlagen<br />

Die Pfalzratsordnung von 1733 enthält Aussagen über das anwendbare Recht.<br />

So sollten sich die Pfalzräte<br />

«[...] zu unparteilicher und gleicher administration der justiz folgendes zur richtschnur nehmen:<br />

1. Unser fürstl. st. gall. landmandat sambt denen übrigen <strong>aus</strong>struckentlich publicierten und<br />

üeblichen verordnungen der hochen obrigkeit.<br />

2. Unser landt- und erbrecht, sprüch verträge, rechtmässig erlangte privilegia und freiheiten,<br />

wie auch der gemeinden hoch-obrigkeitlich approbierte offnungen und einzüg.<br />

3. die rechtmässige, billiche und von altem wohlhergebrachte guete ordnungen und gewohnheiten.<br />

4. den rechtmässigen besiz- und üebung.<br />

5. die gemeinen beschriben geist- und kayl. weltliche rechten in so weith solche in unsern<br />

landen anschlagen und observiert werden mögen.» 174<br />

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Alten Landschaft im hohen Mittelalter<br />

und der frühen Neuzeit weist eine grosse Reichhaltigkeit auf. In der vorliegenden<br />

Studie kann nur auf für den Fall <strong>Egger</strong> relevantes Recht näher eingegangen<br />

werden. Vom übrigen für das Pfalzgericht massgebenden Recht wird ein kurzer<br />

Abriss gegeben.<br />

Durch die Fortentwicklung der Grundherrschaft war das Gebiet der Alten<br />

Landschaft in unzählige neue Gerichts- und Rechtskreise zerfallen, in denen<br />

eine Fülle neuen Rechts, sog. Hofrecht, entstand. 175 Das alemannische Recht<br />

beeinflusste die Rechtsetzung und die Rechtsprechung indirekt und möglicher-<br />

174<br />

175<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 10 f., Ziff. 5 mit Unterziffern 1 bis 5. ENGENSPER-<br />

GER [1953], der die Gemeinden betreffende Pfalzratsurteile untersucht hatte, wies darauf<br />

hin, dass die Urteile weniger auf strengem Recht als der alten Gewohnheit beruhten,<br />

S. 53.<br />

GRAF [1996], S. 54; MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 155.<br />

43


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

weise auch direkt weiter. Der 1275/76 entstandene Schwabenspiegel 176 etwa<br />

wurde in der heutigen Ostschweiz offiziell zwar nicht angewendet, wurde aber<br />

als subsidiäres Recht anerkannt und fand fragmentartig Eingang in die Rechte<br />

der Ostschweizer Gebiete. So zeugen beispielsweise die Weistümer von Tablat<br />

und Flawil von starkem Einfluss des Schwabenspiegels. 177<br />

2.3.2.2 Die Constitutio Criminalis Carolina<br />

Bis ins späte Mittelalter kannte die Rechtsprechung im Heiligen Römischen<br />

Reich Elemente wie den Reinigungseid oder das Gottesurteil. Auch die Sühne<br />

durch Geldzahlung war verbreitet. 178 Wie bereits erläutert, entwickelte sich die<br />

Hochgerichtsbarkeit als kaiserliches Privileg mit der Befugnis, über Leib und<br />

Leben von Menschen zu richten, erst im Hochmittelalter. Bestimmungen zum<br />

vom König verliehenen Blutbann finden sich etwa im Schwabenspiegel. 179 Im<br />

Rahmen der Bemühungen um die Bekämpfung der Willkür und um klarere neue<br />

Gesetze einigte man sich am Wormser Reichstag von 1495 auf Reformen auf<br />

der Grundlage eines «Ewigen Landfriedens», der Fehde und Selbstjustiz untersagte,<br />

und gründete zur Unterstützung der Beschlüsse ein ständiges Reichskammergericht.<br />

180 Weiter entstand nach der Vorlage Johann von Schwarzenbergs<br />

181 «Bambergischen Peinlichen Halsgerichtsordnung» von 1507 (CCB) 182<br />

176<br />

177<br />

178<br />

179<br />

180<br />

181<br />

182<br />

Eine Übersicht dazu liefert KÖBLER [1997], S. 530.<br />

GRAF [1996], S. 54 f., MOSEN-NEF, Bd. 5 [1951], S. 23 f.; S. 27.<br />

FRAUENSTÄDT [1881], S. 46 ff.<br />

So Art. 92 des ersten Landrechtsteils des Schwabenspiegels. Dort heisst es u. a.: «[...] Wer<br />

keinen Bann vom König hat, kann nicht richten, <strong>aus</strong>ser zu Haut und Haar [...]», vgl.<br />

Art. 92 LandR I bei DERSCHKA [2002].<br />

BLESS-GRABHER [2003], S. 268; WILLOWEIT [2005], S. 137 f.<br />

In der aktuellen Forschung über die CCB wird der Nichtjurist Schwarzenberg zwar noch<br />

als der politisch führende Kopf der Strafrechtsreform bezeichnet, man geht jedoch davon<br />

<strong>aus</strong>, dass bei der Redaktion die Rolle seiner juristischen Mitarbeiter (etwa die gelehrten<br />

Juristen von Egloffstein und von Rotenhan) wichtiger war, als man bislang glaubte; vgl.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 51 f.; WESEL [2006], S. 396; LIEBERWIRTH [2006],<br />

Sp. 886.<br />

Constitutio Criminalis Bambergensis, CCB; siehe statt vieler RADBRUCH, Carolina<br />

[1930], S. 317 ff.; KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 15 ff.; TRUSEN [1984], S. 99 ff.; EI-<br />

SENHARDT ULRICH [2004], S. 252 f., Fn. 351 f.<br />

44


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

die im Jahre 1532 verkündete «Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. 183 ». 184<br />

Diese Constitiutio Criminalis Carolina (kurz: Carolina oder CCC) gilt als eines<br />

der wichtigsten Reichsgesetze des Heiligen Römischen Reichs. Sie war das letzte<br />

grosse Werk der Reichsgesetzgebung. 185 Durch sie wurde eine neue Epoche<br />

der deutschen Strafrechtspflege eingeleitet. 186 Die Carolina war kein eigentliches<br />

Strafgesetzbuch, sondern eher eine Prozessordnung, die das «peinliche Verfahren»<br />

erneuern sollte, gleichzeitig aber Grundlage eines allgemeinen deutschen<br />

Strafrechts wurde und vielerorts bis ins <strong>aus</strong>gehende 18. Jahrhundert Anwendung<br />

fand. 187 RADBRUCH bezeichnete die Carolina als Strafprozessordnung, in die ein<br />

Strafgesetzbuch eingeschalten sei. 188 Neben den zahlreichen prozessualen Vorschriften<br />

enthält die Carolina tatsächlich eine Reihe materiell-rechtlicher Bestimmungen<br />

189 , ist aber dennoch kein Strafgesetzbuch im heutigen Sinn. Es geht<br />

nicht um die Begründung der Strafbarkeit durch Festlegung des Straftatbestands<br />

im Gesetz; vielmehr setzt die Carolina das materielle Strafrecht als bestehend<br />

und im Wesentlichen bekannt vor<strong>aus</strong>. 190 Die Carolina bezieht sich nur auf<br />

«peinliche» Strafsachen, also auf mit Pein verursachenden körperlichen Strafen<br />

zu ahndende Taten. Leichtere Verfehlungen sind auf Klage des Verletzten im<br />

Zivilprozess in der Regel mit Geldbusse zu bestrafen. 191 Am eingehendsten werden<br />

Tötungs- und Diebstahlsdelikte behandelt. 192<br />

183<br />

184<br />

185<br />

186<br />

187<br />

188<br />

189<br />

190<br />

191<br />

192<br />

Karl V., geb. 1500, gest. 1558, ab 1519 König des Heiligen Römischen Reichs, 1530 in<br />

Bologna zum Kaiser gekrönt, Thronverzicht im Jahr 1556 zugunsten seines Sohnes Philipp<br />

II. in Spanien und Burgund und zugunsten seines Bruders Ferdinand I. im Reich;<br />

SENN [2007], S. 450.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 49 ff.; SCHROEDER [1986], S. 333; EISENHARDT ULRICH<br />

[2004], S. 253 ff.<br />

Zu den voneinander abweichenden Einschätzungen der Bedeutung der Carolina in unterschiedlichen<br />

Zeiten siehe SCHILD, Rechtstag [1984], S. 119 ff.; RÜPING [1984], S. 161 ff.;<br />

GÜNTHER [1889], S. 286 f. Zur Entstehungsgeschichte mit weiteren Literaturhinweisen<br />

PÖLTL [1999], S. 37 ff.; im Weiteren BALDAUF [2004], S. 83 ff.; HATTENHAUER [2004],<br />

S. 424, Rz. 1206.<br />

LIEBERWIRTH [2006], Sp. 889. HENKEL [1968], S. 39, bezeichnet die Carolina als den<br />

ersten grossen Wendepunkt in der deutschen Strafverfahrensentwicklung.<br />

BLESS-GRABHER [2003], S. 268.<br />

RADBRUCH, Carolina [1930], S. 323.<br />

Insbes. Art. 104 bis 180 CCC; siehe auch LIEBERWIRTH [2006], Sp. 887.<br />

KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 25.<br />

KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 9.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 52.<br />

45


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Die Carolina erlangte auf dem heutigen Gebiet der Schweiz keine direkte Gesetzeskraft,<br />

wurde aber in verschiedenen Regionen 193 als subsidiäres Recht angewendet,<br />

wenn das eigene Recht eine Rechtsfrage nicht entschied. 194 Im Gegensatz<br />

zu den meisten anderen Regionen der heutigen Schweiz verpflichtete<br />

die Fürstabtei St. Gallen ihre Vögte eidlich auf «die Rechtsprechung gemäss des<br />

heiligen Reichs peinlicher Gerichtsordnung». 195 Sie hatten die «mit Druck gefertigte<br />

peinliche Halsgerichtsordnung <strong>gegen</strong>wärtig zu haben und nach derselben<br />

zu handeln». 196 In Zweifelsfällen sollten sie sich beim Landesherrn oder bei<br />

Sachverständigen erkundigen. 197 In der Fürstabtei wurde die Carolina also «systematischer<br />

und mit bedeutend mehr Nachdruck von oben angewendet» als im<br />

restlichen Geltungsgebiet in der heutigen Schweiz. 198 Neben dem Vogt mussten<br />

auch die beisitzenden Räte in ihrer Funktion als Untersuchungskollegium sowie<br />

die Schöffen auf die Carolina beeidigt werden; eine Praxis, die offenbar in der<br />

ganzen Alten Landschaft streng durchgeführt wurde. 199 Im Verfahren machte<br />

sich der grosse Einfluss des Reichsgesetzes grundsätzlich vorteilhaft bemerkbar;<br />

193<br />

194<br />

195<br />

196<br />

197<br />

198<br />

199<br />

So in den drei Bünden des heutigen Graubündens, in Basel, im Gebiet des Fürstbischofs<br />

von Basel, in Schaffh<strong>aus</strong>en, im Wallis und im bernerischen Waadtland. In den Quellen<br />

von Luzern, Schwyz, Zug, Freiburg und dem Fürstentum Neuenburg finden sich Hinweise<br />

auf die Carolina, während sie die Stadt St. Gallen, Uri, Ob- und Nidwalden, Bern, Zürich,<br />

Solothurn und Genf nur unwesentlich beeinflusste; CARLEN, Rechtsgeschichte<br />

[1988], S. 41.<br />

CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 41. Zu älteren Lehrmeinungen über die Geltung der<br />

Carolina PFENNINGER HEINRICH [1890], S. 80 f.<br />

CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 41; siehe auch BLESS-GRABHER [2003], S. 269;<br />

SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Oktober 1987.<br />

Dies sahen etwa die Bestallungsurkunden der Obervögte vor; SPECKER [1987], Beitrag<br />

vom 31. Oktober 1987; MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 95 f. Das Stift St. Gallen verfügte<br />

neben Ausgaben der Carolina auch über Kommentarliteratur dazu, vgl. mit Quellenangaben<br />

MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 312, insbes. Fn. 92.<br />

Mit Hinweis auf die entsprechendes vorschreibenden Bestallungen der Obervögte<br />

STAERKLE, Obervögte [1951], S. 24.<br />

MEIER ALBERT [1911], S. 145. Dies könnte mit den Bedingungen zum Erhalt des Blutbanns<br />

zusammengehängt sein, vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Kap. 2.3.1.2.<br />

Siehe auch MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 30 f.; PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 122,<br />

Rz. 189.<br />

MEIER ALBERT [1911], S. 137 und 145; siehe auch SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Oktober<br />

1987.<br />

46


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

man führte die Prozeduren vorsichtig <strong>aus</strong> und unterwarf etwa die Anwendung<br />

der Folter den Beschränkungen der Carolina. 200<br />

Das Pfalzgericht hatte gemäss oben zitierter Ziff. 5 der Pfalzratsordnung von<br />

1733 die kaiserlichen Rechte und so auch die Carolina anzuwenden, «in so<br />

weith solche in unseren landen anschlagen und observiert werden mögen». 201 Es<br />

ist anzunehmen, dass dieser Hinweis auf die Anwendung der kaiserlichen Rechte<br />

als expliziter Verweis unter anderem auf die Carolina zu verstehen ist. Indizien<br />

dafür sind jedenfalls die eidliche Verpflichtung der entsprechenden Amtsträger<br />

der Alten Landschaft auf die Rechtsprechung nach der Carolina sowie<br />

etwa die Berufung auf die Carolina in den Akten zum Fall <strong>Egger</strong>. 202<br />

Betreffend materiell-rechtliche Bestimmungen griff man in der Fürstabtei für<br />

gewöhnlich wohl weitgehend auf die Carolina zurück, sind die Vorschriften der<br />

Pfalzratsordnung doch <strong>aus</strong>schliesslich formeller Natur. Die Pfalzratsordnung<br />

enthält im Übrigen eine Reihe von möglicherweise durch die Carolina beeinflussten<br />

formellen Vorschriften betreffend die Rechte der Parteien, so etwa zum<br />

rechtlichen Gehör, zum Beschleunigungsgebot bzw. Verzögerungsverbot und<br />

zur Verschwiegenheitspflicht der Pfalzräte oder deren Unparteilichkeits- und<br />

Unvoreingenommenheitsregeln.<br />

2.3.2.3 Landsatzung und Landmandat der Alten Landschaft<br />

Nach der Neuordnung des Landes durch Abt Ulrich Rösch im 15. Jahrhundert 203<br />

und der Entstehung der Alten Landschaft mit ihrer Verwaltungs- und Gerichtsorganisation<br />

spielte die Vereinheitlichung und schriftliche Fixierung der<br />

Rechtsverhältnisse in den Gerichtsoffnungen eine bedeutende Rolle. 204 Die<br />

gleichförmigen St. Galler Offnungen 205 sind klar auf ein einheitliches, von der<br />

200<br />

201<br />

202<br />

203<br />

204<br />

205<br />

MEIER ALBERT [1911], S. 141; vgl. Kap. 5.5.4.2.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 11, Ziff. 5.5.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 92. Mit der Diskussion in der älteren Lehre, ob<br />

die häufig wiederkehrende Formel des «Richten nach kaiserlichem Recht» als Hinweis<br />

auf die Carolina zu werten ist, befasst hat sich PFENNINGER HEINRICH [1890], S. 81 f.<br />

Vgl. oben Kap. 2.1.<br />

MÜLLER, Ordnung [1973], S. 247; MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 24.<br />

Eine beispielhalfte Nennung verschiedener Inhalte der Offnungen findet sich bei HO-<br />

LENSTEIN THOMAS [1934], S. 22 ff.<br />

47


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

Herrschaft gesetztes Ziel <strong>aus</strong>gerichtet. Dennoch beruhen sie auf einer Vereinbarung<br />

zwischen dem Herrn und der Gerichtsgemeinde. 206 Der Inhalt der Weistümer<br />

der Niedergerichte war gewohnheitsrechtlich bestimmt. Die St. Galler<br />

Weistümer äussern sich kaum über das Blutgericht und seine Zuständigkeit. 207<br />

Bereits im 15. Jahrhundert ging das Kloster über die Neuordnung der örtlichen<br />

Rechtsquellen hin<strong>aus</strong> und erliess 1468 eine allgemeine Landesordnung.<br />

Diese Ordnung wurde mit der raschen Verdichtung der Landesherrschaft bald<br />

Landsatzung genannt und nahm die Stelle der überlieferten Rechtsordnung des<br />

Mittelalters ein. 208 In erster Linie war die Landsatzung der Sorge um einheitliche<br />

Rechtsverhältnisse in den Stiftslanden entsprungen, dies schon <strong>aus</strong> Gründen der<br />

Ökonomie und Verkehrssicherheit. 209 Auf den Versuch der Eidgenossen im Jahr<br />

1525, durch die Einführung einer Zustimmungspflicht bei sämtlichen Ergänzungen<br />

der Landsatzung 210 massgeblichen Einfluss auf die Gesetzgebung zu gewinnen,<br />

reagierte die Fürstabtei schliesslich mit der Schaffung eines umfangreichen<br />

Landmandats. 211 Gleichzeitig stoppte sie weitgehend die Weiterentwicklung<br />

der Landsatzung, die dadurch faktisch an Bedeutung verlor. 212 Verschiedene<br />

Inhalte des Landmandats, das immer weiterentwickelt wurde, widerspiegeln<br />

die bevormundende, alle Lebens- und Rechtsbereiche erfassende Tendenz des<br />

absolutistischen Staats. 213 Die Vorschriften zur Wahrung der öffentlichen Ruhe<br />

206<br />

207<br />

208<br />

209<br />

210<br />

211<br />

212<br />

213<br />

MÜLLER, Ordnung [1973], S. 247. Der gleichförmige Wortlaut der im Wesentlichen einheitlich<br />

redigierten Offnungen veränderte sich in den rund drei Jahrhunderten ihrer Geltungsdauer<br />

kaum; MÜLLER, Offnungen [1964], S. 117.<br />

Quellenangaben der wenigen kurzen Hinweise auf das Hochgericht nennt MÜLLER, Offnungen<br />

[1964], S. 87, Fn. 275.<br />

MÜLLER, Ordnung [1973], S. 248; MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 174 f.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. XV sowie GRAF [1996], S. 57.<br />

GRAF [1996], S. 58 f.<br />

Unter dem Begriff «Mandat» wurde ursprünglich ein Auftrag verstanden, in der Praxis<br />

des Spätmitelalters auch eine Weisung oder ein Befehl. Mittels Mandat machte der Staat<br />

der frühen Neuzeit die obrigkeitlichen Gebote und Verbote allgemein bekannt, MÜLLER,<br />

Landsatzung [1970], S. 185 f. Die einzelnen Mandate (z.B. jene <strong>gegen</strong> das Fleischessen<br />

an Festtagen und den Besuch reformierter Gottesdienste) wurden 1542 samt einigen bis<br />

dahin in der Landsatzung stehenden Artikeln überarbeitet und zu einem Sammelmandat<br />

zusammengefasst, MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 187.<br />

MÜLLER, Ordnung [1973], S. 248. Die Terminologie im 18. Jahrhundert unterschied<br />

schliesslich nicht mehr scharf zwischen Landmandat und Landsatzung; MÜLLER,<br />

Landsatzung [1970], S. 185.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. XVIII.<br />

48


Die Kulisse: Alte Landschaft<br />

und Sicherheit, die Bestimmungen <strong>gegen</strong> die häufigen Tätlichkeiten und zur<br />

Abwehr von Landstreichern und allem fahrenden Volk sind vielfältig. 214<br />

Dem in Landsatzung und Landmandat geregelten Rechtsstoff fehlt jede systematische<br />

Ordnung; weder wird zwischen materiellem Recht und Prozessrecht<br />

noch zwischen öffentlichem und privatem Recht unterschieden. 215 Strafrechtliche<br />

Vorschriften enthalten Landsatzung und Landmandat nur wenige, sie regeln<br />

zudem weder die hochgerichtliche Zuständigkeit noch das peinliche Verfahren.<br />

Dies liegt zum einen daran, dass der den Niedergerichten zustehende Bereich<br />

durch die <strong>aus</strong>führlichen Bussenkataloge in den Offnungen geregelt war und zum<br />

anderen die Hochgerichte nach der Carolina zu verfahren hatten. 216<br />

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert unterblieb in der Fürstabtei die Anpassung<br />

der Rechtsordnung an die rasch ändernden wirtschaftlichen und sozialen<br />

Verhältnisse weitgehend, was MÜLLER mit der intensiven Traditionsgebundenheit<br />

der Fürstabtei erklärte. 217 Lediglich das Landmandat wurde 1761 ein<br />

letztes Mal überarbeitet. Bereits während der letzten Regierungsjahre Abt Bedas<br />

wurden zahlreiche Forderungen der St. Galler Gottesh<strong>aus</strong>leute laut. Erst 1795<br />

wurde der Druck jedoch so gross, dass schliesslich ein durch den Abt und das<br />

Volk gutgeheissener «Gütlicher Vertrag» 218 zustande kam. 219<br />

214<br />

215<br />

216<br />

217<br />

218<br />

219<br />

MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 255. Es finden sich auch Vorschriften zur Feuer- und<br />

Gesundheitspolizei.<br />

MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 235.<br />

MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 260, siehe dort auch Fn. 83.<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. XXX.<br />

Gütlicher Vertrag des Fürstlichen Stifts St. Gallen mit desselbigen Angehörigen, und<br />

Gottsh<strong>aus</strong>-Leuten der alten Landschaft, aufgericht und angenommen den 23. Wintermonat<br />

(= November) 1795, RQSG (Alte Landschaft), S. 378 ff. Im Gütlichen Vertrag verfügte<br />

Abt Beda <strong>gegen</strong> den Willen eines Teils des Kapitels die Abschaffung der Leibeigenschaft<br />

samt den damit verbundenen Abgaben. Zudem trat er wichtige obrigkeitliche Rechte, wie<br />

jenes der Richterwahl, ans Volk ab. Der Konvent billigte den Vertrag erst knapp zwei<br />

Monate später; VOGLER WERNER, Gütlicher Vertrag, e-HLS [2006].<br />

MÜLLER, Einleitung [1974], S. XXX f.<br />

49


Vorgeschichte<br />

3 Vorgeschichte<br />

3.1 Der Täter: <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong><br />

«Er haisse <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> nicht gar 29 jahr alt 220 , verheurathet mit Elisabetha<br />

Germanin [...]» 221 , gab <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> nach seiner Festnahme zu Protokoll.<br />

Sein Vater Michael <strong>Egger</strong> sei 16 Jahre zuvor gestorben, seine Mutter lebe in<br />

zweiter Ehe. Er habe sieben «rechte» und zwei Stiefgeschwister. 222 In seiner<br />

Studie zum Geschlecht <strong>Egger</strong> von Tablat und Rotmonten hatte der ehemalige<br />

Stiftsarchivar PAUL STAERKLE auch Daten zur Familie von Michael <strong>Egger</strong> zusammengetragen,<br />

die sich weitgehend mit den Angaben <strong>Egger</strong>s decken. Demnach<br />

war Michael <strong>Egger</strong> 1700 geboren und 1760 gestorben. Mit seiner Frau<br />

Anna Huber hatte er neun Kinder, wovon <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong>, geboren am 18. November<br />

1746, das zweitälteste war. Nach ihm wurden in den Jahren 1748 und<br />

1749 zwei Mädchen geboren und beide auf den Namen Maria Anna getauft. 223<br />

Vermutlich starb das ältere der beiden Mädchen kurz nach der Geburt, was erklären<br />

würde, weshalb <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> bei der Einvernahme vom 15. Februar<br />

1775 angab, sieben leibliche Geschwister zu haben.<br />

Die Eltern von Michael <strong>Egger</strong>, also die Grosseltern von <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong>,<br />

hatten offenbar seit 1696 eine Liegenschaft bei der Kapelle St. Peter und Paul in<br />

220<br />

221<br />

222<br />

223<br />

In der vorindustriellen Zeit war es sowohl in den Städten als auch auf dem Land nicht<br />

unüblich, dass die Leute keine genauen Vorstellungen über ihr eigenes Lebensalter hatten,<br />

wie <strong>aus</strong> Gerichtsprotokollen und insbesondere <strong>aus</strong> Zeugeneinvernahmeprotokollen, in denen<br />

die Befragten nach ihrem Alter gefragt wurden, geschlossen werden kann. Oft wurden<br />

lediglich runde Zehnerzahlen genannt; dazu FUCHS, Zeugenverhöre [2001], S. 150.<br />

Die Akten des Falls <strong>Egger</strong> zeigen hin<strong>gegen</strong>, dass die Beteiligten meist eine recht genaue<br />

Vorstellung über das eigene Lebensalter hatten. So wusste <strong>Egger</strong>, dass er sich im Zeitpunkt<br />

der Einvernahmen im 29. Lebensjahr befand. Auch Elisabeth Han (46-jährig; Sti-<br />

ASG, Bd. 1073, S. 613) und <strong>Joseph</strong> Bensegger (36-jährig, Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong><br />

Bensegger, S. 1) wussten ihr Alter genau zu benennen. Johannes Geser und <strong>Joseph</strong><br />

Rüesch gaben an, 30 bzw. 40 Jahre alt zu sein (Dok. 17, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Rüesch,<br />

S. 1; Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Antwort 1), wobei den Akten<br />

nicht entnommen werden kann, ob es sich hierbei um eine exakte Angabe oder eine Näherung<br />

handelt.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 1.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 1.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 38.<br />

51


Vorgeschichte<br />

Rotmonten bewohnt. 224 1697 hatten sie erstmals die Hintersassen-Steuer von<br />

Rotmonten zu zahlen. 225 Michael <strong>Egger</strong> erschien 1724 im Hintersassen-Rodel<br />

noch als Hintersasse. 226 Am 4. Juni 1743, also gut drei Jahre vor der Geburt von<br />

<strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong>, wurde er in Rotmonten <strong>gegen</strong> eine Gebühr von 30 Gulden eingebürgert.<br />

Der Statthalter des Stifts musste die Einbürgerung bewilligen, wofür<br />

er die Hälfte dieser Gebühr bezog. 227<br />

<strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> hatte nach Lage der Akten keine eigenen Kinder. Seit<br />

Advent 1770 war er mit Maria Elisabetha German verheiratet, 228 die zwei Kinder,<br />

Maria Barbara und Anna Maria Veronika, mit in die Ehe brachte. Maria<br />

German war die Witwe des verstorbenen Johannes Furrer <strong>aus</strong> Tablat, dem Vater<br />

von Maria Barbara und Anna Maria Veronika. 229<br />

Weiter äusserte <strong>Egger</strong> beim Verhör, er sei katholischer Religion. Dies war für<br />

die Bevölkerung der Alten Landschaft üblich; nach den Wirren der Reformation<br />

und insbesondere dem aggressiven Vorgehen von Zürich und dessen Reformator<br />

Zwingli 230 ab dem Jahre 1529 war es Abt Diethelm 231 nach dem Zweiten<br />

Kappeler Landfrieden 232 gelungen, im Fürstenland eine strenge Rekatholisierung<br />

durchzuführen. 233 Dies glückte wohl auch deswegen, weil der Bevölkerung des<br />

224<br />

225<br />

226<br />

227<br />

228<br />

229<br />

230<br />

231<br />

232<br />

233<br />

In der Einvernahme bezeichnete <strong>Egger</strong> seinen Vater denn auch als «Michael <strong>Egger</strong> bey<br />

dem kirchele»; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 1. Zur Kapelle siehe<br />

ZIEGLER ERNST [1977] (ohne Seitenzahl).<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 39.<br />

Als Hintersassen wurden in der frühen Neuzeit Leute bezeichnet, die sich unter einer<br />

Landesobrigkeit niederliessen und dabei als Einwohner minderen Rechts im Gegensatz zu<br />

den alteingesessenen Stadtbürgern bzw. Gemeinde- oder Dorfgenossen nicht über das volle<br />

Bürgerrecht verfügten. Sie waren anders als blosse Aufenthalter (Gesinde, Dienstboten,<br />

Gesellen) dauerhafter in der Gemeinde ansässig und enger in die lokale Gesellschaft und<br />

Wirtschaft eingebunden. Oft verfügten sie über einen eigenen H<strong>aus</strong>halt; HOLENSTEIN<br />

ANDRÉ, Hintersassen, e-HLS [2005]. Da die Hintersassen die Infrastruktur der Gemeinde<br />

mitbenutzten, ohne dass sie selber oder ihre Vorfahren etwas dazu beigetragen hatten,<br />

musstens sie das jährliche «Hintersassengeld» als Gemeindesteuer bezahlen; MENOLFI,<br />

Hofleute [1991], S. 92.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 39 f.<br />

Dok. 15, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern, S. 1.<br />

Dok. 15, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern, S. 1.<br />

Ulrich (Huldrych) Zwingli, geb. 1484, gest. 1531.<br />

Diethelm Blarer von Wartensee, geb. 1503, gest. 1564, Abt von 1530 bis 1564, Biographie<br />

bei DUFT ET AL. [1986], S. 156 ff.; HENGGELER [1929], S. 139 ff.<br />

Abgeschlossen im November 1531.<br />

DUFT ET AL. [1986], S. 49; Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 6 [1931], S. 39.<br />

52


Vorgeschichte<br />

Fürstenlands das Szepter Zürichs nicht milder schien als der st. gallische<br />

Krummstab. 234 In Nachwirkung des sog. Augsburger Religionsfriedens von 1555<br />

setzte sich auch in der Alten Landschaft das Prinzip «cuius regio, eius religio» 235<br />

durch, wonach der Landesherr die Konfession seiner Untertanen bestimmte. 236<br />

<strong>Egger</strong> war nach Aussage seiner Frau beim Beten jeweils nicht allzu eifrig<br />

gewesen. 237 Während der Verhöre rief <strong>Egger</strong> dennoch sehr häufig Gott an und<br />

benutzte Wendungen wie «in Gottes namen» 238 oder «mein Gott» 239 , weiter gab<br />

er gelegentlich «Gott die ehre» 240 . Nachdem die Einvernahmen bereits mehrere<br />

Tage gedauert hatten, meinte <strong>Egger</strong> sogar, «er seye halt ein von Gott verlassener<br />

mensch». 241<br />

<strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> war Lehensnehmer des Hofes «auf dem Espen». Das Gebiet<br />

Espen war in jener Zeit eine von Wittenbach und Tablat gemeinsam genutzte<br />

Allmend, die sich auf beide Seiten der Steinach erstreckte und auf der einige<br />

Höfe – wohl auch der von <strong>Egger</strong> bewirtschaftete Hof Espen – lagen. 242 Ebenfalls<br />

auf dem Gebiet Espen befand sich an der Stelle der heutigen protestantischen<br />

Heiligkreuzkirche die äbtische Richtstätte. 243 Sämtliche Verhöre <strong>Egger</strong>s wurden<br />

in St. Fiden im Wirtsh<strong>aus</strong> «Hirschen» gehalten, während die meisten Zeugenbefragungen<br />

am Sitz des Pfalzrats im Klosterareal stattfanden. Der Pfalzrat tagte<br />

üblicherweise in der «gewöhnlich[en] pfaltzraths stuben» der «fürstl. residenz<br />

234<br />

235<br />

236<br />

237<br />

238<br />

239<br />

240<br />

241<br />

242<br />

243<br />

STAERKLE, Tablat [1991], S. 33 f.<br />

«Wessen Land, dessen Religion». Während der Reformationszeit gewann dieser Grundsatz<br />

wieder stärker an Bedeutung. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 zwischen<br />

Karl V. und dem Schmalkaldischen Bund war er Leitsatz; er stellte einen Kompromiss<br />

zwischen den katholischen und den protestantischen Landesherren dar, vgl. SENN [2007],<br />

S. 104 f; SENN/GSCHWEND/PAHUD DE MORTANGES [2006], S. 37, Rz. 23 und S. 176,<br />

Rz. 24; KÄSTNER [2006], Sp. 913 ff.; siehe auch AEBI [1914], S. 24; WILLOWEIT [2005],<br />

S. 168.<br />

BAUMANN MAX [2003], S. 37. Zur Repression Andersgläubiger und ihrer Umsetzung in<br />

den Landes- und Polizeiordnungen in der Alten Landschaft MÜLLER, Landsatzung [1970],<br />

S. 238 ff.<br />

Vgl. nachfolgendes Kapitel 4.8.1.<br />

Z.B. Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 2, Antwort 10, Antwort 18 uvm.<br />

Z.B. Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 55.<br />

Z.B. Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 179.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 170.<br />

STAERKLE, Tablat [1991], S. 28.<br />

ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 52; GMÜR [1903], S. 197.<br />

53


Vorgeschichte<br />

im stüfft St. Gallen», konnte aber je nach Geschäft auch <strong>aus</strong>wärts verhandeln<br />

und urteilen. 244<br />

<strong>Egger</strong> war als Bauer tätig und konnte gemäss seinen eigenen Aussagen sowie<br />

gemäss Bestätigung seiner Gattin weder lesen noch schreiben. 245 Seine Frau berichtete<br />

weiter, dass «er allzeit ein dunckhel m<strong>aus</strong>er gewesen» sei. Er habe sich<br />

auf die Arbeit, auf Pferde und das Vieh verstanden, «sich niemahl recht lustig<br />

gezaiget, bey dem betten zu h<strong>aus</strong>, und in der kirchen sich schläfrig erwiesen,<br />

doch aber jmmerhin früehe, und spath starckh, und vill gearbeitet». 246 Die Zeugin<br />

Maria Catharina Gross betitelte <strong>Egger</strong> zudem später in ihrer Einvernahme<br />

wiederholt als Weibel; 247 weitere Hinweise auf ein derartiges Amt gehen <strong>aus</strong> den<br />

Akten ansonsten jedoch nicht hervor.<br />

Die Beziehung zwischen <strong>Egger</strong> und seiner Ehefrau konnte keineswegs eine<br />

innige gewesen sein; in ihrer Befragung durch das Gericht am 23. Februar 1775<br />

liess sie kaum ein gutes Wort über ihren Mann verlauten. Dies brachte den Autor<br />

der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienenen «Kriminalgeschichten»<br />

dazu, das Verhältnis zwischen den Ehegatten als «sehr kühl» zu bezeichnen,<br />

«da ihre, der Frau, Angaben, das Gepräge grosser Kaltblütigkeit an<br />

sich tragen, gerade so, als hätte sie in fremder, ihr gleichgültiger Sache Zeugnis<br />

abzulegen gehabt». 248 Auf die obrigkeitliche Frage, was ihr an ihrem Mann während<br />

ihrer Ehe missfallen habe, was sie «Tadelhaftes» an ihm nennen könne,<br />

antwortete sie, dass sie von <strong>Egger</strong> bereits bei der Heirat habe wissen wollen, ob<br />

er Schulden habe. Er habe dies geleugnet. Erst im Nachhinein seien «ziemliche<br />

pöstlein» hervorgekommen. 249 Nicht nur wegen seiner Schulden, auch wegen<br />

anderer Sachen habe er ihr öfter nicht die Wahrheit gesagt. 250<br />

<strong>Egger</strong>s Charakter aufgrund der vorhandenen Akten zu fassen, ist schwierig.<br />

Manchmal wirkt er schlau, fast gerissen. Dann wieder erscheint er erstaunlich<br />

244<br />

245<br />

246<br />

247<br />

248<br />

249<br />

250<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 22 f., Ziff. 14.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort auf Frage 220, Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage<br />

der Ehefrau, S. 9.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 8.<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 1, 2 und 4.<br />

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], S. 32. Vgl. zu den<br />

Aussagen von Maria German im Weiteren Kap. 4.8.1.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 4 f.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 6.<br />

54


Vorgeschichte<br />

naiv, um nicht zu sagen beinahe dumm. Grundsätzlich erweckt <strong>Egger</strong> den Eindruck,<br />

ein introvertierter Mensch gewesen zu sein, offenbar ein Einzelgänger.<br />

Gute Bekannte, Freunde oder Vertraute hatte er mit einer kleinen Ausnahme<br />

offenbar keine. Zumindest lässt sich <strong>aus</strong> den Akten nicht auf solche schliessen.<br />

Seine Taten führte <strong>Egger</strong> alleine <strong>aus</strong>. Er vertraute sich lange in keiner Weise<br />

jemandem an.<br />

3.2 Das Opfer: Catharina Himmelberger<br />

Am «montag vor liechtmess» 251 im Jahre 1775, also am 30. Januar 1775, bezog<br />

die etwa 54 Jahre alte 252 Catharina Himmelberger 253 Herberge bei Zunftmeister<br />

Ziegler an der Langgass. Bisher hatte sie bei ihrem Bruder Jacob Himmelberger,<br />

Schuster auf dem Rotmonten, gewohnt. 254 Nun zog sie an die Langgass, betonte<br />

aber <strong>gegen</strong>über Maria Catharina Gross, der Frau des Zunftmeisters, dass sie<br />

nicht etwa wegen «streit oder ohneinigkeit» gegangen sei, sondern um im Alter<br />

einen kürzeren Kirchweg zu haben sowie «auch wegen dem dunckhlen h<strong>aus</strong>». 255<br />

Catharina Himmelberger macht beim Studium der Akten den Eindruck einer<br />

resoluten, selbstständigen und sehr gläubigen Frau. Bis einige Jahre vor der Tat<br />

hatte sie offenbar bei verschiedenen Herren als Bedienstete gearbeitet. 256 Wie<br />

Maria Gross später im Zeugenverhör berichtete, hatte Catharina Himmelberger<br />

am Sonntagabend, 5. Februar 1775, haufenweise Gersten und Bohnen gekocht,<br />

damit sie in den kommenden Wochen einen Vorrat hätte und deshalb an der Ar-<br />

251<br />

252<br />

253<br />

254<br />

255<br />

256<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 1. Lichtmess wird 40 Tage nach Christi Geburt,<br />

also am 2. Februar, zelebriert. Das Fest beschliesst die Reinigungszeit Marias und<br />

gilt als Darstellungsfeier Jesu im Tempel. Die Lichtsymbolik von Kerzenweihe und Lichterumzügen<br />

bezieht sich auf die Gleichsetzung Christi mit dem ‹Licht der Erleuchtung der<br />

Helden›, vgl. Wörterbuch des Aberglaubens [1989], S. 131 f.; Lexikon der Bräuche und<br />

Feste [2007], S. 220 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 1.<br />

Das Geschlecht der Himmelberger stammt offenbar <strong>aus</strong> Appenzell Inner- und Ausserrhoden<br />

und leitet seinen Namen vom im Innerrhodischen liegenden Himmelberg ab; Historisch-biographisches<br />

Lexikon, Bd. 4 [1927], S. 224.<br />

Dok. 12, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Jacob Himmelberger, S. 1.<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 4.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 1.<br />

55


Vorgeschichte<br />

beit nicht verhindert würde. 257 Da ihr Umzug mit einigen Kosten verbunden gewesen<br />

war, beschloss sie zudem, <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong>, der bei ihr offenbar noch Schulden<br />

hatte, einen Besuch abzustatten und ihr Guthaben einzufordern. Als <strong>Egger</strong><br />

nicht bezahlte und die Schuld offenbar sogar teilweise bestritt, nahm sie kein<br />

Blatt vor den Mund und beschimpfte diesen als «Spizbueb» und «Lieger». 258<br />

Ängstlich wirkte sie in keiner Weise: Sie suchte <strong>Egger</strong> in der Dunkelheit morgens<br />

um 5.30 Uhr auf 259 – und dies obendrein allein, was ihr schliesslich wohl<br />

zum Verhängnis werden sollte.<br />

Über die Beziehung zwischen <strong>Egger</strong> und Catharina Himmelberger ist den<br />

Akten kaum etwas zu entnehmen. Während der protokollierten langen Verhöre<br />

wurde <strong>Egger</strong> erstaunlicherweise nie befragt, woher er Catharina gekannt oder<br />

weshalb er bei ihr Schulden gehabt habe. Er schilderte nur, dass sie ihn mit ihren<br />

Beschimpfungen über Gebühr gereizt habe, weshalb er die Kontrolle verloren<br />

und sie ungewollt totgeschlagen habe.<br />

«Er habe halt just eine furckhen [Mistgabel] in handen gehabt, und seye taub gewesen». 260<br />

3.3 Der Tag der Tat: Montag, 6. Februar 1775<br />

Bereits am Sonntag, 5. Februar 1775, wollte sich Catharina Himmelberger auf<br />

den Weg zu <strong>Egger</strong>s Hof «auf dem Espen» machen, um ihn zur Bezahlung seiner<br />

Schulden anzuhalten, wie sie Maria Gross mitteilte.<br />

«Weillen aber der damahlige starckhe luft ihro die latern vor ihrem garten dr<strong>aus</strong>sen verloschen,<br />

seye selbe wider zurückh, und in die stuben gekommen [...]» 261<br />

An der Messe am selben Tag traf Catharina Himmelberger zwar auf <strong>Egger</strong>,<br />

sie traute sich jedoch nicht, die Begleichung der Schulden bei ihm zu verlangen,<br />

da sie nicht wollte, dass jemand Zeuge davon werden würde und <strong>Egger</strong>s Frau,<br />

257<br />

258<br />

259<br />

260<br />

261<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 3 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 16. Lügner war ein häufig benutztes<br />

Schimpfwort. Es wurde häufig kombiniert mit weiteren Schimpfworten, so etwa Bösewicht<br />

oder Schalk; TOCH [1993], S. 316 ff.<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 3.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 17.<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 2.<br />

56


Vorgeschichte<br />

Maria German, Kenntnis von der Bezahlung bekommen könnte. Am nächsten<br />

Morgen ging sie bereits um 5.30 Uhr los in Richtung Espen, wie Maria Gross<br />

später bei Gericht zu Protokoll gab. 262 Erneut wollte Catharina Himmelberger<br />

verhindern, dass Maria German sie sah und von der Sache etwas erfuhr. Es ist<br />

denkbar, dass Catharina Himmelberger wusste, dass <strong>Egger</strong> seine Schulden<br />

grundsätzlich seiner Frau <strong>gegen</strong>über abstritt, 263 und ihn durch ihre Heimlichtuerei<br />

schützen wollte. Möglicherweise wollte sie auch verhindern, dass Fragen<br />

nach der Ursache der Schulden gestellt würden. Wie <strong>Egger</strong> in einer ersten Befragung<br />

am 10. Februar 1775 <strong>aus</strong>sagte, hätten Catharina und er alles über die<br />

Schulden «in der Stille behalten» und niemand hätte davon gewusst. 264 Dies<br />

stimmte offenbar: Catharina hatte auch ihrem Bruder, dem Schuster Jacob<br />

Himmelberger, auf dessen Frage hin, wer ihr noch Geld schuldig wäre, nur zwei<br />

andere Schuldner preisgegeben und von <strong>Egger</strong> nichts erwähnt, «denckhend, er<br />

[ihr Bruder Jacob] müsse nicht alles wissen» 265 . Möglicherweise hatte sie <strong>aus</strong> der<br />

Ursache der Schulden bewusst ein Geheimnis gemacht. Dieses Geheimnis wurde<br />

so gut gehütet, dass Catharina es mit ins Grab nahm und es heute nicht mehr<br />

aufzudecken ist.<br />

Der 6. Februar 1775 verging, ohne dass Catharina Himmelberger zum H<strong>aus</strong><br />

des Zunftmeisters zurückkehrte oder sonst etwas von ihr vernommen wurde.<br />

3.4 Die Zeit bis zur Gefangennahme <strong>Egger</strong>s<br />

3.4.1 Erste Verdachtsmomente<br />

Am folgenden Tag, dem 7. Februar 1775, suchte Catharinas zweiter Bruder, der<br />

Maurer <strong>Joseph</strong> Himmelberger, morgens um 7 Uhr <strong>Egger</strong> auf seinem Hof auf<br />

und erkundigte sich nach dem Verbleib seiner Schwester. Er kehrte auch am<br />

Nachmittag nochmals wieder, erhielt aber von <strong>Egger</strong> jeweils nur die Auskunft,<br />

er habe sie nicht gesehen und mit ihr auch nichts zu schaffen gehabt, abgesehen<br />

262<br />

263<br />

264<br />

265<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 3.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 4 f.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 1.<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross, S. 4.<br />

57


Vorgeschichte<br />

davon, dass er ihr etwas schuldig gewesen sei, dies aber längst bezahlt habe. 266<br />

Das erste kurze Verhörprotokoll <strong>Egger</strong>s trägt das Datum des 10. Februar 1775.<br />

Wer das Verhör führte, geht <strong>aus</strong> dem Protokoll nicht hervor. <strong>Egger</strong> wurde befragt,<br />

ob er Catharina Himmelberger kenne und wann er sie das letzte Mal gesehen<br />

habe. Er leugnete rundweg, sie am in Frage stehenden Montag, 6. Februar,<br />

oder seither gesehen zu haben. Weiter gab er zwar zu, von ihr vor 4½ Jahren<br />

Geld geliehen zu haben. Dieses habe er jedoch längst zurückbezahlt. 267<br />

Am 11. Februar 1775 wurde Hofweibel Johannes Ackermann von der Obrigkeit<br />

beauftragt, <strong>Egger</strong>s Hof zu durchsuchen, was dieser in Anwesenheit von <strong>Joseph</strong><br />

Himmelberger tat. Trotz angeblich gründlicher Suche fanden die beiden<br />

nicht die «geringste spuehr» von Catharina. 268 Zwar hielt der Weibel fest, vor<br />

dem Tor auf dem Boden sei etwas Blut gewesen. Es habe sich aber deutlich gezeigt,<br />

dass <strong>Egger</strong> unlängst an jener Stelle «gemezget» habe und ein Stück des<br />

geschlachteten Tiers dort aufgehängt gewesen sei. Davon sei das Blut heruntergetropft.<br />

Dies habe auch <strong>Joseph</strong> Himmelberger gesehen. Man habe <strong>Egger</strong> nicht<br />

im geringsten fassen können. 269<br />

Doch Catharinas Brüder gaben sich nicht so rasch zufrieden; am Sonntag,<br />

12. Februar 1775, suchte <strong>Joseph</strong> Himmelberger in Begleitung seiner Ehefrau<br />

einen gewissen Christian Louis auf, der an der Langgasse als Wirt tätig und mit<br />

<strong>Egger</strong> offenbar besser bekannt war. Sie baten Louis, <strong>Egger</strong> mit dem «verdacht<br />

einer mordthat an der Catharina Himmelbergerin» zu konfrontieren in der Hoffnung,<br />

dass dieser, sollte er tatsächlich der Täter sein, gestehen würde. 270<br />

3.4.2 Aussprache mit dem Wirt<br />

Als <strong>Egger</strong> am darauffolgenden Tag, dem 13. Februar 1775, mit einem Fuder<br />

«b’schütte» <strong>aus</strong> der Stadt die Langgass entlang ging, bat Louis ihn auf ein Wort<br />

266<br />

267<br />

268<br />

269<br />

270<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 2 f.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 1.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 3.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 3.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1.<br />

58


Vorgeschichte<br />

in sein H<strong>aus</strong>. Dort konfrontierte er ihn mit dem Verdacht, was er bei einer späteren<br />

Zeugen<strong>aus</strong>sage folgendermassen beschrieb:<br />

«[...] wann er möchte etwa einen fehlstreich im verdruss gethan haben, so solle er es doch<br />

einem vertrauten menschen anzaigen, denn er deponent 271 wüsse, das die obrigkeit nur noch<br />

2 tag ruehe, als dann gehe es wider auf ein neues an: worauf der <strong>Joseph</strong> antwortete, wann er<br />

wüsste, das er nacher S. Fiden 272 müsste, und gezimiget [gefoltert] würde, so gienge er lieber<br />

<strong>aus</strong> dem Land; hienach deponent ihm erwiderte, und solches <strong>aus</strong>redete sagend, wann er<br />

ohnschuldig seye, solle er nicht fort, und wann er schon leyden müsse, so habe ja unser<br />

Gott auch villes umb unschuld gelitten [...].» 273<br />

<strong>Egger</strong> verliess daraufhin den Wirt bald mit den Worten, er müsse arbeiten<br />

gehen, wolle aber nachts mit ihm reden. Den ganzen Tag über fuhr <strong>Egger</strong><br />

«b’schütte» auf sein Lehengut und kehrte abends wie angekündigt zum Wirt<br />

zurück. 274 Dort zeigte er sich sichtlich aufgewühlt und äusserte sich folgendermassen:<br />

«Es seye eine erschröckhliche sach das vatterland zu allen zeiten meyden /: repetendo :/<br />

worüber Christian Louis erwiderte, <strong>Joseph</strong>, was ist dann dis für eine sach, ihr haben ja<br />

nichts, als wie ich höre, ein böses weib und darzu ville schulden, müsse auch tag und nacht<br />

villes werckhen; hin<strong>gegen</strong> <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> erwiderte, er wollte alles bestreitten, und denen<br />

schulden red, und antwort geben können [...].» 275<br />

<strong>Egger</strong> lamentierte weiter über seine Schulden, sagte, er sei seinem Lehnherrn<br />

noch etwas schuldig, habe aber auf der anderen Seite beim Färber noch ein Guthaben,<br />

das er eintreiben könne. Bei diesen Erläuterungen hatte Christian Louis<br />

gemäss seinen später zu Protokoll gegebenen Aussagen den Eindruck,<br />

«dass <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> vast über den stuehl herunter gefallen, und ihme vast ohnmächtig werde;<br />

hienach deponent ihme zugesprochen, sagend, es seye kein sünden so gross, er komme<br />

auch wider zu gnaden auf welchen zuspruch hin <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> deutlich erwideret hat: ja<br />

Gottes namen, ich habe ihro der Catharina mit der furckhen [Mistgabel] einen streich gegeben<br />

[...].» 276<br />

271<br />

272<br />

273<br />

274<br />

275<br />

276<br />

Der Begriff «Deponent» kommt vom Lateinischen «deponere» = ablegen, deponieren.<br />

In St. Fiden befand sich das Gefängnis, vgl. Kap. 2.3.1.1.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1 f.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 3.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 3 f.<br />

59


Vorgeschichte<br />

Nun gestand <strong>Egger</strong> auf weitere Fragen des erschrockenen Louis, dass er Catharina<br />

nach der Tat am Montagmorgen den ganzen Tag im Stall liegen lassen<br />

habe und sie in der darauf folgenden Nacht ins Galgentobel 277 getragen und dort<br />

in die Stauden geworfen habe. Er bat den Wirt schliesslich «umb das bluet<br />

Christi willen zu dem fürsten zu gehen» und die ganze Geschichte zu erzählen.<br />

278 Der Wirt erklärte sich dazu bereit, worauf die beiden folgendes vereinbarten:<br />

Wenn nach Louis’ Anzeige Gutes zu hoffen sei, so werde der Wirt ein<br />

weisses Tuch unter sein Fenster hängen als Zeichen, dass <strong>Egger</strong> zu ihm hereinkommen<br />

könne. Wäre Schlechtes zu befürchten, so sollte der Wirt ein rotes<br />

Tuch zur Warnung <strong>aus</strong> dem Fenster hängen lassen. Die Frage des Wirts, ob <strong>Egger</strong><br />

seine Tat beichten wolle, verneinte er. Nachdem der Wirt <strong>Egger</strong> das Versprechen<br />

abgenommen hatte, dass er «sich doch dise nacht nichts leydes<br />

anthuen» werde, gingen die beiden <strong>aus</strong>einander. 279<br />

3.4.3 Gespräch mit Schwager und Stiefvater; Gefangennahme<br />

<strong>Egger</strong>s Schwager <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> Bensegger hatte bereits am 11. Februar 1775<br />

von der erfolglosen H<strong>aus</strong>durchsuchung bei <strong>Egger</strong> gehört und diesen noch am<br />

selben Tag aufgesucht. Nach erfolglosem Drängen, die Wahrheit zu sagen, gab<br />

er vorerst auf, wie er später dem Gericht in der Befragung erläuterte. 280 Seine<br />

Frau sowie <strong>Egger</strong>s Mutter Anna Huber überredeten ihre Männer jedoch, nochmals<br />

eine Aussprache mit <strong>Egger</strong> zu suchen, woraufhin <strong>Joseph</strong> Bensegger und<br />

<strong>Egger</strong>s Stiefvater Johannes Kunz am 13. Februar 1775 abends um neun Uhr <strong>Egger</strong><br />

zuh<strong>aus</strong>e aufsuchten. Dieser wurde also kurz nach seiner Rückkehr von<br />

Christian Louis erneut zum Geständnis aufgefordert. Wenn er es nicht getan<br />

habe, so solle er sich «frisch» der geist- und weltlichen Obrigkeit stellen. 281<br />

277<br />

278<br />

279<br />

280<br />

281<br />

Das Galgentobel ist die «wilde Schlucht», durch die seit 1856 die Eisenbahnlinie St. Gallen-Rorschach<br />

führt. Der Name rührte «unzweifelhaft von dem ehemals in der Nähe befindlichen,<br />

etwa 20 Minuten von der Stadt entfernten Galgen her [...]»; Autor anonym,<br />

Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], S. 1. Siehe auch ZIEGLER ERNST<br />

[1977] (ohne Seitenzahl).<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 5.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 6 f.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 1 f.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 3.<br />

60


Vorgeschichte<br />

«Worüber der <strong>Joseph</strong> geantwortet, wie könnte mann sich frisch stellen, wann einer überall<br />

so in dem geschrey ist; er förchte nur dieses, mann nehme ihne nacher S. Fiden, schlage ihne<br />

an die marter, und [er] habe es doch gleichwohlen nicht gethan.» 282<br />

Die drei Männer diskutierten daraufhin weitere anderthalb Stunden lang über<br />

die vorgeworfene Tat und die Marter. Stiefvater und Schwager liessen nicht locker,<br />

bis <strong>Egger</strong> die Tat schliesslich auch ihnen gestand. Aufgrund Catharinas<br />

ungerechtfertigter Geldforderung sei er so in Rage geraten, dass er sie im Kuhstall,<br />

wo sie ihn aufgesucht habe, «zu todt geschlagen, und selbe allda in einen<br />

winckhel geworfen» habe. Später habe er sie in die Stauden hin<strong>aus</strong> getan. 283<br />

Nach dem Geständnis bat <strong>Egger</strong> seinen Schwager und seinen Stiefvater um Verschwiegenheit<br />

und kündigte an, der Wirt Louis werde am kommenden Tag die<br />

Tat anzeigen, «und wann es nicht recht für ihne <strong>aus</strong>falle», so wolle er am Vormittag<br />

in die Kirche und am Nachmittag fort gehen. 284<br />

Daraufhin verliessen <strong>Joseph</strong> Bensegger und Johannes Kunz den Hof <strong>Egger</strong>s<br />

«jammerend und schreckhenvoll» 285 . Während der Stiefvater nachh<strong>aus</strong>e ging,<br />

suchte <strong>Joseph</strong> Bensegger den Schuster Jacob Himmelberger auf. Nachts um ein<br />

Uhr gingen beide gemeinsam mit dem Hatschier Greuter zu Hofweibel Ackermann<br />

und erstatteten Anzeige. 286 Eine Stunde später wurde <strong>Egger</strong> in seinem<br />

H<strong>aus</strong> verhaftet. 287<br />

282<br />

283<br />

284<br />

285<br />

286<br />

287<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 3.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 3 f.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 4.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 4.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 5; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s,<br />

S. 1.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 2.<br />

61


Strafverfahren<br />

4 Strafverfahren<br />

4.1 Besetzung des Gerichts<br />

<strong>Egger</strong> wurde in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1775 verhaftet. Am<br />

Mittwoch, 15. Februar 1775, wurde er erstmals dem Untersuchungsgremium<br />

vorgeführt. Er stand unter Verdacht, Catharina Himmelberger getötet und die<br />

Tat zu vertuschen versucht zu haben. Das Gericht war sich zu Beginn der Einvernahmen<br />

nicht darüber im Klaren, ob es sich um die Affekttat eines Totschlags<br />

oder um vorsätzliche Tötung handelte, steckte sie im Rahmen der Verhöre<br />

doch einige Energie in die Klärung dieser Frage.<br />

Die Einvernahmen <strong>Egger</strong>s, die Beratung des Gerichts sowie die Urteilsverkündung<br />

fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Fürstabtei<br />

St. Gallen war bereits 1491 von Kaiser Friedrich III. 288 das dem Inquisitionsprinzip<br />

entsprechende Privileg erteilt worden, das «Hochgericht mit bschlossner<br />

Thür zuhalte». 289 Der jeweilige Abt durfte das Hochgericht durch seine Amtsleute<br />

und Räte bei geschlossener Tür abhalten; die Handlungen und Urteile mussten<br />

ent<strong>gegen</strong> der bisherigen Gewohnheit nicht länger öffentlich ergehen. Der<br />

Kaiser hielt jedoch <strong>aus</strong>drücklich fest, dass der Abt verständige Personen seiner<br />

geschworenen Räte einzusetzen hatte, die unparteiisch und gerecht richten würden.<br />

Weder «gunst, miet, gab, fründtschaft noch veindtschafft» noch anderes<br />

dürfe ihnen anzusehen sein. 290<br />

Das urteilende Gericht, der Ledige Pfalzrat, setzte sich im Fall <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> folgenden<br />

weltlichen Beamten zusammen: Hofkanzler <strong>Joseph</strong> Ignaz Sartory von<br />

Rabenstein, der offenbar den Vorsitz führte; Pfalzrat von Seylern; Geheimrat<br />

Franz Anton Gugger von Staudach, Obervogt zu Rorschach; Franz <strong>Joseph</strong> Mül-<br />

288<br />

289<br />

290<br />

Geb. 1415, gest. 1493, Kaiser von 1440 bis 1493, Habsburger, Vater von Maximilian I.;<br />

SENN [2007], S. 445.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Freyhait von Kayser Friederich dem Dritten Abbt Gotthartt<br />

erthailt, das man das Hochgericht zu beschlossner Thür, und nid offentlich halten mög,<br />

und wie man das besetzen soll, vom 16. August 1491.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Freyhait von Kayser Friederich dem Dritten Abbt Gotthartt<br />

erthailt, 16. August 1491.<br />

63


Strafverfahren<br />

ler von Friedberg, Landvogt im Toggenburg; <strong>Joseph</strong> Ignaz Zweyfel, Obervogt<br />

von Oberberg; und Johann Anton Rudolf Rothfuchs, Obervogt von Blatten.<br />

<strong>Joseph</strong> Ignaz Sartory von Rabenstein, geboren 1721, trat 1743 als Kammerdiener<br />

bei Abt Cölestin in Dienst und wurde ein Jahr später als Sekretär vereidigt.<br />

1749 wurde er Lehenvogt und Richter des Pfalzgerichts, 1753 Obervogt<br />

auf Blatten 291 und Amtmann in Altstätten. Ein Jahr später wurde er auf die wichtigere<br />

Obervogtei Oberberg 292 bei Gossau versetzt, wo er bis 1763 amtete. 293 Er<br />

wurde häufig als äbtischer Gesandter eingesetzt, dies wohl nicht zuletzt aufgrund<br />

seiner guten Französischkenntnisse. 294 Sartory von Rabenstein wurde<br />

1763 zum Geheimrat ernannt und war von 1763 bis 1782 zudem Hofkanzler in<br />

der Fürstabtei. 295 1768 wurden Sartory von Rabenstein und seine Nachkommen<br />

von Abt Beda <strong>aus</strong> der Leibeigenschaft befreit und in die Rechte des in den<br />

Stiftslanden befindlichen Adels eingesetzt. Ein Jahr später erhob Kaiser <strong>Joseph</strong><br />

II. 296 Sartory von Rabenstein in des Heiligen Römischen Reichs erblichen<br />

Adelsstand. Während der Jahre 1772 bis 1775 versah der Kanzler auch das<br />

Landshofmeisteramt. Nach Niederlegung des Kanzleramts wurde er 1783 Obervogt<br />

von Rorschach. Sartory von Rabenstein starb im Dezember 1791. 297 Der<br />

Begriff des Kanzlers bzw. später des Hofkanzlers tauchte erst unter Abt Ulrich<br />

Rösch auf. Der Hofkanzler besorgte das Kanzleiwesen der Fürstabtei. 298 Nach<br />

dem Konzept zur Pfalzratsordnung 1733 hatte er die Verhandlung zu eröffnen,<br />

die Befragung vorzunehmen und sich in der anschliessenden Beratung als «juris<br />

291<br />

292<br />

293<br />

294<br />

295<br />

296<br />

297<br />

298<br />

Abt Ulrich Rösch kaufte die Burg Blatten bei Oberriet 1486. Während der darauffolgenden<br />

über 300 Jahre h<strong>aus</strong>ten dort die äbtischen Obervögte; FELDER [1970], S. 39.<br />

Das Schloss Oberberg ging 1489 nach kurzer Herrschaft der Stadt St. Gallen zurück in<br />

fürstäbtisches Eigentum. Es wurde Sitz des Obervogts, der das Oberbergeramt verwaltete;<br />

BREITENMOSER [1970], S. 127.<br />

STAERKLE, Gossau [1961], S. 121.<br />

Schweizerisches Geschlechterbuch, Band IV [1913], S. 458 f.<br />

StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis, Rubr. «Kanzler», S. 57 ff; Schweizerisches Geschlechterbuch,<br />

Band IV [1913], S. 459.<br />

<strong>Joseph</strong> II., geb. 1741, gest. 1790, war von 1765 bis zum Tod seiner Mutter Maria Theresia<br />

1780 deren Mitregent und danach Kaiser. Er war Monarch im Sinne des aufgeklärten Absolutismus,<br />

förderte das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die Rechtspflege (Abschaffung<br />

der Folter); SENN [2007], S. 449.<br />

Schweizerisches Geschlechterbuch, Band IV [1913], S. 460; STAERKLE, Obervögte<br />

[1951], S. 29; WILLI [1947], S. 310.<br />

StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis, Rubr. «Kanzler», S. 57 ff.<br />

64


Strafverfahren<br />

consultus» zu betätigen. 299 Somit ist anzunehmen, dass Sartory von Rabenstein<br />

die Verhöre im Fall <strong>Egger</strong> führte. Die Akten des Falles enthalten zum Befrager<br />

jedoch keinen expliziten Hinweis. Weiter sollte der Hofkanzler gemäss Pfalzratsordnung<br />

kontrollieren, ob der Ratssekretär das Protokoll ordnungsgemäss<br />

führte. 300<br />

Pfalzrat von Seylern entstammte vermutlich dem alten Wiler Geschlecht Sailer.<br />

Dr. med. <strong>Joseph</strong> Anton von Sailern war fürstlicher Leibarzt in St. Gallen<br />

gewesen und hatte 1728 von Karl VI. die Nobilitierung erhalten. Beim im Verfahren<br />

<strong>Egger</strong> mitwirkenden Pfalzrat von Seylern handelte es sich wahrscheinlich<br />

um <strong>Joseph</strong> Blasius (oder Basil), einen Sohn von <strong>Joseph</strong> Anton von Sailern,<br />

der als Pfalzrat und Fiskal amtete. Er war schliesslich auch Obervogt von Blatten,<br />

Schwarzenbach und von 1745 bis 1753 von Oberberg sowie anschliessend<br />

bis 1762 Landvogt im Toggenburg. 301<br />

Franz Anton Gugger von Staudach stammte <strong>aus</strong> Feldkirch. Er war der Cousin<br />

von Abt Cölestin. Von 1753 bis 1754 amtete er als Obervogt von Oberberg, von<br />

1754 bis 1758 als Obervogt zu Rorschach, von 1758 bis 1763 als Hofkanzler<br />

und von 1763 bis 1772 als Landvogt im Toggenburg. Weil er dort offenbar unbeliebt<br />

wurde, bat er Abt Beda um die Vogtei Rorschach, die er schliesslich von<br />

1772 bis 1783 erneut verwaltete. 302<br />

Franz <strong>Joseph</strong> Müller stammte <strong>aus</strong> Näfels, wurde 1725 geboren und war Arzt.<br />

Er amtete als Zeugherr zu Glarus, bis er 1758 in den Dienst der Fürstabtei<br />

St. Gallen trat. Er wurde Pfalzrat und Obervogt auf Rosenberg, später in Rorschach.<br />

Von 1772 bis 1775 war er Landvogt im Toggenburg, sodann Landshofmeister,<br />

zugleich Geheimer Rat und Minister des Abts. Er erhielt 1768 von<br />

Abt Beda das adelige Gottesh<strong>aus</strong>mannsrecht, 1774 von Kaiser <strong>Joseph</strong> II. für<br />

sich und seine Nachkommen den Reichsritterstand mit dem Prädikat «von<br />

Friedberg». 1791 wurde er von Kaiser Leopold II. in den Freiherrenstand erhoben.<br />

Der Abt entliess den unbeliebten, sehr konservativen Beamten jedoch 1795<br />

299<br />

300<br />

301<br />

302<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 31.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 79 f.<br />

Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 786; STAERKLE, Gossau [1961],<br />

S. 121; BÜCHLER [1992], S. 54.<br />

STAERKLE, Gossau [1961], S 121; STAERKLE, Obervögte [1951], S. 28 f.; BÜCHLER<br />

[1992], S. 54.<br />

65


Strafverfahren<br />

als Landshofmeister. Von 1795 bis 1798 war er Hofmarschall, kehrte dann nach<br />

Näfels zurück, wo er 1803 starb. 303 Franz <strong>Joseph</strong> Müller war der Vater des bekannten<br />

st. gallischen Staatsmanns Karl Müller-Friedberg. 304<br />

<strong>Joseph</strong> Ignaz Zweyfel von Schänis war von 1763 bis 1775 Obervogt von<br />

Oberberg und von 1775 bis 1792 Landvogt im Toggenburg. Dann wurde er unfreiwillig<br />

in die Obervogtei Rorschach versetzt, wo er bis Ende 1798 blieb. 305<br />

Die Familie Rothfuchs stammt <strong>aus</strong> der Gemeinde Rorschach. Johann Anton<br />

Rudolf Rothfuchs war ab 1768 Vogt auf Blatten, von 1775 bis 1783 Obervogt<br />

von Oberberg, von 1783 bis 1796 Hofkanzler und zudem 1795 provisorischer<br />

Landshofmeister. 306<br />

Gemäss Protokoll wohnten nur Sartory von Rabenstein und von Seylern den<br />

sich über mehrere Wochen hinziehenden Ermittlungen und Einvernahmen bei.<br />

Am 3. März 1775, also sogar noch vor dem kompletten Abschluss der Verhöre,<br />

wurde der Fall von den erwähnten Mitgliedern des Ledigen Pfalzrats diskutiert.<br />

307 Die Akten liefern keine Hinweise darauf, dass Gugger von Staudach,<br />

Müller von Friedberg, Zweyfel und Rothfuchs <strong>Egger</strong> je persönlich zu Gesicht<br />

bekommen hätten. Zwar ist anzunehmen, dass sie immerhin Kenntnis von den<br />

Verhörakten hatten; dies lässt sich mit den vorhandenen Quellen jedoch nicht<br />

belegen.<br />

Den Einvernahmen im Fall <strong>Egger</strong> wohnte auch Lehenvogt <strong>Joseph</strong> Nikl<strong>aus</strong><br />

Ehrat bei. Als Lehenvogt war er dem Ledigen Pfalzrat grundsätzlich ebenfalls<br />

zugehörig. 308 Bei der Beratung der Pfalzräte am 3. März 1775 war er jedoch offenbar<br />

nicht zu<strong>gegen</strong>; im Protokoll wurde er jedenfalls nicht erwähnt. 309 Denkbar<br />

ist, dass er als Pfalzrat amtete und lediglich bei der Beratung sämtlicher Räte<br />

verhindert war. Die Akten verraten diesbezüglich jedoch nichts. Ehrat, geboren<br />

303<br />

304<br />

305<br />

306<br />

307<br />

308<br />

309<br />

Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 185; STAERKLE, Obervögte [1951],<br />

S. 29.<br />

Zu dessen Biographie: Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 192.<br />

STAERKLE, Gossau [1961], S. 121; STAERKLE, Obervögte [1951], S. 29; BÜCHLER [1992],<br />

S. 54.<br />

Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 720; STAERKLE, Gossau [1961],<br />

S. 121.<br />

Vgl. das «rechtliche gutachten» in Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

66


Strafverfahren<br />

1746, trat 1772 als Fiskal in äbtische Dienste. Ab 1774 war er Lehenvogt zu<br />

St. Gallen. 1789 wurde er äbtischer Vogt auf dem süddeutschen Aussenposten<br />

des Klosters Neuravensburg, dessen Schloss den St. Galler Äbten in Notzeiten<br />

als Refugium diente. Ehrat galt als über<strong>aus</strong> fähiger Vertrauensmann des Abtes.<br />

Für diesen verfasste er auch politische Gutachten und Verfassungsentwürfe. 310<br />

4.2 Weitere am Verfahren beteiligte Beamte<br />

Gemäss Protokoll waren bei den Befragungen <strong>Egger</strong>s in der Regel neben Hofkanzler<br />

Sartory von Rabenstein, Pfalzrat von Seylern und Lehenvogt Ehrat der<br />

Fiskal Zollikofer und der Ratssekretär Gross anwesend. Den ersten beiden Einvernahmen<br />

<strong>Egger</strong>s wohnte auch der äbtische Leibarzt Rogg bei. Am Verfahren<br />

wirkte zudem Hofweibel Johannes Ackermann mit.<br />

Fiskal Zollikofer war bei sämtlichen Einvernahmen <strong>Egger</strong>s zu<strong>gegen</strong>. Ein Fiskal<br />

amtete oftmals als öffentlicher Ankläger, der nicht mehr die Interessen eines<br />

privaten Klägers vertrat. 311 Der Fiskal sollte gemäss dem Konzept zur Pfalzratsordnung<br />

1733 «embsig» darauf achten, dass «in unserm land guete policey, und<br />

ordnung gehalten, das guet gepflanzt, und das böse verhüethet, und abgestrafft<br />

werde», wozu er dem Pfalzrat jederzeit beiwohnen sollte. 312 Er sollte Landsatzung,<br />

Landmandat und Ordnungen fleissig lesen und «allenthalben genuegsamme<br />

aufsicht, und kundtschafften bestellen, damit die übertretter derselbigen<br />

zeitlich entdeckt, selbige an behörde zur verantwortung vorgestellt, und zur genüege<br />

verhört» würden. 313 Die Pfalzratsordnung hielt fest, der Fiskal sei gemäss<br />

seiner Bestallung verpflichtet, alle eingehenden Strafen und Bussen dem Abt<br />

und dem Statthalter getreulich zu verrechnen. Explizit wurde erwähnt, er sei<br />

nicht befugt, jemandem eine Strafe zu erlassen. 314 Der Fiskal war dem Pfalzrat<br />

zwar zugeordnet, amtete aber offenbar nicht als entscheidungsbefugter Teil des-<br />

310<br />

311<br />

312<br />

313<br />

314<br />

HOLLENSTEIN LORENZ, Oberbeamte [2005], S. 77 f; StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis,<br />

Rubr. «Lehenvogt», S. 75.<br />

Auch Schultheiss, vgl. RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53 Rz. 104; HÄRTER [2000],<br />

S. 463.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 71.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 72.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 73 f.<br />

67


Strafverfahren<br />

selben. So war Zollikofer bei der Beratung des Pfalzrats vom 3. März 1775<br />

nicht zu<strong>gegen</strong>.<br />

Das Verhörprotokoll <strong>Egger</strong>s sowie die meisten übrigen Aktenstücke wurden<br />

vom Ratssekretär Gross verfasst. <strong>Joseph</strong> Anton Gross von Tablat war erst fürstlich<br />

st. gallischer Kammerdiener gewesen, 1763 wurde er Ratssekretär. Ab 1777<br />

nahm er das Amt des Obervogts zu Ravensburg ein. 315 Der Ratssekretär hatte<br />

nach dem Konzept zur Pfalzratsordnung alle Schriften und Akten zu registrieren,<br />

in Ordnung und unter Verschluss zu halten. Er sollte bei allen gerichtlichen<br />

