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Analyse des Auftretens der moralischen Urteilsstufen nach Kohlberg

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<strong>Analyse</strong> <strong>des</strong> <strong>Auftretens</strong> <strong>der</strong> <strong>moralischen</strong><br />

<strong>Urteilsstufen</strong> <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> in<br />

amerikanischen Gerichtsfilmen als<br />

mögliche Manifestation <strong>der</strong> strukturellen<br />

Moraldarstellung von Drehbuchautoren<br />

Claudia Schmitt, Daniela Schötz, Susanne Walter, Heidi Wurm<br />

Universität Regensburg<br />

Lehrstuhl für pädagogische Psychologie<br />

Dozent: Prof. Dr. H. Lukesch<br />

PWP: Empirische Erhebung zum Bereich <strong>der</strong> Medien- und Gesundheitspsychologie<br />

Sommersemester 2002


Glie<strong>der</strong>ung<br />

Zusammenfassung ……………………………………………………………………...3<br />

1. Einleitung …………………………………………………………………………...4<br />

2. Einbettung <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong> in den Kontext <strong>der</strong> Stufentheorie <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> (1958) …...7<br />

3. Hypothesen <strong>der</strong> Untersuchung …………………………………………………….10<br />

4. Methode …………………………………………………………………………...13<br />

5. Ergebnisse <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong> …………………………………………………………….19<br />

5.1. Auswertung <strong>des</strong> Films „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ ……………………………...19<br />

5.2. Auswertung <strong>des</strong> Films „Angeklagt“ ………………………………………...23<br />

6. Diskussion <strong>der</strong> Ergebnisse …………………………………………………………27<br />

7. Ausblick …………………………………………………………………………....33<br />

8. Literatur …………………………………………………………………………....35<br />

2


Zusammenfassung<br />

Untersuchungen im Bereich <strong>der</strong> Medienpsychologie zum Thema Moral sind bisher eher<br />

selten zu finden.<br />

In dieser Studie wird nun versucht, auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong> Sechs-Stufen-Konzepts <strong>nach</strong><br />

<strong>Kohlberg</strong> zu analysieren, inwieweit moralrelevante Inhalte in amerikanischen Spielfilmen<br />

– um genauer zu sein speziell in Gerichtsfilmen – vorkommen. Hierzu wurden die beiden<br />

Filme „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ und „Angeklagt“ ausgewählt.<br />

Mit <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> Inhaltsanalyse wurden die Argumentationsniveaus <strong>der</strong> einzelnen<br />

Charaktere <strong>der</strong> Filme festgestellt. Aus <strong>der</strong> Grundüberlegung heraus, dass Drehbuchautoren<br />

strukturelle Moralaspekte als Gestaltungsmittel nutzen könnten, wurden verschiedene<br />

Hypothesen generiert. So wurden die Annahmen aufgestellt, dass sich das Moralniveau<br />

für den einzelnen Charakter im Verlauf <strong>des</strong> Films kaum än<strong>der</strong>t, dass dadurch auch die<br />

Darstellung <strong>der</strong> filmerischen Rolle unterstützt wird, dass sich unterschiedliche moralische<br />

Niveaus zwischen „guten“ und „bösen“ Charakteren zeigen und dass Diskrepanzen zwischen<br />

den Argumentationsprofilen <strong>der</strong> Darsteller zur Unterstreichung und Verstärkung<br />

<strong>der</strong> Handlung eingesetzt werden. Zudem wurde vermutet, dass sich die moralrelevante<br />

Argumentation von weiblichen und männlichen Darstellern unterscheidet.<br />

Diese Annahmen konnten aber nur teilweise durch die vorgenommenen Untersuchungen<br />

bestätigt werden. Gründe hierfür werden in <strong>der</strong> Diskussion genannt.<br />

3


1. Einleitung<br />

Im Rahmen <strong>des</strong> Pflichtwahlpraktikums „Empirische Erhebung zum Bereich <strong>der</strong> Medienund<br />

Gesundheitspsychologie“ galt das Interesse <strong>der</strong> Verfasser dieses Seminarberichts v.a.<br />

medienpsychologischen Belangen. Es sollte <strong>der</strong> Frage <strong>nach</strong>gegangen werden, inwieweit<br />

sich ausgewählte psychologische Theorien auf film- und fernsehvermittelte Inhalte anwenden<br />

lassen. Spiegeln die den Alltag vieler Menschen (mit)gestaltenden Medien psychologische<br />

Theorien wi<strong>der</strong>? Und wie praktikabel ist im Gegenzug die <strong>Analyse</strong> bestimmter<br />

Medieninhalte anhand psychologischer Konzepte?<br />

Zur Beantwortung dieser Fragen lag die Methode <strong>der</strong> Inhaltsanalyse nahe (vgl. Kap. 3).<br />

Als theoretische Grundlage dieser Inhaltsanalyse sollte die Stufentheorie <strong>des</strong> <strong>moralischen</strong><br />

Urteils von L. <strong>Kohlberg</strong> (1958) dienen. Es besteht die Überzeugung, dass gerade das in<br />

den Medien vermittelte Bild von Moral einer näheren Betrachtung bedarf, sicherlich auch<br />

<strong>des</strong>halb, weil heutzutage das Fernsehen für zahlreiche Kin<strong>der</strong> und Jugendliche ein wesentliche<br />

„Aufklärer“ und „Lehrer“ istr. Möglicherweise ließen sich die bezüglich <strong>der</strong> Moraldarstellung<br />

in Medien ermittelten Befunde in diesem Sinne weiterführend nutzen. (An<br />

dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass inhaltliche Aspekte <strong>der</strong> Moral im Sechs-Stufen-<br />

Modell von <strong>Kohlberg</strong> ausgeklammert werden und sich diese Arbeit somit vornehmlich<br />

auf die moralische Urteilsstruktur beschränkt; Näheres zur Theorie von <strong>Kohlberg</strong> siehe<br />

folgen<strong>des</strong> Kapitel). Auf dieser Basis aufbauend, musste noch ein geeignetes filmisches<br />

Material gefunden werden, <strong>des</strong>sen Inhalt analysiert werden konnte.<br />

<strong>Kohlberg</strong> selbst nennt insgesamt elf moralisch relevante Inhaltsbereiche, denen u.a. die<br />

Themen Gesetze und Regeln, Bestrafung und Gerechtigkeit sowie Wahrheit zugerechnet<br />

sind (Lukesch, 1997, S. 302f.).<br />

Die in letzter Zeit aus dem Boden <strong>der</strong> Fernsehlandschaft sprießenden Gerichts- und<br />

Streitschlichtsendungen schienen hierzu als günstig gebotene Gelegenheit, da <strong>der</strong> juristische<br />

Kontext das Auftreten moralrelevanter Themen garantieren sollte. So bestand die<br />

ursprüngliche Idee für die Gestaltung <strong>der</strong> Studie darin, die Serien „Angelika Kallwas“<br />

(SAT 1) und „Richter Alexan<strong>der</strong> Hold“ (RTL) genauer zu analysieren. Es sollte untersucht<br />

werden, ob sich die sechs Stufen <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> überhaupt herauskristallisieren lassen,<br />

wie oft die jeweiligen Stufen auftreten und ob sich in verschiedenen Zusammenhängen<br />

bestimmte Trends ergeben würden.<br />

4


Nach einer ersten Sichtung <strong>der</strong> oben erwähnten Fernsehserien stellte sich jedoch folgen<strong>des</strong><br />

Problem:<br />

Da laut § 169 S.2 GVG die unmittelbare Wie<strong>der</strong>gabe von Gerichtsverhandlungen auf öffentlich<br />

einsehbaren Datenträgern untersagt ist, werden die entsprechenden Fälle <strong>der</strong> Serien<br />

von zumeist Laienschauspielern <strong>nach</strong>gestellt. Aus nicht näher zu bezeichnen<strong>der</strong><br />

Quelle lag allerdings die Information vor, dass die Darsteller nicht an den Wortlaut <strong>der</strong><br />

(Original-) Gerichtsprotokolle gebunden seien. Es würde als Skript nur eine Stichwortliste<br />

vorliegen, <strong>der</strong>en Ausgestaltung den Schauspielern frei bleibe. Bedenklich erschien hierbei,<br />

dass die meisten Laienschauspieler wohl zu einer überzogenen, teilweise sogar stereotypen<br />

Darstellung <strong>der</strong> jeweiligen Rollen neigen. Würde an dem Vorhaben festgehalten werden,<br />

in diesem Rahmen die Verwendung verschiedener Stufen <strong>der</strong> Moral <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> zu<br />

eruieren, reflektierten die Ergebnisse lediglich die Interpretation moralischer Aussagen<br />

seitens <strong>der</strong> Laienschauspieler, die bestrebt sein könnten, durch eine stereotype Darstellung<br />

ihrer Rolle beson<strong>der</strong>e „Überzeugungskraft“ verleihen zu wollen.<br />

Diese Realitätsferne und <strong>der</strong> Mangel an hintergründigem Sinn einer solchen <strong>Analyse</strong> gab<br />

schließlich den Ausschlag dafür, die erste Entscheidung bezüglich <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong>materials zu<br />

revidieren; denn es lag im Interesse <strong>der</strong> Autoren, mit <strong>der</strong> Arbeit aussagekräftige und eventuell<br />

„weiter verwertbare“ Daten zu erheben.<br />

Auf Grund <strong>der</strong> Tatsache, dass <strong>der</strong> Handlungsort „Gericht“ aus oben genannten Gründen<br />

für die Absichten <strong>der</strong> Autoren Vorteile bot, fiel die Entscheidung letztlich auf sog. „Anwaltsfilme“.<br />

In diesem Zusammenhang bot sich die Möglichkeit, vorgefundene Strukturen<br />

moralischer Urteile einheitlich auf das festgeschriebene Drehbuch zurückzuführen. Der<br />

Drehbuchautor generiert i.d.R. möglichst realitätsnahe Dialoge, und man wird ihm mit<br />

dem Aufgreifen moralbezogener Inhalte bestimmte (positive) Intentionen unterstellen<br />

können. Durch die Wahl „großer“ amerikanischer Kinofilme sollten diese Annahmen<br />

bekräftigt werden.<br />

Nach einer Sammlung in Frage kommen<strong>der</strong> Filme folgte die Entscheidung, „Eine Frage<br />

<strong>der</strong> Ehre“ (1993) und „Angeklagt“ (1988) zum Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong> werden zu lassen.<br />