Handlungen und Justizgeschäften anwesend sein, musste die Namen aller jeweils<br />

anwesenden Pfalzräte im Protokoll vermerken, hatte alles 316 im Protokoll<br />

festzuhalten, wobei er nichts weglassen und nichts hinzufügen sollte. Er sollte<br />

dem Reichen wie dem Armen ein gleicher Schreiber sein. Weiter hatte er verschwiegen<br />

zu sein über alles, was er im Rat erfahren sollte. 317 In höheren und<br />

minderen Strafsachen sollte der Sekretär «weder extract, recess, noch urthel<br />

brieff hin<strong>aus</strong> geben, es wäre den sach, dass solches vor pfalzrath erkennt, und<br />

auf geziemendes ainhalten, und anfragen erlaubt wurde». 318<br />

Dr. Gerold Bernhard Rogg stammte <strong>aus</strong> Frauenfeld und amtete als äbtischer<br />

Leibarzt und Hofrat. Zum Leibarzt berufen wurde er 1760 unter Abt Cölestin.<br />

Bereits 1771 hatte das Pfalzgericht seinen Rat in zwei Streitfällen zwischen Chirurgen<br />

und enttäuschten Patienten in Anspruch genommen. 319 1789 musste Rogg<br />

sein Amt als Leibarzt wegen Krankheit aufgeben, zwei Jahre später starb er. 320<br />

Im Fall <strong>Egger</strong> war er als Sachverständiger zwar teilweise auch bei den Einvernahmen<br />

<strong>Egger</strong>s anwesend, von der Beratung der Pfalzräte am 3. März 1775 war<br />

er jedoch <strong>aus</strong>geschlossen.<br />

315<br />

316<br />

317<br />

318<br />

319<br />

320<br />

Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 3 [1926], S. 757.<br />

In der Ordnung aufgezählt sind «klag, antwort, red, und widerred, schlüss, und recht säz,<br />

sambt denen augenscheinen kundtschafften, bericht, und rathschlägen, beschaidt, erkantnussen,<br />

und urthlen», StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 75. Zu den Anforderungen<br />

an die Protokollierung vgl. etwa KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 32, S. 106<br />

ff.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 76 f.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 82.<br />

STAERKLE, Leibärzte [1968], S. 101; StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis, Rubr. «Medici»,<br />

S. 162 ff.<br />

STAERKLE, Leibärzte [1968], S. 101, 103.<br />

68


Strafverfahren<br />

Im Rahmen seines Amts befasste sich Hofweibel Ackermann eingehend mit<br />

dem Fall <strong>Egger</strong>. Ein Weibel nahm mannigfaltige Aufgaben in Verwaltung und<br />

Gerichtswesen wahr. So war er u.a. Gerichtsdiener (auch Frondiener, Büttel),<br />

der die Parteien vorlud und Termine und Urteile verkündete. Er trat beim Malefizgericht<br />

als Kläger auf und amtete als Gefangenenwärter. Allgemeine Ordnungs-<br />

und Polizeifunktionen des Weibels bestanden etwa in der Fahndung<br />

nach Delinquenten, der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie<br />

im Einziehen der Steuern. 321 Gemäss der Pfalzratsordnung 1733 sollte der<br />

Hofweibel ein «glaubhaffter, frommer, redlicher» Mann sein. Er sollte Vorladungen,<br />

Bescheide, Befehle und weiteres je nach den Umständen schriftlich<br />

oder mündlich verkünden, wobei er dazu auch «ehrbare leüth», nicht aber «weiber<br />

oder kinder» beiziehen durfte. 322 Der Weibel und sein Knecht sollten an den<br />

Orten, an denen sie «gebott <strong>aus</strong>richten, schazungen, pfand, und executiones<br />

vornehmen, sich der gebühr, und gueter bescheidenheit gebrauchen, und niemandt<br />

mit wortten, oder wercken beschwären, oder beleydigen». 323<br />

In den Akten des Stiftsarchivs findet sich eine etwa <strong>aus</strong> dem Jahr 1750 stammende<br />

«bestallung eines ambtsdieners des Gottsh<strong>aus</strong> St. Gallen». 324 Sie regelt<br />

detailliert die Aufgaben des Amtsdieners. Es ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass der<br />

Amtsdiener identisch ist mit dem in der Pfalzratsordnung erwähnten Hofweibel.<br />

Der Amtsdiener hatte im Amtsh<strong>aus</strong> zu St. Fiden zu wohnen und durfte <strong>aus</strong>ser zu<br />

Amtsgeschäften «ohne der obrigkeit oder eines herrn fiskal vorwüssen nirgendeshin<br />

verreisen». 325 Er hatte die Verdächtigen zu verhaften und die Gefangenschaft<br />

zu überwachen. Gaben und Geschenke durfte er «bey höchster ohngnad<br />

nid annemmen», sondern musste alles offenbaren und anzeigen, «was zur vollführung<br />

der justiz, und erhaltung obrigkeitlicher authorität, und rechten gereichen<br />

mag». 326 In der Bestallung sind die Kosten, die der Amtsdiener für seine<br />

321<br />

322<br />

323<br />

324<br />

325<br />

326<br />

HOLENSTEIN ANDRÉ, Weibel, e-HLS [2005]; KONRAD/HERIBERT [2004], S. 1717.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 112 f.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 116 f. Vgl. auch MÜLLER, Offnungen [1964], S.<br />

75; STAUB [1988], S. 72; MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 159.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 1.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 1, Ziff. 1. Weder rauhes<br />

Wetter noch die finstere Nacht noch sonst etwas, «<strong>aus</strong>sert Gottes gewalt und ehehafte<br />

not» sollten ihn von seiner Verantwortung entlasten; S. 1, Ziff. 2.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 5, Ziff. 12.<br />

69


Strafverfahren<br />

Arbeit in Rechnung stellen durfte, detailliert nach Tätigkeitsbereich aufgelistet.<br />

327<br />

4.3 Untersuchungshandlungen und erste Einvernahme <strong>Egger</strong>s<br />

4.3.1 Zeugen<strong>aus</strong>sage der Näherin Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er<br />

am 13. Februar 1775<br />

Die Näherin Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er machte am Montag, 13. Februar, eine Anzeige,<br />

die kurz und etwas wirr protokolliert wurde. Sie sei am Samstag zuvor,<br />

also am 11. Februar 1775, bei einem Johannes Bersinger Ziegler in Wittenbach<br />

am Nähen gewesen, als abends um halb fünf Uhr der Knecht der Tobel-Mühle,<br />

<strong>Joseph</strong>, angekommen sei und berichtet habe, er sei mit dem Pferd durch den<br />

Wald gefahren, 328 als er es «ohngemein» r<strong>aus</strong>chen gehört habe. Der Knecht habe<br />

sich nicht getraut nachzuschauen, «was daselbst wäre», da es schon fast Nacht<br />

gewesen sei und ihn «ein gr<strong>aus</strong>en» überkommen habe. 329 Die Näherin fügte an,<br />

der Knecht werde mehr sagen können.<br />

4.3.2 Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> Bensegger und Bestätigung von<br />

Johannes Kunz am 14. Februar 1775<br />

Die Aussage von <strong>Egger</strong>s Schwager <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> Bensegger, der am Dienstag,<br />

14. Februar 1775, also am Tag der Gefangennahme <strong>Egger</strong>s, «auf obrigkeitliches<br />

fürfordern» hin zur Zeugen<strong>aus</strong>sage auf der Pfalz erschien, wurde bereits in<br />

Kap. 3.4.3 wiedergegeben. Bensegger berief sich nach Ende seiner Schilderung<br />

der Begegnung mit <strong>Egger</strong> am Abend des 13. Februar 1775 auf <strong>Egger</strong>s Stiefvater<br />

Johannes Kunz, der dem Gespräch ebenfalls beigewohnt hatte. Nachdem die<br />

Angaben von Bensegger protokolliert worden waren, bestätigte Kunz diese nach<br />

abgelegtem Handgelübde. 330<br />

327<br />

328<br />

329<br />

330<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 6 f.<br />

Gemeint ist wohl ein Pferdewagen.<br />

Dok. 5, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 5.<br />

70


Strafverfahren<br />

4.3.3 Bergung der Leiche <strong>aus</strong> dem Galgentobel am 14. Februar 1775<br />

Das Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s enthält zu Beginn eine kurze Schilderung des<br />

Sachverhalts, soweit er dem Gericht bis vor dem ersten Verhör <strong>Egger</strong>s nach dessen<br />

Festnahme bekannt war. Nachdem <strong>Joseph</strong> Bensegger in der Befragung mitgeteilt<br />

hatte, sein Schwager habe die Leiche von Catharina Himmelberger im<br />

Galgentobel in die Stauden geworfen, machten sich Fiskal Zollikofer, Leibarzt<br />

Rogg und Chirurg Wolff am Dienstag, 14. Februar 1775, dem Morgen nach der<br />

Festnahme <strong>Egger</strong>s, auf, die Leiche zu bergen. Sie fanden in der Nähe des Leichnams<br />

von Catharina zwei weitere in ein Leintuch gewickelte Leichen, die sie<br />

begutachteten. Am Abend desselben Tages holte der Totengräber die Leichen<br />

ab und beerdigte sie bei «den ohnschuldigen kinder[n]». 331<br />

4.3.4 Berichte des Fiskals Zollikofer vom 14. und 15. Februar 1775<br />

Zusammen mit Leibarzt Rogg und Chirurg Wolff untersuchte Fiskal Zollikofer<br />

die Leiche Catharina Himmelbergers nach deren Bergung, um das «visum et<br />

repertum» 332 zu erstatten. Der Fiskal verfasste am Mittwoch, 15. Februar 1775,<br />

einen Bericht über die Besichtigung. Er beschrieb, wo und in welcher Lage man<br />

Catharina gefunden und was sie getragen hatte:<br />

«[...] die kleidung bestunde in einem guetten hemmet, rothem leib-rockh, oder leibschorzzen,<br />

rothgetrucktem kragen mit weissen strichlein (der fast am anfang des tobels gelegen)<br />

grünem muader, blauem unter- und aschenfarbigem oberrockh, der auch etwa 4 schritt von<br />

ihro entfehrnet gelegen, die strümpf waren roth, die schuhe aber mit gelb-kleinen schnallen<br />

eingethan». 333<br />

Der Fiskal berichtete auch über Wunden an Kopf und Genick. Wie diese beschaffen<br />

seien, würden jedoch Rogg und Wolff mitteilen. In einem weiteren<br />

Bericht, den der Fiskal offenbar bereits am Dienstag, 14. Februar 1775, verfasst<br />

331<br />

332<br />

333<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 2, Ziff. 2. Die Leichen wurden wohl in einem<br />

Teil des Friedhofs beerdigt, in dem die Erde ungeweiht war. Dort wurden auch ungetauft<br />

gestorbene Kinder, andere «Nichtchristen» und Selbstmörder bestattet; siehe auch KNOTT<br />

[2006], S. 58 ff.; HAUSER ALBERT, Tod [1994], S. 56.<br />

Medizinischer Befund. In der Stadt St. Gallen tauchte dieser Ausdruck offenbar erstmals<br />

1759 auf; mit Quellenangabe MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 153.<br />

Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 2.<br />

71


Strafverfahren<br />

hatte, hielt er fest, dass man «circa 19 schritt» unterhalb von Catharinas Körper<br />

ein Bündel erblickt und untersucht habe. Darin habe man zwei weitere tote Körper<br />

gefunden, wobei einer keinen Kopf mehr gehabt habe. Man habe diesen<br />

Fund «[...] dann der obrigkeit pflichtmässig anzuzeigen für nöthig erachtet, umb<br />

von selbiger weitere befehle zu<strong>gegen</strong>wärthigen [...]» 334 . Diese habe zur Erstellung<br />

eines visum et repertum angehalten, das noch am selben Tag durch Rogg,<br />

Wolff und Zollikofer vorgenommen worden sei. Die toten Körper seien weiblich<br />

gewesen. Der eine Körper sei «unzerrissen» gewesen, habe jedoch keine<br />

Eingeweide mehr gehabt und sei stattdessen mit Laub von Birn- und Kirschbäumen<br />

gefüllt gewesen. Vom anderen seien nur der untere Leib, eine Hand<br />

sowie die Haut vorhanden gewesen. 335 Nach Vornahme des zweiten visum et<br />

repertum wurden die Leichen vom Totengräber abgeholt und beerdigt. 336<br />

4.3.5 Das «visum et repertum» von Leibarzt Rogg vom 15. Februar 1775<br />

Der Leibarzt Rogg gab seine Beobachtungen bei der Untersuchung der Leiche<br />

von Catharina Himmelberger vom Dienstag, 14. Februar 1775, nicht zu Protokoll,<br />

sondern verfasste tags darauf selbst ein Gutachten. Er beschrieb, in welcher<br />

Stellung die Leiche im Galgentobel gelegen habe, als er eingetroffen sei. Da die<br />

«schlimme laag des orths nicht gestattete nächeres und gründlicheres visum et<br />

repertum vorzunemmen», habe man den Körper ins H<strong>aus</strong> von <strong>Joseph</strong> Himmelberger<br />

an der Langgass gebracht. 337 Ihm, Rogg, sei <strong>aus</strong>drücklich aufgetragen<br />

worden zu untersuchen, ob eine oder mehrere Wunden am Körper zu finden<br />

seien und ob diese an und für sich selbst tödlich oder «aber nur zu fälliger weis<br />

tödtlich geworden seyn möchten». 338 Er habe vom Chirurgen Wolff, der ihm von<br />

der Obrigkeit zur Seite gestellt worden sei, und dessen Sohn den Leichnam entkleiden<br />

lassen und die Brust und den vorderen Leib visitiert, aber kein Merkmal<br />

<strong>aus</strong>geübter Gewalt bemerkt. Dann habe er den Körper von hinten untersuchen<br />

lassen. Dort habe er gesehen, dass durch einen fürchterlich gewaltsamen Streich<br />

334<br />

335<br />

336<br />

337<br />

338<br />

Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 3.<br />

Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 4 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 2.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 1.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 1 f.<br />

72


Strafverfahren<br />

die Wirbelsäule beim fünften und sechsten Halswirbel völlig entzwei geschlagen<br />

worden sei, «so dass der kopf vor- und hinterwerths gewacklet». 339 Der Arzt<br />

untermalte diese Beschreibung mit einer Skizze. Jene Verletzung allein könne<br />

als für jedermann tödlich erachtet werden. Von dieser Wunde zum «os occipity»<br />

340 , wo sich dieser unterhalb mit dem «os petroso» 341 und oberhalb mit dem<br />

Oberhauptbein vereinige, bemerkte Rogg eine «starcke quantitet <strong>aus</strong>getrettenen<br />

und gestockten gebluots unter der haut». 342<br />

Rogg berichtete von weiteren Wunden, einer oberhalb des linken Ohrs, einer<br />

beim Hauptwirbel und einer mittleren, bei der man nach Abschälen der Haut<br />

und Abwaschen der Stelle den eingedrückten Hirnschädel habe erkennen können.<br />

343 Auch dies skizzierte der Arzt. Ob jene Wunden von wiederholter Gewalttätigkeit<br />

her stammten oder beim Hinunterrollen in die Stauden des Tobels entstanden<br />

seien, lasse sich eigentlich nicht bestimmen. Sicher sei jedoch, dass die<br />

drei Wunden am Kopf nicht vom aufs Genick geführten, für sich allein tödlichen<br />

Streich herrühren könnten, da die Entfernung zu gross sei. 344 Das Gutachten<br />

des Arztes hält das Beobachtete <strong>aus</strong>führlich unter Benennung der verschiedenen<br />

Knochen mit den lateinischen Fachbegriffen fest.<br />

4.3.6 Stellungnahme des Chirurgen Wolff vom 15. Februar 1775<br />

Auch der Chirurg Wolff, der als Hofbarbier amtete, verfasste am Mittwoch,<br />

15. Februar 1775, einen kurzen Bericht über die zusammen mit Rogg durchgeführte<br />

Untersuchung der Leiche. Die Sektion habe gezeigt, dass das Hinterhaupt<br />

der Untersuchten lädiert, eingeschlagen, gespalten und zersplittert worden sei.<br />

Auch sei sie am Genick verwundet gewesen. Auf dieses «töttliche, und gewalt-<br />

339<br />

340<br />

341<br />

342<br />

343<br />

344<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2.<br />

Der Os occipitale (Hinterhauptbein) ist Bestandteil der hinteren Schädelgrube und des<br />

Schädeldachs am Hinterhaupt, PSCHYREMBEL [2004], S. 1327.<br />

Der Os petroso (Felsenbein) ist Teil des Schläfenbeins und bildet die knöcherne Hülle für<br />

das Innenohr, PSCHYREMBEL [2004], S. 558.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2 f.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 3.<br />

73


Strafverfahren<br />

same verfahren» könne nichts anderes folgen «als der schmertz, und bittere tott<br />

selbst». Dies attestierten die Hofbarbiere Vater und Sohn. 345<br />

4.3.7 Erste Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 15. Februar 1775<br />

Die erste Einvernahme <strong>Egger</strong>s erfolgte einen Tag nach seiner Festnahme am<br />

Mittwoch, 15. Februar 1775, in St. Fiden. Gleich zu Beginn des Verhörs gab er<br />

an, es «seye ihm leyd, dass er das ding gethan habe». 346 Er gestand sogleich, der<br />

Catharina Himmelberger mit einer Mistgabel einen «streich in das knick gegeben»<br />

347 zu haben. In seinem Schrecken habe er nicht gewusst, was er mit ihr machen<br />

sollte. So habe er sie in den hinteren Teil des Stalls gelegt. Dort sei sie von<br />

Montag, 6. Februar, bis Freitag, 10. Februar, gelegen. Am Freitag habe er sie<br />

um vier Uhr morgens «auf die achsel genohmen», in den Tiergarten getragen<br />

und sie ins Tobel hinunter geworfen. 348 Das Gericht befragte <strong>Egger</strong> daraufhin<br />

detailliert, wie er den Schlag <strong>aus</strong>geführt habe. Ihm wurde sogar die Mistgabel<br />

gebracht, damit er dem Gericht den Schlag demonstriere. Auf die Frage, was für<br />

Wunden er dem Opfer beigebracht habe, antwortete er kaum. Er blieb bei seiner<br />

Aussage, mit nur einem Schlag «den kopf, wo die zöpf seyen» getroffen zu haben.<br />

349 Daraufhin wurde er mit dem Ergebnis des visum et repertum konfrontiert:<br />

Man habe eine Wunde am Genick gefunden sowie zwei weitere auf der<br />

linken Kopfseite zwischen Ohr und Genick. Die eine dieser beiden Wunden sei<br />

nicht tief gewesen, die zweite hin<strong>gegen</strong> sei «bis auf das hirn hinein gegangen».<br />

350 Trotz dieser Ausführungen hielt <strong>Egger</strong> an seiner Darstellung fest, nur<br />

einmal zugeschlagen zu haben.<br />

Zum Grund des Besuchs von Catharina Himmelberger befragt, sagte <strong>Egger</strong><br />

<strong>aus</strong>, er sei ihr noch etwas schuldig gewesen. Er verneinte die Frage, ob er sie<br />

aufgefordert habe, ihn im Dunkeln zu so früher Stunde im Stall aufzusuchen. 351<br />

345<br />

346<br />

347<br />

348<br />

349<br />

350<br />

351<br />

Dok. 10, Stellungnahme des Chirurgen und Hofbarbiers Wolff und dessen Sohns.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 1.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 2 und 3.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 3.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 8.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 10.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 13.<br />

74


Strafverfahren<br />

Sie habe zuviel gefordert und mit ihm «gezancket» 352 , habe gesagt, er sei ein<br />

«spizbueb» und ein «lieger» 353 weshalb er sie mit der Mistgabel zum Stall hin<strong>aus</strong><br />

habe jagen wollen. Er wisse nicht, weshalb er zugeschlagen habe. Er sei «taub»<br />

gewesen. 354 Catharina Himmelberger habe 20 Batzen von ihm gefordert, er aber<br />

sei ihr nur noch einen Gulden schuldig gewesen. Daraufhin konfrontierte ihn<br />

das Gericht damit, dass er «anderwerths» vorgegeben habe, Catharina habe einen<br />

Gulden gefordert, während er ihr nur 30 Kreuzer geschuldet habe. 355 Am<br />

Freitag bei der ersten Befragung vor der Festnahme habe er sogar behauptet, ihr<br />

keinen Kreuzer mehr schuldig gewesen zu sein, sondern ihr alles bezahlt zu haben.<br />

Mit diesen Widersprüchen konfrontiert, sagte <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong>,<br />

«[...] sie habe 20 bazen geforderet, und er habe anstatt des kantlichen ein gulden ihro wollen<br />

damahlen ½ gulden geben und das er der obrigkeit vorgegeben, er seye ihro gar nichts<br />

schuldig, habe er gedenckt, er wolle sich damit <strong>aus</strong>reden.» 356<br />

Daraufhin erwiderten die Verhörenden, es zeige sich also, dass er schon letzten<br />

Freitag entschlossen gewesen sei, sich auf das Leugnen zu verlegen, woraufhin<br />

<strong>Egger</strong> um Verzeihung bat. Er behauptete, sonst nie gelogen zu haben. 357<br />

Weiter wurde <strong>Egger</strong> gefragt, warum er die Tat, die ihm – wie er sage – leid tue,<br />

«niemandem angezaigt, oder gleich darüber lermen gemacht» habe. Er habe in<br />

Gottes Namen nicht gewusst, was er tue, es habe ihm aber trotzdem leid getan,<br />

antwortete der Angeschuldigte. 358 Das Verhör dieses Tages schloss mit ein paar<br />

Fragen zur Kleidung, die die Getötete angehabt hatte, und der Notiz, <strong>Egger</strong> sei<br />

«in das blockh<strong>aus</strong> wider verwahret worden». 359<br />

<strong>Egger</strong> hatte sich also nach anfänglich widersprüchlichen Angaben darauf<br />

festgelegt, der Catharina Himmelberger einen Gulden geschuldet zu haben, was<br />

15 Batzen oder 60 Kreuzern entspricht. Weiter sagte er <strong>aus</strong>, seine Gläubigerin<br />

habe 20 Batzen von ihm gefordert. Der Streit zwischen den beiden brach offen-<br />

352<br />

353<br />

354<br />

355<br />

356<br />

357<br />

358<br />

359<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 14.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 16.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 17.<br />

Wann und wo <strong>Egger</strong> sich dahingehend geäussert haben soll, verschweigen die Akten.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 19.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 20.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 21.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 13.<br />

75


Strafverfahren<br />

bar wegen eines Betrags von lediglich fünf Batzen bzw. 20 Kreuzern <strong>aus</strong>. Dies<br />

entsprach grob geschätzt dem Einkommen eines unqualifizierten Tagelöhners. 360<br />

4.4 Weitere Untersuchungshandlungen und zweite<br />

Einvernahme <strong>Egger</strong>s<br />

4.4.1 Anzeige des Strumpfwebers Pankraz Rietmann<br />

am 16. Februar 1775<br />

Am Donnerstag, 16. Februar 1775, zwei Tage nach der Verhaftung <strong>Egger</strong>s, erstattete<br />

ein gewisser Pankraz Rietmann 361 auf der Pfalz Anzeige. Er war Bürger<br />

der Stadt St. Gallen und von Beruf Strumpfweber. Er gab zu Protokoll, dass sein<br />

Bruder Hansulrich Rietmann vor eindreiviertel Jahren an einem Samstag im<br />

Frühling während des Jahrmarktes die Stadt abends verlassen habe. Seither habe<br />

man nichts mehr von ihm gehört. <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> hatte offenbar auf seinem Hof<br />

Most <strong>aus</strong>geschenkt. Da Hansulrich Rietmann auf dem Land in einem abgelegenen<br />

Mosth<strong>aus</strong> bisweilen gerne ein Glas Most getrunken habe, äusserte Pankraz<br />

Rietmann nun die «muethmassung», sein Bruder könnte zu <strong>Egger</strong> auf den Hof<br />

gegangen und «allda ohnglückhlich geworden seyn». 362<br />

4.4.2 H<strong>aus</strong>durchsuchung am 16. Februar 1775<br />

Vor Beginn der erneuten Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 17. Februar 1775 wurde im<br />

Protokoll festgehalten, Hofweibel Ackermann sei nach dem Verhör vom 15. Februar<br />

1775 beauftragt worden, das H<strong>aus</strong> <strong>Egger</strong>s und den Stall samt Miststöcken<br />

genau zu durchsuchen, was er am 16. Februar getan habe. Im Stall fand Ackermann<br />

eine Schürze und ein mit Blut besprengtes Halstuch. Seit dem Fund des<br />

Bündels mit den zwei noch unbekannten Leichen in der Nähe der Leiche von<br />

Catharina Himmelberger hatte sich der Verdacht «gemehret», einige von Catha-<br />

360<br />

361<br />

362<br />

Ein Pfund Brot kostete im 17. Jahrhundert im Durchschnitt etwa drei Kreuzer; BAUMANN<br />

MAX [2003], S. 135.<br />

Geb. 1706, gest. 1775, Weber, Fähnrich, Hauptmann; ALTHER [2004], S. 103, 107.<br />

Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann.<br />

76


Strafverfahren<br />

rinas Kleidern, insbesondere die «ermelschluten», könnten sich im Bündel mit<br />

den beiden Leichen befunden haben. 363 So beschloss man, nicht nur Catharinas<br />

Bruder nach ihren Kleidern und «ermelschluten» zu befragen, sondern befahl<br />

zudem dem Totengräber, die beiden bereits wieder beerdigten fremden toten<br />

Körper samt Kleidern und den ominösen «ermelschuten» in der Nacht vom 16.<br />

auf den 17. Februar 1775 erneut <strong>aus</strong>zugraben und die Kleider dem Gericht zu<br />

bringen. Dies geschah, worauf die Kleider Jacob Himmelberger gezeigt wurden.<br />

364<br />

4.4.3 Aussage von Jacob Himmelberger am 17. Februar 1775 und dessen<br />

förmliche Zeugeneinvernahme am 18. Februar 1775<br />

Am Samstag, 18. Februar 1775, wurde Catharinas Bruder Jacob Himmelberger,<br />

Schuster in Rotmonten, als Zeuge vorgeladen. Diese Einvernahme fand in<br />

St. Fiden im Wirtsh<strong>aus</strong> statt und nicht auf der Pfalz. Bei ihrem Bruder Jacob<br />

Himmelberger hatte Catharina in den anderthalb Jahren bis zum Umzug an die<br />

Langgasse zu Zunftmeister Ziegler gewohnt. Deswegen vermutete das Gericht,<br />

er werde ihre Kleider kennen. Er gab denn auch zu Protokoll, die «ermelschlutten»,<br />

die er tags zuvor, am 17. Februar 1775 vormittags, beim Totengräber gesehen<br />

habe, klar als diejenigen seiner Schwester zu erkennen. 365 Dasselbe galt<br />

für ein Hemd und eine blaue Schürze, die ihm ebenfalls am Vortag im Wirtsh<strong>aus</strong><br />

gezeigt worden waren. Die Schürze habe sich Cathrina in der Stadt St. Gallen<br />

extra färben lassen. Auch Jacobs Tochter Maria Anna, die am Vortag bei der<br />

Besichtigung der Kleider zu<strong>gegen</strong> gewesen war, hatte die «ermelschlutten» offenbar<br />

sogleich erkannt. 366 Am Ende der Befragung beteuerte Jacob Himmelberger,<br />

er wäre bereits am Vortag vor der Obrigkeit erschienen, wenn nicht der<br />

Herr Fiskal ihm gesagt hätte, er solle nachh<strong>aus</strong>e gehen. 367<br />

Da das Gericht bei der zweiten Befragung <strong>Egger</strong>s am 17. Februar 1775 bereits<br />

darüber informiert war, dass der Bruder die Kleidung hatte identifizieren<br />

363<br />

364<br />

365<br />

366<br />

367<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 14 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokolle <strong>Egger</strong>s, S. 15.<br />

Dok. 12, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Jacob Himmelberger, S. 1.<br />

Dok. 12, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Jacob Himmelberger, S. 1 f.<br />

Dok. 12, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Jacob Himmelberger, S. 3.<br />

77


Strafverfahren<br />

können, wurde bei einer entsprechenden Notiz im Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s<br />

wahrscheinlich auf die informellen Äusserungen Jacob Himmelbergers am<br />

Vormittag des 17. Februar 1775 abgestellt, die er wohl im Wirtsh<strong>aus</strong> auf Vorzeigen<br />

der Kleider <strong>gegen</strong>über Fiskal Zollikofer gemacht hatte. Die vereidigte<br />

Zeugeneinvernahme erfolgte jedoch gemäss Protokoll erst am 18. Februar 1775.<br />

4.4.4 Zweite Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 17. Februar 1775<br />

Nach Wiedergabe der erwähnten Untersuchungshandlungen und Hinweis auf<br />

die Aussagen von Jacob Himmelberger im Protokoll wurde das Verhör <strong>Egger</strong>s<br />

am Freitag, 17. Februar 1775, wieder aufgenommen. Einleitend wurde der Verdächtige<br />

gefragt, ob er auf seinen Ausführungen in der ersten Befragung beharre<br />

oder ob er etwas abzuändern habe. <strong>Egger</strong> fiel daraufhin auf die Knie und beteuerte,<br />

es tue ihm leid, der Catharina einen «streich» gegeben zu haben. «Er wüsse<br />

nicht anderes, und beharre darauf.» 368 Auch nach nochmaliger Frage blieb er bei<br />

seiner Aussage, dass er der Catharina nur einen Streich versetzt habe «[...] auf<br />

das orth, wo die zöpf seyen, [...] und das sie sogleich umbgefallen, und<br />

m<strong>aus</strong>todt gewesen» sei. 369 Daraufhin konfrontierten ihn die Befragenden damit,<br />

man habe bei einer zweiten Visitation festgestellt, dass am Kopf drei Wunden<br />

und auf dem Nacken eine weitere Wunde seien. Diese könnten gemäss den Aussagen<br />

der beigezogenen erfahrenen Ärzte und Barbiere unmöglich von einem<br />

einzigen Streich stammen. 370 <strong>Egger</strong> beharrte weiter auf seiner Darstellung. Die<br />

Untersuchenden wurde deswegen noch deutlicher und führten <strong>aus</strong>, die eine<br />

Wunde gehe auf dem Nacken grad über den Hals, als ob man dem Opfer den<br />

Kopf hätte abschlagen wollen, während die drei Wunden auf dem Kopf zu weit<br />

entfernt seien, um vom gleichen Schlag her zu rühren. 371 Als <strong>Egger</strong> noch immer<br />

beteuerte «in Gottes namen nur einen einzigen straich gefüehret, und sonsten<br />

seiner lebtag nichts dergleichen getan» 372 zu haben, merkte die Obrigkeit an,<br />

368<br />

369<br />

370<br />

371<br />

372<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 26.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 28.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 29.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 30.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 30.<br />

78


Strafverfahren<br />

«mann sage ihme rund her<strong>aus</strong>, er lüege ohnverschambt» 373 , liess die Sache dann<br />

aber vorerst auf sich beruhen.<br />

Weitere Fragen betrafen die Kleidung Catharinas. Zudem fragte man <strong>Egger</strong>,<br />

weshalb er sein Opfer nach der Tat so lange unbedeckt im Stall liegen gelassen<br />

habe; ob er nicht befürchtet habe, jemand könne es bemerken. Dies verneinte<br />

<strong>Egger</strong>. Catharina sei zuhinterst im Stall gelegen hinter einer Tür, die das ganze<br />

Jahr geschlossen sei. 374 Weitere Fragen drehten sich um die Fortschaffung der<br />

Leiche sowie das allfällige Vorhandensein von Eingeweihten oder Gehilfen.<br />

<strong>Egger</strong> sagte <strong>aus</strong>, niemand habe etwas gewusst oder ihm geholfen. 375 Schliesslich<br />

wurde er wieder abgeführt.<br />

Post prandium 376 ging die Einvernahme weiter. Wieder wurde <strong>Egger</strong> ergebnislos<br />

nach Ergänzungen zu den bereits gemachten Äusserungen gefragt. Erneut<br />

wollte man wissen, «was ihn bewogen, solche [gr<strong>aus</strong>ame that] zu begehen».<br />

<strong>Egger</strong> wusste keine andere Antwort, als dass er es «halt im zorn gethan» habe. 377<br />

Wenn es ihm tatsächlich leid tue, wie er sage, so hätte er die Tat doch jemandem<br />

angezeigt, das Opfer nicht so lange im Stall liegen lassen und es schliesslich<br />

nicht auf seinen Schultern fort getragen, mutmasste die Obrigkeit. Darauf<br />

wusste <strong>Egger</strong> nichts zu antworten.<br />

Schliesslich fragte man ihn, ob er <strong>aus</strong>ser dem Opfer sonst noch etwas an jenen<br />

Ort im Tobel getragen habe. Dies verneinte er «in instanti». Er sei sonst nie<br />

an diesem Ort gewesen und habe seiner Lebtag auch niemandem Leid zugefügt.<br />

378 Erneut wurde er ermahnt, er «solle sich wohl bedenckhen, was er rede,<br />

die obrigkeit könnte mehr wüssen, als er sich einbildet». 379 Als <strong>Egger</strong> dazu noch<br />

immer nichts gestehen wollte, fragte man ihn nach Catharinas «ermelschluten».<br />

Die müsse er wohl auf dem Weg verloren und jemand anderes sie gefunden haben,<br />

war <strong>Egger</strong>s Antwort. 380 Der Befragende beschrieb schliesslich die «er-<br />

373<br />

374<br />

375<br />

376<br />

377<br />

378<br />

379<br />

380<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 31.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 41.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen und Antworten 48 und 49.<br />

Prandium: lat. für «zweites Frühstück».<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 54.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 60.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 61.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 62.<br />

79


Strafverfahren<br />

melschluten» und fragte <strong>Egger</strong>, ob ihm «das herz noch nicht schlotere». <strong>Egger</strong><br />

verneinte. 381 Schliesslich zeigte man ihm die «ermelschluten» und fragte ihn,<br />

was er dazu sage. Darauf stellte <strong>Egger</strong> die Gegenfrage, «in was er dann gelogen».<br />

382 Das wolle man ihm sagen: darin, dass er vorgebe, nicht zu wissen, wohin<br />

er die «ermelschluten» getan habe. So ging es noch einige Male hin und her;<br />

<strong>Egger</strong> stellte sich weiter unwissend. Offenbar setzte ihm das Verhör aber zu,<br />

äusserte er doch plötzlich, er wisse wohl, dass die Wahrheit ihm zu Heil- und<br />

Seligkeit verhelfe 383 und jammerte schliesslich:<br />

«Ach: sterben seye schwehr, schwehr; wolte gern alles, was er hätte, der obrigkeit überlassen,<br />

und dem allmosen nach, oder auf die gallery gehen, auch 4 finger sich abhauen lassen,<br />

wann er nur nicht sterben müsste [...].» 384<br />

Auf diese Äusserung hin wurde ihm gesagt, Gott habe für uns auch den Tod<br />

gelitten, er solle Mut und Herz fassen und alles reumütig bekennen. So gestand<br />

<strong>Egger</strong> schliesslich, bei den «ermelschluten» werde noch ein Mensch gewesen<br />

sein und korrigierte sogleich: Es seien zwei Menschen gewesen. 385 Unter erneuter<br />

Ermahnung zur Wahrheit gab <strong>Egger</strong> an, einer der toten Menschen komme<br />

vom Kirchhof zu St. Fiden, der andere sei unter dem Galgen auf dem Espen gewesen.<br />

Der Befrager antwortete «solches seye durch<strong>aus</strong> nicht glaubwürdig, solle<br />

die obrigkeit nicht affen». 386 <strong>Egger</strong> erwiderte, man solle den Totengräber an den<br />

angegebenen Stellen graben lassen und werde feststellen, dass es wahr sei. Bei<br />

den Toten handle es sich um «weibs persohnen». 387 Die eine Tote habe er am<br />

Donnerstag nach der letzten Weihnacht <strong>aus</strong>gegraben, die andere gleich nach<br />

deren Enthauptung. Er wisse nicht, wie die Frau geheissen habe, die er auf dem<br />

Friedhof <strong>aus</strong>gegraben habe, meine aber, sie sei <strong>aus</strong> Guggeien und zwischen 30<br />

und 40 Jahre alt gewesen. Er habe sie abends um sieben Uhr mit einer mitgebrachten<br />

Schaufel <strong>aus</strong>gegraben und auf den Schultern nachh<strong>aus</strong>e getragen. 388<br />

Die andere Tote sei jene gewesen, die vor zwei Jahren hingerichtet worden<br />

381<br />

382<br />

383<br />

384<br />

385<br />

386<br />

387<br />

388<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 64.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 68.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 72.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 73.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 74.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 75, 76, Frage 77.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 77, 78.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 79, 80.<br />

80


Strafverfahren<br />

sei. 389 Nach dem Motiv für diese Taten gefragt, antwortete <strong>Egger</strong>, er wisse es<br />

nicht, es sei ihm gewesen, als ob er dazu gezwungen worden sei. Die Enthauptete<br />

habe er fünf oder sechs Tage nach der Hinrichtung zuerst in seinen Stall gebracht,<br />

dann ins Tobel getragen und ihr mit einem Messer Hände und Füsse abgeschnitten<br />

und diese mit nachh<strong>aus</strong>e genommen. Die Frau vom Kirchhof habe<br />

er seit Weihnachten zuhinterst im Stall gehabt. Mit diesem zweiten Körper habe<br />

er gar nichts gemacht, er habe in den Weihnachtsfeiertagen weder Rast noch<br />

Ruhe gehabt, sei gezwungen gewesen, ihn <strong>aus</strong>zugraben. 390 Er habe die Leiche<br />

dann am vorletzten Donnerstag, also wenige Tage nach dem Totschlag der Catharina<br />

Himmelberger, hin<strong>aus</strong>getragen weil er gefürchtet habe, man würde den<br />

Stall durchsuchen. 391<br />

4.5 Weitere Untersuchungshandlungen und dritte<br />

Einvernahme <strong>Egger</strong>s<br />

4.5.1 Öffnung des Grabs von Maria Baumann am 18. Februar 1775<br />

Auf dieses Geständnis hin befahl man dem Totengräber und dem Hatschier <strong>Joseph</strong><br />

Hofstetter, das von <strong>Egger</strong> beschriebene Grab auf dem Kirchhof zu öffnen<br />

und zu besichtigen. Der Hatschier berichtete am Samstag, 18. Februar 1775,<br />

post prandium auf der Pfalz über das Vorgefundene. Vor der Graböffnung habe<br />

er <strong>Egger</strong> gefragt, ob er den Körper mit oder ohne den Totenbaum 392 her<strong>aus</strong>genommen<br />

habe. <strong>Egger</strong> habe geantwortet, er habe den Deckel des Totenbaums mit<br />

einem Schroteisen hochgestemmt, den Körper her<strong>aus</strong>genommen, das Eisen im<br />

Grab liegen lassen und es wieder geschlossen. 393 Daraufhin sei er, Hofstetter, mit<br />

389<br />

390<br />

391<br />

392<br />

393<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 81. Hingerichtete wurden insbesondere<br />

dann häufig in der ungeweihten Erde unter dem Galgen vergraben, wenn neben der Leibund<br />

Lebensstrafe eine Ehrenstrafe oder die Exkommunikation verhängt worden waren,<br />

ILLI [1992], S. 63.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 83.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 84.<br />

Während die Toten in der Schweiz des Spätmittelalters häufig in Leinwand eingenäht<br />

bestattet wurden, fand insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert eine deutliche Verlagerung<br />

zugunsten des Holzsargs, des Totenbaums statt, vgl. HAUSER ALBERT, Tod [1994],<br />

S. 25.<br />

Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 1.<br />

81


Strafverfahren<br />

dem Totengräber auf den Friedhof gegangen und habe beide Türen desselben<br />

verschlossen. Der Totengräber habe das bezeichnete Grab, das ziemlich eingefallen<br />

gewesen sei, geöffnet. Der Leichnam sei nicht darin gewesen. Nach<br />

Schliessung des Grabes habe man noch das Nachbargrab geöffnet und «deutlich<br />

wahrgenohmen, das der cörper sich ordentlich darinnen befinde, sohin dieses<br />

wider zugemacht, und jhre verrichtung vollendet». 394 Der Totengräber habe <strong>aus</strong>gesagt,<br />

die <strong>aus</strong>gegrabene Tote sei Carl Etters Frau gewesen, eine Kindbetterin,<br />

die am letzten Stephanstag begraben worden sei. 395 Nach der Vesper hielt Ratssekretär<br />

Gross noch weitere, hier nicht weiter relevante Details der Grabbesichtigung<br />

fest.<br />

4.5.2 Zurückkommen auf Zeugen<strong>aus</strong>sagen vom August 1773<br />

Nachdem <strong>Egger</strong> gestanden hatte, eine vor zwei Jahren enthauptete und unter<br />

dem Galgen begrabene Frau <strong>aus</strong>gegraben zu haben, erinnerte man sich offenbar<br />

an eine Zeugen<strong>aus</strong>sage, die anderthalb Jahre zuvor am 23. August 1773 auf der<br />

Pfalz zu Protokoll gegeben worden war. Der Sattlermeister Kaspar Wettach <strong>aus</strong><br />

der Langgass hatte damals <strong>aus</strong>gesagt, er habe etwa am 13. August 1773 im Galgentobel<br />

Weiden geschnitten, als er zwischen den Stauden einen toten weiblichen<br />

Körper bemerkt habe. Da kein Kopf dabei gewesen sei, habe er gleich gemutmasst,<br />

es handle sich um den Leichnam der enthaupteten Elisabeth Han.<br />

Beide Arme sowie die Füsse bis an die Knie seien weggehauen und fortgenommen<br />

gewesen. Er sei gleich nachh<strong>aus</strong>e gelaufen und habe einen Nachbarn mit<br />

zur Leiche genommen. Dieser habe tags darauf dem Scharfrichter Anzeige erstattet,<br />

der seinen Knecht zum Leichnam geschickt habe. 396<br />

Das Protokoll war am 25. August 1773 weitergeführt worden. Der Körper<br />

war tatsächlich jener der hingerichteten Elisabeth Han. Das Gericht hatte dem<br />

Knecht des Scharfrichters, Fideli Burckhard, befohlen, die Leiche wieder unter<br />

dem Galgen zu vergraben. Anschliessend hatte man ihn einvernommen. Auch er<br />

394<br />

395<br />

396<br />

Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 3.<br />

Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 3.<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 1 f.<br />

82


Strafverfahren<br />

hatte bestätigt, dass der Körper von Elisabeth Han weder Füsse noch Arme gehabt<br />

habe und das Fleisch bereits verwest gewesen sei. Auf Befehl des Scharfrichters<br />

habe er mit einem Nebenknecht die Überreste der Leiche abends unter<br />

dem Galgen «bey 3½ schuehe tief verlochet» 397 , wobei er festgestellt habe, dass<br />

der Kopf der Leiche noch im Loch gelegen sei. In jenem Loch befanden sich<br />

zudem zwei weitere Geköpfte. Der Knecht hatte gemutmasst, Elisabeth Han<br />

könne das Herz <strong>aus</strong> dem Körper genommen worden sein, da «spizbueben allerhand<br />

abergläubische sachen damit trieben». 398 Dies war 1773 jedoch nicht überprüft<br />

worden.<br />

Auch der Nebenknecht Franz <strong>Antoni</strong> Ritter war 1773 beeidigt zum Ganzen<br />

befragt worden. Er hatte die Angaben von Fideli Burckhard bestätigt. 399<br />

4.5.3 Exkurs: Das Schicksal der Elisabeth Han<br />

Die handschriftlichen Protokolle des Ledigen Pfalzrats <strong>aus</strong> dem Jahr 1773 offenbaren<br />

die Geschichte von Elisabeth Han, die am 26. Juni 1773 auf dem<br />

Richtplatz auf dem Espen geköpft worden war. Hofkanzler Sartory von Rabenstein,<br />

Fiskal Zollikofer und Ratssekretär Gross waren am 22. April 1773 zu Gericht<br />

gesessen, nachdem am 18. April 1773 abends im «schenckh<strong>aus</strong> zu Stockhen»<br />

Elisabeth Han, Melchior Burckard und Johann <strong>Joseph</strong> Demmer wegen eines<br />

bei Degersheim 400 verübten Diebstahls von den Hatschieren verhaftet worden<br />

waren. 401 Das <strong>aus</strong>führliche Verhör der 46-jährigen, <strong>aus</strong> Waldkirch stammenden<br />

Elisabeth Han brachte folgendes zu Tage: Bereits 23 Jahre zuvor war Elisabeth<br />

Han wegen eines begangenen Kleiderdiebstahls im Rath<strong>aus</strong> zu Rheineck<br />

«gefänglich eingesezet» und schliesslich «neben den pranger gestellet, auch mit<br />

397<br />

398<br />

399<br />

400<br />

401<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 3.<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 4.<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 5.<br />

Im Protokoll wird der alte Ortsname Degerschen verwendet; StiASG, Bd. 1073, S. 613.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 613. Stocken ist heute ein Ortsteil im Westen der Stadt St. Gallen<br />

nahe Bruggen.<br />

83


Strafverfahren<br />

ruthen <strong>aus</strong>gehauwen» worden. 402 Kurze Zeit später wurde sie in St. Margrethen<br />

und in Lustenau wieder beim Kleiderdiebstahl ertappt. Nach der erneuten Verhaftung<br />

gestand sie, auch in Vaduz, Frastanz und Waldkirch gestohlen zu haben,<br />

weswegen sie 1751 in Hohenems nach abgeschworener Urfehde vom Scharfrichter<br />

eine Stunde lang an den Pranger gestellt und mit Ruten <strong>aus</strong>gehauen und<br />

schliesslich auf ewig <strong>aus</strong> dem Gebiet verwiesen worden sei. Das Gericht verifizierte<br />

diese Angaben durch das Einholen des Protokolls des damaligen Verfahrens.<br />

403<br />

Trotz dieser Strafen besserte sich Elisabeth Han nicht. Das Protokoll zum<br />

Verhör vom April 1773 listet auf neun Seiten weitere von ihr begangene Diebstähle<br />

auf. Sie hatte über zwei Dutzend Mal unter anderem in folgenden Orten<br />

gestohlen: Schaan, Dornbirn, Frastanz, Batschuns, Näfels, am Triesener Berg, in<br />

Triesen, Sargans, Werdenberg, Wangs, Trimmis, Wartau, Berschis, Salez, Sevelen,<br />

Buchs und Altendorf. Entwendet hatte sie häufig Kleider, etwa einen «weiber<br />

rockh, und weiber ermel» 404 , «hemmeter, und bethgewand» 405 , Hosen, dann<br />

aber auch Leintuch und Garn, Hemdsknöpfe und Hosenschnallen 406 , Tischtücher,<br />

Schuhe und «schnupftüecher» 407 und eine Kupferpfanne. 408 Immer häufiger<br />

hatte sie auch Geld gestohlen; weit über 100 Gulden gestand sie ein. Vielfach<br />

entwendete sie auch Esswaren, etwa Mehl, Salz, Schmalz und Speck sowie<br />

Zwetschgen und Kirschen. 409 Bei vielen Einbrüchen in Häuser suchte sie nach<br />

dem regelmässig in der Nähe der H<strong>aus</strong>tür versteckten Schlüssel, mehrmals<br />

drückte sie Bretter beiseite oder riss solche weg, 410 einmal habe sie «an der hinderen<br />

thür so lang gerottlet, bis der inwendig hölzerne nagel weeg gefallen»<br />

sei. 411 Nicht selten sei sie oder ihr Sohn durch irgendein Loch ins Innere des<br />

H<strong>aus</strong>es gekrochen. 412 Ihr Sohn half oftmals bei den Einbrüchen. Auch spannte<br />

402<br />

403<br />

404<br />

405<br />

406<br />

407<br />

408<br />

409<br />

410<br />

411<br />

412<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 614, Ziff. 1.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 614 f., Ziff. 2.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 615, Ziff. 3.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 616, Ziff. 8.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 621, Ziff. 23.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 622, Ziff. 25.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 622, Ziff. 26.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 617, Ziff. 10; S. 619, Ziff. 17 f.; S. 620, Ziff. 19; S. 622, Ziff. 25.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 620, Ziff. 19, 22 und 23.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 617, Ziff. 13; auch S. 620, Ziff. 21.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 618, Ziff. 16; S. 619, Ziff. 17.<br />

84


Strafverfahren<br />

sie mehrfach mit Hans Melchior zusammen und teilte nach dem gemeinsamen<br />

Einbruch mit ihm das Diebesgut. 413 Die Beute verbrauchten oder verkauften sie<br />

jeweils.<br />

Offenbar bemühte sich Elisabeth Han, 1773 <strong>aus</strong> der Gefangenschaft <strong>aus</strong>zubrechen.<br />

Sie habe mit dem Holz des Tischschragens und ihren Schuhen ein etwa<br />

zwei Schuhe hohes und einen halben Schuh breites und tiefes Loch in die Mauer<br />

gehauen, «seye aber einfältig gewesen, jndeme sie die kettenen noch an dem<br />

fues gehabt, und nicht hätte entrinnen können, gleichwohlen aber vermeinet sie<br />

könne alsdann gleich forth». 414<br />

Schliesslich wurde Elisabeth Han unter Hinweis auf die «<strong>aus</strong>weisung des<br />

Kayser Caroli des 5, und des heiligen reichs halsgerichtsordnung» wegen der<br />

vielen von ihr begangenen kleinen und grossen Diebstähle und weil die an ihr<br />

vollzogene «scharfe züchtigung» ihr keine Warnung gewesen sei, dem Scharfrichter<br />

übergeben. 415 Von diesem wurde sie über die gewöhnliche Richtstrasse<br />

auf die Richtstatt geführt und «allda durch das schwerdt von dem leben zum<br />

dodt hingerichtet [...], ihro selbst zu wohlverdienter straf, anderen aber zu einem<br />

abscheuwen und exempel». 416 Der Sohn von Elisabeth Han, Johann <strong>Joseph</strong><br />

Demmer, wurde an den Pranger gestellt 417 und mit Ruten gestrichen. Der Komplize<br />

Hans Melchior erlitt ebenfalls den Tod durch das Schwert.<br />

Die beiden Hinrichtungen fanden am 26. Juni 1773 statt. 418 Abt Beda erwähnte<br />

in seinem Tagebuch die Hinrichtungen und wies darauf hin, ein 17- oder 18-<br />

jähriger Bub sei «pardoniert, und mit ruthen <strong>aus</strong>gehauen worden» und schliesst<br />

den Eintrag mit «fiat sancta justitia!». 419<br />

413<br />

414<br />

415<br />

416<br />

417<br />

418<br />

419<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 619, Ziff. 17; S. 620, Ziff. 19 und Ziff. 23; S. 622, Ziff. 25; S. 623,<br />

Ziff. 27; S. 624, Ziff. 29.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 623, Ziff. 28.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 625.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 625.<br />

Es war Sache des Amtsdieners, den Verurteilten an den Pranger, in die Trülle oder die<br />

Foltergeige zu stellen, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 3<br />

Ziff. 8. Dafür sollte er 30 Kreuzer bekommen; S. 7. Abbildungen von Pranger, Geige und<br />

Trülle bei HINCKELDEY [1989], S. 312, 345, 461, 477.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 626.<br />

Tagebuch Abt Bedas, Eintrag vom 26. Juni 1773, StiASG, Bd. 283, S. 17.<br />

85


Strafverfahren<br />

4.5.4 Befragung des Knechts Franz <strong>Antoni</strong> Ritter am 18. Februar 1775<br />

Am Samstag, 18. Februar 1775, also nach den Enthüllungen <strong>Egger</strong>s zur Leiche<br />

von Elisabeth Han in der zweiten Einvernahme am 17. Februar, wurde Franz<br />

<strong>Antoni</strong> Ritter, der bei der Hinrichtung von Elisabeth Han als Nebenknecht des<br />

Scharfrichters tätig gewesen war, in den Zeugenstand berufen. Im Protokoll ist<br />

vermerkt, man habe den im August 1773 bereits an der Sichtung und Bergung<br />

des Leichnams beteiligten Knecht Fideli Burckhard nicht vorladen können, da<br />

sich dieser nicht mehr in des hiesigen Scharfrichters Dienst befinde. Ritter wurde<br />

das Protokoll vom 25. August 1773 vorgelesen. Er äusserte nach abgelegtem<br />

Handgelübde, die Deposition sei durch<strong>aus</strong> richtig, er wisse nichts abzuändern.<br />

Er könne sich noch gar wohl erinnern, dass der gefundene Körper von Elisabeth<br />

Han <strong>aus</strong> nichts anderem bestanden habe als <strong>aus</strong> dem Leib selbst. Der Körper sei<br />

«von dem fleisch, haut, und jnngeweyd vollkommen ledig» gewesen, und es sei<br />

nichts anderes zu sehen gewesen als Rippen und Rückgrat. 420<br />

4.5.5 Anzeige des Wirts Christian Louis am 18. Februar 1775<br />

Wie der Wirt Christian Louis am 13. Februar 1775 nach <strong>Egger</strong>s Geständnis in<br />

Louis’ Wirtsh<strong>aus</strong> an der Langgasse mit <strong>Egger</strong> besprochen hatte, erstattete er am<br />

14. Februar 1775 Anzeige, in der er «nach abgelegtem Handgelübd» 421 sein Wissen<br />

wiedergab. 422 Am Samstag, 18. Februar 1775, meldete Louis sich erneut bei<br />

der Obrigkeit mit folgender Anzeige: Am Vorabend, also offenbar am 17. Februar,<br />

habe er von dem «hafner Sylvester Blanckh» 423 gehört, <strong>Egger</strong> habe «umb<br />

das neue jahr herumb an einem donnerstag hafner geschirr nacher Herisaw gefüehret»<br />

424 . Der Sohn dieses Blanckh hatte <strong>Egger</strong> offenbar begleitet. Auf dem<br />

Heimweg habe dieser den Buben angewiesen, alleine weiterzugehen mit dem<br />

420<br />

421<br />

422<br />

423<br />

424<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 5 f.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1.<br />

Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Kap. 3.4.2.<br />

Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis. Unter «Hafner» wird heute ein Ofenbauer<br />

verstanden. In früheren Zeiten wurde die Bezeichnung Hafner allgemein für Töpfer verwendet.<br />

Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis.<br />

86


Strafverfahren<br />

Hinweis, er müsse noch in die Vorstadt. Erst «nach verfluss ohngefähr 2 stunden»<br />

sei <strong>Egger</strong> mit einem Bündel über den Schultern die Langgasse entlang gekommen.<br />

425<br />

4.5.6 Zeugeneinvernahme von Carl Etter am 20. Februar 1775<br />

Am 20. Februar 1775 wurde Carl Etter in St. Fiden als Zeuge unter Eid einvernommen.<br />

Er gab zu Protokoll, seine Frau Maria Baumann sei am letzten heiligen<br />

Weihnachtstag 31-jährig im Kindbett gestorben und am St. Johannestag 426<br />

auf dem Friedhof in St. Fiden beerdigt worden. Etter wurde nach Kleidung und<br />

Grabbeigaben seiner Frau befragt. Verschiedene Kleidungsstücke wurden ihm<br />

vorgezeigt, er äusserte sich darüber aber etwas unsicher und verwies auf die<br />

Frau seines Bruders <strong>Antoni</strong> Etter. Diese habe seine verstorbene Frau zusammen<br />

mit der Magd angekleidet. Er selbst sei damals «in vollem schreckhen gewesen».<br />

427 Befragt nach ihrem Gebiss, gab er zu Protokoll, er meine, sie habe «in<br />

dem oberen mund die vorderste 2 zähn zu kurz gehabt». 428<br />

4.5.7 Dritte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 20. Februar 1775<br />

Am Montag, 20. Februar 1775, ging die Einvernahme <strong>Egger</strong>s in St. Fiden weiter.<br />

An jenem Vormittag war Leibarzt Rogg nicht anwesend. Man fragte <strong>Egger</strong><br />

einleitend, ob er seinen Aussagen betreffend die zwei von ihm <strong>aus</strong>gegrabenen<br />

Leichen noch etwas hinzuzufügen habe, was er verneinte. Man liess ihn erneut<br />

beschreiben, wie er Maria Baumanns Leichnam <strong>aus</strong>gegraben und fortgeschafft<br />

hatte. Er sagte weiter <strong>aus</strong>, den Körper während 14 Tagen in seinem Stall liegengelassen<br />

und nicht mehr angeschaut zu haben. Auf die Frage, was er anschliessend<br />

gemacht habe, antwortete er, er habe den Körper nur angeschaut und anschliessend<br />

wieder mit Stroh zugedeckt. Danach habe er nichts mehr gemacht,<br />

425<br />

426<br />

427<br />

428<br />

Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis.<br />

Der Gedenktag des Apostels Johannes ist der 27. Dezember, zum Fest siehe Lexikon der<br />

Bräuche und Feste [2007], S.173 f.<br />

Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 7.<br />

Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 6 f.<br />

87


Strafverfahren<br />

bis er «der Catharina den streich gegeben» 429 . Er habe das Bündel mit dem toten<br />

Körper, den Körperteilen der Geköpften und den «ermelschluten» von Catharina<br />

schliesslich ins Galgentobel getragen. 430 Man fragte ihn nochmals eindringlich,<br />

ob er nie etwas mit dem Körper der Wöchnerin gemacht habe. Da gestand <strong>Egger</strong><br />

schliesslich, dass er am Donnerstag, als er das Bündel weggeschafft hatte, mit<br />

einem Messer der Leiche von Maria Baumann den Hals aufgeschnitten habe. 431<br />

Er wurde in der Folge angehalten zu demonstrieren, wie er den Schnitt gemacht<br />

habe. Die Frage, ob er noch andere Schnitte am Körper vorgenommen habe,<br />

verneinte <strong>Egger</strong>. 432 Nach dem Grund für den Schnitt am Hals befragt, sagte <strong>Egger</strong><br />

<strong>aus</strong>, «er habe halt wollen sehen, ob sie noch bluete, oder ob alles jnnwendig<br />

schon verfaulet seye». 433 Man fragte ihn, warum er dies habe wissen wollen, dies<br />

sei eine Torheit, worauf <strong>Egger</strong> antwortete, «er wüsse sonsten nicht das geringste».<br />

434 Wieder wurde <strong>Egger</strong> aufgefordert, nicht so «ohnverschambt» zu lügen,<br />

und er erfuhr, dass man den Körper begutachtet habe. Dies zeigte Wirkung: <strong>Egger</strong><br />

gestand, er habe dem Leichnam<br />

«von dem herzgrüeble an bis ohngefähr zu dem, oder etwas unter den nabel den bauch aufgeschnitten,<br />

umb zu wüssen, ob schon alles faul seye, und wann noch etwas vorhanden wäre,<br />

das solches im stall und nicht auf dem weg <strong>aus</strong>rünne.» 435<br />

Wieder wurde <strong>Egger</strong> gefragt, ob er sonst noch etwas am Leichnam gemacht<br />

habe, worauf er schliesslich zugab, man werde das Herz dr<strong>aus</strong>sen gefunden haben;<br />

es sei her<strong>aus</strong>gefallen, als er die Leiche das Tobel «herunter trohlen» lassen<br />

habe. 436 Ihm wurde daraufhin vorgehalten, solches sei unmöglich und eine Lüge,<br />

worauf er bekannte, das Herz noch im Stall her<strong>aus</strong>geschnitten zu haben, «und<br />

damit es in dem tragen nicht über ihne herunter rünne, habe er solches in den<br />

429<br />

430<br />

431<br />

432<br />

433<br />

434<br />

435<br />

436<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 95.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 97 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 99.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 101.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 102.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 103.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 104.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 106.<br />

88


Strafverfahren<br />

händen hin<strong>aus</strong> getragen». 437 Weiter musste <strong>Egger</strong> genau beschreiben, wie er das<br />

Herz <strong>aus</strong> dem Körper her<strong>aus</strong>geholt hatte. 438<br />

Nach einem Unterbruch wurde das Verhör post prandium fortgesetzt. Man<br />

fragte <strong>Egger</strong> erneut, ob er die Wahrheit gesagt habe und bei seiner Aussage<br />

bleibe. Da gab er zu, an der Leiche von Maria Baumann noch einen Schnitt vom<br />

Bauchnabel zu den Schenkeln vorgenommen zu haben, damit «es <strong>aus</strong>laufe». 439<br />

Man diskutierte weiter über die verschiedenen Schnitte, weil <strong>Egger</strong>s Aussagen<br />

offenbar nicht mit den Ergebnissen der Begutachtung des Leichnams übereinstimmten.<br />

Schliesslich gab <strong>Egger</strong> an, neben dem Herz auch die Brust «her<strong>aus</strong><br />

genohmen» zu haben. 440 Diese habe <strong>aus</strong> Rippen bestanden. Er habe sie zusammen<br />

mit dem Herz und dem Bündel den Abhang hinunterrollen lassen. Die Haut<br />

habe er am Körper gelassen. 441 Das Gericht schenkte seiner Schilderung keinen<br />

Glauben und forderte ihn auf, er solle «mit der wahrheit umbgehen», es sei nicht<br />

möglich, ihm zu glauben. 442 Doch <strong>Egger</strong> beharrte auf seiner Darstellung. Man<br />

drang weiter in ihn, wollte Gründe wissen, warum er die Leiche so «grewlich<br />

misshandelt» habe. 443 <strong>Egger</strong> sagte nach einigem Hin und Her <strong>aus</strong>, auch «den<br />

rückhengrath» her<strong>aus</strong>geschunden zu haben, um den Körper zusammenlegen und<br />

besser wegschaffen zu können. 444 Auf die Frage, woran Maria Baumann gestorben<br />

sei, gab <strong>Egger</strong> an, es nicht zu wissen, er habe aber gehört, sie solle eine<br />

«Kindbetterin» gewesen sein. 445 Der Verhörende hakte nach und fragte, ob <strong>Egger</strong><br />

für sein Vorhaben eine Kindbetterin gebraucht habe, worauf er sagte, keine<br />

Antwort geben zu können, er wisse selbst nicht, was er für ein Vorhaben gehabt<br />

habe. 446<br />

Das Verhör schritt weiter zur zweiten Leiche, der geköpften Elisabeth Han.<br />

<strong>Egger</strong> sagte <strong>aus</strong>, er habe sie am ersten Donnerstag nach der Hinrichtung unter<br />

437<br />

438<br />

439<br />

440<br />

441<br />

442<br />

443<br />

444<br />

445<br />

446<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 106.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen und Antworten 107 bis 110.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 113 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 118.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 121.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 122.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 127.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 132.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 142.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 143.<br />

89


Strafverfahren<br />

dem Galgen <strong>aus</strong>gegraben, ihr Hände und Füsse abgeschnitten und die Haut abgezogen<br />

und diese «zu oberst unter das stadeldach auf das strohe getragen und<br />

auch damit gedeckhet». 447 Die Obrigkeit las ihm daraufhin die Aussage von<br />

Franz <strong>Antoni</strong> Ritter vom 18. Februar 1775 und schliesslich auch die Zeugenprotokolle<br />

mit den Aussagen von Wettach, Burckhard und Ritter vom 23. und<br />

25. August 1773 vor, doch <strong>Egger</strong> beharrte darauf, das Fleisch und die Eingeweide<br />

des Leichnams nicht entfernt zu haben. 448 Nach der mitgenommenen<br />

Haut, den Füssen und Armen befragt, gab <strong>Egger</strong> an, er habe alles unter seinem<br />

Stadeldach aufs Stroh gespannt. Die Mäuse hätten die Haut dann ziemlich zerfressen.<br />

449 Erneut fragte man <strong>Egger</strong> unter Anrufung Gottes mehrmals nach dem<br />

Grund für diese Tat, ohne eine nachvollziehbare Antwort zu erhalten. So wurde<br />

beschlossen,<br />

«mann wolle nun [...] mit examinieren aufhören, und ihme bedenckzeit geben, und gewärtig<br />

seyn, ob er künftig im längern noch so halsstarrig seyn werde». 450<br />

4.6 Vierte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 21. Februar 1775<br />

Das Gericht kam am nächsten Tag wiederum in Abwesenheit von Gerold Rogg<br />

zusammen. Man fiel gleich mit der Tür ins H<strong>aus</strong> und fragte <strong>Egger</strong>, ob er noch<br />

immer so wie am Tag zuvor lügen wolle. <strong>Egger</strong> bat die «gnädige obrigkeit» daraufhin<br />

um Vergebung, er wolle nun die Wahrheit sagen. 451 Er habe sich halt gewundert,<br />

wie lange Menschenhaut unverwest bleiben könne. Vor etwa 14 Jahren<br />

habe ihm ein Zimmermann gesagt, die Haut des St. Bartholomäi liege noch ganz<br />

im St. Catharina Klösterli 452 in der Stadt. Deswegen habe er dem Leichnam von<br />

447<br />

448<br />

449<br />

450<br />

451<br />

452<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 147.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen und Antworten 149 bis 153.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 154 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 158.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 159.<br />

Im Jahr 1228 vermachten zwei angesehene Männer <strong>aus</strong> der Stadt St. Gallen ihre Hofstatt<br />

am Brühl einer Gemeinschaft von Beginen. St. Katharina wurde 1266 durch die Annahme<br />

der Regel des heiligen Augustinus eine klösterliche Gemeinschaft, VOGLER MARIA THO-<br />

MA [1938], S. 4 und 7. 1368 traten die Frauen in den Dominikanerorden über. Im Zuge<br />

der Reformation wurde das Kloster 1527 unterdrückt und sein Vermögen eingezogen.<br />

1555 mussten die Dominikanerinnen die reformiert gewordene Stadt verlassen. Erst 1605<br />

90


Strafverfahren<br />

Elisabeth Han die Haut abgezogen. 453 Die Frage, weshalb er Carl Etters Frau<br />

<strong>aus</strong>gegraben habe, beantwortete <strong>Egger</strong> noch immer nicht. Er sagte nur, er habe<br />

weder Frieden noch Ruhe gefunden, habe es tun müssen. 454 Die Untersuchenden<br />

meinten daraufhin, Gott oder der Schutzengel hätten ihm dies gewiss nicht angetan,<br />

es müsse etwas Böses dahinter stecken. Dies bestritt <strong>Egger</strong>. Es stecke<br />

nichts Böses dahinter, er habe auch seiner Lebtag sonst niemandem was getan. 455<br />

Man fragte erneut, warum er sich <strong>aus</strong>gerechnet diese Körper <strong>aus</strong>gesucht habe,<br />

was <strong>Egger</strong> nicht beantwortete. Danach gefragt, warum er Catharina die «ermelschluten»<br />

<strong>aus</strong>gezogen und in den Sack mit den Leichenüberresten gesteckt<br />

habe, meinte er, «er wüsse es nicht, denckhe wohl <strong>aus</strong> verhängnus Gottes, damit<br />

alles an den tag komme». 456<br />

Das Verhör kam auf die Tötung zurück. Es stellte sich her<strong>aus</strong>, dass <strong>Egger</strong> Catharina<br />

Himmelberger den Hieb mit der Mistgabel verpasst hatte, als diese bereits<br />

im Gehen begriffen gewesen war. Er habe sie fortjagen wollen und ihr «in<br />

der täube» von hinten den Hieb verpasst. 457 Nachgelaufen sei er ihr aber nicht.<br />

Noch immer beharrte er darauf, nur einmal zugeschlagen zu haben. Die Obrigkeit<br />

wies ihn wiederum an, nicht mehr zu lügen. Er habe bereits zuvor so unverschämt<br />

gelogen und sich nicht anders verantworten können, als dass er ein von<br />

Gott verlassener Mensch sei. Nun solle er in sich gehen und die Wahrheit bekennen.<br />

Man zählte ihm die vier bei der Begutachtung gefundenen Wunden auf,<br />

doch <strong>Egger</strong> sagte, «er bitte umb das jüngste gericht willen umb verzeihung, er<br />

habe nicht mehr als einen streich gethan». 458 Schliesslich fragte man ihn, ob man<br />

ihn durch den Henker zur Wahrheit bringen müsse, worauf <strong>Egger</strong> antwortete, er<br />

könne selbst dann nichts anderes sagen, wenn ihn des Schafrichters Knecht in<br />

vier Teile zerreisen würde. 459<br />

453<br />

454<br />

455<br />

456<br />

457<br />

458<br />

459<br />

wurde für sie ein Neubeginn in Wil möglich, JAKOBER [1991], S. 4; THÜRER, Geschichte,<br />

Bd. 1 [1953], S. 123 ff.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 160.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 161.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 162.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 167.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen und Antworten 173 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 181.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 183.<br />

91


Strafverfahren<br />

Die Befragenden führten schliesslich <strong>aus</strong>, man könne nicht ersehen, dass es<br />

<strong>Egger</strong> «gerüehret» hätte, sonst hätte er Catharina nach dem Hieb nicht gleich für<br />

tot gehalten, sondern sich um Hilfe bemüht. Doch <strong>Egger</strong> beteuerte erneut, es<br />

habe ihm Leid getan, er habe ungeschickt gehandelt, und es sei ihm am Donnerstag<br />

und Freitag gar nicht wohl gewesen. 460<br />

4.7 Weitere Untersuchungshandlungen und fünfte<br />

Einvernahme <strong>Egger</strong>s<br />

4.7.1 Zeugeneinvernahme von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern am 22. Februar 1775<br />

Post prandium am Mittwoch, 22. Februar 1775, erschienen auf der Pfalz Maria<br />

Barbara und Anna Maria Veronica, die Töchter von <strong>Egger</strong>s Ehefrau Maria<br />

German und somit dessen Stieftöchter. Ihr leiblicher Vater, Johannes Furrer <strong>aus</strong><br />

Tablat, war verstorben. Die Akten enthalten keine Angaben über das Alter der<br />

Töchter. Bei der Einvernahme vom 22. Februar 1775 wurden sie befragt, ob sie<br />

Kleidungsstücke vermissten. Der Hatschier Hofstetter zeigte ihnen eine alte<br />

Schürze, Strümpfe und alte Schuhe. Die Schürze war ihnen nicht bekannt, die<br />

Strümpfe und Schuhe hin<strong>gegen</strong> erkannte Maria Barbara als die ihren. Die<br />

Strümpfe habe sie schon seit einem halben Jahr vermisst und gesucht, die Schuhe<br />

«unter einen trog, oder in einen winckhel gestellet», weil sie unbrauchbar<br />

gewesen seien. Nach dem Verbleib der Strümpfe habe sie ihre Mutter und ihren<br />

Stiefvater ergebnislos befragt. 461<br />

4.7.2 Fünfte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 22. Februar 1775<br />

Ebenfalls post prandium wurde am 22. Februar 1775 das Verhör <strong>Egger</strong>s in<br />

St. Fiden weitergeführt. Neben dem Schreiber waren Hofkanzler Sartory von<br />

Rabenstein, Pfalzrat von Saylern, Lehenvogt Ehrat und Fiskal Zollikofer anwesend.<br />

Auf die einleitende Frage, wie es ihm in Gefangenschaft ergehe, antwortete<br />

<strong>Egger</strong>, «das ihme herzlich, und schmerzlich leyd seye, dass er müsse darinnen<br />

460<br />

461<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 188.<br />

Dok. 15, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern, S. 2 f.<br />

92


Strafverfahren<br />

sizen». 462 Was ihm «im gemüeth gewesen» sei, als er der Catharina den Hieb<br />

verpasst habe? Nichts, antwortete <strong>Egger</strong>, sie hätten halt miteinander gezankt. 463<br />

Der Streit habe etwa eine Viertelstunde gedauert, wobei die Scheltworte gleich<br />

am Anfang geflossen seien. 464 Die Frage, ob die Scheltworte Catharinas 465 ihm<br />

weh getan hätten und die Ursache für seinen starken Zorn gewesen seien, bejahte<br />