Der Film „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ beschäftigt sich mit einem „Mord bei den berüchtigten<br />

Marines auf Kuba. Die Army will den Fall vertuschen. Milde Strafen sollen die angeklagten<br />

Soldaten geständig machen. Doch <strong>der</strong> junge Verteidiger Lieutenant Kaffee lehnt den<br />

faulen Straf-Deal rundweg ab. Angetrieben von Kollegin Comman<strong>der</strong> JoAnn verwandelt<br />

5


Kaffee den Gerichtssaal in ein Schlachtfeld. Denn <strong>der</strong> Befehl für den Mord kam von<br />

ganz, ganz oben. Dort, wo Colonel Jessep Gott spielt…“.<br />

Schon aus dieser Inhaltsbeschreibung, die dem Cover <strong>der</strong> VHS-Kassette entnommen ist,<br />

wird ersichtlich, dass hier Moralaspekte, gerade in Bezug auf Autoritätenhörigkeit beziehungsweise<br />

–wi<strong>der</strong>setzung einen wichtigen Platz einnehmen.<br />

„Angeklagt“ wurde ausgewählt, um einerseits einen inhaltlichen Kontrast zum ersten Film<br />

zu gewährleisten, und an<strong>der</strong>erseits, um die Option offen zu halten, einen Vergleich zwischen<br />

„männlicher“ und „weiblicher“ Moraldarstellung vornehmen zu können: Im Mittelpunkt<br />

<strong>des</strong> zweiten Films steht Sarah Tobias, eine junge Frau aus <strong>der</strong> Unterschicht, die<br />

Anklage erhebt, von mehreren Männern im Beisein zahlreicher Zuschauer in einer Bar<br />

vergewaltigt worden zu sein. Die Anwältin Katherine einigt sich jedoch in einer außergerichtlichen<br />

Absprache mit den Verteidigern <strong>der</strong> Angeklagten auf <strong>der</strong>en Drängen hin, die<br />

Anklage nur unter „sexueller Nötigung in min<strong>der</strong> schwerem Fall“ laufen zu lassen. Katherine<br />

müsste an<strong>der</strong>nfalls fürchten, den Fall zu verlieren und sieht ihre Karriere in Gefahr.<br />

Doch die Vorwürfe <strong>der</strong> gedemütigten Sarah appellieren an ihr Gewissen. In einer zweiten<br />

Gerichtsverhandlung sollen nun die jubelnden und Beifall klatschenden Zuschauer <strong>der</strong><br />

Vergewaltigung zur Verantwortung gezogen werden.<br />

So war die Idee geboren, anhand amerikanischer Gerichtsfilme das Auftreten <strong>der</strong> <strong>moralischen</strong><br />

<strong>Urteilsstufen</strong> <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> zu untersuchen, um damit eine Aussage darüber machen<br />

zu können, ob und auf welche Art und Weise Drehbuchautoren Moral in den Medien<br />

strukturell darstellen. Mit dieser Fragestellung im Hintergrund eröffnete sich <strong>der</strong><br />

Weg für die Ausarbeitung <strong>der</strong> im Folgenden aufgezeigten Hypothesen.<br />

6


2. Einbettung <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong> in den Kontext <strong>der</strong> Stufentheorie <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong><br />

(1958)<br />

Obgleich ein Verständnis <strong>des</strong> Begriffs „Moral“ bereits dem alltäglichen Sprachgebrauch<br />

zu entnehmen ist, scheint eine genauere Definition dennoch nützlich zu sein. Anschließend<br />

wird die Stufentheorie <strong>der</strong> Moral von <strong>Kohlberg</strong> näher dargestellt und es werden einige<br />

damit in Zusammenhang stehende Forschungsbefunde angerissen.<br />

Wird von „Moral“ gesprochen, so umfasst dies zunächst definitorisch „die Gesamtheit<br />

aller sittlicher Anschauungen, Werturteile und Normen“ (Lukesch, 1997, S. 291), die sich<br />

auf das Handeln von Personen (in bestimmten Situationen) auswirken. Moral ist also ein<br />

auf Glaubenssätzen aufgebautes System, auf <strong>des</strong>sen Grundlage entschieden wird, ob ein<br />

Verhalten als gut o<strong>der</strong> böse zu bewerten ist (Zimbardo, 1992, S. 618). Dabei gilt es, zwischen<br />

einem individuellen und einem gesellschaftlichen Moralaspekt zu differenzieren.<br />

Letzterer stellt ein Normsystem bereit, an dem sich das jeweilige Individuum orientieren<br />

kann (teilweise auch gesetzlich gezwungen orientieren muss), um das „harmonische“ Zusammenleben<br />

in einer Gemeinschaft zu gewährleisten (Lukesch, 1997). Die individuelle<br />

und die gesellschaftliche Seite <strong>der</strong> Moral sind – zumin<strong>des</strong>t implizit – interdependent.<br />

Ob nun ein bestimmtes Verhalten als gut o<strong>der</strong> böse eingestuft wird, sagt im Allgemeinen<br />

noch nichts über das Warum dieser Einstufung aus; es muss also auch zwischen einem<br />

inhaltlichen und einem strukturellen Teil einer <strong>moralischen</strong> Äußerung unterschieden werden.<br />

Dem letzteren Teil, also <strong>der</strong> Begründung normativer Urteile, widmete <strong>Kohlberg</strong> seine<br />

Forschung. Mithilfe sog. moralischer Dilemmata (Näheres in Oerter und Montada<br />

[1998]) versuchte <strong>Kohlberg</strong> herauszufinden, welche Prinzipien herangezogen werden,<br />

wenn moralische Urteile gefällt werden müssen, und welchem entwicklungsmäßigen Verlauf<br />

diese Prinzipien folgen. Die Ergebnisse seiner Arbeit systematisierte <strong>Kohlberg</strong> mit<br />

Hilfe dreier Niveaus <strong>des</strong> <strong>moralischen</strong> Urteilens, welche jeweils in zwei Entwicklungsstufen<br />

unterteilt werden können:<br />

7


Präkonventionelles Niveau:<br />

Konventionelles Niveau:<br />

Postkonventionelles Niveau:<br />

Stufe I<br />

Stufe II<br />

Stufe III<br />

Stufe IV<br />

Stufe V<br />

Stufe VI<br />

Wie <strong>Kohlberg</strong> feststellte, argumentieren Personen/Kin<strong>der</strong>, die auf dem vor<strong>moralischen</strong><br />

(präkonventionellen) Niveau stehen, ohne dabei Rücksicht auf die Interessen an<strong>der</strong>er zu<br />

nehmen (nehmen zu können). Die erste Stufe ist gekennzeichnet durch eine bloße „Orientierung<br />

an Strafe und Gehorsam“ (Oerter und Montada, 1998, S. 876). Die zweite Stufe<br />

wird hingegen von <strong>der</strong> Instrumentalität an<strong>der</strong>er markiert, die zur Erfüllung eigener Interessen<br />

„benutzt“ werden.<br />

Das Erkennen und Respektieren von Sozialbeziehungen charakterisiert das nächste, das<br />

konventionelle Niveau. Erwartungen und Pflichten werden so gut wie möglich erfüllt.<br />

Eine Argumentation auf <strong>der</strong> dritten Stufe orientiert sich an den Normen und Regeln <strong>der</strong><br />

unmittelbar nahe stehenden Personen, <strong>der</strong> eigenen In-Group, während ein Argumentieren<br />

im Sinne <strong>der</strong> vierten Stufe bedeutet, dass eine gegebene (umfassen<strong>der</strong>e) Sozialordnung<br />

als um ihrer selbst Willen zu befolgen würdig scheint. Einer „law and or<strong>der</strong>“-Haltung ist<br />

dafür typisch.<br />

Als auf dem postkonventionellen Niveau angesiedelt bezeichnet <strong>Kohlberg</strong> diejenigen Urteile,<br />

die auf übergreifenden Werten und Prinzipien basieren. Vorhandene Regeln und<br />

Normen werden hinterfragt und reflektiert. Dementsprechend wird auf <strong>der</strong> fünften Argumentationsstufe<br />

die Relevanz <strong>des</strong> Gesellschaftsvertrags betont und <strong>der</strong> Relativismus<br />

von Werthaltungen und Regeln miteinbezogen. Die letzte Stufe ist gekennzeichnet durch<br />

die Rückführung moralischer Urteile auf übergeordnete und selbst gewählte ethische<br />

Prinzipien. Die grundsätzliche Möglichkeit <strong>der</strong> Infragestellung bestehen<strong>der</strong> Ordnungen<br />

wird erkannt.<br />

8


Bezüglich <strong>der</strong> sechs Stufen nahm <strong>Kohlberg</strong> u.a. an, dass jede Person diese Stufen <strong>der</strong> Reihe<br />

<strong>nach</strong> durchläuft und zudem jede höhere Stufe als komplexer und umfassen<strong>der</strong> als die<br />

vorangehende Stufe aufzufassen ist.<br />

Obgleich das Stufenmodell <strong>der</strong> Moral <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> nicht unkritisiert geblieben ist (siehe<br />

unten), gilt sie heute als eine grundlegend anerkannte und wichtige Konzeption innerhalb<br />

<strong>der</strong> kognitiv orientierten Moralforschung. Von zahlreichen Wissenschaftlern wurde sie<br />

aufgegriffen, um ihre Aussagen zu überprüfen, zu validieren und zu erweitern.<br />

Beispielsweise konnte Yussen zeigen, dass junge Menschen fähig sind, „neben ihrer eigenen<br />

Stellungnahme zu einem Dilemma auch weitere, davon verschiedene, aus <strong>der</strong> Sicht<br />

eines durchschnittlichen Polizisten und eines Philosophen zu geben. Aus letzterer Position<br />

heraus argumentieren viele Probanden nicht unerheblich über ihrem eigenen Niveau.<br />

Ihre eigene Stellungnahme reflektiert also nicht die Grenzen ihrer Kompetenz, son<strong>der</strong>n<br />

ihrer Überzeugung“ (Yussen, 1976, zitiert <strong>nach</strong> Oerter & Montada, 1998, S. 878).<br />

Des Weiteren gelang es Nunner-Winkler durch ihre Forschung zu unterstreichen, dass<br />

das Wissen um moralische Werte und Normen nicht mit einer jeweiligen <strong>moralischen</strong><br />

Motivation gleichzusetzen ist (ebd.).<br />

Auf eine Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Moral weist Gilligan hin.<br />