<strong>Egger</strong> mit dem Hinweis darauf, dass sie zudem mehr gefordert habe, als er ihr<br />

schuldig gewesen sei. 466 Er habe ihr vor dem Hieb weder gedroht noch ihr etwas<br />

antun wollen. Wenn er gewusst hätte, dass es so käme, hätte er ihr sicher nicht<br />

einen solchen Hieb gegeben, er habe ja seiner Lebtag niemandem etwas zu Leide<br />

getan. 467 Diese Aussage griff das Gericht auf und mutmasste «<strong>aus</strong> deme zeige<br />

sich, das er den streich nicht im zorn gethan, sondern geglaubt, es werde nicht<br />

disen weg kommen». Doch <strong>Egger</strong> beharrte darauf, zornig gewesen zu sein. 468<br />

Daraufhin konfrontierte man ihn damit, die Schimpfworte seien doch gleich am<br />

Anfang des viertelstündigen Streits geflossen; bis zum Hieb müsse sein Zorn<br />

vergangen gewesen sein. Dies bestritt <strong>Egger</strong>. 469 Weitere Fragen, warum er mit<br />

einem so gefährlichen Gegenstand auf die sensible Stelle am Genick geschlagen<br />

habe, brachten keine neuen Erkenntnisse.<br />

«Wie er bescheinen, und beweisen könne, dass er den streich im zorn gethan, und nichts<br />

böses im gemüeth gehabt habe? Auf dises komme es an: ansonsten könte jeder den anderen<br />

ohnbestraft todtschlagen, und sagen, er habe nichts böses im gemüeth gehabt, oder seye<br />

zornig gewesen.» 470<br />

Darauf antwortete der Befragte:<br />

«Er könne solches weder bescheinen, noch beweisen, wünschte, das jemand sich <strong>gegen</strong>wärthig<br />

befunden, oder [dass es] späther gewesen wäre, es wäre alsdann der werckhmann<br />

462<br />

463<br />

464<br />

465<br />

466<br />

467<br />

468<br />

469<br />

470<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 195.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 196.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 198.<br />

Sie hatte ihn Lügner und Spitzbub genannt, Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage<br />

198; vgl. vorne Kap. 4.3.7.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 199.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 201.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 202.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 203.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 208.<br />

93


Strafverfahren<br />

allda gewesen, und der zorn hätte ihne aber gleichwohlen übernohmen, und diser hätte alsdann<br />

es gesehen, wie es zugegangen wäre.» 471<br />

Das Gericht war durch diese Antwort nicht befriedigt. Es sah in den Tatsachen,<br />

dass <strong>Egger</strong> die Leiche nach der Tat versteckt und später fortgeschafft hatte<br />

sowie unmittelbar nach dem Hieb ins H<strong>aus</strong> gegangen war, Hände gewaschen<br />

und gefrühstückt hatte, einen Hinweis darauf, dass er ein böses Gemüt habe.<br />

<strong>Egger</strong>s Protest half wenig. Man sagte ihm, seine wilde und böse Natur zeige<br />

sich auch darin, dass ihm ein Mensch oder viele Menschen egal seien, habe er<br />

doch die Leichname unter dem Galgen und auf dem Friedhof <strong>aus</strong>gegraben und<br />

<strong>aus</strong>geschunden. 472 Wieder beteuerte <strong>Egger</strong> Reue und präzisierte, betreffend den<br />

Körper vom Friedhof sei er gezwungen gewesen, den unter dem Galgen habe er<br />

jedoch <strong>aus</strong> freiem Willen <strong>aus</strong>gegraben und <strong>aus</strong>geschunden. 473<br />

Man liess die geäusserten Vorwürfe vorerst stehen und fragte <strong>Egger</strong>, ob er<br />

um Neujahr herum für den Hafner an der Langgass Geschirr nach Herisau gefahren<br />

habe. Dies bejahte <strong>Egger</strong> und sagte <strong>aus</strong>, dessen Sohn sei bei ihm gewesen.<br />

Auf der Heimfahrt habe er beim Friedhof St. Fiden Halt gemacht und den<br />

Leichnam von Maria Baumann <strong>aus</strong>gegraben. 474 Man liess auch dieses Thema<br />

bald fallen und wollte wissen, ob <strong>Egger</strong> lesen und schreiben könne, was dieser<br />

verneinte. Er könne auch sonst keine «andere[n] künste». 475 Mangels Erkennbarkeit<br />

eines anderen Motivs vermutete die Obrigkeit schliesslich, <strong>Egger</strong> habe mit<br />

der Ausgrabung der Leichen und deren weiterer Behandlung abergläubische<br />

Zwecke verfolgt. Sie fragte ihn, ob er nie von Segensprechereien reden gehört<br />

habe, was <strong>Egger</strong> verneinte. Die <strong>aus</strong>gegrabenen und <strong>aus</strong>geschundenen Körper<br />

würden aber doch vermuten lassen, es stecke etwas anderes hinter der Sache,<br />

worauf <strong>Egger</strong> antwortete, «es steckhe gewüss nichts darhinter». 476 Wieder und<br />

wieder befragte man ihn ergebnislos nach dem Motiv für die Leichenschändungen.<br />

Schliesslich wollte man wissen,<br />

471<br />

472<br />

473<br />

474<br />

475<br />

476<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 208.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen 209 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 210.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen und Antworten 215 bis 217.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 221.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 223.<br />

94


Strafverfahren<br />

«ob er nicht gewust, dass das todtschlagen im göttlichen und menschlichen gesazen unter<br />

leib- und lebens-straff verbotten, und was er für eine entschuldigung habe» 477 .<br />

Darauf antwortete <strong>Egger</strong>:<br />

«Ja, das habe er gewust; könne aber keine endtschuldigung sagen, alss dass er nicht gewust,<br />

dass der streich so angehe, und wann er es gewust, so hätte er es nicht gethan, und seye in<br />

dem zorn gewesen». 478<br />

Was für eine Strafe er glaube, für die Leichenschändungen verdient zu haben?<br />

Dies wisse er nicht, er müsse es der gnädigen Obrigkeit überlassen. 479 Damit<br />

endete die Einvernahme jenes Tages.<br />

4.8 Weitere Untersuchungshandlungen und letzte Einvernahme<br />

<strong>Egger</strong>s<br />

4.8.1 Zeugeneinvernahme der Ehefrau am 23. Februar 1775<br />

Offenbar entschloss man sich erst nach all diesen Verhören, Einvernahmen und<br />

Abklärungen, <strong>Egger</strong>s Ehefrau Maria Elisabetha German zu befragen. Sie erschien<br />

am Donnerstag, 23. Februar 1775, auf der Pfalz und sagte <strong>aus</strong>, seit vier<br />

Jahren mit <strong>Egger</strong> verheiratet zu sein. Im ersten Ehejahr sei er oft abends spät<br />

nachh<strong>aus</strong>e gekommen und morgens sehr früh gegangen. Sie habe ihm dies<br />

schliesslich nicht mehr gestattet. Vor ein paar Monaten habe sie bemerkt, dass<br />

er zweimal eine halbe Stunde länger im Stall geblieben sei als er «hätte sollen».<br />

Er habe vorgegeben, das Ross und die Kühe geputzt und das Geschirr versorgt<br />

zu haben. 480 Sie gab an, sich an einen Abend kurz nach der Hinrichtung von drei<br />

Menschen im Juli 1773 erinnern zu können. Es habe stark geregnet, und ihr<br />

Mann habe vorgegeben, er müsse das Pferd ins Trockene bringen. Sie sei ihm<br />

gefolgt, weil sie ihm habe helfen wollen. Da seien ihr jedoch die Hingerichteten<br />

eingefallen und sie habe «eine forcht überfallen». 481 Sie sei schnell ins H<strong>aus</strong> zu-<br />

477<br />

478<br />

479<br />

480<br />

481<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 232.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 232.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 234.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 1 f.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 4.<br />

95


Strafverfahren<br />

rückgegangen. Als ihr Mann nachh<strong>aus</strong>e gekommen sei, habe er vorgegeben, auf<br />

der Suche nach dem Pferd durch alle Tobel gegangen zu sein.<br />

Weiter fragte man sie, was ihr während der Ehe mit <strong>Egger</strong> an ihrem Mann<br />

missfallen habe, wie er sich aufgeführt habe und was sie «tadelhaftes» an ihm<br />

bemerkt habe. 482 Als sie ihn geheiratet habe, habe sie von ihm wissen wollen, ob<br />

er Schulden habe. Dies habe er verneint. Es seien dann jedoch «zimbliche<br />

pöstlein» hervorgekommen, die er heimlich habe bezahlen wollen. Einmal habe<br />

sie Catharina Himmelberger ums H<strong>aus</strong> herum zu ihrem Mann in den Stall wandeln<br />

sehen. Als sie daraufhin ihren Mann gefragt habe, ob er ihr was schuldig<br />

sei, habe er dies abgestritten und behauptet, sie habe Holz von ihm verlangt. Die<br />

Ehefrau fügte gleich an, dies habe sie ihrem Mann nicht geglaubt und ihn aufgefordert,<br />

es ihr doch um Gotteswillen zu sagen, wenn er der Catharina Himmelberger<br />

was schuldig sei, sie wolle ihm gern helfen, es zu bezahlen. Doch ihr<br />

Mann habe nicht zugegeben, Schulden bei Catharina gehabt zu haben. Wenn er<br />

es zugegeben hätte, wäre wegen «disem bizle geldt damahlen dis ohnglückh<br />

nicht erfolget». 483<br />

Maria German beschwerte sich schliesslich, ein von ihren Eltern geerbtes<br />

Tischtuch sei <strong>aus</strong> dem Kasten verschwunden. Sie habe ihren Mann danach befragt,<br />

aber er habe sich unwissend gestellt. Weiter gab sie an, weder sie noch<br />

ihre Töchter seien im Stall am Vieh vorbei weiter nach hinten gegangen. 484 Dann<br />

sagte sie <strong>aus</strong>, dass ihr Mann an jenem Tag um die Jahreswende herum, als er des<br />

Hafners Geschirr nach Herisau gefahren habe, schmutzige Schuhe, Strümpfe<br />

und Hosen gehabt habe, obwohl der Schlittenweg gut und hart gewesen sei. Ihre<br />

Frage nach dem Grund habe er nicht beantwortet. Ungeschminkt gab Maria<br />

German schliesslich an, ihr Mann sei «allzeit ein dunckhel m<strong>aus</strong>er» gewesen, er<br />

habe immer viel gearbeitet, sei nie «recht lustig» gewesen und habe sich beim<br />

Beten zu H<strong>aus</strong>e und in der Kirche als schläfrig erwiesen. 485<br />

Weiter wollte das Gericht von der Ehefrau wissen, was für Schriften, Bücher<br />

oder anderes sie im H<strong>aus</strong> hätten und was für Leute <strong>Egger</strong> beherbergt oder ihnen<br />

482<br />

483<br />

484<br />

485<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 4.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 5 f.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 7.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 8.<br />

96


Strafverfahren<br />

Unterschlupf gewährt habe. Maria Germann antwortete, sie wisse nur von einigen<br />

Lehenbriefen, Güterzetteln oder Quittungen sowie drei Gebetbüchlein ihrer<br />

Töchter. Ihr Mann könne weder schreiben noch lesen. Im letzten Januar habe<br />

ein Maurer <strong>aus</strong> der Fremde bei ihnen im Stall übernachtet. Abends in der Stube<br />

habe dieser ihnen allerhand vom Krieg und von der Galeere, auf der er gewesen<br />

sei, erzählt, «sonsten aber nichts ohnrechtes von ihme gewahret, noch gehöret».<br />

486 Am Frühlingsjahrmarkt habe ein fremder «wurzengraber» 487 mit seiner<br />

Frau vier oder fünf Nächte bei ihnen im Heu übernachtet. Ihr Mann habe morgens<br />

und abends dort die Tiere gefüttert, sie wisse aber nicht, was sie miteinander<br />

geredet hätten. Sie habe nichts Unrechtes bemerkt. 488<br />

Am Tag des Totschlags sei ihr Mann «gleich andere mahl» vom Füttern zum<br />

Morgenessen gekommen. Niemand habe ihm etwas angemerkt. Dies gelte auch<br />

für die Tage oder Zeiten, an denen er die toten Körper dem Hörensagen nach ins<br />

Tobel getragen habe. Nur als er letzthin mit ihr zum Herrn Hofkanzler gegangen<br />

sei, habe er gesagt, es sei ihm, als ob ihm Hände und Füsse abgeschlagen seien.<br />

Übrigens habe er die ganze Woche am Haag im Gut gearbeitet und «gebüschelet».<br />

489<br />

4.8.2 Zeugeneinvernahme von <strong>Joseph</strong> Rüesch am 23. Februar 1775<br />

Gleichentags fand eine weitere Zeugeneinvernahme auf der Pfalz statt. Vorgeladen<br />

war der Tablater <strong>Joseph</strong> Rüesch, 40 Jahre alt und in Diensten beim Müller<br />

im Obertobel. Nach erstattetem Handgelübde sagte er <strong>aus</strong>, er sei von seiner früheren<br />

Dienststelle <strong>aus</strong> öfters zu <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> gegangen und habe bei ihm im<br />

Beisein anderer Leute ein Glas Most getrunken. Sonst habe er keinen Umgang<br />

mit ihm gehabt. Er habe nie geglaubt, dass <strong>Egger</strong> auch nur einen Vogel töten<br />

könnte. 490 Auf die Frage, ob er einmal in <strong>Egger</strong>s Stall gewesen sei und was dort<br />

vor sich gegangen sei, antwortete Rüesch, er sei im letzten Herbst zweimal in<br />

486<br />

487<br />

488<br />

489<br />

490<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 9.<br />

Wurzengraber sammelten insbesondere Enzianwurzeln, um dar<strong>aus</strong> Enzianbranntwein<br />

herzustellen; VON HÖRMANN [1870], S. 360.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 10.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 10 f.<br />

Dok. 17, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Rüesch, S. 1.<br />

97


Strafverfahren<br />

jenem Stall gewesen. Das erste Mal, weil <strong>Egger</strong> ihn aufgefordert habe, ein Ross<br />

anzuschauen, das er in Staubenzell gekauft habe. Das zweite Mal habe er Heu<br />

angeschaut, das er <strong>Egger</strong> abgekauft habe. Beide Male sei über nichts anderes<br />

gesprochen worden als über Ross, Vieh, Heu und dergleichen. Er habe nichts<br />

Verdächtiges bemerkt, und <strong>Egger</strong> habe kein ungebührliches Wort zu ihm gesagt.<br />

491<br />

4.8.3 Sechste und letzte Einvernahme <strong>Egger</strong>s am 7. März 1775<br />

Am Dienstag, 7. März 1775, führten die Herren Sartory von Rabenstein, von<br />

Seylern, Zollikofer und der Ratssekretär Gross die letzte Einvernahme des Angeschuldigten<br />

durch. Seit der fünften Einvernahme waren also beinahe zwei<br />

Wochen vergangen. Man sagte <strong>Egger</strong> einleitend, er habe seit dem letztem Examen<br />

Zeit und Platz gehabt, in sich zu gehen, und werde nun hoffentlich die<br />

Wahrheit sagen. Da entschloss er sich, doch endlich zu sprechen.<br />

«Nichts anders, als das ihme ein Geyserwalder gesagt, er habe <strong>aus</strong> dem kirchhof einen todtenschedel<br />

in seinem taubenschlag gehabt, umb die tauben dar<strong>aus</strong> trinckhen zu lassen, und<br />

in der meinung andere damit zu fangen; es habe aber in der nacht starckh gerumplet, mithin<br />

er solchen wider auf den kirchhof gethan, wo alsdann das rumplen aufgehöret. Inquisiten<br />

habe gewunderet, ob es deme so seye, und so rumple, folgsamb gedenckhet, er wolle es mit<br />

einem todten cörper <strong>aus</strong> dem kirchhof probieren; habe aber nichts gespüheret, noch vermerckhet;<br />

auch ihne nachwerths gereuet; und wann er wider nacher Herisaw gefahren wäre,<br />

so hätte er disen cörper wider an sein voriges orth zurück gethan; das er aber ein solches<br />

unterlassen, seye die ursach weillen er sonsten nächtlicher weil niemahlen <strong>aus</strong> dem h<strong>aus</strong><br />

gegangen.» 492<br />

Er wurde daraufhin gefragt, ob er den Körper nicht, wie er gesagt habe, gezwungenermassen,<br />

sondern freiwillig und <strong>aus</strong> Wunder <strong>aus</strong>gegraben habe, worauf<br />

er <strong>aus</strong>sagte, es sei ihm in den Weihnachtsfesttagen doch gewesen, als ob er<br />

es tun müsse. Man konfrontierte ihn damit, dass er den unter dem Galgen <strong>aus</strong>gegrabenen<br />

Körper von Elisabeth Han ja bereits im Stall gehabt habe und die<br />

Probe wegen des Rumpelns mit diesem hätte machen können, weswegen es<br />

nicht nötig gewesen wäre, den zweiten Körper <strong>aus</strong>zugraben. <strong>Egger</strong> meinte dar-<br />

491<br />

492<br />

Dok. 17, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Rüesch, S. 2.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 236.<br />

98


Strafverfahren<br />

auf, er habe vom Galgen her nur die Haut gehabt, er könne keine andere Ursache<br />

angeben, man möchte sich darin doch nicht weiter aufhalten. 493 Damit gab<br />

sich das Gericht nicht zufrieden, worauf <strong>Egger</strong> schliesslich berichtete, der Gaiserwalder<br />

habe vor seinen Leuten in der Stube gesagt, etwas vom Kirchhof in<br />

seinem H<strong>aus</strong> zu haben bedeute, dass man keine Rast noch Ruhe mehr habe, bis<br />

der Gegenstand wieder an seinem Ort sei. Dies habe er, <strong>Egger</strong>, nicht geglaubt<br />

und habe es <strong>aus</strong>probieren wollen. Die Befragenden wurde ungeduldig, sagten,<br />

dies sei nicht wahrscheinlich, er solle nicht so unverschämt lügen und es nicht<br />

darauf ankommen lassen, die Wahrheit mit anderen Mitteln her<strong>aus</strong>zubringen.<br />

<strong>Egger</strong> bat darum, ihm zu glauben. Er würde sich sonst ja zugrunde richten wollen<br />

und mit Leib und Seele auf die Hölle zu gehen, wenn er die Obrigkeit beständig<br />

so anlügen würde. 494 Der Gaiserwalder heisse Johannes Geser. 495 <strong>Egger</strong><br />

verneinte die Frage, ob ihm sonst jemand derartige Sachen erzählt habe; auf<br />

wiederholte Nachfrage sagte er, er habe mit niemandem sonst Umgang gehabt,<br />

sei allzeit bei seinen Leuten zuh<strong>aus</strong>e gewesen.<br />

Die übrigen Fragen waren Vergewisserungen früherer Aussagen, die zu keinen<br />

neuen Erkenntnissen führten. So wurde das Verhör geschlossen.<br />

<strong>Egger</strong> wurde dem Scharfrichter vorgeführt mit der Ermahnung, die Wahrheit<br />

zu bekennen. Ein letztes Mal wurde er gefragt, ob er der Catharina Himmelberger<br />

nur einen Hieb verpasst und nicht geglaubt habe, es würde so kommen.<br />

Weiter wollte man erneut wissen, ob er die anderen beiden Leichname in keiner<br />

anderen als der angegebenen Absicht <strong>aus</strong>gegraben habe. Auch im Angesicht des<br />

Scharfrichters blieb <strong>Egger</strong> bei seinen Aussagen, «wolle darauf leben, und sterben».<br />

496<br />

4.8.4 Zeugeneinvernahme von Johannes Geser am 8. März 1775<br />

Als letzter Zeuge wurde Johannes Geser «<strong>aus</strong> der hüthen in Geyserwald» am<br />

Mittwoch, 8. März 1775, auf die Pfalz geladen und einvernommen. Der ledige,<br />

493<br />

494<br />

495<br />

496<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen und Antworten 238 und 240.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 242.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 245.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 90.<br />

99


Strafverfahren<br />

30 Jahre alte Sohn von <strong>Joseph</strong> Geser besass mit seinem Bruder Michael zusammen<br />

ein Gut. Er gab an, <strong>Egger</strong> sei um letzten Jacobi 497 mit seiner Stieftochter<br />

Barbara zum Wein bei ihm gewesen. Er habe sie nachh<strong>aus</strong>e begleitet und sei<br />

danach wegen Barbara noch zweimal bei <strong>Egger</strong> gewesen. 498 Die Frage, ob eine<br />

besondere Unterredung mit <strong>Egger</strong> stattgefunden habe, verneinte Geser. Er sei<br />

nur dreimal in <strong>Egger</strong>s H<strong>aus</strong> gewesen, habe nicht mit ihm geredet und wisse<br />

nicht einmal, ob er sein Freund oder Feind sei. 499<br />

Das Gericht fragte Geser, ob er Tauben habe, was dieser verneinte. Sein Bruder<br />

habe aber welche. Ob er nicht mit <strong>Egger</strong> über die Tauben einen Diskurs geführt<br />

habe? Nein, er wisse nichts von einer solchen Unterhaltung, <strong>aus</strong>ser es sei<br />

in der Trunkenheit geschehen. 500 Geser wurde aufgefordert, dies nochmals zu<br />

überdenken, die Obrigkeit sei eines ganz anderen überzeugt. Doch der Befragte<br />

blieb dabei, höchstens betrunken im Beisein aller «h<strong>aus</strong>leuth» etwas geredet zu<br />

haben, zumal er nie nüchtern in <strong>Egger</strong>s H<strong>aus</strong> gewesen sei. 501 Als sieben Jahre<br />

alter Knabe habe er von einem Mann, der in St. <strong>Joseph</strong>en beim Mesmer in Arbeit<br />

gestanden habe, gehört, es sei im Württembergerlande ein Mann gewesen,<br />

der einen Kopf vom Galgen weggenommen und seinen Tauben dar<strong>aus</strong> zu trinken<br />

gegeben habe. Dadurch habe er andere Tauben in seinen Schlag locken und<br />

an sich bringen können. Als der Mann jedoch über ein Leiterchen in seinen Taubenschlag<br />

habe hinaufklettern wollen, habe er seinen Kopf verloren und sei<br />

schliesslich ohne Kopf gefunden worden. Als Knabe habe Geser dies auch <strong>aus</strong>probieren<br />

wollen und habe von einem Grab auf dem Kirchhof zu St. <strong>Joseph</strong>en<br />

ein kleines Totenbein genommen, dieses im Taubenschlag ins Trinkgeschirr<br />

gelegt in der Meinung, dadurch mehr Tauben zu bekommen. Stattdessen hätten<br />

Raubvögel seine eigenen Tauben geholt und seither habe er kein Glück mehr<br />

mit ihnen gehabt und sie schliesslich aufgegeben. Das Totenbein habe er etwa<br />

ein halbes Jahr lang in seinem Taubenschlag gelassen. Während dieser Zeit habe<br />

er nachts unruhige Stunden gehabt, da er immer gemeint habe, er sehe den Geist<br />

497<br />

498<br />

499<br />

500<br />

501<br />

Der Gedenktag des Apostels Jakobus dem Älteren ist der 25. Juli; Lexikon der Bräuche<br />

und Feste [2007], S. 171 f.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Fragen und Antworten 1 und 3.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage und Antwort 4.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Fragen und Antworten 5.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage und Antwort 7.<br />

100


Strafverfahren<br />

des Toten vor sich. Beim Tenntor 502 habe er einmal einen grossen Geist gesehen<br />

und sich gefürchtet, weshalb er das Totenbein danach sofort wieder auf den<br />

Kirchhof an den Ort gebracht habe, von wo er es genommen gehabt habe. 503<br />

Er wurde daraufhin gefragt, ob er etwas gemerkt habe während der Zeit, in<br />

der das Gebein im Taubenschlag gewesen sei. Er habe nichts gemerkt, <strong>aus</strong>ser in<br />

den letzten acht Tagen, «da es starckh gerumplet, als ob thier oder kazen herumb<br />

laufeten», und selbst wenn man ihm 1000 Gulden gegeben hätte, so wäre<br />

er in diesen Tagen nachts nicht mehr zum Taubenschlag hinauf gegangen. 504 Er<br />

habe schliesslich gebeichtet, und der Beichtvater habe ihm auferlegt, das Gebein<br />

wieder zurückzubringen. 505 Auf die Frage, ob er sich nicht erinnere, <strong>Egger</strong> diese<br />

Begebenheit erzählt zu haben, meinte Geser, davon wisse er nichts, hätte er aber<br />

etwas davon gesagt, so hätte er beigefügt, man solle keine solchen abergläubischen<br />

Sachen treiben. 506<br />

4.9 Beratung und «Rechtsgutachten»<br />

Das Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s verweist nach den letzten Befragungen auf<br />

ein «rechtliches guetachten», das am 3. hujus 507 von mehreren Herren «ministris»,<br />

Obervögten und Räten verfasst worden sei. Beteiligt waren neben Hofkanzler<br />

Sartory von Rabenstein und Pfalzrat von Seylern der Rorschacher Obervogt<br />

Franz Anton Gugger von Staudach, der Toggenburger Landvogt Franz <strong>Joseph</strong><br />

Müller von Friedberg und die Obervögte <strong>Joseph</strong> Ignaz Zweyfel von Oberberg<br />

und Johann Anton Rudolf Rothfuchs von Blatten. Obwohl im Einvernahmeprotokoll<br />

festgehalten wurde, das rechtliche Gutachten sei «abgefasset» worden,<br />

ist ein solches leider nicht (mehr) aktenkundig. Immerhin lässt sich der offenbar<br />

zusammengefassten Wiedergabe im Protokoll entnehmen, dass diskutiert<br />

502<br />

503<br />

504<br />

505<br />

506<br />

507<br />

Die Tenne ist die Diele in der Scheune, worauf gedroschen wird. Oft wird der Begriff –<br />

wie hier – für die Scheune selbst verwendet; KRÜNITZ, Bd. 182 [1843], S. 67, Stichwort<br />

«Tenne in der Landwirtschaft».<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Antwort 7.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage und Antwort 8.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Antwort 8.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage und Antwort 9.<br />

Gemeint ist der 3. dieses (Monats), also der 3. März 1775.<br />

101


Strafverfahren<br />

worden war, ob <strong>Egger</strong> zu foltern sei, um verlässlichere Antworten auf die Fragen<br />

zu erhalten, ob er beim Totschlag «animum occidendi» 508 gehabt und mit<br />

welchem Motiv er die beiden Leichname <strong>aus</strong>gegraben habe. Da jedoch keine<br />

Indizien auf ein weiteres begangenes Verbrechen vorhanden waren, beschloss<br />

man, <strong>Egger</strong> nicht «ad torturam» zu nehmen, zumal er sich bereits eines «homicidium<br />

dolosum» 509 schuldig gemacht und somit die «poenam gladii» 510 , die Todesstrafe<br />

durch das Schwert, ohnehin schon auf sich gezogen habe. 511 Nach<br />

Hinweis auf dieses «gutachten» wurde der Prozess<br />

«für beschlossen gehalten, und gleichwie von dem gericht Tablath, der gemeind Rothmonten,<br />

und der eggerischen freundschaft durch einige <strong>aus</strong>schüss seiner hochfürstlichen gnaden<br />

umb entlassung der todesstraff underthänigst und demüethigst erbeten worden [...]». 512<br />

508<br />

509<br />

510<br />

511<br />

512<br />

Tötungsabsicht; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

Vorsätzliche Tötung.<br />

Gladius = Schwert.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

102


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

5 Prozessrechtliche Beurteilung<br />

5.1 Der Inquisitionsprozess und seine Grundlagen<br />

5.1.1 Abgrenzung zum Akkusationsprozess<br />

Im Mittelalter herrschte eine privatrechtliche Auffassung des Strafrechts vor.<br />

Ein Verbrechen wurde als Verletzung der Rechtsgüter der geschädigten Privatperson<br />

betrachtet, die Strafe war im Wesentlichen ein Recht des Verletzten und<br />

nicht ein Interesse des höchstens ansatzweise existierenden Staates. 513 Nach dem<br />

Grundsatz «Wo kein Kläger, da kein Richter» war folglich die Einleitung von<br />

zivil- und strafrechtlichen Verfahren, die materiell noch nicht getrennt waren, 514<br />

Sache des Privatklägers. 515 Der Kläger war zumindest für die zur Folterung notwendigen<br />

Indizien beweispflichtig, der Beklagte konnte Gegenbeweise anbringen.<br />

516 Beim Akkusationsprozess wurden die Parteien vom Gericht prinzipiell<br />

als gleichwertig betrachtet, was etwa in der Pflicht des privaten Anklägers zur<br />

Hinterlegung einer Kaution zum Ausdruck kam. 517 Ziel des Verfahrens war die<br />

Feststellung der Schuld oder Unschuld des Beklagten, nicht etwa die rationale<br />

Aufklärung des wahren Sachverhalts oder die Suche nach anderen möglichen<br />

Tätern. Konnte die Schuld nicht zweifelsfrei geklärt werden, so griff man auf<br />

formal-irrationales Beweisrecht zurück: etwa den Reinigungseid oder das Gottesurteil.<br />

518<br />

Der sächsisches Gewohnheitsrecht enthaltende Sachsenspiegel 519 EIKE VON<br />

REPGOWS 520 , der zwischen 1220 und 1235 entstand und das wohl bedeutendste<br />

und berühmteste deutsche Rechtsbuch des Mittelalters ist, kannte weder Offi-<br />

513<br />

514<br />

515<br />

516<br />

517<br />

518<br />

519<br />

520<br />

HENSEL [1979], S. 68.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 118, Rz. 182.<br />

KABUS [2000], S. 29, KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 10 f.<br />

SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 191, S. 198.<br />

KLEINHEYER, Akkusationsprozess [1971], S. 39.<br />

KABUS [2000], S. 29; vgl. zu Reinigungseid und Gottesurteil zudem VON KRIES [1878],<br />

S. 3, MITTERMAIER [1834], S. 9, JANSEN [2004], S. 52 f.; SCHILD, Gottesurteile [1989],<br />

S. 230; BALDAUF [2004], S. 49 f.; SCHMOECKEL [2000], S. 232 und 450 ff.; VON HENTIG,<br />

Strafe, Bd. 1 [1954], S. 95.<br />

Eine Übersicht bei KÖBLER [1997], S. 515.<br />

Geb. um 1180, gest. ca. 1235; KÖBLER [1997], S. 120.<br />

103


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

zialprinzip noch Untersuchungsgrundsatz noch Ermittlungsverfahren (inquisitio).<br />

Der Prozess war ein Akkusationsverfahren, Eid und Gottesurteil oder unter<br />

bestimmten Vor<strong>aus</strong>setzungen auch der Zweikampf waren als Beweismittel anerkannt.<br />

521<br />

Auch dreihundert Jahre später regelte die Carolina neben dem im Folgenden<br />

zu erläuternden Inquisitionsprozess noch immer das Akkusationsverfahren, und<br />

zwar als die ordentliche Prozessform. 522 Noch im 16. Jahrhundert war der Streit<br />

um die Vorherrschaft zwischen den beiden Prozessformen nicht endgültig <strong>aus</strong>gefochten.<br />

523 Selbst wenn ein privater Kläger auftrat, wurde das Verfahren zunehmend<br />

inquisitorisch. 524 In der Praxis wurde das Inquisitionsverfahren nach<br />

vollkommener Rezeption <strong>aus</strong> dem italienischen Recht zur dominierenden Prozessform.<br />

525 Die neuere Forschung geht davon <strong>aus</strong>, dass der Akkusationsprozess<br />

bereits bei Erlass der Carolina keine nennenswerte Rolle mehr spielte. 526 Dies<br />

dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass die erheblichen Sicherheitsleistungen,<br />

die dem privaten Kläger auferlegt wurden – ansonsten er sich gefangen<br />

setzen lassen und für den Ausgang des Verfahrens zivilrechtlich haften<br />

musste –, eine Anklageerhebung in den meisten Fällen verhinderten. 527<br />

5.1.2 Entstehung und Entwicklung des Inquisitionsprozesses<br />

Der Her<strong>aus</strong>bildung des peinlichen Strafrechts waren gesamtgesellschaftliche<br />

Entwicklungstendenzen vor<strong>aus</strong> gegangen, die die Ausbreitung des Inquisitionsprozesses<br />

überhaupt erst ermöglichten. Die Gesellschaft gewann an Komplexi-<br />

521<br />

522<br />

523<br />

524<br />

525<br />

526<br />

527<br />

IGNOR [2002], S. 56 f.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53, Rz. 104. Eine Vermischung von Akkusations- und<br />

Inquisitionsprozess kennt die Carolina noch nicht, TRUSEN [1984], S. 116. Die Carolina<br />

nennt den Akkusationsprozess als Regelfall, den Inquisitionsprozess als Ausnahme, RÜ-<br />

PING [1984], S. 168; HÄRTER [2000], S. 463 f.; LIEBERWIRTH [2006], Sp. 887; siehe ferner<br />

auch BIENER [1827], S. 153, 158.<br />

BRUNS [1994], S. 23.<br />

Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen und Literaturangaben bei HOFFMANN [1991],<br />

S. 29 f.<br />

MICHELS [2000], S. 16; JANSEN [2004], S. 51 m.w.H.; PÖLTL [1999], S. 40 f., S. 50 f.;<br />

EISENHARDT ULRICH [2004], S. 251, Fn. 350.<br />

JEROUSCHEK, Akkusationsprozess [2004], Sp. 127.<br />

LIEBERWIRTH [2006], Sp. 887 f.<br />

104


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

tät, die nach neuen, nicht-privaten Ordnungs- und Rechtskonzepten verlangte. 528<br />

Mit dem Fernhandel weitete sich die Effizienz kapitalistischen Wirtschaftens<br />

<strong>aus</strong>, die «face-to-face-Gesellschaft» mit engem sozialem Verhältnis der Beteiligten,<br />

in dem Ordnung durch gemeinschaftlichen Druck erhalten werden konnte,<br />

begann sich zu öffnen und wurde dadurch aufgeweicht. Der unmittelbar gelebte<br />

Glaube an das Eingreifen des rechtliebenden Gottes verlor an Kraft. 529 Der<br />

Einsatz des Rechts zur Schaffung rationaler Organisationsstrukturen in der<br />

kirchlichen, kommunalen und mitunter auch territorialen Verwaltung gewann an<br />

Bedeutung.<br />

Bei schweren Friedbrüchen, die sich im Rahmen der Fehde 530 ereigneten,<br />

wurde im entstehenden frühneuzeitlichen Staat mit den Landfrieden 531 das im<br />

frühabsolutistischen Selbstverständnis zwingende Einschreiten der Landeshoheit<br />

eingeführt. Durch inquisitorisches Verfahren sollte die Fehde nach und<br />

nach effizient eingedämmt werden. Mit dem Schwerpunkt auf der materiellen<br />

Wahrheitsfindung gelangte die Verfahrensführung samt dessen Einleitung nun<br />

allmählich in die Hände der Obrigkeit. 532 Diese neue Form der rationalen Untersuchung<br />

sollte auch der Bekämpfung der Armutsdelinquenz der landschädlichen<br />

Leute 533 dienen. 534<br />

Die Carolina bildete bis weit ins 18. Jahrhundert hinein die massgebliche<br />

Rechtsquelle des Inquisitionsprozesses. 535 Der Inquisitionsprozess leitet seinen<br />

Namen vom lateinischen Wort «inquisitio» (Untersuchung) ab und bezeichnet<br />

nichts anderes als eine bestimmte Strafverfahrensart, einen Typus des Strafverfahrens.<br />

536 Neu kamen im Inquisitionsprozess drei Verfahrensgrundsätze zum<br />

Tragen: das Offizialprinzip, das Untersuchungsprinzip und das Prinzip der ma-<br />

528<br />

529<br />

530<br />

531<br />

532<br />

533<br />

534<br />

535<br />

536<br />

BLAUERT [2000], S. 163.<br />

SCHILD, Frag [2002], S. 25.<br />

Zur Fehde unten Kap. 7.1.4, Fn. 1076.<br />

Siehe etwa PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 32, Rz. 43; S. 121, Rz. 188; SENN [2007],<br />

S. 77 f.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 125, Rz. 194; SENN [2007], S. 217.<br />

Dazu gehörten etwa Bettler, Diebe und dergleichen.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 125, Rz. 194.<br />

PÖLTL [1999], S. 40.<br />

IGNOR [2002], S. 16.<br />

105


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

teriellen Wahrheit. 537 Bei der Offizialmaxime 538 wird das Strafverfahren nicht<br />

wie beim Akkusationsprozess durch Klage eines Verletzten einer Straftat in<br />

Gang gesetzt, sondern von Amtes wegen durch die zuständigen Behörden bei<br />

Vorliegen des Verdachts einer Straftat. Das Untersuchungsprinzip besagt, dass<br />

sich die Untersuchenden über alle Umstände einer Straftat zu informieren haben,<br />

«so zu erfindung der warheyt dinstlich» 539 . Hier setzt auch das Prinzip der<br />

materiellen Wahrheit an: Es geht darum, Schuld oder Unschuld des Verdächtigen<br />

zu belegen, wobei das Gericht der Sache selbst auf den Grund zu gehen<br />

hat. 540<br />

Mittels der neuen Prinzipien wurde es möglich, Straftaten wirkungsvoller zu<br />

verfolgen. Die formellen Beweismittel des Eids und des Gottesurteils wurden<br />

zurückgedrängt. An ihre Stelle traten insbesondere der Zeugenbeweis 541 und vor<br />

allem die Folter. 542 Das Ermittlungsverfahren war ein wesentlicher Teil des Inquisitionsprozesses.<br />

Zur Bestrafung war das Geständnis des Angeklagten konstitutiv,<br />

543 <strong>aus</strong>ser er wurde durch zwei Tatzeugen überführt. 544 Aus einsichtigen<br />

Gründen kam es beim Inquisitionsprozess weit häufiger zur Anwendung der<br />

Folter als beim Akkusationsprozess. Im mittelalterlichen Parteiprozess führte<br />

das Geständnis nicht als Beweismittel, sondern als rechtsgestaltende Prozesshandlung<br />

des Beklagten zu dessen Verurteilung, weil es ihm die Führung des<br />

Entlastungsbeweises verunmöglichte. Dies änderte sich erst allmählich mit der<br />

– allerdings wohl auch diesbezüglich unterschiedlich konsequent angewendeten<br />

– Carolina, die erstmals auch die Überprüfung eines freiwillig abgelegten<br />

Geständnisses vorschrieb. 545 Es kam durch<strong>aus</strong> vor, dass im Wissen um die To-<br />

537<br />

538<br />

539<br />

540<br />

541<br />

542<br />

543<br />

544<br />

545<br />

IGNOR [2002], S. 17; JANSEN [2004], S. 55.<br />

Art. 6 CCC trägt die Überschrift «Annemen der angegeben übelthetter von der oberkeyt<br />

vnnd von ampts wegen».<br />

Art. 8 CCC.<br />

Ausführungen zu den drei Prinizpien bei IGNOR [2002], S. 17 f.<br />

Vgl. Kap. 5.3.2.<br />

POPPEN [1984], S. 10, § 2; GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 166; vgl. Kap.<br />

5.5.4.2.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 23 f. .<br />

Vgl. Kap. 5.3.1.<br />

Art. 54 CCC; KLEINHEYER, Geständnis [1979] weist darauf hin, dass der Nachdruck und<br />

die Sorgfalt, mit der die Carolina die Wahrheitskontrolle verlange, deutlich zeige, dass<br />

damit keineswegs Selbstverständliches <strong>aus</strong>gesprochen worden sei, S. 381, siehe auch<br />

S. 373 und 376.<br />

106


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

desstrafe freiwillig ein unrichtiges Geständnis gemacht wurde, weil allein diese<br />

Strafe Trost und Erlösung zu versprechen schien und daher angestrebt wurde. 546<br />

5.2 Zur Zweiteilung des Verfahrens<br />

Die Carolina regelt das Verfahren ab Verhaftung des Beklagten. Ab dem<br />

16. Jahrhundert wurden im juristischen Schrifttum und in der Praxis die Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

für die Verhaftung und das Tätigwerden der Untersuchungsorgane<br />

näher bestimmt. Im ersten Verfahrensabschnitt, der sog. Generalinquisition, hatte<br />

die Obrigkeit festzustellen, ob überhaupt ein Verbrechen begangen worden<br />

war. Diejenigen äusseren Anzeichen eines Verbrechens, die zu besonderen Verfolgungmassnahmen<br />

berechtigten, nannte man das corpus delicti. Nach heutigem<br />

Verständnis war corpus delicti also ein prozessualer Begriff. 547 Die Lehre<br />

vom corpus delicti wurde schliesslich bei der Wendung des Blicks vom Prozessualen<br />

(was ist als geschehen anzunehmen?) zum Materiellen (wie ist Geschehenes<br />

zu werten?) vom Begriff des Tatbestands verdrängt. 548 Erst seit den<br />

1830er-Jahren erhielt die Lehre vom corpus delicti einen wissenschaftlichen<br />

Boden im modernen Sinn. 549<br />

Im Rahmen der Generalinquisition mussten die Untersuchenden also das corpus<br />

delicti beweisen, erste Zeugen und Verdächtige summarisch einvernehmen<br />

und den mutmasslichen Täter festnehmen. Gelang dies, so folgte auf die Generalinquisition<br />

die Spezialinquisition. 550 Sie diente dazu, den dingfest gemachten<br />

Verdächtigen der festgestellten Tat zu überführen. 551<br />

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts begannen Rechtsgelehrte 552 , sich <strong>gegen</strong> die<br />

Zweiteilung des Verfahrens in General- und Spezialinquisition und für ein einheitliches<br />

Verfahren einzusetzen, und schafften die Basis für die freie Beweis-<br />

546<br />

547<br />

548<br />

549<br />

550<br />

551<br />

552<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 300.<br />

JAKOBS [1993], S. 153.<br />

JAKOBS [1993], S. 154.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 168.<br />

HÄRTER [2000], S. 468.<br />

POPPEN [1984], S. 73; HÄRTER [2000], S. 468; SENN [2007], S. 217.<br />

Allen voran AUGUSTIN LEYSER, geb. 18. Oktober 1683, gest. 3. Mai 1752, <strong>aus</strong>führliche<br />

Biographie bei EISENHART AUGUST [1883], Bd. 18, S. 519 ff.<br />

107


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

würdigung. Auf die Praxis des 18. Jahrhunderts hatten diese Ansichten jedoch<br />

keinen Einfluss. 553<br />

5.3 Der Beweis im Inquisitionsprozess<br />

5.3.1 Der Indizienbeweis<br />

5.3.1.1 Rechtshistorische Einordnung<br />

Die Carolina kennt eine <strong>aus</strong>führliche gesetzliche Beweistheorie; die Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

für die Verurteilung sind genau umschrieben. 554 Das Beweisrecht war<br />

insoweit formalisiert, als dass das Verhältnis der Beweismittel zueinander und<br />

ihr individueller Beweiswert festgelegt waren. Es bestanden damit gesetzliche<br />

Beweisregeln. Das Gericht musste eine Tatsache unter bestimmten Bedingungen<br />

als wahr annehmen. Neben Haupttatsachen, die unmittelbar auf die Tatbegehung<br />

bezogen sind, kennt die Carolina Hilfstatsachen oder Indizien, die indirekt<br />

den Schluss auf die Tatbegehung durch eine bestimmte Person zulassen. 555<br />

Die Indizienlehre hat in der Carolina grosses Gewicht. 556 Sie wird bisweilen<br />

als gesetzgeberische Meisterleistung ihrer Zeit bezeichnet. 557 In Art. 22 CCC 558 ,<br />

der mithin als die entscheidende Vorschrift des carolinischen Beweissystems<br />

angesehen wird, 559 hält die Carolina fest, niemand dürfe auf Anzeigung 560 , Argwohn,<br />

Wahrzeichen oder Verdacht hin verurteilt werden. Eine peinliche Strafe<br />

dürfe nur « <strong>aus</strong> eigen bekennen, oder beweisung [...] beschehen» werden. Der<br />

reine Indizienbeweis als Grundlage für einen Schuldspruch wurde durch die<br />

553<br />

554<br />

555<br />

556<br />

557<br />

558<br />

559<br />

560<br />

POPPEN [1984], S. 86 f.<br />

Hinweise dazu bei PÖLTL [1999], S. 41; GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 168.<br />

JANSEN [2004], S. 56 mit weiteren Literaturangaben; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53<br />

f. Zur Entwicklung der Indizienlehre KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 17 f.<br />

Mit den Indizien befassen sich die Art. 18 bis 44 CCC.<br />

PÖLTL [1999], S. 48.<br />

Ausführlich und mit weiteren Literaturangaben zu Art. 22 CCC PÖLTL [1999], S. 44 f.<br />

PÖLTL [1999], S. 44.<br />

Anzeigung = Indiz, Verdacht, Vermutung; mit dem Titel «Von begreiffung des wörtlins<br />

anzeygung» umschreibt Art. 19 CCC den Begriff folgendermassen: «Item wo wir nachmals<br />

redlich anzeygen melden, da wöllen wir alwegen, redlich warzeichen, argkwon, verdacht,<br />

vnd vermutung auch gemeynt haben, vnd damit die überigen wörter abschneiden».<br />

108


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Carolina also <strong>aus</strong>geschlossen. 561 Nur die Unschuld oder Milderungsgründe<br />

konnten durch Indizien bewiesen werden, Art. 22 CCC bezieht sich also nur auf<br />

den Anschuldigungsbeweis. 562 Weiter konnte auch die K<strong>aus</strong>alität zwischen<br />

Handlung und Erfolg durch Indizien bewiesen werden, wenn eine Handlung und<br />

ein tatbestandlicher Erfolg durch Geständnis, Zeugnis oder richterlichen Augenschein<br />

bewiesen waren. 563<br />

Die Indizienlehre der Carolina ist detailliert, wobei die Aufzählung der Indizien<br />

beispielhaften Charakter hat. 564 Die Indizien werden in zwei Gruppen unterteilt:<br />

in gemeine Indizien, die sich auf alle Straftaten beziehen, 565 und in besondere<br />

Indizien, die bestimmte Delikte betreffen. 566 Bei der ersten Gruppe unterscheidet<br />

das Gesetz weiter, ob das Indiz für sich allein (nahe Anzeige) oder nur<br />

zusammen mit anderen Indizien (entfernte Anzeige) zur Folter <strong>aus</strong>reichte. 567 Für<br />

sich alleine genügte etwa das Auffinden eines dem Verdächtigen gehörenden<br />

Gegenstandes am Tatort, 568 die Aussage eines Tatzeugen 569 oder ein <strong>aus</strong>sergerichtliches<br />

Geständnis des Verdächtigen. 570 Entfernte Anzeigen waren beispielsweise<br />

ein schlechter Leumund des Beschuldigten, der von redlichen und<br />

unparteiischen Leuten herrühren musste, 571 ein besonderes Motiv 572 oder das Gesehenwerden<br />

am Tatort oder in unmittelbarer Nähe desselben. 573 War ein Indiz<br />

nicht offenkundig und damit gerichtsnotorisch, durfte das Gericht von einem<br />

561<br />

562<br />

563<br />

564<br />

565<br />

566<br />

567<br />

568<br />

569<br />

570<br />

571<br />

572<br />

573<br />

GLASER [1883], S. 90; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 54; m.w.H. MICHELS [2000],<br />

S. 21, Fn. 125.<br />

MICHELS [2000], S. 21, vgl. auch Art. 143 CCC betreffend den Rechtfertigungsgrund der<br />

Notwehr.<br />

Art. 147 CCC, MICHELS [2000], S. 21; KRÖNER [1958], S. 21.<br />

Art. 18 CCC.<br />

Art. 25 CCC.<br />

MICHELS [2000], S. 17; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 55.<br />

PÖLTL [1999], S. 45 f.; MICHELS [2000], S. 17.<br />

Art. 29 CCC.<br />

Art. 30 CCC.<br />

Art. 32 CCC.<br />

Art. 25 § 1 CCC. Zur Bedeutung des Leumunds siehe JEROUSCHEK, Inquisitionsprozess<br />

[1992], S. 357 f.<br />

Z.B. Neid oder Feindschaft, Art. 25 § 5 CCC.<br />

Art. 23 § 2 CCC.<br />

109


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Beweis der «anzeygung» nur <strong>aus</strong>gehen, wenn der den Indizien zugrunde liegende<br />

Sachverhalt durch zwei vollgültige Zeugen bestätigt wurde. 574<br />

Der Indizienbeweis war eines der Beweismittel zur Feststellung, ob der Tatbestand<br />

eines Verbrechens gegeben war, was wiederum Vor<strong>aus</strong>setzung für die<br />

Anwendung der Folter war. 575 Bei Vorliegen eines nahen, eines besonderen oder<br />

mehrerer entfernter Indizien, die nach Ansicht des Gerichts 576 dieselbe Stärke<br />

wie ein nahes oder besonderes Indiz erreichten, durfte gefoltert werden, wobei<br />

dem Angeklagten zuvor die Möglichkeit einzuräumen war, Entlastungsbeweise<br />

anzubringen. 577 Auf normativer Ebene vermitteln die strenge Beweistheorie und<br />

die Regeln zur Anwendung der Folter jedoch ein etwas irreführendes Bild. Insbesondere<br />

bei der Handhabung der Folter hatte der Richter ein nicht unbeachtliches<br />

Ermessen. Er konnte entscheiden, ob die vorhandenen Indizien einen Übergang<br />

von der General- in die Spezialinquisiton 578 zuliessen, und so den Weg zur<br />

Folter ebnen. 579<br />

Die Anforderungen an Indizien waren je nach zu beurteilendem Delikt unterschiedlich.<br />

580 Für die Verurteilung aufgrund eines Tötungsdelikts musste der<br />

Tod eines Menschen durch das «corpus mortuum» bewiesen werden. Die strengen<br />

Beweisregeln konnten zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Gelang es<br />

etwa einem Täter, die Leiche unbemerkt zu beseitigen, konnte er nämlich trotz<br />

seines Geständnisses nicht mit der ordentlichen Strafe belegt werden. 581<br />

Beeinflusst von der damals herrschenden italienischen Doktrin, die den Ausgleich<br />

zwischen der dem Schutz des Beschuldigten dienenden Lehre vom corpus<br />

delicti 582 und dem Strafinteresse des Staates durch Zulassung von Indizien<br />

als subsidiärem Beweismittel erlaubte, sprach sich im deutschsprachigen Raum<br />

schliesslich BENEDIKT CARPZOV ebenfalls für den Beweis durch schwerwie-<br />

574<br />

575<br />

576<br />

577<br />

578<br />

579<br />

580<br />

581<br />

582<br />

Art. 22 CCC; MICHELS [2000], S. 16, vgl. unten Kap. 5.3.2.<br />

Art. 22 CCC bestimmte, dass die Folter nur zur Anwendung kommen durfte, wenn entsprechende<br />

Indizien vorlagen, vgl. PÖLTL [1999], S. 44.<br />

Hier handelte es sich um eine Ermessensfrage; PÖLTL [1999], S. 47.<br />

Art. 27 CCC, MICHELS [2000], S. 19.<br />

Vgl. oben Kap. 5.2<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169.<br />

PÖLTL [1999], S. 47 f.<br />

KRÖNER [1958], S. 18.<br />

Vgl. oben Kap. 5.2.<br />

110


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

gende Indizien als subsidiäres Beweismittel <strong>aus</strong>. Nach und nach wurde dieser<br />

Indizienbeweis allgemein anerkannt. 583 Nach CARPZOVS Lehre berechtigten die<br />

Indizien auch zur Anwendung eines Reinigungseids oder der poena extraordinaria<br />

584 , wodurch der Anwendungsbereich des Indizienbeweises <strong>gegen</strong>über der<br />

Carolina klar erweitert wurde. Auch CARPZOV gestand den Indizien hin<strong>gegen</strong><br />

keine vollständige Beweiskraft zu. 585 Erst im Zuge der Aufklärung erlangte der<br />

Indizienbeweis einen neuen Stellenwert, wobei sich die Erfolge im Strafprozessrecht<br />

überwiegend erst im 19. Jahrhundert einstellten. 586<br />

5.3.1.2 Indizien im Fall <strong>Egger</strong><br />

An die Obrigkeit wurde bereits kurz nach dem Verschwinden von Catharina<br />

Himmelberger der Verdacht herangetragen, sie könnte von <strong>Egger</strong> umgebracht<br />

worden sein. Dabei handelte es sich um eine «anzeygung» im Sinne von Art. 19<br />

CCC, die freilich für sich alleine keine peinliche Bestrafung erlaubt hätte (Art.<br />

22 CCC). Eine «nahe Anzeige» im oben erläuterten Sinne, die zur Folter gerechtfertigt<br />

hätte, wäre etwa in der Aussage eines Tatzeugen oder einem <strong>aus</strong>sergerichtlichen<br />

Geständnis zu erblicken gewesen. Einen Tatzeugen gab es nicht.<br />

Der erste Verdacht <strong>gegen</strong> <strong>Egger</strong> war also eine «entfernte Anzeige», die nur zusammen<br />

mit anderen Indizien die Anwendung der Folter erlaubt hätte. Ein solches<br />

weiteres Indiz wäre etwa ein besonderes Motiv für die Tat gewesen. Das<br />

Motiv <strong>Egger</strong>s lag möglicherweise in der Umgehung seiner Zahlungspflicht <strong>gegen</strong>über<br />

Catharina Himmelberger. Da jedoch weder Bestand noch Höhe der<br />

Schuld <strong>aus</strong>gewiesen waren, liess sich in jenem Stadium des Verfahrens nicht<br />

zuverlässig beurteilen, ob <strong>Egger</strong> tatsächlich ein Motiv für die Tötung hatte.<br />

Weitere Indizien, wie etwa ein schlechter Leumund, lagen nach den Akten nicht<br />

vor.<br />

Die Zeugen<strong>aus</strong>sage von Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er 587 erfolgte am 13. Februar<br />

1775, also noch vor <strong>Egger</strong>s Verhaftung. Die Näherin berichtete jedoch nur vom<br />

583<br />

584<br />

585<br />

586<br />

587<br />

KRÖNER [1958], S. 18 f.<br />

Vgl. unten Kap. 7.1.1.<br />

PÖLTL [1999], S. 56.<br />

PÖLTL [1999], S. 59 ff.; GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 172 f.<br />

Dok. 5, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er.<br />

111


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Hörensagen, gab wieder, was ein ihr bekannter Knecht ihr geschildert hatte. Ihre<br />

Aussage konnte deshalb höchstens ein entferntes Indiz dafür darstellen, dass im<br />

Wald etwas vorgefallen sein könnte. Rückschlüsse auf <strong>Egger</strong> und das von ihm<br />

gemäss ersten Vermutungen verübte Verbrechen liess die Aussage hin<strong>gegen</strong><br />

nicht zu. Da <strong>Egger</strong> noch in der Nacht auf den 14. Februar 1775 verhaftet wurde<br />

und sein Schwager <strong>Joseph</strong> Bensegger die Ermittelnden über den Verbleib der<br />

Leiche Catharinas aufklärte, erübrigte es sich, dem sehr vagen Indiz, das Elisabeth<br />

Schafh<strong>aus</strong>er geliefert hatte, nachzugehen. 588<br />

Gegenüber dem Wirt sowie <strong>gegen</strong>über seinem Schwager und seinem Stiefvater<br />

gestand <strong>Egger</strong> die Tat am 13. Februar 1775. Von diesem Zeitpunkt an wäre<br />

demnach von einer «nahen Anzeige» <strong>aus</strong>zugehen gewesen. Unabhängig davon,<br />

ob <strong>Egger</strong> auch <strong>gegen</strong>über dem Gericht ein Geständnis abgeben würde, hätte er<br />

ab dem 13. Februar 1775 rechtmässig gefoltert werden dürfen. Die Leiche Catharina<br />

Himmelbergers fand die Obrigkeit am 14. Februar 1775. Rasch konnte<br />

nachgewiesen werden, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben war. Am<br />

15. Februar 1775 wurde <strong>Egger</strong> zu Beginn des ersten Verhörs nach seiner Gefangennahme<br />

vom Gericht gefragt, was er getan habe, worauf er sogleich zugab,<br />

Catharina Himmelberger einen «streich in das knickh» gegeben zu haben. 589<br />

Nach diesem Schlag habe sie sich nicht mehr geregt, sei gleich tot gewesen. 590<br />

Das Gericht verfügte also ab diesem Zeitpunkt im Verfahren über ein gerichtliches<br />

Geständnis, dass <strong>Egger</strong> das Opfer mit einem Schlag niedergestreckt hatte,<br />

und mit der Leiche über das corpus delicti. Eine Verurteilung wegen Totschlags<br />

der Catharina Himmelberger wäre damit grundsätzlich bereits am 15. Februar<br />

1775 möglich gewesen.<br />

Die Anzeige des St. Galler Stadtbürgers Pankraz Rietmann 591 vom 16. Februar<br />

1775, wonach sein Bruder bisweilen bei <strong>Egger</strong> ein Glas Most getrunken<br />

habe und vor eindreiviertel Jahren während des Jahrmarkts verschwunden sei,<br />

war derart vage, dass sie für das Gericht nicht einmal als entferntes Indiz taug-<br />

588<br />

589<br />

590<br />

591<br />

Dies hätte etwa durch die Befragung des Knechts <strong>Joseph</strong> von der Tobler-Mühle und<br />

schliesslich durch eine Durchsuchung des Walds an der von diesem angegebenen Stelle<br />

geschehen können.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 2.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 4.<br />

Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann.<br />

112


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

lich war. Es sah offenbar keine Veranlassung, das Verschwinden von Hansulrich<br />

Rietmann mit <strong>Egger</strong> in Zusammenhang zu bringen; sie konfrontierte <strong>Egger</strong><br />

nicht einmal mit der Aussage Rietmanns. Auch betreffend die aufgefundenen<br />

verstümmelten Leichen vermochte die Anzeige kein Indiz zu begründen, zumal<br />

Fiskal Zollikofer bereits in seinem Bericht vom 14. Februar 1775 festgehalten<br />

hatte, es handle sich bei den beiden zusätzlich gefundenen Leichen um Frauen.<br />

592 Da <strong>Egger</strong> den Totschlag der Catharina Himmelberger bereits gestanden<br />

hatte, war sein guter Leumund im Übrigen ohnehin bereits zerstört, sodass die<br />

Aussage Rietmanns auch diesbezüglich nichts mehr zu beeinflussen vermochte.<br />

Während eine Verurteilung wegen Totschlags wie erwähnt grundsätzlich bereits<br />

nach der ersten Einvernahme <strong>Egger</strong>s möglich gewesen wäre, konnte das<br />

Delikt der Leichenschändungen nicht so rasch aufgeklärt werden. Hier fehlte<br />

anfänglich ein Geständnis von <strong>Egger</strong>. Deswegen bemühten sich die Untersuchenden,<br />

<strong>gegen</strong> ihn sprechende Indizien zu finden. Weil auch nach der H<strong>aus</strong>durchsuchung<br />

vom 16. Februar 1775 nicht alle Kleidungsstücke Catharinas aufgefunden<br />

worden waren – es fehlten insbesondere ihre «ermelschluten» –,<br />

musste der Totengräber die bereits begrabenen, noch nicht identifizierten, verstümmelten<br />

Leichen wieder <strong>aus</strong>graben und die mit den Leichen begrabenen<br />

Kleider der Obrigkeit übergeben. So stellte sich her<strong>aus</strong>, dass das Bündel mit den<br />

Leichen(-teilen) von Elisabeth Han und Maria Baumann Kleidungsstücke beinhaltete,<br />

die Catharina Himmelberger am Tag des Totschlags getragen hatte. Dies<br />

war eine «nahe Anzeige», ein Indiz, das für sich allein die Folterung <strong>Egger</strong>s gerechtfertigt<br />

hätte, selbst wenn er weiterhin geleugnet hätte, mit den beiden zusätzlichen<br />

Leichen etwas zu schaffen gehabt zu haben. Dazu kam es jedoch<br />

nicht, weil <strong>Egger</strong>, durch das starke Indiz in die Enge getrieben, bereits bei der<br />

gütlichen zweiten Einvernahme vom 17. Februar 1775 die Entwendung der Leichen<br />

und die Verstümmelungen zumindest teilweise gestand. 593<br />

592<br />

593<br />

Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 4.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 74 ff.<br />

113


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

5.3.2 Der Zeugenbeweis<br />

5.3.2.1 Rechtshistorische Einordnung<br />

Eine Verurteilung sollte erfolgen, wenn der Beschuldigte die Haupttatsachen<br />

gestand oder zwei Tatzeugen <strong>gegen</strong> ihn <strong>aus</strong>sagten. 594 Da die Ermittlungsorgane<br />

nur sehr beschränkte Möglichkeiten hatten, einen Täter aufzuspüren und ihn<br />

anzuklagen, war das Zeugenverhör das wichtigste Mittel, <strong>aus</strong>reichende Verdachtsmomente<br />

<strong>gegen</strong> einen Beschuldigten für die Durchführung eines Inquisitionsprozesses<br />

hervorzubringen. 595 Die Carolina setzt für die Tauglichkeit des<br />

Zeugenbeweises vor<strong>aus</strong>, dass die Aussagen der Zeugen auf deren eigenen<br />

Wahrnehmungen von Tatsachen beruhen. Werturteile, Meinungen, Rückschlüsse<br />

oder Informationen vom Hörensagen genügten zum wirksamen Zeugenbeweis<br />

somit nicht. 596 In der Carolina sind einfache Zeugen<strong>aus</strong>sagen – abgesehen<br />

von den selten vorhandenen zwei klassischen Tatzeugen – lediglich von sekundärer<br />

Bedeutung. Sie dienten somit in der Regel nur als Hilfsmittel für die Zulässigkeit<br />

der Folter, konnten aber keine Grundlage für eine Verurteilung bilden.<br />

Bei jedem Angeschuldigten, der nicht durch zwei Tatzeugen überführt werden<br />

konnte, war das Geständnis für eine Verurteilung also zwingend notwendig. 597<br />

Der Stellenwert der Zeugen<strong>aus</strong>sage definierte sich auch über das zu untersuchende<br />

Delikt. Bei Straftatbeständen, bei denen der Gegenstand des Verbrechens<br />

physisch vorhanden war, war man auf Zeugen<strong>aus</strong>sagen freilich viel weniger<br />

angewiesen als bei Delikten wie etwa Gotteslästerung oder Majestätsbeleidigung,<br />

die allein in der mündlichen Äusserung des Delinquenten bestanden. 598<br />

Die Carolina enthält Regeln zu Vor<strong>aus</strong>setzungen und Form des Zeugenbeweises.<br />

Grundsätzlich bestand eine Zeugnispflicht. 599 Über ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

etwa von Familienangehörigen enthält die Carolina keine Angaben.<br />

Die Constitutio Criminalis Bambergensis von 1507 (CCB) verlangte noch, dass<br />

ein Zeuge nicht unter 20 Jahren und kein «Weibsbild» sein solle. 600 Auf diese<br />

594<br />

595<br />

596<br />

597<br />

598<br />

599<br />

600<br />

Art. 67 CCC.<br />

WITTKE, Alltag [2002], S. 295.<br />

FISCHER [1998], Sp. 1686. Vgl. Art. 65 und 67 CCC.<br />

HAUSER ROBERT [1974], S. 7; HENKEL [1968], S. 42.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 299.<br />

JANSEN [2004], S. 57.<br />

Art. 76 CCB.<br />

114


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Einschränkung verzichtet die Carolina ebenso wie auf den Ausschluss von Angehörigen<br />

des Beschuldigten vom Zeugnis. 601 KARITZKY geht jedoch davon <strong>aus</strong>,<br />

die Carolina habe mit Zeugen wohl nicht strenger verfahren wollen, als dies in<br />

den Prozessen jener Zeit ohnehin allgemein üblich gewesen sei. 602 Der Klagspiegel<br />

von 1425 und die Wormser Reformation von 1498 schliessen etwa<br />

Frauen und Jugendliche sowie gewisse Kategorien von Verwandten vom Zeugnis<br />

<strong>aus</strong>. 603 Mit KARITZKY kann angenommen werden, dass die dort geforderte<br />

Rücksichtnahme auf Verwandte und H<strong>aus</strong>genossen durch die Vorschriften der<br />

Carolina nicht berührt werden sollte. 604 Mitunter wurde dafür plädiert, Verwandte<br />

nur dann mittels Folter zur Aussage <strong>gegen</strong> den Angeschuldigten zu zwingen,<br />

wenn man die Wahrheit nicht auf andere Weise ergründen könnte oder kein anderer<br />

Zeuge vorhanden wäre. 605 Dies dürfte sich freilich mitunter als schwacher<br />

Schutz der Verwandten erwiesen haben.<br />

Wurde die Richtigkeit von Zeugen<strong>aus</strong>sagen bestritten, so wurden unbekannte<br />

Zeugen nur zugelassen, wenn derjenige, der die Zeugen stellte, ihre Redlichkeit<br />

und ihren guten Leumund dartun konnte. 606 Auch bekannte Zeugen mussten über<br />

einen guten Leumund verfügen. 607 Bezahlte Zeugen waren unzulässig und sollten<br />

bestraft werden. 608 Die Zeugeneinvernahme erfolgte unter Ausschluss des<br />

Beschuldigten und der Öffentlichkeit und war zu protokollieren. 609 Ihr Resultat<br />

war dem Beschuldigten später zu eröffnen. 610<br />

Auch das Konzept zur Pfalzratsordnung 1733 verlangte von den Zeugen, sie<br />

sollten gut, ehrbar und tüchtig sein und über einen guten Leumund verfügen.<br />

601<br />

602<br />

603<br />

604<br />

605<br />

606<br />

607<br />

608<br />

609<br />

610<br />

HAUSER ROBERT [1974], S. 8. Das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht von Familienangehörigen<br />

führte jedoch längst nicht immer zu Aussagen, die den Verdächtigen schützen<br />

oder schonen sollten. Im Gegenteil wurde der Verdächtige oft durch einen Familienangehörigen<br />

belastet, etwa mit der Intention, einen allenfalls lästigen Miterben <strong>aus</strong>zuschalten;<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 300.<br />

KARITZKY [1959], S. 21.<br />

KARITZKY [1959], S. 18 f.<br />

KARITZKY [1959], S. 21.<br />

ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 101, Sp. 176.<br />

Art. 63 CCC.<br />

Art. 66 CCC.<br />

Art. 64 CCC.<br />

Neben den Aussagen sollten auch die Gebärden des Zeugen protokolliert werden, Art. 71<br />

CCC.<br />

GLASER [1883], S. 90 f.<br />

115


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Weiter sollten sie nicht mit der Gegenpartei befreundet oder verwandt sein.<br />

Sollten aber keine anderen Zeugen beigebracht werden können, so konnten diese<br />

doch genannt werden, wobei es schliesslich in der richterlichen Erkenntnis<br />

lag zu entscheiden, in wieweit solche Zeugen<strong>aus</strong>sagen zulässig wären. Die Advokaten<br />

sollten die Zeugen nicht «zur ungebühr verführen, oder mit muth, gelt,<br />

gab, oder versprechen, was anders zu sagen verleithen, als was die liebe wahrheit<br />

erforderet». 611<br />

Die einvernommenen Zeugen mussten vor der Aussage in der Regel ein Gelübde<br />

ablegen. Dieses war ein feierliches Versprechen, das mit dem Einsatz der<br />

Ehre der gelobenden Person, im Gegensatz zum Eid jedoch ohne religiöse Bindung,<br />

gegeben wurde. Der Eid war dem<strong>gegen</strong>über eine Anrufung Gottes als<br />

Zeuge der Wahrheit einer Aussage oder eines Versprechens. 612 Er war oft als<br />

bedingte Selbstverfluchung <strong>aus</strong>gestaltet, die in ritueller Gebundenheit und<br />

Form, etwa mit feierlichem Erheben der Hand oder mit Berührung von heiligen<br />

Gegenständen oder Körperteilen, geleistet wurde. 613 Das Landmandat der Alten<br />

Landschaft von 1761 regelt beispielsweise die Gestik samt Bedeutung sowie die<br />

Worte der Selbstverfluchung <strong>aus</strong>führlich. 614<br />

Im Falle des Eidbruchs lieferte man sich den Kräften <strong>aus</strong>, auf die man den<br />

Eid geleistet hatte, so etwa Blitz, Feuer oder Wasser. 615 Verletzte man das Gelöbnis,<br />

so machte man sich zwar auch strafbar. Im Gegensatz zum Eid jedoch,<br />

der vor Gott und dem eigenen Gewissen bestehen musste, hatte das Gelöbnis<br />

nur vor dem eigenen Gewissen zu bestehen. 616 Da die Landeshoheit ihre Amtsleute<br />

und Untertanen nur in beschränktem Masse kontrollieren konnte, diente<br />

der Eid zu Gott als willkommene Möglichkeit, die Untergebenen an ihre Pflichten<br />

zu binden, die Zeugen zur wahren Aussage zu bringen und bei Beamten<br />

Amtsmissbrauch vorzubeugen. 617 Gerade bei Zeugenbefragungen diente die<br />

611<br />

612<br />

613<br />

614<br />

615<br />

616<br />

617<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 99.<br />

LUMINATI, Eidverweigerung [2008], S. 199.<br />

Es wurden etwa der Bart oder die Brust berührt; MUNZEL-EVERLING [2007], Sp. 1249.<br />

Vgl. die «Erklärung des Aydtschwurs» im Anhang zum Landmandat 1761, RQSG (Alte<br />

Landschaft), S. 149 f.<br />

SCHILD, Verfahren [1989], S. 130.<br />

ZIEGLER STEPHAN [1997], S. 24.<br />

ZIEGLER STEPHAN [1997], S. 24.<br />

116


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

mahnende Erinnerung an den geleisteten Eid als wichtige Waffe. 618 Der Eid<br />

wurde durch Eidtafeln in Gerichtsräumen, abschreckende Geschichten über<br />

Eidbruch, Predigten und erbauliche Literatur popularisiert. Im Laufe der frühen<br />

Neuzeit wurde die Schwurpraxis jedoch allmählich eingedämmt. 619 Im Strafverfahren<br />

blieb weitgehend nur der Zeugeneid oder – wie im Fall <strong>Egger</strong> – das<br />

Handgelübde erhalten. 620<br />

Der Eid war in verschiedenen Lebenslagen zu leisten. Es wird zwischen dem<br />

gelobenden Eid 621 und dem bekundenden, verpflichtenden Eid 622 unterschieden.<br />

Der Eid war ein etwa von Zeugen, von Angeschuldigten, aber auch von den verschiedenen<br />

Pflichtenträgern des Staatswesens feierlich <strong>aus</strong>gesprochenes Versprechen<br />

<strong>gegen</strong>über dem Staatswesen und der Obrigkeit, gleichzeitig eine Bindung<br />

an Gott und eine Unterwerfung unter seine Gebote und Verbote. 623 Das<br />

Landmandat von 1761 beispielsweise kannte explizit den «Amman- und Richter<br />

Aydt», der diese Amtsträger verpflichtete, ihre Arbeit rechtsgleich, unbestechlich,<br />

unparteiisch und «umb des blossen Rechten willen, alles getreulich und<br />

ungefährde» <strong>aus</strong>zuführen. 624<br />

Einen Eid leisten mussten auch die Pfalzräte in der Fürstabtei. Das Konzept<br />

der Pfalzratsordnung 1733 erinnert die Pfalzräte daran, dass sie in allen Rechts-<br />

618<br />

619<br />

620<br />

621<br />

622<br />

623<br />

624<br />

FUCHS, Gott [2000], S. 326, ferner S. 323.<br />

Die im 18. Jahrhundert lauter werdenden Forderungen nach Toleranz stellten den Eid als<br />

religiös fundiertes Zwangsmittel allmählich in Frage. Schliesslich erklärte etwa der Philosoph<br />

Immanuel Kant (geb. 1724, gest. 1804) den Eid als mit der menschlichen Freiheit<br />

unvereinbar. Insbesondere nach 1800 verlangten Kritiker wenn nicht die vollständige Abschaffung<br />

des Eids, so doch seine Umwandlung in einen vernunftrechtlich begründeten,<br />

auf der Pflicht zur Wahrhaftigkeit beruhenden «bürgerlichen» Eid; LUMINATI, Eidverweigerung<br />

[2008], S. 204.<br />

LUMINATI, Eid, Kap. 2, e-HLS [2005].<br />

Der gelobende Eid nimmt die Form eines Treueschwurs an und gründet bzw. festigt<br />

Rechtsverhältnisse verschiedenster Art; MUNZEL-EVERLING [2007], Sp. 1250 ff.<br />

Der bekundende Eid ist etwa der Reinigungseid im Beweisrecht; MUNZEL-EVERLING<br />

[2007], Sp. 1253.<br />

ZIEGLER STEPHAN [1997], S. 23; SCHMIDT HANS-JOACHIM [2006], S. 84. Eine (<strong>aus</strong>nahmsweise)<br />

ein Amt bekleidende Frau durfte oftmals keinen Eid schwören, sondern nur<br />

ein Gelübde ablegen. In der Fürstabtei St. Gallen mussten alle männlichen Untertanen einen<br />

allgemeinen Eid zu Gehorsam, Treue und Wahrheit <strong>gegen</strong>über dem Abt schwören,<br />

vgl. Anhang zum Landmandat 1761, RQSG (Alte Landschaft), S. 147 f.<br />

Anhang zum Landmandat 1761, RQSG (Alte Landschaft), S. 148. Der Anhang kennt<br />

weiter den «Ammann-, Weibel- und Würthen-Aydt».<br />

117


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

sachen und was diesen zugehörig sei «allzeit ihrer zu der Gott geheilligten justiz<br />

leiblich geschwohrnen eyd, und dessen veranthwortung am jüngsten tag wohl in<br />

acht behalten, und darwider von keiner ley ursachen wegen wissentlich nicht<br />

handlen» sollten. 625<br />

Im 18. Jahrhundert gewann der Zeugenbeweis allmählich an Bedeutung. Im<br />

Zuge der Aufklärung wurden Stimmen <strong>gegen</strong> die Folter immer lauter. 626 Ein gewisses<br />

Misstrauen begann sich zu entwickeln <strong>gegen</strong> dieses «Instrument der<br />

Wahrheitsfindung», was zu einer stärkeren Betonung der anderen Beweismittel<br />

führte. 627 Man bemühte sich immer stärker darum, möglichst umfassende Verdachtsgründe<br />

schon zusammenzutragen, bevor man zum Instrument der Folter<br />

griff. Zu diesem Zweck begann man, vom Gesetz wegen Unglaubwürdigkeit<br />

<strong>aus</strong>geschlossene Zeugen zur Information des Gerichts zu vernehmen. 628 Der<br />

Richter sollte alle Personen verhören können, von denen irgendeine Aufklärung<br />

zu erwarten war, wobei auch das Verhör der nächsten Angehörigen zugelassen<br />

bzw. gemäss dem im 18. Jahrhundert publizierenden Carolina-Kommentator<br />

FRÖLICHSBURG 629 sogar empfohlen wurde. 630<br />

5.3.2.2 Zeugen im Fall <strong>Egger</strong><br />

Von <strong>Egger</strong>s Verbrechen gab es keine direkten Tatzeugen. Er erschlug Catharina<br />

Himmelberger frühmorgens unbemerkt in seinem Stall. Die Leiche von Maria<br />

Baumann grub er kurz nach Weihnachten abends um sieben, also in der Dunkelheit,<br />

<strong>aus</strong>. Er hatte an jenem Tag mit dem Schlitten Geschirr für den Hafner<br />

der Langgasse nach Herisau gefahren, wobei ihn der Sohn des Hafners begleitet<br />

hatte. Auf dem Rückweg hatte <strong>Egger</strong> diesen vor<strong>aus</strong>geschickt mit der Bemerkung,<br />

in der Vorstadt noch etwas erledigen zu müssen. Erst zwei Stunden später<br />

wurde er wieder gesehen, wie er mit einem Bündel über den Schultern die<br />

625<br />

626<br />

627<br />

628<br />

629<br />

630<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 68.<br />

Vgl. Kap. 5.5.4.2.<br />

KARITZKY [1959], S. 30.<br />

KARITZKY [1959], S. 31.<br />

Johann Christoph Frölich von Frölichsburg (gest. 1776) war Rechtsprofessor an der Universität<br />

Freiburg im Breisgau.<br />

FRÖLICHSBURG [1759], 1. Buch, 18. Titel, Nr. 4 und 5.<br />

118


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Langgasse entlang kam. 631 Offenbar schöpfte deswegen jedoch niemand den<br />

Verdacht, <strong>Egger</strong> könnte eine strafbare Handlung begangen haben. Einen direkten<br />

Zeugen des Leichenraubs gab es nicht. Niemand bemerkte, dass das Grab<br />

von Maria Baumann leer war, obwohl es nach jenem Tag etwas eingefallen<br />

war. 632 Auch die Leichenteile von Elisabeth Han transportierte <strong>Egger</strong> unbemerkt<br />

zu sich nachh<strong>aus</strong>e.<br />

Im Laufe des Verfahrens wurden viele Zeugen befragt. Dies lässt darauf<br />

schliessen, dass das Gericht bestrebt war, den Fall ohne Folterung <strong>Egger</strong>s, sondern<br />

durch andere Formen der Sachverhaltsabklärung aufzuklären. Man schien<br />

sich Mühe gegeben zu haben, von den Personen im Umfeld <strong>Egger</strong>s die eigenen<br />

Wahrnehmungen von Tatsachen erzählt zu bekommen. Wurde eine Information<br />

vom Hörensagen an die Untersuchenden herangetragen, vernahmen diese wenn<br />

möglich die Person, die eine direkte Wahrnehmung vom Erzählten haben konnte,<br />

zusätzlich ein. So begnügte man sich nicht mit der Aussage von Kaspar Wettach<br />

vom 23. August 1773, der berichtete, die Überreste des Leichnams von Elisabeth<br />

Han gefunden zu haben, sondern befragte zwei Tage später noch Fideli<br />

Burckhard, den Knecht des Scharfrichters, nach seinen Wahrnehmungen im Zusammenhang<br />

mit dem Auffinden der Leiche. Sogar der Nebenknecht Franz <strong>Antoni</strong><br />

Ritter wurde beeidigt zu seinen Wahrnehmungen befragt, obwohl er erst<br />

abends «zu dem verlochenden cörper» dazugekommen war. 633 Obwohl die Zeugen<strong>aus</strong>sagen<br />

von Wettach, Burckhard und Ritter am 23. und 25. August 1773<br />

bereits genau protokolliert worden waren, stellte das Gericht beim Aufrollen des<br />

Falles im Februar 1775 nicht unbesehen auf dieses Protokoll ab, sondern beorderte<br />

Ritter nochmals in den Zeugenstand. Er bestätigte die ihm vorgelesenen<br />

Aussagen vom August 1773. 634 Dieses Verhör verdeutlicht, dass das Gericht sich<br />

anstrengte, den Sachverhalt möglichst detailliert und sauber abzuklären. Freilich<br />

zeigt dieses Beispiel auch ein Problem der damaligen Zeugenbefragung: Was,<br />

wenn eine Tat schon längere Zeit zurück lag und der Zeuge weitergezogen, die<br />

631<br />

632<br />

633<br />

634<br />

Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s,<br />

Antworten 79, 80.<br />

Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 2.<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters.<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 5 f.<br />

119


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Alte Landschaft vielleicht sogar verlassen hatte? Da es kaum Möglichkeiten<br />

gab, den Verbleib einer Person nach deren Fortgang mit verhältnismässigem<br />

Aufwand abzuklären, waren der Zeugeneinvernahme, die nicht in relativ kurzer<br />

Zeit nach einer Straftat erfolgt war, wohl enge Grenzen gesetzt.<br />

Allen Hinweisen scheint das Gericht im Fall <strong>Egger</strong> aber trotz der breit angelegten<br />

Zeugenbefragungen nicht auf den Grund gegangen zu sein. So wurde die<br />

Anzeige des Strumpfwebers Pankraz Rietmann vom 16. Februar 1775, in der<br />

dieser gemutmasst hatte, <strong>Egger</strong> könnte beim vor eindreiviertel Jahren erfolgten<br />

spurlosen Verschwinden seines Bruders seine Finger im Spiel gehabt haben, 635<br />

weder kommentiert noch scheint sie sonst irgendwie verwertet worden zu sein.<br />

<strong>Egger</strong> wurde erstaunlicherweise offenbar nicht mit Rietmanns Mutmassung<br />

konfrontiert. Da er selbst nicht lesen konnte, ist anzunehmen, dass ihm die recht<br />

detaillierte Aussage Rietmanns überhaupt nicht zur Kenntnis gelangt war. Auch<br />

der etwas wirren Aussage der Näherin Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er vom 13. Februar<br />

1775, wonach der Knecht <strong>Joseph</strong> von der Tobel-Mühle am 11. Februar 1775 auf<br />

dem Heimweg im Wald etwas Unheimliches gehört haben sollte, 636 folgten offenbar<br />

keine konkreten näheren Abklärungen. Ungewiss ist, ob es sich beim von<br />

der Näherin erwähnten Knecht <strong>Joseph</strong> um den am 23. Februar 1775 einvernommenen<br />

<strong>Joseph</strong> Rüesch handelte. Dieser war beim Müller im Obertobel in<br />

Diensten. Die Untersuchenden nahmen jedoch bei der Befragung von <strong>Joseph</strong><br />

Rüesch mit keiner Silbe auf die Näherin und ihre Aussage Bezug, sondern fragten<br />

Rüesch nur, ob er <strong>Egger</strong> kenne, ob er einmal in dessen Stall gewesen sei und<br />

ob er dort etwas Verdächtiges bemerkt habe. 637 Dies lässt vermuten, dass der von<br />

Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er erwähnte Knecht <strong>Joseph</strong> nicht mit dem einvernommenen<br />

<strong>Joseph</strong> Rüesch identisch war.<br />

Die Protokolle enthalten nicht in allen Fällen Hinweise darauf, ob dem jeweiligen<br />

Zeugen ein Handgelübde oder ein Eid abgenommen wurde. Bei den Aussagen<br />

von Kaspar Wettach, Fideli Burckhard und Franz <strong>Antoni</strong> Ritter im August<br />

1773 sowie bei der Befragung Ritters am 18. Februar 1775 sind abgelegte<br />

635<br />

636<br />

637<br />

Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann.<br />

Aus diesem Protokoll geht nicht klar hervor, was der Knecht gesehen und wovor er sich<br />

gefürchtet hatte; Dok. 5, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er.<br />

Dok. 17, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Rüesch.<br />

120


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Handgelübde wörtlich erwähnt. 638 Dasselbe gilt für das Protokoll der Aussagen<br />

von Christian Louis vom 14. Februar 1775 639 und jenes der Aussagen von <strong>Joseph</strong><br />

Rüesch vom 23. Februar 1775. 640 Keine explizite Erwähnung eines Handgelübdes<br />

oder Eids findet sich bei den Aussagen von Maria Gross vom 10. Februar<br />

1775 641 und Jacob Himmelberger vom 18. Februar 1775 642 , wobei immerhin<br />

darauf hingewiesen wird, sie hätten «bey gueten treuen» angezeigt bzw. seien<br />

«bey gueten treuen befraget» worden. Keinerlei Hinweis auf Gelübde, Eid<br />

oder «guete treuen» enthalten die Aussagen von Pankraz Rietmann vom 16. Februar<br />

1775 643 , die zweite Aussage von Christian Louis vom 18. Februar 1775 644 ,<br />

die Befragung von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern vom 22. Februar 1775 645 sowie von dessen<br />

Ehefrau vom 23. Februar 1775 und erstaunlicherweise auch nicht die Einvernahme<br />

von Johannes Geser am 8. März 1775 646 .<br />

In den Akten zum Fall <strong>Egger</strong> finden sich keine Anhaltspunkte für ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

oder darauf, dass die Angehörigen <strong>Egger</strong>s auf ein solches<br />

hingewiesen worden wären. So wurden seine Ehefrau, seine Stieftöchter und<br />

sein Schwager ohne erkennbare Einschränkungen einvernommen. Sie blieben<br />

gemäss den Protokollen nie die Beantwortung einer Frage schuldig. Immerhin<br />

ist jedoch unklar, wie detailliert die Protokolle das tatsächlich Gesprochene<br />

wiedergeben. Sollte eine Antwort nur zögerlich und stockend gegeben worden<br />

sein, wurde darauf im Protokoll jedenfalls nicht hingewiesen. Möglich ist auch,<br />

dass keiner der Angehörigen <strong>Egger</strong>s gewillt war, ihn zu schonen und dem Gericht<br />

etwas zu verschweigen. Insbesondere die Ehefrau gab <strong>aus</strong>führlich und unverblümt<br />

Auskunft über ihren Gatten, zu dem sie offensichtlich kein herzliches<br />

Verhältnis hatte. Auch sein Schwager und seine Stieftöchter scheinen ihm nicht<br />

sonderlich nahe gestanden zu sein.<br />

638<br />

639<br />

640<br />

641<br />

642<br />

643<br />

644<br />

645<br />

646<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1.<br />

Dok. 17, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Rüesch, S. 1.<br />

Dok. 4, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria Gross.<br />

Dok. 12, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Jacob Himmelberger.<br />

Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann.<br />

Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis.<br />

Dok. 15, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von <strong>Egger</strong>s Stieftöchtern.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser.<br />

121


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Den Akten ist nicht zu entnehmen, dass der Leumund der Zeugen oder ihre<br />

Redlichkeit abgeklärt worden wären. Jedenfalls fehlen entsprechende schriftliche<br />

Hinweise. Unklar ist zudem, ob und gegebenenfalls wie die Identität der<br />

einzelnen Zeugen überprüft wurde. Immerhin dürften die meisten Zeugen dem<br />

Gericht persönlich bekannt gewesen sein.<br />

5.3.3 Der Sachverständigenbeweis<br />

5.3.3.1 Rechtshistorische Einordnung<br />

Solange den Gerichten die Erforschung der materiellen Wahrheit noch nicht so<br />

wichtig war und die zu beurteilenden Verhältnisse überschaubar waren, 647 war<br />

die Hilfe von Sachverständigen im Strafverfahren nicht nötig. Mit dem Aufkommen<br />

der materiellen Beweistheorie, der Verkomplizierung der Lebensverhältnisse<br />

und den Fortschritten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften erlebte<br />

die Sachverständigentätigkeit einen Aufschwung. Die Richter konnten nicht mit<br />

der Entwicklung der Wissenschaft Schritt halten, ihnen fehlten immer mehr<br />

Kenntnisse zur Sachverhaltsfeststellung. 648 Die Entwicklung der Naturwissenschaften<br />

und der gerichtlichen Medizin erlaubte eine Überprüfung, Widerlegung<br />

oder Erhärtung zumindest einiger Indizien. 649 So wurde es ab dem 16. Jahrhundert<br />

allmählich üblich, Gutachten einzuholen. In erster Linie wurden Rechtsgelehrte<br />

und Mediziner um Beurteilungen ersucht. Generell kamen als Sachverständige<br />

sowohl öffentlich als auch privat Bestellte in Betracht; erforderlich war<br />

nur die Sachkunde. Diese musste nicht zwangsläufig durch ein Zeugnis nachgewiesen<br />

werden, da sie unter den Parteien häufig auch ohne ein solches unstreitig<br />

war. 650 Die medizinischen Sachverständigen als «nicht-staatliche» Spezialisten<br />

und freie Gewerbetreibende konnten freilich zumindest bei gewissen De-<br />

647<br />

648<br />

649<br />

650<br />

MASTRONARDI [1936], S. 3.<br />

BERNET [1967], S. 1.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169.<br />

OLZEN [1980], S. 186.<br />

122


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

likten das Verfahren nicht unerheblich beeinflussen. 651 Ihre Beurteilungen fassten<br />

sie häufig selbst ab und schrieben sie nieder. 652<br />

Die Begutachtung durch Sachverständige wird in der Carolina <strong>aus</strong>drücklich<br />

erwähnt bei den Delikten der Kindstötung 653 , der fahrlässigen Tötung durch einen<br />

Arzt 654 , der Verletzung mit Todesfolge 655 und der Frage der Geisteskrankheit<br />

656 . Bei Körperverletzung mit Todesfolge nach Art. 147 CCC sollen sachverständige<br />

Wundärzte beigezogen werden, bei Verdacht auf Kindstötung Hebammen.<br />

657 Die Carolina kennt in Art. 149 658 den gemischten Augenschein an einem<br />

Toten durch Richter, Schöffen und Ärzte. Danach sind Teile der Entscheidung<br />

an den Sachverständigen zur Vorbeurteilung zu delegieren, sodass sie vom<br />

Richter ungeprüft übernommen werden können. 659<br />

Art. 147 CCC 660 trägt den Titel «So eyner geschlagen wirdt vnd stirbt, vnd<br />

man zweiffelt ob er an der wunden gestorben sei» und erwähnt erstmals den<br />

Begriff der sachverständigen Person, den er mit der prozessualen Position des<br />

Zeugen in Verbindung bringt. 661 Die Unterscheidung zwischen Sachverständigen<br />

651<br />

652<br />

653<br />

654<br />

655<br />

656<br />

657<br />

658<br />

659<br />

660<br />

661<br />

HÄRTER [2000], S. 472.<br />

Entsprechend für Zürich BERNET [1967], S. 58.<br />

Art. 35 und 36 CCC.<br />

Art. 134 CCC.<br />

Art. 147 und 149 CCC.<br />

Art. 179 CCC.<br />

Art. 35 f. CCC. Zur Funktion der Hebamme als Gutachterin FISCHER-HOMBERGER<br />

[1983], S. 53 ff.<br />

Art. 149 CCC geht auf Art. 229 CCB zurück, der jedoch lediglich von Richtern und<br />

Schöffen verlangte, «von dem erschlagenen oder ermördten von stund an, wo der begraben<br />

würde, leibzeichen nehmen [zu] lassen», ohne <strong>aus</strong>drücklich Sachverständige zu erwähnen.<br />

Ausführlich hierzu POPPEN [1984], S. 65 ff.; vgl. auch BERNET [1967], S. 57.<br />

TOEPEL [2002], S. 260; GLASER [1883], S. 677.<br />

Art. 147 CCC lautet: «Item so eyner geschlagen wirt, vnnd über etlich zeit darnach stürb,<br />

also das zweiffelich wer, ob er der geklagten streych halb gestorben wer oder nit, in solchen<br />

fellen mögen beyde theyl (wie von weisung gesatzt ist,) kundtschafft zur sach<br />

dienstlich stellen, vnd sollen doch sonderlich die wundtärtzt der sach verstendig vnnd andere<br />

personen, die da wissen, wie sich der gestorben nach dem schlagen vnd rumor gehalten<br />

hab, zu zeugen gebraucht werden, mit anzeygung wie lang der gestorben nach den<br />

streychen gelebt hab, vnd inn solchen vrtheylen, die vrtheyler bei den rechtuerstendigen,<br />

vnd an enden vnd orten wie zu end diser vnser ordnung angezeygt, radts pflegen.»<br />

TOEPEL [2002], S. 260 f. Zur Kontroverse der Einordnung des Sachverständigen ins Beweismittelsystem<br />

und zum Verhältnis von Richter und Sachverständigem ebenda S. 261;<br />

GLASER [1883], S. 678; MASTRONARDI [1936], S. 10 und 12 ff.<br />

123


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

und Zeugen war lange unklar, Sachverständige wurden oftmals als «gelehrte<br />

Zeugen» angesehen. 662<br />

Auf der Grundlage der Carolina wurde in der frühen Neuzeit die priesterlichautoritäre<br />

Rechtsprechung nach und nach einget<strong>aus</strong>cht <strong>gegen</strong> eine Rechtsprechung,<br />

die der technisch-spezialistischen Vervollkommnung zugänglich und<br />

bedürftig ist. 663 Solange jedoch die religiöse Scheu vor Obduktionen 664 bestand,<br />

machte die Gerichtsmedizin nur langsam Fortschritte. Erste Leichenöffnungen<br />

finden sich <strong>gegen</strong> Ende des 16. Jahrhunderts, ein halbes Jahrhundert später setzten<br />

sie sich allmählich durch. 665 Die Aufgabe des medizinischen Sachverständigen<br />

im Strafverfahren lag darin festzustellen, ob überhaupt ein Verbrechen begangen<br />

worden war und wenn ja, welches. Schloss der Sachverständige auf ein<br />

Delikt, so bildete sein Gutachten die Grundlage für weitere Verhöre des Beschuldigten.<br />

Beim geständigen Täter spielten Gutachten für die Strafzumessung<br />

etwa dann eine Rolle, wenn unklar war, ob das Opfer an den Folgen der vom<br />

Täter zugefügten Verletzungen gestorben war. 666 Der Entscheid über den Beizug<br />

des Sachverständigen lag im Ermessen des Richters. 667<br />

Dem Einfluss der Lehren CARPZOVS ist es zu verdanken, dass der Beizug von<br />

Sachverständigen ab dem 17. Jahrhundert wesentlich aufgewertet wurde. Seiner<br />

Ansicht nach durfte beim Delikt der Tötung die Todesstrafe nur verhängt werden,<br />

wenn das Opfer von einem medizinischen Sachverständigen untersucht<br />

worden war. CARPZOV betrachtete die Todesstrafe nur als zulässig, wenn die<br />

dem Opfer vom Beschuldigten zugefügten Verletzungen per se tödlich waren,<br />

was ein Laie nicht beurteilen konnte. Die ärztliche Begutachtung wurde damit<br />

Bestandteil jedes Prozesses <strong>gegen</strong> Totschläger. 668 Diese strenge Praxis wurde ab<br />

dem 18. Jahrhundert wieder gelockert: Es setzte sich die Ansicht durch, die Begutachtung<br />

sei im Falle der nicht von Art. 147 CCC erfassten vorsätzlichen Tötung<br />

keine unverzichtbare Vor<strong>aus</strong>setzung für eine Verurteilung, solle aber nach<br />

662<br />

663<br />

664<br />

665<br />

666<br />

667<br />

668<br />

MASTRONARDI [1936], S. 20.<br />

FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 26.<br />

Zur geschichtlichen Entwicklung der Obduktion siehe CRAMER [1885], S. 17 ff.<br />

VON FABRICE [1868], S. 247 f.<br />

BERNET [1967], S. 70 f. Zur Entwicklung einer rationalen gerichtsmedizinischen Lehre<br />

von den Wunden FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 311 ff.<br />

Mit weiteren Literaturhinweisen POPPEN [1984], S. 74 f.<br />

POPPEN [1984], S. 77.<br />

124


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Möglichkeit durchgeführt werden. Der Sachverständigenbeweis wurde schliesslich<br />

zu einem vom Richter gezielt einsetzbaren Mittel. 669<br />

Als medizinische Sachverständige kamen neben Ärzten auch Handwerkschirurgen<br />

in Betracht. Dieser Berufsgattung gehörten die handwerklich <strong>aus</strong>gebildeten,<br />

weniger geachteten Bader, Barbierchirurgen, Wundärzte, Feldscher, Scherrer<br />

und Geburtshelfer an, 670 die das Gebiet der Chirurgie und gleichzeitig des<br />

Barbierberufs bis ins 18. Jahrhundert als Domäne zu verteidigen vermochten. 671<br />

In das Arbeitsgebiet der Chirurgen fielen unter anderem einfache Wundversorgungen,<br />

Amputationen, Trepanationen (Schädelöffnungen), Brennen und Ätzen,<br />

Einrenken verrenkter Glieder, Behandlung von Knochenbrüchen sowie Hautund<br />

Geschlechtskrankheiten. Die Berufsgruppen der gelehrten Ärzte und der<br />

Chirurgen arbeiteten oftmals zusammen, so etwa in verschiedenen Kommissionen<br />

des öffentlichen Gesundheitswesens. Dazu zählte auch die Gerichtsmedizin.<br />

Im <strong>aus</strong>gehenden 18. Jahrhundert begannen akademisch <strong>aus</strong>gebildete Ärzte zunehmend,<br />

das Fachgebiet der Chirurgie zu übernehmen. 672 In einer Schrift <strong>aus</strong><br />

dem Jahr 1797 hält der Mediziner PLOUCQUET fest, die Pflichten des gerichtlichen<br />

Arztes reduzierten sich im Allgemeinen darauf,<br />

«dass der Arzt bey allen jenen Functionen, und in Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen,<br />

im Ausstellen der Zeugnisse u.s.w. mit Geschiklichkeit und Geradheit verfahre, damit<br />

der Zwek, Wahrheit zu entdeken, so viel möglich, erreicht werde.» 673<br />

Neben medizinischen Sachverständigen erlangte auch der rechtliche Sachverstand<br />

an Bedeutung. Die Carolina hielt die oft mit juristischen Laien besetzten<br />

Gerichte in Art. 219 an, bei ihren Appellationsinstanzen, den Oberhöfen<br />

oder Schöppenstühlen, bei der juristischen Fakultät einer nahe gelegenen Universität<br />

674 oder bei der territorialen Obrigkeit 675 Rechtsgutachten einzuholen. 676<br />

669<br />

670<br />

671<br />

672<br />

673<br />

674<br />

675<br />

POPPEN [1984], S. 87 ff. und 92.<br />

Zur Abgrenzung der Aufgaben der verschiedenen frühneuzeitlichen Medizinalberufe<br />

PLOUCQUET [1797], § 405 ff., S. 204 ff.; FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 31 ff.; HAR-<br />

DEGGER [1987], S. 3.<br />

MÖRGELI, Handchirurgen, e-HLS [2005].<br />

MÖRGELI, Handchirurgen, e-HLS [2005]; FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 43 ff., HAR-<br />

DEGGER [1987], S. 5 f. Zur Verwissenschaftlichung der Medizin bzw. zur Entwicklung<br />

des Berufswissens von Ärzten und Chirurgen BRÄNDLI [1990], S. 118.<br />

PLOUCQUET [1797], § 398, S. 203.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Territiorialstaat [1997], S. 54 ff.<br />

HÄRTER [2000], S. 465.<br />

125


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Damit war der Grundstein gelegt für das Institut der Aktenversendung, das bis<br />

ins 19. Jahrhundert hinein Bestand hatte. 677 Da die gelehrten Juristen oftmals ein<br />

spruchreifes Urteil zurücksandten, schlüpften sie auf diese Weise faktisch indirekt<br />

in die Rolle der eigentlichen Urteilsinstanzen; 678 die Voten der Rechtsgelehrten<br />

nahmen den Charakter von instanzgerichtlichen Weisungen mit Bindungscharakter<br />

an. 679 Nachteilig dabei war, dass die Gelehrten in der Regel nicht<br />

vor Ort waren und lediglich aufgrund der ihnen zugeschickten Akten «urteilten»,<br />

deren Auswahl zudem nicht immer willkürfrei getroffen worden war. So<br />

entstanden zwar bisweilen Gutachten von theoretisch hochstehendem Rechtsdenken,<br />

die aber zu im Einzelfall ungerechten Lösungen führen konnten. 680<br />

5.3.3.2 Sachverständige im Fall <strong>Egger</strong><br />

Die Obrigkeit nahm im Verfahren <strong>Egger</strong> ihre Begutachtungspflicht für die vermutete<br />

Tötung im Sinne des Beweisdenkens von CARPZOV ernst: Zur Bergung<br />

der Leiche von Catharina Himmelberger schickte sie neben dem Fiskal Zollikofer<br />

den äbtischen Leibarzt Rogg persönlich sowie den Chirurgen und Hofbarbier<br />

Wolff ins Galgentobel. Wenn auch nicht gerade das ganze Gericht die Leiche<br />

und den Fundort besichtigte, so nahm mit Zollikofer doch immerhin ein Vertreter<br />

des Gerichts am Augenschein teil. Die Hierarchie zwischen Rogg und Wolff<br />

war eindeutig: Der Chirurg wurde dem Leibarzt als Hilfe mitgegeben. Rogg<br />

hielt zwar fest, er habe Wolff und dessen Sohn den Körper der Leiche entblössen<br />

und die Rückseite des Leichnams untersuchen lassen, diese aber auch noch<br />

selbst untersucht. 681 Er erstattete seinen Bericht im Singular und machte deutlich,<br />

dass sein medizinischer Sachverstand für eine zuverlässige Beurteilung<br />

vollkommen <strong>aus</strong>reichte und er in dieser Hinsicht der Unterstützung des Chirurgen<br />

nicht bedurft hätte. Das Ansehen des Barbierchirurgen war deutlich kleiner<br />

676<br />

677<br />

678<br />

679<br />

680<br />

681<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 36, SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965],<br />

§ 118, S. 135.<br />

SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 118, S. 135; BALDAUF [2004], S. 93 f.;<br />

OESTMANN [2004], Sp. 128 ff.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 36.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 55.<br />

SUTER [1990], S. 2 f.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2.<br />

126


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

als dasjenige des Leibarztes. Ihre «Zusammenarbeit» auf dem Gebiet der Gerichtsmedizin<br />

war aber wie erwähnt nicht ungewöhnlich.<br />

Als Sachverständige hatten sowohl Rogg als auch Wolff im Verfahren keine<br />

Zeugenstellung und wurden auch nicht wie Zeugen behandelt, was sich etwa<br />

darin zeigt, dass sie ihre Gutachten selbst verfassten und sich nicht einer Befragung<br />

durch das Gericht unterzogen. Während Rogg seine Untersuchung im Bericht<br />

ziemlich detailliert festhielt und sogar mit – zumindest <strong>aus</strong> heutiger Sicht<br />

allerdings wenig <strong>aus</strong>sagekräftigen – Skizzen unterlegte, ist der Bericht von<br />

Wolff kurz und knapp, wobei auch er medizinische Fachbegriffe verwendete<br />

und insbesondere den «Os occipitio» 682 erwähnte. 683 Den beiden medizinischen<br />

Berichten ist nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob tatsächlich eine Obduktion,<br />

eine Leichenöffnung, stattgefunden hatte oder ob die Wunden von Catharina nur<br />

äusserlich besichtigt worden waren. Wolff schrieb in seinem Bericht, sie hätten<br />

eine «section» gemacht. 684 Aus dem Bericht von Rogg geht solches jedoch nicht<br />

eindeutig hervor. Er berichtete lediglich davon, die Haut an einer Wunde abgeschält<br />

und die Stelle abgewaschen zu haben, woraufhin er habe erkennen können,<br />

dass der Schädel eingedrückt gewesen sei. 685<br />

Freilich ist eine damalige Untersuchung der Leiche kaum mit einer heutigen<br />

Obduktion in einem modernen gerichtsmedizinischen Institut zu vergleichen.<br />

Der Leichnam wurde wenn möglich gleich (und oft <strong>aus</strong>schliesslich) am Tatort<br />

besichtigt. Dies war bei der Leiche von Catharina Himmelberger aufgrund ihrer<br />

Lage zwischen den Stauden an einem Abhang im Galgentobel nicht möglich,<br />

weshalb man sie ins H<strong>aus</strong> ihres Bruders <strong>Joseph</strong> an die Langgasse transportierte<br />

und dort begutachtete. Da <strong>Egger</strong> geständig war, interessierte das Gericht für die<br />

Beurteilung, ob tatsächlich eine Affekttat im Zorn stattgefunden hatte, insbesondere<br />

die Anzahl der Wunden und deren Auswirkungen, was sich auf die<br />

Strafzumessung bzw. die Art der Bestrafung <strong>aus</strong>wirken konnte. Dem Sachverständigen<br />

Rogg wurden deshalb konkrete Untersuchungsaufgaben erteilt. So<br />

sollte er abklären, ob nur eine oder mehrere Wunden am Körper zu finden und<br />

682<br />

683<br />

684<br />

685<br />

Hinterhauptbein, PSCHYREMBEL [2004], S. 1327.<br />

Dok. 10, Stellungnahme des Chirurgen und Hofbarbier Wolff und dessen Sohn.<br />

Dok. 10, Stellungnahme des Chirurgen und Hofbarbier Wolff und dessen Sohn.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 3.<br />

127


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

ob diese zwingend oder eher zufällig tödlich gewesen sei(en). 686 In Beantwortung<br />

dieser Fragen hielt der Leibarzt in seinem Gutachten klar fest, die durch<br />

einen fürchterlich gewaltsamen Streich zwischen dem fünften und sechsten<br />

Halswirbel eingetretene Verletzung könne für sich alleine bereits als tödlich<br />

erachtet werden. Die weiteren am Kopf der Toten gefundenen Wunden konnte<br />

Rogg weder menschlicher Gewalt noch dem Hinunterrollen ins Galgentobel<br />

eindeutig zuordnen. 687<br />

Aus dem Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s geht hervor, dass auch über die Leichen<br />

bzw. Leichenreste von Maria Baumann und Elisabeth Han, die bei der Leiche<br />

von Catharina Himmelberger gefunden wurden, ein visum et repertum eingeholt<br />

wurde. 688 Entsprechende schriftliche Gutachten finden sich bei den Akten<br />

jedoch nicht. Über den Zustand der Leichen war das Gericht jedenfalls relativ<br />

gut informiert, konfrontierte man <strong>Egger</strong> doch wiederholt mit entsprechenden<br />

Einzelheiten.<br />

Eine eigentliche rechtliche Begutachtung des Falles durch sachverständige<br />

Rechtsgelehrte fand augenscheinlich nicht statt. Vor Bekanntgabe des Urteils im<br />

Protokoll verwies der Schreiber Gross zwar auf ein am 3. März 1775 von «ministry,<br />

obervögten, und räthen» erstelltes «rechtliches guetachten». 689 Bei den als<br />

Pfalzräten amtierenden Herren handelte es sich um hohe weltliche Beamte der<br />

Fürstabtei, die – soweit nachvollziehbar – nicht über eine juristische Ausbildung<br />

verfügten. Das erwähnte «rechtliche guetachten» war offenbar vielmehr eine<br />

eigentliche Urteilsberatung der Richter und kein vom Gericht beigezogenes<br />

Sachverständigengutachten im eigentlichen Sinn.<br />

Eine schriftliche Beurteilung der Herren liegt nicht bei den Akten. Immerhin<br />

wurde im Protokoll deren Beurteilung zusammengefasst. Obwohl die von <strong>Egger</strong><br />

behaupteten Motive für den Totschlag und insbesondere die Leichenschändungen<br />

möglicherweise nicht restlos glaubwürdig erschienen, beschloss man unter<br />

dem Hinweis, bereits ein «homicidium dolosum» reiche für die Todesstrafe<br />

durch das Schwert <strong>aus</strong>, auf weitere Abklärungen, insbesondere auf die Anwen-<br />

686<br />

687<br />

688<br />

689<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 1 f.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 2, Ziff. 2.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

128


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

dung der Folter, zu verzichten und den Fall abzuschliessen. Das wiedergegebene<br />

Gutachten ist nicht umfangreich. Es beinhaltet neben «homicidium dolosum»<br />

weitere lateinische Rechtsbegriffe wie «animum occidendi» und «poenam gladii»<br />

690 , ist aber ansonsten nicht rechtlich eingebettet. Erst beim Urteilsspruch<br />

erfolgte ein Bezug auf die Carolina, was vermuten lässt, dass die Rechtsgrundlage<br />

für eine Verurteilung zum Tod im Rahmen der rechtlichen Begutachtung<br />

zwar diskutiert, bei der kurzen Zusammenfassung des Gutachtens im Protokoll<br />

aber nicht eigens erläutert wurde. Weil den Gutachtern wohl ohnehin klar gewesen<br />

sein dürfte, dass ein Totschlag mit dem Tod bestraft werden musste, machte<br />

man sich offenbar nicht die Mühe, Leichenraub und Leichenschändungen rechtlich<br />

sauber zu verorten und zu klassifizieren. Da strafschärfende Arten der Todesstrafe<br />

wie das Rädern und Vierteilen, das Lebendig-Vergraben oder -Verbrennen<br />

und dergleichen in der Zeit des Falls <strong>Egger</strong> ohnehin praktisch nicht<br />

mehr angewendet wurden, sondern die Todesstrafe vornehmlich durch das<br />

Schwert zu vollstrecken war, war eine juristisch zuverlässigere Qualifikation der<br />

Delikte nicht notwendig. Eine solche wäre wohl nur durch die Einholung eines<br />

richtigen rechtlichen Gutachtens auf dem Weg der Aktenversendung möglich<br />

gewesen.<br />

5.4 Generalinquisition<br />

5.4.1 Erste Schritte in der Verbrechensaufklärung<br />

Bestätigten die offiziellen Untersuchungen, dass ein Verbrechen verübt worden<br />

war, begann die Suche nach dem Täter, bei der oft auch das Volk mitwirkte.<br />

Wurde ein Täter nicht gerade auf frischer Tat ertappt oder gestand die Tat, besassen<br />

die Ermittler nur sehr wenige Instrumente, ihn aufzuspüren, den Tathergang<br />

zu rekonstruieren und für eine Anklage <strong>aus</strong>reichende Verdachtsmomente<br />

zusammenzutragen. 691 Das Zeugenverhör war wie erwähnt nicht selten das zentrale<br />

Element der Generalinquisition. Die Verhöre wurden in diesem Verfahrensstadium<br />

in der Regel summarisch durchgeführt. Meist fehlten die im ordentli-<br />

690<br />

691<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91. Siehe auch Kap. 4.9.<br />

WITTKE, Alltag [2002], S. 295.<br />

129


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

chen Prozess üblichen Angaben zur Person fast vollständig, und es wurde nur<br />

der Name des Aussagenden notiert. 692 Eine Vereidigung des Zeugen fand auf der<br />

Stufe der Generalinquisition kaum je statt. Auch Aussagen «vom Hörensagen»<br />

hatten grösseres Gewicht als im Rahmen der Spezialinquisition. 693<br />

War eine Person als Täter bekannt oder dringend verdächtig, so war es im Inquisitionsprozess<br />

Aufgabe der Obrigkeit, sie <strong>aus</strong>findig zu machen. Das Volk<br />

war zur Anzeige verpflichtet. Gasthäuser und andere mögliche Verstecke des<br />

Verdächtigen wurden durchsucht, und oftmals wurden Torwachen angehalten,<br />

die hin<strong>aus</strong>gehenden Personen zu kontrollieren. Nicht selten machte man die<br />

Fahndung unter Trommelschlag öffentlich bekannt und beschrieb den Verdächtigen.<br />

694 War einem Verdächtigen die Flucht <strong>aus</strong> der Stadt oder dem Territorium<br />

gelungen, war er also in ein anderes Herrschaftsgebiet übergewechselt, so wurde<br />

seine Verhaftung und Auslieferung aufgrund der dazu notwendigen aufwändigen<br />

Verhandlungen unwahrscheinlich. Eine Ausnahme bildete die Jagd nach<br />

steckbrieflich gesuchten 695 und vielerorts berüchtigten Mördern oder Räubern,<br />

wenn auf ihre Gefangennahme eine hohe Prämie <strong>aus</strong>gesetzt war. 696<br />

692<br />

693<br />

694<br />

695<br />

696<br />

WITTKE, Alltag [2002], S. 297 und 299.<br />

WITTKE, Alltag [2002], S. 299.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S.13 f.<br />

Zur Bedeutung von Steckbriefen und Fahndungsakten als Quelle zur Alltagsgeschichte im<br />

17. und 18. Jahrhunder VALENTINITSCH [1992], S. 74 f.; siehe auch SCHWERHOFF, Aktenkundig<br />

[1999], S. 37, 110. STAERKLE gibt einen Fall <strong>aus</strong> dem Jahr 1632 wieder, in dem<br />

ein gewisser Ulrich Juppli einen Johann <strong>Egger</strong> in Rotmonten erschlagen habe. Da Juppli<br />

flüchtig war, verlangten die Angehörigen Johann <strong>Egger</strong>s, dass der Verdächtige öffentlich<br />

<strong>aus</strong>geschrieben werde, und zwar am Klosterhof zu St. Gallen und an den Wirtshäusern zu<br />

St. Fiden und zum Weissen Rössli an der Langgasse. Die Ausschreibung wurde im Namen<br />

des Hofmeisters und der weltlichen Pfalzräte erlassen und richtete sich als offener<br />

Brief in direkter Rede an Juppli. Darin wurde der ihm vorgeworfene Totschlag beschrieben,<br />

und er wurde aufgefordert, zum auf den 5. Juli 1632 angesetzten Rechtstag im Wirtsh<strong>aus</strong><br />

zu St. Fiden zu erscheinen; STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 32 ff.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 16. Vor der Reformation war das Kloster St. Gallen<br />

bekanntes Asyl; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 40. Das Asylrecht, das vor allem in<br />

Kirchen und Klöstern, teilweise aber auch in Gasthäusern bestand, beschränkte sich meistens<br />

auf sog. «ehrliche Sachen» wie etwa den Totschlag im Affekt und war entstanden,<br />

um einen Missetäter vor der unmittelbaren (Blut-)Rache durch die Angehörigen zu schützen<br />

und ihm die Möglichkeit zu Sühneverhandlungen zu eröffnen. Mit der Monopolisierung<br />

der Strafverfolgung durch die Landeshoheit wurde das Asylrecht immer stärker eingeschränkt;<br />

im 16. Jahrhundert holte man die geflohenen Verdächtigen teilweise sogar<br />

gewaltsam <strong>aus</strong> Kirchen und Klöstern her<strong>aus</strong>; VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 19; HO-<br />

130


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

In der Fürstabtei war es gemäss Bestallung Aufgabe des Amtsdieners, jemanden<br />

auf Befehl der Obrigkeit gefangenzunehmen, und zwar «bey tag oder<br />

nacht ohne unterschied wohlbedacht, fleissig und getreülich», wozu er nötigenfalls<br />

Gehilfen benennen durfte. 697 Falls solche nicht gleich zur Verfügung standen,<br />

konnte er auch Gottesh<strong>aus</strong>leute, also gewöhnliche Bürger, zur Hilfe aufbieten.<br />

Bei grösseren Verbrechen war der Verhaftete nach St. Fiden zu bringen;<br />

dasselbe galt für verdächtige landsfremde Personen und Gaunergesindel. 698 Der<br />

Amtsdiener hatte für gute Verwahrung zu sorgen, sodass kein Entfliehen möglich<br />

wäre. Er musste die Gefangengenommenen durchsuchen und ihnen alles<br />

abnehmen, womit sie sich selbst Gewalt antun oder sich befreien könnten. Auch<br />

Geld und dergleichen hatte er ihnen abzunehmen und alles dem Fiskal zu übergeben.<br />

699<br />

5.4.2 Vorgehen bis zu <strong>Egger</strong>s Verhaftung<br />

Das Verfahren um den Totschlag und die Leichenschändungen von <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong><br />

ist deutlich von der Inquisitionsmaxime geprägt. Dennoch kam das Verfahren<br />

erst durch die Hartnäckigkeit der Familien von Opfer und Täter richtig ins<br />

Rollen. Bereits einen Tag nach dem Verschwinden seiner Schwester, am 7. Februar<br />

1775, suchte <strong>Joseph</strong> Himmelberger <strong>Egger</strong> auf dessen Hof auf und äusserte<br />

den Verdacht, dieser könnte seine Schwester umgebracht haben. 700 Am 10. Februar<br />

1775, also vier Tage nach dem Verschwinden Catharina Himmelbergers,<br />

wurde <strong>Egger</strong> erstmals offiziell einvernommen. Dieses erste Verhör war jedoch<br />

nicht sehr ergiebig. Die Befragung weist gemäss Protokoll summarischen Charakter<br />

auf. Immerhin wurde <strong>Egger</strong> nach seinem Namen gefragt und gab zu Beginn<br />

der Befragung seinen Bürgerort, sein Alter und den Namen seiner Ehefrau<br />

an. Ansonsten enthält das Verhörprotokoll jedoch nur die Fragen, ob <strong>Egger</strong> die<br />

697<br />

698<br />

699<br />

700<br />

LENSTEIN THOMAS [1934], S. 46; FRAUENSTÄDT [1881], S. 53 ff. Das alte verbriefte<br />

Stadtrecht von Lichtensteig kennt eine Bestimmung zum Asylrecht für Totschläger, siehe<br />

StiASG, Bd. 80, S. 209. Eine interessante Studie zum frühneuzeitlichen Asylrecht für Totschläger<br />

in Coesfeld liefert WITTKE, Asylrecht [1996], S. 109 bis 133.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 1, Ziff. 3.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 2, Ziff. 4.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 2, Ziff. 4.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 2 f.<br />

131


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

vermisste Catharina Himmelberger kenne, wann er sie das letzte Mal gesehen<br />

habe und ob er sie am Montag zuvor in der Frühe gesehen habe. 701 Da <strong>Egger</strong><br />

bestritt, mit Catharinas Verschwinden etwas zu tun zu haben, nahm Hofweibel<br />

Ackermann am 11. Februar 1775, also einen Tag nach der ersten Befragung,<br />

eine Durchsuchung von <strong>Egger</strong>s Hof vor, die aber ergebnislos verlief. 702 Auch<br />

wenn die Befragung <strong>Egger</strong>s nicht eindringlich gewesen war, war sich die Obrigkeit<br />

ihrer Untersuchungspflicht doch bewusst und ging der Sache nach.<br />

Den Fortgang der Ermittlungen gewährleistete daraufhin nicht die Obrigkeit,<br />

sondern die Familie Himmelberger, die insistierte und sich auf andere Weise zu<br />

helfen versuchte. <strong>Joseph</strong> Himmelberger bat den Wirt Christian Louis, auf <strong>Egger</strong><br />

einzuwirken und ein Geständnis von ihm zu erlangen. Auch <strong>Egger</strong>s eigene Familie<br />

war misstrauisch geworden, sodass schliesslich sein Schwager <strong>Joseph</strong><br />

Bensegger und sein Stiefvater Johannes Kunz ihn mit ihrem Verdacht konfrontierten.<br />

Als <strong>Egger</strong> ihnen die Tat gestand, informierte <strong>Joseph</strong> Bensegger Catharinas<br />

Bruder, Jacob Himmelberger, und beide zusammen suchten den Hatschier<br />

und mit diesem den Hofweibel auf. Dieser schritt zur Tat und verhaftete <strong>Egger</strong><br />

noch in derselben Nacht, am 14. Februar 1775. Die Akten verraten nicht, ob er<br />

nach der Verhaftung durchsucht wurde.<br />

Zwar waren es letztlich die Familien des Opfers und des Täters, die den Ausschlag<br />

zur Verhaftung <strong>Egger</strong>s gaben, und es lässt sich darüber spekulieren, ob<br />

die Obrigkeit nicht zu früh hätte aufgeben wollen, anstatt bereits vor der Verhaftung<br />

generalinquisitorisch eine umfassendere Untersuchung mit Zeugeneinvernahmen<br />

einzuleiten. Da nach der H<strong>aus</strong>durchsuchung bis zur Verhaftung jedoch<br />

nur zwei Tage vergingen, ist durch<strong>aus</strong> möglich, dass die offizielle Untersuchung<br />

noch nicht eingestellt worden wäre. Darauf deutet auch ein Hinweis des Wirts<br />

Louis hin, der <strong>Egger</strong> beim Gespräch vom 12. Februar 1775 mitteilte, dass «die<br />

obrigkeit nur noch 2 tag ruehe, als dann gehe es wider auf ein neues an». 703<br />

Nach der Verhaftung war die aktive Rolle der Familienangehörigen insoweit<br />

zu Ende, als die Inquisitionsmaxime voll zum Tragen kam und für die Fortfüh-<br />

701<br />

702<br />

703<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht, S. 1 und 2.<br />

Dok. 3, erste Befragung <strong>Egger</strong>s und Amtsbericht.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.<br />

132


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

rung der Untersuchung kein Kläger benötigt wurde. Die Familienmitglieder<br />

nahmen fortan «lediglich» noch Zeugenstellung ein.<br />

Weder Jacob Himmelberger noch <strong>Joseph</strong> Bensegger oder Johannes Kunz,<br />

noch der Wirt Louis kamen offenbar auf die Idee, <strong>Egger</strong> selbst überwältigen und<br />

einsperren zu wollen. Während insbesondere der Wirt gar nicht handelte – und<br />

damit seine ihm aufgrund der Landsatzungen obliegende Anzeigepflicht verletzte<br />

–, wandten sich <strong>Joseph</strong> Bensegger und Jacob Himmelberger gemeinsam an<br />

Hatschier Greuter. Auch dieser schritt erst zur Verhaftung <strong>Egger</strong>s, nachdem er<br />

Hofweibel Ackermann informiert und von ihm wohl einen «Haftbefehl» ent<strong>gegen</strong>genommen<br />

hatte. Nach Lage der Akten hatte das Verhalten des Wirts für<br />

diesen offenbar keine Folgen. Dies, obwohl Louis am 14. Februar 1775 freimütig<br />

<strong>aus</strong>sagte, er habe sich <strong>Egger</strong>s nach dessen Geständnis annehmen wollen und<br />

mit ihm vereinbart, dass er nach seiner Anzeige ein weisses Tuch an sein Fenster<br />

hänge, falls Gutes zu hoffen sei. Diesfalls könne <strong>Egger</strong> zu ihm ins H<strong>aus</strong><br />

kommen. Würde er jedoch etwas Schlechtes befürchten, hänge er etwas Rotes<br />

ans Fenster, und <strong>Egger</strong> dürfe nicht eintreten. 704 Louis gab also unumwunden zu,<br />

dass er die Absicht gehabt hatte, <strong>Egger</strong> zur Flucht zu verhelfen. Obwohl er damit<br />

die offizielle Strafverfolgung vereitelt oder zumindest erschwert hätte, wurde<br />

er deswegen offenbar nicht einmal getadelt, geschweige denn bestraft.<br />

<strong>Egger</strong> war vor seiner Festnahme grundsätzlich bereit zur Flucht, schien er<br />

doch die Folter über alle Massen zu fürchten und rechnete für den Fall einer<br />

Verurteilung wohl mit der Todesstrafe. Gegenüber dem Wirt Louis äusserte er<br />

jedoch, es sei eine schreckliche Sache, das Vaterland für alle Zeit meiden zu<br />

müssen. 705 Ihm war also bewusst, dass er sich durch eine Flucht <strong>aus</strong> dem Untertanengebiet<br />

der Fürstabtei mit grosser Wahrscheinlichkeit der Verhaftung und<br />

der Bestrafung würde entziehen können.<br />

704<br />

705<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 6.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.<br />

133


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

5.5 Spezialinquisition<br />

5.5.1 Entwicklung und Stellenwert der Verfahrensrechte<br />

Der Inquisitionsprozess mit seinem Bestreben, der «Wahrheit» auf den Grund<br />

zu gehen, bot dem Angeschuldigten zumindest die Chance, seine Unschuld darzulegen.<br />

Art. 47 CCC gewährte dem Angeschuldigten die Möglichkeit der Führung<br />

eines Entlastungsbeweises, der bei entsprechenden Indizien zugelassen<br />

werden musste. 706 Die Prüfung von Beweismitteln oder Indizien, die der Angeschuldigte<br />

als Entlastungsmaterial nannte, lag also nicht im völlig freien Ermessen<br />

des Richters. 707 Um eine wirkungsvolle Verteidigung zu gewährleisten, sollten<br />

dem Angeschuldigten alle Verdachtsgründe mitgeteilt werden. 708 Er sollte<br />

gemäss Carolina mit den Zeugen<strong>aus</strong>sagen konfrontiert werden und schriftlich<br />

«einrede und schutzrede» einreichen dürfen. 709 Wenn auch das Ausmass der Akteneinsicht<br />

bei den Rechtsgelehrten der frühen Neuzeit längere Zeit umstritten<br />

war, so war man sich doch weitgehend darüber einig, dass dem Angeschuldigten<br />

Einsicht zu gewähren war. 710 Diese Schutzrechte wurden freilich bei Weitem<br />

nicht immer eingeräumt; gerade im Zusammenhang mit der Anwendung der<br />

Folter kam es oftmals zu Missbrauch. 711<br />

Der Angeschuldigte hatte gemäss Regelung der Carolina im Übrigen auch ein<br />

Recht auf formelle Verteidigung durch den Beizug eines mit speziellen Rechten<br />

<strong>aus</strong>gestatteten Beistands, dessen Kosten sogar von der Obrigkeit getragen wurden,<br />

wenn der Beschuldigte arm war und niemanden hatte, der ihn unterstützen<br />

konnte. 712 Ein solcher Verteidiger musste aber nicht von Amtes wegen, sondern<br />

nur auf entsprechendes Verlangen des Angeklagten beigegeben werden. 713 Seit<br />

dem 18. Jahrhundert waren sich jedoch zumindest die Rechtsgelehrten darüber<br />

706<br />

707<br />

708<br />

709<br />

710<br />

711<br />

712<br />

713<br />

IGNOR [2002], S. 79 f.; PÖLTL [1999], S. 48. KLEINSCHROD, Richter [1798] betrachtete es<br />

als heiligste Pflicht des Richters, «eben so für die Feststellung der Unschuld, wie für jene<br />

der Schuld zu sorgen», Bd. 1, St. 1, § 14, S. 31.<br />

IGNOR [2002], S. 79.<br />

HENSCHEL [1972], S. 28.<br />

Art. 73 CCC.<br />

IGNOR [2002], S. 80 f.; HENSCHEL [1972], S. 46 f.<br />

HENSCHEL [1972], S. 30 f.; WESEL [2006], S. 397.<br />

Art. 73 und 154 CCC.<br />

HENSCHEL [1972], S. 38.<br />

134


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

einig, dass die formelle Verteidigung bei schweren und schwersten Verbrechen<br />

714 vor Anwendung der Folter und vor dem Urteilsspruch zwingend notwendig<br />

sei. 715 Mitunter wurde aber die Ansicht vertreten, dass beim Verhör kein<br />

Anwalt zuzulassen sei, da es nicht um rechtliche Fragen, sondern um die Handlungen<br />

des Verdächtigen gehe. 716<br />

Laiengerichte wehrten sich oftmals <strong>gegen</strong> juristisch gebildete Parteivertreter<br />

mit dem Argument, eine einseitige Interessenvertretung führe zu unnötigen Prozessen<br />

und überlaste die Gerichte. 717 Die Advokaten, die nicht unter hoheitlicher<br />

Kontrolle standen, würden durch ihr einseitiges und rücksichtsloses Eintreten<br />

für die Interessen einer Partei der Verwirklichung des objektiven Rechts schaden,<br />

so die bisweilen vertretene Meinung. 718 Hinter solchen Argumenten steckte<br />

wohl nicht zuletzt die Sorge, durch Juristen überfordert zu werden. 719<br />

Das Konzept der Pfalzratsordnung von 1733 hielt für alle vor dem Pfalzgericht<br />

stattfindenden Prozesse (also nicht nur für Strafsachen) fest, den Parteien<br />

sei von Anfang an mitzuteilen, dass sie sich nicht<br />

«nur zum rechtstandt im pfaltzrath selbsten, sondern auch zu vorläufiger information an<br />

behörigen orthen mit geschickthen, und erfahrenen advocaten oder beyständen versehen<br />

sollen, wobey dann auch auf alle weis zu trachten ist, dass keine unbekante, verläumbde,<br />

übel berüchtigte oder suspecte personen zu disem ambt gezogen, oder gelassen [werden]».<br />

720<br />

Dass diese «erfahrenen advocaten» aber juristisch geschult sein sollten, ist<br />

wenig wahrscheinlich. Dem Pfalzrat gehörten wohl nur selten Juristen an, weshalb<br />

man den Beizug von fachlich überlegenen Parteivertretern kaum begrüsst<br />

hätte.<br />

714<br />

715<br />

716<br />

717<br />

718<br />

719<br />

720<br />

Nicht darunter fielen geringere Straftaten, die keine Leibesstrafe nach sich ziehen könnten;<br />

HENSCHEL [1972], S. 40.<br />

Mit weiteren Hinweisen IGNOR [2002], S. 117.<br />

Die Anwesenheit eines Anwalts wurde bisweilen nicht nur als überflüssig, sondern sogar<br />

als schädlich betrachtet; KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 31, S. 105.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 117, Rz. 181, siehe auch S. 116, Rz. 179.<br />

BAUMANN ROBERT [2008], S. 45.<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 117, Rz. 181.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 20, Ziff. 11; vgl. auch S. 85 f.<br />

135


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Im Weiteren sah die Pfalzratsordnung eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung<br />

vor, damit «niemandt armueth halber rechtloss gelassen werde». 721 Die<br />

Armen mussten ihre Armut kundtun und zur Anzeige bringen, wobei das Gericht<br />

bei der Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung nicht zu mild sein<br />

sollte. Die Bedürftigen hatten ihre Armut mit einem Eid zu bezeugen, wenn ihre<br />

Not und Mittellosigkeit nicht «von selbsten kundtbahr» war. 722 Sollte eine bedürftige<br />

Partei mutwillig zu einem Prozess Anlass geben, so konnte diese mit<br />

Gefangenschaft oder auf andere Weise durch den Pfalzrat gestraft werden. 723<br />

Auch in der Stadt St. Gallen kannte und begrüsste man den Beizug eines Fürsprechers<br />

im Prozess. Gemäss einer im Jahr 1701 gedruckten 16-seitigen Anleitung<br />

eines anonymen Autors zum St. Galler Malefizprozess forderte der Reichsvogt<br />

jene, die vor Gericht zu klagen oder zu antworten hatten, auf, sich «verfürsprechen»<br />

zu lassen. 724 So kam erst der Fürsprecher des Klägers und danach<br />

derjenige des «Antworters» zu Wort. 725 Daraufhin konnten die Fürsprecher um<br />

Zuteilung von einem oder zwei der Urteilssprecher «zu Rathgeberen und<br />

Beyständeren» ersuchen. Bei schweren Verbrechen, wenn «die Sach hoch und<br />

schwär und das Blut betreffen mag», wurden dem Kläger und dem Antworter je<br />

zwei der Rechtsprecher als Berater zugewiesen. 726 Sie sollten unter Eid den Parteien<br />

beistehen, so oft diese es wünschten, und ihnen das nach ihrem Verständnis<br />

Beste raten. 727 Der Kläger hatte schliesslich mit Hilfe der Beistände eine<br />

Klage zu verfassen und zu verlesen und der Antworter Stellung zu nehmen. 728<br />

721<br />

722<br />

723<br />

724<br />

725<br />

726<br />

727<br />

728<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 108.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 108.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 109.<br />

Autor anonym, Process[1701], S. 5. Die Schrift beinhaltet eine genaue Beschreibung des<br />

Ablaufs eines Strafprozesses.<br />

Autor anonym, Process [1701], S. 5 f.<br />

Autor anonym, Process [1701], S. 7.<br />

Autor anonym, Process [1701], S. 8.<br />

Autor anonym, Process [1701], S. 8 f.<br />

136


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

5.5.2 Exkurs: Fürstäbtische Verhaltensvorschriften für Anwälte und<br />

Pfalzräte<br />

Das Konzept der Pfalzratsordnung von 1733 gab klare Verhaltensanweisungen<br />

an die Anwälte und Beistände. Sie sollten den Pfalzräten in aller Ehrerbietigkeit<br />

<strong>gegen</strong>übertreten 729 und sich in ihren Reden und Schriften gebührender Bescheidenheit<br />

befleissen. 730 Der Advokat hatte dem Klienten seinen Rat und seine Bedenken<br />

mitzuteilen, ihn nach Recht und Billigkeit zu unterrichten und unnötige,<br />

mutwillige oder vergebliche Prozesse zu verhindern versuchen. 731 Die Beistände<br />

sollten gleichmässig mit der Vertretung betraut werden und entsprechende Aufträge<br />

ohne Widerrede annehmen und ebenso fleissig behandeln wie andere Fälle.<br />

732 Weiter wollte das Konzept der Pfalzratsordnung ein unparteiisches Verfahren<br />

garantieren, indem es den Pfalzräten vorschrieb, sich vor Parteien und Zeugen<br />

neutral zu verhalten und sich allfällige Ungunst und Widerwillen nicht anmerken<br />

zu lassen. Sie durften Vorurteile ebensowenig zeigen wie Vertrautheit oder<br />

besondere Zuneigung zu den Parteien, Advokaten, Vögten und Beiständen.<br />

Vermutete jemand eine Voreingenommenheit, so hatte er den Hofkanzler darüber<br />

zu informieren. Dieser sollte die Betroffenen kurz «und ohne ein unordnung<br />

zu machen» dazu befragen und das Weitere beobachten. 733 War einer der<br />

Pfalzräte mit einer Partei blutsverwandt, verschwägert oder stand mit ihr «in<br />

würckhlicher fründtschafft», so hatte er dies dem Präsidenten anzuzeigen und in<br />

den Ausstand zu treten, musste «also gleich ohne auffschub abtretten, und sich<br />

deren berathschlagung gänzlich enthalten». 734 War das Pfalzgericht als Appellationsinstanz<br />

tätig, galt dasselbe, wenn einer der Pfalzräte in derselben Sache in<br />

729<br />

730<br />

731<br />

732<br />

733<br />

734<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 86.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 92. Die Anwälte sollten «[...] sich auch aller unnöthigen<br />

weitläuffigkeit, und ohnanständiger hiz enthalten, auch alle schimpfflichangreiffliche,<br />

und ohnnüze reden so wohl <strong>gegen</strong> dem richter, als ihrem <strong>gegen</strong>theill, und<br />

beystände vermeyden [...]», Konzept S. 93.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 88.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 108 f.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 32.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 39.<br />

137


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

der ersten Instanz als Richter oder Advokat oder in sonst einer Form tätig gewesen<br />

war. 735<br />

Von den Pfalzräten wurde gewünscht, dass sie den Verhandlungen fleissig<br />

beiwohnten. Die Ordnung erwähnte <strong>aus</strong>drücklich, dass auch die Obervögte der<br />

Vogteien, in denen sich die zu beurteilende Angelegenheit zugetragen hatte,<br />

anwesend zu sein hatten, damit sie über alles gründliche Information erteilen<br />

und umso nachdrücklicher «pro justitia» mitwirken könnten. Die Pfalzräte sollten<br />

sich in den Stifts- und Landrechten, Sprüchen, Verträgen, Offnungen, alten<br />

löblichen Gewohnheiten, Observanzen und Übungen «wohl fundiert machen»,<br />

um insbesondere der «administration der lieben justiz mit ruhm, und nuzen»<br />

dienen zu können, sodass «nach bestem vermögen hülff, recht, rath, und trost<br />

verschafft werden möge». 736 Es war also der erklärte Wille, möglichst umfassend<br />

informierte und sachkundige Pfalzräte einzusetzen. Da die juristische Bildung<br />

in der Schweiz erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts an Ansehen zu gewinnen<br />

begann, 737 ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass die Pfalzräte meist juristische Laien<br />

waren.<br />

Nach <strong>aus</strong>reichender Befragung und Anhörung der Parteien sollten die Pfalzräte<br />

gemäss ihrem Rang ordentlich aufgerufen werden. Jeder war gehalten, sein<br />

Votum kurz, gründlich und substantiiert wiederzugeben, wobei er seinen Vorredner<br />

nicht wiederholen sollte. 738 Die Räte sollten einander ruhig <strong>aus</strong>reden lassen<br />

und gut zuhören. Sollte jemand eine Frage an den Referierenden haben oder<br />

diesen an etwas erinnern wollen, so hatte er sich dies zu notieren und zu warten,<br />

bis es an ihm war, sein Votum vorzubringen. 739<br />

735<br />

736<br />

737<br />

738<br />

739<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 39. Dies war zumindest bei schwereren Straftaten<br />

oftmals nicht relevant, da diese nicht von einem Niedergericht, sondern direkt vom Pfalzrat<br />

beurteilt wurden.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 21 f., Ziff. 12.<br />

BAUMANN ROBERT [2008], S. 45.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 33.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 42.<br />

138


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

5.5.3 Die Verfahrensrechte <strong>Egger</strong>s<br />

Im Rahmen des Verhörs hatte <strong>Egger</strong> wiederholt Gelegenheit zur materiellen<br />

Verteidigung. Das Verhör war umfassend. Das Gericht setzte immer wieder aufs<br />

Neue bei denselben Punkten an und forschte nach Erklärungen für <strong>Egger</strong>s Verhalten.<br />

Man bemühte sich nach Kräften, <strong>Egger</strong>s Taten zu verstehen, und scheute<br />

kaum einen Aufwand, den Sachverhalt und die Motive <strong>Egger</strong>s genau abzuklären.<br />

Darauf deuten nicht nur die eingeholten medizinischen Berichte von Leibarzt<br />

Rogg, Chirurg Wolff und dessen Sohn sowie die Amtsberichte des Hofweibels,<br />

des Fiskals und des Hatschiers hin, sondern insbesondere auch die zahlreichen<br />

Zeugenbefragungen, die mit vielen Menschen <strong>aus</strong> dem Umfeld <strong>Egger</strong>s<br />

durchgeführt wurden. Auch dem Hinweis auf seine «Experimente» mit den Leichen<br />

von Maria Baumann und Elisabeth Han ging man so gut als möglich nach,<br />

indem man Johannes Geser <strong>aus</strong>findig machte und <strong>aus</strong>führlich einvernahm. 740<br />

Offenbar gab es keine Rechtsverbeiständungen, weder auf Seiten des Angeklagten<br />

noch auf Seiten der Zeugen. <strong>Egger</strong> hätte nach Meinung der Rechtsgelehrten<br />

des 18. Jahrhunderts zwingend ein Beistand zugeordnet werden müssen,<br />

da er Straftaten begangen hatte, für die er mit der Lebens- oder zumindest mit<br />

einer Leibesstrafe rechnen musste. Auch nach dem Konzept der Pfalzratsordnung<br />

von 1733 wäre der Beizug eines erfahrenen Advokaten vorgesehen gewesen.<br />

741 Die <strong>aus</strong>führlichen Protokolle enthalten jedoch keinen Hinweis darauf,<br />

dass <strong>Egger</strong> ein Berater zur Seite gestanden hätte, oder auch nur darauf, dass sich<br />

je einer der am Verfahren Beteiligten überlegt hätte, <strong>Egger</strong> einen Beistand zu<br />

gewähren. Wahrscheinlich wurde er über dieses grundsätzlich bestehende Recht<br />

gar nicht informiert, enthält doch das Protokoll dazu trotz seiner Ausführlichkeit<br />

und Genauigkeit keine Angaben. Jedenfalls ist auch aufgrund von <strong>Egger</strong>s unstrukturierten,<br />

sich teilweise widersprechenden und die Wahrheit nur zögerlich<br />

ans Licht bringenden Aussagen unwahrscheinlich, dass <strong>Egger</strong> in irgendeinem<br />

Schritt des Verfahrens ein Beistand zur Verfügung gestanden hatte.<br />

Ohne einen Beistand, der lesen konnte, nützte <strong>Egger</strong> das Recht auf Akteneinsicht<br />

im engeren Sinne nichts, war er selbst des Lesens doch nicht mächtig. Das<br />

Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s lässt darauf schliessen, dass man ihm nicht alle<br />

740<br />

741<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 20, Ziff. 11.<br />

139


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

protokollierten Zeugen<strong>aus</strong>sagen und Amtsberichte vorlas. Im Verhörprotokoll<br />

explizit erwähnt ist nur, dass ihm die Zeugen<strong>aus</strong>sage des Scharfrichterknechts<br />

Franz <strong>Antoni</strong> Ritter vom 18. Februar 1775 vorgelesen wurde. 742 Während der<br />

Einvernahme bezog sich der Befrager zwar ab und zu auf Erkenntnisse, die im<br />

Rahmen des Verfahrens gewonnen worden waren. Insbesondere die Aussagen<br />

im Bericht von Leibarzt Rogg wurden <strong>Egger</strong> nach und nach mitgeteilt, als er<br />

kontinuierlich bestritt, mehr als einmal mit der Mistgabel auf Catharina Himmelberger<br />

eingeschlagen zu haben. Das Gericht forderte <strong>Egger</strong> nach einigen<br />

Fragen zum Tathergang auf, er solle nicht so unverschämt lügen, man habe den<br />

Körper visitiert. 743 In verschiedenen Verhöretappen wurde er mit den Erkenntnissen<br />

des Leibarztes über den Zustand der drei Leichen konfrontiert. 744 Er blieb<br />

jedoch in Unkenntnis darüber, wer den Körper begutachtet hatte, und erhielt nie<br />

ein umfassendes Bild von den Feststellungen Roggs. Zu keinem Zeitpunkt des<br />

Verfahrens schien <strong>Egger</strong> darüber informiert worden zu sein, wer als Zeuge vernommen<br />

wurde, welche Fragen den Zeugen gestellt worden waren und welche<br />

Antworten die Einvernehmenden darauf erhalten hatten.<br />

5.5.4 Das Verhör<br />

5.5.4.1 Befragung des Angeschuldigten ohne Folter<br />

Im Rahmen der Spezialinquisition war das zentrale Beweismittel, das glaubwürdige<br />

Geständnis des Inquisiten, durch das artikulierte Verhör, die Konfrontation<br />

oder als ultima ratio durch Folter zu erlangen. 745 Da im Zuge der Aufklärung<br />

die Folter kritischer beäugt und im 18. Jahrhundert schliesslich immer seltener<br />

angewendet wurde, 746 erreichte die Fragetechnik im Verhör einen grösseren<br />

Detaillierungsgrad und wurde immer <strong>aus</strong>gefeilter. Vorformuliertes wurde<br />

zurückgedrängt, dafür wurden im Verhör unmittelbar gewonnene Informationen<br />

742<br />

743<br />

744<br />

745<br />

746<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 149.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 104.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen 117, 123 f., 126.<br />

HÄRTER [2000], S. 469.<br />

Siehe sogleich Kap. 5.5.4.2.<br />

140


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

genutzt, um den Inquisiten während der oft lange dauernden Verhöre stärker<br />

unter Druck zu setzen.<br />

Neben der konkreten Tat wurde das Leben des Verdächtigen vermehrt beachtet.<br />

Man forschte nach dem Lebenswandel und dem sozialen Status, früheren<br />

Strafen und Verfahren und allfälligen weiteren Taten, von denen die Untersuchenden<br />

noch keine Kenntnis hatten. 747 Sollten sich im Laufe des Verfahrens<br />

Anzeichen für ein weiteres Verbrechen finden, so wurde mitunter empfohlen,<br />

zur Erforschung jenes Verbrechens ein separates Verhör durchzuführen. Bei<br />

einigermassen beträchtlichen Verbrechen sei es nicht zweckmässig, diese zusammen<br />

zu untersuchen; der Ordnung halber seien vielmehr getrennte Prozesse<br />

mit eigenen Aktenfaszikeln durchzuführen. 748 Im Mittelpunkt der Fragen stand<br />

jeweils die Rekonstruktion des Verbrechens; die Ergründung der Motive war in<br />

der Regel zweitrangig. Die Befragung zielte auf die Überführung des Verdächtigen<br />

ab und nicht etwa auf seine mögliche Entlastung. 749<br />

Selbst wenn auf körperliche Gewalt im Verhör verzichtet wurde, waren die<br />

Verhörenden häufig einfallsreich bei der Herbeiführung eines Geständnisses.<br />

Obwohl die Amtsleute und Untersuchungsrichter keine geschulten Kriminalbeamten<br />

im heutigen Sinn waren, verfügten sie oft über grosse praktische Erfahrung<br />

im Umgang mit Untersuchungsgefangenen. Sie hatten den Machtvorteil<br />

auf ihrer Seite und verstanden es nicht selten, erheblichen psychischen Zwang<br />

<strong>aus</strong>zuüben. 750 Sie ermahnten zur Wahrheit 751 , schritten erforderlichenfalls zur<br />

Wiederholung des Verhörs, versuchten, den leugnenden Beschuldigten in Widersprüche<br />

zu verwickeln und vorhandene Widersprüche <strong>gegen</strong> ihn zu verwenden.<br />

Über das Ergebnis der Ermittlungen liess man den Inquisiten im Dunkeln<br />

oder teilte ihm Beweisergebnisse jedenfalls nur mit grösster Zurückhaltung mit.<br />

Die eigentliche Zermürbungstaktik enthielt neben den Wiederholungen der Be-<br />