Während sich das Modell <strong>Kohlberg</strong>s in erster Linie auf eine von Gerechtigkeit geprägte<br />

männliche Moral beziehe, werde dabei die durch Fürsorge gekennzeichnete weibliche<br />

Moral angeblich nicht erfasst (Oerter & Montada, 1998, S. 981f.). Zwar konnte diese wenig<br />

spezifische Hypothese Gilligans nicht empirisch bestätigt werden, dennoch soll eine<br />

dahin gehende Überlegung in die Hypothesenbildung mit einfließen.<br />

9


3. Hypothesen <strong>der</strong> Untersuchung<br />

Die angeführten theoretischen Aspekte führten zu den folgenden sechs Hypothesen, die<br />

sich auf dem Vorfinden <strong>der</strong> <strong>moralischen</strong> <strong>Urteilsstufen</strong> <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> begründen sollten:<br />

Zunächst wurde den Ausführungen <strong>Kohlberg</strong>s folgend davon ausgegangen, dass die <strong>moralischen</strong><br />

<strong>Urteilsstufen</strong> in aufsteigen<strong>der</strong> Reihenfolge durchlaufen werden und dem<strong>nach</strong><br />

kein Regress auf eine einstmals durchlaufene Urteilsstufe stattfindet. Um die Ausgestaltung<br />

<strong>der</strong> im Film relevanten Charaktere mittels <strong>der</strong> strukturellen Moralurteile optimal ausnutzen<br />

zu können, wird angenommen, dass die Drehbuchautoren den Filmfiguren nur<br />

jeweils ein Argumentationsniveau „zuschreiben“, d.h. dass das Argumentationsniveau<br />

einer Person im Verlauf <strong>der</strong> Filmhandlung beibehalten wird und nicht oszilliert.<br />

Einhergehend mit <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> dramaturgischen Gestaltung <strong>der</strong> einzelnen Filmcharaktere<br />

mittels <strong>der</strong> <strong>moralischen</strong> Urteilsstruktur wird darüber hinaus für jeden Darsteller<br />

ein charakteristisches Urteilsprofil postuliert, das zur Unterstreichung seiner jeweiligen<br />

„Personenmerkmale“ dienen soll. Die Vermutung dahinter ist, dass „Gut“ und „Böse“<br />

mittels höherer beziehungsweise niedriger <strong>Urteilsstufen</strong> gespiegelt werden.<br />

Da gerade groß vermarktete Kinofilme eine Plattform für moralisch vorbildliches Verhalten<br />

bieten können, wird in einer dritten Hypothese davon ausgegangen, dass in jedem<br />

untersuchten Film min<strong>des</strong>tens eine Person zu finden ist, <strong>der</strong>en Einstufung auf <strong>der</strong> Moralskala<br />

<strong>Kohlberg</strong>s einem sehr hohen (postkonventionellem) Niveau entspricht. Der Drehbuchautor<br />

benötigt zur Gestaltung <strong>der</strong> Filmhandlung min<strong>des</strong>tens eine Figur, die durch ihr<br />

Handeln im Sinne übergeordneter Prinzipien ein Exempel setzen kann. In <strong>der</strong> Regel dürfte<br />

es sich hierbei (min<strong>des</strong>tens) um eine Hauptfigur, den „Guten“ handeln, mit dem sich<br />

<strong>der</strong> Zuschauer identifizieren soll (Wuss [1993, S. 412]: „Der populäre Film braucht Stars,<br />

denn diese verkörpern und ästhetisieren Verhaltensstrategien <strong>des</strong> Individuums, die <strong>der</strong><br />

Zuschauer imitieren kann.“).<br />

Die vierte Hypothese ergänzt die Überlegungen <strong>der</strong> dritten: Genauso wie <strong>der</strong> Kontrast<br />

zwischen (inhaltlich) „guten“ und „bösen“ Charakteren zum Spannungsaufbau eines<br />

Films beiträgt, wird in <strong>der</strong> Darstellung von moralischem Argumentieren auf Kontraste<br />

zurückgegriffen. Deshalb lässt sich in jedem untersuchten Film ebenso min<strong>des</strong>tens eine<br />

Figur finden, <strong>der</strong>en moralrelevante Argumentation auf einem sehr niedrigen <strong>Kohlberg</strong>schen<br />

Niveau anzusiedeln ist.<br />

10


Die Spannung <strong>der</strong> Filmhandlung könnte wie<strong>der</strong>um dadurch aufrechterhalten werden, dass<br />

zwei Hauptfiguren <strong>des</strong> Films ein recht ähnliches Urteilsverhalten bzw. -profil aufweisen<br />

(fünfte Hypothese). Dadurch, dass die eindeutige Differenzierung zwischen den „Guten“<br />

und den „Bösen“ in einigen Fällen nicht sofort gelingt, respektive sich die Grenzen zwischen<br />

beiden Parteien zeitweise verwischen, wird <strong>der</strong> intuitiven Kategorisierung von Situationen<br />

und Personen entgegengewirkt. Diese Erwartungsnonkonformität führt im Sinne<br />

Berlynes zu Unbestimmtheit, was wie<strong>der</strong>um zu Erregung/Spannung führt, die das weitere<br />

Interesse an dem Film provoziert. Ähnlich führt Wuss (1993, S. 325) an:<br />

„Filmgeschichten schaffen Kontrollkompetenz, heben informationelle Defizite auf<br />

und setzen den Zuschauer doch immer wie<strong>der</strong> absichtlich <strong>der</strong> Situation aus, dieselbe auch<br />

verlieren zu können. Erzählen bedeutet, ein Spiel mit <strong>der</strong> Unbestimmtheit von Ereignisfolgen<br />

zu treiben, und umgekehrt auch ein Spiel mit <strong>der</strong> Kotrollkompetenz <strong>des</strong> Rezipienten.<br />

Darin eben liegt die Quelle <strong>der</strong> Spannung als Invariante vieler emotionaler Aktivitäten“.<br />

Den dramaturgisch wichtigen Rollen von Anwalt und Staatsanwalt entsprechend („Gut“<br />

vs. „Böse“) wird im vorliegenden Fall die größte Ähnlichkeit hinsichtlich <strong>der</strong> Argumentationsstruktur<br />

erwartet.<br />

Wie oben bereist angesprochen, mangelt es <strong>der</strong> Unterscheidung zwischen weiblicher und<br />

männlicher Moral Gilligans noch an empirischer Fundierung. Um diesen Aspekt zu berücksichtigen,<br />

soll sich die letzte Hypothese mit <strong>der</strong> Feststellung befassen, dass eindeutige<br />

Unterschiede zwischen den Profilen moralischer Urteilsebenen von weiblichen und<br />

männlichen Filmfiguren <strong>nach</strong>zuweisen sind.<br />

Der Übersicht halber sind die zur Überprüfung anstehenden Hypothesen nochmals in<br />

Kurzform zusammengefasst:<br />

(1) Das Argumentationsniveau <strong>der</strong> einzelnen Personen wird im Verlauf<br />

<strong>des</strong> Films beibehalten.<br />

(2) Jede Rolle hat ein charakteristisches Urteilsprofil, das zur Unterstützung<br />

<strong>des</strong> jeweiligen Charakters dient (gut vs. böse).<br />

(3) Pro Film findet man min<strong>des</strong>tens eine Person, die auf hohem Niveau<br />

argumentiert (<strong>der</strong> Drehbuchautor kann dadurch vorbildliches<br />

Verhalten exemplifizieren).<br />

11


(4) Pro Film ist min<strong>des</strong>tens eine Person vorhanden, die auf einem sehr<br />

niedrigen Niveau argumentiert, um einen Kontrast herauszuarbeiten.<br />

(5) Es herrscht eine eher geringe Diskrepanz zwischen den Argumentationsprofilen<br />

von Staatsanwalt und Anwalt, um die Spannung <strong>der</strong><br />

Filmhandlung aufrecht zu erhalten.<br />

(6) Es bestehen strukturelle Argumentationsunterschiede zwischen<br />

männlichen und weiblichen Filmfiguren.<br />

12


4. Methode<br />

Die beiden Filme wurden von Videokassette in den Computer eingelesen, digitalisiert und<br />

schließlich auf CD gebrannt, um eine Auswertung <strong>des</strong> Filmmaterials am Computer zu<br />

ermöglichen. Zur Auswertung <strong>des</strong> Filmmaterials wurde das Computerprogramm Interact<br />

verwendet. (Auf eine nähere Beschreibung <strong>des</strong> Programms Interact muss hier aufgrund<br />

seiner großen Komplexität verzichtet werden).<br />

Nach <strong>der</strong> Strukturierung konnte mit <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>des</strong> Filminhalts begonnen werden, wobei<br />

die Methode <strong>der</strong> Inhaltsanalyse verwendet wurde:<br />

Mit Hilfe <strong>der</strong> Inhaltsanalyse wird versucht, den manifesten Inhalt einer Kommunikation<br />

zu beschreiben, und zwar <strong>nach</strong> objektiven, systematischen und quantitativen Kriterien.<br />

Objektiv schließt dabei das Prinzip <strong>der</strong> Reproduzierbarkeit <strong>der</strong> wissenschaftlichen Arbeit<br />

mit ein, <strong>der</strong> Begriff systematisch erhebt den Anspruch, dass jede Untersuchungseinheit<br />

<strong>der</strong> Stichprobe auch analysiert wird. Das quantitative Kriterium wird gewährleistet, indem<br />

man durch Zahlen die Bewertung <strong>der</strong> zu analysierenden Inhaltsbereiche ausdrückt.<br />

Um eine Inhaltsanalyse durchführen zu können, müssen vorab zwei Schritte durchlaufen<br />

werden:<br />

Zuerst müssen die Untersuchungseinheiten festgelegt werden. In dieser Arbeit wurden die<br />

beiden Filme „Angeklagt“ und „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ ausgewählt. Da<strong>nach</strong> muss ein Kategorieschema<br />

entworfen werden, mit <strong>des</strong>sen Hilfe die Inhalte eingeordnet werden können.<br />

In diesem Fall wurde die psychologische Theorie <strong>der</strong> Moralentwicklung <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong><br />

herangezogen, <strong>nach</strong> <strong>der</strong> sich sechs unterschiedliche Stufen von <strong>moralischen</strong> Argumentationsniveaus<br />

ergaben (vgl. Kap. 2). Zusätzlich zum <strong>Kohlberg</strong>-Modell wurde eine<br />

siebte Kategorie „Moralisch nicht relevant“ eingeführt. Die Kategorien müssen dabei folgende<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllen:<br />