747<br />

748<br />

749<br />

750<br />

751<br />

HÄRTER [2000], S. 469.<br />

KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 12, S. 26 f.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 25.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62.<br />

Die Ermahnung zur Wahrheit sollte nicht nur zu Beginn des Verhörs erfolgen. KLEIN-<br />

SCHROD hielt 1798 beispielsweise fest, die Ermahnung zur Wahrheit «muss aber im Fortgange<br />

des Processes so oft wiederholt werden, als sich eine specielle Gelegenheit dazu<br />

darbietet [...]; wenn z.B. der Inquisit in Rührung geräth, wenn ihm Lügen und Widersprüche<br />

vorgehalten werden»; KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 3, S. 5.<br />

141


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

fragung Überraschungs- und Überrumplungsmanöver, etwa in Form von unerwarteten<br />

Gegenüberstellungen. 752 Die Konfrontation des Inquisiten mit Zeugen<br />

konnte den psychologischen Druck bedeutend erhöhen und wurde damit ein<br />

wichtiger Bestandteil des Verhörs. 753<br />

KLEINSCHROD empfahl in seinem 1798 gedruckten Leitfaden für Richter unter<br />

anderem, man solle den Verdächtigen im Allgemeinen merken lassen, dass<br />

man <strong>gegen</strong> ihn Beweise und Gründe in Händen habe, die es ihm schwer machen<br />

würden, sich mit Lügen durchzuhelfen, und dass am Ende die Wahrheit doch<br />

her<strong>aus</strong>kommen werde. 754 Der Inquisit sollte in eine Gemütsverfassung versetzt<br />

werden, die ihn eher geständig machen würde, was etwa erreicht werden könne,<br />

indem man ihn erschüttere, in Schrecken oder Rührung versetze. 755 . Der Richter<br />

sollte im Weiteren das Verhör der Gemütsart oder Hauptleidenschaft des Angeklagten<br />

anpassen: Den Geizigen sollte er mit einer Geldstrafe, den Wohllüstling<br />

mit körperlicher Unbequemlichkeit bedrohen. 756 Den Trägen und Weichlichen<br />

sollte er durch öftere Verhöre in seiner Gemächlichkeit stören und ihn bewegen,<br />

lieber zu gestehen. Den Stolzen sollte er sich durch eine herablassende Handlung<br />

annähern und ihn vertraulich machen. 757<br />

Im Rahmen des artikulierten Verhörs sollte der Spruchstelle bzw. dem allenfalls<br />

begutachtenden Rechtsgelehrten oder der Universität ein möglichst genauer<br />

Einblick in den Gang der Untersuchung gewährt werden. Die Frageartikel waren<br />

derart aneinanderzureihen, dass sie im Falle der Bejahung durch den Beschuldigten<br />

ein volles Geständnis der Täterschaft ergeben würden. 758 Seit dem<br />

752<br />

753<br />

754<br />

755<br />

756<br />

757<br />

758<br />

HENKEL [1968], S. 49. In vielen Protokollen wird der Leser Zeuge davon, wie der Widerstand<br />

des Verhörten erschlafft und sein Leugnen an Entschiedenheit verliert, bis er plötzlich<br />

zusammenbricht, SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62 f.<br />

HÄRTER [2000], S. 470.<br />

KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 3, S. 6.<br />

KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 21, S. 78.<br />

KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 3, S. 6.<br />

KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 16, S. 68 f. Ebenda führt der Autor weiter<br />

<strong>aus</strong>, der Richter müsse den Inquisiten aber immer mit Güte und Herablassung behandeln<br />

und nur dann Schärfe gebrauchen, wenn sie unumgänglich sei. Sei der Richter gleich zu<br />

Beginn rau und scharf, so mache er den Inquisiten gewiss stutzig und hartnäckig und entferne<br />

ihn auf immer von sich.<br />

HENKEL [1968], S. 47.<br />

142


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

18. Jahrhundert gab es Praxishandbücher und juristische Literatur mit Verhörund<br />

Frageschemata, die «psychologische» Verhörtechniken schulen sollten. 759<br />

War der Widerstand erst einmal gebrochen, so entstand oftmals ein wahrer<br />

Bekennungsdrang des Beschuldigten, der in einer Art Lebensbeichte mündete. 760<br />

Ein Beispiel dafür ist vorliegend der Fall von Elisabeth Han. Sie gestand<br />

schliesslich detailliert eine ganze Reihe von über Jahre hinweg <strong>aus</strong>geübten<br />

Diebstählen, von denen die Obrigkeit ohne ihr Geständnis wohl nichts erfahren,<br />

geschweige denn sie ihr zugeordnet hätte. 761<br />

5.5.4.2 Folter und weitere Druckmittel<br />

Zur Einhaltung der erläuterten strengen Beweisregeln der Carolina wurde die<br />

Folter lange Zeit als notwendig erachtet. Sie war ein von Staat und Kirche anerkanntes<br />

Mittel zur Wahrheitsfindung, das nach der Logik des Inquisitionsprozesses<br />

konsequenterweise notwendig war. 762 War das Geständnis des Angeschuldigten<br />

nicht durch das gewöhnliche Verhör zu erlangen, so konnte unter<br />

gewissen Vor<strong>aus</strong>setzungen 763 die Folter angewendet werden, wobei sie umso<br />

weiter gehen durfte, je stärker die Verdachtsmomente <strong>gegen</strong> den Inquisiten waren.<br />

764 Die Folter kam erst im Rahmen der Spezialinquisition zur Anwendung. 765<br />

Die Carolina führte zur Folterfrage eine Reihe von Bestimmungen zugunsten<br />

des Angeklagten ein. 766 So war diesem vor dem Entscheid, ob peinlich befragt<br />

759<br />

760<br />

761<br />

762<br />

763<br />

764<br />

765<br />

766<br />

So etwa KLEINSCHRODS «Über die Rechte, Pflichten und Klugheitsregeln des Richters<br />

bey peinlichen Verhören und der Erforschung der Wahrheit in peinlichen Fällen» [1798],<br />

Bd. 1, St. 1, S. 1 ff. und Bd. 2, St. 2, S. 67 ff.; BRUNS [1994], S. 124; HÄRTER [2000],<br />

S. 470.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 63.<br />

StiASG, Bd. 1073, S. 613 ff.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 29.<br />

Vgl. Art. 20 CCC. Insbesondere mussten schwerwiegende Verdachtsgründe <strong>gegen</strong> die<br />

Schuld des leugnenden Angeklagten sprechen; vgl. die Ausführungen zum Indizienbeweis<br />

in Kap. 5.3.1 sowie BALDAUF [2004], S. 90 f.<br />

PÖLTL [1999], S. 42.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 166.<br />

Übersichtliche Darstellung bei BALDAUF [2004], S. 90 ff.; mit pointierten Hinweisen auf<br />

die Notwendigkeit einer Reglementierung QUANTER, Folter [1900], S. 166. Siehe auch<br />

SCHILD, Verfahren [1989], S. 198 f.<br />

143


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

werden durfte, die Gelegenheit zu geben, sich zu entlasten und namentlich ein<br />

Alibi beizubringen, das der Richter überprüfen musste. 767 Gefoltert werden durfte<br />

nur, wenn die Indizien <strong>gegen</strong> den Angeklagten schwerer wogen als die Hinweise<br />

auf seine Unschuld. 768 Suggestivfragen waren verboten. 769 Ein unter Folter<br />

abgelegtes Geständnis durfte nicht protokolliert oder verwertet werden. 770 Vielmehr<br />

musste das Geständnis dem Angeklagten vom Richter in Gegenwart von<br />

zwei Schöffen einen oder mehrere Tage nach der Folterung nochmals vorgehalten<br />

und auf seine Glaubwürdigkeit hin überprüft werden. 771 Widerrief der Angeklagte<br />

ein glaubhaftes Geständnis, so war entweder die peinliche Befragung zu<br />

wiederholen oder der Beweis zuzulassen, «dass der gefangen solch bekantnuss<br />

<strong>aus</strong>s irrsal gethan, alssdann mag der Richter den selben gefangen, zu <strong>aus</strong>sfürung<br />

vnd beweisung solchs irrsals zulassen». 772 Wurden die Vorschriften der Carolina<br />

bei Anwendung der Folter nicht eingehalten, so sollte dies zur Bestrafung der<br />

Richter durch ihr Obergericht führen, während die rechtmässige, aber ergebnislose<br />

Folter straffrei blieb. 773<br />

Trotz dieser Reglementierungen bleibt als Mangel der Carolina zu erwähnen,<br />

dass die Folter in Art, Intensität und Dauer nicht geregelt wurde, sondern ins<br />

Ermessen des Richters gestellt blieb. 774 Immerhin dürfte durch die erwähnten<br />

Einschränkungen zugunsten des Angeklagten die vor Geltung der Carolina herrschende<br />

Willkürpraxis erheblich eingeschränkt worden sein. 775<br />

Die Folter wurde einem Angeklagten in der Regel zuerst angedroht. So wurde<br />

im Rahmen einer verbalen Androhung dem Angeklagten oftmals der Folter-<br />

767<br />

768<br />

769<br />

770<br />

771<br />

772<br />

773<br />

774<br />

775<br />

Art. 47 CCC.<br />

Art. 28 CCC.<br />

Art. 56 CCC. Das Ziel, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, wird gemäss diesem Artikel<br />

«[...] etwa damit verderbt, wenn den gefangen jn annemen oder fragen, die selben<br />

vmbstende der missethat vorgesagt vnd darauff gefragt werden. [...]». Vgl. auch KLEIN-<br />

SCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 13, S. 28.<br />

Art. 58 CCC.<br />

Art. 56 CCC.<br />

Art. 57 CCC.<br />

Art. 61 CCC; BALDAUF [2004], S. 93.<br />

Art. 58 CCC; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 54; GSCHWEND, Geständniszwang [2006],<br />

S. 166.<br />

BALDAUF [2004], S. 94.<br />

144


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

meister vorgestellt. 776 Er zeigte dem Angeklagten die Folterkammer und die Folterinstrumente<br />

und erklärte ihm detailliert deren Verwendung. 777 Erfolgte im<br />

Anschluss daran kein Geständnis, wurden die Instrumente in Bereitschaft versetzt<br />

oder dem Angeklagten ohne Schmerzzufügung angelegt. Allenfalls wurden<br />

bereits leichte Schmerzen zugefügt. Zur eigentlichen Folter kam es erst, wenn<br />

der Angeklagte nach diesem Prozedere noch immer nicht gestehen wollte. 778<br />

Das Schicksal der Folter drohte nicht nur dem Angeschuldigten, sondern<br />

auch den Zeugen. Die Folterung eines Zeugen war etwa dann gerechtfertigt,<br />

wenn bei einem schweren Verbrechen vermutet wurde, der Zeuge verfüge über<br />

entscheidendes Wissen darüber, weigere sich aber «<strong>aus</strong> purer Hartnäckig- und<br />

Halsstarrigkeit», dieses mitzuteilen. 779 Der die Aussage verweigernde Zeuge<br />

konnte auch mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe belegt werden. Ein gewisser<br />

Schutz vor unverhältnismässiger Folter sollte den Zeugen etwa dadurch zukommen,<br />

dass nur gefoltert werden sollte, wenn hinreichend erwiesen war, dass<br />

überhaupt ein Verbrechen begangen worden war; 780 dies schloss die Folterung<br />

eines möglichen Zeugen bei der Generalinquisition <strong>aus</strong>. Weiter mussten genügend<br />

starke Indizien dafür bestehen, dass der Zeuge über das Verbrechen etwas<br />

Wichtiges wusste. Die Schwelle konnte jedoch je nach Delikt sogar tiefer angesetzt<br />

werden als beim Angeschuldigten selbst: So konnte bereits eine widersprüchliche<br />

Aussage, ein gestammeltes Bekenntnis oder die Aussage eines anderen,<br />

für glaubwürdiger befundenen Zeugen, der andere Zeuge sei bei der Tat<br />

zu<strong>gegen</strong> gewesen, zur Folter rechtfertigen. 781 Hatte der Angeschuldigte selbst<br />

bereits gestanden, sollte der Zeuge eher von der Tortur verschont werden. Würde<br />

der Zeuge sich durch eine Aussage selbst belasten, so sollte die Folter eben-<br />

776<br />

777<br />

778<br />

779<br />

780<br />

781<br />

In St. Gallen trug dieser dabei oftmals einen beeindruckenden roten Mantel; BLESS-<br />

GRABHER [2003], S. 269.<br />

Nach der «territio verbalis», der blossen Schreckung, schritt man zu «territio realis».<br />

Meist war dies jedoch nicht mehr notwendig, weil der Angeklagte bereits bei der Schreckung<br />

ein Geständnis ablegte; SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 160, 162.<br />

BALDAUF [2004], S. 167. Der Scharfrichter setzte dem Angeklagten etwa die Daumenschrauben<br />

an, vorerst ohne Schmerzen zu verursachen. Blieb das Geständnis <strong>aus</strong>, wurden<br />

die Daumenschrauben immer weiter angezogen, BLESS-GRABHER [2003], S. 270. Siehe<br />

auch Z’GRAGGEN [1999], S. 78.<br />

ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 101, Sp. 175 f.<br />

ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 101, Sp. 176.<br />

ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 102, Sp. 177.<br />

145


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

falls nicht erlaubt sein. 782 Wie letzteres in der Praxis umgesetzt wurde, ist jedoch<br />

schwer vorstellbar. Wenig wahrscheinlich ist, dass die Aussage, sich nicht selbst<br />

belasten und deshalb schweigen zu wollen, den Zeugen langfristig vor der Folter<br />

bewahrte, lieferte eine solche Aussage doch allenfalls ein <strong>aus</strong>reichend starkes<br />

Indiz zur Eröffnung eines Verfahrens <strong>gegen</strong> den Zeugen selbst.<br />

Nicht allein die durch die Folter zugefügten körperlichen Schmerzen machten<br />

dieses Instrument «wirkungsvoll». Für viele Inquisiten, wohl auch für gefolterte<br />

Zeugen, war sein infamierender, sozial stigmatisierender Effekt erheblich, sodass<br />

in vielen Fällen die Androhung der Folter genügte, um – zumindest beim<br />

einheimischen Angeklagten bzw. Zeugen – ein Geständnis bzw. eine Aussage<br />

zu erhalten. Der Gefolterte war mit dem Stigma des Unehrlichen, Unreinen versehen<br />

und wurde, unabhängig von der letztlich erfolgenden Bestrafung, oftmals<br />

<strong>aus</strong> der Gesellschaft <strong>aus</strong>geschlossen. 783<br />

Vor allem in der Epoche der Aufklärung äusserten sich zahlreiche Gelehrte<br />

umfassend zur Frage der Berechtigung der Folter. Den Juristen fiel es insgesamt<br />

schwer, auf dieses Beweishilfsmittel zu verzichten. 784 Kritische Stimmen zur<br />

Folter gab es dennoch – insbesondere bei Aufklärern und Reformphilosophen –<br />

viele. 785 Ab Mitte des 18. Jahrhunderts konnten diese nicht länger überhört werden.<br />

Die Rechtswissenschaft anerkannte allmählich die Achtung des Individuums<br />

durch den Staat, wie sie von den rationalen Naturrechtlern schon lange<br />

gefordert wurde, und den Anspruch der Verdächtigen auf körperliche Integrität.<br />

786 Am Ende der frühen Neuzeit brach nach und nach auch der Widerstand<br />

782<br />

783<br />

784<br />

785<br />

786<br />

ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 102, Sp. 177.<br />

HÄRTER [2000], S. 471. Die Unehre, die ein Delinquent auch durch Urteil oder Strafe<br />

erlangen konnte, war äusserst folgenreich. Der Betroffene konnte nicht mehr auf sozialen<br />

Umgang hoffen, noch war er etwa in ein Amt wählbar; KNOTT [2006], S. 21.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 170.<br />

Als bedeutender Folterkritiker bekannt wurde der italienische Jurist Cesare Beccaria (geb.<br />

1738, gest. 1794), der mit seinem Werk «Dei delitti e delle pene», das weltweite Verbreitung<br />

fand, <strong>gegen</strong> die Folter ankämpfte und sich für deren Abschaffung einsetzte; BECCA-<br />

RIA [1766], XVI. S. 92 ff. Siehe auch SCHMOECKEL [2000], S. 180 ff.; RÜPING/JEROU-<br />

SCHEK [2007], S. 84 f.; BALDAUF [2004], S. 197; JEROUSCHEK, Beccaria [1998], insbes.<br />

S. 667, 670; HETTENHAUER [2004], S. 597, Rz. 1620 ff. Eine Übersicht über die Äusserungen<br />

weiterer bedeutender Folterkritiker liefern GSCHWEND, Geständniszwang [2006],<br />

S. 166 f.; SCHILD, Frag [2002], S. 138 ff.; BRUNS [1994], S. 48 ff.; BALDAUF [2004],<br />

S. 179 ff. Eingehend dazu SCHMOECKEL [2000], S. 112 ff.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 170.<br />

146


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

der Obrigkeiten <strong>gegen</strong> die Abschaffung der Folter sowohl in deutschen Landen<br />

als auch im übrigen Europa. 787 Die Abschaffung der Folter erforderte grundlegende<br />

Veränderungen des Prozessrechts; die Bestrafung aufgrund des gut begründeten<br />

Verdachts, der Würdigung zwingender Indizien, begann sich durchzusetzen.<br />

788 Bevor die freie richterliche Beweiswürdigung 789 jedoch endgültig<br />

Oberhand gewann, verhängten viele Gerichte in der Übergangsphase in Ermangelung<br />

eines (erzwungenen) Geständnisses und beim Fehlen von Zeugen Ungehorsams-,<br />

Lügen- und Verdachtsstrafen. Diese wurden etwa als Prügelstrafen<br />

vollzogen und waren oftmals kaum weniger gr<strong>aus</strong>am als die Folter. 790 In der Zeit<br />

unmittelbar nach Abschaffung der Folter verfügte der Angeschuldigte noch<br />

nicht über das Recht zu schweigen. Verweigerte er die Aussage, so wurde er<br />

bestraft. Aus dem Schweigen her<strong>aus</strong> entstand bisweilen gar die Fiktion eines<br />

Geständnisses. 791<br />

5.5.4.3 Verhöre <strong>Egger</strong>s nach Gefangennahme<br />

Nachdem <strong>Egger</strong> <strong>gegen</strong>über seinem Schwager <strong>Joseph</strong> Bensegger und seinem<br />

Schwiegervater den Totschlag von Catharina gestanden hatte und wenige Stunden<br />

darauf verhaftet worden war, dachte er offenbar nicht daran, diese Tat später<br />

<strong>gegen</strong>über dem Gericht zu leugnen. Dies dürfte auch mit dem Auffinden der<br />

Leiche von Catharina im Galgentobel vor Beginn des ersten Verhörs in Zusammenhang<br />

stehen. Über den Verbleib der Leiche hatte <strong>Joseph</strong> Bensegger im Rahmen<br />

seiner Anzeige informiert, nachdem <strong>Egger</strong> ihm und seinem Schwiegervater<br />

am 11. Februar 1775 gestanden hatte, diese in die Stauden des Galgentobels<br />

transportiert zu haben. 792 Bei dieser Sachlage dürfte <strong>Egger</strong> jedes Leugnen sinnlos<br />

vorgekommen sein.<br />

787<br />

788<br />

789<br />

790<br />

791<br />

792<br />

IGNOR [2002], S. 163; VON HIPPEL [1941], S. 39.<br />

SCHILD, Frag [2002], S. 147.<br />

Vgl. dazu BALDAUF [2004], S. 212 f.; JEROUSCHEK, Inquisitionsprozess [1992], S. 344;<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 171 ff.<br />

SCHILD, Verfahren [1989], S. 202. In Frage kam auch strenger Arrest.<br />

HOLZHAUSER [1971], Sp. 1640.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 3; vgl. Kap. 3.4.3 und 4.3.3.<br />

147


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Zu den einzelnen Verhören, die alle im Wirtsh<strong>aus</strong> in St. Fiden stattfanden,<br />

wurde <strong>Egger</strong> offenbar von Hofweibel Ackermann gebracht. Gemäss Bestallung<br />

war es Sache des Amtsdieners, den Gefangenen in die Verhörstube oder auf Befehl<br />

gar auf die Pfalz zu bringen und ihn nach dem Verhör wieder einzusperren.<br />

Während der Verhöre hatte er sich für allfällige Befehle jederzeit zur Verfügung<br />

zu halten. 793<br />

Gleich zu Beginn des ersten Verhörs nach der Gefangennahme am 15. Februar<br />

1775 erfolgte eine «ernstliche [...] erinnerung die reine, und klare wahrheit an<br />

tag zu geben, und nichts zu verheelen». 794 Die Befragung, die sich über mehrere<br />

Wochen erstreckte, war sehr detailliert. In etlichen Punkten wurde das Verhör<br />

wiederholt. Öfters nahm der Befrager <strong>Egger</strong>s Antwort wieder auf oder fasst sie<br />

kurz zusammen, bevor er die nächste, mit der unmittelbar gewonnenen Information<br />

verbundene Frage anknüpfte. 795 Immer wieder und wieder ermahnte man<br />

<strong>Egger</strong>, die Wahrheit zu sagen. 796 Manchmal bezog sich der Befrager auf das letzte<br />

Examen und versuchte, <strong>Egger</strong> in Widersprüche zu verwickeln, ihn mit angeblichen<br />

oder tatsächlichen Widersprüchen zu konfrontieren und in die Enge zu<br />

treiben. 797 Das Gericht bemühte sich, Druck <strong>aus</strong>zuüben und liess das Vorhandensein<br />

von Beweisen durchblicken, über die <strong>Egger</strong> aber zumindest vorerst<br />

nicht aufgeklärt wurde. Er wurde etwa aufgefordert, er «solle sich wohl bedenckhen,<br />

was er rede, die obrigkeit könnte mehr wüssen, als er sich einbildet».<br />

798<br />

Auch wenn es den Befragenden nicht gelang, Suggestivfragen ganz zu vermeiden,<br />

waren die meisten Fragen doch offen formuliert. Während bei den ersten<br />

Einvernahmen praktisch keine suggestiven Formulierungen vorkamen, fin-<br />

793<br />

794<br />

795<br />

796<br />

797<br />

798<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 3, Ziff. 7. Es war auch Sache<br />

des Amtsdieners, den Gefangenen auf Befehl dem Scharfrichter zu übergeben; S. 5,<br />

Ziff. 11.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokolle <strong>Egger</strong>s, Antwort 1.<br />

Siehe etwa Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Fragen 4, 9, 19, 21, 27 und weitere.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, z.B. Fragen 5, 6, 8, 29, 60, 72, 75, 104, 108, 112,<br />

122, 139, 151, 156, 160, 180, 224, 227, 235, 236 und 248.<br />

Siehe etwa Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 37, 38.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 61.<br />

148


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

den sich einige wenige in den späteren Verhören. 799 Die handschriftlich protokollierten<br />

Verhöre waren oft recht lang. Man forschte <strong>gegen</strong>über <strong>Egger</strong> wie<br />

auch <strong>gegen</strong>über verschiedenen Zeugen nach Gegebenheiten <strong>aus</strong> <strong>Egger</strong>s Leben.<br />

So wurde beispielsweise die Frage gestellt, ob er lesen und schreiben könne. 800<br />

Von <strong>Egger</strong>s Ehefrau erhielt man Aussagen über den Charakter ihres Mannes. 801<br />

Das Gericht führte betreffend Totschlag und Leichenschändungen nicht etwa<br />

zwei getrennte Verfahren bzw. getrennte Verhöre durch. Vielmehr mischte es in<br />

den einzelnen Verhöretappen immer wieder Fragen nach den Umständen des<br />

Totschlags mit Fragen nach den Leichenschändungen. Auch mit den rechtlichen<br />

Grundlagen für die einzelnen Delikte befasste es sich nicht getrennt. 802<br />

Mit dem Geständnis <strong>Egger</strong>s betreffend den Totschlag von Catharina Himmelberger<br />

gaben sich die Untersuchenden nicht ohne weiteres zufrieden. Sie<br />

zweifelten offensichtlich an der Glaubwürdigkeit der Angaben. Insbesondere<br />

aufgrund der von Leibarzt Rogg gefundenen Verletzungen an der Leiche schlossen<br />

sie nicht <strong>aus</strong>, dass <strong>Egger</strong> mehr als nur einen Schlag mit der Mistgabel <strong>aus</strong>geteilt<br />

hatte. Wieder und wieder befragte man <strong>Egger</strong> zu diesem Punkt. 803 Ebenso<br />

forschte man immer wieder nach dem Motiv für seine Tat. Das Gericht zweifelte<br />

am Affekt, an der für <strong>Egger</strong> unkontrollierbaren Wut, mit der er den Schlag<br />

gemäss seinen Aussagen <strong>aus</strong>geführt hatte. Doch in diesen Punkten blieb <strong>Egger</strong><br />

trotz aller Fragen und Rückfragen bei seiner ursprünglichen Aussage, in rasender<br />

Wut nur einmal zugeschlagen zu haben.<br />

Das Verhör vom 20. Februar 1775 nachmittags wurde mit der Begründung<br />

geschlossen, man wolle <strong>Egger</strong> Bedenkzeit geben und sehen, ob er noch länger<br />

so halsstarrig sein werde. 804 Während des Verhörs wies das Gericht im Zusam-<br />

799<br />

800<br />

801<br />

802<br />

803<br />

804<br />

<strong>Egger</strong> wurde beispielsweise gefragt, ob er der Catharina Himmelberger nach dem ersten<br />

Streich nicht noch mehrere gegeben habe oder wenigstens noch einen (Frage 176), ob er<br />

sie nicht auch zum Stall hin<strong>aus</strong> habe jagen wollen (Frage 201), ob er um Neujahr herum<br />

nicht hätte Geschirr nach Herisau fahren müssen (Frage 215).<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 220; Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau,<br />

S. 9.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 8 f.<br />

Zum Wechsel des Befragungsthemas vgl. z.B. die Fragen 58 und 59.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 6, 8, 10, 27, 29, 174, 176, 179, 180, 181,<br />

253.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 158.<br />

149


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

menhang mit der Anzahl Schläge, die <strong>Egger</strong> dem Opfer verpasst hatte, auf die<br />

Möglichkeit der peinlichen Befragung hin. Man fragte <strong>Egger</strong> am 21. Februar<br />

1775 etwa, ob er es wirklich darauf ankommen lassen wolle, durch den Henker<br />

zur Wahrheit gebracht zu werden. Darauf antwortete er, selbst wenn des Scharfrichters<br />

Knecht wirklich da wäre und ihn in vier Teile zerreissen würde, könnte<br />

er nichts anderes sagen. 805 Am 7. März 1775 glaubte man ihm nicht, was er über<br />

die angeblichen Äusserungen des Geiserwalders Geser sagte, und wies ihn an,<br />

nicht so unverschämt daherzulügen und es nicht darauf ankommen zu lassen,<br />

die Wahrheit mit anderen Mitteln her<strong>aus</strong>zubringen. 806<br />

Mit <strong>Egger</strong>s Geständnis, die Leichen von Elisabeth Han und Maria Baumann<br />

<strong>aus</strong>gegraben und zumindest teilweise zerlegt zu haben, begnügte sich das Gericht<br />

lange Zeit nicht. Es bemühte sich sehr, das wahre Motiv zu ergründen. <strong>Egger</strong><br />

gab wiederholt an, er habe es halt tun müssen, habe sich gezwungen gefühlt.<br />

Die Befrager hakten auch in diesem Punkt immer wieder nach. Nach dreiwöchiger<br />

Gefangenschaft entschloss sich <strong>Egger</strong> endlich, seine Motive vollends offen<br />

zu legen und erzählte, was er von Johannes Geser gehört hatte und dass er beschlossen<br />

hatte, die Versuche selbst durchzuführen, um so den Gerüchten auf<br />

den Grund zu gehen. Als Johannes Geser schliesslich bestätigte, es sei nicht<br />

<strong>aus</strong>geschlossen, dass er <strong>Egger</strong> in der Trunkenheit von gewissen abergläubischen<br />

Sachen erzählt habe, 807 verzichtete das Gericht auf weitere Einvernahmen <strong>Egger</strong>s.<br />

Ganz zufrieden gab sich das Gericht damit jedoch noch nicht und führte <strong>Egger</strong><br />

nach dem Verhör vom 7. März 1775 dem Scharfrichter vor. Er musste in<br />

dessen Angesicht ein letztes Mal bestätigen, der Catharina Himmelberger nur<br />

einen Schlag verpasst zu haben und die Leichen von Maria Baumann und Elisabeth<br />

Han <strong>aus</strong> keinem anderen Grund und mit keiner anderen Absicht <strong>aus</strong>gegraben<br />

zu haben als der, die er angegeben habe. Daraufhin wurde er vom Scharfrichter<br />

noch «in den abstand» geführt und auf «leibsachen» durchsucht. Als dieser<br />

nichts fand, war die Aufgabe des Scharfrichters beendet. 808 Die Frage, ob<br />

<strong>Egger</strong> nun noch gefoltert werden solle, war bereits im Rahmen der Beratung der<br />

805<br />

806<br />

807<br />

808<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 183.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 242.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Antwort 9.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 90.<br />

150


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

Pfalzräte vom 3. März 1775 aufgegriffen und verneint worden mit der Begründung,<br />

er habe sich ohnehin schon eines «homicidii dolosi» schuldig gemacht<br />

und damit die Todesstrafe durchs Schwert auf sich gezogen. 809 Dies war denn<br />

wohl auch der Grund, dass nicht mittels Folter nach weiteren Straftaten, die <strong>Egger</strong><br />

in der Vergangenheit vorgenommen haben könnte, geforscht wurde.<br />

Die Vorführung beim Scharfrichter machte auf <strong>Egger</strong> zweifellos Eindruck,<br />

hatte er doch grosse Angst vor der Folter gehabt. Gegenüber dem Wirt Louis<br />

hatte <strong>Egger</strong> vor seiner Festnahme am 12. Februar 1775 gesagt, wenn er wüsste,<br />

dass er nach St. Fiden müsste und «gezimiget» würde, so gehe er lieber <strong>aus</strong> dem<br />

Land. 810 Der Wirt hatte darauf erwidert, wenn <strong>Egger</strong> unschuldig sei, so solle er<br />

nicht fort gehen. Schliesslich habe Gott auch unschuldig gelitten. 811 Sowohl <strong>Egger</strong><br />

als auch Louis waren offenbar davon <strong>aus</strong>gegangen, dass man <strong>Egger</strong> früher<br />

oder später festnehmen und der Folter <strong>aus</strong>setzen würde, wenn er die Tötung<br />

nicht gestehen würde. Auch <strong>gegen</strong>über seinem Schwager und seinem Schwiegervater<br />

hatte <strong>Egger</strong> zu Beginn des Gesprächs vom 13. Februar 1775 und vor<br />

seinem Geständnis geäussert, weil er überall so im Geschrei sei, fürchte er nur,<br />

dass man ihn nach St. Fiden bringe und an die Marter schlage, obwohl er nichts<br />

getan habe. Während anderthalb Stunden war dann über die Marter diskutiert<br />

worden, wobei <strong>Egger</strong> offenbar stets betont hatte, er wolle sich dem nicht <strong>aus</strong>setzen,<br />

weil er unschuldig sei. 812<br />

5.5.5 Zeugeneinvernahmen<br />

Die Zeugenbefragungen fanden mehrheitlich auf der Pfalz statt. Aus den Akten<br />

kann nicht auf einen strikten formellen Ablauf der Einvernahmen geschlossen<br />

werden. Die meisten Zeugenbefragungen sind nicht im Frage-und-Antwort-Stil<br />

formuliert, sondern haben die Form eines durchgehenden Textes, der die Aussagen<br />

der Zeugen in indirekter Rede wiedergibt. Die Fragen selbst sind den meisten<br />

Protokollen nicht zu entnehmen. Ausnahmen bilden die Befragungen von<br />

809<br />

810<br />

811<br />

812<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.<br />

Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.<br />

Dok. 7, Zeugen<strong>aus</strong>sage von <strong>Joseph</strong> Bensegger, S. 3.<br />

151


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

<strong>Egger</strong>s Ehefrau Maria German, des Tablaters <strong>Joseph</strong> Rüesch und des Geiserwalders<br />

Johannes Geser. Weshalb in den Protokollen dieser Zeugen die Fragen<br />

explizit festgehalten wurden und bei allen übrigen nicht, ist nicht ersichtlich.<br />

Die Protokolle mit den Aussagen der Ehefrau und von <strong>Joseph</strong> Rüesch weisen<br />

einen neutralen Fragestil auf. Es finden sich keine Suggestivfragen. Wie <strong>aus</strong> fast<br />

allen übrigen Zeugeneinvernahmeprotokollen hervor geht, scheint das Gericht<br />

dem jeweiligen Zeugen in der Befragung nicht kritisch <strong>gegen</strong>übergetreten zu<br />

sein.<br />

Auch Versuche, Druck auf die Zeugen <strong>aus</strong>zuüben, sind nicht erkennbar. Die<br />

einzige Ausnahme bildet die Befragung von Johannes Geser vom 8. März 1775.<br />

Dieses Protokoll gleicht mit seinen durchnummerierten Fragen viel eher dem<br />

Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s als den übrigen Zeugenbefragungen. Das Verhör<br />

wirkt deutlich förmlicher und beginnt als einziges Zeugenverhör wie das Einvernahmeprotokoll<br />

<strong>Egger</strong>s mit der Frage «wie er heisse?». 813 Mehrere Fragen<br />

wirken wie beim Verhör <strong>Egger</strong>s anklagend. Auf die Behauptung Gesers, er habe<br />

nur <strong>Egger</strong>s Stieftochter Barbara gekannt, mit <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> keine Bekanntschaft<br />

gehabt und mit ihm nie geredet, 814 sagte man ihm gerade her<strong>aus</strong>, «es wolle<br />

ganz anders verlauten [...]». 815 Als er schliesslich leugnete, mit <strong>Egger</strong> einen Diskurs<br />

über Tauben geführt zu haben, riet ihm der Befragende, er «solle sich wohl<br />

bedenckhen, dann die obrigkeit seye eines ganz anderen überzeugt». 816 Letztlich<br />

sagte Geser offenbar, was er wusste, worauf das Verhör bald geschlossen wurde.<br />

Dieses Verhör zeigt unverholen, dass man Johannes Geser mit Skepsis und<br />

Misstrauen, ja sogar mit Ablehnung <strong>gegen</strong>übertrat. Immerhin ging man allem<br />

Anschein nach nicht so weit, seine abergläubischen Reden selbst unter einen<br />

Straftatbestand subsumieren und ihm den Prozess machen zu wollen.<br />

Die Zeugeneinvernahmen wurden getreu den Vorgaben der Carolina unter<br />

Ausschluss des Angeklagten durchgeführt: Da <strong>Egger</strong> gewisse Zeugen<strong>aus</strong>sagen<br />

vorgelesen wurden 817 oder sich die Befrager beim späteren Verhör <strong>Egger</strong>s darauf<br />

813<br />

814<br />

815<br />

816<br />

817<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage 1.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Antwort 2.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage 4.<br />

Dok. 18, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Johannes Geser, Frage 7.<br />

So etwa die Aussagen des Scharfrichters Knecht Franz <strong>Antoni</strong> Ritter vom 18. Februar<br />

1775; siehe Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 149.<br />

152


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

bezogen, ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass er den Zeugeneinvernahmen nicht beiwohnen<br />

durfte. Ob auch die Öffentlichkeit bei den Zeugeneinvernahmen (konsequent)<br />

<strong>aus</strong>geschlossen wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen.<br />

Die von der Carolina gewünschten Hinweise in den Protokollen auf die Gebärden<br />

der Zeugen 818 oder auf sonstige nonverbale Äusserungen wie etwa Tonfall<br />

oder dergleichen finden sich nicht. In den Zeugeneinvernahmeprotokollen<br />

ist nicht vermerkt, wer die Befragung vorgenommen hatte und wer dabei anwesend<br />

war. Auch über sonstige Anwesende enthalten die Protokolle keine Angaben.<br />

Während der Einvernahme von Catharinas Bruder Jacob Himmelberger<br />

meldete sich offenbar spontan dessen Tochter Maria Anna zu Wort, deren Beisein<br />

am Verhör bis dahin <strong>aus</strong> den Akten nicht ersichtlich gewesen war. 819<br />

5.5.6 Haftbedingungen<br />

Im frühneuzeitlichen Strafprozess wurden zur Überführung des Angeschuldigten<br />

nicht nur Verhör und Folter als Druckmittel eingesetzt, sondern häufig auch<br />

die Unterbringung im Untersuchungsgefängnis unter prekären Bedingungen.<br />

Dauerte eine Untersuchung Wochen bis Monate an, konnten mangelhafte Nahrung,<br />

fehlende Beheizung und Feuchtigkeit der Zellen den Inquisiten mürbe<br />

machen und seine Zunge lockern. 820<br />

Nach seiner Gefangennahme und während der Untersuchung war <strong>Egger</strong> im<br />

Gefängnisturm in St. Fiden hinter dem Wirts- und Gerichtsh<strong>aus</strong> «Hirschen» untergebracht.<br />

Über die konkreten Bedingungen der Haft schweigen die Verfahrensakten.<br />

Die Bestallung des Amtsdieners <strong>aus</strong> der Zeit um 1750 gewährt jedoch<br />

eine gewisse Vorstellung über die Haft. Der Amtsdiener war für den Umgang<br />

mit den Gefangenen zuständig. Er musste diese «binden und lösen», ihnen<br />

Stroh bringen, einheizen und sie dreimal täglich mit Essen versorgen. Dabei<br />

musste er jeweils «visitieren», ob die Gefangenen noch «wohl verwahrt» waren.<br />

821 Ohne offizielle Spezialbewilligung durfte er den Gefangenen «nichts ext-<br />

818<br />

819<br />

820<br />

821<br />

Siehe Art. 71 CCC.<br />

Dok. 12, Zeugen<strong>aus</strong>sage von Jacob Himmelberger, S. 2.<br />

HÄRTER [2000], S. 471 f.; SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 2, Ziff. 5.<br />

153


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

ra an speis, trankh, tabac oder dergleichen» geben. Er durfte auch niemandem<br />

Zutritt zu den Gefangenen gewähren. Wurde ein Besuch bewilligt, so hatte der<br />

Amtsdiener dem Treffen beizuwohnen und fleissig zuzuhören, was gesprochen<br />

wurde. Dies hatte er getreulich der Obrigkeit zu berichten. 822<br />

Über die Gegenstände, die mit der Gefangenschaft zu tun hatten, wie Schlüssel,<br />

Schlösser, Ketten, «band, bettgeräth» und dergleichen hatte der Amtsdiener<br />

ein ordentliches Inventar zu erstellen und zu allem Sorge zu tragen. Er musste<br />

die Leinlaken waschen und die Zelle «buzen», sobald der Gefangene entlassen<br />

wurde, damit das Holz nicht verfaule. 823 Für die Kosten der Haft hatten die Gefangenen<br />

selbst aufzukommen, es sei denn, dass sie nicht in der Lage wären,<br />

diese zu bezahlen. 824<br />

Einige weitere Hinweise auf die Haftbedingungen finden sich in einer im<br />

Jahr 1688 unter Abt Cölestin Sfondrati 825 erlassenen «würdtsordnung» 826 in Bezug<br />

auf die im Gefängnisturm inhaftierten Untersuchungsgefangenen. Der Erlass<br />

der Ordnung wurde als nötig erachtet, weil die Kosten der Gefangenschaften<br />

und der Gefangenentransporte <strong>aus</strong> den Vogteien nach St. Fiden offenbar zu<br />

Beschwerden des sog. Bussenamts, das für die Kosten aufzukommen hatte, geführt<br />

hatten. Die Rechnungen des Wirts hatten wiederholt Streit und Missverständnisse<br />

<strong>aus</strong>gelöst. 827 Die Kosten sollten nun strenger unter Kontrolle gehalten<br />

werden, wozu die Wirtsordnung verschiedene Vorschriften machte. So sollte<br />

der Wirt etwa den Weibeln und Gerichtsdienern, die Gefangene <strong>aus</strong> den Vogtei-<br />

822<br />

823<br />

824<br />

825<br />

826<br />

827<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 3, Ziff. 6. Dem Amtsdiener<br />

war es im Übrigen verboten, dem Gefangenen etwas von einer Drittperson <strong>aus</strong>zurichten<br />

und umgekehrt; er hatte über alles «ein getreuliches und genaues stillschweigen» zu halten,<br />

S. 3, Ziff. 6.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 4, Ziff. 9. Sollte der Amtsdiener<br />

Mängel feststellen, hatte er dies dem Fiskal zu melden, der für die Veranlassung<br />

der Ausbesserung zuständig war; S. 4, Ziff. 9.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 4 f., Ziff. 10. Eine detaillierte<br />

Zusammenstellung der während der Haft der beiden Gefangenen Sebastian Meyer<br />

und Jacob Holtz in St. Fiden angefallenen Kosten ist im Stiftsarchiv erhalten, StiASG,<br />

Rubr. 42, Fasz. 17. Die beiden befanden sich vom 9. bzw. 10. August 1723 an in Gefangenschaft<br />

und wurden am 10. September 1723 durch den Strang hingerichtet.<br />

Cölestin Sfondrati, geb. 1644, gest. 1696, Abt von 1687 bis 1696; HENGGELER [1929],<br />

S. 149 ff.<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17.<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 5.<br />

154


Prozessrechtliche Beurteilung<br />

en brachten, nur noch <strong>gegen</strong> Barzahlung und nicht mehr auf Rechnung des Bussenamts<br />

Speis und Trank geben. Die jeweiligen Vögte sollten den Überbringern<br />

das Geld zur Verfügung stellen. 828 Dem Wirt, der für die leibliche Versorgung<br />

der Gefangenen zuständig war, wurde verboten, dem Gefangenen während des<br />

Verhörs Essen oder Trinken zu bringen, wenn dies nicht vom Befragenden erlaubt<br />

wurde. 829 Der Wirt sollte die Gefangenen mit seiner H<strong>aus</strong>kost und einem<br />

Trunk verpflegen, durfte dafür aber nicht mehr als 15 Kreuzer täglich verlangen.<br />

830 Im kalten Winter sollte der Wirt das Gefangenenstüblein beheizen, wobei<br />

er das Holz in Rechnung stellen durfte. 831 Vor dem Inkrafttreten der Wirtsordnung<br />

hatten sich die amtlichen Beteiligten bei den Gerichtsverhandlungen, die<br />

im Wirtsh<strong>aus</strong> zu St. Fiden stattfanden, offenbar «jeder bald da bald dort bald<br />

früehe bald spath nach gefallen an speis und tranckh ohne noth sich bedienen»<br />

lassen, sodass die Kosten sich zu einer «über<strong>aus</strong> grosse[n] summe» anhäuften.<br />

Die Wirtsordnung legte nun fest, dass der Wirt pro Mahlzeit einer Person nicht<br />

mehr als 48 Kreuzer berechnen durfte und die Kosten «proporzioniert und gebührend»<br />

sein sollten. 832<br />

Die Einvernehmenden fragten <strong>Egger</strong> am 22. Februar 1775, also gut acht Tage<br />

nach der Festnahme, wie er sich in der Gefangenschaft befinde. Darauf antwortete<br />

<strong>Egger</strong>, «das ihme herzlich, und schmerzlich leyd seye, das er müsse darinnen<br />

sizen». 833 Das Verhör vom 7. März 1775 begann mit dem Hinweis, <strong>Egger</strong><br />

habe seit dem letzten Examen vom 22. Februar 1775 Zeit und Platz gehabt, in<br />

sich zu gehen, und werde nun hoffentlich die Wahrheit sagen. 834 Die Akten enthalten<br />

keine Hinweise darauf, dass <strong>Egger</strong> während der Haft Besuch von seiner<br />

Familie oder von Bekannten bekommen hätte.<br />

828<br />

829<br />

830<br />

831<br />

832<br />

833<br />

834<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 1.<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 2, Ziff. 3.<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 2, Ziff. 4.<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 2, Ziff. 5.<br />

StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 3 f., Ziff. 7. Begann die Verhandlung erst<br />

am Nachmittag, so sollte nur noch eine Vesper serviert werden, die <strong>aus</strong> Wein, Brot, Konfekt<br />

und kalter Küche bestehen und nicht mehr als 30 Kreuzer pro Person kosten sollte;<br />

S. 4, Ziff. 8.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage und Antwort 195.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 235.<br />

155


Materielle Beurteilung<br />

6 Materielle Beurteilung<br />

6.1 Totschlag<br />

6.1.1 Historisch-kriminologische Grundlagen<br />

Mord und Totschlag sind wohl so alt wie die Menschheit selbst. Sie üben eine<br />

zwiespältige Faszination auf die Menschen <strong>aus</strong> und haben seit jeher starke Emotionen<br />

<strong>aus</strong>gelöst. Das leidenschaftliche Interesse, das die Menschheit dem Mord<br />

ent<strong>gegen</strong>bringe, könne keine andere Erklärung finden, als dass das Töten und<br />

Getötetwerden an den innersten Kern der Instinkte der Menschen heranreiche,<br />

so VON HENTIG. Berührt, aufgestört würden die machtvollen Triebe, die der Erhaltung<br />

der Gattung und des einzelnen Wesens dienten. 835<br />

Um den gewaltsamen Tod ist ein breites Feld an abergläubischem Gedankengut<br />

entstanden. So findet etwa der Ermordete im Grab keine Ruhe, bis er gerächt<br />

ist. Ebenso gilt der verstorbene Mörder als ruheloses Wesen, das als Spuk<br />

erscheint oder umgeht. Das Blut des Ermordeten soll besondere magische Kraft<br />

besitzen. Wer träumt, einen Mord begangen zu haben, hat angeblich ein<br />

schlechtes Gewissen. 836<br />

Zum Verständnis der im Affekt <strong>aus</strong>geführten Totschläge ist ein Blick auf das<br />

in jener Zeit vorherrschende Gewaltverständnis notwendig. Diese Gewalttat, die<br />

in der frühneuzeitlichen Gesellschaft nicht selten vorkam, stand oft im Zusammenhang<br />

mit als ehrverletzend empfundenen Streitigkeiten. Neckereien und<br />

Beleidigungen konnten sich zu körperlichen Auseinandersetzungen verschiedenster<br />

Intensität steigern. 837 Besonders häufig dürften Gewaltakte in Wirtshäusern<br />

sowie auf rege besuchten Strassen und Plätzen mit «öffentlichem» Charakter<br />

vorgekommen sein, wurden Beleidigungen oder Drohungen dort doch als<br />

besonders schwerwiegend und rufschädigend empfunden. Freilich kam es aber<br />

835<br />

836<br />

837<br />

VON HENTIG, Psychologie [1956], S. 1.<br />

Handbuch des Aberglaubens [1999], Bd. 2, S. 588.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 121 f.<br />

157


Materielle Beurteilung<br />

auch nicht selten «unter vier Augen» zur Gewaltanwendung, hatten die strengen<br />

Regeln der Achtungsmoral schliesslich auch dort Geltung. 838<br />

In einer Studie über strafrechtliche Sanktionen im frühneuzeitlichen Württemberg<br />

gelangte HELGA SCHNABEL-SCHÜLE im Jahr 1997 zur Erkenntnis, dass<br />

verbale Äusserungen, <strong>aus</strong> denen der einer Gewalttat vorangegangene Streit entstanden<br />

sei, oftmals von grosser sprachlicher Kargheit seien, wobei vor allem<br />

eine argumentative sprachliche Ebene bei den untersuchten Quellen völlig gefehlt<br />

habe. 839 Verbale Konfliktlösungsmuster seien noch keine wirkliche Alternative<br />

zu physischer Gewalt gewesen. Aufgrund eines Mangels an argumentativen<br />

Diskursen hätten verbale Reaktionen meist im Ausstossen aneinandergereihter<br />

Schimpfwörter bestanden, so die Studie. Diese wirkten in der ganzen<br />

Tragweite ihrer Wortbedeutung. Viele Schimpfwörter seien ehrenrührig gewesen,<br />

weshalb sie nicht ohne weiteres hätten hingenommen werden können und<br />

nicht selten den Auftakt für eine gewalttätige Auseinandersetzung bildeten. 840<br />

Die Ehre war mindestens ebenso wichtig wie die körperliche Integrität, sie<br />

wird mitunter sogar als Bestandteil dieser körperlichen Integrität betrachtet. 841<br />

Bei der einem Streit folgenden Gewalttat wurde in der Regel unbändige Kraft<br />

angewandt. Dies sei, so SCHNABEL-SCHÜLE, nicht immer mit Trunkenheit zu<br />

erklären. Die alltäglichen Verrichtungen forderten insgesamt wohl grosse Kraftanstrengungen,<br />

sodass in Konfliktfällen eine Beschränkung des Krafteinsatzes<br />

838<br />

839<br />

840<br />

841<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 65 f.<br />

Dasselbe gilt für verbale Äusserungen, mit denen gegebenenfalls der der Gewalttat vor<strong>aus</strong>gegangene<br />

Streit zu schlichten versucht worden war; SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat<br />

[1997], S. 244. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999] beobachtete ebenfalls eine erstaunlich<br />

schmale Varianz der gebräuchlichen Schmähworte über etliche Jahrhunderte<br />

hinweg, weist aber auf die zahlreichen Optionen für kreative Erweiterungen und Kombinationen<br />

hin, S. 124. Auch MICHAEL TOCH gelangte in einer Studie über Schimpfwörter<br />

im Dorf des Spätmittelalters zur Erkenntnis, dass die Beleidigungsworte stereotyp gebraucht<br />

wurden und die Ausdrücke eine relativ enge Bandbreite aufwiesen. Ähnliches erkennt<br />

er für weite Teile Mittel- und Westeuropas in späterer Zeit; wenn auch tentativ und<br />

mit Bereicherungen und Auffächerungen; TOCH [1993], S. 324.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 245; SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität<br />

[2006], S. 66.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 122 f.; KNOTT [2006], S. 18. Für den sozialen Status<br />

des Einzelnen (insbesondere in der Dorfgemeinschaft) war in erster Linie dessen Ehre<br />

und erst in zweiter Linie Besitz und Stellung massgebend; VAN DÜLMEN, Leute [1983],<br />

S. 12.<br />

158


Materielle Beurteilung<br />

gar nicht möglich war. Dazu hätte es des Bewusstseins über die zerstörerische<br />

Wirkung solch roher Gewalt bedurft. Viele der untersuchten Fälle zeigten, dass<br />

solche nicht vor<strong>aus</strong>gesetzt werden konnte. 842<br />

Beleidigungen und insbesondere öffentliche Verdächtigungen wirkten sich<br />

oftmals existenzbedrohend <strong>aus</strong>. Geriet man in Verdacht, unehrlich zu sein, so<br />

konnte sich dies in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht auf alle Bereiche<br />

des Lebens <strong>aus</strong>wirken. Die hauptsächliche Funktion der Beleidigung war<br />

somit nicht selten die soziale Kontrolle. Beleidigungen oder Anschuldigungen<br />

mussten <strong>aus</strong> diesem Grund erwidert resp. abgewehrt werden, sonst riskierte<br />

man, dass sie hängen blieben. 843 Diese Art der Gewalt beschränkte sich in der<br />

Vormoderne keineswegs auf Arme und Deklassierte, sondern kam durch<strong>aus</strong><br />

auch beim Adel vor. 844 Die Gewalt war stark männlich geprägt; Frauen traten<br />

nur selten als Täterinnen oder auch Opfer in Erscheinung. 845<br />

In der frühen Neuzeit herrschte zudem eine andere Leiblichkeit. Von klein<br />

auf war man eher an Schmerzen gewohnt als wir heute; Prügel in Familie und<br />

Schule waren üblich und viele Menschen litten an irgendwelchen akuten oder<br />

chronischen Schmerzen, die nicht adäquat behandelt wurden. 846 Die Menschen<br />

lebten ihre Leiblichkeit zudem spontaner <strong>aus</strong>, was sich etwa an der allgemein<br />

tieferen Schwelle der Ekel- und Schamgefühle zeigte. Eine anders als heute verstandene<br />

Unmittelbarkeit des Lebens zeigte sich in Wildheit und Übermut. Al-<br />

842<br />

843<br />

844<br />

845<br />

846<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 246 f.<br />

TOCH [1993], S. 325.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 125.<br />

LOETZ [1998] sieht dies insbesondere darin begründet, dass Drohgebährden, die der körperlichen<br />

Auseinandersetzung oft vor<strong>aus</strong>gingen, zum «typisch männlichen Zeichenrepertoire»<br />

gehörten und für Frauen nicht ohne weiteres verfügbar waren, S. 277; siehe zum<br />

Thema Geschlecht und Kriminalität auch SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 149 ff.;<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 64.<br />

SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 93; BLESS-GRABHER [2003], S. 283.<br />

159


Materielle Beurteilung<br />

kohol 847 war oft ständiger Begleiter, was nicht selten mit einer im heutigen Verständnis<br />

übersteigerten Grobheit einherging. 848<br />

Tätlichkeiten unter Zeitgenossen waren in der frühen Neuzeit bei Weitem<br />

keine Seltenheit. Insbesondere in dörflichen Lebensstrukturen galt Gewalt weniger<br />

der Abwehr eines auf Leib und Leben zielenden Angriffs, sondern hatte<br />

vielmehr häufig den Charakter von sozialen Scharmützeln, diente der Erkundung<br />

von Chancen und Risiken von Interessendurchsetzung und zur Aussendung<br />

der entsprechenden Signale. 849 Wie erwähnt wurde zur Verteidung der Ehre,<br />

aber auch des Eigentums häufig Gewalt angewendet. In diesem Rahmen war<br />

die Tötung eines Menschen in der Regel eher unbeabsichtigte als gewollte Folge.<br />

850 RUMMEL stellte die These auf, der alltagspraktische Nutzen von Gewalt<br />

habe bedingt, dass sie nicht nur sinntragendes Handeln habe beinhalten können,<br />

sondern von den Beteiligten auch so verstanden worden sei. Dar<strong>aus</strong> ergebe sich<br />

– selbst bei tödlichen Folgen – eine relative Akzeptanz in ihrer Verwendung. 851<br />

Seine zweite These formuliert er mit Blick auf Anlässe, Ausmass und Akzeptanz<br />

von Gewalt. Wer sie angewendet habe, habe dies demnach immer in Reaktion<br />

auf Zumutungen getan. Diese schienen bei Eigentumsdelikten und bei Ehrverletzungen<br />

am grössten gewesen zu sein. 852 Erst im Zuge der Aufklärung wurde<br />

dieses Verständnis der Leiblichkeit zunehmend von Reflexion und Verstand<br />

überlagert. 853<br />

Immerhin ist nicht davon <strong>aus</strong>zugehen, dass schwere Gewaltdelikte zum Alltagsgeschehen<br />

gerechnet worden wären. Vielmehr riefen sie Entsetzen und Mit-<br />

847<br />

848<br />

849<br />

850<br />

851<br />

852<br />

853<br />

Alkoholischen Getränken kam zweifellos eine wichtige Katalysatorfunktion zu. In der<br />

neueren Forschung ist jedoch umstritten, ob dem Alkohol im Zusammenhang mit Gewalttaten<br />

lediglich «gewaltfördernd» oder vielmehr «gewaltgenerierend» wirkten; m.w.H.<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 65 und Anm. 30. Siehe auch WITTKE, Alltag<br />

[2002], S. 315.<br />

SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 94.<br />

RUMMEL [1993], S. 87 f.<br />

RUMMEL [1993], S. 87.<br />

Der Verlust der Selbstbeherrschung mit der Folge gewalttätiger Affektentladung wurde<br />

innerhalb gewisser Grenzen weithin akzeptiert, zumal die Wertschätzung körperlicher<br />

Unversehrtheit und der Anspruch an die Selbstbeherrschung andere waren als heute;<br />

RUMMEL [1993], S. 95.<br />

RUMMEL [1993], S. 88 f.<br />

BLESS-GRABHER [2003], S. 284; VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 1 [1990], S. 215 f.<br />

160


Materielle Beurteilung<br />

gefühl hervor, wie protokollierten Zeugen<strong>aus</strong>sagen häufig entnommen werden<br />

kann. 854 Das Ausmass der Gewaltakzeptanz in der frühen Neuzeit kann insoweit<br />

etwas relativiert werden. 855 Staatliche Sanktion als regulierende Reaktion auf ein<br />

solches Delikt war akzeptiert und wurde sogar erwartet.<br />

Nicht nur das Gewaltverständnis und die Leiblichkeit, sondern auch das Verhältnis<br />

zum Tod war in der Vormoderne ein anderes als in der Gegenwart. Da<br />

jederzeit mit dem Tod gerechnet werden musste, wurde er nicht verdrängt und<br />

tabuisiert, sondern brauchtumsmässig in den Alltag integriert. 856 Die Menschen<br />

standen dem Tod unbefangener <strong>gegen</strong>über. Das kurze irdische Dasein stellte<br />

ohnehin nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in ein besseres Jenseits dar;<br />

der Tod bedeutete den Beginn des eigentlichen und ewigen Lebens. Freilich war<br />

eine grosse, durch Predigten stets geschürte Angst vor den Qualen der Hölle<br />

weit verbreitet. 857 Auch hier setzte erst mit der Aufklärung und ihrem Streben<br />

nach Selbstverwirklichung, Glück und individueller Autonomie sowie der Konzentration<br />

auf das Diesseits ein Wandel ein. 858<br />

6.1.2 Rechtliche Einordnung<br />

In der Debatte über die kriminalisierte Gewalt in der Vergangenheit nimmt der<br />

Totschlag im Affekt eine zentrale Stellung ein. Dieses Verbrechen beschäftigte<br />

die Gerichte häufig, da es verglichen mit anderen, heimtückisch oder zumindest<br />

im Vor<strong>aus</strong> geplanten Verbrechen nur selten unentdeckt blieb. 859<br />

Bereits das mittelalterliche Recht behandelte auch die Körperverletzung mit<br />

tödlichem Erfolg als Tötung. Diese wurde vielfach dann angenommen, wenn<br />

der Verletzte innert einer bestimmten Frist nach der Tat starb. 860 Einige Rechte<br />

854<br />

855<br />

856<br />

857<br />

858<br />

859<br />

860<br />

WITTKE, Alltag [2002], S. 312.<br />

WITTKE, Alltag [2002], S. 315.<br />

BLESS-GRABHER [2003], S. 284; MÜNCH [1992], S. 481 f.<br />

SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 94.<br />

MÜNCH [1992], S. 169, S. 480 f. Eingehend mit der Entwicklung der Zivilisation befasst<br />

hat sich NORBERT ELIAS in seiner 1939 veröffentlichten Studie «Über den Prozess der Zivilisation.<br />

Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen».<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 56.<br />

Diese Frist war unterschiedlich lange; es finden sich Quellen über 14, 30 oder 40 Tage<br />

oder gar einem Jahr, vgl. die Quellenangaben bei HIS, Teil 2 [1935], Fn. 6 auf S. 75.<br />

161


Materielle Beurteilung<br />

negieren die Haftung für Tötung, wenn der Verletzte in der Kirche oder auf der<br />

Strasse gesehen worden war. 861 Mit der Durchsetzung des Inquisitionsprozesses<br />

sollte die Ahndung der gewaltsamen Tötung schliesslich Sache der Gerichte<br />

sein und nicht den Privaten überlassen bleiben. 862<br />

Im Sprachgebrauch des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurde nicht klar<br />

zwischen den einzelnen Tötungsdelikten unterschieden. So werden die Ausdrücke<br />

«homicidium», «manslacht» oder «Totschlag» im Mittelalter für jede Art<br />

der Tötung gebraucht, auch für die fahrlässige oder sogar die Tötung in Notwehr.<br />

863 Der offene Totschlag konnte sich zum Mord wandeln, wenn der Leichnam<br />

nach der Tat beiseite geschafft wurde. 864 Grundsätzlich galt der Totschlag,<br />

der im Zorn als offene Tat <strong>aus</strong>geführt wurde, als ehrliche Sache; dies im Gegensatz<br />

etwa zum als unehrlich geltenden Mord oder auch zum Diebstahl, die beide<br />

eine Komponente des Heimlichen, Heimtückischen aufweisen. Die Verletzung<br />

in Wehr und Gegenwehr war ehrlich, die Verletzung eines Wehrlosen hin<strong>gegen</strong><br />

unehrlich. 865<br />

KARL GROLMAN formulierte 1798 die Unterscheidung zwischen Mord und<br />

Totschlag folgendermassen:<br />

«[...] man kann nur darin den Unterschied zwischen Mörder und Totschläger finden, dass<br />

dieser bey seiner That entweder keine feindseelige Absicht hatte, oder sich in einem Zustande<br />

befand, wo er, ohne des Bewusstseyns beraubt zu seyn, dennoch nicht mit kaltem<br />

Blute alle Gründe und Gegengründe ruhig abzuwägen im Stande war, wo ihm plötzlich gereizte<br />

Leidenschaft das Süsse der Befriedigung derselben zu lebhaft darstellte, als dass<br />

nicht, nach einer nur oberflächlichen Überlegung, sein Entschluss hätte fest stehen und<br />

folglich zur Ausführung geschritten werden sollen.» 866<br />

Mit Blick auf die Strafe will die Carolina Mord und Totschlag klar geschieden<br />

wissen. Art. 137 CCC trägt den Titel «Straff der mörder vnd todtschläger<br />

861<br />

862<br />

863<br />

864<br />

865<br />

866<br />

Beispiele bei HIS, Teil 2 [1935], S. 75 f.<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 57; SCHMIDT HANS-JOACHIM [2006], S. 77.<br />

ARVANITIS [1982], S. 13; HAUSMANN [2002], S. 424; HIS, Teil 2 [1935], S. 78 f. sowie<br />

S. 80 ff. zur Bestrafung des Totschlägers im Mittelalter; in Frage kamen neben der Todesstrafe<br />

die Geldstrafe (Sühne) oder auch die Verbannung sowie als Nebenstrafe etwa die<br />

Verwüstung des H<strong>aus</strong>es.<br />

HAUSMANN [2002], S. 425.<br />

MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 319; WILLI [1947], S. 158.<br />

GROLMAN [1798], S. 258 f., § 419.<br />

162


Materielle Beurteilung<br />

die keyn genugsam entschuldigung haben mögen». Der erste Satz des Artikels<br />

lautet wie folgt:<br />

«Item eyn jeder mörder oder todtschläger wo er deshalb nit rechtmessig entschuldigung<br />

<strong>aus</strong>führen kan, hat das leben verwürkt.»<br />

Der Artikel befasst sich im Weiteren nicht eingehend mit der materiellen Unterscheidung<br />

zwischen Mord und Totschlag 867 , sondern regelt lediglich die Frage<br />

der Bestrafung. Er hält fest,<br />

«[...] dass der gewonheyt nach, ein fürsetzlicher mutwilliger mörder mit dem rade, vnnd<br />

eynander der eyn todtschlag, oder <strong>aus</strong> gecheyt 868 vnd zorn gethan, vnd sunst auch gemelte<br />

entschuldigung nit hat, mit dem schwert vom leben zum todt gestrafft werden sollen [...]»<br />

Der Zorn, der diese Strafmilderung rechtfertigt, muss in unmittelbarem Zusammenhang<br />

mit der äusseren Veranlassung zum Ausbruch kommen, darf also<br />

nicht das Resultat länger gebrüteter Rache sein. Der Tatentschluss muss somit<br />

auf einen Affekt zurückgehen. 869 Die Begriffe «fürsetzlich» und «mutwillig»<br />

entsprechen dem heutigen juristisch-technischen Begriff des Vorsatzes und<br />

nicht denjenigen der Überlegung oder des Vorbedachts. 870 Unter Mord wird damit<br />

jede vorsätzliche Tötung subsumiert, die nicht im Affekt begangen wurde.<br />

Die Affektfälle werden vom Totschlag erfasst. 871 Für den Mord ist die heimliche<br />

Begehung typisch, 872 für den Totschlag die tumultöse. Mord beschränkt sich<br />

nicht auf die vorbedachte oder heimliche Tötung, meist konvergieren aber<br />

Mutwille bzw. böser Vorsatz und heimliche Begehung. 873<br />

Die Carolina verankert mit ihrem Art. 137 Motive oder Gesinnungsmerkmale<br />

als Kriterien für die Straftat, wor<strong>aus</strong> sich die Notwendigkeit einer prozessualen<br />

867<br />

868<br />

869<br />

870<br />

871<br />

872<br />

873<br />

ALLFELD [1969], S. 92 f.; SCHAFFSTEIN [1984] spricht davon, die Carolina habe sich zur<br />

psychologischen Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag bekannt, S. 147. Siehe<br />

auch WACHENFELD [1890], S. 5; KRÖNER [1958], S. 1 ff.<br />

«Jähheit», vgl. WACHENFELD [1890], S. 3.<br />

ALLFELD [1969], S. 94; MÜSSIG [2005], S. 36.<br />

ARVANITIS [1982], S. 13. Zur Tötung mit Vorbedacht im Mittelalter HIS, Teil 2 [1935],<br />

S. 88.<br />

ARVANITIS [1982], S. 13. Mit der Auslegung des Art. 137 CCC und dem insbesondere im<br />

19. Jahrhundert darüber herrschenden Meinungsstreit befassten sich etwa WACHENFELD<br />

[1890], S. 2 ff.; THOMAS [1985], S. 120 ff.; SCHAFFSTEIN [1984], S. 147 ff.; KRÖNER<br />

[1958], S. 1, Fn. 6 mit weiteren Literaturangaben.<br />

Zu Mordmerkmalen (Schwerpunkt Mittelalter) siehe HIS, Teil 2 [1935], S. 90 f.<br />

Vgl. Art. 34 CCC; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53.<br />

163


Materielle Beurteilung<br />

Erforschung des Täters ergibt. Für die Motiv- bzw. Gesinnungszuschreibung<br />

wird also nicht ein äusseres Verhalten als Anknüpfungspunkt verwendet, womit<br />

die Ermittlung des Beweggrunds des Täters entfallen würde. 874 Mit der endgültigen<br />

Institutionalisierung des Inquisitionsprozesses wurde die Ausdifferenzierung<br />

prozessualer Tatbestände <strong>aus</strong> dem materiellen Recht ermöglicht; Wille o-<br />

der Gesinnung des Täters konnten im Rahmen des Verfahrens erforscht werden.<br />

875 Neben dem allgemeinen Mordbegriff regelt die Carolina auch besondere<br />

Mordformen 876 wie den Giftmord, 877 den Kindsmord 878 und den Herren-, Verwandten-<br />

und Gattenmord 879 .<br />

Auch nach Einführung der Carolina blieben Totschläger – im Gegensatz zu<br />

Mördern – in der Praxis oftmals von der Todesstrafe verschont und wurden lediglich<br />

mit Verbannung und Geldbusse bestraft, wenngleich die peinlichen Strafen<br />

allmählich zunahmen 880 und eine Tendenz zur Kriminalisierung des Totschlags<br />

einsetzte. In Gesetzestexten und im juristischen Schrifttum wurde die<br />

gewaltsame Tötung schliesslich eher als schlimmes Verbrechen und weniger als<br />

unglücklicher Zufall dargestellt. 881 Während in der Wissenschaft noch im<br />

16. Jahrhundert die Tötungsabsicht mehrheitlich als Vor<strong>aus</strong>setzung der<br />

Schwertstrafe betrachtet wurde, setzte sich im 17. und 18. Jahrhundert nicht zuletzt<br />

unter dem Einfluss von BENEDIKT CARPZOV die Ansicht durch, dass auch<br />

der indirekte Vorsatz für die Schwertstrafe <strong>aus</strong>reichte. 882 Ein im Affekt gefasster<br />

Tötungsvorsatz sollte nur im Falle des gerechten Zorns (ex iusta ira) von der<br />

Schwertstrafe befreien. 883<br />

874<br />

875<br />

876<br />

877<br />

878<br />

879<br />

880<br />

881<br />

882<br />

883<br />

THOMAS [1985], S. 123.<br />

THOMAS [1985], S. 123. Die innere Tatseite gewann an Bedeutung; MÜSSIG [2005], S. 36.<br />

HAUSMANN [2002], S. 425; ARVANITIS [1982], S. 13.<br />

Art. 130 CCC.<br />

Art. 131 CCC.<br />

Art. 137 CCC sieht hier eine Strafschärfung vor.<br />

THOMAS [1985], S. 134 f., stellt die These auf, dass die Zweiteilung Mord/Totschlag in<br />

der Carolina eine Spiegelung gesellschaftlicher Machtverhältnisse darstellte, wobei er den<br />

Mordtatbestand als für die Tötung durch «schädliche Leute» und den Totschlag als eine<br />

die Oberschichten privilegierende Vorschrift begreift; S. 136.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 127.<br />

KRÖNER [1958], S. 17.<br />

KRÖNER [1958], S. 17.<br />

164


Materielle Beurteilung<br />

Noch im 15. Jahrhundert wurde die im Affekt verübte Blutrache in der<br />

Fürstabtei St. Gallen geduldet. In der 1471 geschaffenen Offnung von Tablat ist<br />

noch eine privatrechtliche Vergeltung des Totschlags vorgesehen: «Item wen<br />

ainer ainen liblos tuott, mag man den saecher begryffen, so richt man bar <strong>gegen</strong><br />

bar». 884 Weiter anerkennt die Offnung aber die Zuständigkeit des Hochgerichts<br />

bei Tötung über Friedegebot: «tuott aber ainer den andern liblos in aym fryden<br />

und ergryfft man in, so richt man zuo im als zuo ainen moerder». 885 Erst allmählich<br />

setzte sich die frühabsolutistische Auffassung durch, dass im Interesse der<br />

Moral und der öffentlichen Sicherheit der Totschlag stets offiziell geahndet und<br />

der Täter verfolgt werden sollte. 886<br />

6.1.3 Totschlag der Catharina Himmelberger<br />

Der im Fall <strong>Egger</strong> urteilende Pfalzrat war für die Aburteilung des Totschlags an<br />

die Bestimmungen der Carolina gebunden. In den Gerichtsakten ist die Terminologie<br />

für <strong>Egger</strong>s an Catharina Himmelberger verübte Tat nicht einheitlich.<br />

Wie in jener Zeit üblich, wurden die Begriffe Tötung, Mord und Totschlag nicht<br />

voneinander abgegrenzt. In den Protokollen wurde vornehmlich der Begriff des<br />

Totschlags verwendet, vermehrt wurde aber auch von der Ermordeten oder ab<br />

und an von einer «mordthat» gesprochen. 887<br />

Bei den Einvernahmen <strong>Egger</strong>s stand die Gewalt, mit der er Catharina Himmelberger<br />

unter Zuhilfenahme der Mistgabel niedergestreckt hatte, immer wieder<br />

im Zentrum des Interesses des Gerichts. <strong>Egger</strong> erklärte, Catharina Himmelberger<br />

habe von ihm mehr Geld gefordert, als er ihr geschuldet habe. Sie habe<br />

«gezanckhet» 888 und ihn einen Spitzbub und Lügner genannt. Er sei daraufhin<br />

«taub» gewesen und habe mit der Mistgabel zugeschlagen. 889 Aus diesen Angaben<br />

ist zu schliessen, dass der Streit mit Catharina Himmelberger also weder<br />

lang dauerte noch besonders wortreich war. Freilich fehlen Zeugen<strong>aus</strong>sagen<br />

884<br />

885<br />

886<br />

887<br />

888<br />

889<br />

Tablater Offnung, Art. 85, 1. Satzteil, RQSG (Offnungen), S. 222.<br />

Tablater Offnung, Art. 85, 2. Satzteil, RQSG (Offnungen), S. 222.<br />

HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 45.<br />

Siehe etwa Akten, Dok. 2, S. 15 und S. 91, Dok. 6, S. 1 oder Dok. 7, S. 3.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 2.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 16 und 17.<br />