1. Das Klassifikationsprinzip muss einheitlich sein, d.h. die Kategorien dürfen sich<br />

nur auf eine Betrachtungsdimension beziehen. So stellen die sechs Stufen unterschiedliche<br />

Niveaus moralischer Argumentation dar.<br />

2. Die einzelnen Kategorien müssen einan<strong>der</strong> ausschließen, d.h. eine Aussage muss<br />

eindeutig einer Stufe zugeordnet werden können.<br />

3. Das Kategorienschema muss zusätzlich erschöpfend sein, d.h. dass jede Aussage in<br />

eine Kategorie eingeordnet werden kann.<br />

13


Aus Gründen <strong>der</strong> Übersichtlichkeit und Relevanz wurden ausschließlich Gerichtsszenen<br />

<strong>der</strong> beiden Filme analysiert, die gemäß den Vorgaben von Interact in Szenen, Takes und<br />

Events hierarchisch unterteilt wurden.<br />

Eine Szene stellt das gesamte Gerichtsszenario in einem bestimmten Abschnitt <strong>des</strong> Films<br />

dar. Eine feinere Unterteilung liefert <strong>der</strong> Take, <strong>der</strong> einzelne Verhöre <strong>der</strong> Anwälte/Staatsanwälte<br />

umfasst. Die feinste Abstufung liefert das Event, das jeweils durch eine<br />

Aussage eines Schauspielers repräsentiert wird und das die letztendliche <strong>Analyse</strong>einheit<br />

<strong>des</strong> „Moral-Ratings“ darstellt.<br />

Beispiel:<br />

Szene: Ein bestimmter Anhörungstag<br />

Take: Vernehmung <strong>des</strong> Zeugen Kendrick<br />

Event: Einzelne Aussagen (einzelne Sätze o<strong>der</strong> zusammenhängende Passagen)<br />

Nach dieser Segmentierung konnte mit <strong>der</strong> Auswertung <strong>des</strong> vorhandenen Filmmaterials<br />

begonnen werden. Hierbei beurteilten die vier Untersucherinnen unabhängig voneinan<strong>der</strong><br />

die einzelnen Events einer moralrelevanten Argumentation. Als Beurteilungsskala dienten<br />

die sechs Stufen <strong>Kohlberg</strong>s, zusätzlich wurde noch eine siebte Beurteilungseinheit eingeführt,<br />

mit <strong>der</strong> die nicht-moralrelevanten Aussagen erfasst wurden. Es ergaben sich also<br />

für je<strong>des</strong> Event folgende sieben Einstufungsmöglichkeiten:<br />

Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 Stufe 6<br />

Moralisch<br />

nicht relevant<br />

Um die Aussagenstruktur <strong>der</strong> Charaktere einer bestimmten Stufe zuordnen zu können,<br />

war eine genaue Beschreibung <strong>der</strong> Aussagenstruktur je<strong>der</strong> Stufe vonnöten. Alle vier Untersucherinnen<br />

richteten sich bei <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>des</strong> Filmmaterials <strong>nach</strong> folgen<strong>der</strong> Beschreibung<br />

(wobei zur Exemplifizierung <strong>nach</strong>träglich auf <strong>der</strong> jeweiligen Stufe geratete Aussagen<br />

angeführt sind):<br />

Präkonventionelles Niveau, Stufe 1:<br />

Beim <strong>moralischen</strong> Urteilen orientiert sich das Individuum an Strafe<br />

und Gehorsam; ob eine Handlung gut o<strong>der</strong> böse ist, hängt von ihren<br />

physischen Konsequenzen ab.<br />

14


Vermeidung von Strafe und Unterordnung gelten als Werte an sich,<br />

die nicht durch ein tiefer liegen<strong>des</strong> Moralverständnis vermittelt<br />

sind.<br />

Film-Beispiel (aus „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“):<br />

„Nein, ich führe bei jedem Mann eine allgemeine körperliche Untersuchung<br />

durch und Private Santiago wurde eine gute Gesundheit<br />

bescheinigt!“<br />

(Zum besseren Verständnis <strong>des</strong> Ratings dieser Aussage sollte angemerkt<br />

werden, dass <strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> so argumentiert, Sanktionen<br />

fürchten müsste, würde er zugeben, dass er Santiago nicht gründlich<br />

genug untersucht hat.)<br />

Präkonventionelles Niveau, Stufe 2:<br />

Auf Stufe 2 dominiert die instrumentelle Orientierung an den eigenen<br />

Bedürfnissen. Es sind zwar Ansätze von Gerechtigkeit erkennbar;<br />

dennoch sind die eigenen Interessen das Maß. Auf dieser Stufe<br />

handelt es sich um eine „Eine-Hand-wäscht-die-an<strong>der</strong>e-Moral“.<br />

Film-Beispiel (aus „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“):<br />

„Verflucht, was soll das hier? Ich werde wegen eines Verbrechens<br />

angeklagt – sieht die Sache hier so aus? Ich werde angeklagt wegen<br />

eines Verbrechens? Das ist ein Witz und nichts an<strong>der</strong>es – das ist …<br />

Ich werde Dir die Augen auskratzen und dann piss’ ich in Deinen<br />

Totenschädel – Du verarschst hier den falschen Marine!“<br />

Konventionelles Niveau, Stufe 3:<br />

Die Suche <strong>nach</strong> <strong>der</strong> Lösung eines <strong>moralischen</strong> Konflikts bleibt beschränkt<br />

auf persönlich bekannte Personen; die Familie und an<strong>der</strong>e<br />

Primärgruppen bilden den Bezugsrahmen.<br />

Wenn die Interessen aller wichtiger Sozialpartner nicht gleichzeitig<br />

berücksichtigt werden können, bleibt ein Konflikt bestehen, <strong>der</strong><br />

noch nicht prinzipiell gelöst werden kann.<br />

Film-Beispiel (aus „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“):<br />

„Private Santiago hat den Codex verraten, an den wir sehr fest<br />

glauben!“<br />

(Auch hier sollte <strong>des</strong> Verständnisses wegen angemerkt werden, dass<br />

<strong>der</strong> Zeuge, <strong>der</strong> diese Aussage macht, Santiago vorwirft, die eigene<br />

Gruppe verraten zu haben.)<br />

Konventionelles Niveau, Stufe 4:<br />

Hier erweitert sich die Orientierung auf übergreifende Systeme wie<br />

Staat und Religionsgemeinschaften.<br />

15


Das System als solches wird wichtig, nicht mehr nur konkret persönliche<br />

Sozialbeziehungen.<br />

Die Erfüllung eines gegebenen Ordnungs- und Rechtssystems wird<br />

zum obersten Gebot; eine Art Law-and-or<strong>der</strong>-Haltung wird erkennbar.<br />

Film-Beispiel (aus „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“):<br />

„Ja, Private Santiago war auch unterdurchschnittlich; ich sah hier<br />

nur keinen Anlass, auf das Grab <strong>des</strong> Mannes zu spucken!“<br />

Postkonventionelles Niveau, Stufe 5:<br />

Es hat sich ein Verständnis <strong>des</strong> Systems als Gesellschaftsvertrag<br />

entwickelt, <strong>der</strong> somit auch än<strong>der</strong>bar ist.<br />

Utilitaristische Überlegungen sind häufig (Maximierung <strong>des</strong> Gewinns<br />

für möglichst viele).<br />

Eine neue Dimension <strong>der</strong> Gerechtigkeit gewinnt an Bedeutung: Gerechtigkeit<br />

<strong>des</strong> Verfahrens bei <strong>der</strong> Entscheidungsfindung (z.B. <strong>nach</strong><br />

dem Modell demokratischer Entscheidungen).<br />

Menschenrechte werden häufiger als unveräußerlich angesehen.<br />

Film-Beispiel (aus „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“):<br />

„… Junge, wir leben in einer Welt voller Mauern, und diese Mauern<br />

müssen von Männern mit Gewehren beschützt werden. Und wer<br />

sollte das tun? Sie? O<strong>der</strong> Sie, Ltd. Weinberg? Ich trage eine größere<br />

Verantwortung als es für sie überhaupt vorstellbar ist. Sie weinen<br />

um Santiago und verfluchen die Marines. Sie genießen den Luxus,<br />

nicht zu wissen, was ich weiß; dass Santiagos Tod zwar tragisch ist,<br />

aber wahrscheinlich Leben gerettet hat und dass meine Existenz,<br />

obwohl sie Ihnen grotesk vorkommt und unverständlich ist, Leben<br />

rettet. Sie wollen das nicht wahrhaben, denn tief in Ihrem Inneren<br />

– aber das sagen Sie nicht auf Parties – wollen Sie, dass ich an dieser<br />

Mauer stehe. Sie brauchen mich an dieser Mauer.<br />

Wir stehen zu Werten wie Ehre, Codex, Loyalität; für uns sind diese<br />

Worte die Plattform <strong>des</strong> Lebens, das wir leben, um etwas zu verteidigen.<br />

Für Sie sind das nur Sprüche. Ich habe we<strong>der</strong> die Zeit noch<br />

das Bedürfnis, mich hier zu verantworten vor einem Mann, <strong>der</strong> unter<br />

die Decke jener Freiheit schlüpft, die ich den Menschen täglich<br />

gebe und <strong>der</strong> dann die Art anzweifelt, wie ich das mache. Ich würde<br />

es vorziehen, wenn Sie nur Danke sagen und dann weitergehen<br />

würden. An<strong>der</strong>nfalls schlage ich vor, dass Sie eine Waffe in die<br />

Hand nehmen und die Wache übernehmen. Auf jeden Fall ist es<br />

mir vollkommen egal, was Sie denken, wozu Sie ein Recht hätten.“<br />

Postkonventionelles Niveau, Stufe 6:<br />

Hier wird die Suche <strong>nach</strong> allgemeingültigen ethischen Prinzipien<br />

erkennbar, die abstrakt sind (z.B. Kants kategorischer Imperativ).<br />

16


Bezugspunkt ist nicht ein konkreter Normenkatalog; es geht um allgemeine<br />

Verfahren zur Prüfung normativer Entscheidungen, wie<br />

sie sich in <strong>der</strong> Diskursethik finden. Grundsätzlich kann jede bestehende<br />

Ordnung je<strong>der</strong>zeit in Frage gestellt werden, wenn geltend<br />

gemacht werden kann, dass sie nicht fair ist.<br />

Film-Beispiel (aus „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“):<br />

„Sie müssen kein Abzeichen tragen, um Ehre zu besitzen!“<br />

Restkategorie, moralisch nicht relevant:<br />

Hier wurden alle Aussagen aufgeführt, die keinen <strong>der</strong> moralrelevanten<br />

Themenkreise berührten.<br />

Um dem Umstand gerecht zu werden, dass einige Aussagen <strong>der</strong> Filmcharaktere zwar als<br />

strukturell moralisch relevant zu bezeichnen waren, die Argumentation jedoch eher darauf<br />

basierte, dass die Struktur einer bestimmten Stufe verneint wurde, wurden <strong>der</strong> Ratingskala<br />

sechs weitere Einstufungsmöglichkeiten hinzugefügt:<br />

Nicht Stufe 1 Nicht Stufe 2 Nicht Stufe 3 Nicht Stufe 4 Nicht Stufe 5 Nicht Stufe 6<br />

Beispielhaft sei hierfür eine Argumentation aus dem Film „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ angeführt,<br />

die <strong>der</strong> Anwalt Kaffee in seinem Eröffnungsplädoyer verlauten lässt: „[…] die Angeklagten<br />

handelten nicht aus Rache […]“. Da das Argumentieren unter „Rache-Aspekten“<br />

<strong>der</strong> <strong>moralischen</strong> Orientierung an eigenen Bedürfnissen gleichkommt, <strong>der</strong> Sprecher allerdings<br />

explizit diese Möglichkeit ausschließt, handelt es sich in diesem Fall um die Kategorie<br />

„Nicht Stufe 2“.<br />

Pro Event war nur ein Urteil möglich, Mehrfach-Beurteilungen wurden ausgeschlossen.<br />

Aus den Ergebnissen wurde für jeden Darsteller, für den min<strong>des</strong>tens drei moralrelevante<br />

Beurteilungen vorlagen, ein „Moralprofil“ erstellt, in dem <strong>der</strong> Verlauf <strong>der</strong> Argumentation<br />

bezüglich <strong>der</strong> sieben Stufen abgelesen werden konnte.<br />

Jede Untersucherin berechnete dann aus ihren unabhängig abgegebenen Bewertungen die<br />

relative Häufigkeit <strong>der</strong> einzelnen Stufen für jeden Schauspieler sowie für den gesamtem<br />

Film. Diese Häufigkeiten wurden abschließend noch über die vier Untersucherinnen gemittelt,<br />

so dass sich pro Stufe und Akteur nur eine relative Häufigkeit ergab.<br />

17


Somit wurde es ermöglicht, Vergleiche zwischen den einzelnen Darstellern und zwischen<br />

Darstellern und Film in einem <strong>des</strong>kriptivem Sinn vorzunehmen; dadurch wurde ersichtlich,<br />

inwieweit <strong>der</strong> Schauspieler eine moralisch hohe o<strong>der</strong> niedrige Argumentation zeigt, und<br />

zwar in Relation zu an<strong>der</strong>en Darstellern beziehungsweise zum Film insgesamt.<br />

18


5. Ergebnisse<br />

In diesem Teil <strong>des</strong> Berichts werden die Ergebnisse <strong>der</strong> <strong>Analyse</strong>n im Hinblick auf die o-<br />

ben erwähnten Hypothesen aufgeführt; mögliche Begründungen und Interpretationen<br />

erfolgen im Abschnitt „Diskussion“. Zunächst werden sämtliche Hypothesen für den<br />

Film „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ auf vorläufige Bestätigung bzw. Wi<strong>der</strong>legung geprüft, darauf<br />

folgend für den zweiten Film „Angeklagt“.<br />

Vorab sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung <strong>der</strong> Charaktere den im Film verwendeten<br />

Rollennamen analog ist, soweit diese eindeutig waren; an<strong>der</strong>nfalls erfolgt die Berufung<br />

auf verallgemeinernde Bezeichnungen wie „Anwalt 1“ usw..<br />

5.1 Auswertung <strong>des</strong> Filmes „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“<br />

Zu Hypothese 1:<br />

Diese Hypothese konnte für den Film „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ nicht belegt werden:<br />

So zeigte sich beim Anwalt Kaffee im Verlauf <strong>des</strong> Films eine Steigerung seines Argumentationsniveaus.<br />

Während er zu Beginn meist auf Stufe 3 (28%), kurzfristig sogar auf Stufe<br />

1 (6%) argumentiert, steigert sich die Verwendung <strong>der</strong> höheren Moralstufen mit dem<br />

Verlauf <strong>des</strong> Films. Dominant waren bei weiter fortschreiten<strong>der</strong> Filmzeit die Stufen 4<br />

(18%) und 5 (17%). Der Höhepunkt seines Argumentationsverlaufs zeigt sich beim letzten<br />

Verhör mit dem als Zeugen geladenen Colonel Jessep, als Kaffee auf <strong>der</strong> höchsten<br />

Stufe (Stufe 6: 6%) argumentiert.<br />

Der Staatsanwalt entspricht <strong>der</strong> Hypothese, denn er argumentiert zum größten Teil auf<br />

konventionellem Niveau (90%; davon Stufe 3: 21.25%, Stufe 4: 68.75%). Zu einem Anteil<br />

von 10% ergaben sich Bewertungen für Nicht Stufe 1, das heißt, <strong>der</strong> Staatsanwalt<br />

verneint in seiner Argumentation eindeutig die Gültigkeit bzw. die Möglichkeit <strong>der</strong> Stufe<br />

1. Da allerdings die negativen Ratings (Nicht Stufe X) für das Vorliegen eines gleich bleibenden<br />

Argumentationsniveaus ausgeklammert werden sollen, kann dies hier ver<strong>nach</strong>lässigt<br />

werden.<br />

19


70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

68,75%<br />

21,25%<br />

10%<br />

Stufe 3 Stufe 4 Stufe Nicht 1<br />

Abbildung 1: Gemittelte Häufigkeiten Staatsanwalt<br />

Colonel Jessep zeigt anfangs eine relativ stabile Argumentationsstruktur, die sich auf den<br />

Stufen 4 (26%) und 5 (12,88%) bewegt, er bricht aber kurzfristig in seiner Argumentation<br />

zusammen und fällt auf Stufe 2 (9,38%) zurück. Dieser Akteur springt also im Verlauf<br />

<strong>des</strong> Films zwischen den drei Niveaus.<br />

Der Zeuge Kendrick argumentiert mit einem übermäßigen Anteil von insgesamt 89.75%<br />

(Stufe 3: 20.25%, Stufe 4: 69.5%) auf konventionellem Niveau, jedoch kann auch ihm ein<br />

kleiner Anteil von Argumentationen auf Stufe 5 (2,5%) zugerechnet werden. Für das<br />

präkonventionelle Niveau ergaben sich keine Bewertungen.<br />

Der Zeuge Barnes wechselt im Verlauf <strong>des</strong> Verhörs vom konventionellen (Stufe 3:<br />

45,75%) zum präkonventionellen Niveau (Stufe 1: 54,25%), kehrt dann aber wie<strong>der</strong> zum<br />

konventionellen Niveau zurück.<br />

Der Angeklagte Downey ist in diesem Fall <strong>der</strong> einzige Akteur, <strong>des</strong>sen Argumentation<br />

sich ausschließlich auf das konventionelle Niveau beschränkt (Stufe 3: 62.75%, Stufe 4:<br />

37.25%).<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

62,75%<br />

37,25%<br />

Stufe 3 Stufe 4<br />

Abbildung 2: Gemittelte Häufigkeiten Angeklagter Downey<br />

20


Die oben aufgeführte Hypothese kann also lediglich für den Staatsanwalt und für Downey<br />

bestätigt werden, während sie für die restlichen Schauspieler als wi<strong>der</strong>legt gelten<br />

kann.<br />

Zu Hypothese 2:<br />

Wie schon erwähnt, wurden für die jeweiligen Filmrollen Urteilsprofile auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> Ratings angefertigt. Bei Betrachtung <strong>der</strong> Profile sind jedoch keine typischen Charakteristika<br />

<strong>der</strong> einzelnen Rollen zu erkennen. Erschwerend kommt hinzu, dass für die<br />

unterschiedlichen Charaktere unterschiedlich viele Ratings vergeben werden mussten und<br />

somit ein vali<strong>der</strong> Profilvergleich nicht angestellt werden kann. Die intuitiv getroffene<br />

Annahme, dass diejenigen Rollen, mit denen sich <strong>der</strong> Zuschauer identifizieren sollte<br />

(Vertreter <strong>des</strong> „Guten“), ein vorwiegend auf höheren Stufen angesiedeltes Niveau vertreten,<br />

muss (auch unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Hypothesen 1, 3 und 4) zurückgewiesen<br />

werden (nähere Ausführung im Diskussionsteil.)<br />

Zu Hypothese 3:<br />

Unter einem hohen Niveau werden Argumentationen verstanden, die sich auf Stufe 5<br />

o<strong>der</strong> 6 beziehen.<br />

In „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ zeigt sich, dass sowohl <strong>der</strong> Anwalt Kaffee als auch Colonel<br />

Jessep im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Akteuren den größten Anteil <strong>der</strong> Stufen 5 und 6 in<br />

ihrer Argumentationsstruktur aufweisen (23% bzw. 12.9%).<br />

Die Hypothese, dass es min<strong>des</strong>tens eine Person gibt, die ein hohes Argumentationsniveau<br />

an den Tag legt, kann also für diesen Film bestätigt werden.<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

6%<br />

9,38%<br />

28%<br />

Kaffee<br />

26%<br />

18%<br />

Jessep<br />

17% 12,88%<br />

6% 6%<br />

Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 Stufe 6 Stufe<br />

Nicht 3<br />

51,75%<br />

18%<br />

Stufe<br />

Nicht 4<br />

Abbildung 3: Gemittelte Häufigkeiten Vergleich Kaffee - Jessep<br />

21


Zu Hypothese 4:<br />

Als niedriges Niveau werden Argumentationsformen auf dem präkonventionellen Niveau<br />

verstanden, also die Stufen 1 und 2. Eine <strong>der</strong>art niedrige Argumentationsstruktur<br />

fand sich im Film „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ lediglich beim Zeugen Barnes. Dieser argumentiert<br />

mit einem Anteil von 54.25% auf Stufe 1, für Stufe 2 ergaben sich keine Bewertungen.<br />