165


Materielle Beurteilung<br />

darüber, wie <strong>Egger</strong> sich im Streit geäussert hatte. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit<br />

ist jedoch anzunehmen, dass die dem Schlag vorangegangenen<br />

sprachlichen Äusserungen karg und wenig wortreich waren. <strong>Egger</strong> vermochte<br />

im Verhör nur zwei Schimpfworte zu bezeichnen, die Catharina Himmelberger<br />

ihm <strong>gegen</strong>über benutzt hatte. Er fühlte sich von ihr offenbar unrecht behandelt,<br />

da sie mehr gefordert habe, als er ihr schuldig gewesen sei. Nichts weist darauf<br />

hin, dass zwischen den beiden Streitenden ein argumentativer Diskurs stattgefunden<br />

hätte. Vielmehr waren es offenbar lediglich Beschimpfungen und keine<br />

Argumente, mit denen beide Seiten ihr Problem zu lösen versuchten. Mangels<br />

Zeugen war es für die Befragenden im Verhör ebenso unmöglich nachzuvollziehen,<br />

ob Catharina Himmelberger tatsächlich zu viel Geld gefordert hatte, wie<br />

es dies heute anhand der Akten scheint. Ob <strong>Egger</strong> sich in diesem Streit also im<br />

Recht wähnte oder ob er wusste, dass er Catharina Himmelberger eigentlich<br />

mehr schuldete, als er zugab, ist heute nicht mehr aufzudecken. Durch die Beschimpfung<br />

als Lügner und Spitzbub dürfte sich <strong>Egger</strong> aber jedenfalls in seiner<br />

Ehre getroffen gefühlt haben. Aufgrund der ganzen Situation, die in <strong>Egger</strong>s Augen<br />

wohl demütigend und eine Zumutung gewesen sein dürfte, scheint er vor<br />

Zorn <strong>aus</strong>ser sich geraten zu sein. Die Forderung und die Beschimpfungen waren<br />

für ihn Anlass zur Gewalt. Alkohol dürfte nicht im Spiel gewesen sein, fand die<br />

verhängnisvolle Begegnung mit Catharina Himmelberger doch morgens in aller<br />

Frühe statt. Von Alkoholmissbrauch ist nirgends die Rede. <strong>Egger</strong> bewirtschaftete<br />

einen Hof, war also an harte körperliche Arbeit gewöhnt. Es ist durch<strong>aus</strong> vorstellbar,<br />

dass ihm die zerstörerische Wirkung der von ihm <strong>aus</strong>geübten Gewalt<br />

nicht bewusst war und er seine völlig unverhältnismässige Reaktion in der Wut<br />

nicht richtig einschätzen konnte.<br />

Zu beachten ist im Übrigen, dass das Schuldenmachen in der frühen Neuzeit<br />

strafbar sein konnte. Für die Alte Landschaft regelte das Landmandat 1761 in<br />

Art. 68 beispielsweise folgendes:<br />

«Item wann sich einer mit Schulden dergestalten überhäufete, das man an ihme verliehren<br />

müesste, wurde er nach Gestaltsame Sachen mit hocher Leibs Straf an Hochgericht gestelt,<br />

auch mit Verweisung des Landts oder anderer schwährer Straf angesehen werden.» 890<br />

890<br />

Landmandat 1761, Art. 68, 1. Satz, RQSG (Alte Landschaft), S. 140.<br />

166


Materielle Beurteilung<br />

Zudem verbot das Landmandat Leuten, die andere durch Nichtbezahlung von<br />

Schulden zu Verlust kommen liessen, den Besuch von Wirts- und Schenkhäusern<br />

unter Androhung einer Strafe von drei Tagen und Nächten Gefangenschaft<br />

bei Wasser und Brot. 891 Da Catharina Himmelberger <strong>gegen</strong>über <strong>Egger</strong> offenbar<br />

deutlich machte, nicht länger klaglos und geduldig auf die Rückzahlung seiner<br />

Schulden warten zu wollen, wären für <strong>Egger</strong> unangenehme Folgen denkbar gewesen,<br />

mit denen er sich womöglich konfrontiert sah.<br />

Das Gericht reagierte auf die Gewalt schockiert, sie zeigte keinerlei Verständnis<br />

für deren Ausuferung. Sie fragte <strong>Egger</strong>, ob er sich einfallen lassen könne,<br />

dass sein Zorn und die Tatsache, dass er gerade eine Mistgabel in der Hand<br />

gehalten habe, eine hinlängliche Entschuldigung für seine Tat seien. 892 Aufgrund<br />

der von Leibarzt Rogg beschriebenen Verletzungen hatte sie Zweifel darüber,<br />

ob <strong>Egger</strong> tatsächlich nur einen Schlag <strong>aus</strong>geführt hatte. Ein einziger Schlag wäre<br />

offenbar als ein klareres Indiz für eine Affekttat betrachtet worden als mehrere<br />

Schläge. Die Hartnäckigkeit, mit der die Befragenden diesen Punkt immer<br />

wieder und wieder ansprachen, macht deutlich, dass sie genau abklären wollten,<br />

ob sie eine vorsätzliche Tatbegehung <strong>aus</strong>schliessen konnten. Sie waren sich offenbar<br />

nicht sicher, ob <strong>Egger</strong> tatsächlich im rasenden Zorn gehandelt hatte oder<br />

mit Vorsatz eine unangenehme Gläubigerin <strong>aus</strong> dem Weg räumen wollte, um<br />

sich vor seiner Zahlungspflicht zu drücken. Dem Leibarzt war aufgetragen worden,<br />

im Rahmen seines visum et repertum zu beantworten, ob eine oder mehrere<br />

Wunden am Körper seien und ob diese selbst direkt oder nur zufällig tödlich<br />

gewesen seien. 893 Rogg hielt in seinem Bericht fest, die durch einen fürchterlich<br />

gewaltsamen Schlag zugefügte Verletzung an der Wirbelsäule könnte allein als<br />

tödlich erachtet werden. Bezüglich der übrigen Wunden an Ohr, Kopf und Wirbel<br />

legte sich Rogg nicht fest, sondern konstatierte, es lasse sich nicht bestimmen,<br />

ob diese durch wiederholte Gr<strong>aus</strong>amkeit oder durch das Hinunterrollen des<br />

Leichnams in die Stauden entstanden seien. 894<br />

891<br />

892<br />

893<br />

894<br />

Wer solche Leute bewirtete, sollte mit einer Geldbusse bestraft werden; Landmandat<br />

1761, Art. 24, RQSG (Alte Landschaft), S. 121.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 18.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2.<br />

Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 3.<br />

167


Materielle Beurteilung<br />

Bis zum Ende der Verhöre beharrte <strong>Egger</strong> darauf, nur einen Schlag <strong>aus</strong>geführt<br />

zu haben. Die Akten lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob er die Wahrheit<br />

sagte oder nicht. Das Gericht schien schliesslich jedoch als erwiesen erachtet<br />

zu haben, dass die Tat tatsächlich im Affekt <strong>aus</strong>geführt worden war. Mit<br />

Hinweis auf die Carolina, aber ohne Angabe des relevanten Artikels, sprach es<br />

<strong>Egger</strong> schliesslich des Totschlags schuldig und verurteilte ihn zur Todesstrafe<br />

durch das Schwert. Hätte man Vorsatz bejaht, so hätte <strong>Egger</strong> bei einer konsequenten<br />

Anwendung der Carolina die Todesstrafe in Form der qualvollen Räderung<br />

geblüht. Dazu wäre es aber wohl ohnehin nicht gekommen, wurden derartige<br />

Strafen in der Fürstabtei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts doch<br />

offenbar nicht mehr verhängt.<br />

6.2 Leichenschändung<br />

6.2.1 Historisch-kriminologische und rechtliche Einordnung<br />

Nach dem Auffinden der Leichen im Galgentobel wurde <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> verdächtigt,<br />

sich neben dem Totschlag des Leichenraubs und der Leichenschändungen<br />

schuldig gemacht zu haben. Er sollte beerdigte Leichen vom Friedhof und einem<br />

Platz unter dem Galgen <strong>aus</strong>gegraben und zerstückelt haben.<br />

Das Sterben und der Tod waren in der frühen Neuzeit wie bereits erwähnt<br />

etwas All<strong>gegen</strong>wärtiges, sie waren alltägliche Begleiter der Menschen. Dennoch<br />

stellte das Begräbnis immer etwas Besonderes dar, das unabhängig von persönlicher<br />

Betroffenheit stets aufwändig und nach feierlichem Ritus gestaltet wurde.<br />

895 Die Friedhöfe befanden sich im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit<br />

noch oft an zentraler Lage. Die Toten sollten mit den Lebenden in Verbindung<br />

bleiben können. Eine besondere Pflege des Friedhofs gab es in der frühen Neuzeit<br />

jedoch trotz des festlichen Begräbnisses noch nicht. 896 Der Friedhof als sakraler<br />

Ort sowie die dort begrabenen Toten verdienten selbstverständlich Schutz.<br />

Entsprechend wurden Leichenraub und Leichenschändung als schwere Verbrechen<br />

betrachtet.<br />

895<br />

896<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 1 [1990], S. 227; MÜNCH [1990], S. 483.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 1 [1990], S. 222.<br />

168


Materielle Beurteilung<br />

Leichenschändungen kamen einerseits vor als Abwehrakt <strong>gegen</strong> gefährliche<br />

Tote, deren Wiederkehr man fürchtete. Dies versuchte man etwa durch Pfählen<br />

oder Köpfen zu verhindern. Betroffen waren hingerichtete Verbrecher, vermeintliche<br />

Hexen, Zauberer und Vampiere sowie Wöchnerinnen und ungetaufte<br />

Kinder. 897 Andererseits diente die Leichenschändung der Gewinnung von Leichenfetischen,<br />

denen allerlei nützliche Wirkungen nachgesagt wurden. 898<br />

Die Carolina enthält keine Leichendelikte. 899 Art. 171 CCC behandelt nur den<br />

Diebstahl von heiligen oder geweihten Sachen an geweihten oder ungeweihten<br />

Stätten. Danach stehen drei Arten des Diebstahls unter Strafe: zum Ersten der<br />

Diebstahl einer heiligen oder geweihten Sache an geweihten Stätten, zum Zweiten<br />

der Diebstahl einer geweihten Sache an ungeweihten Stätten und zum Dritten<br />

der Diebstahl einer ungeweihten Sache an geweihter Stätte. In der Lehre<br />

werden die Leichendelikte nicht unter Art. 171 CCC subsumiert. 900 Leichendiebstahl<br />

und Grabschändung seien deshalb, so KESEL, nach der römischrechtlichen<br />

Bestimmung D. 47, 12 «de sepulcro violato» bestraft worden. 901 Diese wörtlich<br />

übersetzte «Grabschändung» der Römer, die mit dem Tod bestraft wurde, hatte<br />

nicht nur die Entweihung und Zerstörung eines Grabs, 902 sondern jede Verunglimpfung<br />

eines menschlichen Leichnams zum Gegenstand. 903 CRAMER hält fest,<br />

das Verbrechen der «sepulcri violatio» sei auch unter den christlichen Kaisern<br />

beibehalten worden. 904 Auch MERKEL weist betreffend Bestrafung für Leichenraub<br />

im gemeinen Recht auf die analoge Anwendung der römischen «sepulcri<br />

897<br />

898<br />

899<br />

900<br />

901<br />

902<br />

903<br />

904<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 1093.<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 1094; siehe sogleich<br />

Kap. 6.2.2.3.<br />

KESEL [1968], S. 10; MERKEL [1904], S. 28; ebenso BIERI [1954], S. 17. Zum Begriffsinhalt<br />

des Wortes «Leichnam» und seiner Entwicklung ENGLERT [1979], S. 114 f.<br />

Siehe etwa MERKEL [1904], S. 28.<br />

KESEL [1968], S. 10; MERKEL [1904], S. 25; siehe auch CRAMER [1885], mit Hinweisen<br />

zur in der Lehre vertretenen Ansicht der nach Begriff und Tatbestand unveränderten Rezeption<br />

der römischen «sepulcri violatio», S. 51.<br />

Der Glaube an den im Grab fortlebenden Toten führte dazu, dass auch das Grab als seine<br />

«Wohnung» nicht beschädigt werden sollte, ansonsten verbreitet eine Bestrafung durch<br />

den Toten selbst befürchtet wurde; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5<br />

[1933], Sp. 1094.<br />

BIERI [1954], S. 16. Leichenentweihungen wurden im römischen Recht häufig als Kapitalverbrechen<br />

betrachtet, siehe CRAMER [1885], S. 5 und 11 ff.<br />

CRAMER [1885], S. 49.<br />

169


Materielle Beurteilung<br />

violatio» hin. 905 Die harten Strafen des römischen Rechts wurden im gemeinen<br />

Recht aber vermehrt durch die poena extraordinaria ersetzt. 906 Im Mittelalter<br />

wurde der Leichenraub als Anwendungsfall des schweren Raubs teilweise als<br />

Reraub bezeichnet und zählte verbreitet zu den schwersten Verbrechen. 907<br />

Leichenschändung tritt in der psychiatrischen Literatur in der Regel im Zusammenhang<br />

mit Sexualdelikten auf. So wird mithin unter dem Oberbegriff des<br />

Vampirismus die Leichenschändung überhaupt klassifiziert und darunter zwischen<br />

Nekrophilie 908 und Nekrosadismus 909 unterschieden. 910 Gemäss dem Strafrechtler<br />

CARL STOOSS, der als wichtigster Wegbereiter der schweizerischen<br />

Strafrechtseinheit gilt, 911 soll in der Schweiz bis zum Jahre 1894 kein Fall von<br />

Leichenschändung bekannt geworden sein, was PFENNINGER für die Zeit bis<br />

1921 bestätigte. 912<br />

6.2.2 <strong>Egger</strong>s Experimente<br />

6.2.2.1 Vorbemerkung<br />

Nach langen und <strong>aus</strong>holenden Befragungen mit vielen Wiederholungen, Druckversuchen<br />

und unverholenem Unverständnis der Verhörenden kam betreffend<br />

die Leichenschändungen eine Wahrheit ans Licht, die den Beteiligten höchst<br />

absonderlich vorgekommen sein dürfte: <strong>Egger</strong> hatte Gerüchte über die Kraft<br />

bzw. den Einfluss von Leichenteilen gehört. Und da er, der weder lesen noch<br />

905<br />

906<br />

907<br />

908<br />

909<br />

910<br />

911<br />

912<br />

MERKEL [1904], S. 28.<br />

CRAMER [1885], S. 51. Vgl. unten Kap. 7.1.1.<br />

Unter Reraub wurde ursprünglich die Beraubung des Leichnams verstanden. Verbreitet<br />

wurde der Begriff schliesslich in einem engeren Sinn gebraucht: als Beraubung eines vom<br />

Räuber Erschlagenen, insbesondere bei Raubmord, vgl. HIS, Teil 2 [1935], S. 211 f.<br />

Nekrophilie bezeichnet die sexuelle Betätigung mit Leichen ohne weitere Gewalteinwirkung;<br />

Handbuch gerichtliche Medizin [2003], S. 805. Sie ist in der internationalen statistischen<br />

Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) unter<br />

«Sonstige Störungen der Sexualpräferenz» (F65.8) eingeordnet.<br />

Nekrosadismus ist die Zerstümmelung von Leichen zur sexuellen Befriedigung; Duden –<br />

Das grosse Fremdwörterbuch [2007].<br />

PFENNINGER HANS FELIX [1921], S. 34. Zum Vampirismus und dem abergläubischen<br />

Gedankengut dazu siehe MEYER CARL [1884], S. 345.<br />

GSCHWEND, Juristen [1995], S. 589.<br />

PFENNINGER HANS FELIX [1921], S. 34.<br />

170


Materielle Beurteilung<br />

schreiben konnte, keine Möglichkeit sah, der Sache anders auf den Grund zu<br />

gelangen und ihm seine Neugierde dennoch keine Ruhe liess, beschloss er offenbar,<br />

das aufgeschnappte abergläubische Gedankengut in wohl damals wie<br />

heute höchst befremdlicher Weise mit eigenen Experimenten zu verifizieren<br />

oder aber zu widerlegen.<br />

6.2.2.2 Aberglaube und Wissenschaft im frühneuzeitlichen Wettstreit<br />

Der Knochen als Sitz der Seele des Menschen, der Knochen als Glücksbringer 913<br />

oder der Knochen eines Ermordeten als Hinweis auf den Mörder 914 ; um die<br />

menschlichen Gebeine spinnt sich seit langer Zeit ein breites abergläubisches<br />

Gedankengut. 915 Verstorbene, die keine Ruhe finden konnten, sollten mit ihrem<br />

Bedürfnis nach Erlösung als Geister wiederkehren, wobei sie durch<strong>aus</strong> nicht<br />

gutartig zu sein brauchten. 916 Bis ins 18. Jahrhundert war der Glaube an Spukgestalten<br />

verbreitet, die man sich als halbmenschliche Dämonen vorstellte. 917<br />

Noch im späten Mittelalter wurde manchem Missetäter negativ-dämonische<br />

Kraft zugeschrieben. Er war vielleicht gar selbst ein Dämon in Menschengestalt,<br />

den es zu vertreiben oder zu töten galt. Man verglich ihn mit dem verbreitet als<br />

dämonisches Wesen betrachteten Wolf, der als Bedrohung im dunklen Wald<br />

lebte und oft nachts, zur Zeit der Dämonen, auf Schlachtfeldern, Begräbnisplätzen<br />

und Hinrichtungsstätten auftauchte. Man sprach ihm eine Vorliebe für Leichenfleisch<br />

zu. 918 Noch in Quellen des späten Mittelalters wurden gewisse Mis-<br />

913<br />

914<br />

915<br />

916<br />

917<br />

918<br />

Knochen von Hingerichteten im Geldbeutel sollten dem Kaufmann Glück bringen;<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 9.<br />

Handbuch des Aberglaubens [1999], Bd. 2, S. 455.<br />

Ausführlich dargelegte Beispiele abergläubischer Vorstellungen im Mittelalter und den<br />

darauffolgenden Jahrhunderten, insbesondere in verschiedenen Gebieten der Natur und<br />

des Lebens, bei MEYER CARL [1884], S. 5 ff.; und in der Sammlung von Sagen, Legenden<br />

und Volksaberglauben (Bd. 1) sowie Sitten und Rechtsbräuchen (Bd. 2) von BIRLINGER<br />

[1874]. Siehe auch Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 6 ff.<br />

Zum Geisterglauben und zu einigen seiner Ausprägungen MEYER CARL [1884], S. 347 ff.;<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3 [1931], Sp. 473 ff.<br />

Etwa Zwerge, Riesen, Wildleute etc.; HAUSER ALBERT, Leben [1987], S. 128.<br />

Der Wolf wurde bisweilen als Urbild des Unheils betrachtet; VON HENTIG, Strafe, Bd. 1<br />

[1954], S. 52. Um den Wolf rankten sich verschiedene abergläubische Überzeugungen. So<br />

existierten die Ansichten, sein Geheul bedeute Sterben, Teuerung oder Krieg; MEYER<br />

CARL [1884], S. 224.<br />

171


Materielle Beurteilung<br />

setäter, insbesondere Grabschänder, Leichenräuber und Inzesttäter, als Wolf<br />

bezeichnet. Sie waren wolfsfrei, durften also von jedermann getötet werden. 919<br />

«Es wird dieses Wort in weitläufigen Verstande vor einen Irrthum gebrauchet, da man natürlichen<br />

und menschlichen Dingen etwas göttliches zuschreibt, welches sie nicht an sich<br />

haben, sodass dar<strong>aus</strong> ein unvernünfftiger Affect in dem Gemüth entstehet. Es leidet also<br />

hierbey unsere ganze Seele Schaden, sowohl in Ansehung des Verstandes als des Willens.»<br />

920<br />

So definierte JOHANN HEINRICH ZEDLER den Begriff des Aberglaubens im<br />

1732 erschienenen ersten Band seines «Grossen vollständigen Universallexikon<br />

aller Wissenschaften und Künste». JACOB GRIMM verstand unter Aberglaube<br />

nicht den gesamten Inhalt des heidnischen Glaubens, sondern die Beibehaltung<br />

einzelner heidnischer Gebräuche und Meinungen. Der bekehrte Christ habe die<br />

Götter der Heiden verworfen und verabscheut, in seinem Herzen seien aber<br />

noch Vorstellungen und Gewohnheiten haften geblieben, die ohne offenen Bezug<br />

auf die alte Lehre der neuen nicht unmittelbar zu widerstreben schienen.<br />

Dort, wo das Christentum eine leere Stelle gelassen habe, wo sein Geist die roheren<br />

Gemüter nicht sogleich habe durchdringen können, habe der Aberglaube<br />

oder Überglaube gewuchert. 921<br />

Aberglaube oder Superstitio 922 bezeichnet Glaubensinhalte oder -formen, die<br />

von geltenden religiösen Lehrmeinungen abweichen oder diesen widersprechen,<br />

wobei «Aber-» die Bedeutung von «<strong>gegen</strong>» annimmt. 923 Die Begriffe Irrtum und<br />

Unvernunft entwickelten sich zu Synonymen für Aberglauben. Unter dem Ein-<br />

919<br />

920<br />

921<br />

922<br />

923<br />

Weitere Ausführungen und Quellenangaben zu den abergläubischen Überzeugungen sowie<br />

Erläuterungen zur Hinrichtung von Wölfen und anderen Tieren bei SCHILD, Gerichtsbarkeit<br />

[1980], S. 65 f. Zur Rolle der Medizin im Dämonenglauben und damit zu den Anfängen<br />

der neuzeitlichen Psychiatrie siehe FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 136 ff.<br />

ZEDLER [1732], Bd. 1, S. 93, Sp. 107 f.<br />

GRIMM, Bd. 2 [1854], S. 1059.<br />

In seinem «Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart» übersetzte<br />

Johann Christoph Adelung «superstitio» im beginnenden 19. Jahrhundert mit «Überglaube»,<br />

vgl. Grammatisch-kritisches Wörterbuch [1811], Stichwort «Aberglaube», Sp. 31.<br />

Jacob Grimm führte «superstitio» auf das lateinische «superstes» = «überdauern» zurück<br />

und verstand darunter «ein in einzelnen menschen fortbestehendes verharren bei ansichten<br />

[...], welche die grosse menge vernünftig fahren lässt», GRIMM, Bd. 2 [1854], S. 1059.<br />

Siehe auch SCHILD, Aberglaube [2004], Sp. 8; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,<br />

Bd. 1 [1927], Sp. 64.<br />

Wörterbuch des Aberglaubens [1989], S. 231.<br />

172


Materielle Beurteilung<br />

fluss sich wandelnder gesellschaftlicher und religiöser Strukturen, Normen und<br />

Werte änderten sich auch die Inhalte des Aberglaubens. 924 Unterschieden werden<br />

etwa die Formen Observation (Beobachtung von Zeichen), Divination (willentlich<br />

herbeigeführte Orakel) und magische Kunst (Zauberei), fliessend sind die<br />

Übergänge zu Volksfrömmigkeit 925 und Astrologie. 926 Die Volksfrömmigkeit ist<br />

die synkretistische Form religiösen Denkens und Handelns von Individuen und<br />

Gruppen, die kirchlich vorgegebene Glaubensinhalte den eigenen Bedürfnissen<br />

anpasst. Sie spricht die Sinne, das Gemüt stärker an als den Verstand. 927<br />

Der Kampf <strong>gegen</strong> den Aberglauben geht mit der Aufklärung einher. 928 Neben<br />

der «gelehrten» Aufklärung, die bereits Ende des 17. Jahrhunderts begann, 929<br />

setzte in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine sog. «Volksaufklärung» ein, die<br />

zum Ziel hatte, der breiten Bevölkerung vor allem natur-, aber auch andere wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse zu vermitteln. 930 Alle Formen magisch-abergläubischer<br />

Frömmigkeit wurden scharf angegriffen. 931 Abergläubischen Vorstellungen<br />

und Praktiken versuchte man vermehrt vernunftkritisch zu begegnen und sie<br />

mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu widerlegen. Im Rechtssystem zogen<br />

vor allem das Strafrecht mit den Religionsdelikten und innerhalb dieser der<br />

Tatbestand der Zauberei 932 die aufgeklärte Kritik auf sich. 933<br />

924<br />

925<br />

926<br />

927<br />

928<br />

929<br />

930<br />

931<br />

932<br />

Zur kirchlichen Einflussnahme auf den Aberglauben LABOUVIE [1990], S. 15 ff.; SCHILD,<br />

Aberglaube [2004], Sp. 9 ff.<br />

Zum Begriff der Volksfrömmigkeit und der Kritik daran siehe HUGGER, Volksfrömmigkeit,<br />

e-HLS [2005].<br />

DERENDINGER, Aberglaube, e-HLS [2006].<br />

HUGGER, Volksfrömmigkeit, e-HLS [2005].<br />

SCHWEGLER [2002], S. 42. STUTE [1997], S.106, bezeichnete die Aufklärung als aktive<br />

und aggressive Kampfansage <strong>gegen</strong> Unvernunft und Aberglauben.<br />

Zu nennen sind <strong>aus</strong> jener Zeit etwa Schriften von Leibniz, Thomasius oder Wolff. Mit<br />

dem Thema Aberglaube bei einzelnen aufklärerischen Autoren befasst hat sich BAUSIN-<br />

GER [1963], S. 345 ff.<br />

SCHWEGLER [2002], S. 43. Der Aberglaube liess sich nur langsam zurückdrängen. So<br />

schrieb etwa ECCARD 1787, auch in diesem erleuchteten philosophischen Jahrhundert<br />

stosse man bei jedem Schritt auf einen Menschen, der abergläubisch genug sei, «jede ihm<br />

unerklärbare Erscheinung für Würkung einer übernatürlichen Ursache zu halten», S. 3 f.<br />

Sowohl Volksglaube wie auch Brauchtum, Wunderglaube und barocke Frömmigkeit<br />

wurden kritisiert, VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 139. Siehe auch den Aufsatz von<br />

ECCARD [1787].<br />

Art. 109 CCC.<br />

173


Materielle Beurteilung<br />

Die rationell argumentierenden Aufklärer verstanden oft nicht, weshalb das<br />

Volk trotz ihrer Argumente am Aberglauben festhielt. Schliesslich begannen<br />

Bestrebungen, sich mit dem Ursprung abergläubischer Geschichten und Fabeln<br />

<strong>aus</strong>einanderzusetzen und diesen mit wahrscheinlichen Hypothesen zu widerlegen,<br />

die Geschichte also zu «säubern». 934<br />

Im 18. Jahrhundert wurden jedoch <strong>gegen</strong>über der kleinen gebildeten Elite<br />

auch kritische Stimmen laut. So warf etwa ZEDLER den Geistlichen vor, sich<br />

durch die vorgegebenen Weissagungen und göttlichen Entdeckungen in ganz<br />

besonderes Ansehen und Ehre zu setzen und dabei, was das allerschlimmste sei,<br />

das arme Volk in Irrtum und Unwissenheit stecken zu lassen. Mit Beseitigung<br />

der Unwissenheit wäre es nicht nur um die abergläubischen Possen, sondern<br />

auch um das allzu grosse Ansehen der Geistlichkeit, das diese durch die<br />

Dummheit und Einfalt des Pöbels zu erhalten suche, geschehen. 935 KRUENITZ<br />

bezeichnete es 1773 als Pflicht der Gelehrten, den Aberglauben nach und nach<br />

zu bestreiten und <strong>aus</strong>zurotten. 936 In der Populärwissenschaft der Aufklärungszeit<br />

sollte das Volk, das grösstenteils ohnehin nicht lesen konnte, nicht direkt durch<br />

Schriften aufgeklärt werden, sondern Lehrer und Pfarrer 937 sollten als Vermittler<br />

zwischen Bildungselite und Volk die Aufgabe übernehmen, das Bildungsniveau<br />

des Volkes anhand dieser Schriften zu heben. 938 Bei aller Popularisierung blieb<br />

933<br />

934<br />

935<br />

936<br />

937<br />

938<br />

Bekannter Kritiker war der Frühaufklärer Christian Thomasius, vgl. SCHWEGLER [2002],<br />

S. 43. Die Entlarvung des Aberglaubens wurde durch physikalisch-technische Erklärungen<br />

zuvor unerklärlicher oder als magisch interpretierter Phänomene betrieben. Die Herkunft<br />

magischer, abergläubischer Praktiken wurde historisch-kritisch erörtert; BAUSINGER<br />

[1963], S. 346; auch SIMON, Aufklärung [2005], Sp. 336 f.; HATTENHAUER [2004],<br />

S. 597, Rz. 1619.<br />

Mit weiteren Quellenangaben STUTE [1997], S. 118 f.<br />

ZEDLER [1732], Bd. 1, S. 95, Sp. 111. In dieselbe Richtung zielte ECCARD [1787], S. 7 ff.<br />

Ausführlich zu Wunderwerken und Wunderzeichen im christlichen Glauben SCHWEGLER<br />

[2002], S. 49 ff.<br />

KRÜNITZ, Bd. 1 [1773], 1. Theil, Stichwort «Aberglaube», S. 42. Oft würden allerhand<br />

Laster mit abergläubischen Meinungen verdeckt, so Kruenitz. Den Ursprung des abergläubischen<br />

Denkens sah er in der Unwissenheit der Natur- und Geisterlehre der Alten.<br />

Geistliche sollten im 18. Jahrhundert nicht selten eine Mischung <strong>aus</strong> Aufklärung und Belehrung,<br />

sozialer Disziplinierung und erzieherischer Lächerlichmachung zur Bekämpfung<br />

von Aberglauben und Magieanwendung gebrauchen; siehe LABOUVIE [1990], S. 51. Zu<br />

Pfarrschulen ab dem 16. Jahrhundert und ihrer Bedeutung für die Alphabetisierung<br />

SCHINDLING [1994], S. 86 f.<br />

STUTE [1997], S. 162.<br />

174


Materielle Beurteilung<br />

die Aufklärung jedoch eine an Schriftlichkeit und «vernünftigen» Regeln orientierte<br />

Bewegung, die somit lange Zeit kaum Eingang in das gemeine Volk<br />

fand. 939<br />

In der frühen Neuzeit erwarb die ländliche, aber auch die städtische Bevölkerung<br />

ihr praktisches wie ihr moralisches Wissen vor allem mündlich. Nur eine<br />

kleine Gruppe musste aufgrund ihres Amts oder Berufs über gelehrtes Wissen<br />

verfügen. Durch Schule oder Bücher vermitteltes Wissen gewann erst im<br />

18. Jahrhundert an Relevanz. 940 Das Erzählgut gehörte hin<strong>gegen</strong> schon früher<br />

zur Volksbildung. Auf diese Weise vermittelten nicht nur die Alten den Jungen<br />

ihr Wissen; gel<strong>aus</strong>cht wurde auch Fremden, 941 die von anderen Sitten, Menschen,<br />

allenfalls sogar Ländern berichten konnten. So wurden insbesondere die<br />

Jahrmärkte zu einer Art «Nachrichtenbörse», wobei stets auch Erzählungen über<br />

Gespenster, Teufel und Hexen zum Besten gegeben wurden. 942 Erst die Volksaufklärer<br />

begannen, die Erzählkultur zu kritisieren. Sie wandten sich <strong>gegen</strong> den<br />

beschränkten Wissensstand und waren der Ansicht, das Erzählen würde nicht<br />

nur den Aberglauben verbreiten helfen, sondern die Menschen auch ängstlich<br />

machen. 943<br />

Im Jahrhundert der Aufklärung sei vieles, das morsch und lebensunfähig geworden<br />

sei, gefallen und weggefegt worden, schrieb der St. Galler Nervenarzt<br />

KARL IMBODEN. Auch in der ärztlichen Wissenschaft sei noch manch mittelalterliches<br />

Trümmerstück für immer weggeräumt worden. 944 Bis ins Zeitalter der<br />

Aufklärung waren Wissenschaft und Bildung untrennbar mit der Religion verbunden,<br />

die als Legitimationsgrundlage und Welterklärungssystem den Staat<br />

und das gesellschaftliche Zusammenleben begründete. 945 Ab dem späten 17. und<br />

insbesondere im 18. Jahrhundert wurden Wissenschaft und Bildung schliesslich<br />

939<br />

940<br />

941<br />

942<br />

943<br />

944<br />

945<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 214 f. Aller Aufklärung zum Trotz verlor auch die<br />

Volksfrömmigkeit im 18. Jahrhundert kaum an Stärke. Der Kirchgang war jedoch für viele<br />

Menschen mehr Sitte als spirituelles Bedürfnis. Man befolgte zwar die christlichen Gebote<br />

einigermassen, erwartete dafür aber auch gewisse Gegenleistungen; HAUSER AL-<br />

BERT, Leben [1987], S. 129.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 153 f.<br />

Unter ihnen gab es regelrechte Wandererzähler.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 156.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 157.<br />

IMBODEN [ca. 1915], S. 19.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 137.<br />

175


Materielle Beurteilung<br />

immer stärker geprägt von einer voranschreitenden Säkularisierung des Denkens,<br />

die unter dem Einfluss der Aufklärung zu verstärkter Entfaltung kam. 946<br />

Die Aufklärung wollte die Wissenschaft fördern, Wissen allgemein verbreiten<br />

und das menschliche Denken grundsätzlich der Vernunft unterwerfen, wobei<br />

Erkenntnis und Wahrheit Ideal und Ziel waren. 947 Die Aufklärung förderte<br />

schliesslich auch den Praxisbezug der Bildung und der Wissenschaften. 948<br />

Bis ins <strong>aus</strong>gehende 18. Jahrhundert waren im Schulwesen der Fürstabtei<br />

St. Gallen Kirche und Staat identisch. Der Abt waltete zugleich als oberster<br />

Schulherr. In den beiden letzten Jahrhunderten vor Aufhebung des Klosters<br />

setzten sich die Äbte in verschiedener Hinsicht für die Hebung der Volksschulen<br />

ein. 949 Abt Cölestin baute die von seinem Vorgänger Abt <strong>Joseph</strong> errichteten<br />

Freischulen, in denen kein wöchentliches Unterrichtsgeld mehr errichtet werden<br />

musste, 950 massiv <strong>aus</strong>. 951 Bedeutende Fortschritte im Schulwesen wurden<br />

schliesslich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der Einführung der<br />

Normalschule nach österreichischem Vorbild erzielt. 952 Die neue Methode zog<br />

die Schüler zum eigentlichen Unterricht zu Klassen zusammen, hielt das einzelne<br />

Kind in der Erziehung aber zu Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit an. 953 In<br />

der frühen Neuzeit waren die Bildungsmöglichkeiten in den meisten Städten<br />

und Marktflecken generell besser als in den Dörfern. Zum allmählichen Ausbau<br />

946<br />

947<br />

948<br />

949<br />

950<br />

951<br />

952<br />

953<br />

SCHINDLING [1994], S. 46 sowie S. 87 zur Säkularisierung der Lektüre im 18. Jahrhundert.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 212; ECCARD [1787], S. 10 f. Die gesamte<br />

Menschheit wurde als des Fortschritts fähig erachtet, wobei Erziehung und Unterricht die<br />

Tore für eine bessere Zukunft öffnen sollten; THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 2. Halbband<br />

[1972], S. 704 f.; THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 61.<br />

SCHINDLING [1994], S. 47. Im Zuge der Aufklärung erreichten immer mehr an die breite<br />

Bevölkerung gerichtete Medizinbüchlein den «gemeinen Mann»; zur Volksmedizin in jener<br />

Zeit BRÄNDLI [1990], S. 105 f.<br />

WEISS [2005], S. 265.<br />

Der Schulmeister wurde <strong>aus</strong> Schulstiftungen, Armenfonds sowie Kirchen- und Gemeindebeiträgen<br />

finanziert; WEISS [2005], S. 266.<br />

WEISS [2005], S. 266.<br />

THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 2. Halbband [1972], S. 704; BAUMANN MAX [2003], S. 74.<br />

THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 64 f. Die Schulreform wurde von<br />

weltoffenen Geistlichen und Laien zwar sehr begrüsst, sie stiess aber auch auf Kritik, besonders<br />

laut geäussert etwa vom Offizial Pater Iso Walser, der der Reform zu viel Weltlichkeit<br />

und aufklärerischen Geist vorwarf, siehe WEISS [2005], S. 267; BAUMANN MAX<br />

[2003], S. 74.<br />

176


Materielle Beurteilung<br />

des Schulwesens kam es zwar auch auf dem Land, doch der Lernerfolg scheiterte<br />

oft an fehlenden Geldmitteln, an schlechter Qualität der Lehrer und an der<br />

mangelnden Einsicht weiter Volkskreise. 954<br />

Trotz der fortschrittlich anmutenden Einführung der Normalschule verhielten<br />

sich die Konventualen der Fürstabtei grundsätzlich abwehrend <strong>gegen</strong>über der<br />

Aufklärung. 955 Dennoch setzten sie sich mit <strong>aus</strong>gewählten Inhalten aufklärerischen<br />

Denkens <strong>aus</strong>einander, profitierten im Einzelnen von den neuen Erkenntnissen<br />

und machten sie sogar für die Pflege der Eigentradition nutzbar. 956<br />

Während in anderen katholischen Orten die Jesuiten durch ihre schulische<br />

Tätigkeit Einfluss und Bedeutung erlangten und bis zur (vorübergehenden)<br />

Aufhebung des Ordens 1773 im mittleren und höheren Bildungswesen von einem<br />

eigentlichen jesuitischen Schulmonopol gesprochen werden kann, 957 bildeten<br />

die Abteien St. Gallen und Einsiedeln eine Ausnahme. 958 Die Jesuiten konnten<br />

in diesen Institutionen nicht Fuss fassen. 959 Im 16. Jahrhundert waren von<br />

Rom <strong>aus</strong> erfolglos Versuche unternommen worden, im stiftsanktgallischen Territorium<br />

eine Jesuitenniederlassung zu errichten. 960 Jesuitisches Gedankengut<br />

fand aber dennoch teilweise seinen Weg in die Fürstabtei, studierten doch insbesondere<br />

bis 1620 viele St. Galler Konventualen an von Jesuiten geführten Hochschulen<br />

im Ausland. 961<br />

Die Buchbestände in den Familien beschränkten sich bis ins 18. Jahrhundert<br />

hinein auf die Bibel oder auf biblische Geschichten sowie allenfalls Andachtsund<br />

Erbauungsbücher. Die meisten Bücher wurden von Generation zu Generation<br />

weitergegeben und immer wieder gelesen, wobei die Beziehung zum Inhalt<br />

954<br />

955<br />

956<br />

957<br />

958<br />

959<br />

960<br />

961<br />

BAUMANN MAX [2003], S. 75.<br />

GEMPERLI [2005], S. 26. Immerhin liess insbesondere Abt Beda gewisse gemässigte Ansätze<br />

bildungsfreundlicher und gemeinnütziger Aufklärung zu; ETTIN, Benediktiner,<br />

e-HLS [2007].<br />

MARTI [2003], S. 70, vertritt die Auffassung, dass die Aufklärung von den massgeblichen<br />

Konventualen zwar weniger als Bedrohung des Klosterstaats, wohl aber als Eingriff in die<br />

monastische Lebensweise begriffen wurde.<br />

Dieses Monopol bestand insbesondere bei der höheren Schulbildung der (männlichen)<br />

Jugend; HARTMANN [2001], S. 68.<br />

BISCHOF, Jesuiten, e-HLS [2008].<br />

BAUMANN MAX [2003], S. 58.<br />

SCHMUCKI [1991] (ohne Seitenzahl).<br />

So insbesondere in Dillingen, Ingolstadt und Rom; SCHMUCKI [1991] (ohne Seitenzahl).<br />

177


Materielle Beurteilung<br />

in der Regel völlig unkritisch war. 962 Das Bedürfnis nach geschriebenen aktuellen<br />

Nachrichten war nicht <strong>aus</strong>geprägt, sodass die im <strong>aus</strong>gehenden 17. Jahrhundert<br />

in St. Gallen erschienene «Ordinari Neue Wochen-Zeitung» 963 nur während<br />

weniger Jahre gedruckt wurde. Erst im 19. Jahrhundert begannen sich Zeitungen<br />

durchzusetzen. 964 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Wunsch<br />

nach neuer Literatur langsam hörbar und allmählich lauter. Im Zuge der Aufklärung<br />

begann man zudem, das Gelesene kritisch durchzudenken und zu beurteilen.<br />

Im <strong>aus</strong>gehenden 18. und schliesslich im 19. Jahrhundert bildeten sich Lesegesellschaften<br />

965 und öffentliche Bibliotheken. 966 Die Diskussion aufklärerischen<br />

Gedankenguts ging klar von der gebildeten Oberschicht <strong>aus</strong>. 967<br />

6.2.2.3 Die Geköpfte und die Wöchnerin<br />

Auch wenn die Obrigkeit, die <strong>Egger</strong> verhörte, offenbar Zweifel daran hatte, ob<br />

er tatsächlich nicht lesen konnte und ob er nicht vielleicht doch einiges über<br />

anatomische Zusammenhänge wusste, lassen sich in diese Richtung zielende<br />

Vermutungen durch die Akten nicht belegen. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass<br />

<strong>Egger</strong>, in dessen H<strong>aus</strong>halt nach Angaben seiner Ehefrau als einzige Bücher drei<br />

Gebetbüchlein ihrer Töchter existierten, 968 tatsächlich weder lesen noch schreiben<br />

konnte. Obwohl in räumlicher Nähe zur Stadt St. Gallen, lebte <strong>Egger</strong> in den<br />

Strukturen der Alten Landschaft doch ländlich. Er bewirtschaftete einen Hof.<br />

Vor dem Hintergrund der zu jener Zeit in den Stiftslanden vorherrschenden<br />

Schulstrukturen erscheint naheliegend, dass der 1746 geborene <strong>Egger</strong> nie zur<br />

Schule ging. Praktisches Wissen, insbesondere zur Bewirtschaftung des Hofs,<br />

hatte er sich wohl mit Hilfe seiner Vorfahren angeeignet. Über «gelehrtes» Wissen<br />

in irgendeiner Form dürfte er kaum verfügt haben.<br />

962<br />

963<br />

964<br />

965<br />

966<br />

967<br />

968<br />

BAUMANN MAX [2003]. S. 78 f.<br />

Gedruckt wahrscheinlich von 1681 bis 1686; KALKOFEN [1999], S. 825.<br />

KALKOFEN [1999], S. 825 f.; LEMMENMEIER [2003], S. 89.<br />

Die möglicherweise erste Lesegesellschaft der Schweiz entstand 1703 in St. Gallen,<br />

EBERLE [1999], S. 651 f.; KALKOFEN [1999], S. 818 f.; LEMMENMEIER [2003], S. 84.<br />

Einen Überblick mit weiteren Quellenangaben liefert BAUMANN MAX [2003], S. 81 f.<br />

BAUMANN MAX [2003], S. 83.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sagen der Ehefrau, S. 9.<br />

178


Materielle Beurteilung<br />

Obwohl bis 1775 zweifellos einige Gedanken der Aufklärung in die Stiftslande<br />

vorgedrungen waren, ist nicht anzunehmen, dass der einfach lebende<br />

Landwirt <strong>Egger</strong> davon viel mitbekommen hatte. Er scheint viel eher in herkömmlichen,<br />

in vielen Belangen gänzlich unkritischen Denkstrukturen und<br />

Überlieferungen haften geblieben zu sein. Mit der kleinen gelehrten Oberschicht,<br />

die in der Alten Landschaft insbesondere <strong>aus</strong> Geistlichen bestand, dürfte<br />

er kaum je in Berührung gekommen sein. Offensichtlich verfügte er nicht<br />

über die Vor<strong>aus</strong>setzungen, sich kognitiv und vernunftbestimmt mit überliefertem,<br />

abergläubischem Gedankengut <strong>aus</strong>einanderzusetzen. Immerhin fällt im<br />

Zusammenhang mit seinen Experimenten an den Leichnamen der geköpften<br />

Elisabeth Han und der Wöchnerin Maria Baumann auf, dass er den abergläubischen<br />

Erzählungen von Johannes Geser eine gewisse Skepsis ent<strong>gegen</strong> brachte.<br />

Anders als vermutlich einige seiner Zeitgenossen nahm er das Gehörte nicht<br />

ohne weiteres für bare Münze. Dennoch gelang es ihm nicht, den Gerüchten gar<br />

keinen Glauben zu schenken und sie als abergläubisches Gerede abzutun. Weil<br />

er keine andere Möglichkeit sah – insbesondere wohl, weil er keinen Zugang zu<br />

Erkenntnissen der Wissenschaft hatte –, beschloss er möglicherweise, sich<br />

selbst zu helfen. Er wollte seine Neugierde dadurch befriedigen, dass er das Gehörte<br />

<strong>aus</strong>probierte.<br />

Der Körper von Maria Baumann war auf dem Kirchhof in geweihter Erde<br />

begraben. Nach den Erzählungen von Geser finde man keine Rast und Ruhe<br />

mehr, wenn man etwas vom Kirchhof in seinem H<strong>aus</strong> habe. Der Leichnam von<br />

Maria Baumann sollte <strong>Egger</strong> helfen, diese Behauptung, die er nicht so recht<br />

glauben konnte, zu überprüfen. Die Leiche von Elisabeth Han, von der er ja bereits<br />

seit deren Enthauptung knapp zwei Jahre vor dem Prozess verschiedene<br />

Körperteile bei sich zuh<strong>aus</strong>e aufbewahrte, hätte ihm nach seiner Vorstellung für<br />

diesen Versuch wohl nicht geholfen, da diese als geköpfte Straftäterin unter dem<br />

Galgen und somit nicht in geweihter Erde begraben worden war. 969<br />

Im Verhör gab <strong>Egger</strong> zu Protokoll, zur Ausgrabung der Leiche von Maria<br />

Baumann «gezwungen» gewesen zu sein und keine Ruhe mehr gefunden zu haben,<br />

bis er sie schliesslich <strong>aus</strong>gegraben und in seinem Stall versteckt habe. 970 An<br />

969<br />

970<br />

Siehe die entsprechende Aussage in Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 241.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 83.<br />

179


Materielle Beurteilung<br />

dieser Version hielt er im letzten Verhör vom 7. März 1775 nur teilweise fest.<br />

Er gab zu, er habe mit Maria Baumanns Leiche die abergläubischen Erzählungen<br />

Gesers überprüfen wollen, beharrte jedoch darauf, in den Weihnachtstagen<br />

«weder rast, noch ruehe gehabt [zu haben], bis er es gethan habe». 971 Das Gericht<br />

glaubte ihm nicht. Die skeptischen Fragen, die <strong>Egger</strong> danach noch gestellt<br />

wurden, deuten darauf hin, dass die Verhörenden die Vorstellung sehr befremdete,<br />

jemand könne extra ein Grab <strong>aus</strong>räumen, um etwas vom Kirchhof bei sich<br />

zuh<strong>aus</strong>e zu haben und zu testen, ob es daraufhin tatsächlich «rumple» bzw. man<br />

vom Geist des Toten heimgesucht werde. Wie bereits erwähnt, waren derartige<br />

abergläubische Vorstellungen von den Geistern von Toten, die noch nicht erlöst<br />

worden waren und darum wieder zu den Menschen zurückkehrten, keine Seltenheit.<br />

Das Gericht zeigte dafür jedoch wenig Verständnis. Vor lauter Unglauben<br />

verzichtete es schliesslich sogar darauf, <strong>Egger</strong> nach dem Ergebnis dieses<br />

Experiments mit der Leiche der Wöchnerin zu fragen.<br />

<strong>Egger</strong> bestritt anfänglich, mit dem Leichnam von Maria Baumann irgendetwas<br />

gemacht zu haben. 972 Nach beharrlichem Nachfragen bekannte er schliesslich,<br />

das Herz her<strong>aus</strong>geschnitten zu haben, was er damit begründete, er habe<br />

verhindern wollen, dass es beim Transport ins Galgentobel tropfe. 973 Vor dem<br />

Hintergrund der anderen Experimente <strong>Egger</strong>s dürfte dies nicht die wahre Motivation<br />

gewesen sein. Freilich umgab auch das menschliche Herz vielfältiges<br />

abergläubisches Gedankengut. Das Herz gilt in Sagen und Märchen als Sitz des<br />

Lebens und der Seele, 974 herzförmige Amulette sollten <strong>gegen</strong> Verhexung und<br />

den bösen Blick helfen. Herzkrankheiten glaubte man von Dämonen verursacht.<br />

975 Fideli Burckhard, der Knecht des Scharfrichters, der im August 1773<br />

den in den Stauden des Galgentobels gefundenen Leichnam von Elisabeth Han<br />

wieder vergraben musste, hatte bereits damals gemutmasst, jener Leiche könnte<br />

das Herz <strong>aus</strong> dem Körper genommen worden sein, da «spizbueben allerhand<br />

abergläubische Sachen damit trieben». 976 Der Leichnam von Elisabeth Han wur-<br />

971<br />

972<br />

973<br />

974<br />

975<br />

976<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 241.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 83, 92.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 106.<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3 [1931], Sp. 1797.<br />

Handbuch des Aberglaubens, Bd. 2 [1999], S. 364.<br />

Dok. 1, Zeugen<strong>aus</strong>sagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,<br />

S. 4.<br />

180


Materielle Beurteilung<br />

de damals jedoch nicht untersucht. Das Gericht ging schliesslich dem Motiv<br />

<strong>Egger</strong>s für die Entfernung des Herzens bei der Leiche von Maria Baumann nicht<br />

weiter nach.<br />

Die Leiche von Elisabeth Han hatte <strong>Egger</strong> nach ihrer Hinrichtung im Juni<br />

1773 <strong>aus</strong> ihrer Ruhestätte unter dem Galgen <strong>aus</strong>gegraben, ihr die Haut abgezogen<br />

und diese mit nachh<strong>aus</strong>e genommen. In der dritten Einvernahme vom<br />

20. Februar 1775 gab <strong>Egger</strong> an, die Haut der Leiche unter seinem Stadeldach<br />

aufs Stroh gespannt zu haben, worauf die Mäuse die Haut ziemlich zerfressen<br />

hätten. 977 Bei der vierten Einvernahme am 21. Februar 1775 nannte <strong>Egger</strong><br />

schliesslich den Grund für diese Tat: Ein Zimmermann habe ihm 14 Jahre zuvor<br />

gesagt, die Haut des St. Bartholomäi liege noch ganz im ehemaligen Kloster<br />

St. Katharina in der Stadt. 978 Damit lieferte <strong>Egger</strong> den Grund für das Häuten der<br />

Leiche von Elisabeth Han. Doch sein Experiment glückte offensichtlich nicht;<br />

die Haut blieb nicht etwa unbeschädigt wie jene des St. Bartholomäi, sondern<br />

wurde von den Mäusen zerfressen. <strong>Egger</strong> mochte diesen Versuch als Beweis<br />

dafür gewertet haben, dass im ehemaligen Kloster St. Katharina unmöglich noch<br />

die ganze Haut des St. Bartholomäi liegen könne, oder dass nur die Haut von<br />

Heiligen unbeschadet bleibe – da das Gericht diesen Versuch <strong>Egger</strong>s im Verhör<br />

nicht mehr aufgriff, bleibt unklar, welche Schlüsse <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> dem Ergebnis dieses<br />

Experiments gezogen hatte.<br />

Der menschlichen Haut wurde im abergläubischen Gedankengut grosse Bedeutung<br />

beigemessen. Abgezogene Haut spielte unter anderem in «volksmedizinischen»<br />

Riten eine Rolle, wo man etwa gegerbte Menschenhaut als geburtsfördernde<br />

Leibbinde umlegte. 979 Weiter herrschte bisweilen die Meinung vor,<br />

Leder <strong>aus</strong> Menschenhaut sei stärker als alles andere, aber mit solchen Schuhen<br />

dürfe man nie geweihte Erde betreten. 980 Mit Hilfe eines Gürtels <strong>aus</strong> Menschenhaut<br />

könne man sich in einen Werwolf verwandeln. 981 Leider verraten die Verfahrensakten<br />

im Fall <strong>Egger</strong> nicht, ob ihm derartiges Gedankengut bekannt war.<br />

977<br />

978<br />

979<br />

980<br />

981<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 154.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 160.<br />

Wörterbuch des Aberglaubens [1989], S. 89 f.; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,<br />

Bd. 3 [1931], Sp. 1583 f.<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3 [1931], Sp. 1584.<br />

Handbuch des Aberglaubens, Bd. 2 [1999], S. 344.<br />

181


Materielle Beurteilung<br />

Spätestens seit <strong>Egger</strong>s Erklärungen vom 21. Februar 1775 zum Hintergrund<br />

seines Versuchs mit der Haut vermutete das Gericht, dass auch hinter den übrigen<br />

«Experimenten» Aberglaube stecken könnte. Beim Verhör <strong>Egger</strong>s vom<br />

22. Februar fragte man ihn, ob er nie etwas von Segensprechereien und dergleichen<br />

gehört habe. 982 Weiter befragte man seine Ehefrau am 23. Februar, was für<br />

Schriften, Bücher oder anderers bei ihnen zuh<strong>aus</strong>e vorhanden seien und was für<br />

Leuten <strong>Egger</strong> Unterschlupf gewährt habe. 983 Maria German erzählte daraufhin<br />

von einem Mann, der einmal eine Nacht in ihrem Stall übernachtet habe und<br />

abends bei ihnen in der Stube allerhand vom Krieg und der Galeere erzählt habe.<br />

Während des Frühlingsjahrmarkts habe zudem einmal ein Ehepaar vier oder<br />

fünf Nächte bei ihnen im Heu übernachtet. Sie wisse nicht, was <strong>Egger</strong> mit ihnen<br />

geredet habe. 984 Dem Gericht war bekannt, dass im Rahmen von Jahrmärkten,<br />

die viele Leute von <strong>aus</strong>wärts anzogen, die verschiedensten Geschichten erzählt<br />

wurden und auf diesem Weg häufig auch Aberglaube verbreitet wurde. Den<br />

Befragern lag offensichtlich daran her<strong>aus</strong>zufinden, was bzw. wer <strong>Egger</strong>s Neugierde<br />

geweckt haben könnte.<br />

Ob alle Versuche <strong>Egger</strong>s einen abergläubischen Hintergrund hatten, ist unklar.<br />

Der Leiche von Maria Baumann trennte er etwa Brust und «rückhengrath»<br />

her<strong>aus</strong>, letzteres angeblich, um sie besser transportieren zu können. 985 Ob dies<br />

tatsächlich der Grund war, ist zumindest fraglich. Denkbar wäre, dass nicht nur<br />

der Aberglaube <strong>Egger</strong> antrieb, sondern er die Gelegenheit nutzte und gleich<br />

noch detailliert betrachtete, wie der menschliche Körper von innen <strong>aus</strong>sieht.<br />

Doch dies bleibt Spekulation.<br />

Die Akten vermitteln das Bild, dass die Untersuchenden mit den Leichenschändungen<br />

<strong>Egger</strong>s überfordert waren. Zweifelsohne empfand man <strong>Egger</strong>s Experimente<br />

als abstossend und schockierend. Denkbar ist, dass hinter den «Versuchen»<br />

<strong>Egger</strong>s mit den Leichen ein sexuelles Motiv vermutet wurde; in diese<br />

Richtung zielende Fragen finden sich in den Verhörprotokollen und den übrigen<br />

Akten jedoch keine. Das Gericht unterliess es schliesslich, diese Taten rechtlich<br />

einzuordnen und selbstständig zu bestrafen. Auch wenn im Rahmen der pfalzge-<br />

982<br />

983<br />

984<br />

985<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Frage 222.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 9.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 10.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antworten 118 und 132.<br />

182


Materielle Beurteilung<br />

richtlichen Beratung am 3. März 1775 offenbar erwogen worden war, <strong>Egger</strong> zur<br />

Ergründung seines Motivs zu foltern, verzichtete man schliesslich darauf mit<br />

dem Hinweis, dass bereits der von ihm verübte Totschlag die Todesstrafe rechtfertige.<br />

986<br />

986<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

183


Urteil und Strafe<br />

7 Urteil und Strafe<br />

7.1 Das Strafsystem<br />

7.1.1 Poena ordinaria und extraordinaria<br />

Neben der poena ordinaria, der ordentlichen, in der Carolina vorgesehenen Strafe,<br />

existierte die poena extraordinaria und gewann an Bedeutung. Die Carolina<br />

enthält keinen abschliessenden Katalog der als strafbar zu betrachtenden Handlungen.<br />

In Art. 105 enthält sie eine Art Generalkl<strong>aus</strong>el, nach der es Richter und<br />

Urteilern obliegt, betreffend nicht explizit in die Carolina aufgenommene Taten<br />

zu beraten, wie den kaiserlichen Rechten und der Halsgerichtsordnung entsprechend<br />

«am gemessigsten gehandelt vnnd geurtheylt werden soll». In den Jahrhunderten<br />

der Geltung der Carolina kam es zudem vor, dass gewisse Strafen als<br />

dem jeweiligen Rechtsempfinden nicht mehr angemessen und nicht mehr tragbar<br />

erachtet wurden. 987 Um den Bedürfnissen der praktischen Rechtspflege gerecht<br />

zu werden, entwickelte sich die Lehre von den crimina extraordinaria.<br />

Die poena extraordinaria, verstanden als nicht gesetzlich, sondern nur vom<br />

Richter festgelegte Strafe, überschneidet sich mit dem Begriff der poena arbitraria,<br />

worunter man die im richterlichen Ermessen stehende mildere Strafe versteht.<br />

988 Drängte die Fallbetrachtung zur Strafmilderung, so berief man sich darauf,<br />

dass die dem Angeklagten vorgeworfene Tat nicht ganz dem normalen<br />

Verbrechenstyp entspreche. 989 Die Ausnahmestrafe kam zum Zug, wenn das Gesetz<br />

für bestimmte verbotene Fallgestaltungen keine Strafe enthielt, sowie dort,<br />

wo das Gesetz für das als strafwürdig erachtete Verhalten keinen Deliktstypus<br />

zur Verfügung stellte. 990 Misslang der Vollbeweis einer Tat oder wurde das Delikt<br />

zwar versucht, aber nicht vollendet, wurde die poena extraordinara angewendet.<br />

991<br />

987<br />

988<br />

989<br />

990<br />

991<br />

SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], S. 166 f.<br />

SCHMOECKEL [2000], S. 296; KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 13.<br />

WESEL [2006], S. 399.<br />

SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965 ], S. 167.<br />

Zum Ganzen SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 22 f.; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege<br />

[1965], § 155 S. 167.<br />

185


Urteil und Strafe<br />

Aufgabe der Strafrechtswissenschaft war es, Gesichtspunkte zu entwickeln,<br />

die dem Richter möglicherweise unter Abweichung vom überkommenen Gesetz<br />

die Verhängung der poena extraordinaria ermöglichten. 992 Nach der Strafrechtswissenschaft<br />

durfte die poena extraordinaria nicht als Todesstrafe verhängt werden.<br />

993 Auch die Verstümmelungsstrafe sollte nach überwiegender Ansicht stets<br />

poena ordinaria sein. 994 Allmählich setzte sich die Meinung durch, dass die poena<br />

extraordinaria auch als Verdachtsstrafe 995 und ohne Geständnis <strong>aus</strong>gesprochen<br />

werden dürfe. Nur die Verhängung der poena ordinaria erforderte nach<br />

gemeinrechtlicher Lehre den vollen Beweis. 996<br />

7.1.2 Todesstrafe<br />

Die Carolina nennt die Todesstrafe als poena ordinaria für viele Delikte. Im<br />

Mittelalter und in der frühen Neuzeit konnten Todesstrafen je nach Deliktsart<br />

verschärft werden, beispielsweise durch Rädern anstelle der Enthauptung durch<br />

das Schwert. Dies hatte seinen Ursprung in einer gewissen Unsicherheit darüber,<br />

ob die Todesstrafe wirklich als die härteste und abschreckendste Strafe<br />

anzusehen war, zumal die religiösen Jenseitsvorstellungen 997 dem Tod viel von<br />

seinem Schrecken nahmen. Durch langes Leidenlassen des Delinquenten sollte<br />

deswegen die abschreckende Wirkung verstärkt werden. 998 Die peinlichen Lebensstrafen<br />

wurden auf dem sog. endlichen Rechtstag in einer öffentlichen Hinrichtungszeremonie<br />

vollstreckt. 999 Der Vollzug des Todesurteils stellte oft ein<br />

992<br />

993<br />

994<br />

995<br />

996<br />

997<br />

998<br />

999<br />

Mit Hinweisen auf die entsprechenden Lehren von Carpzov und Böhmer SCHMIDT EBER-<br />

HARD, Strafrechtspflege [1965], S. 167 f. Der Kriminalist und Carolina-Kommentator Johann<br />

Samuel Friedrich Böhmer, Sohn des Kirchenrechtlers Justus Henning Böhmer, lebte<br />

von 1704 bis 1772; HESS [2005], Sp. 640.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169.<br />

PÖLTL [1999], S. 51 f.; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 155, S. 167;<br />

SCHMOECKEL [2000], S. 351.<br />

ROTH [1998], Sp. 681 ff.<br />

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169.<br />

Vgl. Kap. 6.1.1.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 127; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege<br />

[1965], § 174, S. 186. Insbesondere zum Tod als neuem Anfang VON HENTIG, Strafe,<br />

Bd. 2 [1955], S. 34 ff.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 35, Rz. 66; S. 56, Rz. 110; VAN DÜLMEN, Theater [1995],<br />

S. 10 und S. 38 ff.; HENKEL [1968], S. 43; vgl. auch Art. 79 und 97 CCC.<br />

186


Urteil und Strafe<br />

eindrückliches Ritual dar; die Bestrafung sollte eine möglichst grosse Abschreckungswirkung<br />

nach sich ziehen. 1000<br />

Die Carolina kennt neben der Feuer- und der Schwertstrafe die Vierteilung,<br />

die Räderung, den Galgen, das Ertränken und das lebendig Vergraben. 1001 Die<br />

Enthauptung wurde als «ehrliche» Todesstrafe betrachtet, die Ehre des Delinquenten<br />

und seiner Familie wurde bei dieser Strafart also nicht verletzt. 1002 Seit<br />

dem 17. und insbesondere im Lauf des 18. Jahrhunderts, in dem immer mehr<br />

Stimmen <strong>gegen</strong> die Todesstrafe laut wurden, 1003 begann man sie einzuschränken<br />

und auf die Strafschärfungen zu verzichten. 1004<br />

Die im 18. Jahrhundert am häufigsten praktizierte Hinrichtungsart war<br />

schliesslich die Enthauptung. 1005 Es wurden im Übrigen zunehmend Begnadigungen<br />

<strong>aus</strong>gesprochen. 1006 Anstelle der Todesstrafe setzten sich die Freiheitsund<br />

die Arbeitsstrafe als <strong>aus</strong>serordentliche Strafen immer weiter durch. 1007<br />

7.1.3 Freiheitsstrafen<br />

In der frühen Neuzeit, in deren Strafsystem die peinlichen Strafen bei Weitem<br />

überwogen, spielte der Freiheitentzug nur eine untergeordnete Rolle. Gefängnisse<br />

dienten in der Regel zur Verwahrung von Gefangenen während der Untersu-<br />

1000<br />

1001<br />

1002<br />

1003<br />

1004<br />

1005<br />

1006<br />

1007<br />

PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 128, Rz. 199.<br />

Zu den einzelnen Arten der Todesstrafe SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 197 ff.; HIS,<br />

Teil 1 [1920], S. 491 ff. Die Rohheit und Gr<strong>aus</strong>amkeit der Strafen insbesondere seit dem<br />

Mittelalter haben die Forschung und Lehre breit beschäftigt und sind immer wieder als<br />

unfassbar kommentiert worden. In der neueren Forschung wird jedoch vermehrt bezweifelt,<br />

dass das Strafsystem insbesondere im Spätmittelalter tatsächlich noch so gr<strong>aus</strong>am<br />

und hart war, wie man bisher angenommen hatte; EISENHARDT ULRICH [2004], S. 80,<br />

Rz. 107.<br />

Im Gegensatz dazu galt etwa das Erhängen als unehrenhafte, schändliche Tötungsart; VAN<br />

DÜLMEN, Theater [1995], S. 109 und S. 118; SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 198 ff.;<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 57.<br />

Einen Überblick über die Diskussion der Todesstrafe im aufgeklärten Absolutismus liefert<br />

SENN [2007], S. 273 ff.<br />

SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 58.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 118 und S. 120; BLESS-GRABHER [2003], S. 275.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 82 f., Rz. 169; S. 101, Rz. 225; VAN DÜLMEN, Theater<br />

[1995], S. 108, S. 111 und S. 115. Vgl. unten Kap. 7.1.5.<br />

Siehe sogleich Kap. 7.1.3 und 7.1.4.<br />

187


Urteil und Strafe<br />

chung und gegebenenfalls bis zur Hinrichtung. 1008 Anstelle einer Geldbusse war<br />

nach der Carolina bei leichtem Diebstahl eines zahlungsunfähigen Delinquenten<br />

subsidiär eine begrenzte Gefängnisstrafe möglich. 1009 Vereinzelt kennt die Carolina<br />

die Gefängnisstrafe auch beim Vorliegen von Strafmilderungsgründen. 1010<br />

Im Zuge der Aufklärung wurde die Forderung laut, nutzlose und verrohende alte<br />

Strafen durch Freiheitsstrafen und insbesondere durch nützliche Arbeit im Gefängnis<br />

zu ersetzen. 1011 Die Strafe sollte eine Wiedergutmachung im Dienste der<br />

Gesellschaft darstellen und dieser nützlich sein. 1012 In der neueren Forschung<br />

wird verschiedentlich betont, dass die Reform des Strafvollzugs nicht einseitig<br />

als zivilisatorischer und humanitärer Fortschritt zu werten sei. Den Reformern<br />

sei es nicht nur oder sogar nicht primär um eine Milderung der Strafpraxis gegangen,<br />

sondern um eine Verbesserung ihrer Effizienz. 1013<br />

Seit dem <strong>aus</strong>gehenden 16. Jahrhundert wurden in grösseren Städten Zucht-,<br />

Korrektions- und Arbeitshäuser eingerichtet, die vor allem dazu dienten, Bettler<br />

und Gesindel von der Strasse wegzuschaffen. 1014 Da sie schliesslich vermehrt<br />

auch Straftäter aufnahmen, dienten sie neben der Armenpflege bald auch der<br />

1008<br />

1009<br />

1010<br />

1011<br />

1012<br />

1013<br />

1014<br />

HINCKELDEY [1989], S. 350 f.<br />

Art. 157 CCC.<br />

Art. 10, 102 und 192 CCC.<br />

Das durch Unberechenbarkeit und Unverhältnismässigkeit gekennzeichnete alte Strafrecht<br />

musste mit der Aufklärung auf längere Sicht seine Glaubwürdigkeit verlieren; KRAMER<br />

[2007], S. 92; siehe auch SIMON, Aufklärung [2005], Sp. 337.<br />

VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 2 [1992], S. 274. Die Zuchth<strong>aus</strong>strafe entsprach dem Geist des<br />

aufgeklärten Absolutismus. Der Staat nahm sich das Recht, Verbrecher zwangsweise zu<br />

erziehen und die Öffentlichkeit vor ihnen zu schützen; ZWICKY [1982], S. 7. Spätestens im<br />

<strong>aus</strong>gehenden 18. Jahrhundert hatte sich bei den Strafrechtsreformern die in der Länge beliebig<br />

variierbare Freiheitsstrafe als favorisierte Strafform her<strong>aus</strong>kristallisiert; vgl. die<br />

Übersicht bei KRAMER [2007], S. 91 ff.<br />

Mit Darstellung der Lehrmeinungen KRAMER [2007], S. 90. Als Beispiel zur älteren Lehre<br />

QUANTER, der es den «energische[n] Herzensergüsse[n]» von «einsichtsvollen Rechtsgelehrten»<br />

zuschreibt, dass die Machthaber sich langsam darauf besannen, dass «die Carolina<br />

nicht zum blossen Vergnügen für unterhaltungsbedürftige Leser bestimmte, die Gefängnisse<br />

sollten nicht zur Peinigung, sondern nur zur Verwahrung der Gefangenen eingerichtet<br />

werden»; QUANTER, Zuchth<strong>aus</strong> [1905], S. 115. Siehe auch SCHMIDT EBERHARD,<br />

Zuchthäuser [1960], S. 9 f.<br />

HINCKELDEY [1989], S. 351; CURTI [1988], S. 1 f.; SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser<br />

[1960], S. 6 f.; SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 105.<br />

188


Urteil und Strafe<br />

Strafrechtspflege und erfüllten damit einen Doppelzweck. 1015 Die Insassen mussten<br />

oftmals strenge Arbeit verrichten. Nicht selten versuchte man auf sie auch<br />

religiös Einfluss zu nehmen. 1016 Wenngleich durch solche Anstalten gewisse<br />

Probleme zumindest dem Anschein nach gelöst wurden, schufen sie auch einige<br />

neue. So beschrieb etwa RADBRUCH solche Anstalten als Pflanzstätten des Lasters<br />

und des Verbrechens. 1017<br />

Ländliche Gebiete verfügten kaum je über Vollzugsanstalten irgendwelcher<br />

Art. Auch die Einrichtung von sog. Schellenwerken blieb weitgehend den Städten<br />

vorbehalten. Die Schellenwerker wurden zwangsweise in der Öffentlichkeit<br />

beschäftigt und dabei durch ein mit einer Schelle versehenes Zwangsgerät gekennzeichnet.<br />

1018<br />

Die ursprüngliche Erziehungsfunktion, die solchen Anstalten zukommen sollte,<br />

wurde vielerorts bald von wirtschaftlichen Überlegungen überlagert. 1019 In der<br />

Zeit des Merkantilismus im 17. und 18. Jahrhundert waren die Insassen der<br />

Zuchthäuser willkommene billigste Arbeitkräfte in Produktionsstätten im Interesse<br />

des Staats. 1020 Die verlangten Arbeitsleistungen waren oft schwer und kräftezehrend,<br />

die Behandlung durch die Beaufsichtiger rücksichtslos, die Verpflegung<br />

schlecht. Diese neue Art der Körperpeinigung lässt sich wohl mit den alten<br />

peinlichen Leibesstrafen vergleichen, wobei die Qualen nunmehr für militärische<br />

und andere öffentliche oder wirtschaftliche Zwecke nichtkriminalistischer<br />

Art nutzbringend waren. 1021 SCHMIDT charakterisierte die Arbeitsstrafen deswegen<br />

als Leibesstrafen neuer Art, «wenn man in ihnen nicht geradezu verlängerte<br />

1015<br />

1016<br />

1017<br />

1018<br />

1019<br />

1020<br />

1021<br />

GRAF [1996], S. 37; MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 60 f.; PAHUD DE MOR-<br />

TANGES [2007], S. 131, Rz. 131.<br />

ZWICKY [1982], S. 5; HINCKELDEY [1989], S. 351. HIPPEL [1941], S. 35, bezeichnete die<br />

allmähliche Milderung des Strafensystems der Carolina durch die Verbreitung der auf<br />

dem Besserungszweck beruhenden Freiheitsstrafe als Lichtblick in der Zeit willkürlichster<br />

Bestrafung.<br />

RADBRUCH, Verbrechen [1931], S. 231; vgl. auch CURTI [1988], S. 3.<br />

FUMASOLI [1981], S. 200; FEUERHELM [1997], S. 98. Im Gegensatz zu den Insassen von<br />

Zuchthäusern wurden die Schellenwerker der Öffentlichkeit etwa bei Strassenreinigung<br />

oder -<strong>aus</strong>besserung zur Schau gestellt, GRAF [1996], S. 35; SCHILD, Gerichtsbarkeit<br />