Die übrigen Raterurteile sammelten sich mit 45.75% auf <strong>der</strong> Stufe 3. Somit ist diese<br />

Hypothese nicht eindeutig bestätigt, wenngleich sich Tendenzen im Sinne <strong>der</strong> Hypothese<br />

<strong>nach</strong>weisen lassen.<br />

56%<br />

54%<br />

52%<br />

50%<br />

48%<br />

46%<br />

44%<br />

42%<br />

40%<br />

54,25%<br />

45,75%<br />

Stufe 1 Stufe 3<br />

Abbildung 4: Gemittelte Häufigkeiten Zeuge Barnes<br />

Zu Hypothese 5:<br />

Diese Hypothese konnte nicht bestätigt werden.<br />

Bei <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> Hypothesen wurde die Vermutung angestellt, dass Anwalt und<br />

Staatsanwalt die Hauptantagonisten <strong>des</strong> Films seien, was sich aber dann <strong>nach</strong> genauerer<br />

<strong>Analyse</strong> <strong>des</strong> Films als falsch erwies.<br />

Die Bewertungen zeigten, dass sich beim Staatsanwalt fast die gesamte Argumentation<br />

auf konventionellem Niveau abspielt (Stufe 3: 21.25%, Stufe 4: 68.75%), beim Anwalt<br />

Kaffee dagegen finden sich alles drei Niveaus, wobei das postkonventionelle Niveau einen<br />

großen Anteil ausmacht (siehe Abbildung 1).<br />

Den Ergebnissen von Hypothese 3 folgend ist eher anzunehmen, dass Anwalt Kaffee<br />

und Colonel Jessep die Gegenspieler <strong>des</strong> Films darstellen, da beide ein recht ähnliches<br />

Profil aufweisen (siehe Abbildung 3).<br />

22


Kaffee<br />

Staatsanwalt<br />

70%<br />

68,75%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

6%<br />

28% 24,25%<br />

18%<br />

17%<br />

6%<br />

10%<br />

Stufe 1 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 Stufe 6 Stufe<br />

Nicht 1<br />

6%<br />

Stufe<br />

Nicht 3<br />

18%<br />

Stufe<br />

Nicht 4<br />

Abbildung 5: Gemittelte Häufigkeiten Vergleich Anwalt-Staatsanwalt<br />

Zu Hypothese 6:<br />

Über Hypothese 6 können an dieser Stelle keine Aussagen getroffen werden, da keine <strong>der</strong><br />

anhand <strong>der</strong> oben erwähnten Kriterien ausgewählten Personen weiblich ist. Folglich<br />

konnte kein Vergleich zwischen weiblicher und männlicher Urteilsstruktur durchgeführt<br />

werden.<br />

5.2 Auswertung <strong>des</strong> Films „Angeklagt“<br />

Zu Hypothese 1:<br />

Auch für diesen Film konnte Hypothese 1 nicht bestätigt werden.<br />

Die Anwältin Katherine argumentiert hauptsächlich auf Stufe 3 (12,6%) und 4 (74,8%).<br />

Zwischendurch liegen ihre moralrelevanten Aussagen jedoch auf Stufe 2 (12,6%). D.h.<br />

sie argumentiert sowohl auf prä- als auch auf konventionellem Niveau.<br />

Ebenso wechselt <strong>der</strong> Vorgesetzte <strong>der</strong> Anwältin in seiner Argumentation während <strong>des</strong><br />

Films zwischen den Stufen 2, 3 und 4 (30%, 30%, 20%) bzw. Nicht Stufe 4; d.h. er verneint<br />

ein Urteil <strong>der</strong> Stufe 4.<br />

Anwalt 3 argumentiert gleich verteilt auf den Stufen 2 und 3 (33%, 33%), also auch auf<br />

verschiedenen Niveaus.<br />

Anwalt 4 argumentiert hauptsächlich auf Stufe 5 (67%); dennoch finden sich auch hier<br />

extreme Sprünge zurück auf Stufe 1 (33%).<br />

23


Anwältin Vorgesetzter Anwalt 3 Anwalt 4<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

33%<br />

33%<br />

20%<br />

12,60%<br />

30% 33% 74,80%<br />

12,60%<br />

20%<br />

Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5<br />

67%<br />

Abbildung 6: Vergleich <strong>der</strong> gemittelten Häufigkeiten aller Charaktere<br />

Zu Hypothese 2:<br />

Die bei dem zuvor analysierten Film („Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“) unter dieser Hypothese<br />

gemachten Aussagen gelten hier analog.<br />

Zu Hypothese 3:<br />

Es fand sich bei unserer Auswertung nur eine Person, die zeitweise auf hohem Niveau<br />

argumentiert. Besagte Person kann jedoch eher als „Marginalcharakter“ <strong>des</strong> Films<br />

betrachtet werden, weshalb zumin<strong>des</strong>t <strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> Hypothese als unbestätigt angesehen<br />

werden muss, <strong>der</strong> von einer gewollten Identifikationsmöglichkeit für den Zuschauer ausgeht.<br />

Zu Hypothese 4:<br />

Keiner <strong>der</strong> ausgewählten Charaktere entspricht den Kriterien dieser Hypothese (hauptsächliches<br />

Argumentieren auf präkonventionellem Niveau). Somit gilt sie als nicht bestätigt.<br />

24


Zu Hypothese 5:<br />

Laut dieser Hypothese sollte zwischen Staatsanwalt/anwältin (in diesem Film Anwältin<br />

<strong>der</strong> Klägerin) und Verteidiger eine geringe Diskrepanz bezüglich <strong>des</strong> Niveaus herrschen.<br />

Dies ließ sich hier nicht bestätigen.<br />

Es zeigte sich, dass beide z.T. auf präkonventionellem Niveau argumentieren (A: 12.6%,<br />

V: 33%); jedoch lässt sich die Anwältin <strong>der</strong> Klägerin zu 87.4% auf konventionellem Niveau<br />

einstufen, wohingegen <strong>der</strong> Verteidiger hauptsächlich auf postkonventionellem Niveau<br />

argumentiert (67%).<br />

Auffällig ist, dass die postulierte Diskrepanz bei zwei an<strong>der</strong>en Charakteren zu finden ist,<br />

und zwar zwischen <strong>der</strong> Anwältin und ihrem Vorgesetzten. Auch er argumentiert auf präund<br />

konventionellem Niveau. Eine mögliche Erklärung hierfür soll später gegeben werden.<br />

Anwältin<br />

Vorgesetzter<br />

80%<br />

75%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

13% 20% 13%<br />

30%<br />

20% 20%<br />

0%<br />

Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe Nicht 4<br />

Abbildung 7: Vergleich <strong>der</strong> gemittelten Häufigkeiten Anwältin – Vorgesetzter<br />

Zu Hypothese 6:<br />

Hier wurden strukturelle Argumentationsunterschiede zwischen männlichen und weiblichen<br />

Filmfiguren postuliert.<br />

Nach den Ratings ergaben sich folgende Unterschiede hinsichtlich <strong>der</strong> Argumentationsstrukturen:<br />

Sowohl die Anwältin als auch <strong>der</strong>en Vorgesetzter und die verteidigenden Anwälte argumentieren<br />

auf präkonventionellem wie auch auf konventionellem Niveau. Lediglich ein<br />

Verteidiger argumentiert vorwiegend auf postkonventionellem Niveau (67%).<br />

25


Also interessiert hier bezüglich <strong>der</strong> Hypothese vorwiegend die Gewichtung <strong>der</strong> einzelnen<br />

Stufen bei je<strong>der</strong> Filmfigur.<br />

Dabei ergibt sich ein deutlicher Unterschied zwischen <strong>der</strong> Anwältin und ihren männlichen<br />

Kollegen: Die Anwältin argumentiert zum größten Teil auf Stufe 4 (74,8 %), während<br />

von den männlichen Figuren nur ihr Chef auch auf Stufe 4 argumentiert (20 %).<br />

Wie bereits erwähnt, erreicht nur ein männlicher Verteidiger die Stufe 5, d.h. ein postkonventionelles<br />

Niveau.<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>des</strong> präkonventionellen Niveaus ergibt sich, dass die Anwältin zu<br />

jeweils 12,6% auf den Stufen 2 und 3 argumentiert, während die Aussagen ihrer männlichen<br />

Kollegen zu jeweils 30% bzw. 33% auf den Stufen 2 und 3 liegen.<br />

Ein Verteidiger argumentiert außerdem zu 33% auf Stufe 1, die bei <strong>der</strong> Anwältin nicht<br />

vertreten ist.<br />

Hiermit ergibt sich also ein deutlicher Argumentationsunterschied: Die weibliche Filmfigur<br />

argumentiert vorwiegend auf konventionellem Niveau (Stufe 4), während ein Teil <strong>der</strong><br />

männlichen Filmfiguren vorwiegend auf niedrigem Niveau (Stufen 1, 2 und 3) und eine<br />

männliche Filmfigur vorwiegend auf postkonventionellem Niveau (Stufe 5) argumentiert.<br />

26


(Held, Sympathieträger), argumentieren strukturell höher, „wertvoller“ als Figuren, die<br />

„dem Guten“ entgegentreten.<br />

Doch die Ergebnisse zeigen, dass davon nicht ausgegangen werden darf. Da i.d.R. we<strong>der</strong><br />

ein und dasselbe Argumentationsniveau beibehalten wird, noch die erstellten Profile (im<br />

Groben) einsichtige Gemeinsamkeiten o<strong>der</strong> Unterschiede erkennen lassen, bleibt diese<br />

Hypothese unbestätigt. Hier spielt sicherlich die Trennung zwischen inhaltlichem und<br />

strukturellem Aspekt <strong>der</strong> Moral eine nicht zu ver<strong>nach</strong>lässigende Rolle: Die moralische<br />

Struktur an sich bleibt <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> ohne Wertung, doch fällt es nicht immer leicht,<br />

sich diese Differenzierung zu vergegenwärtigen. Beim Raten <strong>der</strong> einzelnen Aussagen<br />

steht man oft vor dem Problem, dass inhaltlich Verwerfliches (auch unter Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> gesamten Filmverlaufs) vermittels hoher struktureller Argumentation geäußert<br />

wird o<strong>der</strong> aber inhaltlich moralisch Gehaltvolles nicht einer strukturell höheren Ebene<br />

zuordenbar ist. – Die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille <strong>der</strong> Weisheit, „Es kommt nicht (nur) darauf<br />

an, was man sagt, son<strong>der</strong>n auch, wie man es sagt“. – Die Hypothese, es spiegelten<br />

sich „Gut“ und „Böse“ in den strukturellen Moralprofilen <strong>der</strong> Protagonisten in einem<br />