[1980], S. 210; CURTI [1988], S. 23; ZWICKY [1982], S. 4.<br />

CURTI [1988], S. 3.<br />

HINCKELDEY [1989], S. 352; FUMASOLI [1981], S. 22; GRAF [1996], S. 37; CURTI [1988],<br />

S. 3; SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 135.<br />

SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 175, S. 187.<br />

189


Urteil und Strafe<br />

Todesstrafen sehen will». 1022 Mit dem Forschreiten der industriellen Revolution<br />

und der allmählichen Ablösung merkantilistischer Wirtschaftsformen wurden<br />

Zuchthäuser als Erwerbsquellen der Landeshoheit immer uninteressanter, konnten<br />

diese Anstalten doch mit der sehr viel effizienteren Güterproduktion in den<br />

Fabriken nicht mithalten. 1023<br />

Gemäss den stiftsanktgallischen Rechtsquellen dienten Gefängnisse vor allem<br />

der vorübergehenden Verwahrung des Angeschuldigten bis zum gerichtlichen<br />

Urteilsspruch. Die St. Galler Offnungen kennen so gut wie keine Freiheitsstrafen,<br />

und auch die Gefangenschaft für die Dauer des Prozesses war kaum je<br />

geregelt. Eine Gefangennahme kam jedoch nach mehreren Offnungen sowie<br />

nach Landsatzungen und Landmandaten in Frage für den zur Geldstrafe verurteilten<br />

Zahlungsunfähigen oder Zahlungsunwilligen. 1024 Aufgrund der Mittellosigkeit<br />

vieler Straftäter trat schliesslich die Gefängnisstrafe als primäre und einzige<br />

Rechtsfolge an die Stelle der Busse. 1025 Anders als die Offnungen regelten<br />

die Landsatzungen und Landmandate nicht nur die Zwangshaft bzw. Ersatzhaft,<br />

sondern seit dem 15. Jahrhundert auch die Untersuchungs- und Sicherungshaft.<br />

1026 Die undatierte Landsatzung <strong>aus</strong> der Zeit zwischen 1594 und 1630 enthält<br />

folgende Bestimmung über die Gefangennahme eines Totschlägers:<br />

1022<br />

1023<br />

1024<br />

1025<br />

1026<br />

SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 175, S. 187. Die Zustände in den Zuchthäusern<br />

und Gefängnissen des 18. Jahrhunderts beschreibt SCHMIDT als «grauenvoll und<br />

katastrophal»; SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser [1960], S. 12.<br />

MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 63.<br />

MÜLLER, Offnungen [1964], S. 102; weitere Beispiele: Landmandat 1543, Art. 3, RQSG<br />

(Alte Landschaft), S. 72 f.; Landmandat 1761, Art. 38, RQSG (Alte Landschaft), S. 128.<br />

Die Satzungen waren grösstenteils auf Bussen <strong>aus</strong>gerichtet, weshalb wirksame Massnahmen<br />

zur Durchsetzbarkeit des Rechts notwendig waren. Die Einsperrung erschien dabei<br />

als geeignetstes Mittel; GRAF [1996], S. 83; vgl. auch HIS, Teil 1 [1920], S. 558.<br />

Z.B. in Art. 24 des Landmandats 1761, RQSG (Alte Landschaft), S. 121.<br />

Die Bestimmungen zielten auf gefährliche und übelbeleumundete Leute (Art. 12 der<br />

Landsatzung 1468; Art. 11 der Landsatzung 1594/1630 [RQSG (Alte Landschaft)], S. 8<br />

und 38) sowie insbesondere auf Landstreicher und Bettler ab. Art. 11 der Landsatzung<br />

1594/1630 lautet: «Item es ist ain jeder gotzh<strong>aus</strong>man bi sinem aid schuldig, wo er verlümbdete<br />

und argwönige lüth oder bös schädlich übeltäter im land seche oder horte, zu<br />

inen zu grifen oder der oberkeit vengklich zu überantwurten. Vil weniger sol keiner sölliche<br />

böse lüth warnen oder wiglen, ze buos an lib und gut je nach gestalt der sachen»;<br />

RQSG (Alte Landschaft), S. 38. Vgl. die Übersicht bei GRAF [1996], S. 74 f.<br />

190


Urteil und Strafe<br />

«Ob ouch ain gotzh<strong>aus</strong>man den andern uf den tod verwundte, da sol ain jeder gotzh<strong>aus</strong>man<br />

denselbigen sächer vengklich helfen der oberkeit zuzestellen.» 1027<br />

Die übrigen Landsatzungen und Landmandate enthalten keine entsprechende<br />

Regelung. Die Inhaftierung eines des Totschlags Verdächtigen konnte jedoch<br />

über die in vielen Satzungen vorhandenen generellen Bestimmungen erfolgen.<br />

1028 Um missbräuchlichen Festnahmen vorzubeugen, durfte niemand ohne<br />

<strong>aus</strong>drücklichen Befehl des Abts oder seiner Amtsleute festgehalten werden.<br />

Derartige «Haftbefehle» wurden aber offenbar sehr grosszügig <strong>aus</strong>gestellt. 1029<br />

Die Bestrafung einer Tat durch Gefängnis schaffte in der Alten Landschaft<br />

den eigentlichen Durchbruch erst Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei die mit Gefängnis<br />

zu bestrafenden Taten unterschiedlicher Natur waren. Die Gefängnisstrafe<br />

war etwa bei Ehebruch, Unzucht und Hurerei sowie bei Verstoss <strong>gegen</strong><br />

die Wirtsh<strong>aus</strong>- oder die Bettelvorschriften vorgesehen. 1030 Delinquenten, die<br />

schwerwiegender Verbrechen – insbesondere solcher <strong>gegen</strong> Leib und Leben –<br />

schuldig gesprochen wurden, wurden noch immer nur selten zu Gefängnisstrafen<br />

verurteilt, was wohl am Nichtvorhandensein geeigneter Einrichtungen sowie<br />

an den Kosten für eine langfristige Gefangenschaft gelegen haben dürfte. In der<br />

Stadt St. Gallen beispielsweise wurden zwischen 1740 und 1798 über 70 Personen<br />

wegen eines Verbrechens <strong>gegen</strong> Leib und Leben, wegen Vergehen <strong>gegen</strong><br />

fremdes Eigentum oder wegen Falliments 1031 ermittelt und die meisten auch verurteilt;<br />

die Bestrafung bestand jedoch nicht in der Einsperrung in eine Anstalt,<br />

1032 obwohl die Stadt bereits seit dem 17. Jahrhundert über das Zucht- und<br />

Waisenh<strong>aus</strong> zu St. Leonhard verfügte. 1033<br />

Die Unterbringung eines Missetäters in Zucht- und Arbeitshäusern ist in den<br />

Landsatzungen und Landmandaten nicht vorgesehen. Trotzdem verhängten die<br />

Gerichte insbesondere <strong>gegen</strong> Ende des 18. Jahrhunderts oft Zuchth<strong>aus</strong>strafen.<br />

Dies hing mit der zu jener Zeit besonders gern demonstrierten Milde der Äbte<br />

1027<br />

1028<br />

1029<br />

1030<br />

1031<br />

1032<br />

1033<br />

Art. 3 der Landsatzung 1594/1630, RQSG (Alte Landschaft), S. 36.<br />

Vgl. dazu etwa die bereits zitierten Art. 12 der Landsatzung 1468 oder Art. 11 der<br />

Landsatzung 1525, RQSG (Alte Landschaft), S. 8 und 22.<br />

GRAF [1996], S. 75.<br />

Mit beispielhaften Aufzählungen und Quellenangaben GRAF [1996], S. 90 ff.<br />

Bankrott, Zahlungseinstellung; Duden – Das Fremdwörterbuch, Bd. 5, [2006].<br />

MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 150.<br />

MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 65.<br />

191


Urteil und Strafe<br />

sowie der weit verbreiteten Fürbittepraxis zusammen. 1034 Unter der Herrschaft<br />

Abt Bedas wurden insbesondere <strong>gegen</strong> Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr<br />

gesetzliche Strafen in Zuchth<strong>aus</strong>strafen umgewandelt, Strafen an Leib und Leben<br />

wurden immer seltener.<br />

Gemäss einer 1732 von Abt <strong>Joseph</strong> mit Kapitularen gehaltenen Konferenz<br />

bestanden Pläne, ein sich in Tablat befindendes Gut samt H<strong>aus</strong> mit dem Namen<br />

«bei’m creuz» zu kaufen und darin das erste Waisen- und Zuchth<strong>aus</strong> zu errichten.<br />

Diese Pläne wurden jedoch – wie bereits schon 1730 betreffend eine andere<br />

Liegenschaft – nicht umgesetzt. 1035 Delinquenten wurden bisweilen in Zuchthäusern<br />

im süddeutschen Raum untergebracht, bis im Jahr 1781 im Siechenh<strong>aus</strong> in<br />

Bruggen das erste Zuchth<strong>aus</strong> der Alten Landschaft entstand. 1036 Bereits 1782<br />

wurde eine Malefikantin, die «nach der peinlichen halsgerichtsordnung und derselben<br />

commentaristen» eigentlich die Todesstrafe verdient hätte, begnadigt und<br />

lebenslänglich ins Zuchth<strong>aus</strong> Bruggen geschickt und «mit füglicher arbeit beladen».<br />

1037<br />

Als weitere Freiheitsstrafe wurde besonders im 18. Jahrhundert die Eingrenzung<br />

oder Verstrickung eines Missetäters <strong>aus</strong>gesprochen. Dieser wurde verpflichtet,<br />

sich in einem vom Gericht bestimmten Gebiet – z.B. seiner Heimat-<br />

1034<br />

1035<br />

1036<br />

1037<br />

GRAF [1996], S. 94; vgl. Kap. 7.1.5.<br />

Tagebuch Abt <strong>Joseph</strong>s, StiASG, Bd. 272b, Eintrag vom 2. Januar 1732; WEGELIN, Materialien<br />

[1855], S. 51.<br />

GRAF [1996], S. 95 f. Abt Beda schrieb am 1. Dezember 1781 in sein Tagebuch, er sei<br />

«gesinnet <strong>aus</strong> diesem siechenh<strong>aus</strong> ein respectives zuchth<strong>aus</strong> zu machen», Tagebuch Abt<br />

Bedas, Eintrag vom 1. Dezember 1781, StiASG, Bd. 284. Die erste Gefangene im neuen<br />

Zuchth<strong>aus</strong> war eine gewisse Anna Maria Hädener <strong>aus</strong> Mörschwil, die offenbar wegen<br />

Diebstahls und Betrugs bereits mehrfach verurteilt worden war. Sie sollte im neuen<br />

Zuchth<strong>aus</strong> nun «spinnen oder sonsten arbeiten». Morgens und abends sollte sie «habermus»<br />

zu essen bekommen und mittags eine Erbsen-Bohnensuppe und Brot. Würde sie mit<br />

ihrer Arbeit mehr verdienen, als das Essen koste, könne das Geld für die Kleidung verwendet<br />

werden, «verdienet sie weniger, als die speis kostet, bekommet sie vielleicht<br />

schläg’», Tagebuch Abt Bedas, Eintrag vom 1. Dezember 1781, StiASG, Bd. 284. Siehe<br />

auch WILLI [1947], S. 348 f.<br />

StiASG, Kriminalprotokolle, Bd. 1074, S. 139; WEGELIN, Materialien [1855], S. 59.<br />

192


Urteil und Strafe<br />

gemeinde – aufzuhalten und dieses nicht zu verlassen. 1038 Diese Strafe wurde<br />

mitunter auch in der Fürstabtei <strong>aus</strong>gesprochen. 1039<br />

7.1.4 Landesverweisung und Galeerenstrafe<br />

Die Strafe der Stadt- oder Landesverweisung war die wohl meistgewählte Sanktion<br />

der vormodernen Kriminaljustiz. 1040 Diese Strafe war mit grossem Schrecken<br />

behaftet. So schrieb etwa KLEINSCHROD 1805, der des Landes Verwiesene<br />

komme in ein fremdes Land, wo ihn jedermann «mit scheelem Auge betrachtet».<br />

Entweder sei er ganz <strong>aus</strong>ser Stande, sich zu ernähren, oder leide doch ungeheure<br />

Beschwerden. 1041<br />

Die Landesverweisung gewann mit der Carolina an Bedeutung. 1042 Sie hatte<br />

verschiedene Vorteile, verursachte sie doch kaum Kosten und befreite die Gemeinde<br />

auf Zeit oder für immer von einem lästigen oder gefährlichen Mitmenschen.<br />

1043 War die Verbannung Strafe für eine Missetat, so konnte sie arbiträr<br />

1038<br />

1039<br />

1040<br />

1041<br />

1042<br />

1043<br />

Dadurch konnten die Vollzugskosten in der Regel vollständig auf die Familien überwälzt<br />

werden; GRAF [1996], S. 101.<br />

So wurde etwa noch 1796 eine Malefikantin erst an den Pranger gestellt und mit Ruten<br />

geschlagen und dann für ein Jahr in der Gemeinde Andwil «einbannisirt»; StiASG, Kriminalprotokolle,<br />

Bd. 1074, S. 164; WEGELIN, Materialien [1855], S. 62.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 103.<br />

KLEINSCHROD, Grundbegriffe [1805], 3. Teil, S. 89, § 45.<br />

SCHUSTER [2005], Sp. 393.<br />

MAURER [1996], S. 201. Freilich war die Verbannung <strong>aus</strong> einer Stadt mit umgrenzenden<br />

Stadtmauern einfacher zu realisieren und zu kontrollieren als eine solche <strong>aus</strong> dem verhältnismässig<br />

grossflächigen Gebiet der Fürstabtei St. Gallen. In der Stadt St. Gallen kam es<br />

denn auch häufiger zur Verbannung als in der Fürstabtei; GRAF [1996], S. 65. Die Verurteilten<br />

mussten zur Stadt bzw. zur Wohnsitzgemeinde einen in der Regel räumlich definierten<br />

Abstand (sog. Meilenkreise) einhalten, der etwa durch patroullierende Söldner<br />

kontrolliert wurde, MAURER [1996], S. 202 f. Die unerlaubte Rückkehr wurde jedoch<br />

oftmals geduldet; SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis [1995], S. 77. Die Verbannung hatte<br />

zur Folge, dass sich die Ausgewiesenen häufig hinter der ihnen zugewiesenen äussersten<br />

Meile oder hinter den ihnen als Grenzen der Rückkehr benannten Flüssen oder Gebirgen<br />

für einige Jahre oder gar für immer eine neue Bleibe suchten oder sich unter das fahrende<br />

Volk mischten; MAURER [1996], S. 211 f. Nicht selten schuf die ewige Verbannung<br />

die Ausgangsbedingungen für neue Verbrechen; SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis<br />

[1995], S. 79. Zur Stadtverweisung als flexibles Sanktionsinstrument SCHWERHOFF, Aktenkundig<br />

[1999], S. 29.<br />

193


Urteil und Strafe<br />

oder gesetzlich sein. 1044 Bei Totschlagsdelikten wurde als poena extraordinaria<br />

oftmals die Landesverweisung <strong>aus</strong>gesprochen. 1045 Als Unterart der Verbannung<br />

konnten Wallfahrten befohlen werden, eine Strafe, die ebenfalls bei Totschlag<br />

oder etwa bei Fluchen verhängt wurde. 1046 Mit der Errichtung der Zuchthäuser<br />

verlor die Verbannung ihre Bedeutung; <strong>gegen</strong> Ende des 18. Jahrhunderts wurde<br />

die Verbannung der eigenen Untertanen manchenorts gar als verwerflich angesehen.<br />

1047<br />

Die Fürstabtei St. Gallen kannte die Strafe der Verbannung, die ursprünglich<br />

Überläufern zum neuen Glauben drohte und schliesslich auf andere unerwünschte<br />

Menschen wie Bettler, Landstreicher und Landschädliche <strong>aus</strong>gedehnt<br />

wurde, seit der Reformationszeit. 1048 In Frage kam die Verbannung in der Alten<br />

Landschaft ab dem 16. Jahrhundert auch zur Erzwingung der Busse eines Zah-<br />

1044<br />

1045<br />

1046<br />

1047<br />

1048<br />

Seit der Carolina war der ewige Landesverweis die poena ordinaria für Fälschungsdelikte,<br />

Aufruhr, bestimmte Ehebruchs- und Diebstahlsdelikte. Als poena extraordinaria er wurde<br />

beim Vorliegen von Milderungsgründen bei todeswürdigen Verbrechen verhängt; m.w.H.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 131. Ausführlich mit der Verbannung im<br />

Mittelalter mit Ausblick in die frühe Neuzeit beschäftigt hat sich HIS, Teil 1 [1920],<br />

S. 533 ff.<br />

Zur Galeerenstrafe RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 94, Rz. 207.<br />

Auch Buss- oder Bittfahrten genannt; FRAUENSTÄDT [1881], S. 157 f. Mit dem Wallfahrtszwang<br />

wurden zudem Friedensbrüche und Beleidigung der Obrigkeit bestraft;<br />

SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 210. Die aufgezwungene Wallfahrt konnte etwa nach<br />

Einsiedeln, Santiago de Compostela oder Rom führen; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988],<br />

S. 40. Die Wallfahrten an sich, die zu Seelenheil verhelfen sollten, waren grundsätzlich<br />

nicht ungefährlich und mit einiger Unbill und grossen Opfern der Wallfahrer verbunden.<br />

Manch ein Pilgerer kehrte krank oder gar nicht von der Reise zurück; HAUSER ALBERT,<br />

Leben [1987], S. 123 f.<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis [1995], S. 75; SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat<br />

[1997], S. 131 f.; SCHUSTER [2005], Sp. 393.<br />

GRAF [1996], S. 65. Der 1632 wegen Totschlags an Johann <strong>Egger</strong> verurteilte Ulrich Juppli<br />

(vgl. Fn. 695) wurde für vier Jahre <strong>aus</strong> dem Landshofmeisteramt verbannt, wobei explizit<br />

festgehalten wurde, es stehe ihm frei, diesbezüglich den Fürstabt um Begnadigung anzurufen;<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 35.<br />

194


Urteil und Strafe<br />

lungsunwilligen. 1049 Auch die Verurteilung zu Wallfahrten war in der Fürstabtei<br />

bekannt. 1050<br />

Insbesondere seit dem 17. Jahrhundert wurden die Verurteilten ähnlich der<br />

Verbannung in fremde Kriegsdienste verschickt, häufig nach Italien oder Frankreich.<br />

Als Gnadenstrafe oder auf Fürbitte hin konnte eine Todesstrafe in die<br />

Verschickung umgewandelt werden. Viele Verurteilte gelangten als Ruderer auf<br />

die Galeeren. Dies lag zu grossen Teilen im wachsenden Bedarf nach Ruderern<br />

für die Seeflotten begründet. 1051 Offenbar ersuchten die Staaten, die einen Bedarf<br />

nach Galeerenruderern hatten, die Obrigkeiten auf dem Gebiet der heutigen<br />

Schweiz um die Zuteilung von Sträflingen. 1052 Die Galeerenstrafe als poena<br />

extraordinaria erlaubte eine flexible Bestrafung unter Berücksichtigung der Tat,<br />

des Täters und des öffentlichen Bedarfs. 1053 Es ging bei dieser Strafe nicht wie<br />

bei der öffentlichen Arbeit als Schandstrafe um eine quasi symbolische Verwertung<br />

der Arbeitskraft auf lokaler Ebene, sondern um die Deckung des Arbeitskräftebedarfs<br />

der Nachbarländer. Das Element der Öffentlichkeit der Arbeitsverrichtung,<br />

das den Straftäter vor der Allgemeinheit blossgestellt hatte, entfiel<br />

damit bei der Galeerenstrafe. 1054<br />

Neben den mit der Galeerenstrafe angestrebten Staatszwecken der Wohlfahrt,<br />

Sicherheit und Ordnung trat aber auch ein religiös-ethisches Element hinzu,<br />

konnte die Galeerenstrafe doch im existentiellen Abwehrkampf <strong>gegen</strong> den os-<br />

1049<br />

1050<br />

1051<br />

1052<br />

1053<br />

1054<br />

Art. 34 des Landmandats 1562/64, RQSG (Alte Landschaft), S. 105. Der Zahlungsunwillige<br />

sollte nicht wiederkommen, bis er die Busse zahle. War der Schuldner arm und wollte<br />

bei Frau und Kindern bleiben, so kam als Strafe auch Gefängnis und das Abarbeiten der<br />

Schulden in Frage.<br />

Ulrich Juppli (vgl. Fn. 695 und 1048) wurde wegen Totschlags neben Verbannung, Sühnezahlung<br />

und Busse zu drei Busswallfahrten nach Einsiedeln innerhalb von neun Monaten<br />

verurteilt, wobei er jedesmal einen Beichtzettel mitzubringen hatte; STAERKLE, Geschlecht<br />

[1942], S. 35.<br />

Statistische Spitzenwerte der Verurteilungen zur Galeerenstrafe wurden stets vor oder<br />

nach grossen Seeschlachten erreicht; SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 34. In den seefahrenden<br />

Staaten des Mittelmeers nahm die Galeerenstrafe bereits im 15. Jahrhundert ihren Anfang,<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 557; QUANTER, Zuchth<strong>aus</strong> [1905], S. 150; FUMASOLI<br />

[1981], S. 27.<br />

Um Ruderer warben insbesondere Italien, Frankreich und Spanien; CARLEN, Galeerenstrafe<br />

[1976], S. 558.<br />

SCHLOSSER, Galeere [1986], S. 255; SCHMOECKEL [2000], S. 350 f.; FEUERHELM [1997],<br />

S. 96.<br />

FEUERHELM [1997], S. 96 und S. 100.<br />

195


Urteil und Strafe<br />

manischen Erzfeind genutzt werden, sodass die Verurteilten zu Verteidigern des<br />

Abendlands wurden. Die Galeerenstrafe wurde damit zum guten christlichen<br />

Werk. 1055 Eine Besserung des Ruderers gehörte nicht bzw. zumindest nicht zentral<br />

zum Konzept dieser Sanktion. 1056 Die miserablen Lebensbedingungen, denen<br />

die Galeerensträflinge unterworfen waren, charakterisierten diese Strafe, die bei<br />

schweren Verbrechen eigentlich eine Gnadenstrafe darstellen sollte, oft als Leibes-<br />

oder durch<strong>aus</strong> auch als Todesstrafe. 1057 Die Galeerenstrafe wird bisweilen<br />

als «die furchtbarste Strafe» bezeichnet, die sich «auf dem weiten Gebiet der<br />

Freiheitsstrafen denken lässt». 1058 Besonders häufig wurde diese Strafe bei unerwünschten<br />

Vagabunden oder Bettlern <strong>aus</strong>gesprochen. 1059<br />

In seiner Studie zur Galeerenstrafe in der Schweiz fand CARLEN kaum Quellen<br />

über die Folgen der Galeerenstrafe auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit<br />

und das Bürgerrecht der Verurteilten, vermutete aufgrund einiger Indizien jedoch,<br />

dass der auf die Galeere Verbannte dieser Rechte verlustig ging. 1060 Die<br />

Galeerenstrafe galt als äusserst schändliche Strafe, die nicht sehr häufig auf<br />

Bürger und Einheimische angewendet wurde. 1061 In den Rechtsquellen der Alten<br />

Landschaft ist die Abschiebung auf die Galeere nur in den Mandaten <strong>gegen</strong> den<br />

Bettel erwähnt. 1062 Wie auch andernorts üblich, riskierten aber auch Leute mit<br />

nicht genehmen Glaubensansichten, auf die Galeere abgeschoben zu werden. So<br />

beklagte sich 1657 der Gesandte von Appenzell auf einer Tagung der evangeli-<br />

1055<br />

1056<br />

1057<br />

1058<br />

1059<br />

1060<br />

1061<br />

1062<br />

SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 34 f.<br />

FEUERHELM [1997], S. 96.<br />

SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 210; SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 36; CARLEN, Galeerenstrafe<br />

[1976], S. 566 und S. 573; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965],<br />

§ 175, S. 186; KLEINSCHROD, Grundbegriffe [1805], Teil 3, S. 80, § 39 und S. 227, § 114.<br />

QUANTER, Zuchth<strong>aus</strong> [1905], S. 151. Das Leben sei dabei die Strafe, der Tod die Erlösung<br />

gewesen.<br />

GRAF [1996], S. 99 f. sowie <strong>aus</strong>führlich CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 560 ff.<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 570 f.<br />

FUMASOLI [1981], S. 29. Nach der Glaubensspaltung wurde die Galeerenstrafe auch uneinsichtigen<br />

Einheimischen angedroht, die am neuen Glauben festhalten wollten; GRAF<br />

[1996], S. 100. Zur Verurteilung zur Galeerenstrafe bei Gotteslästerung QUANTER, Zuchth<strong>aus</strong><br />

[1905], S. 152.<br />

Z.B. das «Fürstl.-St. Gallische Mandat wider das fremde landstreichende Bettelvolk» <strong>aus</strong><br />

dem Jahr 1668, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 15; WEGELIN, Materialien [1855], S. 46. Auf<br />

dem Gebiet der Schweiz gab es abgesehen von den Bettelmandaten kaum gesetzliche Erlasse,<br />

in denen die Galeerenstrafe für bestimmte Missetaten direkt angedroht wurde;<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 567.<br />

196


Urteil und Strafe<br />

schen Orte, dass die evangelischen Untertanen des Abts der Fürstabtei St. Gallen<br />

ihres Glaubens wegen mit der Verschickung auf die Galeere bedroht würden.<br />

1063<br />

Die Obrigkeiten in der Eidgenossenschaft bezahlten offenbar in der Regel<br />

Kosten des Transports der Galeerenruderer bis zum Übergabeort, der oftmals an<br />

der Grenze zum Empfangsland lag. 1064 Nicht selten wurde mit dem Transport<br />

gewartet, bis ein paar Auszuschaffende versammelt waren, die dann die Reise<br />

aneinandergekettet antreten mussten. 1065 In der Fürstabtei St. Gallen hatte der<br />

Amtsdiener für den Transport bei Landesverweisungen die nötigen «trabanten<br />

[= Begleiter] und wächteren» zu organisieren. 1066<br />

Die Dauer der Strafe wurde teils auf einige Jahre begrenzt, teils lebenslänglich<br />

<strong>aus</strong>gesprochen. Nach deren Ablauf waren die Verurteilten grundsätzlich<br />

frei. Die Landeshoheiten auf dem Gebiet der heutigen Schweiz vergassen die<br />

Ausgeschafften manchmal, setzten sich aber bisweilen auch für deren Befreiung<br />

ein. So bezeugt eine Quelle, dass der st. gallische Abt 1651 von Venedig die<br />

Befreiung eines Galeerenruderers verlangte. 1067<br />

Mit der Vervollkommnung der Segelschiffe im <strong>aus</strong>gehenden 18. Jahrhundert<br />

versiegte der Bedarf nach Ruderern. Die offenbar letzte Seeschlacht mit Galeeren<br />

zwischen Russen und Türken wurde 1770 geschlagen. 1068 In den darauffolgenden<br />

Jahren stellten die Seefahrerstaaten die Übernahme von Sträflingen ein,<br />

was auf dem Gebiet der Schweiz gemäss verschiedenen Quellen sehr bedauert<br />

wurde. CARLEN geht davon <strong>aus</strong>, dass man sich vielerorts erst zu jener Zeit gezwungen<br />

sah, den Ausbau des Gefängniswesens an die Hand zu nehmen. 1069<br />

1063<br />

1064<br />

1065<br />

1066<br />

1067<br />

1068<br />

1069<br />

Mit Quellenangabe CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 568.<br />

FUMASOLI [1981], S. 28.<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 571 ff.<br />

StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 6, Ziff. 13.<br />

Mit Quellenangabe CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 577, Fn. 129.<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 577.<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 578 f.<br />

197


Urteil und Strafe<br />

7.1.5 Begnadigung und Urfehde<br />

Das frühneuzeitliche Strafsystem kannte trotz (oder gerade wegen) seiner Strenge<br />

das Gnadenbitten bzw. die Begnadigung als zentralen Teil des damaligen<br />

Rechtsverständnisses. 1070 Von der Möglichkeit, beim st. gallischen Abt Fürbitte<br />

für einen Delinquenten einzulegen, machten häufig Verwande und Freunde bei<br />

an sich todeswürdigen Verbrechen Gebrauch. Als Fürbitter kamen auch Zunftgenossen,<br />

Geistliche, ehrbare Bürger oder sogar ganze Gemeinden in Frage. Je<br />

grösser die Zahl der Fürbitter und je qualifizierter ihr sozialer Status, desto eher<br />

konnte eine Strafmilderung erlangt werden. 1071 Die Motivation der Fürbitter war<br />

nicht immer nur Mitleid mit dem Delinquenten, sondern lag nicht selten in der<br />

Abwehr einer Strafe, die auch Angehörige oder Berufsgenossen treffen konnte.<br />

1072 Eine durch den Abt möglicherweise vorgenommene Strafmilderung bedingte<br />

oft zugleich eine Strafumwandlung. 1073<br />

Abt Beda «der Gütige» demonstrierte seine Milde besonders gerne mit der<br />

Begnadigung von Straftätern. Im Jahr seines Amtsantritts 1767 beschrieb er in<br />

seinem Tagebuch <strong>aus</strong>führlich, wie er eine zum Tod durch das Schwert verurteilte<br />

Kindsmörderin begnadigt hatte. Er hielt fest, er «vergosse nid gern blut bei<br />

antritt meiner regierung». 1074 Der Abt legte Wert darauf, jene Begnadigung bewusst<br />

spektakulär zu inszenieren: Der Gnadenbrief sollte erst im letzten Moment<br />

auf der Richtstätte verkündet werden. 1075<br />

1070<br />

1071<br />

1072<br />

1073<br />

1074<br />

1075<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 43.<br />

VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 44 f.<br />

Insbesondere sollten freilich unehrliche Strafen verhindert werden, die Schande über die<br />

Familie, Zunft oder Gemeinde eines Täters bringen konnten; VAN DÜLMEN, Theater<br />

[1995], S. 44.<br />

GRAF [1996], S. 94.<br />

Eintrag im Tagebuch Abt Bedas am 26. April 1767, StiASG, Bd. 282, S. 27 f. Die Verurteilte<br />

habe «ein grosse freundschaft» sowohl in der Alten Landschaft als auch im Toggenburg<br />

gehabt. Siehe auch SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Oktober 1987.<br />

Am 27. April 1767 hielt Abt Beda in seinem Tagebuch zur Begnadigung der Kindsmörderin<br />

fest, er habe dem Landshofmeister und dem Kanzler angezeigt, dass er «aggratieren»<br />

wollte. Die Verurteilte wurde schon «bis auf den stock beim galgen» geführt. Der Abt<br />

schickte seinen Kammerdiener und einen Läufer zu Pferd mit einem siegelbehafteten<br />

Gnadenbrief zum Richtplatz. Sobald der Kammerdiener sehe, dass die Malefikantin auf<br />

den Stock hinaufgeführt würde, sollte er eilends zum den Reichsvogt vertretenden Fiskal<br />

reiten und ihm den Gnadenbrief <strong>aus</strong>händigen. Dann sollte der Fiskal laut «Gnad, Gnad»<br />

rufen und den Brief mit klarer Stimme dem ganzen Volk vorlesen. So geschah es. Dar-<br />

198


Urteil und Strafe<br />

Bereits im frühen Mittelalter, das Selbstjustiz und Fehde 1076 kannte, erkaufte<br />

ein Täter den Frieden nicht selten durch die Leistung eines Sühnegelds, 1077 woraufhin<br />

die dadurch zufriedengestellte Person eine Urfehde schwor. 1078 Dabei<br />

handelte es sich um einen in ein Friedensgelöbnis gekleideten Vergeltungsverzicht.<br />

1079 Nach dem Zurückdrängen der Selbstjustiz kam die Urfehde nur noch<br />

eingeschränkt zur Anwendung. Ab dem Spätmittelalter breitete sich jedoch eine<br />

andere Form der Urfehde <strong>aus</strong>. Es wurde üblich, den Verurteilten unter Eid<br />

schwören zu lassen, sich wegen der verhängten Strafe, allenfalls auch wegen<br />

einer im Verfahren erlittenen Folterung, an niemandem zu rächen. Gleichzeitig<br />

knöpfte man ihm das Versprechen ab, künftig kein derartiges Delikt mehr zu<br />

begehen. 1080 Die Urfehde konnte in manchen Fällen der Bestrafung ein Ende machen,<br />

1081 musste aber nicht selten auch geschworen werden, wenn der Verurteilte<br />

mit der poena extraordinaria, so etwa der Verbannung, bestraft worden war. 1082<br />

Kehrte der Verbannte trotz des abgelegten Urfehdeschwurs unerlaubt zurück<br />

und gelangte dies der Obrigkeit zur Kenntnis, so drohte ihm eine Bestrafung<br />

1076<br />

1077<br />

1078<br />

1079<br />

1080<br />

1081<br />

1082<br />

aufhin sei eine grosse Freude des ganzen Volkes verspürt worden. Die Malefikantin sei<br />

auf die Knie niedergefallen und habe sich für diese höchste Gnade bedankt, ebenso 16<br />

oder 18 Mann <strong>aus</strong> ihrer Freundschaft, die am Vormittag beim Abt um Gnade ersucht hatten.<br />

Die Begnadigte wurde in den Gefängnisturm am Wirtsh<strong>aus</strong> zu St. Fiden zurückgebracht<br />

und ihr wurde die Ader geöffnet. Schliesslich wurde sie in ihre Gemeinde verbannt<br />

und ihren Freunden wurde befohlen, ein wachsames Auge auf sie zu haben; Eintrag im<br />

Tagebuch Abt Bedas am 27. April 1767, StiASG, Bd. 282, S. 28 ff.<br />

Die Fehde wurde als Privatrache verstanden, durch die der Verletzte bzw. seine Verwandschaft<br />

am Delinquenten bzw. seiner Familie Rache nahmen. Die gewöhnliche Fehde fand<br />

(im Gegensatz zur ritterlichen) bei Bauern und Bürgern statt und kam in erster Linie nach<br />

verübtem Totschlag zum Zug. Beigelegt werden konnte die Fehde durch Sühnevertrag;<br />

EISENHARDT ULRICH [2004], S. 72 f., Rz. 94.<br />

MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 28 f.; SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 57.<br />

BLESS-GRABHER [2003], S. 271; HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 47.<br />

LUMINATI, Eidverweigerung [2008], S. 198.<br />

VALENTINITSCH [1992], S. 78; PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 127, Rz. 197. Oftmals<br />

wurde im Rahmen der Urfehde auch der Schwur erzwungen, über das Verfahren Stillschweigen<br />

zu bewahren; BLESS-GRABHER [2003], S. 272.<br />

WEGELIN, Materialien, S. 37.<br />

RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 35, Rz. 67. LUMINATI, Eidverweigerung [2008], S. 198.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], erklärt das Bedürfnis nach einer Urfehde auch mit der<br />

relativen Neuheit der Gefängnishaft, die offenbar als schwerwiegender Eingriff in die<br />

Persönlichkeitsrechte verstanden wurde, S. 29.<br />

199


Urteil und Strafe<br />

wegen Urfehdebruchs. 1083 Als Strafe dafür kannte die Carolina die Todesstrafe<br />

für einen Täter, der vom Tod verschont worden war. Hatte ein Verurteilter die<br />

Urfehde wegen einer Sache geschworen, auf die als ordentliche Strafe nicht die<br />

Todesstrafe stand, so waren ihm die Hand oder die Schwurfinger abzuhacken. 1084<br />

Für die entstehende öffentliche Strafgewalt war die eidliche Selbstbindung<br />

der Urfehde noch von zentraler Wichtigkeit, sicherte sie doch die Anerkennung<br />

des erhobenen Strafanspruchs. Zudem bedurfte die Obrigkeit der Selbstbindung<br />

der zu Disziplinierenden, wo sie nicht fähig oder willens war, ihren Strafanspruch<br />

durchzusetzen. 1085 Mit wachsender Souveränität verzichtete der Territorialstaat<br />

zunehmend auf den Urfehdeschwur. Wo er beibehalten wurde, verband<br />

man ihn in der Regel mit einer Stadt- oder Landesverweisung, wodurch er zum<br />

«Aufenthaltsverbotsschwur» und damit selbst zum Strafmittel wurde. 1086<br />

Für die Stadt St. Gallen liefert die 1701 gedruckte Schrift «Process wie es<br />

nach dem alten Brauch an einem Malefiz Gricht der Statt St. Gallen gehalten<br />

werden sollte» einen Beleg für das Friedensversprechen, das den Inquisiten,<br />

denen ein Prozess gemacht wurde, abzuknüpfen war. Der Reichsvogt sollte die<br />

angeklagte Person nach Verlesen der Urgicht 1087 zur Reue ermahnen und ihr<br />

klarmachen, sie solle weder ihm noch den Rechtsprechern wegen des Urteils<br />

«zürnen», denn sie habe das Urteil selbst durch ihre Taten «verdient». Eine<br />

christliche Obrigkeit sei auf Gottes Befehl zu strafen schuldig, wie die angeklagte<br />

Person selbst ohne Zweifel erkennen möge. 1088<br />

1083<br />

1084<br />

1085<br />

1086<br />

1087<br />

1088<br />

SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 133; BLESS-GRABHER [2003], S. 272; LU-<br />

MINATI, Eidverweigerung [2008], S. 198.<br />

Art. 108 CCC; siehe auch GÜNTHER [1889], S. 294 f.<br />

BLAUERT [2000], S. 163 f.<br />

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 31.<br />

Die Urgicht ist das Geständnis des Angeklagten im Strafprozess, vgl. SELLERT [1998],<br />

Sp. 571.<br />

Autor anonym, Process [1701], S. 5.<br />

200


Urteil und Strafe<br />

7.2 Bestrafung <strong>Egger</strong>s wegen Totschlags und<br />

Leichenschändung<br />

7.2.1 Verurteilung zur Todesstrafe<br />

Die Urteilsberatungen des Pfalzgerichts sollten nach dem Konzept zur Pfalzratsordnung<br />

1733 geheim gehalten werden, über einzelne Voten hatte <strong>gegen</strong>über<br />

allen, die der Beratung nicht beigewohnt hatten, Verschwiegenheit zu herrschen.<br />

Keiner der Räte sollte die Schuld an einem Urteilsspruch auf den einen oder<br />

anderen Rat schieben. Das gefällte Urteil war zu verteidigen und gemeinsam<br />

standhaft zu handhaben, 1089 wobei es auch darum ging, alles zu vermeiden, «wodurch<br />

jemand argwohn, oder verdacht schöpfen, und disem unserm höchsten<br />

tribunali übel nachgeredt werden möchte». 1090 Das Urteil sollte grundsätzlich<br />

nach dem Mehr der Stimmen gefällt werden. 1091 Wären jedoch die Stimmen bei<br />

einer Angelegenheit von grosser Wichtigkeit «in zimmlicher anzahl zertheilt»<br />

und würde der Präsident feststellen, dass «beeder theillen meinung mit stattlichen<br />

ursachen bestärckt, oder aber unserer pfalzräthe sich darjnnen nicht vergleichen<br />

kunten», so waren beide Meinungen vom Ratssekretär zu protokollieren<br />

und dem Abt vom Präsidenten unter Beizug von zwei oder drei Pfalzräten<br />

vorzutragen, wobei «auch unserer [= der des Abtes] schluss erwarthet, und beobachtet<br />

werden» musste. 1092 Würde die Uneinigkeit das Verständnis der Landrechte,<br />

Mandate, Ordnungen oder Gesetze betreffen, so wäre dies auch dem Abt<br />

vorzutragen, wobei schliesslich gemäss dessen Meinung weiter zu verfahren<br />

und zu urteilen wäre. 1093<br />

Die Urteilsberatung der Pfalzräte im Fall <strong>Egger</strong> erfolgte am 3. März 1775<br />

und wurde im Protokoll als «rechtliches guetachten» bezeichnet. Ein eingehendes<br />

Protokoll über die Beratung ist nicht aktenkundig. Immerhin wurde sie im<br />

Protokoll kurz zusammengefasst. Das Gericht beschloss unter dem Hinweis,<br />

bereits ein «homicidium dolosum» reiche für die Todesstrafe durch das Schwert<br />

<strong>aus</strong>, auf weitere Abklärungen, ob <strong>Egger</strong> beim Totschlag «animum occidendi»,<br />

1089<br />

1090<br />

1091<br />

1092<br />

1093<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 34.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 51.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 46.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S 49.<br />

StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 50.<br />

201


Urteil und Strafe<br />

gehabt und zu welchem Ziel und Ende er die Leichen <strong>aus</strong>gegraben habe, zu verzichten.<br />

<strong>Egger</strong> sollte insbesondere nicht «ad torturam» genommen werden. Bei<br />

dieser Zusammenfassung wurden die lateinischen Begriffe nicht akkurat verwendet.<br />

So bezeichnet der Begriff «homicidium dolosum» ja bereits die vorsätzliche<br />

Tötung, setzt also «animum occidendi», die Tötungsabsicht, vor<strong>aus</strong>.<br />

Die im Protokoll summarisch wiedergegebene Beurteilung beinhaltet damit<br />

zwar einige Wörter juristischen Fachvokabulars, ist aber ansonsten nicht rechtlich<br />

eingebettet. Erst beim Urteilsspruch selbst erfolgt ein Bezug auf die Carolina,<br />

was vermuten lässt, dass die Rechtsgrundlage für eine Verurteilung zum Tod<br />

im Rahmen der gerichtlichen Beratung zwar diskutiert, bei deren kurzer Zusammenfassung<br />

im Protokoll aber nicht eigens erläutert wurde. Weil den Pfalzräten<br />

ohnehin klar gewesen sein dürfte, dass ein Totschlag nach der von ihnen<br />

anzuwendenden Carolina mit dem Tod bestraft werden musste, machte man sich<br />

offenbar nicht die Mühe, insbesondere Leichenraub und Leichenschändungen<br />

rechtlich näher zu verorten und zu klassifizieren. Da strafschärfende Arten der<br />

Todesstrafe in der Zeit des Falls <strong>Egger</strong> ohnehin praktisch nicht mehr angewendet<br />

wurden, war eine juristisch zuverlässigere Qualifikation der Delikte nicht<br />

notwendig. Eine solche wäre wohl ohnehin nur durch die Einholung eines richtigen<br />

rechtlichen Gutachtens auf dem Weg der Aktenversendung möglich gewesen.<br />

Über das zu verhängende Urteil bestand unter den Pfalzräten in der Beratung<br />

vom 3. März 1775 offenbar weitgehend Einigkeit. Bei einem im Mehrheitsentscheid<br />

knappen Resultat wären die voneinander abweichenden Meinungen<br />

schliesslich wie erläutert zu protokollieren und dem Abt vorzutragen gewesen.<br />

Nach Lage der Akten fand solches nicht statt.<br />

Die Beratung der Pfalzräte vom 3. März 1775, in der offenbar auch das Urteil<br />

zumindest faktisch schon gefällt wurde, erfolgte erstaunlicherweise noch vor<br />

Abschluss der Ermittlungen. Augenscheinlich kamen die Pfalzräte zum Schluss,<br />

<strong>Egger</strong> «sicherheitshalber» nochmals einzuvernehmen. In dieser letzten Einvernahme<br />

vom 7. März 1775 erzählte <strong>Egger</strong> von den Geschichten Johannes Gesers<br />

und nannte diese quasi als Motiv für die von ihm begangenen Leichenschändungen.<br />

Der Verdacht des Gerichts, Aberglaube könnte hinter den Leichenschändungen<br />

stecken, bestätigte sich damit. Wohl um letzte Zweifel <strong>aus</strong>zuräumen,<br />

luden die Untersuchenden Johannes Geser als letzten Zeugen vor und vernahmen<br />

ihn am 8. März 1775. Seine Aussagen bestätigten im Wesentlichen die<br />

202


Urteil und Strafe<br />

Darstellung <strong>Egger</strong>s. Nach Abschluss dieser weiteren Untersuchungshandlungen<br />

wurde das Urteil verkündet, offenbar ohne dass die Pfalzräte sich nochmals zur<br />

Beratung versammelt hätten.<br />

Direkt an die Verhörprotokollierung und die Wiedergabe der pfalzrätlichen<br />

Beratung anschliessend wurde das folgende Urteil niedergeschrieben:<br />

«Urthel<br />

das, weilen er delinquent <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> wider göttliche und menschliche gesatz an<br />

der Catharina Himmelbergerin einen dolosen todtschlag <strong>aus</strong>geüebet, er demnach auch wegen<br />

dieser abscheulichen that allein jedoch nicht minder in betracht, dass derselbe 2 todten<br />

cörper theils <strong>aus</strong> dem freydhof, theils unter dem galgen hervor gegraben, und diselbe allerdings<br />

auf eine gr<strong>aus</strong>ame arth misshandelt, durch den scharfrichter auf die gewohnliche<br />

richtstatt gefüehret, und allda nach anweisung der peynlichen halsgerichtsordnung Kayser<br />

Caroli V. und derselben 148. articels durch das schwerdt vom leben zum todt, ihme zu<br />

wohlverdienter straff, anderen aber zu einem abschrecken und exempel hinzurichten seye;<br />

und dis von rechts wegen.» 1094<br />

Im Urteil findet sich also nicht nur die Würdigung des Totschlags, sondern es<br />

nimmt auch Bezug auf die Leichenschändungen, die mit der Strafe des Tods<br />

durch das Schwert ebenfalls abgegolten werden sollten. Von einer Strafschärfung<br />

aufgrund der Leichenschändungen – etwa durch eine « unehrliche» Todesstrafe<br />

oder durch körperliche Schmerzzufügung vor der Hinrichtung – ist weder<br />

im Rechtsgutachten noch im Urteil die Rede.<br />

<strong>Egger</strong> wurde gestützt auf Art. 148 CCC verurteilt. Bei dieser Artikelbenennung<br />

hat sich offensichtlich ein Fehler eingeschlichen, lautet der Titel des Artikels<br />

doch «Straff der jhenen, so eynander inn morden schlahen vnnd rumoren<br />

fürsetzlich oder vnfürsetzlich beistandt thun». Dieser Artikel befasst sich mit<br />

der Täterschaft oder Beteiligung mehrerer an einer vorsätzlichen oder fahrlässigen<br />

Tötung. 1095 Auf Art. 137 CCC wird in den Akten zum Fall nie Bezug ge-<br />

1094<br />

1095<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 92.<br />

Art. 148 CCC enthält u.a. folgende Regelungen: Begehen mehrere Personen «mit fürgesetztem<br />

vnd vereynigtem willen vnd mut» eine Tötung, so haben alle ihr Leben verwirkt.<br />

Stirbt jemand bei einer Schlägerei und weiss man, welcher der Beteiligten der Täter ist, so<br />

soll dieser als Totschläger mit dem Schwert hingerichtet werden. Wird jemand in der<br />

Schlägerei von mehreren verprügelt und stirbt und kann nicht bewiesen werden, wessen<br />

Schläge tödlich waren, so sind alle, die das Opfer geschlagen haben, mit dem Tod zu bestrafen.<br />

203


Urteil und Strafe<br />

nommen. Es bleibt also unklar, wie genau das Pfalzgericht über Tatbestandsmerkmale<br />

und Rechtsfolgen des Art. 137 CCC im Bild war. Selbst wenn keine<br />

detaillierte Kenntnis der Bestimmungen über Mord und Totschlag vorhanden<br />

gewesen sein sollte, ist doch nicht anzunehmen, dass das Gericht bewusst<br />

Art. 148 CCC auf den Fall <strong>Egger</strong> anwenden wollte, ergibt sich schliesslich bereits<br />

<strong>aus</strong> dem Titel des Artikels, dass die Beteiligung mehrerer («beistandt») an<br />

einer Tötung geregelt werden sollte. Somit kann davon <strong>aus</strong>gegangen werden,<br />

dass der Schreiber im Urteil lediglich den falschen Artikel nannte. Immerhin<br />

denkbar, wenn auch wenig wahrscheinlich ist, dass absichtlich eine Subsumtion<br />

unter Art. 148 CCC stattfand, weil man die Auseinandersetzung zwischen Catharina<br />

Himmelberger und <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong> als Schlägerei im Sinne dieses Artikels<br />

betrachtete. Der Wortlaut des Artikels macht jedoch deutlich, dass die Rechtsfolgen<br />

einer tödlichen Verletzung im Zusammenhang mit einer Schlägerei von<br />

mehr als zwei Beteiligten geregelt werden sollten.<br />

Die Todesstrafe sollte also durch das Schwert vollzogen werden. Wie aufgezeigt,<br />

handelte es sich dabei um die gebräuchlichste Strafe für Totschläger. Zumindest<br />

begrifflich rang sich das Pfalzgericht nicht dazu durch, die Tat <strong>Egger</strong>s<br />

an Catharina Himmelberger als Mord (resp. vorsätzliche Tötung) zu qualifizieren,<br />

was allenfalls die Todesstrafe durch Räderung nach sich gezogen hätte. Da<br />

insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in der Alten Landschaft<br />

die überall laut gewordene Kritik an der Todesstrafe im Allgemeinen und<br />

an den gr<strong>aus</strong>amen Hinrichtungsarten im Besonderen nicht verborgen geblieben<br />

sein konnte, ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass das Gericht die Todesstrafe durch Rädern<br />

auch bei der vorsätzlichen Tötung oder beim Mord kaum mehr verhängt<br />

hätte. Entsprechend liefern die Akten denn auch keinen Hinweis darauf, dass<br />

Strafschärfungen – etwa eine härtere Form der Todesstrafe als die Enthauptung<br />

oder ein langes Leidenlassen vor der Tötung – diskutiert worden wären. Die<br />

Enthauptung als «ehrliche» Todesstrafe hätte weder die Ehre <strong>Egger</strong>s noch diejenige<br />

seiner Familie verletzt.<br />

<strong>Egger</strong> hatte grosse Angst vor der Todesstrafe. Er betrachtete den Tod offensichtlich<br />

nicht als Erlösung, nicht als Schwelle zu einem besseren Jenseits.<br />

Möglicherweise fürchtete er das Fegefeuer. Jedenfalls wünschte er sich sehnlichst,<br />

trotz seiner Taten am Leben bleiben zu dürfen. So rief er im Verhör vom<br />

17. Februar 1775 post prandium <strong>aus</strong>, sterben sei schwer, schwer. Er würde gern<br />

all seinen Besitz der Obrigkeit überlassen und selbst dem Almosen nachgehen,<br />

204


Urteil und Strafe<br />

er gehe auch auf die Galeere oder lasse sich vier Finger abhauen, wenn er nur<br />

nicht sterben müsse. 1096 Am 21. Februar 1775 äusserte er im Verhör verzweifelt,<br />

selbst wenn des Scharfrichters Knecht ihn in vier Teile zerreissen würde, so<br />

könne er zur Anzahl der Schläge an Cathrina Himmelberger und zu deren Ausführung<br />

doch nichts sagen. 1097 Der Hinweis <strong>Egger</strong>s, man könne ihm vier Finger<br />

abhauen, macht deutlich, dass er über die Möglichkeit der Leibesstrafe Bescheid<br />

wusste. Er war offenbar auch über die grauenhafte Strafe der Vierteilung im<br />

Bild. Ob er von einem zu seinen Lebzeiten durchgeführten Fall der Vierteilung<br />

gehört hatte, ist nicht bekannt.<br />

7.2.2 Begnadigung zur Galeerenstrafe<br />

Trotz des klaren Urteils des Gerichts blieb <strong>Egger</strong> von der Todesstrafe verschont.<br />

«[A]us ganz besonderen bewegursachen, auch angestamter milde» wandelten<br />

schliesslich die «jezt regierenden hochfürstlichen gnaden» dem «armen sünder<br />

gnädigst» die Todesstrafe in eine lebenslängliche Galeerenstrafe um. 1098 Die genannten<br />

besonderen Beweggründe bestanden wohl in der für <strong>Egger</strong> bei Abt Beda<br />

eingelegten Fürbitte. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass neben nicht namentlich<br />

genannten Freunden <strong>Egger</strong>s auch das Gericht Tablat und die Gemeinde<br />

Rotmonten um die Erlassung der Todesstrafe «demüethigst» gebeten hatten. 1099<br />

Beim Gericht Tablat handelte es sich in diesem Zusammenhang wohl um eine<br />

Bezeichnung der auf dem Gemeindegebiet von Tablat lebenden Gottesh<strong>aus</strong>leute,<br />

die insgesamt als «Gerichtsgenossen» bezeichnet wurden. 1100<br />

Weshalb <strong>Egger</strong> von derart breiter Unterstützung profitieren konnte, ist unklar.<br />

Die Todesstrafe durch das Schwert galt schliesslich nicht als unehrliche<br />

Strafe, sodass weder die Familie noch die Gemeinde sich vor auch auf sie fallender<br />

Schande hätten fürchten müssen. Denkbar sind allenfalls finanzielle Interessen<br />

der Gemeinde, zumal durch den Tod <strong>Egger</strong>s dessen Familie ihren Ernäh-<br />

1096<br />

1097<br />

1098<br />

1099<br />

1100<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 73.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, Antwort 183.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 92 f.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 91.<br />

Vgl. diesbezüglich die Ausführungen bei MENOLFI, Hofleute [1991], S. 85.<br />

205


Urteil und Strafe<br />

rer verloren hätte und allenfalls mittellos zurückgeblieben wäre. 1101 Freilich ist<br />

zweifelhaft, ob tatsächlich derartige Überlegungen mitspielten, zumal wohl<br />

niemand damit rechnen durfte, dass <strong>Egger</strong> auch bei milderer Bestrafung zu seiner<br />

Familie und seinem Hof würde zurückkehren können. Allenfalls hoffte man<br />

auf eine auf einige Jahre befristete Strafe, die <strong>Egger</strong> eine spätere Heimkehr ermöglicht<br />

hätte.<br />

Abt Beda erwähnte seine Begnadigung <strong>Egger</strong>s in seinem Tagebuch nicht.<br />

Dies dürfte daran gelegen haben, dass der Abt in der Zeit des Prozesses und der<br />

Verurteilung <strong>Egger</strong>s offenbar krank war. Am 16. Februar 1775 berichtete er im<br />

Tagebuch erstmals über Schwindel. Am 19. Februar 1775 hielt er fest, es sei<br />

ihm zusätzlich noch stark übel geworden. 1102 Den ganzen Rest des Monats ging<br />

es ihm anscheinend weiterhin schlecht. Ab Mitte Februar 1775 beschränken sich<br />

die kurzen Tagebucheinträge des Abts auf seine körperlichen Beschwerden, er<br />

berichtete wiederholt von Schwindel. Erst am 16. April 1775, also mehrere Wochen<br />

nach dem Abtransport <strong>Egger</strong>s, nahm Abt Beda seine Berichterstattung ü-<br />

ber das Tagesgeschehen wieder auf. 1103<br />

Im Rahmen der Begnadigung durch den Abt wurde ein über die Dauer der<br />

Untersuchung hin<strong>aus</strong>gehender Aufenthalt im Gefängnisturm im Sinne der Verbüssung<br />

einer Freiheitsstrafe gemäss den Akten offenbar nicht erwogen und<br />

entsprach auch nicht der Praxis. Dies dürfte insbesondere auf fehlenden Platz<br />

für Langzeitinsassen und möglicherweise auch auf die Kosten zurückzuführen<br />

sein. Die Akten enthalten zudem keinen Hinweis auf Überlegungen zur Um-<br />

1101<br />

1102<br />

1103<br />

Das Landmandat der Alten Landschaft regelte auch die Vormundschaft. Witwen und<br />

Waisen sollten bevogtet werden, der «Vormund» hatte regelmässig ein Inventar über Hab<br />

und Gut zu erstellen und Einnahmen und Ausgaben schriftlich festzuhalten; vgl. etwa<br />

Landmandat 1761, Art. 75, RQSG (Alte Landschaft), S. 143. Das Landmandat 1761 auferlegte<br />

vermögenden Verwandten bzw. Freunden die Pflicht, für Unterhalt und Erziehung<br />

von Kindern von Gefangenen, von «verthürnter Leuthen Kinder», aufzukommen, Landmandat<br />

1761, Art. 79, RQSG (Alte Landschaft), S. 144. Da als Orte der Gefangenschaft<br />

oftmals Türme von Burgen und Schlössern dienten, wurde für die Gefangenschaft der<br />

Ausdruck «thürnen» verwendet, WEGELIN, Materialien [1855], S. 29.<br />

Dem Tagebucheintrag vom 19. Februar 1775 ist weiter zu entnehmen, dass man ihm eine<br />

Ader am Fuss habe öffnen wollen. Als man diese nicht recht getroffen habe, habe man eine<br />

auf seinem Arm geöffnet. «Den ganzen tag ware mir übell ohne appetit zu essen oder<br />

trinckhen», Tagebuch Abt Bedas, StiASG, Bd. 283, S. 108 f.<br />

Tagebuch Abt Bedas, StiASG, Bd. 283, S. 109 ff.<br />

206


Urteil und Strafe<br />

wandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe in einem (<strong>aus</strong>wärtigen) Zuchth<strong>aus</strong>.<br />

1104 Ebensowenig finden sich Hinweise darauf, dass Eingrenzung oder Verstrickung<br />

erwogen worden wären.<br />

<strong>Egger</strong> wusste über die Möglichkeit der Galeerenstrafe Bescheid. Davon hatte<br />

ihm der Maurer berichtet, der gemäss Zeugen<strong>aus</strong>sage von Maria German im<br />

vorangegangenen Januar bei ihnen im Stall übernachtet hatte. Dieser habe<br />

abends in der Stube viel vom Krieg und von der Galeere, auf der er selbst gewesen<br />

sei, erzählt. 1105 Die Galeerenstrafe zog <strong>Egger</strong> freilich der Todesstrafe vor.<br />

Konkrete Vorstellung über die Verhältnisse an Bord einer Galeere und Kenntnis<br />

davon, dass diese Art der Arbeitsstrafe nicht selten eine verlängerte Todesstrafe<br />

darstellte, hatte er wohl nicht. Was der Maurer über die Galeere erzählt hatte, ist<br />

nicht aktenkundig; jedenfalls hatte er diese Strafe überstanden, was <strong>Egger</strong> einigen<br />

Schrecken und einige Angst davor genommen haben dürfte.<br />

Die Galeerenstrafe traf <strong>Egger</strong>, obwohl sie eher selten über Bürger und Einheimische<br />

verhängt wurde. Einige Jahre später wäre die Verbannung der eigenen<br />

Untertanen wohl nicht mehr in Frage gekommen. Hinzu kommt, dass 1775<br />

die Galeerenstrafe aufgrund der Ersetzung der Galeeren durch Segelschiffe ohnehin<br />

im Aussterben begriffen war. Ob <strong>Egger</strong> schliesslich tatsächlich noch auf<br />

einer Galeere oder sonst für Kriegsdienste eingesetzt wurde, verraten die Akten<br />

nicht.<br />

Die Begnadigung ging für <strong>Egger</strong> mit einem Urfehdeschwur einher. Man liess<br />

ihn «einen körperlich eyd zu Gott, und allen Heyligen mit aufgehebten schwörfingern»<br />

ablegen, dass er die Gefangenschaft an niemandem rächen würde, sollte<br />

sich ihm dazu Gelegenheit bieten. 1106 Der Hinweis auf den Schwur ist im Protokoll<br />

nur kurz abgehandelt, was darauf schliessen lässt, dass <strong>Egger</strong> keinerlei<br />

Widerstand leistete und unter Eid bekundete, was von ihm verlangt wurde. Weil<br />

er während des ganzen Verfahrens wiederholt deutlich machte, seine Taten zu<br />

1104<br />

1105<br />

1106<br />

Die Verurteilung zur Gefangenschaft in einem <strong>aus</strong>wärtigen Zuchth<strong>aus</strong> kam in der Alten<br />

Landschaft in den 1770er-Jahren durch<strong>aus</strong> noch vor. 1774 wurde etwa ein gewisser Jakob<br />

Eberle <strong>aus</strong> Lömmenschwil wegen Diebstahls auf seine Kosten ins Zuchth<strong>aus</strong> zu Ravensburg<br />

gebracht; StiASG, Kriminalprotokolle, Bd. 1073, S. 728; WEGELIN, Materialien<br />

[1855], S. 56.<br />

Dok. 16, Zeugen<strong>aus</strong>sage der Ehefrau, S. 9.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 93.<br />

207


Urteil und Strafe<br />

bereuen, er sich insbesondere darüber bewusst war, dass er eine schwere Strafe<br />

würde verbüssen müssen, und er zudem auf die Galeere in ein fremdes Land<br />

geschickt werden würde, hatte die Obrigkeit kaum Rache für das verhängte Urteil<br />

zu befürchten. Wohl um ganz sicher zu gehen, verzichtete man trotzdem<br />

nicht darauf, <strong>Egger</strong> die Urfehde schwören zu lassen. Das Versprechen, künftig<br />

kein derartiges Delikt mehr zu begehen, nahm man ihm jedoch nicht ab; dies<br />

erachtete man wohl als obsolet angesichts der Strafe der lebenslänglichen Galeerenarbeit<br />

und der damit verbundenen Unwahrscheinlichkeit, dass er je wieder<br />

st. gallischen Boden betreten würde.<br />

7.2.3 Vollzug<br />

Bis zu seiner Abfühung wurde <strong>Egger</strong> im «trösterstüble» an eine Kette gelegt.<br />

Man sprach ihm zu, die Zeit für den Versuch zu nutzen, sich mit Gott zu versöhnen.<br />

Zu diesem Zweck schickte man gemäss Protokoll Geistliche zu ihm.<br />

Dabei handelte es sich möglicherweise um Pater Ulrich Berchtold 1107 , der seinerzeit<br />

der Galgen-Pater genannt wurde, weil man ihn gewöhnlich als Auströster zu<br />

den zum Tod Verurteilten rief. 1108<br />

Das Protokoll schliesst mit der knappen Notiz,<br />

«den 16. curr. 1109 abendts ist dieser <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> von hier weeg, und nacher Hüningen<br />

gefüehret worden». 1110<br />

An welchem Tag das Urteil tatsächlich verhängt und die Begnadigung <strong>aus</strong>gesprochen<br />

wurden, ist den Akten nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Die Beratung<br />

der Pfalzräte fand am 3. März, das letzte Verhör am Dienstag, 7. März 1775<br />

statt. Da sich kein weiteres Datum für die Urteilsverkündung in den Akten findet,<br />

die Datierung aber sonst jeweils sehr genau erfolgte und sogar jeweils Halbtage<br />

Erwähnung fanden, liegt es nahe, dass Urteil und Begnadigung im Anschluss<br />

an das letzte Verhör noch am 7. März 1775 <strong>aus</strong>gesprochen wurden. Bis<br />

1107<br />

1108<br />

1109<br />

1110<br />

Geb. 1729, gest. 1797.<br />

HENGGELER [1929], S. 395 f.<br />

Currentis = des laufenden Jahres/Monats etc. (currere = laufen); gemeint ist vorliegend<br />

also der 16. März 1775.<br />

Dok. 2, Einvernahmeprotokoll <strong>Egger</strong>s, S. 93.<br />

208


Urteil und Strafe<br />

zu seiner Abführung am Donnerstag, 16. März 1775 nach Hüningen sass <strong>Egger</strong><br />

also neun Tage lang im «trösterstüble».<br />

Mit Frankreich bestanden betreffend die Lieferung von Galeerensträflingen<br />

Abmachungen, wonach die künftigen Ruderer nach Solothurn, dem Sitz des<br />

französischen Ambassadors, transportiert werden sollten, wo sie dieser übernahm<br />

und auf Kosten Frankreichs über Hüningen 1111 in die Bretagne nach Brest<br />

oder über Lyon ans Mittelmeer schickte. Aus Kostengründen transportierte man<br />

jeweils zehn bis zwanzig Galeerensträflinge zusammen. 1112 Wie im Fall <strong>Egger</strong><br />

fand die Übernahme offenbar mitunter auch direkt in Hüningen statt. 1113<br />

Somit trat <strong>Egger</strong> sein weiteres Schicksal also in der Bretagne an. Wie dieses<br />

verlief, ist leider nicht aktenkundig. Dem Lehenbuch von Rotmonten kann lediglich<br />

entnommen werden, dass <strong>Egger</strong>s Brüder Michael, Jakob und Johannes<br />

am 26. Juli 1775 die Liegenschaft ihres Vaters Michael <strong>Egger</strong> mit H<strong>aus</strong>, Stadel,<br />

Wiesland, Acker, Weide und Wald empfingen; 1114 <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> ging leer<br />

<strong>aus</strong>. Dass er seine Heimat je wieder betrat, ist unwahrscheinlich. 1115<br />

1111<br />

1112<br />

1113<br />

1114<br />

1115<br />

Hüningen bzw. Huningue liegt in Frankreich und grenzt unmittelbar an Basel an.<br />

CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 572.<br />

Siehe auch CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 572, Fn. 101.<br />

STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 39.<br />

In seiner Studie zum Geschlecht <strong>Egger</strong> von Tablat und Rotmonten vermerkte STAERKLE<br />

nur das Geburts-, nicht jedoch das Todesdatum <strong>Egger</strong>s; STAERKLE, Geschlecht [1942],<br />

S. 38. Es ist wahrscheinlich, dass über <strong>Egger</strong>s Tod in der Fürstabtei nichts bekannt wurde.<br />

209


Schlussbetrachtungen<br />

8 Schlussbetrachtungen<br />

Wie die Beurteilung der Akten zum Kriminalfall um den Totschläger, Leichenräuber<br />

und Leichenschänder <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> Tablat gezeigt hat, hat<br />

dieser Fall für die qualitative Fallanalyse einiges zu bieten. Der vorgegebene<br />

rote Faden des Falls ermöglichte das Aufgreifen vielfältiger Themen der <strong>aus</strong>gehenden<br />

frühneuzeitlichen Strafjustiz in der Fürstabtei St. Gallen. Die Akten sind<br />

annähernd vollständig und erlauben es, das Verfahren vom Anfang bis zum Ende<br />

nahtlos nachzuvollziehen.<br />

Das Vorgehen des ermittelnden Gerichts war in vielen Bereichen sorgfältig.<br />

So veranlasste es H<strong>aus</strong>durchsuchungen bei <strong>Egger</strong>, scheute kaum einen Aufwand<br />

bei den Zeugeneinvernahmen und bemühte sich nach Kräften, die Motive <strong>Egger</strong>s<br />

für seine Taten zu ergründen. Man verzichtete auf die Anwendung der Folter,<br />

wenngleich man dieses Mittel in Form der Androhung noch einzusetzen<br />

wusste. Mit dem Ziel der Aufklärung des Falls nutzte man auch die verbale Einschüchterung<br />

<strong>Egger</strong>s.<br />

Leider sind über die Beratung des Pfalzgerichts keine Details bekannt. Wie<br />

erläutert, kann jedoch darauf geschlossen werden, dass sich die Pfalzräte weitgehend<br />

einig waren, über <strong>Egger</strong> das Todesurteil mittels Hinrichtung durch das<br />

Schwert zu verhängen. Dabei liessen sie sich vermutlich von ihrem Moral- und<br />

Rechtsverständnis leiten, ohne dass sie über fundiertes juristisches Wissen und<br />

detaillierte Kenntnis der Carolina verfügt hätten. Eine exakte juristische Verortung<br />

des Falls unter Zuhilfenahme der Meinung von Rechtsexperten erschien<br />

wohl als unnötig, zumal die zu verhängende Strafe für die Pfalzräte ohnehin klar<br />

gewesen sein und nicht zu Diskussionen Anlass gegeben haben dürfte.<br />

Insgesamt waren Untersuchung, Beratung und Urteilsverkündung mehr oder<br />

weniger zeitgemäss. Bis zu den tiefgreifenden Veränderungen <strong>aus</strong>gangs des<br />

18. Jahrhunderts war die Fürstabtei St. Gallen weitgehend in den seit Erlass der<br />

Carolina geltenden Vorstellungen zum Strafsystem verhaftet. Dennoch lässt sich<br />

im Verfahren <strong>Egger</strong> auch der Geist des 18. Jahrhunderts erkennen, was die gewaltlosen<br />

Ermittlungsmethoden und die Verurteilung unter Verzicht auf Strafschärfung<br />

betrifft. Als deutliches Zeichen für die Wandelung der Rechtsvorstellungen<br />

seit dem 16. Jahrhundert erweist sich schliesslich auch die Begnadigung<br />

<strong>Egger</strong>s durch Abt Beda. Diese war weder im fürstäbtischen noch im europäi-<br />

211


Schlussbetrachtungen<br />

schen Kontext betrachtet ungewöhnlich für das allmählich zu Neige gehende<br />

18. Jahrhundert.<br />

Die Aufarbeitung des Kriminalfalls <strong>Egger</strong> macht eine gut 230 Jahre zurückliegende,<br />

in vielen Bereichen und Einzelheiten von heutigen Vorstellungen<br />

grundlegend abweichende und trotzdem gar nicht so fremde Epoche etwas greifbarer.<br />

212


Anhang<br />

Anhang<br />

A Akten im Fall <strong>Egger</strong><br />

Stiftsarchiv St. Gallen, Rubrik 42: Alte Landschaft im Allgemeinen. Justizwesen;<br />

Faszikel 18: Einzelne Protokollakten gehaltener Hoch- oder Blutgerichte zu<br />

St. Fiden, <strong>aus</strong> dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Zeitraum<br />

1621-1792<br />

Datum Art Person/en Dok<br />

1773<br />

23.8. Anzeige Caspar Wettach, Sattlermeister 1<br />

1775<br />

15.2.-16.3. Einvernahmen, <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> 2<br />

Beratung, Urteil<br />

Februar<br />

10./11. Erste Befragung <strong>Egger</strong>s, <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong>/Hofweibel Ackermann 3<br />

Amtsbericht<br />

10./16. Zeugen<strong>aus</strong>sage Maria Catharina Gross 4<br />

13 Zeugen<strong>aus</strong>sage Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er, Näherin 5<br />

14 Anzeige Christian Louis, Wirt an der Langgass 6<br />

14 Zeugen<strong>aus</strong>sage <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> Bensegger, <strong>Egger</strong>s Schwager 7<br />

14 Amtsbericht Fiskal Zollikofer 8<br />

15 Ärztliches Gutachten Hofleibarzt Gerold Rogg 9<br />

15 Gutachten Chirurg und Hofbarbier Wolff mit Sohn 10<br />

16 Anzeige Pankraz Rietmann, Strumpfweber 11<br />

18 Zeugen<strong>aus</strong>sage Jacob Himmelberger, Bruder von Catharina 12<br />

18 Anzeige Christian Louis, Wirt an der Langgass 13<br />

18 Amtsbericht <strong>Joseph</strong> Hofstetter, Hatschier 14<br />

22 Zeugen<strong>aus</strong>sage Maria Barbara und Anna Maria Veronica, 15<br />

<strong>Egger</strong>s Stieftöchter<br />

23 Zeugen<strong>aus</strong>sage Maria Elisabetha German, <strong>Egger</strong>s Ehefrau 16<br />

23 Zeugen<strong>aus</strong>sage <strong>Joseph</strong> Rüesch 17<br />

März<br />

8 Zeugen<strong>aus</strong>sage Johannes Geser 18<br />

i


Anhang<br />

B Personen im Fall <strong>Egger</strong><br />

1. <strong>Egger</strong> und seine Familie<br />

- <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> <strong>Egger</strong> geb. am 18. 11. 1746<br />

- Michael <strong>Egger</strong> <strong>Egger</strong>s Vater, geb. 6. 4. 1700, gest. 16. 2. 1760<br />

- Anna Huber <strong>Egger</strong>s Mutter, in zweiter Ehe mit Johannes Kunz<br />

- Anna Maria <strong>Egger</strong>s Schwester, geb. 2. 11. 1745<br />

- Michael <strong>Joseph</strong> <strong>Egger</strong>s Bruder, geb. 19. 3. 1751, Schuster<br />