Film, ist also entkräftet.<br />

An dieser Stelle könnte man aber mit detaillierten Untersuchungsmethoden diese Hypothese<br />

weiterführen, indem man beispielsweise die Profile zweier Dialogpartner auf „Gegenseitigkeit“<br />

prüft („antwortet“ ein Gesprächspartner dem an<strong>der</strong>en womöglich auf ein<br />

bestimmtes Niveau in typischer Art und Weise? In welchen Situationen [z.B. unter<br />

Druck] treten bestimmte Moralstufen gehäuft auf? etc.).<br />

Letztlich bleibt offen, ob die strikte Trennung zwischen Inhalt und Struktur <strong>der</strong> Moral<br />

alltäglichen Lebenssituationen (und somit <strong>der</strong>en Darstellung in Filmen) gerecht wird o<strong>der</strong><br />

ob bei<strong>des</strong> nur in einem Zusammenspiel sinnvoll interpretiert werden kann. So wird sich<br />

ein Drehbuchautor wohl doch eher auf den <strong>moralischen</strong> Inhalt <strong>der</strong> Rollenfiguren beziehen,<br />

wenn er beim Zuschauer Identifikation evozieren möchte, anstatt sich struktureller<br />

moralischer Profile zu bedienen.<br />

Eine vorläufige Bestätigung fand die Vermutung, dass in jedem Film min<strong>des</strong>tens eine<br />

Rolle zu finden ist, <strong>der</strong>en Urteilsstruktur dem postkonventionellen Niveau zuzurechnen<br />

ist. In dem Film „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ war dies sowohl beim Hauptdarsteller (Kaffee =<br />

„Identifikationsperson“) als auch bei <strong>des</strong>sen „Gegenspieler“ (Jessep) <strong>der</strong> Fall. Dies deutet<br />

gleichsam in Richtung auf die fünfte Hypothese: Um die Spannung aufrecht zu erhalten,<br />

28


sind sich „Held“ und „Kontrahent“ implizit – erreicht durch die Moralstruktur – ähnlich.<br />

Ursprünglich wurde von den „klassischen“ Gegenspielern Anwalt vs. Staatsanwalt<br />

ausgegangen; berücksichtigt man jedenfalls den Verlauf <strong>des</strong> Filmes (so z.B. die als persönliche<br />

Freundschaft dargestellt Beziehung zwischen Anwalt und Staatsanwalt), wird<br />

schnell deutlich, dass nicht diese, son<strong>der</strong>n Anwalt Kaffee und <strong>der</strong> die uneingeschränkte<br />

Befehlshörigkeit propagierende Jessep die eigentlichen Antagonisten <strong>des</strong> Films verkörpern.<br />

Interessant ist ebenso, dass die Stufen 5 und 6 <strong>der</strong> <strong>moralischen</strong> Argumentation gehäuft<br />

gegen Ende <strong>des</strong> Films in Erscheinung treten. Der Film schließt mit <strong>der</strong> – anfangs nicht<br />

vorhandenen – Einsicht <strong>des</strong> Angeklagten Dawson, dass als allgemeines Handlungsprinzip<br />

ein Hinwegsetzen über Befehle gerechtfertigt ist, wenn ansonsten grundlegende<br />

(Menschen-) Rechte verletzt würden (Rating: Stufe 5 bzw. 6); die „Quintessenz“ <strong>des</strong><br />

Films (auch hier wie<strong>der</strong> unter <strong>der</strong> Verschmelzung von Struktur und Inhalt <strong>der</strong> Moralaussage<br />

betrachtet) wird also vermittels hoher Moralstruktur wie<strong>der</strong>gegeben, was die Auffassung<br />

dieser als dramaturgisches Gestaltungsmittel unterstreicht, beson<strong>der</strong>s, da das letzte<br />

Drittel <strong>des</strong> Films als wichtigster „Spannungsträger“ angesehen werden kann.<br />

Ähnlich verhält es sich bei dem Film „Angeklagt“: Auf postkonventionellen Niveau wird<br />

vornehmlich im Abschlussplädoyer <strong>der</strong> Verteidigers argumentiert (Bestätigung <strong>der</strong> Hypothese<br />

3), <strong>der</strong> die „Gegenpartei“ zur Anwältin <strong>der</strong> Klägerin, die in diesem Sinne als „Identifikationsperson“<br />

für „das Gute“ gelten kann, repräsentiert. Sie setzt sich (den Inhalt<br />

ihrer <strong>moralischen</strong> Aussagen betreffend) für eine „allgemeine Gerechtigkeit“ ein, die nicht<br />

zulässt, dass Status und Prestige dazu führen, dass begangene Verbrechen ungesühnt<br />

bleiben. Problematisch gestaltete sich allerdings die strukturelle Einstufung <strong>der</strong> Moral <strong>der</strong><br />

Anwältin Katherine, denn es ergab sich einmal mehr die Schwierigkeit <strong>der</strong> Trennung zwischen<br />

Inhalt und Struktur. Des Öfteren waren ihre Verlautbarungen inhaltlich eindeutig<br />

moralisch relevant, wiesen jedoch nicht eine den <strong>Kohlberg</strong>schen Kategorien zuordenbare<br />

Struktur auf. Dies könnte durchaus auf einen Unterschied zwischen weiblicher und<br />

männlicher Moralstruktur hinweisen; ein Aspekt, auf den weiter unten noch näher eingegangen<br />

wird. In Bezug auf Hypothese 5 fällt aber ebenso bei „Angeklagt“ auf, dass zwei<br />

Charaktere eine ähnliche Argumentationsstruktur an den Tag legten. Zwar handelt es<br />

sich wie<strong>der</strong>um nicht um die „klassischen Gegenspieler“, doch verfolgt man den inhaltlichen<br />

Verlauf, steht auf <strong>der</strong> einen Seite die Anwältin, die sich für die sozial schwache Klä-<br />

29


gerin Sarah einsetzen möchte, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ihr Vorgesetzter, <strong>der</strong> um den Ruf<br />

seiner Kanzlei fürchtet und sich gegen die Führung <strong>der</strong> Anklage ausspricht. Damit sind<br />

beide als Kontrahenten aufzufassen und die Hypothese von <strong>der</strong> Argumentationsähnlichkeit<br />

zum Spannungsaufbau wird nochmals bekräftigt.<br />

Die Erwartung, dass sich in jedem untersuchten Film min<strong>des</strong>tens eine Person finden ließe,<br />

die sich in erster Linie einer Urteilsstruktur <strong>des</strong> postkonventionellen Niveaus bedient,<br />

konnte we<strong>der</strong> für „Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ noch für „Angeklagt“ eindeutig belegt werden.<br />

Obgleich <strong>der</strong> Zeuge Barnes („Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“) zu einem Großteil auf Stufe 1 argumentiert,<br />

war dies nicht ausschließlich <strong>der</strong> Fall (vgl. auch die Ergebnisse zu Hypothese<br />

1). Eine mögliche Interpretation für diesen Befund könnte sein, dass sich zum einen die<br />

Gegenüberstellung von „Gut“ und „Böse“ eher auf einer inhaltlichen Eben <strong>der</strong> Moral<br />

vollzieht (siehe oben) und zum an<strong>der</strong>en, dass eine zu „offene“ (ausschließlich Stufe 1<br />

und 2) Argumentation auf solch einem niedrigen Niveau dem Zuschauer unglaubwürdig<br />

erscheinen könnte (gleichfalls aber auch ein gänzliches Fehlen). Vor Gericht ist eine Person<br />

zwar angehalten, die Wahrheit zu sagen, dennoch entspricht es <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Bemühens<br />

um eine möglichst positive Selbstdarstellung, eigenes in Frage gestelltes Verhalten<br />

(so bei den Zeugen) z.B. eher mit Autoritätenhörigkeit als mit eigenen (nie<strong>der</strong>en)<br />

Motiven o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Angst vor Bestrafung zu erklären. Zudem reicht offensichtlich auch die<br />

vorgefundene Ähnlichkeit <strong>der</strong> <strong>moralischen</strong> Urteile zweier „Antagonisten“ <strong>des</strong> Films aus,<br />

um den Spannungsaufbau zu gewährleisten; eine zu starke Kontrastierung durch „Vertreter“<br />

<strong>des</strong> präkonventionellen gegenüber denen <strong>des</strong> postkonventionellen Niveaus scheint<br />

damit unnötig bzw. könnte sogar einen Teil dieser Spannung abschwächen.<br />

In Anlehnung an die von Gilligan (Gilligan, 1982, zitiert <strong>nach</strong> Oerter & Montada, 1998,<br />

S. 891f.) gefor<strong>der</strong>te Trennung zwischen männlicher und weiblicher Moral(struktur) sollte<br />

<strong>der</strong> Frage <strong>nach</strong>gegangen werden, ob sich in den untersuchten Filmen Tendenzen in diese<br />

Richtung <strong>nach</strong>weisen ließen. Bemerkenswert ist diesbezüglich, dass in beiden Filmen<br />

Frauen zu moralrelevanten Themen Bezug nehmen, eine Einordnung <strong>der</strong> Aussagen in die<br />

Stufentheorie von <strong>Kohlberg</strong> jedoch nur sehr selten vorgenommen werden konnte. In<br />

„Eine Frage <strong>der</strong> Ehre“ ist es die Co-Anwältin, Comman<strong>der</strong> JoAnn, die inhaltlich moralisch<br />

eine „wertvolle“ Auffassung vertritt, allerdings keine Begründungen für ihr Verhalten<br />

abgibt, also nicht (strukturell) argumentiert (lediglich zwei ihrer Aussagen konnten als<br />

moralrelevant beurteilt werden; weshalb sie in <strong>der</strong> Ergebnisdarstellung ver<strong>nach</strong>lässigt<br />

30


wurden). Genauso verhielt es sich bei den beurteilten Aussagen <strong>der</strong> Anwältin aus „Angeklagt“:<br />

Der Inhalt ihrer moralrelevanten Äußerungen bezieht sich zumin<strong>des</strong>t zum Teil auf<br />

ein ausgesprochen hohes Niveau (siehe oben); den Strukturvorgaben <strong>Kohlberg</strong>s genügten<br />

die Aussagen jedoch nicht (keine Begründungen). Konnte eine Moralrelevanz ihrer Argumentation<br />

festgestellt werden, lagen lediglich Stufen 2, 3 und 4 vor. Das Verhör <strong>der</strong><br />

Klägerin Sarah, das für den Film einen entscheidenden Punkt darstellt und geraume Zeit<br />

in Anspruch nimmt, musste im Ergebnisteil völlig unerwähnt bleiben, da tatsächlich keinerlei<br />

Argumentation zu erkennen war und somit ihre Aussagen alle als - die Struktur<br />

betreffend – moralisch irrelevant eingestuft wurden. Sie liefert ausschließlich Tatsachenschil<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>des</strong> Verbrechens, verdeutlicht die geschehene Brutalität und Entwürdigung,<br />

ohne explizit ein <strong>nach</strong> <strong>Kohlberg</strong> einstufbares Urteil zu verwenden.<br />

Die Schil<strong>der</strong>ung dieser Befunde legt die Vermutung nahe, dass womöglich tatsächlich ein<br />

Unterschied in <strong>der</strong> Darstellung von Moral zwischen Männern und Frauen besteht, von<br />

<strong>der</strong> an an<strong>der</strong>er Stelle schon aufgegriffenen Trennungsproblematik Struktur-Inhalt einmal<br />

abgesehen.<br />

Der Vergleich <strong>der</strong> tatsächlich eingestuften Aussagen <strong>der</strong> weiblichen und männlichen<br />

Filmfiguren liefert ein Bild, dass sich mit den von Gilligan beschriebenen Unterschieden<br />

bezüglich „weiblicher“ und „männlicher“ Moral nicht vereinbaren lässt. Da<strong>nach</strong> hätte die<br />

weibliche Filmrolle die durch Stufe 3 gekennzeichnete Fürsorgemoral darstellen müssen,<br />

was aber nicht zutrifft. Eine Erklärung liefert hier mehr die Darstellung von Nunner-<br />

Winkler (1995), die keine direkte Unterscheidung bezüglich <strong>des</strong> Geschlechts for<strong>der</strong>t,<br />

son<strong>der</strong>n von einer Rollenmoral spricht. Diesbezüglich kann die Argumentation <strong>der</strong> Anwältin<br />

als rollentypisch angesehen werden, da im Gerichtsmilieu die Orientierung am<br />

Ordnungs- und Rechtssystem – ein wichtiges Klassifikationsmerkmal für Stufe 4 – entscheidend<br />

ist.<br />

Bleibt jedoch die Frage offen, warum die männlichen Rollen <strong>der</strong> Filme nicht auch auf<br />

<strong>der</strong>selben Stufe argumentieren, da sie im gleichen Umfeld agieren und die gleiche Rolle<br />

erfüllen. Eine mögliche Erklärung könnte hier nun doch das Geschlecht abgeben. Eine<br />

Frau, die sich in <strong>der</strong> Arbeitswelt in ständiger Auseinan<strong>der</strong>setzung mit männlichen Kollegen<br />

befindet (was im Film „Angeklagt“ auch durch den Streit <strong>der</strong> Anwältin mit ihrem<br />

Chef deutlich wird), wird sich bemühen, als gleichwertiger Gegner o<strong>der</strong> Partner gesehen<br />

31


werden, um – vor allem bei <strong>der</strong> Problematik dieses Films – nicht auf ihr Geschlecht reduziert<br />

zu werden.<br />

Weiterhin werden die männlichen Verteidiger bei einem <strong>der</strong>artigen Fall vielleicht nicht<br />

auf ihrem eigentlichen Niveau argumentieren, son<strong>der</strong>n versuchen, sich selbst sensibel<br />

darzustellen und auf Stufen zu argumentieren, die <strong>der</strong> Jury entsprechen.<br />

Diese Erklärung ist aber spekulativ und bedürfte einer geson<strong>der</strong>ten Untersuchung im<br />

Rahmen einer Erweiterung <strong>der</strong> Arbeit im Bereich <strong>der</strong> Rollenmoral und <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen<br />

Unterschiede.<br />

32


7. Ausblick<br />

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Hypothesen 3 und 5 durch die <strong>Analyse</strong>n<br />

vorläufig bestätigt werden konnten, die Hypothese 4 zumin<strong>des</strong>t in Ansätzen einer Überprüfung<br />

standhielt, die Hypothese 1 eindeutig wi<strong>der</strong>legt wurde und die verbleibenden<br />

Hypothesen differenzierter ausgearbeitet und analysiert werden müssten, um eindeutige<br />

Aussagen über <strong>der</strong>en Stellenwert machen zu können.<br />

Es zeigte sich, dass durch die Einstufung moralrelevanter Aussagen im Sinne <strong>der</strong> Theorie<br />

<strong>Kohlberg</strong>s Filme durchaus auf ihren strukturellen Moralgehalt hin untersuchbar sind und<br />

damit die Annahme gerechtfertigt erscheint, dies als ein filmisches Gestaltungsmittel anzusehen,<br />

das von Drehbuchautoren zu dramaturgischen Zwecken genutzt werden kann.<br />

Ob die Verwendung <strong>der</strong> Moralstruktur jedoch bewusst o<strong>der</strong> eher intuitiv (was wahrscheinlicher<br />

ist) herangezogen wird, kann nicht entschieden werden.<br />

Sicherlich muss man sich auch <strong>der</strong> Tatsache bewusst sein, dass die <strong>Analyse</strong> zweier Filme<br />

nicht als repräsentativ gelten kann und die hier gemachten Aussagen nicht vorschnell<br />

verallgemeinert werden dürfen. Dennoch bleibt zu beachten, dass durch diese Überlegungen<br />

eine neue Richtung eingeschlagen wurde, die durch zusätzliche Untersuchungen<br />

und konstruktive Kritik weiterverfolgt werden sollte. Neben den im Diskussionskapitel<br />

erwähnten Fortführungsmöglichkeiten wäre auch interessant, Filme ein- und <strong>des</strong>selben<br />

Drehbuchautors bezüglich <strong>der</strong> vorhandenen Moralstrukturen zu analysieren, um eventuell<br />

<strong>der</strong>en Verwendung als gezieltes Gestaltungsmittel für Spannung zu untermauern. Weiter<br />

soll die Aufzählung <strong>der</strong> folgenden Filme als Anregung dienen, die in unserer Arbeit<br />

bereits bestätigten o<strong>der</strong> noch offene Hypothesen zu bearbeiten: „Die Jury“, „Vera Brühne“,<br />

„Mur<strong>der</strong> in the first“, „Sleepers“, um nur einige Möglichkeiten zu nennen.<br />

Zudem wäre es im Hinblick auf die sechste Hypothese und auch im Allgemeinen wünschenswert,<br />

<strong>der</strong> Trennung sowohl von Inhalt und Struktur als auch von weiblicher und<br />

männlicher Moral weiter <strong>nach</strong>zugehen, um daraus Schlüsse und Konsequenzen für <strong>der</strong>en<br />

praxisbezogene Handhabung, beispielsweise im Rahmen von Inhaltsanalysen, zu ziehen.<br />

Ebenso wurden weitere interessante Aspekte (Dramentheorie; Medium Film als „Lehrer“<br />

und „Aufklärer“) nicht in diesen Bericht aufgenommen, da <strong>der</strong>en adäquate Diskussion<br />

auf Grund <strong>des</strong> ohnehin schon enormen zeitlichen Aufwan<strong>des</strong> nicht hätte bewerkstelligt<br />

werden können.<br />

33


Auch wenn sich die Bearbeitung <strong>des</strong> Themas nicht immer als einfach erwies und mit einigen<br />

Schwierigkeiten gekämpft werden musste (auch wenn sich ab und an <strong>der</strong> Eindruck<br />

vermittelt haben mag, durch die Überprüfung <strong>der</strong> Hypothesen mehr Fragen aufgeworfen<br />

als beantwortet zu haben und die Ergebnisse und Interpretationen Schwächen aufweisen),<br />

ist zu hoffen, einen Einblick in interessante und facettenreiche Überlegungen gegeben<br />

zu haben. Sollten an<strong>der</strong>e Arbeitsgruppen diese Versuche weiterentwickeln und<br />

verbessern wollen, wäre dies ein fachlicher Gewinn.<br />

„Was die filmwissenschaftliche <strong>Analyse</strong>tätigkeit im engeren Sinne angeht, so<br />

ist sie keineswegs einheitlich und kennt eine Fülle verschiedenartiger Zugänge.<br />

Entsprechend dem Aufbau <strong>der</strong> Filmtheorie, die die Bereiche <strong>der</strong> Gestaltungslehre,<br />

<strong>der</strong> Dramaturgie und <strong>der</strong> Morphologie (mit Gattungs-, Genre-,<br />

Stiltheorie) umfasst, lässt sich darum etwa <strong>Analyse</strong> <strong>der</strong> Gestaltungsmittel,<br />

dramaturgische <strong>Analyse</strong>, Stiluntersuchung usw. unterscheiden. Hieraus wird<br />

einmal mehr deutlich, wie unvollständig je<strong>der</strong> einzelne Versuch wissenschaftlicher<br />

Abbildung filmischer Sachverhalte bleiben muss. Die allumfassende<br />

<strong>Analyse</strong> ist eine Illusion. Erstrebenswert scheint eher eine gründliche<br />

Teiluntersuchung unter eingegrenzten Gesichtswinkeln, <strong>der</strong>en Ausschnitthaftigkeit<br />

erkennbar ist und <strong>der</strong>en Herangehensweise einer Methodenkritik<br />

gegenüber einsichtig bleibt.“ (Wuss, 1993, S. 20).<br />

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8. Literatur<br />

Lukesch, H. (1997). Einführung in die Pädagogische Psychologie (3. Aufl.). Regensburg:<br />

Ro<strong>der</strong>er.<br />

Nunner-Winkler, G. (1995). Eine weibliche Moral. Die Kontroverse um eine geschlechtsspezifische<br />

Ethik (2. Aufl.). München: dtv.<br />

Oerter, R. & Montada, L. (1998). Entwicklungspsychologie (4. Aufl.). Weinheim: Beltz.<br />

Wuss, P. (1993). Filmanalyse und Psychologie: Strukturen <strong>des</strong> Films im Wahrnehmungsprozess.<br />

München: Ed. Sigma.<br />

Zimbardo, P. G. (1992). Psychologie (5. Aufl.). Berlin: Springer.<br />

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