- Jacob <strong>Egger</strong>s Bruder, geb. 31. 10. 1752<br />

- Catharina <strong>Egger</strong>s Schwester, geb. 12. 8. 1754<br />

- Johannes <strong>Egger</strong>s Bruder, geb. 15. 4. 1756<br />

- Elisabetha <strong>Egger</strong>s Schwester, geb. 23. 11. 1757<br />

- Maria Anna <strong>Egger</strong>s Schwester<br />

- Caspar Kunz <strong>Egger</strong>s Stiefbruder<br />

- Magdalena Kunz <strong>Egger</strong>s Stiefschwester<br />

- Maria Elisabetha German <strong>Egger</strong>s Ehefrau<br />

- Maria Barbara <strong>Egger</strong>s Stieftochter<br />

- Anna Maria Veronica <strong>Egger</strong>s Stieftochter<br />

2. Zeugen<br />

- Maria Catharina Gross Ehefrau von Johannes Ziegler, Vermieterin von<br />

Catharina Himmelberger<br />

- Johannes Geser Bekannter von <strong>Egger</strong> <strong>aus</strong> Geiserwald<br />

- Fideli Burckhard Knecht des Scharfrichters, <strong>aus</strong> der Langgasse<br />

- Franz <strong>Antoni</strong> Ritter Knecht des Scharfrichters, <strong>aus</strong> Rottweil<br />

- Christian Louis Wirt an der Langgass<br />

ii


Anhang<br />

- Jacob Himmelberger Bruder von Catharina Himmelberger, Schuster<br />

- Maria Anna Himmelberger Tochter von Jacob Himmelberger<br />

- Johannes Karrer Totengräber<br />

- <strong>Joseph</strong> Rüesch Bekannter von <strong>Egger</strong>, Müllersknecht<br />

- <strong>Joseph</strong> <strong>Antoni</strong> Bensegger <strong>Egger</strong>s Schwager, verheiratet mit Anna Maria<br />

- Johannes Kunz <strong>Egger</strong>s Stiefvater<br />

- Elisabeth Schafh<strong>aus</strong>er Näherin<br />

3. Weitere<br />

- Catharina Himmelberger <strong>Egger</strong>s Opfer<br />

- Elisabeth Han Als Diebin hingerichtet<br />

- Melchior Burckhard Komplize von Elisabeth Han, hingerichtet<br />

- Johann <strong>Joseph</strong> Demmer Sohn von Elisabeth Han<br />

- Maria Baumann Ehefrau von Carl Etter, verstorben im Wochenbett<br />

iii


Anhang<br />

C Quellen und Materialien<br />

1. Ungedruckte Quellen<br />

Abschrift des Verhörprotokolls <strong>Egger</strong>s <strong>aus</strong> dem Jahr 1775 im Kriminalprotokollband,<br />

StiASG, Bd. 1074, S. 3-77<br />

Abschrift des Verhörprotokolls <strong>Egger</strong>s um 1865 von Stiftsarchivar Wilhelm<br />

Eugen von Gonzenbach, StaASG, Sig. AA 8 A 3-5<br />

Bestallung des fürstl. st. gallischen landshofmeisters das malefiz betreffend,<br />

1775, StiASG, Rubr. 27, Fasz. 5<br />

Bestallung eines ambtsdieners des Gottsh<strong>aus</strong> St. Gallen, ca. 1750, StiASG,<br />

Rubr. 42, Fasz. 17<br />

Concept hochfürstlicher st. gallischer pfalzrathsordnung, erlassen von Abt <strong>Joseph</strong><br />

1733, StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3<br />

Gerichtsakten, Protokolle und Gutachten zum Fall <strong>Egger</strong> gemäss separatem Aktenverzeichnis<br />

(Anhang a), StiASG, Rubr. 42, Fasz. 18<br />

Kriminalprotokoll betreffend Elisabeth Han vom 22. April 1773, in: criminal<br />

prothocol von anno 1750 bis anno 1774, StiASG, Bd. 1073, S. 613-626<br />

Ordnung, wie die pfaltz-räth sollen gehalten werden. 1636, StiASG, Bd. 314,<br />

S. 202-207<br />

Pfalzratsordnung 1723, StiASG, Bd. 324, S. 877 ff.<br />

Tagebuch des Abts Beda vom 11. März 1767 bis 31. Januar 1773, StiASG,<br />

Bd. 282<br />

Tagebuch des Abts Beda vom 1. Februar 1773 bis 31. Dezember 1779, StiASG,<br />

Bd. 283<br />

Taxen ordnung, Abschrift vom 24. Juli 1783, StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3<br />

Verzeichnis der weltlichen Beamten des Stiftes St. Gallen vom 13. bis 18. Jahrhundert<br />

(handschriftlich), Neuauflage nach der Vorlage der ehemaligen<br />

Stiftsarchivare Wilhelm Eugen von Gonzenbach und Gustav Scherer zusammengestellt<br />

von PAUL STAERKLE, Stiftsarchiv St. Gallen, Sig. Rep. 14a [zit.<br />

Beamtenverzeichnis]<br />

Würdts ordnung zuo St. Feyden anno 1697, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17<br />

iv


Anhang<br />

Zusammenstellung der Kosten der Gefangenschaft zweier vom 9. bzw. 10. August<br />

bis 10. September 1723 Inhaftierter; StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17<br />

2. Gedruckte Quellen<br />

VON ARX ILDEFONS, Geschichten des Kantons St. Gallen, in drei Bänden,<br />

Nachdruck der Ausgabe von 1810-13/1830, St. Gallen 1987<br />

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, enthält: 1. <strong>Joseph</strong> Anton<br />

<strong>Egger</strong> von Tablat, Todschläger und Leichenräuber, 2. Sebastian Hohl von<br />

Trogen, Goldmacher und Mädchenschänder, St. Gallen, Verlag des «Anzeigers»,<br />

ca. 1860 [zit. Autor anonym, Kriminalgeschichten]<br />

Autor anonym, Process wie es nach dem alten Brauch an einem Malefitz Gricht<br />

in der Statt St. Gallen gehalten werden solle, St. Gallen 1701 [zit. Autor anonym,<br />

Process]<br />

Der Schwabenspiegel oder schwäbisches Land- und Lehen-Rechtbuch. Nach<br />

Handschrift vom Jahr 1287. Freiherr von Lassberg, Friedrich Leonhard Anton<br />

[Hg.], Neudruck der Ausgabe 1840, Aalen 1961<br />

Der Schwabenspiegel, übertragen in heutiges Deutsch, Derschka Harald Rainer<br />

[Übers.], München 2002<br />

Die Bambergische Halsgerichtsordnung, Bd. 2 der Reihe «Die Carolina und ihre<br />

Vorgängerinnen», Kohler Josef/Scheel Willy [Hg.], Neudruck der Ausgabe<br />

Halle 1902, Aalen 1968<br />

Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen<br />

Reichs von 1532 (Carolina), Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Stuttgart<br />

2000<br />

Freyhait von Kayser Friederich dem Dritten Abbt Gotthartt erthailt, das man das<br />

Hochgericht zu beschlossner Thür, und nid offentlich halten mög, und wie<br />

man das besetzen soll, vom 16. August 1491, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17<br />

FRÖLICH VON FRÖLICHSBURG JOHANN CHRISTIAN, Commentarius in Kayser<br />

Carl des Fünfften und des Heil. Röm. Reichs peinliche Halsgerichts-Ordnung,<br />

Ulm 1709, 7. Aufl., Frankfurt/Leipzig 1759<br />

v


Anhang<br />

Materialien zur Geschichte des Kriminal- und Gefängniswesens in der alten<br />

Landschaft, im Toggenburg und Rheintal ab anno 1396-1797, gesammelt und<br />

in chronologische Ordnung gebracht von KARL WEGELIN, in: Verhandlungen<br />

der St. Gallisch-Appenzellischen gemeinnützigen Gesellschaft an der Hauptversammlung<br />

in Berneck, Dienstags, den 17. Oktober 1854, zweite Beilage,<br />

St. Gallen 1855, S. 29-66 [zit. WEGELIN, Materialien]<br />

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons<br />

St. Gallen. Erster Teil: Die Rechtsquellen der Abtei St. Gallen, zweite Reihe,<br />

1. Band: Die allgemeinen Rechtsquellen der Alten Landschaft, bearb. von<br />

WALTER MÜLLER, hg. vom Schweizerischen Juristenverein, Aarau 1974 [zit.<br />

RQSG (Alte Landschaft)]<br />

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons<br />

St. Gallen. Erster Teil: Offnungen & Hofrechte, erster Band: Alte Landschaft,<br />

bearb. von MAX GMÜR, hg. vom Schweizerischen Juristenverein, Aarau 1903<br />

[zit. RQSG (Offnungen)]<br />

vi


Anhang<br />

D Literatur<br />

A<br />

AEBI FRITZ, Die Religionsdelikte in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ihre Behandlung<br />

im geltenden Recht mit Berücksichtigung der deutschen und<br />

schweizerischen Strafgesetzentwürfe, Diss. iur. Zürich, Zürich 1914<br />

ALLFELD PHILIPP, Die Entwicklung des Begriffes Mord bis zur Carolina. Ein<br />

rechtsgeschichtlicher Versuch, Nachdruck der Ausgabe Erlangen 1877,<br />

Darmstadt 1969<br />

ALTHER ERNST W., Ahnentafel von Bürgern st. gallischen Ursprungs, mit Ausläufern<br />

nach Genf, Nancy, Nürnberg, Ulm, Lucca und Florenz, St. Gallen<br />

2004<br />

ARBEITSKREIS «EDITIONSPROBLEME IN DER FRÜHEN NEUZEIT» [Hg.], Empfehlungen<br />

für die Edition frühneuzeitlicher Texte, in: Jahrbuch der historischen<br />

Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, hg. von der Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>aus</strong>seruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Berichtsjahr 1980, Stuttgart 1981, S. 85-96<br />

ARVANITIS CHRISTOS, Zur Problematik der Unterscheidung zwischen Mord und<br />

Todschlag, Diss. iur. München, München 1982<br />

B<br />

BALDAUF DIETER, Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, Köln/Böhlau<br />

2004<br />

BAUMANN MAX, Konfessionelle, politische, wirtschaftliche Vielfalt, in: St. Galler<br />

Geschichte 2003, Bd. 3: Frühe Neuzeit: Territorien, Wirtschaft, hg. von<br />

der wissenschaftlichen Kommission der Sankt-Galler Kantonsgeschichte,<br />

St. Gallen 2003, S. 11-149<br />

BAUMANN ROBERT, Der Anwalt im Visier des Staates. Erwartungen des Gesetzgebers<br />

an die Rolle des Anwaltes in einer freien Marktwirtschaft, in: Aktuelle<br />

Juristische Praxis (AJP), 1/2008, S. 43-54<br />

BAUMGARTNER GALLUS JAKOB, Geschichte des schweizerischen Freistaates<br />

und Kantons St. Gallen, mit besonderer Beziehung auf Entstehung, Wirk-<br />

vii


Anhang<br />

samkeit und Untergang des fürstlichen Stiftes St. Gallen, 1. Bd., Zürich/Stuttgart<br />

1868<br />

BAUSINGER HERMANN, Aufklärung und Aberglaube, in: Deutsche Vierteljahresschrift<br />

für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 37. Jg., Stuttgart<br />

1963, S. 345-362<br />

BECCARIA CESARE, Über Verbrechen und Strafen. Nach der Ausgabe von 1766<br />

übersetzt und hg. von Wilhelm Alff, Frankfurt am Main 1988<br />

BEHRINGER WOLFGANG, Gegenreformation als Generationenkonflikt oder: Verhörsprotokolle<br />

und andere administrative Quellen zur Mentalitätsgeschichte,<br />

in: Schulze Winfried [Hg.], Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen<br />

in der Geschichte, Berlin 1996, S. 275-293<br />

BERNET MARIANNE, Der Beizug von gerichtlichen Sachverständigen im alten<br />

Zürich, Diss. iur. Zürich, Zürich 1967<br />

BIENER FRIEDRICH AUGUST, Beiträge zu der Geschichte des Inquisitions-<br />

Processes und der Geschworenen-Gerichte, Leipzig 1827<br />

BIRLINGER ANTON, Aus Schwaben, 1. Bd.: Sagen, Legenden, Aberglauben;<br />

2. Bd.: Sitten und Rechtsbräuche, Wiesbaden 1874<br />

BISCHOF FRANZ XAVER, Jesuiten, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS),<br />

Version vom 14. Februar 2008, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/<br />

D13675.php<br />

BLAUERT ANDREAS, Das Urfehdewesen im deutschen Südwesten im Spätmittelalter<br />

und in der frühen Neuzeit, Frühneuzeit-Forschungen, Bd. 7, hg. von<br />

Blickle Peter et al., Tübingen 2000<br />

BLESS-GRABHER MAGDALEN, Recht, Rechtsbruch und Strafen im Ancien<br />

Régime, in: St. Galler Geschichte 2003, Bd. 3: Frühe Neuzeit: Territorien,<br />

Wirtschaft, hg. von der wissenschaftlichen Kommission der Sankt-Galler<br />

Kantonsgeschichte, St. Gallen 2003, S. 261-286<br />

BOESELAGER ELKE,FREIFRAU VON, Schriftkunde. Basiswissen, Hannover 2004<br />

BRÄNDLI SEBASTIAN, «Die Retter der leidenden Menschheit». Sozialgeschichte<br />

der Chirurgen und Ärzte auf den Zürcher Landschaft (1700-1850), Zürich<br />

1990<br />

viii


Anhang<br />

VON BRANDT AHASVER, Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen<br />

Hilfswissenschaften, 15. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 1998<br />

BREITENMOSER HANS, Schloss Oberberg bei Gossau, in: Burgen, Schlösser und<br />

Burgherrengeschichte der Ostschweiz, hg. von Meili Hermann, Trogen 1970,<br />

S. 126-129<br />

BRUNS SILVIN, Zur Geschichte des Inquisitionsprozesses: Der Beschuldigte im<br />

Verhör nach Abschaffung der Folter, Diss. iur. Bonn, Bonn 1994<br />

BÜCHLER HANS, Das Toggenburg. Eine Landschaft zwischen Tradition und<br />

Fortschritt, Sulgen 1992<br />

BUSSE DIETRICH, Textinterpretation. Sprachtheoretische Grundlagen einer explikativen<br />

Semantik, Opladen 1992<br />

C<br />

CARLEN LOUIS, Die Galeerenstrafe in der Schweiz, in: Zeitschrift für die gesamte<br />

Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 88, Berlin/New York 1976, S. 557-<br />

579 [zit. CARLEN, Galeerenstrafe]<br />

CARLEN LOUIS, Rechtsgeschichte der Schweiz. Eine Einführung, Bd. 4 der Monographien<br />

zur Schweizer Geschichte, hg. von der allgemeinen geschichtforschenden<br />

Gesellschaft der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1988 [zit. CARLEN,<br />

Rechtsgeschichte]<br />

CARPZOV BENEDIKT, Peinlicher sächsischer Inquisitions- und Achtsprozess,<br />

Nachdruck der Ausgabe Fanckfurt am Maeyn/Leipzig/Schleich 1638, Goldbach<br />

1996<br />

CAVELTI LEO, Entwicklung der Landeshoheit der Abtei St. Gallen in der alten<br />

Landschaft, Gossau 1914<br />

COZZIO AGOSTINO, Die Fürstabtei St. Gallen: Rechtsstellung, Aufhebung und<br />

Übergang zum Katholischen Konfessionsteil, in: Begleitpublikation zur Ausstellung<br />

«Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im Historischen<br />

und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 - 9. Juli<br />

2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv St. Gallen und Stiftsbibliothek<br />

St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 59-72<br />

CURTI CLAUDIA, Die Strafanstalt des Kantons Zürich im 19. Jahrhundert, Diss.<br />

iur. Zürich, Zürich 1988<br />

ix


Anhang<br />

D<br />

ERIKA, Aberglaube, in: Historisches Lexikon der Schweiz<br />

(HLS), Version vom 8. Februar 2006, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/<br />

textes/d/D30175.php<br />

DERENDINGER<br />

DIETZ WALTER, Eisenbahnfieber. Vom Pferdegespann zum Dampfross. 150<br />

Jahre Eisenbahnen in der Ostschweiz, in: St. Galler Tagblatt vom 23. September<br />

2005, URL: http://www.tagblatt.ch, Archivsuche, Stichworte Datum,<br />

Autor<br />

DUBLER ANNE-MARIE, Gerichtswesen, Kap. 1: Das Gerichtswesen vor 1800, in:<br />

Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005,<br />

URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9634-2-1.php<br />

DUFT JOHANNES/GÖSSI ANTON/VOGLER WERNER, Die Abtei St. Gallen,<br />

St. Gallen 1986<br />

VAN DÜLMEN RICHARD, Einleitung, in: van Dülmen Richard [Hg.], Kultur der<br />

einfachen Leute. Bayerisches Volksleben vom 16. bis zum 19. Jahrhundert,<br />

München, S. 7-16 [zit. VAN DÜLMEN, Leute]<br />

VAN DÜLMEN RICHARD, Gesellschaft der Frühen Neuzeit: Kulturelles Handeln<br />

und sozialer Prozess. Beiträge zur historischen Kulturforschung, Wien/Köln/<br />

Weimar 1993 [zit. VAN DÜLMEN, Gesellschaft]<br />

VAN DÜLMEN RICHARD, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, 1. Bd.: Das<br />

H<strong>aus</strong> und seine Menschen; 2. Bd.: Dorf und Stadt, 16.-18. Jahrhundert;<br />

3. Bd., Religion, Magie, Aufklärung, München 1990/1992/1994 [zit. VAN<br />

DÜLMEN, Alltag, Bd. 1/2/3]<br />

VAN DÜLMEN RICHARD, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafurteile<br />

in der frühen Neuzeit, München 1995 [zit. VAN DÜLMEN, Theater]<br />

E<br />

EBERLE THOMAS SAMUEL, Lesegesellschaften, in: Wunderlich Werner [Hg.],<br />

St. Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur. Kloster – Stadt – Kanton –<br />

Region, Bd. 1: Darstellung, St. Gallen 1999, S. 647-707<br />

ECCARD CARL AUGUST, Gegen den Aberglauben, Tübingen 1787<br />

EHRENZELLER ERNST, Geschichte der Stadt St. Gallen, St. Gallen 1988<br />

x


Anhang<br />

EHRENZELLER WILHELM, St. Gallen im Zeitalter des Klosterbruchs und des<br />

St. Gallerkriegs. Von der Einsetzung Ulrich Röschs als Pfleger bis zum<br />

Schwabenkrieg 1458-1500, St. Gallen 1938<br />

EISENHARDT ULRICH, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., München 2004<br />

EISENHART AUGUST, Leyser Augustin, in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg.<br />

von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften<br />

und der Bayerischen Staatsbibliothek, Bd. 18, Leipzig 1883, S. 519-<br />

523<br />

ELIAS NORBERT, Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische<br />

Untersuchungen. 1. Bd.: Wandlungen des Verhaltens in den<br />

weltlichen Oberschichten des Abendlandes, 2. Bd.: Wandlungen der Gesellschaft,<br />

Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, 1939, Neu<strong>aus</strong>gabe Amsterdam<br />

1997<br />

ENGENSPERGER A., Entwicklung der Landsgemeinden in der Alten Landschaft<br />

St. Gallen von ihrem Entstehen bis zum Beginn der französischen Invasion,<br />

kopiert von Perret Franz, St. Gallen 1953<br />

ENGLERT NIKOLAUS, Todesbegriff und Leichnam als Element des Totenrechts,<br />

tuduv-Studien, Reihe Rechtswissenschaft, Bd. 10, München 1979<br />

ETTIN LEO, Benediktiner, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version<br />

vom 15. Mai 2007, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11707.php<br />

F<br />

VON FABRICE HEINRICH, Die Lehre von der Kindsabtreibung und vom Kindsmord.<br />

Gerichtsärztliche Studien, Erlangen 1868<br />

FELDER GOTTLIEB, Über altes Burggemäuer, in: Burgen, Schlösser und Burgherrengeschichte<br />

der Ostschweiz, hg. von Meili Hermann, Trogen 1970,<br />

S. 37-39<br />

FEUERHELM WOLFGANG, Stellung und Ausgestaltung der gemeinnützigen Arbeit<br />

im Strafrecht. Historische, dogmatische und systematische Aspekte einer<br />

ambulanten Sanktion, Wiesbaden 1997<br />

FISCHER MATTIAS GERHARD, Zeugen, in: Erler Adalbert/Kaufmann Ekkehard<br />

[Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 5, Berlin<br />

1998, Sp. 1693-1699<br />

xi


Anhang<br />

FISCHER-HOMBERGER ESTHER, Medizin vor Gericht, Gerichtsmedizin von der<br />

Renaissance bis zur Aufklärung, Bern/Stuttgart/Wien 1983<br />

FRANZ ECKHART G., Einführung in die Archivkunde, 6. Aufl., Darmstadt 2004<br />

FRAUENSTÄDT PAUL, Blutrache und Todschlagsühne im Deutschen Mittelalter,<br />

Neudruck der 1. Aufl. von 1881, Berlin 1980<br />

FUCHS RALF-PETER, Gott lässt sich nicht verspotten. Zeugen im Parteienkampf<br />

vor frühneuzeitlichen Gerichten, in: Blauert Andreas/Schwerhoff Gerd [Hg.],<br />

Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne,<br />

Konstanz 2000, S. 315-335 [zit. FUCHS, Gott]<br />

FUCHS RALF-PETER, Protokolle von Zeugenverhören als Quellen zur Wahrnehmung<br />

von Zeit und Lebensalter in der frühen Neuzeit, in: Baumann Anette et<br />

al. [Hg.], Prozessakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten<br />

Gerichtsbarkeit im Alten Rhein, Köln/Weimar/Wien 2001 [zit. FUCHS,<br />

Zeugenverhöre]<br />

FUCHS RALF-PETER/SCHULZE WINFRIED, Zeugenverhöre als historische Quellen<br />

– einige Vorüberlegungen, in: Fuchs Ralf-Peter/Schulze Winfried [Hg.],<br />

Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quellen für soziale<br />

Wissensbestände in der Frühen Neuzeit, Münster 2002, S. 7-40<br />

FUMASOLI GEORG, Ursprünge und Anfänge der Schellenwerke. Ein Beitrag zur<br />

Frühgeschichte des Zuchth<strong>aus</strong>wesens, Diss. iur. Zürich, Zürich 1981<br />

G<br />

GANAHL KARL HANS, Studien zur Verfassungsgeschichte der Klosterherrschaft<br />

St. Gallen von den Anfängen bis ins hohe Mittelalter, 6. Bd. der Forschungen<br />

zur Geschichte Vorarbergs und Liechtensteins, Innsbruck 1931<br />

GEMPERLI STEFAN, St. Gallen, Säkularisation und Ende der Reichskirche, in:<br />

Begleitpublikation zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und<br />

Erbe 1805/2005» im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen<br />

(10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv<br />

St. Gallen und Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 21-27<br />

GLASER JULIUS, Handbuch des Strafprozesses, 1. Bd., Leipzig 1883<br />

xii


Anhang<br />

GRAF BEAT, Freiheitsstrafen in der Fürstabtei St.Gallen (Alte Landschaft) und<br />

der freien Reichsstadt St.Gallen von den Anfängen bis zum Ende des Ancien<br />

Régime, Diss. iur. Freiburg/CH, Wil 1996<br />

GRIMM JACOB, Deutsche Mytohlogie, 2. Bd., dritte Ausgabe, Göttingen 1854<br />

GROLMAN KARL, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft nebst einer systematischen<br />

Darstellung des Geistes der deutschen Criminalgesetze, Neudruck<br />

der Ausgabe Giessen 1798, Glashütten im Taunus 1970<br />

GSCHWEND LUKAS, Carl Stooss, in: Michael Stolleis [Hg.], Juristen. Ein biographisches<br />

Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München<br />

1995 [zit. GSCHWEND, Juristen]<br />

GSCHWEND LUKAS, Der Studentenmord von Zürich. Eine kriminalhistorische<br />

Untersuchung zur Tötung des Studenten Ludwig Lessing am 4. November<br />

1835, Zürich 2002 [zit. GSCHWEND, Studentenmord]<br />

GSCHWEND LUKAS, Pfalzgericht, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Version<br />

vom 18. Januar 2006, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D27307.php [zit.<br />

GSCHWEND, Pfalzgericht]<br />

GSCHWEND LUKAS, Vom Geständniszwang zum rechtsstaatlichen Beweisverfahren<br />

zwischen 1750 und 1850, in: Opitz Claudia/Studer Brigitte/Tanner Jakob<br />

[Hg.], Kriminalisieren – Entkriminalisieren – Normalisieren, Zürich<br />

2006, S. 165-175 [zit. GSCHWEND, Geständniszwang]<br />

GSCHWEND LUKAS/KRAMER GEORG, Die rechtshistorische Textexegese, in:<br />

ius.full 6/04, Zürich 2004, S. 247-258 [zit. GSCHWEND/KRAMER, Textexegese]<br />

GSCHWEND LUKAS/KRAMER GEORG, Gerichtshoheit und Landesherrschaft. Die<br />

Entwicklung der Gerichtshoheit in Churrätien unter besonderer Berücksichtigung<br />

der Verhältnisse in der Grafschaft Werdenberg, in: Werdenberger Jahrbuch<br />

2006, hg. von der Historisch-Heimatkundlichen Vereinigung des Bezirks<br />

Werdenberg, 19. Jg., Buchs 2005, S. 9-28 [zit. GSCHWEND/KRAMER,<br />

Gerichtshoheit]<br />

GUGGENHEIMER DOROTHEE/SONDEREGGER STEFAN, Dokumente des 13. bis<br />

20. Jahrhunderts <strong>aus</strong> dem Stadtarchiv St. Gallen, Interaktive Leseübungen<br />

und Kommentare, CD-ROM, Zürich 2006<br />

xiii


Anhang<br />

GÜNTHER LOUIS, Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie<br />

des Strafrechts. Ein Beitrag zur universalhistorischen Entwicklung<br />

derselben, Abteilung 1: Die Kulturvölker des Altertums und das deutsche<br />

Recht bis zur Carolina, Neudruck der Ausgabe Erlangen 1889, Aalen 1966<br />

H<br />

HARDEGGER RAINER OTTO, Die Helvetische Gesellschaft correspondierender<br />

Ärzte und Wundärzte 1788/91-1807. Geschichte der ersten schweizerischen<br />

Ärztevereinigung, Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen Nr. 191,<br />

Zürich 1987<br />

HÄRTER KARL, Strafverfahren im frühneuzeitlichen Territorialstaat: Inquisition,<br />

Entscheidungsfindung, Supplikation, in: Blauert Andreas/Schwerhoff Gerd<br />

[Hg.], Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der<br />

Vormoderne, Konstanz 2000, S. 459-480<br />

HARTMANN PETER C., Die Jesuiten, München 2001<br />

HATTENHAUER HANS, Europäische Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Heidelberg 2004<br />

HAUSER ALBERT, Von den letzten Dingen. Tod, Begräbnis und Friedhöfe in der<br />

Schweiz 1700-1990, Zürich 1994 [zit. HAUSER ALBERT, Tod]<br />

HAUSER ALBERT, Was für ein Leben. Schweizer Alltag vom 15. bis 18. Jahrhundert,<br />

Zürich 1987 [zit. HAUSER ALBERT, Leben]<br />

HAUSER ROBERT, Der Zeugenbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des<br />

Zivilprozesses, Zürcher Schriften zum Verfahrensrecht, Bd. 5, Zürich 1974<br />

HAUSMANN JOST, «Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet ...». Zur Entwicklung<br />

der Tötungsdelikte, in: «Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft<br />

im Wandel 1500-2000», wissenschaftlicher Begleitband der gemeinsamen<br />

Landes<strong>aus</strong>stellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive,<br />

hg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Koblenz 2002,<br />

S. 424-428<br />

HENGGELER RUDOLF, Professbuch der fürstlichen Benediktinerabtei der heiligen<br />

Gallus und Othmar zu St. Gallen, Nr. 540, Zug 1929<br />

HENKEL HEINRICH, Strafverfahrensrecht. Ein Lehrbuch, 2. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz<br />

1968<br />

xiv


Anhang<br />

HENSCHEL JOHANN FRIEDRICH, Die Strafverteidigung im Inquisitionsprozess<br />

des 18. und im Anklageprozess des 19. Jahrhunderts, Diss. iur. Freiburg im<br />

Breisgau, München 1972<br />

HENSEL GERD, Geschichte des Grauens. Deutscher Strafvollzug in 7 Jahrhunderten,<br />

Altendorf/AT 1979<br />

VON HENTIG HANS, Zur Psychologie der Einzeldelikte, Bd. 2: Der Mord, Tübingen<br />

1956 [zit. VON HENTIG, Psychologie]<br />

VON HENTIG HANS, Die Strafe, Bd. 1: Frühformen und kulturgeschichtliche Zusammenhänge;<br />

Bd. 2: Die modernen Erscheinungsformen, Berlin/Göttingen/Heidelberg<br />

1954/55 [zit. VON HENTIG, Strafe, Bd. 1/2]<br />

HESS FALK, Böhmer, Johann Samuel Friedrick, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller<br />

Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 3. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 640<br />

HINCKELDEY CHRISTOPH [Hg.], Justiz in alter Zeit, Bd. VI c der Schriftenreihe<br />

des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T., Rothenburg<br />

o.d.T. 1989<br />

HIRSCH HANS, Die Hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter, Reichenberg<br />

1922<br />

HIS RUDOLF, Strafrecht des deutschen Mittelalters, Teil 1: Die Verbrechen und<br />

ihre Folgen im allgemeinen, Leipzig 1920; Teil 2: Die einzelnen Verbrechen,<br />

Neudruck der Ausgabe Weimar 1935, Aalen 1964<br />

HOFFMANN PAUL, Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren. Die Unerreichbarkeit<br />

des Zeugen gemäss § 244 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozessordnung. Geschichtliche<br />

Untersuchung und aktuelle Problemstellung einschliesslich der<br />

V-Mann-Problematik, Schriften zum Strafrecht, Heft 88, Berlin 1991<br />

HÖHLE THOMAS, Literatur und Autoren zur Zeit der Aufklärung, in: Wunderlich<br />

Werner [Hg.], St. Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur. Kloster –<br />

Stadt – Kanton – Region, Bd. 1: Darstellung, St. Gallen 1999, S. 425-470<br />

HOLENSTEIN ANDRÉ, Weibel, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version<br />

vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/<br />

D10088.php, sowie: Hintersassen, Version vom 30. November 2006, URL:<br />

http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D15998.php<br />

xv


Anhang<br />

HOLENSTEIN THOMAS, Recht, Gericht und wirtschaftliche Verhältnisse in den<br />

st. gallischen Stiftslanden und im Toggenburg beim Ausgange des Mittelalters,<br />

St. Gallen 1934<br />

LORENZ, Landshofmeisteramt, in: Historisches Lexikon der<br />

Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D7663.php<br />

[zit. HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt]<br />

HOLLENSTEIN<br />

HOLLENSTEIN LORENZ, Einst weltliche Oberbeamte im Klosterstaat – dann führende<br />

Politiker im neuen Kanton, in: Begleitpublikation zur Ausstellung<br />

«Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im Historischen<br />

und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg.<br />

von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv St. Gallen und Stiftsbibliothek<br />

St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 73-78 [zit. HOLLENSTEIN LORENZ, Oberbeamte]<br />

HOLZHAUER HEINZ, Geständnis, in: Erler Adalbert/Kaufmann Ekkehard [Hg.],<br />

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 1, Berlin<br />

1971, Sp. 1629-1642<br />

VON HÖRMANN LUDWIG, Der Wurzengraber, in: Der Alpenfreund. Monatshefte<br />

für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen<br />

<strong>aus</strong> dem Gesamtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur<br />

Genussvollen Bereisung derselben, 2. Bd., Gera 1870, S. 360-362<br />

PAUL, Volksfrömmigkeit, in: Historisches Lexikon der Schweiz<br />

(HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/<br />

textes/d/11511.php<br />

HUGGER<br />

I<br />

IGNOR ALEXANDER, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846.<br />

Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn<br />

2002<br />

ILLI MARTIN, Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen<br />

Stadt, Zürich 1992<br />

IMBODEN KARL, Religion und ärztliches Wissen. Nach einem Vortrage von<br />

Dr. med. K. Imboden, Nervenarzt, St. Gallen ca. 1915<br />

xvi


Anhang<br />

J<br />

JAKOBER DOMINIKA, Dominikanerinnenkloster St. Katharina Wil, München/Zürich<br />

1991<br />

JAKOBS GÜNTHER, Strafrecht Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zurechnungslehre,<br />

Studien<strong>aus</strong>gabe, 2. Aufl., Berlin 1993<br />

JANSEN KIRSTEN, Das Zeugnisverweigerungsrecht <strong>aus</strong> § 52 StPO für besondere<br />

persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse. Die Integration nicht-institutionalisierter<br />

Lebensformen in das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht<br />

<strong>aus</strong> persönlichen Gründen, Diss. iur. Köln, Berlin 2004<br />

JEROUSCHEK GÜNTER, Akkusationsprozess, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/<br />

Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 1. Lieferung, Berlin 2004, Sp. 126-128 [zit. JEROUSCHEK, Akkusationsprozess]<br />

JEROUSCHEK GÜNTER, Die Her<strong>aus</strong>bildung des peinlichen Inquisitionsprozesses<br />

im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für die gesamte<br />

Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 104, Berlin/New York 1992, S. 328-360<br />

[zit. JEROUSCHEK, Inquisitionsprozess]<br />

JEROUSCHEK GÜNTER, Thomasius und Beccaria als Folterkritiker. Überlegungen<br />

zum Kritikpotential im kriminalwissenschaftlichen Diskurs der Aufklärung,<br />

in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 110<br />

Berlin/New York 1998, S. 658-673 [zit. JEROUSCHEK, Beccaria]<br />

K<br />

KABUS INA, Der Inquisitionsprozess im Mittelalter und in der frühen Neuzeit,<br />

in: Jerouschek Günter/Rüping Hinrich [Hg.], «Auss liebe der gerechtigkeit<br />

vnd umb gemeines nutz willenn». Historische Beiträge zur Strafverfolgung,<br />

Tübingen 2000, S. 29-57<br />

KALKOFEN RUPERT, Literarisches Leben, in: Wunderlich Werner [Hg.], St. Gallen.<br />

Geschichte einer literarischen Kultur. Kloster – Stadt – Kanton – Region,<br />

Bd. 1: Darstellung, St. Gallen 1999, S. 759-872<br />

KÄSTNER KARL-HERMANN, Cuius regio eius religio, in: Cordes Albrecht/ Lück<br />

Heiner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 4. Lieferung, Berlin 2006, Sp. 913-916<br />

xvii


Anhang<br />

KESEL GÜNTHER, Die Religionsdelikte und ihre Behandlung im künftigen Strafrecht,<br />

Diss. iur. München, München 1968<br />

KLEINHEYER GERD, Tradition und Reform in der Constitutio Criminalis Carolina,<br />

in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess<br />

und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio<br />

Criminalis Carolina, Frankfurt am Main 1984, S. 7-27 [zit. KLEINHEYER,<br />

Carolina]<br />

KLEINHEYER GERD, Zur Rechtsgestalt von Akkusationsprozess und peinlicher<br />

Frage im frühen 17. Jahrhundert. Ein Regensburger Anklageprozess vor dem<br />

Reichshofrat, Opladen 1971 [zit. KLEINHEYER, Akkusationsprozess]<br />

KLEINHEYER GERD, Zur Rolle des Geständnisses im Strafverfahren des späten<br />

Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte, Gedächtnisschrift<br />

für Hermann Conrad, hg. von Kleinheyer Gerd und Mikat<br />

Paul, Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-<br />

Gesellschaft, Heft 34, Paderborn/München/Wien/Zürich 1979, S. 367-384<br />

[zit. KLEINHEYER, Geständnis]<br />

KLEINHEYER GERD/SCHRÖDER JAN [Hg.], Deutsche und Europäische Juristen<br />

<strong>aus</strong> neun Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Geschichte der<br />

Rechtswissenschaft, 4. Aufl., Heidelberg 1996<br />

KLEINSCHROD GALLUS ALOYS, Systematische Entwicklung der Grundbegriffe<br />

und Grundwahrheiten des peinlichen Rechts nach der Natur der Sache und<br />

der positiven Gesetzgebung. 3 Teile, 3. Aufl., Erlangen 1805, Nachdruck<br />

Frankfurt am Main 1985 [zit. KLEINSCHROD, Grundbegriffe]<br />

KLEINSCHROD GALLUS ALOYS, Über die Rechte, Pflichten und Klugheitsregeln<br />

des Richters bey peinlichen Verhören und der Erforschung der Wahrheit in<br />

peinlichen Fällen, in: Archiv des Criminalrechts, Bd. 1 und 2, Halle 1798/99<br />

[zit. KLEINSCHROD, Richter]<br />

KNOTT SEBASTIAN, Bei der Ehre gepackt! Die Ehrenstrafen in Bayern seit 1700,<br />

Regensburg 2006<br />

KÖBLER GERHARD, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997<br />

KRAMER GEORG, St. Jakob – Eine Geistesgeschichte der ersten St. Galler Strafanstalt,<br />

in: Gschwend Lukas [Hg.], Grenzüberschreitungen und neue Hori-<br />

xviii


Anhang<br />

zonte: Beiträge zur Rechts- und Regionalgeschichte der Schweiz und des Bodensees,<br />

Zürich/St. Gallen 2007<br />

VON KRIES AUGUST, Der Beweis im Strafprozess des Mittelalters, Neudruck der<br />

Ausgabe Weimar 1878, Aalen 1975<br />

KRÖNER OTTO, Die vorsätzlichen Tötungsdelikte in ihrer Entwicklung von der<br />

Carolina bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Diss. iur. Göttingen, Göttingen<br />

1958<br />

KRÜNITZ JOHANN GEORG, Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System<br />

der Staats- Stadt- H<strong>aus</strong>- und Landwirtschaft, in alphabetischer Ordnung,<br />

242 Bände, Berlin 1773-1858<br />

L<br />

LABOUVIE EVA, Wider Wahrsagerei, Segnerei und Zauberei. Kirchliche Versuche<br />

zur Ausgrenzung von Aberglaube und Volksmagie seit dem 16. Jahrhundert,<br />

in: van Dülmen Richard [Hg.], Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle.<br />

Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt am Main 1990, S. 15-<br />

55<br />

LEMMENMEIER MAX, Die Anfänge einer bürgerlich-industriellen Gesellschaft,<br />

in: St. Galler Geschichte 2003, Bd. 5: Die Zeit des Kantons 1798-1861, hg.<br />

von der wissenschaftlichen Kommission der Sankt-Galler Kantonsgeschichte,<br />

St. Gallen 2003, S. 11-98<br />

LIEBERWIRTH ROLF, Constitutio Criminalis Carolina, in: Cordes Albrecht/Lück<br />

Heiner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 4. Lieferung, Berlin 2006, Sp. 885-890<br />

LOETZ FRANCISCA, Zeichen der Männlichkeit? Körperliche Kommunikationsformen<br />

streitender Männer im frühneuzeitlichen Stadtstaat Zürich, in: Dinges<br />

Martin [Hg.], H<strong>aus</strong>väter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit<br />

in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998, S. 264-293<br />

LUMINATI MICHELE, Eid, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS),<br />

Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/<br />

D44630.php, [zit. LUMINATI, Eid]<br />

LUMINATI MICHELE, «Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören» –<br />

Eidverweigerung und Glaubensfragen in einem Züricher Prozess, in: Falk Ul-<br />

xix


Anhang<br />

xx<br />

rich/Luminati Michele/ Schmoeckel Matthias [Hg.], Fälle <strong>aus</strong> der Rechtsgeschichte,<br />

München 2008, S. 197-205 [zit. LUMINATI, Eidverweigerung]<br />

M<br />

MARTI HANSPETER, Klosterkultur und Aufklärung in der Fürstabtei St. Gallen,<br />

Reihe Monasterium Sancti Galli, Teil 2, St. Gallen 2003<br />

MASTRONARDI HORAZ, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozessrecht,<br />

Diss. iur. Bern, Ostermundigen 1936<br />

MAURER HELMUT, Erzwungene Ferne. Zur räumlichen Dimension der Stadtverweisung<br />

im Spätmittelalter, in: Marchal Guy P. [Hg.], Grenzen und<br />

Raumvorstellungen, 11.-20. Jh., Zürich 1996, S. 199-224<br />

MAYER MARCEL, Hilfsbedürftige und Delinquenten. Die Anstaltsinsassen der<br />

Stadt St. Gallen 1750-1798, St. Gallen 1987 [zit. MAYER MARCEL, Delinquenten]<br />

MAYER MARCEL, Tablat, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version<br />

vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3345.php<br />

[zit. MAYER MARCEL, Tablat]<br />

MEIER ALBERT, Die Geltung der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V.<br />

im Gebiete der heutigen Schweiz, Abhandlungen zum schweizerischen<br />

Recht, hg. von Gmür Max, Bern 1911<br />

MENOLFI ERNST, Die Bevölkerungsentwicklung von Tablat und Rotmonten bis<br />

1800, in: Tablat und Rotmonten. Zwei Ortsgemeinden der Stadt St. Gallen,<br />

hg. von Ziegler Ernst im Auftrag der Ortsgemeinden Tablat und Rotmonten,<br />

St. Gallen 1991, S. 105-109 [zit. MENOLFI, Bevölkerungsentwicklung]<br />

MENOLFI ERNST, Von Hofleuten, Gottesh<strong>aus</strong>leuten, Bürgern und «Frömden»,<br />

in: Tablat und Rotmonten. Zwei Ortsgemeinden der Stadt St. Gallen, hg. von<br />

Ziegler Ernst im Auftrag der Ortsgemeinden Tablat und Rotmonten, St. Gallen<br />

1991, S. 83-104 [zit. MENOLFI, Hofleute]<br />

MERKEL ERICH, Der Leichenraub. Eine historische und dogmatische Studie,<br />

Leipzig 1904<br />

MERZBACHER FRIEDRICH, «Hochgerichtsbarkeit», in: Erler Adalbert/Kaufmann<br />

Ekkehard [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl.,<br />

Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 172-175


Anhang<br />

MEYER CARL, Der Aberglaube des Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte,<br />

Nachdruck der Ausgabe Basel 1884, Hildesheim/New York 1971<br />

MICHELS KURT, Der Indizienbeweis im Übergang vom Inquisitionsprozess zum<br />

reformierten Strafverfahren, Diss. iur. Tübingen, Tübingen 2000<br />

MITTERMAIER CARL J. A., Die Lehre vom Beweise im deutschen Strafprozesse<br />

nach der Fortbildung durch Gerichtsgebrauch und deutsche Gesetzbücher in<br />

Vergleichung mit den Ansichten des englischen und französischen Strafverfahrens,<br />

Darmstadt 1834<br />

MÖRGELI CHRISTOPH, Handchirurgen, in: Historisches Lexikon der Schweiz<br />

(HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/<br />

textes/d/ D27816.php<br />

MOSER-NEF CARL, Die freie Reichsstadt und Republik St. Gallen. 1. und 4. Bd.:<br />

Geschichte ihrer Verfassung und staatsrechtlichen Entwicklung, Zürich<br />

1931/1934; 5. Bd.: Geschichte ihres Strafrechts, erster Teil, Zürich 1951;<br />

7. Bd.: Das Strafverfahren, Zürich 1955<br />

MÜLLER WALTER, Die innere Ordnung des sanktgallischen Klosterstaates. Blätter<br />

für deutsche Landesgeschichte, 109. Jg., Göttingen 1973, S. 245-252 [zit.<br />

MÜLLER, Ordnung]<br />

MÜLLER WALTER, Die Offnungen der Fürstabtei St. Gallen. Ein Beitrag zur<br />

Weistumsforschung, St. Gallen 1964 [zit. MÜLLER, Offnungen]<br />

MÜLLER WALTER, Einleitung, in: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen.<br />

Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen. Erster Teil: Die Rechtsquellen der<br />

Abtei St. Gallen, zweite Reihe, 1. Bd.: Die allgemeinen Rechtsquellen der alten<br />

Landschaft, bearb. von Müller Walter, hg. vom Schweizerischen Juristenverein,<br />

Aarau 1974, S. IX-XXXII, [zit. MÜLLER, Einleitung]<br />

MÜLLER WALTER, Landsatzung und Landmandat der Fürstabtei St. Gallen. Zur<br />

Gesetzgebung eines geistlichen Staates vom 15. bis zum 18. Jahrhundert,<br />

Darstellung, S. 155-320, St. Gallen 1970, [zit. MÜLLER, Landsatzung]<br />

MÜLLER WALTER, Zur ländlichen Verfassung im ostschweizerischen Herrschaftsgebiet<br />

der Fürstabtei St. Gallen, Sonderdruck <strong>aus</strong> Montfort 1969,<br />

Dornbirn 1969 [zit. MÜLLER, Verfassung]<br />

xxi


Anhang<br />

MÜNCH PAUL, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main/Berlin<br />

1992<br />

MUNZEL-EVERLING DIETLINDE, Eid, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller<br />

Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 6. Lieferung, Berlin 2007, Sp. 1249-1261<br />

MÜSSIG BERND, Mord und Totschlag. Vorüberlegungen zu einem Differenzierungsansatz<br />

im Bereich des Tötungsunrechts, Köln/Berlin/München 2005<br />

O<br />

OESTMANN PETER, Aktenversendung, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller<br />

Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 1. Lieferung, Berlin 2004, Sp. 128-132<br />

OLZEN DIRK, Richter und Sachverständige in der neueren Rechtsgeschichte, in:<br />

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung,<br />

97. Bd., Wien/Köln/Graz 1980. S. 164-231<br />

P<br />

PAHUD DE MORTANGES RENÉ, Schweizerische Rechtsgeschichte. Ein Grundriss,<br />

Zürich/St. Gallen 2007<br />

PETER MATTHIAS, «Zu seiner Warnung, Schand’ und Schmach», in: St. Galler<br />

Tagblatt vom 16. August 1997, URL: http://www.tagblatt.ch, Archivsuche,<br />

Stichworte Datum, Autor<br />

PFENNINGER HANS FELIX, Leichenschändungen, in: Schweizerische Zeitschrift<br />

für Strafrecht (ZStR), 34. Jg. (1921), S. 33-48<br />

PFENNINGER HEINRICH, Das Strafrecht der Schweiz, Berlin 1890<br />

PLOUCQUET WILHELM GOTTFRIED: Der Arzt, oder über die Ausbildung, die<br />

Studien, Pflichten, Sitten und die Klugheit des Arztes, Tübingen 1797<br />

PÖLTL RENÉ, Die Lehre vom Indizienbeweis im 19. Jahrhundert, Frankfurt am<br />

Main 1999<br />

POPPEN ENNO, Die Geschichte des Sachverständigenbeweises im Strafprozess<br />

des deutschsprachigen Raumes, Göttigen 1984<br />

xxii


Anhang<br />

Q<br />

QUANTER RUDOLF, Deutsches Zuchth<strong>aus</strong>- und Gefängniswesen. Von den ältesten<br />

Zeiten bis in die Gegenwart, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1905, Aalen<br />

1970 [zit. QUANTER, Zuchth<strong>aus</strong>]<br />

QUANTER RUDOLF, Die Folter in der deutschen Rechtspflege sonst und jetzt.<br />

Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts, Neudruck der Ausgabe<br />

Dresden 1900, Aalen 1970 [zit. QUANTER, Folter]<br />

R<br />

RADBRUCH GUSTAV, Geschichte des Verbrechens. Versuche einer historischen<br />

Kriminologie (1931), in: Strafrechtsgeschichte, Gesamt<strong>aus</strong>gabe, Bd. 11, hg.<br />

von Kaufmann Arthur, bearb. von Neumann Ulrich, Heidelberg 2001, S. 19-<br />

254 [zit. RADBRUCH, Verbrechen]<br />

RADBRUCH GUSTAV, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532<br />

(Carolina) (1930), in: Strafrechtsgeschichte, Gesamt<strong>aus</strong>gabe, Bd. 11, hg. von<br />

Kaufmann Arthur, bearb. von Neumann Ulrich, Heidelberg 2001, S. 255-336<br />

[zit. RADBRUCH, Carolina]<br />

ROTH ANDREAS, Verdachtsstrafe, in: Erler Adalbert/Kaufmann Ekkehard [Hg.],<br />

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 5, Berlin<br />

1998, Sp. 681-684<br />

RUMMEL WALTER, Verletzung von Körper, Ehre und Eigentum. Varianten im<br />

Umgang mit Gewalt in Dörfern des 17. Jahrhunderts, in: Blauert Andreas/<br />

Schwerhoff Gerd [Hg.], Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgeschichte<br />

des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main<br />

1993, S. 86-114<br />

RÜPING HINRICH, Die Carolina in der strafrechtlichen Kommentarliteratur. Zum<br />

Verhältnis von Gesetz und Wissenschaft im gemeinen deutschen Strafrecht,<br />

in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess<br />

und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis<br />

Carolina, Frankfurt am Main 1984, S. 161-176<br />

RÜPING HINRICH/JEROUSCHEK GÜNTER, Grundriss der Strafrechtsgeschichte,<br />

5. Aufl., München 2007<br />

xxiii


Anhang<br />

xxiv<br />

S<br />

SCHAFFSTEIN FRIEDRICH, Die Bedeutung der Carolina für die Entwicklung<br />

strafrechtlicher Deliktstatbestände, in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-<br />

Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung<br />

und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, Frankfurt am<br />

Main 1984, S. 145-159<br />

SCHILD WOLFGANG, Aberglaube und Recht, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller<br />

Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,<br />

2. Aufl., 1. Lieferung, Berlin 2004, Sp. 8-19 [zit. SCHILD, Aberglaube]<br />

SCHILD WOLFGANG, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der<br />

modernen Rechtsprechung, München 1980 [zit. SCHILD, Gerichtsbarkeit]<br />

SCHILD WOLFGANG, Der «endliche Rechtstag» als das Theater des Rechts, in:<br />

Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess<br />

und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis<br />

Carolina, Frankfurt am Main 1984, S. 119-144 [zit. SCHILD,<br />

Rechtstag]<br />

SCHILD WOLFGANG, Die Gottesurteile, in: Hinckeldey Christoph [Hg.], Justiz in<br />

alter Zeit, Bd. VI c der Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums<br />

Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 1989, S. 225-240 [zit. SCHILD, Gottesurteile]<br />

SCHILD WOLFGANG, Geschichte des Verfahrens, in: Hinckeldey Christoph<br />

[Hg.], Justiz in alter Zeit, Bd. VI c der Schriftenreihe des Mittelalterlichen<br />

Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 1989, S. 129-224<br />

[zit. SCHILD, Verfahren]<br />

SCHILD WOLFGANG, «Von peinlicher Frag». Die Folter als rechtliches Beweisverfahren,<br />

Bd. IV der Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums<br />

Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 2002 [zit. SCHILD, Frag]<br />

SCHINDLING ANTON, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650-<br />

1800, Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 30, München 1994<br />

SCHLOSSER HANS, Die infamierende Strafe der Galeere, in: Kroeschell Karl<br />

[Hg.], Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen<br />

1986, S. 253-263 [zit. SCHLOSSER, Galeere]


Anhang<br />

SCHLOSSER HANS, Die Strafe der Galeere als poena arbitraria in der mediterranen<br />

Strafpraxis, in: Zeitschrift für Neue Rechtsgeschichte (ZNR), 10. Jg.,<br />

1988, S. 19-37 [zit. SCHLOSSER,ZNR]<br />

SCHMID GERHARD, Akten, in: Beck Friedrich/Henning Eckart [Hg.], Die archivalischen<br />

Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften,<br />

3. Aufl., Köln 2003, S. 74-110<br />

SCHMIDT EBERHARD, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege,<br />

3. Aufl., Göttingen 1965 [zit. SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege]<br />

SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser und Gefängnisse. Zwei Vorträge, Göttingen<br />

1960 [zit. SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser]<br />

SCHMIDT HANS-JOACHIM, Frieden schaffen – Verbrecher strafen. Der beschworene<br />

Friede und die Sanktion des Friedensbruchs im frühen und hohen Mittelalter,<br />

in: Opitz Claudia/Studer Brigitte/Tanner Jakob [Hg.], Kriminalisieren<br />

– Entkriminalisieren – Normalisieren, Zürich 2006, S. 75-91<br />

SCHMOECKEL MATHIAS, Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter<br />

in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozess- und Beweisrechts<br />

seit dem hohen Mittelalter, Köln/Weimar/Wien 2000<br />

SCHMUCKI KARL, Das Benediktinerkloster St. Gallen und der Jesuitenorden, in:<br />

«Die Ostschweiz» vom 1. Juni 1991, St. Gallen 1991, 1 Seite (ohne Seitenzahl)<br />

SCHMUTZ DANIEL, Pfund (Währung), in: Historisches Lexikon der Schweiz<br />

(HLS), Version vom 18. Januar 2006, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/<br />

textes/d/ D13670.php<br />

SCHMUTZ DANIEL/ZÄCH BENEDIKT, Gulden, in: Historisches Lexikon der<br />

Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D13675.php<br />

SCHNABEL-SCHÜLE HELGA, Die Strafe des Landesverweises in der Frühen Neuzeit,<br />

in: Gestrich Andreas/Hirschfeld Gerhard/Sonnabend Holger [Hg.],<br />

Ausweisung und Deportation. Formen der Zwangsmigration in der Geschichte,<br />

Stuttgarter Beiträge zur historischen Migrationsforschung, Bd. 2, Stuttgart<br />

1995, S. 73-82 [zit. SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis]<br />

xxv


Anhang<br />

SCHNABEL-SCHÜLE HELGA, Ego-Dokumente im frühneuzeitlichen Strafprozess,<br />

in: Schulze Winfried [Hg.], Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen<br />

in der Geschichte, Berlin 1996, S. 295-317 [zit. SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-<br />

Dokumente]<br />

SCHNABEL-SCHÜLE HELGA, Überwachen und Strafen im Territorialstaat. Bedingungen<br />

und Auswirkungen des Systems strafrechtlicher Sanktionen im<br />

frühneuzeitlichen Württemberg, Köln/Weimar/Wien 1997 [zit. SCHNABEL-<br />

SCHÜLE, Territorialstaat]<br />

SCHROEDER<br />

xxvi<br />

FRIEDRICH-CHRISTIAN, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser<br />

Karls V. (Carolina) von 1532. Verfasst 1980, in: Schroeder Friedrich-<br />

Christian [Hg.], Die Carolina. Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.<br />

von 1532, Darmstadt 1986, S. 305-337<br />

SCHULZE WINFRIED, Zur Ergiebigkeit von Zeugenbefragungen und Verhören,<br />

in: Schulze Winfried [Hg.], Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen<br />

in der Geschichte, Berlin 1996, S. 319-325<br />

SCHUSTER PETER, Ausweisung, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller<br />

Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl.,<br />

2. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 392-394<br />

SCHWEGLER MICHAELA, «Erschröckliches Wunderzeichen» oder «natürliches<br />

Phänomenon»? Frühneuzeitliche Wunderzeichenberichte <strong>aus</strong> der Sicht der<br />

Wissenschaft, München 2002<br />

SCHWERHOFF GERD, Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einführung in die Historische<br />

Kriminalitätsforschung, Tübingen 1999 [zit. SCHWERHOFF, Aktenkundig]<br />

SCHWERHOFF GERD, Gewaltkriminalität im Wandel (14.-18. Jahrhundert). Ergebnisse<br />

und Perspektiven der Forschung, in: Opitz Claudia/Studer Brigitte/Tanner<br />

Jakob [Hg.], Kriminalisieren – Entkriminalisieren – Normalisieren,<br />

Zürich 2006, S. 55 -72 [zit. SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität]<br />

SELLERT WOLFGANG, Urgicht, Urgichtbücher, in: Erler Adalbert/Kaufmann<br />

Ekkehard [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl.,<br />

Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 571<br />

SENN MARCEL, Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer Grundriss, 4. Aufl.,<br />

Zürich 2007


Anhang<br />

SENN MARCEL/GSCHWEND LUKAS, Rechtsgeschichte II – Juristische Zeitgeschichte,<br />

2. Aufl., Zürich 2004<br />

SENN MARCEL/GSCHWEND LUKAS/PAHUD DE MORTANGES RENÉ, Rechtsgeschichte<br />

auf kulturgeschichtlicher Grundlage, Zürich/Basel/Genf 2006<br />

SIMON THOMAS, Grundherrschaft und Vogtei. Eine Strukturanalyse spätmittelalterlicher<br />

und frühneuzeitlicher Herrschaftsbildung, Frankfurt am Main 1995<br />

[zit. SIMON, Grundherrschaft]<br />

SIMON THOMAS, Aufklärung, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller<br />

Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl.,<br />

2. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 332-339 [zit. SIMON, Aufklärung]<br />

SPECKER LOUIS, Aus dem Pflichtenheft der Rorschacher Obervögte, Beitragsreihe<br />

im Ostschweizer Tagblatt, erschienen am 31. Juli, 1. und 30. September,<br />

31. Oktober, 1. und 31. Dezember 1987<br />

STAERKLE PAUL, Das Geschlecht <strong>Egger</strong> von Tablat und Rotmonten, St. Gallen<br />

1942 [zit. STAERKLE, Geschlecht]<br />

STAERKLE PAUL, Der fürstlich-st. gallische Hofstaat bis zur Glaubensspaltung,<br />

in: Festschrift Oskar Vasella zum 60. Geburtstag am 15. Mai 1964, hg. von<br />

der Vereinigung katholischer Historiker der Schweiz, Freiburg/CH 1964,<br />

S. 35-55 [zit. STAERKLE, Hofstaat]<br />

STAERKLE PAUL, Die Leibärzte der Fürstäbte von St. Gallen, 2. Teil, in: Rorschacher<br />

Neujahrsblatt 1968, 58. Jg., Rorschach 1968, S. 91-106 [zit.<br />

STAERKLE, Leibärzte]<br />

STAERKLE PAUL, Die Obervögte von Rorschach, in: Rorschacher Neujahrsblatt<br />

1951, 41. Jg., Rorschach 1951, S. 23-29 [zit. STAERKLE, Obervögte]<br />

STAERKLE PAUL, Geschichte von Gossau, Gossau 1961[zit. STAERKLE, Gossau]<br />

STAERKLE PAUL, Ursprung und Entwicklung der Gemeinde Tablat, bearb. von<br />

Ziegler Ernst, in: Tablat und Rotmonten. Zwei Ortsgemeinden der Stadt<br />

St. Gallen, hg. von Ziegler Ernst im Auftrag der Ortsgemeinden Tablat und<br />

Rotmonten, St. Gallen 1991, S. 25-37 [zit. STAERKLE, Tablat]<br />

STAUB STEPHAN, Jus Statutarium vertis Territorii Principalis Monasterii Sancti<br />

Galli. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte von Kloster und Kanton St. Gallen,<br />

Diss. iur. St. Gallen, Zürich 1988<br />

xxvii


Anhang<br />

STÜBINGER STEPHAN, Schuld, Strafrecht und Geschichte. Die Entstehung der<br />

Schuldzurechnung in der deutschen Strafrechtshistorie, Köln/Weimar/Wien<br />

2000<br />

STUTE MARTIN, Hauptzüge wissenschaftlicher Erforschung des Aberglaubens<br />

und seiner populärwissenschaftlichen Darstellungen der Zeit von 1800 bis in<br />

die Gegenwart. Eine Literaturanalyse, Frankfurt am Main 1997<br />

SUTER STEFAN, Die Gutachten der Basler Juristenfakultät in Straffällen. Vom<br />

<strong>aus</strong>gehenden 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Basel/Frankfurt am<br />

Main 1990<br />

T<br />

THOMAS SVEN, Die Geschichte des Mordparagraphen – eine normgenetische<br />

Untersuchung bis in die Gegenwart, Bochum 1985<br />

THÜRER GEORG, Fürstabtei und Stadtrepublik St. Gallen. Zwei Staatswesen des<br />

18. Jahrhunderts, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1963, 53. Jg., Rorschach<br />

1963, S. 53-66 [zit. THÜRER, Staatswesen]<br />

THÜRER GEORG, St. Galler Geschichte. Kultur, Staatsleben und Wirtschaft in<br />

Kanton und Stadt St. Gallen von der Urzeit bis zur Gegenwart, Bd. 1: Urzeit<br />

bis Barock, Bd. 2: Aufklärung bis Gegenwart, St. Gallen 1953/1972 [zit.<br />

THÜRER, Geschichte]<br />

TOCH MICHAEL, Schimpfwörter im Dorf des Spätmittelalters, in: Mitteilungen<br />

des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 101. Bd., Wien 1993,<br />

S. 311-327<br />

TOEPEL FRIEDRICH, Grundstrukturen des Sachverständigenbeweises im Strafprozessrecht,<br />

Tübingen 2002<br />

TREMP ERNST, Die Entwicklung der Fürstabtei St. Gallen, in: Begleitpublikation<br />

zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im<br />

Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 -<br />

9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv St. Gallen und<br />

Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 121-130<br />

TRUSEN WINFRIED, Strafprozess und Rezeption. Zu den Entwicklungen im<br />

Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, in: Landau Peter/Schroeder<br />

Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundla-<br />

xxviii


Anhang<br />

gen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, Frankfurt<br />

am Main 1984, S. 29-118<br />

V<br />

VALENTINITSCH HELFRIED, Fahndungs-, Gerichts- und Strafvollzugsakten als<br />

Quelle zur Alltagsgeschichte des Barockzeitalters, in: Pickl Othmar/Feigl<br />

Helmut [Hg.], Methoden und Probleme der Alltagsforschung im Zeitalter des<br />

Barock, Wien 1992, S. 69-82<br />

VOGLER MARIA THOMA, Geschichte des Dominikanerinnen-Klosters St. Katharina<br />

in St. Gallen 1228-1607, Freiburg/CH 1938<br />

VOGLER WERNER, Gütlicher Vertrag, in: Historisches Lexikon der Schweiz<br />

(HLS), Version vom 8. März 2006, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/<br />

D44540.php [zit. VOGLER WERNER, Gütlicher Vertrag]<br />

VOGLER WERNER, Klösterliche Geschichtsschreibung in St. Gallen und Pfäfers<br />

vom 17. bis 19. Jahrhundert, in: Wunderlich Werner [Hg.], St. Gallen. Geschichte<br />

einer literarischen Kultur. Kloster – Stadt – Kanton – Region, Bd. 1:<br />

Darstellung, St. Gallen 1999, S. 371-395 [zit. VOGLER WERNER, Geschichtsschreibung]<br />

W<br />

WACHENFELD FRIEDRICH, Die Begriffe von Mord und Totschlag sowie vorsätzlicher<br />

Körperverletzung mit tödlichem Ausgange in der Gesetzgebung seit<br />

der Mitte des 18ten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur vergleichenden Geschichte<br />

der Strafgesetzgebung, Marburg 1890<br />

WEIDMANN FRANZ, Geschichte des ehemaligen Stiftes und der Landschaft<br />

St. Gallen unter den zween letzten Fürstäbten von St. Gallen, besonders während<br />

den Jahren der helvetischen Revolution bis zur Aufhebung des Stiftes,<br />

St. Gallen 1834<br />

WEISS JOSEF, Die Fürstabtei St. Gallen als Förderin des Volksschulwesens, in:<br />

Begleitpublikation zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und<br />

Erbe 1805/2005» im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen<br />

(10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv<br />

St. Gallen und Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 265-272<br />

xxix


Anhang<br />

WESEL UWE, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart,<br />

3. Aufl., München 2006<br />

WILLI FRANZ, Geschichte der Stadt Rorschach und des Rorschacher Amtes. Bis<br />

zur Gründung des Kantons St. Gallen, Rorschach 1947<br />

WILLOWEIT DIETMAR, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis<br />

zur Wiedervereinigung Deutschlands, 5. Aufl., München 2005<br />

WITTKE MARGARETE, Alltag, Emotionen, Gewalt: Auswertungsmöglichkeiten<br />

von Zeugenverhören der strafrechtlichen Generalinquisition, in: Fuchs Ralf-<br />

Peter/Schulze Winfried [Hg.], Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle<br />

als Quellen für soziale Wissensbestände in der Frühen Neuzeit,<br />

Münster 2002, S. 293-316 [zit. WITTKE, Alltag]<br />

WITTKE MARGARETE, «Entwichen in die kaiserliche Freiheit». Das Coesfelder<br />

Asylrecht für Totschläger, in: Westfälische Zeitschrift – Zeitschrift für vaterländische<br />

Geschichte und Altertumskunde, 146. Bd., Paderborn 1996, S. 109-<br />

133 [zit. WITTKE, Asylrecht]<br />

Z<br />

ZEDLER JOHANN HEINRICH, Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften<br />

und Künste, 68 Bände, Leipzig/Halle 1732-1754<br />

Z’GRAGGEN BRUNO, Tyrannenmord im Toggenburg. Fürstäbtische Herrschaft<br />

und protestantischer Widerstand um 1600, Zürich 1999<br />

ZIEGLER ERNST, Heiligkreuz-Rotmonten hüben – das Dörfchen St. Georgen<br />

drüben, Sondernummer von «Die Ostschweiz» vom Dezember 1977, St. Gallen<br />

1977 (ohne Seitenzahlen)<br />

ZIEGLER ERNST/SONDEREGGER STEFAN/STUDER DANIEL [Hg.], Gaiserwald.<br />

Abtwil – St. <strong>Joseph</strong>en – Engelburg, St. Gallen 2004<br />

ZIEGLER STEPHAN, «Alles getreülich und ohne gefährde». Die Eidbücher der<br />

Stadt St. Gallen von 1511, 1657, 1740 und 1757. Teil 1: Kommentar, Teil 2:<br />

Edition (1757), Diss. iur. Bern, Bern 1997<br />

ZWICKY JÜRG, Das Gefängniswesen zur Zeit der Helvetik. Zürcher Studien zur<br />

Rechtsgeschichte, Zürich 1982<br />

xxx


Anhang<br />

E Nachschlagewerke<br />

Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission der<br />

Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Staatsbibliothek,<br />

55. Bände, Leipzig 1875-1912<br />

Duden – Das Fremdwörterbuch, Bd. 5, 9. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich<br />

2006<br />

Duden – Das grosse Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter,<br />

4. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007<br />

Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger<br />

Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen,<br />

von ADELUNG JOHANN CHRISTOPH, Erster Theil, Wien 1811<br />

Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, von<br />

ZEDLER JOHANN HEINRICH, 68 Bände, Leipzig/Halle 1732-1754<br />

Handbuch des Aberglaubens, hg. von MÜLLER-KASPAR ULRIKE, drei Bände,<br />

Wien 1999<br />

Handbuch gerichtliche Medizin, hg. von MADEA<br />

BERND, Berlin/Heidelberg 2003<br />

BURKHAD/BRINKMANN<br />

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. von BÄCHTOLD-STÄUBLI<br />

HANNS/HOFFMANN-KRAYER EDUARD, zehn Bände, Berlin/Leipzig 1927-<br />

1942<br />

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. von ERLER ADALBERT/<br />

KAUFMANN EKKEHARD, 1. Aufl. in fünf Bänden, Berlin, Bd. 1: 1971, Bd. 2:<br />

1978, Bd. 3: 1984, Bd. 4: 1990, Bd. 5: 1998<br />

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., hg. von CORDES<br />

ALBRECHT/LÜCK HEINER/WERKMÜLLER DIETER, 1.-6. Lieferung, Aachen-<br />

Familienfideikomiss, Berlin 2004-2007<br />

Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz, hg. mit der Empfehlung der<br />

Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz unter der Leitung<br />

von Türler Heinrich/Attinger Victor/Godet Marcel, sieben Bände, Neuchatel<br />

1921-1934<br />

xxxi


Anhang<br />

Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), hg. von der Stiftung HLS, Bd. I-VI,<br />

Basel 2002 bis 2007<br />

Kriminalistik Lexikon, hg. von BURGHARD WALDEMAR ET AL., 3. Aufl., Heidelberg<br />

1996<br />

Lexikon der Bräuche und Feste. Über 3'000 Stichwörter mit Infos, Tipps und<br />

Hintergründen für das ganze Jahr, von BECKER-HUBERTI MANFRED, 4. Aufl.,<br />

Freiburg im Breisgau 2007<br />

Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, von KÖBLER GERHARD, München<br />

1997<br />

Meyers grosses Konversations-Lexikon, 4. Aufl., 16. Bände, Leipzig/Wien<br />

1885-1892<br />

Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats- Stadt- H<strong>aus</strong>und<br />

Landwirtschaft, in alphabetischer Ordnung, von KRÜNITZ JOHANN GE-<br />

ORG, 242 Bände, Berlin 1773-1858<br />

Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, hg. von PSCHYREMBEL WILLIBALD ET<br />

AL., 260. Aufl., Berlin 2004<br />

Schweizerisches Geschlechterbuch, Almanach Généalogique Suisse, Band IV,<br />

hg. von C. F. Lendorff, Basel 1913<br />

Wörterbuch des Aberglaubens, von KÜSTER JÜRGEN, Freiburg im Breisgau<br />

1989<br />

Wörterbuch Geschichte, von FUCHS KONRAD/RAAB HERIBERT, digitale Bibliothek<br />

Bd. 71, Berlin 2004, basierend auf der 12. Aufl., München 2001<br />

xxxii


Anhang<br />

F Abkürzungsverzeichnis<br />

Abs.<br />

Anm.<br />

Art.<br />

Aufl.<br />

bearb.<br />

bzw.<br />

ca.<br />

CCB<br />

CCC<br />

Diss.<br />

Absatz<br />

Anmerkung<br />

Artikel<br />

Auflage<br />

bearbeitet<br />

beziehungsweise<br />

zirka<br />

Constitutio Criminalis Bambergensis, Bambergensische Halsgerichtsordnung<br />

von 1507<br />

Constitutio Criminalis Carolina, Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser<br />

Karls V. von 1532<br />

Dissertation<br />

e-HLS Online-Ausgabe des Historischen Lexikon der Schweiz, URL:<br />

http://www.hls-dhs-dss.ch<br />

et. al.<br />

f./ff.<br />

Fasz.<br />

Fn.<br />

geb.<br />

gest.<br />

HLS<br />

und weitere<br />

folgende/fortfolgende<br />

Faszikel<br />

Fussnote<br />

geboren<br />

gestorben<br />

Historisches Lexikon der Schweiz<br />

Hg./hg. Her<strong>aus</strong>geber/her<strong>aus</strong>gegeben<br />

insbes.<br />

i.V.m.<br />

Jg.<br />

Jh.<br />

insbesondere<br />

in Verbindung mit<br />

Jahrgang<br />

Jahrhundert<br />

xxxiii


Anhang<br />

Kap. Kapitel<br />

m.w.H. mit weiterem Hinweis/mit weiteren Hinweisen<br />

Rubr. Rubrik<br />

Rz. Randziffer<br />

S. Seite<br />

Sig. Signatur<br />

Sp. Spalte<br />

StaASG Staatsarchiv St. Gallen<br />

StiASG Stiftsarchiv St. Gallen<br />

u.a. unter anderem<br />

Übers. Übersetzer/übersetzt<br />

uvm. und viele(s) mehr<br />

v. Chr. vor Christus<br />

zit. zitiert<br />

xxxiv


Lebenslauf – Miriam Lendfers<br />

geboren am 12. Juni 1980 in Chur/GR<br />

Ausbildung<br />

2004 – 2008 Doktorandenstudium, Universität St. Gallen<br />

06/2007 Patentierung zur Rechtsanwältin<br />

im Kanton St. Gallen<br />

2000 – 2004 Studium der Rechtswissenschaften,<br />

Universität St. Gallen<br />

1995 – 2000 Bündner Kantonsschule Chur,<br />

Wirtschaftsgymnasium<br />

Berufliche Tätigkeiten<br />

Seit 04/2007<br />

Gerichtsschreiberin am Versicherungsgericht<br />

des Kantons St. Gallen<br />

01/2006 – 08/2006 Auditoriat beim Versicherungsgericht<br />

des Kantons St. Gallen<br />

11/2004 – 11/2005 Anwaltspraktikum im Advokaturbüro Schlegel<br />

in Buchs/SG<br />

2000 – 2001 Mitarbeit bei HSG Alumni<br />

Seit 2000<br />

Freie Mitarbeiterin beim Bündner Tagblatt, Chur

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!